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Neuntes Kapitel.
Channay, der Befreier

Die Fürstin – eine echte und wunderschöne russische Fürstin – legte ihre Hand auf den Arm ihres Begleiters. Beide blieben stehen. Sie wandelten langsam durch die überfüllten Räume des Sport-Klubs, und der Herr an der Seite der kürzlich Angekommenen war bemüht, sie auf die verschiedenen Vertreter des Adels aufmerksam zu machen.

»Wer ist der Mann dort?« fragte die Fürstin. »Sein Gesicht bleibt unbeweglich, obgleich er gewinnt.«

Major Egerton Warling sah im ersten Augenblick ziemlich interesselos hin, bis er ihn erstaunt erkannte. Channay blickte auf und sah Warling fest ins Auge, scheinbar ohne ihn zu kennen. Der aber nickte ihm freundschaftlich zu und winkte ihm auch mit der Hand. Endlich erwiderte Channay seinen Gruß und setzte unbeirrt sein Spiel fort.

»Wer ist das?« fragte die Fürstin. »Sie kennen ihn? Gut. Dann müssen Sie ihn mir vorstellen.«

»Wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt«, sagte ihr Begleiter ausweichend. »Ich kenne ihn sogar gut, wir waren Schulkameraden und bezogen auch zusammen die Universität. Später geriet er in große Schwierigkeiten und ist daher jetzt nicht leicht zugänglich.«

»Schwierigkeiten?« wiederholte die Fürstin. »Haben außer Russen auch andere Leute Schwierigkeiten? Was hat er getan? Geld verloren?«

»Das gerade nicht«, erwiderte Warling zögernd. »Soviel ich weiß, ist er sogar ein wohlhabender Mann, der jedoch das Opfer einer Verschwörung wurde. Sie wissen doch, daß ich Direktor eines Staatsgefängnisses bin?«

»Er hat gesessen?« unterbrach sie eifrig. »Er macht ganz den Eindruck eines Mannes, der tut, was ihm beliebt und sich nicht an Gesetze kehrt.«

»Sein Vergehen war durchaus nicht so schlimm«, vertraute Egerton Warling ihr au. »Jedenfalls hatte ich ihn drei Jahre sozusagen unter meiner Obhut.«

»Bitte stellen Sie ihn mir vor«, bat sie. »Das ist der Mann, den ich suche.«

Egerton Warling warf einen flüchtigen Blick auf Channay.

»Wir können ihn jetzt unmöglich stören. Er spielt eben um einen hohen Einsatz, wie Sie sehen, und man kann ihn nicht veranlassen seinen Platz aufzugeben. Später vielleicht.«

An Ausflüchte nicht gewöhnt, dachte die Russin enttäuscht darüber nach, daß die Zeiten sich geändert hatten und daß es nichts Ungewöhnliches mehr war, eine Fürstin Variabinski zu sein.

»Lassen Sie uns zum Bakkarattisch gehen. Man hat diese Woche dort um hohe Einsätze gespielt.«

Auf dem Wege zum nächsten Spielzimmer stellte Warling ihr einen englischen Herzog vor, einen französischen Schauspieler, den englischen Tennis-Weltmeister und die Gattin eines Gesandten. Die Fürstin sprach zwar freundlich mit jedem, doch schien ihr Interesse für Menschen abgenommen zu haben. Sie veranlaßte daher Egerton Warling bald wieder zum Roulettetisch zurückzukehren und blieb dann hinter Channays Stuhl stehen.

»Können Sie ihn nicht zum Aufstehen veranlassen«, flüsterte sie ihm zu. »Ich muß mit dem Mann sprechen, dessen Gesicht unbeweglich bleibt. So spielen auch unsere russischen Männer, er ist aber ganz anders.«

Warling zögerte. Doch der Zufall kam ihren Wünschen entgegen. Channay strich seinen Gewinn ein, spendete noch einen Betrag in die »boite«, für den er den beredten Dank des »Chefs« erntete, und erhob sich zum Gehen.

»Wie geht es Ihnen, Channay?« rief Warling, indem er ihm die Hand entgegenstreckte. »Sie haben ganz nett eingeheimst, wie ich mit Vergnügen bemerkte.«

»Ach ja, bin ganz zufrieden«, gab Channay zu.

»Ich möchte Sie gern der Fürstin Variabinski vorstellen«, fuhr Warling fort. »Mr. Gilbert Channay – Fürstin Variabinski.«

Channay verbeugte sich und murmelte einige höfliche Worte und würde sich wieder verabschiedet haben, wenn die Fürstin ihn nicht mit liebenswürdigem Lächeln festgehalten hätte.

»Ich sehe Sie gern am Spieltisch, Mr. Channay«, sagte sie. »Ihr Gesicht bleibt unbeweglich. Major Warling wollte mit mir in der Bar einen Kaffee trinken, kommen Sie mit. Ich bitte Sie darum.«

Channays Versuch, sich mit einer Entschuldigung zu drücken, mißglückte. Während sie sich zur Bar begaben, zog Channay Warling beiseite.

»Haben Sie der Fürstin die Umstände erklärt, unter denen wir uns das letztemal gesehen haben?« fragte er ihn.

»Ja, das habe ich getan«, war die ehrliche Erwiderung.

Die Fürstin beugte sich etwas vor. Sie hatte schöne, dunkelbraune, ausdrucksvolle Augen. Sie gab Channay zu verstehen, daß er sich ihrer Gesellschaft anschließen müsse.

»Was wollten Sie?« fragte sie ihn sanft. »Ich weiß, daß mein Englisch schlecht ist. Major Warling hat mir etwas über Sie erzählt.«

»Vielleicht, daß ich drei Jahre im Gefängnis zugebracht habe?« fragte Channay.

»Im Gefängnis?« wiederholte die Fürstin. »Und wenn schon. Ich selbst habe ein Jahr und viele Monate im Gefängnis gesessen. So haben wir etwas miteinander gemein. Wir sind demnach beide ›Galgenvögel‹, nicht wahr …«

Channay lächelte schwach.

