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Fünftes Kapitel.
Der neugierige Aktionär

Sir Matthew Baynes warf sich in einen sehr bequemen Sessel, der einen Teil seines sehr luxuriös eingerichteten Bureaus ausmachte. Er wischte sich mit einem Batisttaschentuche heftig die Stirne. Ein Mann von kraftstrotzendem Äußeren, der keinen Widerspruch gewohnt war, mußte er doch erleben, in einem andern seinen Meister zu finden. Er war böse, im höchsten Maße ärgerlich, sogar ein wenig erschrocken. In dieser Verfassung ließ er die Hand auf die Tischglocke niedersausen.

»Pitson,« befahl er, »sagen Sie Pitson, daß er sofort zu mir hereinkommen soll.«

Der Kontorist verzog sich eiligst. Pitson erschien fast sofort, dünn, mager, leichenhaft – mit Hornbrille.

»Sie haben nach mir geschickt, Sir Matthew«, sagte er, die Stimmung leise erprobend.

»Nach Ihnen geschickt! Will's meinen!« explodierte sein Chef. »Wer zum Teufel war denn dieser struppige, sandfarbene, schäbige Tropf, der es gewagt, zu mir zu kommen und mich wegen meiner Nyasa-Minen auszufragen?«

»Ich habe seinen Namen in der Liste der Aktionäre festgestellt«, erwiderte der Sekretär. »Es ist ein gewisser Martin Fogg.«

»Wie viele Aktien besitzt er?«

»Eine«, war des Sekretärs demütige Erwiderung.

»Was?« schrie Sir Matthew, »eine Hundertmarkaktie, und der Mann hat die Dreistigkeit, zu mir zu kommen und Fragen an mich zu richten, auch noch persönliche Fragen, die fast einen Schatten auf meine Rechtschaffenheit werfen. In meinem ganzen Leben bin ich in einer öffentlichen Versammlung noch nie so behandelt worden!«

»Die Sympathie der Anwesenden war vollkommen auf Ihrer Seite, Sir«, wagte der Sekretär einzuwerfen.

»Das will ich auch hoffen!« rief Sir Matthew aus, »das will ich auch sehr hoffen! Ich gebe ihm eine Dividende von fünf Prozent. Was kann einer heut mehr verlangen? Die Fragen, die der Kerl gestellt hat – Pitson – dieser Hundertmarkaktionär –, waren einfach impertinent, im höchsten Grade impertinent!«

»Ja, Sir Matthew«, bemerkte Pitson in einer Weise, als ob er ein weiteres Urteil seinerseits zurückhalten wollte.

»Was meinen Sie eigentlich mit ›Ja, Sir Matthew‹?« fragte sein Chef irritiert. »Wirft es denn keinen Schatten auf mich, wenn so ein Mensch aufsteht – so ein Hundertmarkaktionär – und auf die Aktiven der Gesellschaft hinweisend, sich über einen der in meinem Namen garantierten Punkte erkundigt und – verstehen Sie mich recht, Pitson – besteht auch noch auf Beantwortung?! Kapriziert sich auf die eine Frage, zu der er gar nicht berechtigt ist, ob die fünfhunderttausend Mark eine Interimsanleihe oder eine Schuld darstellen? Verdammter Kerl! So eine Dreistigkeit ist mir in meinem Leben noch nicht begegnet.«

»Es war ein starkes Stück, Sir Matthew«, pflichtete Pitson bei. »Sie taten sehr recht daran, ihn nach der Versammlung zu sprechen. Ich glaube auch eine leichte Neugierde seitens der anderen Aktionäre bemerkt zu haben.«

»Ich werde ihm seine Aktie abkaufen«, knurrte Sir Matthew. »Und seine dämliche Zunge dazu. Ich schäme mich wirklich nicht, Pitson, Ihnen offen zu gestehen, daß ich in meinem Leben noch nie zwei solch scheußlicher Minuten durchgemacht habe, wie diese. Dieser Herr Martin Fogg, jawohl! Geben Sie nur draußen die Anweisung, daß er sofort zu mir hereingeführt wird, wenn er kommt. Sind noch Leute im Sitzungszimmer?«

»Niemand außer Mr. Martin Fogg, Sir, der auf Sie wartet.«

»Gehen Sie und holen Sie ihn sofort herein, Pitson!«

Eine halbe Minute später trat Martin Fogg ein. Der Anzug, den er für die Sitzung einer City-Gesellschaft, unter dem Vorsitz keiner geringeren Persönlichkeit als derjenigen des Parlamentsmitgliedes, Sir Matthew Baynes, für angemessen hielt, konnte wohl keinen besonderen Eindruck erwecken. Er trug einen schwarzen Cut – glänzend an den Säumen, keine Weste, da der Tag heiß war, einen weichen Kragen und eine scheußliche Halsbinde. Seine Hosen waren aus grauem Flanell und seine Halbschuhe braun. Sir Matthew hingegen peinlich genau nach den Vorschriften von Savile Row und Bond Street gekleidet, sah seinen Besuch von oben bis unten an, als habe er ein Museumsstück aus einer unbekannten Welt vor sich. Nichtsdestoweniger bemühte er sich höflich zu sein.

