Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel.
Die große Entführung

An einem Marmortisch des »Café de la Paix« saß Martin Fogg im Freien inmitten einer bunten Menschenmenge. Er hatte sich nur ein leichtes Getränk bestellt; seine augenblickliche Absicht war nicht Erfrischung. Er hatte auch heute wieder den gleichen Platz eingenommen, weil ihm jemand gesagt hatte, daß niemand länger als drei Tage in Paris verweilen könne, ohne mindestens einmal an der Ecke des »Boulevard des Italiens« vorbeizugehen. Die Wahrheit dieser Behauptung wollte er nun selbst prüfen, begann aber durch diese Anstrengung schon reizbar zu werden. Dazu kam noch, daß er in Paris fremd war und die französische Sprache nicht beherrschte. Nichts interessierte ihn, alles langweilte ihn, und die Großstadttypen besaßen für ihn nicht den geringsten Reiz.

Ein einziger Augenblick sollte jedoch seine Unzufriedenheit zerstreuen; als er es am wenigsten erwartete, kam der Mann, den er suchte, die Straße entlang. Da Fogg seine Rechnung bereits bezahlt hatte, konnte er seinen Platz unbeobachtet verlassen und in dem Menschenstrom untertauchen. Eine Viertelstunde später betrat der Mann in der Nähe der Place Vendôme ein erstklassiges Hotel. Fogg beobachtete noch, wie der Portier des Hotels ihm einen Schlüssel einhändigte. Der erste Zweck seines Pariser Besuches war damit erfüllt.

Mit einem Seufzer der Befriedigung begab er sich zum Erkundigungsbureau eines anderen Hotels von Rus und ließ sich bei Mr. Gilbert Channay melden.

»Was zum Kuckuck machen Sie denn hier, Fogg?« fragte Channay erstaunt. »Nehmen Sie Platz? Was zu trinken?«

»Danke, nein«, erwiderte er bestimmt. »Ich habe mit Aperitifs schon des Guten zuviel getan. Komme eben vom ›Café de la Paix‹«, wo ich die letzten drei Stunden gesessen habe.«

»Wozu nur?« fragte Gilbert Channay, dessen Augen sich von der Halsbinde seines Freundes magnetisch angezogen fühlten. »Haben Sie sich auf das Studium französischer Halsbinden geworfen?«

»Am Abend meiner Ankunft hörte ich einen Herrn in der American Bar des Grand Hotels sagen, daß einmal in drei Tagen jeder, der Paris besuche, am Café de la Paix‹ vorüberkomme. Ich wollte die Wahrheit dieser Behauptung prüfen.«

»Mit Erfolg? Ich bin heute nachmittag zweimal dort vorübergekommen.«

»Habe Sie schon gesehen. Auch den Menschen, den ich suche!«

»Und der wäre?«

»Wo dinieren Sie heute abend?« fragte Martin Fogg anscheinend unvermittelt.

Channay hob kaum merkbar die Augenbrauen und zögerte mit der Antwort.

»Mit einer Dame, die ich am Abend meiner Ankunft traf.«

»Die Marquise de Valborde?«

»Haben Sie mir nachgespürt, Fogg?« fragte Channay ernst.

»Ich habe manches bemerkt«, gab Fogg langsam zu, »und sehe keinen Grund zur Entschuldigung. Sie dürfen eben nicht vergessen, daß wir immer noch Teilhaber sind.«

»Was ich keinesfalls in Abrede stelle«, versicherte Channay. »Ich werde meine Schuld Ihnen gegenüber nie vergessen. Aber abgesehen davon, woraus glauben Sie jetzt die Notwendigkeit eines Zusammenwirkens herleiten zu können?«

»Wissen Sie eigentlich, wer diese Marquise ist?« fragte Fogg unverblümt.