»Nur mit dem einen Unterschied, Hoheit«, gab er zurück, »daß unser beider Vergehen wohl kaum gleich beurteilt würde. Mich hat man des Betruges beschuldigt.«

»Auch mich«, bekannte sie ganz vergnügt. »Diese gräßlichen Menschen – ›Regierung‹ nennen sie sich – beschuldigten mich der Unterschlagung und sagten, daß ich durch heimliche Wegschaffung meiner Juwelen einen Betrug am Vaterlande begehen wollte. Doch vorbei ist vorbei. Wir beide haben eine schandvolle Vergangenheit hinter uns, Monsieur Channay. Wir sind keine solch ehrenwerte Leute wie Major Warling, darum müssen wir schon Freunde sein. Schlagen Sie ein?«

»Nichts lieber als das, Hoheit«, gab er höflich zurück.

Die Fürstin lächelte glücklich. Sie sprachen noch über Monte Carlo, die Fremden und die Veränderungen, die dort in den letzten zehn Jahren stattgefunden hatten; danach erhob sich die Fürstin.

»Ich muß jetzt gehen«, entschuldigte sie sich. »Ich lebe mit einer alten Tante, Monsieur Channay, die auch schon viel Leid gesehen hat, aber nichts vergessen kann. Heute versprach ich ihr zeitig nach Hause zu kommen. Aber morgen darf ich Sie doch zum Lunch erwarten, Mr. Channay? Oder sind Sie anderweitig versagt?«

»Zwar bin ich nicht eingeladen, Hoheit,« erwiderte Channay, »Sie scheinen aber unserer beider Lage nicht ganz zu erfassen. Ihre Leiden sind rein politische gewesen. Ich hingegen verkehre mit meinen Landsleuten nicht mehr auf gleichem Fuße. Nur ganz wenige meiner alten Freunde können sich zu der Großzügigkeit eines Major Warling aufschwingen. Ich vermeide also Häuser zu besuchen, in denen vielleicht Landsleute von mir verkehren, die gegen meine Anwesenheit möglicherweise Einspruch erheben könnten.«

Sie sah ihn lächelnd an: »Sie sind ein törichtes Menschenkind. Was Sie getan haben, berührt mich nicht. Sie kommen also. Möglich, daß noch andere Gäste kommen, je nachdem. Auf keinen Fall aber Engländer.«

Gilbert Channay beugte sich über ihre Hand und küßte sie.

»Wo wohnen Hoheit?« fragte er leise.

»Vialla St. Pierre,« erwiderte sie, »sie liegt oberhalb Beau Soleil. Ich erwarte Sie um halb ein Uhr.«

Der Lunch war über Erwarten gut verlaufen. Außer der Fürstin und ihm selbst waren noch ihre Tante, Madame de Kragoff, ein junger Italiener, Graf Pinesti, seine Schwester, die Marchesa da Sienitivia und Warling anwesend. Die Unterhaltung wurde größtenteils französisch geführt und beschränkte sich auf gesellschaftliche Angelegenheiten. Der Kaffee wurde auf dem Balkon aufgetragen, von dem man einen herrlichen Ausblick auf duftende Gärten hatte, die durch den tiefblauen Strich des Meeres vom Horizont getrennt wurden. Channay saß neben der Fürstin, die nicht einen der Gäste mit dem üblichen Protest zurückzuhalten suchte, als sie sich nacheinander von ihr verabschiedeten. Aber als Channay dem Beispiel der anderen folgen wollte, legte sie ihre Hand auf seinen Arm.

»Mein Freund, Sie dürfen nicht gehen«, bat sie ihn. »Lassen Sie uns noch ein bißchen ungestört plaudern.«

Channay war etwas stutzig, fügte sich aber ihrer Aufforderung. Madame de Kragoff zog sich zur Ruhe zurück, so daß schließlich die Fürstin und Channay auf der Terrasse allein blieben. Sie atmete erleichtert auf, zündete sich eine neue Zigarette an, schob Channay die übrigen hin und streckte sich mit der Anmut der vornehmen Russin im Stuhl aus. Channay beobachtete sie unauffällig, aber scharf. Sie war mit der studierten Einfachheit der vornehmen Frau dieser Nation gekleidet, die den Schmuck im regelmäßigen Gebrauch ablehnt.

»Monsieur Channay«, sagte sie endlich. »Sie wundern sich, weshalb ich Sie bat zu bleiben und denken vielleicht, daß Sie eine Eroberung gemacht haben.«

Sie sah ihn mit einem Lächeln auf den Lippen an, während in ihren Augen eine Herausforderung lag. Er schüttelte den Kopf.

»Fürstin,« sagte er, »Eitelkeit in diesen Dingen liegt mir fern. Dagegen ist meine Neugier um so größer.«

Sie zuckte die Achseln.

»Man kann nie wissen!« bemerkte sie. »Ich bin durch viel Leid gegangen und meine Gefühle kommen nur selten an die Oberfläche. Ich fühle mich nicht leicht angezogen, muß aber gestehen, daß ich Sie leiden mag und das Empfinden habe – wenn ich ein General wäre und müßte unter meinen Soldaten nach jemand suchen, der großen, gefährlichen Aufgaben gewachsen ist, so würde ich sicher auf Sie verfallen.«

»Fürstin, Sie belieben entschieden zu schmeicheln«, sagte Channay leise.

»Sie haben ein Antlitz, das unbeweglich bleibt«, sagte sie bestimmt.

»Das ist vielleicht auf die harte Zeit, die hinter mir liegt, zurückzuführen. Gefühle mußten da in den Hintergrund treten.«

»Wer weiß?« erwiderte sie. »Für Ihren Mut könnte ich aber einstehen. Ich traue Ihnen auch Ritterlichkeit zu. Doch will ich Ihnen einmal eine kleine Geschichte erzählen. Darf ich?«

»Ich bitte darum.«

»Es war noch vor der großen Umwälzung«, begann sie. »Ein Engländer besuchte meinen Gatten oft in seinem Palast in Petersburg. Er war, was man so einen großen Finanzmann nennt, der bedeutende Geldtransaktionen in meiner Heimat durchführte und als sehr reich galt. Nun muß ich ganz offen sprechen. Dieser Mann bildete sich eines Tages ein mich zu lieben. Jetzt dürfen Sie nicht vergessen, daß mein Gatte, ein stattlicher, tapferer Soldat und aus einem der vornehmen, alten russischen Geschlechter, doch noch am Leben war. Es war also sehr töricht von diesem Engländer.«

»Ist Ihr Gatte denn gestorben?« fragte Channay fast schonend.