»Nehmen Sie Platz, mein Herr, nehmen Sie Platz«, sagte er. »Und nun sagen Sie mir mal, wohinaus wollten Sie denn mit Ihren Fragen? Wieviel Aktien besitzen Sie?«

Mr. Fogg nahm einen Stuhl und drehte seinen Hut zwischen den Fingern.

»Nur wenig, Sir Matthew«, gab er zu. »Ganz wenig. Nur eine einzige Aktie.«

»Gott steh mir bei!« rief Sir Matthew aus. »Das kann sich doch bei Ihnen gar nicht auszahlen – zu einer Sitzung wie diese zu kommen, mit einer so geringen Aktienbeteiligung, und dann noch Fragen zu stellen, als ob Sie ein großer Aktionär wären? Was haben Sie sich denn dabei gedacht? Weshalb haben Sie das getan?«

»Weil ich wissen wollte«, sagte Fogg schüchtern.

»Weil Sie wissen wollten!« platzte sein Gegenüber heraus.

... »Jetzt sehen Sie her,« fuhr er fort, indem er seine Selbstbeherrschung nur mit Mühe zurückgewann, »ich werde Ihnen mal sagen, was ich mit Ihnen mache. Sie haben eine Hundertmarkaktie. Ich gebe Ihnen tausend Mark dafür, wenn Sie mir versprechen, weder jetzt noch zu irgendeiner anderen Zeit Aktien dieser Gesellschaft zu erwerben.«

»Tausend Mark«, murmelte Martin Fogg vor sich hin.

Sir Matthew lehnte sich in seinem Drehstuhl zurück.

»Es ist ja ein ganz lächerliches Angebot«, fuhr er fort. »Ich muß Ihnen, Mr. Fogg, aber ganz offen sagen, daß ich mir in meiner Gesellschaft nichts aus Aktionären mache, die da mir nichts, dir nichts aufstehen und solche Fragen stellen, wie Sie es heute nachmittag getan haben.«

»Das kann schon sein«, versetzte Fogg trocken.

Sir Matthew starrte seinen Besuch an und Martin Fogg starrte ebenso zurück.

»Nun?« forschte Sir Matthew.

Mr. Martin Fogg trommelte mit den Fingern auf den Tisch.

»Ich bin bereit, Ihnen meinen Anteil zu verkaufen, Sir Matthew«, willigte er ein. »Ich habe fünfundsiebzig Mark dafür gegeben. Das würde mir also einen ganz netten Gewinn abwerfen. Jetzt will ich aber ehrlich mit Ihnen sein. Ich will nämlich die Angelegenheit mit den fünfhunderttausend Mark aufgeklärt sehen. Wie Sie wissen, ist da die Presse und was künftige Sitzungen anlangt, so kann ich mir ja Vertretungen sichern.«

»Sie wollen das aufgeklärt sehen?« wiederholte der City-Magnat erzürnt. »Wenn ich Ihnen aber Ihre Aktie abkaufe, was zum Teufel geht Sie denn das an?«

Martin Fogg lächelte.

»Ich bin ein berufsmäßiger Erpresser«, setzte er ihm sanft auseinander, »und habe mir schon seit Jahren einen Erwerb daraus gemacht. Ich habe das Empfinden, daß über diesen fünfhunderttausend Mark ein Geheimnis schwebt. Selbst die Bücherrevisoren bewahren Stillschweigen über diesen Punkt. Wie gesagt, ich wünsche diese Sache aufgeklärt zu sehen.«

»Was, ein Erpresser?« knurrte Sir Matthew.

»Sie sehen,« fuhr sein Besuch mit unverminderter Liebenswürdigkeit fort, »daß Sie für mich ein sehr vielversprechendes Objekt sind.«

»Mit Ihrer Sorte habe ich mich schon früher befaßt«, versetzte er drohend.

»Befassen Sie sich mit mir in der gleichen Weise«, bat Martin Fogg, indem er sich etwas bequemer im Stuhl zurücklehnte.

Wenn Sir Matthew auch allerhand Fehler hatte, so war er kein Narr. Er sah wohl ein, daß er seinem Gegner die Karten in die Hand spielen würde, falls er seinen Gleichmut verlöre.