»Er wurde im Krieg getötet«, antwortete sie. »Er starb als ein Soldat. Er besaß meine ganze Liebe, als er noch lebte. Sein Freund war sehr gut eingeführt, auch sogar vom Zaren empfangen worden, aber er gehörte mehr den großen Handelskreisen an und kein vernünftiger Mensch würde ihn mit meinem Gatten verglichen haben.

Sie können sich wohl selbst vorstellen, was passierte. Ein paar Worte von mir genügten, er verstand und stellte also seine Besuche ein. Ich hatte meinem Gatten nichts gesagt, weil sonst die Sache ohne Zweifel tragisch ausgelaufen wäre. Dann kam die große Revolution. Paul wurde getötet und meine Verwandten in alle Winde zerstreut. Wohl hatte ich noch Mittel, aber auch große Verpflichtungen. Der Engländer suchte mich wieder in meinem Palast auf. Er war klug genug, nichts von der Vergangenheit zu erwähnen. Er sagte, daß er als Freund käme. Ich betraute ihn mit dem Verkauf aller meiner Juwelen, auf die er mir einen lächerlich kleinen Betrag vorschoß. Nach französischem Geld mußten meine Juwelen mindestens zehn Millionen Franken wert sein. Er schoß mir hunderttausend Franken darauf vor, mit denen ich durch Bestechung aus Rußland zu entkommen suchte. Doch meine Versuche schlugen fehl und ich mußte viele Monate im Gefängnis schmachten. Endlich entkam ich. Ich schrieb an den Engländer und wartete vergebens auf Antwort. Ich suchte ihn dann in England auf. Er behauptete, ich habe ihm die Juwelen für einhunderttausend Franken verkauft. Mein Gatte war für einen Soldaten ein außerordentlich praktischer Mann. Die Juwelen waren versichert. Ich habe aber die Dokumente und wies ihm die Versicherungspolice vor, aus der sich ergab, daß die Juwelen auf zehn Millionen Franken versichert waren. Er lächelte überlegen und bemerkte, daß sich unter anderen Umständen vielleicht eine günstigere Vereinbarung treffen ließe. Ich stand auf, verließ das Zimmer und begab mich zu meinem Vetter, der aber nach New York abgereist war! Dann suchte ich den Onkel meines Gatten, den Großfürsten Peter auf. Wir waren stets Feinde, ich glaubte aber, daß er die Interessen der Familie persönlichen Gefühlen voranstellen würde. Er versprach den Engländer aufzusuchen, was er vielleicht getan hat, denn er schrieb mir, dieser hätte ihm versichert, daß der Wert der Juwelen überschätzt sei und er glaube durch die an mich geleistete Zahlung von hunderttausend Franken seiner Pflicht reichlich genügt zu haben, in Anbetracht der Möglichkeit, sie vielleicht nie aus Rußland ausführen zu können. Meine gegenwärtige Lage ist also die, daß ich weder meine Juwelen noch das Geld dafür habe.«

»Sind Sie bei einem Rechtsanwalt gewesen?« fragte Channay.

»Bei dem besten in London«, sagte sie. »Er hörte meine Geschichte an und schüttelte einfach den Kopf, indem er sagte, daß der Beweis nicht erbracht wäre, daß es nicht doch ein ganz richtiger Verkauf gewesen sei.«

»Recht entmutigend«, sagte Channay. »Ich bedauere, daß jener Herr ein Engländer war.«

»Er ist wohl ein Engländer«, fuhr die Fürstin fort, »gleicht aber gar nicht den übrigen Vertretern seiner Rasse. Er ist nämlich ein ganz großer Feigling. Heute tut es mir leid, daß ich meinen Gatten nicht über ihn aufklärte. Paul würde ihn getötet haben und ich hätte meine Juwelen behalten.«

»Hat er sie denn verkauft?«

»Etliche davon doch wohl. Doch hören Sie mich an. Nun kommt die größte Niedertracht, und ich frage mich wirklich, ob es sich lohnen würde, den Mann umzubringen und ihm die Juwelen zu rauben, selbst wenn man ins Gefängnis käme? Er ist augenblicklich in Monte Carlo in Begleitung einer in Paris sehr bekannten Frau – ›La belle Clérode‹. Sie trägt meine Juwelen, auch den berühmten Smaragd, der vor sechshundert Jahren einem Tatarvorfahren gehörte!«

»Wirklich unglaublich«, sagte Channay leise.

»Jetzt, mein Freund,« fuhr die Fürstin fort, »sollen Sie noch nichts sagen, weil Ihnen meine Geschichte noch zu neu und fremd ist. Heute abend werde ich Ihnen sein Bild zeigen und dann will ich mal hören, was Sie dazu sagen. Haben Sie heute abend etwas vor? Hoffentlich nicht!«

»Ich stehe Ihnen zur Verfügung, Fürstin«, versicherte Channay mit Wärme. »Ich habe wohl ein paar Freunde, die den Abend hier mit mir verbringen wollen, aber sie kommen erst später an.«

»Dann darf ich hoffen, daß Sie meine Tante und mich zu einem kleinen Diner im Sport-Klub einladen?« fragte sie. »Auch Ihren Freund Major Warling, wenn Sie mögen. Wir können uns dann nachher in die oberen Räume begeben und dort werde ich Ihnen die beiden Herrschaften zeigen.«

»Mit dem größten Vergnügen«, beteuerte Channay. »Darf ich Sie aber noch einmal daran erinnern, Prinzessin, daß ich in meinem eigenen Lande als ein ›déclassé‹ gelte. Das ist Ihnen doch klar?« Sie lachte.

»Monsieur Channay,« sagte sie, »weil ich Fürstin Variabinski bin, kann ich mich einladen lassen von wem ich will, und als Frau steht es mir zu, meine Freunde selbst zu wählen. Wir treffen uns also heute abend um neun Uhr im Sport-Klub.«

Auf dem Wege nach Monte Carlo fiel es Channay ein, daß er sich nicht nach dem Namen des Engländers erkundigt hatte.