»Ich habe mich mit ihnen schon befaßt«, sagte er mit Nachdruck, »und ich werde mit Ihnen in der gleichen Weise verfahren. Die fünfhunderttausend Mark stellen Aktien in der Nyasa-Mine dar und sind auf meinen Namen eingetragen. Fünfhunderttausend Mark ist jedoch eine sehr bescheidene Schätzung, denn heute stehen sie auf sechshunderttausend Mark.«

»Sie überraschen mich!« bekannte Martin Fogg. »Gilbert Channay befindet sich ja erst seit drei Monaten aus dem Gefängnis.« Sir Matthew pfiff leise vor sich hin.

»Dann wissen Sie also über den Erwerb der Nyasas durch das Channay-Syndikat.«

»Es ist mir alles darüber bekannt«, stimmte er bei. »Was ich Sie aber heute nachmittag fragen wollte, wenn Sie nicht die Sitzung geschlossen hätten, war, wann denn Gilbert Channay Ihnen die Aktien übertragen hat?«

»Aber was, zum Donnerwetter, geht Sie das an?« fragte Sir Matthew grob.

»Weil ich ein kleiner Aktionär Ihrer Gesellschaft bin,« sagte Martin Fogg treuherzig, »wollte ich gern Näheres über diesen bestimmten Betrag wissen. Ich stand unter dem Eindruck – ich stand ganz bestimmt unter dem Eindruck –, daß Mr. Channay sich geweigert hat, sich auch nur von einer einzigen dieser Nyasa-Aktien des Syndikates zu trennen.«

Martin Fogg lächelte verschlagen zu ihm hinüber. Sir Matthew schwieg. Zwei Wege standen ihm offen, entweder sich mit diesem Manne, der sich ja zu seinem scheußlichen Gewerbe bekannt hatte, zu vergleichen oder durch einen Gewaltstreich seinen Mund zu schließen. Er entschloß sich plötzlich zum letzteren. Er reckte sich in seinem Stuhl auf. Sein ganzes Wesen straffte sich, und er war wieder der Geschäftsmann, dessen Redlichkeit angezweifelt worden, dessen Stellung aber über jede Verleumdung erhaben war.

»Mr. Fogg,« sagte er, »ich könnte Sie jetzt auffordern, das Zimmer zu verlassen und mich mit Ihnen bei unserem nächsten Zusammentreffen öffentlich auseinandersetzen. Ich könnte auch, wenn es mir beliebte, Sie auf Grund Ihres Geständnisses der Polizei übergeben. Doch nichts von alledem. Sie bilden sich ein, eine wichtige Entdeckung gemacht zu haben. Die Nyasa-Aktien sind auf meinen Namen ordnungsgemäß auf der Bank deponiert und stellen eine greifbare und sehr wertvolle Sicherheit dar. Wollen Sie bitte morgen um die gleiche Zeit auf meinem Bureau vorsprechen? Wenn ich Ihnen dann die Bankquittung vorlegen werde, würde Sie das befriedigen?«

Martin Fogg war über diese Wendung der Dinge offenbar überrascht.

»Gewiß würde mich das befriedigen,« gab er zu, »ich glaube aber, daß Sie, wie man zu sagen pflegt, mich ›bluffen‹ wollen. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, daß ich diese Quittung niemals zu sehen erwarte.«

Sir Matthew drückte jetzt auf den Klingelknopf.

»Also morgen um dieselbe Zeit«, schloß er das Interview. »Für heute wären unsere Geschäfte erledigt. Guten Tag, Herr Fogg.«

 

»Jetzt!« rief Gilbert Channay. »Stark überlegen und gegen das Ruder lehnen. Achtung, Ihr Kopf!«

Das Mädchen gehorchte und die jagende Fahrt südlich der westlichen Sandbänke war plötzlich zu Ende. Channay beschäftigte sich für einen Moment mit den Tauen. Das Segel schwang herum. Aufschäumender Gischt durchnäßte beide bis auf die Haut. Jede Planke des Bootes schien zu vibrieren. Der Mann und das Mädchen lehnten sich schwer über, Channay hatte das Tau um seinen Arm gewunden, während des Mädchens kräftige braune Hände das Ruder führten. Noch eine sprühende Gischtwelle, dann konnte das Boot gerichtet seine Fahrt fortsetzen. Sie befanden sich nun unter Land. Sie hatten die Sonne im Gesicht, und der Wind war günstig. Channay befestigte das Segel und wandte sich seiner Gefährtin zu.