 

Channays etwas schüchterne Einladung wurde von Warling begeistert angenommen. Trotz der großen Bitterkeit, die von Channay Besitz ergriffen hatte, war er im Grunde seiner Seele sehr sensitiv. Die Zusage freute ihn, aber er konnte eine spöttische Bemerkung nicht unterdrücken.

»Ich war so lange Ihr Gast,« bemerkte er, als sich die beiden Männer etliche Minuten vor der angesetzten Dinerstunde in der Bar trafen, »daß ein Tausch der Rollen jetzt angebracht sein dürfte.«

»Alter Freund,« erwiderte der andere, als er seinen Cocktail trank, »seien Sie kein Esel. Wir gehen jetzt besser in den Saal und warten auf die Damen. Die Fürstin ist berückend, aber, wie alle Kontinentalen, formell.«

Das kleine Diner zu viert verlief sehr harmonisch. Die ernsteren Dinge wurden in ihren Gesprächen nicht berührt. Später begab man sich nach den Spielräumen. Die Fürstin und Channay folgten den beiden anderen nur langsam.

»Sehen Sie dort!« rief sie aus, Channay beim Arm ergreifend, »gerade Ihnen gegenüber!«

Zwei Leute saßen am Roulettetisch. Vor ihnen lagen Tausendfrankennoten aufgestapelt. Channay wurde sofort auf die Frau aufmerksam, die durch ihre Schönheit, ihren Reichtum an rotgoldenem Haar, ihre blendend schöne Haut und herrlichen dunklen Augen auffallen mußte. Sie war im Dekolleté. Ihr Chinchilla-Mantel lag über der Stuhllehne. Arme und Hals waren mit wunderbaren Juwelen beladen, Perlenschnüre schlangen sich um ihren Nacken, und ein Smaragd an einer dünnen Platinkette erregte die Bewunderung der anwesenden Frauen. Channays Blicke wanderten zu ihrem Begleiter, und als er ihn erkannte, wurde er sehr schweigsam. Der Mann war hager, blutleer, das Gesicht entstellt, als habe er eine schwere Krankheit überstanden. Das wenige Haar war weiß. Seine Lippen waren ungewöhnlich rot. Er gab sich dem Spiel ganz hin, wiewohl er zuweilen seine Gefährtin auf ihre unsinnigen Einsätze flüsternd aufmerksam zu machen schien. Sie zuckte aber nur dir Achseln und achtete nicht auf seine Bemerkungen. Channay hatte Muße, den Mann ruhig zu beobachten, und er durchlebte noch einmal im Geiste das furchtbare Drama vergangener Jahre. Die Fürstin trat zu ihm heran.

»Nun?« fragte sie kurz.

»Würden Sie mit mir nach der Bar kommen?« fragte er.

Sie fanden eine ungestörte Ecke. Channay fühlte sich nicht gleich zum Sprechen geneigt, aber die Fürstin war so erfüllt von ihrem Erlebnis, daß sie ihm keine Zeit zu weiteren Betrachtungen ließ.

»Haben Sie gesehen!« rief sie aus. »Können Sie sich nun meine Gefühle vorstellen? Diese Perlen sind mein – dieser Smaragd diese Armbänder – diese Ringe – Sie trägt sie nun – – – und wie sie den Schmuck trägt!«

»Ich kann nicht verstehen, daß ich Sie nie nach dem Namen dieses Mannes gefragt habe.«

»Anderton, heißt er.«

»Ganz recht, ich kenne ihn, Giles Maurice Anderton. Das hätte ich gleich erraten können, als Sie mir von seinen großen Finanztransaktionen in Rußland erzählten!«

»Sie kennen ihn also?«

»Ich habe ihn einmal gekannt«, sagte Channay bitter. »Er ist einer von denen, die mein Unglück verschuldet haben.«

»Sehr merkwürdig«, sagte die Fürstin nachdenklich. »Also unser gemeinsamer Feind. Nun, mein lieber Freund – darf ich Sie mein lieber Freund nennen?«

Die Vergangenheit lebte in düsteren Bildern vor Channay auf und nahm ihn so gefangen, daß er weder die Bitte in den Augen der Fürstin noch die Musik ihrer leisen Stimme bemerkte – und doch sah er aus, als ob er ihr zuhöre.

»Was ich Sie fragen wollte – sind Sie bereit mir zu helfen?« fuhr sie fort. »Sie sind ein tapferer Mann, und er ist ein Feigling. So hoffnungslos der Fall auch scheint, so hat doch die Feigheit schon manches Mal vor dem Mut die Waffen gestreckt.«

»Fürstin,« sagte Channay ernst, »bitte erhoffen Sie nicht zuviel. Vielleicht kann ich Ihnen helfen, vielleicht auch nicht. Ich verspreche Ihnen aber, mein Äußerstes zu versuchen.«

Ihre Hand stahl sich in die seine. Als sie sich zu ihm hinüberlehnte, duftete ihm eine Welle von Lavendel und Rosenblättern entgegen. Von ihren schlanken Fingern ging eine einschmeichelnde Wärme aus.

»Sind Sie mein – lieber Freund?« flüsterte sie. »Ich wußte es, als ich Sie gestern sah. Ich bin überzeugt, daß kein anderer etwas in dieser Sache zu tun vermag, wenn Ihre Versuche mißlingen.«

Channay atmete tief. Einen Augenblick lang waren ihm die Sinne benommen. Er faßte sich aber gleich wieder.