»Diese Wendung wird uns in die Bucht bringen«, sagte er. »Gerade noch zur rechten Zeit. Wir haben bald Ebbe und dann können Sie hören, was der Wind außerhalb der Sandbänke anstellt … Backbord, nur wenig, so … Behalten Sie den Kirchturm östlich des Hafens im Auge.«

Das Mädchen folgte wortlos den Anweisungen. Ihre ganze Aufmerksamkeit schien auf ihre Aufgabe gerichtet zu sein. Mit einer letzten Kraftanstrengung vollendete sie die Kurve um eine Boje, welche den Eingang zur Bucht markierte, wodurch sie eine gefährliche Stelle mit größter Geschicklichkeit vermied und das Fahrzeug schließlich in den geschützten Teil der Bucht lenkte. Channay raffte nun schnell die Segel und nahm die Stange zur Hand.

»Gute Arbeit!« rief er aus. »Nur schade um unser Fischen.«

Das Mädchen lächelte zum erstenmal. Die Schatten unter ihren Augen waren während der vergangenen Wochen gewichen und die vordem bleichen Wangen hatten jetzt eine gesunde braune Farbe.

»Das Segeln war besser,« sagte sie, »nur nicht lang genug.«

»Wir blieben so lange aus, als es klug war«, bemerkte Channay und blickte mit prüfenden Augen seewärts. »Das Wetter hat wohl gut eingesetzt, aber in solchen Gewässern hält einen ein starker Westwind, wie dieser, tüchtig in Atem. Wissen Sie, daß unser Boot beinahe kippte?«

Das Mädchen nickte gleichmütig.

»Wär nicht weiter schlimm gewesen – oder?« fragte sie. »Ich war schon bereit, mich meines Rockes zu entledigen. Sie können doch wohl schwimmen?«

»Auf meine Art, ja«, gab er zu.

»Ich bin eine ganz gute Schwimmerin«, vertraute sie ihm an. »Ich habe in der Schule mehrere Preise gewonnen. Dort ist der getreue Parsons, er schaut schon nach Ihnen aus.«

»Sie kommen mit herein, und wir lunchen zusammen«, bat er sie.

Sie schüttelte den Kopf.

»Ich habe mir Sandwiches mitgebracht.«

»Die durch und durch naß sein müssen«, gab er zurück.

Sie öffnete das kleine Weidenkörbchen und schaute traurig hinein.

»Durchnäßt!« sagte sie.

»Auf alle Fälle unnötig«, erklärte er. »Mrs. Parsons hat uns schon kommen sehen. Werfen Sie Parsons das Tau zu. Das Durchlavieren mit einer Stange gegen diese Ebbe ist eine sauere Arbeit.«

Zwei Minuten später waren sie glücklich gelandet. Das Mädchen blickte unentschlossen nach dem Städtchen hin.

»Ich denke, ich gehe besser zurück«, sagte sie, instinktiv Möglichkeiten erfühlend.

»Nichts davon!« wehrte Channay ab. »Ihr Vater hat Sie in meiner Hut gelassen. Sie sind noch nicht ein einziges Mal über meine Schwelle getreten. Parsons, sagen Sie Ihrer Frau, daß ich einen Gast mitgebracht habe … Diesen Weg, bitte, Miß Fogg.«

Das Mädchen folgte ihm nach kurzem Zögern.

»Ich sehe schrecklich unordentlich aus«, bemerkte sie. »Sie sehen aber auch nicht viel besser aus.«

»Sogar schlimmer! Macht's was?«

Die beiden zogen ihre Ölmäntel aus. Channay beschäftigte sich nun eingehend mit dem Mischen der Cocktails. Das Mädchen nippte nur an ihrem Glas, nahm aber eine Zigarette dankbar an.

»Die wunderbare Ruhe hier ist fast überwältigend«, sagte sie, während sie sich etwas träge in den Sessel zurücklehnte. »Glauben Sie, daß wieder Sturm heraufkommt?«

Er schüttelte den Kopf.

»Die See glättet sich bereits,« sagte er, »und der Wind wird sich jeden Augenblick legen. Wir könnten nochmals nach dem Lunch segeln gehen und später ein paar Makrelen fangen.«

»Ich glaube, daß ich für heute genug habe«, erwiderte das Mädchen. »Zudem muß ich jetzt auch ein bißchen arbeiten.«

Sie speisten in dem kleinen traulichen Eßzimmer, und der Donner des Meeres drang zu ihnen durch die weitgeöffneten Fenster. Channay, welcher sich noch nicht an Frauennähe gewöhnt hatte und dem es nie geglückt war, mit der ihm eigenen Gewohnheit des Schweigens zu brechen, selbst nicht in diesem Augenblick, da er der ungewöhnlich stillen, beinahe geheimnisvollen Tochter seines neuen Teilhabers gegenübersaß, gab sich alle Mühe, die Konversation anregend zu gestalten. Er fühlte sich mehr als je zuvor versucht, die Quellen der Zurückhaltung zu ergründen, die ein Teil ihres Wesens zu sein schien. War sie überhaupt irgendwelcher Begeisterung fähig, so wußte sie dies meisterhaft zu verbergen. Selbst ihr Geschmack in verschiedenen Dingen war nicht leicht zu erraten. Sie verblüffte ihn durch ihre freimütige Beantwortung seiner Fragen und erregte in ihm eine Neugierde, die er keineswegs zu befriedigen vermochte. Nur wenn sie auf ihre Zukunft zu sprechen kam, war sie geneigt, deutlicher zu sein.

»Es ist ganz sicher,« vertraute sie ihm an, »daß mein Vater auf meine Ausbildung mehr verwendet hat, als seine Mittel erlaubten, und ich bin fest entschlossen, ganz gleich auf welche Art, eine arbeitende Frau zu werden. Ich wäre gern bei einer Frauenzeitung angekommen, denn man sagt, daß ich mit der Feder ganz gewandt sei.«

»Ist schon irgend etwas von Ihnen veröffentlicht worden?« fragte er.

»Ein paar Kleinigkeiten, nicht der Rede wert«, erwiderte sie. »Wollen wir unseren Kaffee nicht im Freien nehmen? Es ist ewig schade, die Sonne auch nur einen Augenblick zu missen.«

Channay willigte sofort ein. Sie fanden ein geschütztes Plätzchen, hatten den Wind im Rücken und den herrlichsten Ausblick auf Meer und Marschland.

»Sie hätten mir diesen Platz nie zeigen sollen«, sagte sie. »Ich werde ihn jetzt wahrscheinlich für mich in Beschlag nehmen.«

»Sie werden stets willkommen sein«, versicherte er.

»Quatsch«, erwiderte sie unverblümt. »Sie wissen sehr wohl, daß das nicht der Fall ist. Ich glaube, daß Sie mich selbst in diesem Augenblick als ein lästiges Geschöpf betrachten. Ich beabsichtige morgen in die Stadt zurückzukehren, wenn mein Vater nicht kommt.«

Channay interessierte der Ursprung ihrer Gefühle zu sehr, den ihre unwirschen Worte erkennen ließen, als daß er sofort widersprochen hätte.

Da kam Parsons zu ihm in den Garten, den Zug seiner Gedanken jäh unterbrechend.

»Ein Herr wünscht Sie zu sprechen«, kündete er an.

Channay erhob sich langsam.

»Wer ist es, Parsons?« erkundigte er sich.

»Sir Matthew Baynes, wie er mir sagte. Er hat sein Auto an der Pforte gelassen.«

Channay entschuldigte sich einsilbig von seinem Gast und folgte Parsons in das kleine Arbeitszimmer, wo sein Besuch wartete.

»Gott steh mir bei! Sie – Channay? Endlich!!! Na ja, da wären wir mal wieder. Ich wollte Sie begrüßen, wenn Sie wieder herauskämen. Ein schönes Diner im Café Royal! Das war ja wie ein Fest! Aber die Blase dort hat uns ja an der Nase herumgeführt.«

Sir Matthew hatte sich seinen Plan schon lange und sorgfältig zurechtgelegt. In seinem karierten Knickerbockeranzug, mit lächelndem Gesicht, in seiner Erscheinung einem wohlhabenden Touristen nicht unähnlich und von überschwenglicher Leutseligkeit, streckte er dem schlanken, unheilvollen Manne, der die Tür langsam hinter sich schloß, beide Hände entgegen. Sonne und Wind hatten Channays Blässe besiegt. Seine Augen hatten aber den harten Blick noch nicht verloren und in der kleinen aufwärtsführenden Linie seiner Lippen lag etwas Drohendes und Unsympathisches. Er bedeutete seinem Besucher mit einer kurzen Armbewegung Platz zu nehmen und begnügte sich, die Begrüßung mit einem kurzen Nicken zu erwidern.

»Also Sie sind es, Baynes, soso …« bemerkte er. »Ich dachte mir, daß ich Sie binnen kurzem sehen würde.«

Sir Matthew lachte übermäßig laut.

»Mein lieber Junge,« sagte er, »selbst ein wohlhabender ›City‹-Mann dürfte immer noch Verwendung für – wieviel ist es doch gleich? – sechshunderttausend Mark haben. Ich bin nicht darauf aus, den Mißvergnügten zu spielen, Channay. Gott bewahre. Meine Freude, Sie wieder unter den Lebenden begrüßen zu können und in Ihnen den lieben, alten Burschen wiederzuerkennen, ist viel zu groß. Aber war es denn nötig, uns so lang warten zu lassen? Wenn ich das Geld, nun sagen wir mal, vor zwei Jahren gehabt hätte, hätte ich es verdreifachen können und auch Sie würden Ihren Anteil gehabt haben.«

»Zweifellos«, bemerkte Channay höflich. »Aber sagen Sie mir mal ganz genau, von was für sechshunderttausend Mark reden Sie eigentlich?«

»Nun, von meinem Anteil aus der Liquidation des Syndikates«, war die zuversichtliche Antwort.