»Sie müssen mir eine Aufstellung Ihrer Juwelen nebst Schätzungsliste geben«, sagte er fast geschäftsmäßig. »Ferner möchte ich mich, Ihre gütige Erlaubnis natürlich vorausgesetzt, jetzt besser verabschieden, denn es dürfte unsere Pläne nicht fördern, wenn wir zusammen gesehen werden. Ich werde tun, was ich nur kann. Ihre Ansicht von diesem Manne entspricht vollkommen der Wahrheit. Er ist immer ein Feigling gewesen.«

»Ich werde Ihnen die Papiere übergeben. Sollte die Mission auch scheitern, so danke ich Ihnen doch den Versuch. Begleiten Sie mich bitte noch bis zur Türe, da ich zu meiner Tante zurückgehen möchte. Wir werden also heute abend nicht mehr miteinander sprechen. Das ist schade, aber ich füge mich. Leben Sie wohl.«

Channay folgte einer Eingebung und begab sich zur Bar. Er ließ sich einen Likör-Brandy geben, den er gedankenvoll schlürfte. Die Abspannung in seinen Zügen verschwand. Seine Augen leuchteten wieder und zeigten die alte Festigkeit. Seine Gedanken beschäftigten sich mit einem Plan …

Mademoiselle Clérode spielte ohne Glück. Der Kreis der Zuschauer, die sie bewundert und beneidet hatte, war kleiner geworden. Sie gähnte leicht und strich das Geld in eine niedliche Börse, deren Farbe mit der ihres Gewandes harmonierte. Sie erhob sich gelangweilt. Ihr Begleiter blickte ärgerlich zu ihr auf.

»Gehst du schon?« fragte er.

»Ein wenig promenieren«, erwiderte sie. »Dann will ich mich an einen anderen Spieltisch setzen. Hier verliere ich fortwährend.«

Der Herr spielte noch eine Weile weiter und begab sich dann zur Bar, wo er plötzlich Gilbert Channay gegenüberstand.

Anderton hatte es sein ganzes Leben auf den Zufall ankommen lasten. Im ersten Augenblick war er überrascht, besaß aber genügend Fassung, um bei dieser Gelegenheit so zu handeln, wie er es sich schon lange vorgenommen hatte. Sein Lächeln war nicht gerade herzlich, aber doch zuvorkommend und freundlich. Er würde Channay sogar seine Hand entgegengestreckt haben, wenn er aus einen Gegengruß gehofft hätte.

»Channay!« rief er aus. »Gilbert Channay! Ich dachte – –«

Channay vervollständigte für ihn den Satz.

»Sie dachten, daß ich erst nächsten Monat entlassen würde. Gutes Betragen kann aber einen Strich durch die schönste Rechnung machen, wie Sie sehen. Ich erfreue mich der Freiheit schon seit geraumer Zeit.«

»Ein merkwürdiges Zusammentreffen!« sagte Anderton. »Ich wollte eben zur Bar gehen. Lassen Sie uns unserer Nationalität treu sein und unsere Begegnung mit einem Whisky und Soda feiern.«

»Danke bestens. Ich möchte nichts trinken«, sagte er trocken. »Ich will mich aber gern zu Ihnen setzen.«

Sie fanden ein stilles Eckchen. Channay lehnte eine Zigarette ab und zündete sich eine von seinen an.

»Channay,« begann Anderton, »ich weiß natürlich nicht, wie es Ihnen ergangen ist, seit sie – wiedererstanden sind, aber es wird Ihnen wohl bekannt sein, daß alle mächtig wütend auf Sie sind. Ich für meinen Teil will nicht klagen, aber Sie haben uns nicht schön behandelt, Channay. Wahrscheinlich hatten Sie darauf gerechnet, daß wir uns alle um Sie scharen würden. Für die anderen spreche ich nicht. Nur wollen Sie wissen, daß ich mich seinerzeit in Rußland – nein, schlimmer noch, sogar in Sibirien befand.«

»In Sibirien? Wirklich?« bemerkte Channay.

Anderton blickte Channay flüchtig an. Es war nicht anzunehmen, daß er von Andertons Anwesenheit in London während des Untersuchungsverfahrens wußte.

»Mein Rechtsbeistand suchte natürlich in meinem Namen um die Aktien in der Nyasa Company nach,« fuhr er fort, »und erhielt die ursprünglich gezeichnete Summe. Wie man mir sagte, sind die einzigen Aktien, die überhaupt zugewiesen wurden, Ihnen zugeteilt worden.

»Stimmt!«

»Ich bin Geschäftsmann,« fuhr Anderton fort, »und Sie auch, alter Freund, aber die ausgeklügeltsten Geschäftstransaktionen schließen eine gewisse Moral nicht aus. Und jetzt richte ich an Sie als einen Ehrenmann die Frage: Finden Sie es gerechtfertigt, auf Grund unseres Beschlusses eine große Anzahl Minenaktien zu kaufen und, weil ihr Wert um ein Bedeutendes gestiegen und die Eintragung auf Ihren Namen erfolgt war, sie festzuhalten? Würden Sie eine solche Handlungsweise nicht selbst als wenig ›fair‹ bezeichnen?«

»Vielleicht«, gab Channay zu.

»Was die Mine selbst betraf, so hatten Sie ja die Sachlage an sich vortrefflich beurteilt«, fuhr Anderton fort. »Ich möchte es aber doch dahingestellt sein lassen, ob Sie einen so überraschenden Erfolg voraussahen. Die Aktien stehen heute auf dreißig. Für meine zwanzigtausend Mark müßte ich demnach heute sechshunderttausend Mark bekommen.«

»Ganz recht,« pflichtete Channay bei, »wenn die Aktien auf Ihren Namen eingetragen worden wären oder ich mich zu der Rolle eines ehrlichen Mannes entschließen könnte, würden Sie diese sechshunderttausend Mark erhalten haben!«

Andertons Hand zitterte leicht, als er sich eine neue Zigarre anzündete. Er war stets verschwiegen gewesen, so daß niemand von seinem Reichtum einen rechten Begriff hatte. Dessenungeachtet blieb das Geld sein Gott, und sechshunderttausend Mark waren eine Summe, die seine Begierde erregte.

»Mein lieber Channay,« schlug er vor, »lassen Sie uns mal diese Angelegenheit wie Männer besprechen. Sie beliebten jene scharf anzufassen, von denen Sie sich übel behandelt glaubten. Ich habe gehört, daß ein kleines Dokument die Unterschriften von Männern trägt, die entweder gegen Sie gezeugt oder sich ferngehalten haben, als sie Ihnen hätten beispringen sollen.«

»Sehr richtig«, murmelte Channay zustimmend.