Gilbert Channay öffnete sein Notizbuch, dem er ein gewisses Dokument entnahm, das er ausbreitete, glattstrich und seinem Besuch unter die Nase hielt.

»Kennen Sie Ihre Unterschrift wieder, Baynes?« fragte er. Die arrogante Leutseligkeit war plötzlich aus dem Gesicht des Mannes gewichen. Der Mund hatte seine Festigkeit verloren und ein müder Zug lagerte um seine Augen.

»Mein Gott, Channay! Wo haben Sie das her?« brachte er schweratmend hervor.

»Das ist belanglos«, sagte Channay, wahrend er das Papier wieder zusammenfaltete und in sein Notizbuch legte. »Ich habe es und verstehe es – genügt das nicht?«

»Ich wurde gedrängt,« stotterte Baynes, »sehr gedrängt. Ich wollte noch zu Ihnen kommen und Ihnen beim Verhör die Hand drücken, tatsächlich … Meine Sympathie war während dieser ganzen schweren Zeit bei Ihnen.«

»In genau demselben Maße,« bemerkte Channay, »wie die meine jetzt bei Ihnen ist, da ich Ihnen die bedauerliche Mitteilung machen muß, daß Ihre sechshunderttausend Mark, oder was Ihr Anteil an den Nyasa-Minen betragen haben mag, verfallen sind. Sie wissen sehr wohl, daß das Vermögen des Syndikates auf meinen Namen allein eingetragen war. Das ist nichts Neues. Sie wissen auch, daß niemand anders an das Geld herankam. Sie haben das ausgeheckt, währenddem ich im Gefängnis saß. Auf Grund dieses kostbaren Dokumentes habe ich alle Anteile beschlagnahmt. Nicht ein roter Heller wird für Sie abfallen und«, fügte er bedeutungsvoll hinzu, »übrigens ist Ihr Besuch hier nicht erwünscht, Sir Matthew Baynes.«

Letzterer zeigte Neigung, sich zu verteidigen, obgleich sich schon lähmend die Furcht auf ihn gelegt hatte.

»Sie haben die Ehrenpflicht, Channay …« begann er, ohne jedoch fortzufahren.

»Erwähnen Sie mir nur nicht das Wort ›Ehre‹, Sie verdammter Halunke«, fuhr Channay dazwischen. »Machen Sie sich so rasch als möglich aus dem Staube, und danken Sie Ihrem Schöpfer, daß Sie ein älterer Mann und in bedenklich schlechter Verfassung sind.«

Sir Matthew wischte sich seine Stirn mit einem Taschentuch. Er hatte nicht mehr die geringste Ähnlichkeit mit einem »City«-Mann, dessen gewinnendes Wesen und Parlamentsreden als Vorbild der Bürgertugend und Fähigkeit galten und den man als rechten Mann am rechten Platz bewunderte, wenn er am langen Tisch im Sitzungszimmer in der Gracechurch Street den Vorsitz führte.

»Channay,« bat er, »Sie müssen mich anhören. Ich hatte mir das ja nicht träumen lassen. Ich habe diesen Nyasa-Aktienbestand von sechshunderttausend Mark als ein absolut sicheres Aktivum betrachtet. In den letzten zwei Jahren hat nicht alles so geklappt. Im Jahr zuvor hatte ich zwar viel Geld gemacht, aber seither war es ein Kampf ums Dasein. Diese Aktien stehen als Vermögensbestand in der Bilanz einer meiner Gesellschaften.«

»Ach wirklich?« bemerkte Channay kühl. »Ihre Finanzen waren immer etwas gewagt.«

»Ich befand mich wirklich in großer Verlegenheit,« fuhr er fort, »und habe sie darum angegeben. Ich dachte, daß Sie eine Teilung vornehmen würden, sobald Sie wieder frei seien. Diese Aktien machen einen Teil des Aktivenbestandes meiner ›East African Exploration Company‹ aus. Ohne sie hätte ich im vergangenen Halbjahr einen bedeutenden Verlust verzeichnen müssen. Das konnte ich mir aber nicht leisten, Channay, wirklich, ich … ich konnte das nicht!«

»Ihre kleine – hm, Vorstellung – belustigt mich etwas«, gab Channay zu, während er sich auf den Rand seines Schreibtisches setzte. »Im übrigen interessiert sie mich nicht.«

»Sie müssen mich aber anhören«, fuhr Baynes fort. »Ich sitze schon etwas in der Tinte wegen dieser Sache. Ein kleiner nuttiger Mensch hat in der letzten Sitzung ganz eklige Fragen an mich gerichtet. Er bestand auf einer Bescheinigung, entweder von der Bank oder vom Bücherrevisor, auf Grund deren das Vorhandensein der Aktien nachgewiesen ist. Ich muß sie haben – Channay – tatsächlich – – ich muß sie haben – –«

»Von mir nie und nimmer«, war die bestimmte Antwort.

Sir Matthew blickte sich hilflos um. Es lag etwas ungewöhnlich Unnachgiebiges und Menschenfeindliches in dem Wesen dieses schlanken Mannes, der einstmals eine Seele von Großzügigkeit, dessen Geist adlergleich und dessen Klugheit einem Rothschild ähnlich gewesen war.

»Channay,« bat Baynes mit flehender Stimme, »hören Sie mich doch einmal an. Die Welt ahnt es ja nicht und keine Menschenseele in der City weiß davon – aber ich sitze im Dreck. Nur ein Wörtchen, ein Flüstern über eine meiner Gesellschaften und ich bin total geliefert. Jede einzelne dieser Gesellschaften hatte mehr oder weniger aufgepolstert werden müssen.«

»Also finanziell geliefert?«

»Schlimmer – viel schlimmer«, stöhnte Baynes. »Ich erzählte Ihnen doch von dem kleinen nuttigen Menschen. Martin Fogg ist sein Name. Der hat mich bei der letzten Sitzung buchstäblich in die Enge getrieben. Erst griff er die Bücherrevisoren an, dann mich alles wegen dieser Nyasa-Aktien. Die Revisoren benahmen sich bei der Sache ja freundlich, aber die haben ihre eigenen Gründe dazu. Sie erwiderten sofort, daß diese Aktien auf Grund meiner persönlichen Garantie eines Vorhandenseins in die Bilanz eingetragen seien. Dann stürzte er sich auf mich, und ich gab ihm die Versicherung, daß sie auf der Bank seien. Zum erstenmal in meinem Leben wurde mein Wort angezweifelt! So sah ich mich denn genötigt, um seinen Besuch auf meinem Bureau zu bitten.«

»Ein hartnäckiger, kleiner Kerl, dieser Martin Fogg«, bemerkte Channay.

»Kennen Sie ihn?« fragte Baynes mit einem plötzlich aufkeimenden Verdacht in der Stimme.

»Recht gut,« gab Gilbert Channay zu, »als Korrespondent taugt er nicht viel. Nun, was hat sich bei seinem Besuch ereignet?«

»Ich hatte keinerlei Papiere vorzuweisen«, erwiderte Baynes. »Ich versuchte es mit einem Vergleich – ohne Erfolg. Er gab zu, mich nach Strich und Faden zu erpressen, aber ich konnte nicht herausfinden, um welchen Preis. Ich wechselte also meine Taktik. Ich bot ihm an, ihm am nächsten Tag die Bankquittung vorzulegen.«

»Und haben Sie das getan?« erkundigte sich Channay.

»Ja.«

Gilbert Channay lächelte.

»Wie konnten Sie die Bank zur Unterzeichnung eines falschen Dokumentes veranlassen?« verlangte er zu wissen.

»Gar nicht«, erwiderte Baynes heiser. »Ich verschaffte mir ein Blatt von dem Schreibpapier der Bank, tippte den Wortlaut der Quittung und setzte den Namen des Bankleiters darunter. Jetzt wissen Sie die Wahrheit, Channay. Jetzt wissen Sie, wo ich stehe. Entweder muß ich die Aktien haben oder ich bin erledigt.«

Das Gesicht des Mannes war kläglich anzusehen. Zufriedenheit, Lebenssätte und bürgerliche Wohlhabenheit war aus ihm gewichen. Sein Mund zuckte nervös, Furcht stand in seinen Augen und eine Fieberfarbe stieg in seinen Wangen aus. Er sah sich der Meute seiner eigenen Klasse gegenüber, dem Ende, dem Ruin, der Entehrung. Er rieb nervös seine Hände.

»Sie verstehen doch meine Lage, Channay?« fragte er. »Es ist Ihnen doch alles klar, nicht wahr?«

»Ganz und gar«, erwiderte dieser prompt. »Es war für mich immer interessant, zu sehen, wie ihr ›City‹-Leute heute soviel Scharfsinn an den Tag legt, um euch morgen als desto größere Dummköpfe zu erweisen. Sie sagen, daß Fogg seine Erpressung an Ihnen versuchte. Nun, Sie werden seinen Preis schon zahlen müssen, wie groß er auch sein mag.«

»Sie werden mich doch nicht aufsitzen lassen, Channay?« stöhnte Baynes mit fast versagender Stimme. »Ich – ich will's Ihnen gewiß wieder gutmachen. Ich nenne ja jetzt nicht einen Pfennig mein – wenn mir aber die Gelegenheit gegeben würde, noch einen Monat oder zwei auszuhalten, wenn ich dann wieder eine neue große Gesellschaft gegründet habe – dann sind Hunderttausende zu verdienen – – Channay, Hunderttausende …«