»Ich möchte aber hervorheben,« fuhr Anderton ernst fort, »daß mein Name nicht auf dieser Liste steht, wenn sie überhaupt vorhanden ist. Ich würde auch nie meinen Namen dazu hergegeben haben, selbst wenn man mich dazu aufgefordert hätte. Zudem befand ich mich aber in Sibirien. Auch von anderer Seite betrachtet, ich hätte es nicht fertiggebracht, gegen Sie zu zeugen, selbst wenn ich in England gewesen wäre. Nachdem ich Ihnen dies nun alles haarklein auseinandergesetzt habe, darf ich doch gewiß annehmen, daß Sie mir eine freundlichere Behandlung angedeihen lassen werden.«

»Verstehe, verstehe«, bemerkte Channay.

»Heute sind Sie ein reicher Mann,« fuhr Anderton fort, »Sie haben schlimme Zeiten hinter sich, können sich aber heute alles leisten und das Leben in vollen Zügen genießen.«

»Auch Sie dürften sich in der gleichen Lage befinden«, warf Channay ein.

»Ja und nein«, gab Anderton zurück und senkte seine Stimme etwas. »Wenn's nach dem Papierwert geht, bin ich ein mehrfacher Millionär, aber Bargeld, mein Freund, Bargeld kann man immer brauchen. Ich habe eine Masse hier verpulvert, und was meine Privatausgaben angeht, so besteht keine Aussicht, sie zu verringern. Gilbert Channay, von Mann zu Mann gesprochen, ich bin der Ansicht, daß Sie mir die Differenz zwischen dem ursprünglichen Preis und heutigen Wert der Nyasa-Aktien – macht also sechshunderttausend Mark – schulden. Ich brauche das Geld sehr, Channay.«

Gilbert Channay studierte schweigend das Teppichmuster.

»Das muß eingehend durchdacht werden«, sagte er, während er sich erhob. »Wo wohnen Sie?«

»Hotel de Paris, Nummer 176«, antwortete er sofort.

»Dann werde ich Sie morgen um elf Uhr aufsuchen.«

»Sie sind mir willkommen«, versicherte er ihm. »Und dann – vergessen Sie nicht Ihr Scheckbuch mitzubringen.«

»Vielleicht sehen Sie sich jetzt mal ein bißchen nach Mademoiselle um«, schlug Channay trocken vor.

Anderton hustete.

»Also auf Wiedersehen morgen!« rief er aus, indem er versuchte, kordial Abschied zu nehmen.

 

Mr. Giles Anderton sah zu einer solch frühen Stunde, wie es für ihn elf Uhr morgens war, nicht zum besten aus. Die Künste des. Coiffeurs, Gesichtsmassagen und Anreizungsmittel, auf die ein leeres Glas nur zu deutlich hinwies, konnten die dunklen Schatten unter seinen Augen nicht verscheuchen, und er begrüßte seinen Besuch mit unverkennbarer Nervosität.

»Hier wäre ich also, mein lieber Channay!« rief er aus. »Scheußlich früh für diesen Ort. Ich bin aber auf alle schönen Dinge vorbereitet. Haben Sie das Scheckbuch bei sich, was?«

Channay zog aus seiner Brusttasche verschiedene Papiere hervor, unter denen sich aber kein Scheck befand. Er legte Hut und Stock auf den Tisch und setzte sich seinem Wirt gegenüber.

»Anderton,« sagte er, »ich konnte gestern abend die Verantwortung nicht auf mich nehmen. Ihnen in einem überfüllten Raum zu antworten. Hier sind wir aber allein und da kommt es wenig darauf an, was passiert. Erstens habe ich Ihnen zu sagen, daß Sie ein Lügner sind, ein ganz plumper Lügner.«

Channay zog das zerfetzte Dokument, das die Unterschriften sämtlicher Syndikatsmitglieder, mit Ausnahme eines einzigen, trug, hervor und zeigte auf Giles Andertons Namen. Der Mann war wie aus allen Wolken gefallen.

»Kann ich gar nicht verstehen«, stotterte er mit offenem Munde. » Ich habe nichts unterschrieben …«

»Das hier genügt schon«, unterbrach ihn Channay. »Sie haben das Dokument schon ganz richtig unterzeichnet. Am Tage meines Verhörs befanden Sie sich nicht in Sibirien, sondern in London. Das zerstört jede Chance auf diese sechshunderttausend Mark.«

Anderton saß da wie ein Mann, der einen empfindlichen Schlag erlitten hatte. Er rang nach Worten, um seine Unschuld zu beteuern. Aber die Unterschrift zeugte gegen ihn. Sein Bluff war mißglückt.

»-Jetzt«, fuhr Gilbert Channay fort, »kommen wir zu einer anderen Sache. Sie waren einer von denen, die sich nicht gescheut hatten, diesen gemeinen Trick gegen mich auszuspielen, die den Namen der Freundschaft entehrten, die mit anderen einen Geheimvertrag abschlossen, um dem Manne das Genick zu brechen, dem Sie Ihr Vermögen zu verdanken hatten, nur um ein paar schäbige Tausend in die eigene Tasche zu stecken und sich vor der Verantwortung für etwas zu drücken, das nur vom technischen Standpunkt aus nicht ehrlich genannt werden konnte.«

»Die anderen übten einen Druck auf mich aus«, winselte Anderton.

»Mag sein,« erwiderte Channay, »aber meine Gegenrechnung besteht zu Recht. Mit einigen habe ich mich bereits auseinandergesetzt. Der Zufall hat Sie mir ausgeliefert. – Also – nun kommen Sie an die Reihe.«

»Was wollen Sie damit sagen?« sagte Anderton schweratmend. »Ich will damit folgendes sagen. Finanziell genommen sind Sie gegen jeden Angriff gefeit. Das Vertrauen der Stock Exchange in Ihre Biederkeit und Ihren Reichtum könnte ich nie erschüttern, wenn ich es auch versuchte. Doch Ihr Ehrgeiz ist mit den Jahren turmhoch gestiegen. Sie sind ein Mann der Öffentlichkeit – ein Parlamentsmitglied. Die Baronetwürde haben Sie abgelehnt, aber jetzt schachern Sie um die Erhebung zum Lord.«

»Ich protestiere gegen die Bezeichnung ›schachern‹«, sagte der andere heiser. »Ich unterstütze natürlich meine Partei durch reichliche Zuwendungen, weil ich an ihre Politik glaube.«

»Das mag schon sein«, erwiderte Channay. »Tatsache aber bleibt, daß Ihre Angelegenheit momentan in Schwebe ist. Eine kleine Skandalgeschichte in der Presse, in deren Mittelpunkt das Parlamentsmitglied Giles Anderton steht, die in den verschiedenen Klubs eifrig besprochen würde, dürfte gerade jetzt Ihre Bestrebungen nicht fördern.«

»Skandal!« rief Anderton entrüstet. »Was wollen Sie mit diesem Unsinn sagen?«

»Vor Jahren«, setzte ihm Channay auseinander, »hatte sich eine Frau in größter Not an Sie mit der Bitte gewandt, für sie Juwelen zu veräußern. Ihr Gatte und sie selbst haben sich Ihrer freundschaftlichst in einem fremden Lande angenommen, wo Ihnen das Fortkommen nicht allzu leicht gefallen war. Wie haben Sie diese Güte gelohnt, als die große Umwälzung über sie hereinbrach?«

»Wovon sprechen Sie eigentlich?« brachte der andere heiser hervor.

»Das wissen Sie sehr gut«, erwiderte Channay streng. »Ich spreche von der Fürstin Variabinski und ihren Juwelen, die Ihre kleine Freundin gestern abend trug. Diese Juwelen waren zehn Millionen Franken wert. Sie glaubten einen Käufer zu finden, der sieben Millionen dafür geben würde und schossen der Fürstin einen Betrag von hunderttausend Franken vor. Als die Fürstin sie um endgültige Abrechnung ersuchte, erklärten Sie ihr mit unglaublicher Frechheit, daß Sie die Juwelen für diesen Betrag gekauft hätten.«

»Wie kommen Sie zu dieser Räubergeschichte?« verlangte Anderton zu wissen.

»Nennen Sie es eine Räubergeschichte, wenn Sie meine Behauptungen widerlegen können, die ich im Namen der Fürstin an die Presse weitergeben werde«, gab Channay zurück. »Sehen Sie diese Papiere hier. In ihnen ist der Versicherungswert der Juwelen mit zehn Millionen Franken angegeben. Hier ist auch der Brief, in welchem Sie sagen, daß Sie vielleicht sieben Millionen dafür lösen werden, und daß Sie die erbetenen einhunderttausend Franken durch Boten gesandt hätten. Sie haben da ein schmutziges Geschäft gemacht, Anderton, hinter dem sogar noch etwas Schmutzigeres steckt. Sie waren mit dem Staatsbeamten, den man in den Richterstand erhoben hat, gut befreundet. Ist es nur einem Zufall zuzuschreiben, daß die Fürstin genau einen Tag später, nachdem sie Ihnen die Juwelen ausgeliefert hatte, verhaftet wurde?«

Andertons Gesicht nahm eine bleigraue Farbe an. Er rang nach Atem und suchte nach Worten, während seine Finger an seinem Kragen zerrten. Channay beobachtete ihn mit eisiger Gleichgültigkeit.

»Das kann ich alles entkräften! Ich kann Zeugen bringen!« rief Anderton schließlich.

»Blödsinn!« unterbrach Channay. »Sie wissen, daß Sie nichts dergleichen können, da die Behauptung der Fürstin jeder Untersuchung standhalten kann. Wenn Sie sich aber zu ferneren Auseinandersetzungen aufgelegt fühlen, kann ich Ihnen noch mit anderen Tatsachen dienen. Da habe ich zum Beispiel noch etwas auf Lager, was vorzüglich die Finanzpresse interessieren dürfte, insoweit ihr Schweigen noch nicht erkauft worden ist. Da war doch einmal eine Gesellschaft – die Capolo Rubber Company, und ein gewisser Baton, ein sogenannter Finanzagent, verschickte über das Vermögen dieser Gesellschaft Rundschreiben – sehr geschickte, vielverheißende Rundschreiben. Er unterzeichnete sich als James Baton. Er hat sich bei dieser Beschäftigung beinahe die Finger verbrannt. Die Polizei suchte den Herrn ›Baton‹. Sie hatte auch jemand im Verdacht. Die Identität konnte sie aber nie beweisen. Ich kann's!«

Anderton brach nun zusammen. Seine Hände griffen in die Luft, dann sank er in seinen Stuhl zurück. Channay erhob sich widerwillig, knöpfte den Kragen auf und fühlte den Puls. Einige Sekunden später öffnete der Ohnmächtige die Augen.

»Channay,« bat er, »Vorsicht, ich habe nämlich ein schwaches Herz.«

»Wenn ich mir das nicht gedacht hätte,« erwiderte Channay, »dann hätte ich meine Auseinandersetzung mit Ihnen mit einer Tracht Prügel eingeleitet. Die können aber noch folgen! Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.«

»Was verlangen Sie also?« fragte Anderton fieberhaft.

»Die Juwelen der Fürstin«, forderte er streng. »Für mich selbst nichts. Händigen Sie mir die Juwelen ein und wir sind quitt. Wenn das nicht dazwischen gekommen wäre, hätte ich Ihnen das Genick auf meine Art gebrochen, wie beabsichtigt.«

Anderton schwankte in seinem Stuhl hin und her. Tränen standen in seinen Augen.

»Das wird sie mir nie verzeihen, nie, nie!« rief er weinend. »Ich werde sie verlieren …!«

Channay zuckte die Achseln.

»Tja – Sie werden den Tatsachen schon ins Auge sehen müssen«, bemerkte Channay kaltblütig. »Wenn Sie mir die Juwelen nicht ausliefern, solange ich in diesem Zimmer bin, werde ich Ihren guten Namen in der City von London brandmarken und Sie als einen Ehrenmann in der Gesellschaft unmöglich machen.«

»Sie wird sich nie von diesen Juwelen trennen!« stöhnte Anderton.