»Seien Sie doch kein Narr«, spottete Channay. »Sie nennen sich einen scharfsinnigen Mann und verplempern dabei Ihre Zeit, hierherzukommen und um Nachsicht zu feilschen, ungeachtet des Dokumentes in meiner Tasche, das auch Ihre Unterschrift trägt, und wissen doch ganz genau, was für ein Mensch ich bin. Martin Fogg ist mein Mann. Er ging einzig und allein darauf aus, Sie zu einer Indiskretion zu veranlassen, die Sie sich ja auch geleistet haben. Ehe Sie nach Hause kommen, wird er schon mit dem Dokument bei Ihrem Bankier vorgesprochen und Ihre Aktionäre vor morgen durch ein Rundschreiben davon in Kenntnis gesetzt haben. Ob Sie wohl in dasselbe Gefängnis wandern werden?« fuhr er sinnend fort. »Nicht gerade ungemütlich. Die Diät ist ja etwas karg. Stimmt schon. Man vermißt zuerst seinen Champagner. Vielleicht komme ich zur Verhandlung, aber das kann ich Ihnen versprechen, Sir Matthew Baynes, ich werde nicht zu Ihnen herüberkommen und Ihnen die Hände schütteln!«

Baynes saß ein paar Minuten regungslos. Er schien ganz in sich zusammengesunken, man hätte sogar einen Schlaganfall befürchten können. Seine Lippen zeigten wieder das verdächtige Zucken. Er sagte nichts und tastete nach seinem Hut.

»Channay, Channay, Sie sind hart«, flüsterte er und erhob sich schwankend.

»Nicht hart,« erwiderte Channay, »nur gerecht.«

Sir Matthew Baynes begab sich über den schmalen Deichpfad zu seinem Auto, stolpernd und blind. Gilbert Channay kehrte zur geschützten Gartenecke zurück, um – einer schmerzlichen Enttäuschung zu begegnen. Die Rosen dufteten wie vorher, und die Sonne füllte die Gartenecke mit wohliger Wärme: aber der Stuhl war leer. Er ging zum kleinen Rasenplatz im Vorgarten und gewahrte in ungefähr hundert Meter Entfernung Martin Foggs Tochter inmitten der Marschen. Sie saß auf einem kleinen Mooshügel und zog wieder Schuhe und Strümpfe an, was vermuten ließ, daß sie durch das Wasser der Bucht gewatet war und den reizvollen Umweg nach dem Städtchen eingeschlagen hatte. Channay beobachtete sie mit verdüsterter Miene. Als sie von dem kleinen Hügel aufstand, hob sie die Hand; man konnte ihre Bewegung als einen Scheidegruß auffassen, kurz, mit einer unpersönlichen Nachlässigkeit. Channay machte keine Anstalten, ihn zu erwidern. Er beobachtete ihr sicheres Dahinschreiten, wie sie die Tümpel und Morastlöcher geschickt vermied, bald hier, bald dort eine Handvoll wilden Lavendels pflückte. Sie war gegangen, jedenfalls für heute. Ob er sie morgen sehen würde, – wer konnte wissen? Channay wandte sich nun seinem leeren Arbeitszimmer zu. Die Glut seines dunklen Triumphes, der das Interview mit seinem früheren Teilhaber ausgezeichnet hatte, war verloschen. Die Einsamkeit hatte ihren Reiz verloren. Mit einemmal bedrückte ihn ein ungewohntes Gefühl der Verlassenheit.

Martin Fogg besuchte ihn spät am folgenden Nachmittag. Er trug den gleichen Anzug, den er anhatte, als er Sir Matthew Baynes aufgesucht hatte. Die Unmöglichkeit seines Anzuges wurde noch gesteigert durch das Fehlen von Kragen und Halsbinde, die er auf seinem Motorrad während der Fahrt von Norwich aus abgenommen und in die Tasche versenkt hatte. Er hatte die Mittagsausgabe einer Londoner Zeitung mitgebracht.

»Ich habe von Ihnen gehört«, bemerkte Channay mit einem leichten Lächeln.

Fogg lächelte zufrieden.

»Ich sah ihn gestern abend am Bahnhof Liverpool Street ankommen«, sagte er. »Ich konnte mir schon denken, was sich zugetragen hatte. Er hat sich heute morgen im Bad erschossen. Hier ist die Anzeige.«

Channay nahm die Zeitung und las die Nachricht ohne mit der Wimper zu zucken.

»Und ich Narr glaubte ohne Sie auskommen zu können, lieber Fogg«, gestand er ihm.


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