»Nach der Lebensweise der jungen Frau zu urteilen, vermute ich, daß sie sich noch im Bett befindet. Sie haben also die beste Gelegenheit, sich der Juwelen kampflos zu bemächtigen.«

Anderton erhob sich schweratmend und wankte nach dem Büfett, woselbst er sich mit zitternden Händen einen Trunk mischte. Dann wandte er sich der Seitentür zu.

»Warten Sie«, sagte er scharf und verschwand.

Nach ungefähr fünf Minuten kehrte er verstohlen wie ein Dieb zurück. Er drückte einen Juwelenkasten an sich. Nachdem er die Tür verschlossen hatte, öffnete er den Geschmeidebehälter und legte die einzelnen Kleinode auf den Tisch, indem er einige nichtige Schmuckstücke beiseite schob.

»Das kostbarste Kleinod ist der Smaragd«, erklärte er. »Sein Schätzungswert betrug zweiundeinhalb Millionen. Hier sind auch die Perlschnüre, vier Armbänder und die Ringe. Das übrige ist Eigentum der Mademoiselle. Nehmen Sie die ganze Geschichte an sich und stopfen Sie sie in Ihre Taschen, ganz gleich wo und wie. Nur machen Sie, daß Sie fortkommen. Es gibt Mord und Totschlag, wenn sie dahinter kommt.«

»Sie hatten ihr also mit den Juwelen kein Geschenk gemacht?« fragte Channay drohend.

In Andertons Augen glimmte es fast verschmitzt auf.

»Ich nicht«, antwortete er. »Ich veranlaßte sie, ein Dokument zu unterzeichnen, wonach diese Juwelen mein Eigentum und ihr nur geliehen seien. Ich wollte sie immer wieder veräußern, hatte aber nicht den Mut dazu. Man sagte mir, daß die Fürstin umgekommen sei. Mir fehlte aber jeder Nachweis. Ich warte noch heute darauf.«

»Die Fürstin lebt. Sie weilte gestern abend längere Zeit im Sport-Klub«, verkündete Channay.

Plötzlich wurde heftig gegen die Tür geschlagen. Channay füllte schnell seine Taschen mit dem Geschmeide, nahm Hut und Stock und wandte sich Anderton noch einmal zu.

»Guten Tag, Anderton«, sagte er. »Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Viertelstündchen!«

 

Channay kaufte einen glatten Lederkasten für seine kostbare Beute und etliche erlesene Rosen, mit denen er sich zur Villa begab. Die Fürstin war jedoch für den Tag nach Cannes gegangen und wurde erst wieder zum Diner erwartet. Er ließ die Rosen zurück und schloß den Kasten in den Tresor des Hotels. Nach einem müßig verbrachten Tag suchte er die Fürstin wieder auf. Sie war mit Madame de Kragoff und einigen anderen Bekannten in der kleinen Bar. Als sie Channay sah, kam sie sofort freudig auf ihn zu.

»Nun, mein Freund?«

»So gut ich es vermochte«, antwortete er, indem er ihr den Kasten einhändigte.

Im ersten Augenblick sah sie ihn sprachlos an, dann riß sie die Papierhülle auf und hob den Deckel. Von Perlschnüren umrahmt, leuchtete ihr der große Smaragd entgegen. Auch die kostbaren Armspangen und Ringe waren vollzählig vorhanden. Sie sah sprachlos zu ihm auf.

»Ich fasse es nicht«, sagte sie endlich. »Es kann nicht wahr sein!« Ihre Hand strich kosend über das Geschmeide.

»Es ist wahr«, versicherte Channay herzlich. »Der Mann ist uns beiden als Feigling bekannt. Ich drohte ihm und er gab den Schatz heraus, wie Sie sehen. Sollte noch irgend etwas fehlen –« »Nichts!« unterbrach sie ihn. »Monsieur Channay – ich – finde keine Worte.«

Sie hatte nie schöner ausgesehen, und durch die weiche Elfenbeinfarbe ihrer Wangen schimmerte einen Augenblick eine zarte Röte. Der feuchte Glanz in ihren Augen verriet ihre Bewegung. Sie faßte seine Hände mit warmer Dankbarkeit.

»Sie lieber, lieber Mensch!« rief sie aus. »Was soll ich nur sagen? Was kann ich tun? Womit kann ich Sie erfreuen?«

»Meine liebe, verehrte Fürstin,« antwortete er und aus seiner Stimme klang eine seltene Wärme, »es gibt Aufgaben, die man nicht um einer Belohnung willen auf sich nimmt. Zudem konnte ich dabei auch meine eigenen Ziele verfolgen, da Anderton auch mein alter Feind ist.«

»Und Sie erbitten nichts für sich?« fragte sie wehmütig, während ihre Hände auf den seinen ruhten. »Nichts, was ich Ihnen anbieten dürfte? Haben Sie irgendwelche Gründe, daß Sie nichts annehmen wollen …«

Sie brach ab und ihre Stimme zitterte leicht.

Channay blickte um sich mit dem unbestimmten Gefühl, daß sie beobachtet würden. Er erhob sich und bemerkte Martin Fogg, der soeben aus London eingetroffen war und schüchtern in die Nische lugte. An seiner Seite stand Catherine – ihr zuerst freundliches Lächeln verschwand. Sie zog die Augenbrauen in die Höhe und sah mit fragenden Augen auf die kleine Gruppe. Sie sah gesund und hübsch in dieser erotischen Umgebung aus. Channay beugte sich über die Hand der Fürstin.

»Liebe, gnädige Frau,« sagte er, »bevor der Tag zur Neige ist, hoffe ich, Ihnen die Gründe mitteilen zu können. Wollen Sie mich für jetzt entschuldigen?«

Er reichte Martin Fogg die eine und Catherine die andere Hand hin.

»Was habe ich euch, liebe Leutchen, vermißt!« rief er aus. Catherines Augen glänzten wieder. Die Blicke der Fürstin folgten ihnen, während sie das Zimmer verließen. Sie beugte sich noch einmal über die Juwelen. Ihre Augen sahen aber nichts mehr ein leichter Flor hatte sich über sie gelegt. Fürstin Variabinski war eine tapfere Frau.

Sie klappte den Deckel zu und sandte nach dem Hotelleiter.

»Man muß das, was man hat, gut aufheben«, murmelte sie vor sich hin.


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