»Soviel ich weiß, ist sie die Witwe des Marquis de Valborde, die eine Unmenge von Freunden hier hat.«

»Sie ist auch die Schwester«, erklärte Fogg weiter, »des Nicholas Euphratos.«

»Zum Teufel …!« rief Channay überrascht, »woher wissen Sie das aber?«

»Ich habe ein bißchen in Scotland Yard herumgestöbert. Sie scheinen ganz vergessen zu haben, daß noch ein paar Menschen herumlaufen, die von dem Wahn besessen sind, Sie schuldeten ihnen sechshunderttausend Mark. Ich jedenfalls habe es nicht vergessen. Einer dieser Wahnbefangenen, Nicholas Euphratos, ist in Paris. Ich sah ihn vor knapp einer Stunde. Er ist im Hotel Albert abgestiegen, auf der anderen Seite des Platzes.«

Channays Augen leuchteten auf.

»Also ein Abenteuer …!« sagte er leise und nachdenklich.

 

Wenn es ein Abenteuer war, so entwickelte es sich nur langsam. Das Hotel Valborde lag in einer der ruhigsten, aber immer noch eleganten Straßen des alten Paris. Das Diner war, wie die Marquise ihrem Gast versprochen hatte, ein tête-à-tête. Englische Diener und Lakaien warteten auf. Die Marquise war eine wunderschöne Frau, mit bleichem Gesicht, blauschwarzem Haar und tiefblauen Augen. Sie besaß den Liebreiz, den Witz und die Lebhaftigkeit einer Italienerin. Sie ließ sich von der Persönlichkeit ihres Gastes fesseln, blieb dabei natürlich, ohne jede Pose und von edler Würde. Nach dem Diner wurde Channay auf einige Augenblicke allein gelassen, um den Burgunderwein zu probieren, den die Marquise von ihrem Großvater geerbt hatte. Dann führte sie ihn in ihr Boudoir, von dessen Balkon aus man einen herrlichen Rundblick auf Gärten hatte. Die Vorhänge waren jetzt zugezogen, und sie bedeutete Channay, sich auf ein Sofa an ihre Seite zu setzen. Sie richtete ihm selbst Kaffee und Zigaretten, während ein Lakai den Brandy in hohen Gläsern servierte. Als sie endlich allein waren, kam der Augenblick, auf den Channay vorbereitet war. Ihr ganzes Verhalten änderte sich allmählich. Sie lehnte sich halb müde, halb absichtlich nachlässig zurück. Das liebenswürdige Lächeln der Wirtin war geschwunden.

»Nun habe ich Sie lange genug unterhalten«, kündete sie ihm an. »Wir sind jetzt nicht mehr Wirtin und Gast. Ich muß jetzt mal ganz offen mit Ihnen sein. Was halten Sie eigentlich von mir, Mr. Gilbert Channay?«

»Diese Frage ist wohl am besten dadurch beantwortet,« sagte er, »daß ich überhaupt hier bin. Ihre Einladung ist die erste, die ich angenommen habe – allerdings die von einigen alten Freunden ausgenommen –, seit jener unglücklichen Unterbrechung meiner gesellschaftlichen Laufbahn.«

Sie lächelte.

»Von welchem Umstande Sie mich also mit der übertriebenen Gewissenhaftigkeit eines Ehrenmannes hiermit unterrichtet haben.«

Channay erwiderte nichts. Nach einem kurzen Augenblick fuhr sie in ihrer Rede fort.

»Ich mag Sie gut leiden und hoffe, daß es Ihnen bei mir gefallen hat und Sie etwas Vergnügen an meiner Gesellschaft gefunden haben … Bitte keine Komplimente. Es würde naturgemäß ja doch nur phrasenhaft klingen. Und doch kann ganz Paris nicht lügen, und ich schmeichle mir, daß ich mein gutes Aussehen einigermaßen erhalten habe. Wenn ich jemand gern habe, wie zum Beispiel Sie, dann unterhalte ich mich natürlich gern mit solchen Menschen und freue mich, wenn sie in meiner Nähe sind. Jetzt müssen Sie aber sehr lieb sein, denn ich muß ein Geständnis ablegen.«

Der Augenblick war also gekommen! Die Veränderung in seinem Gesicht war nur in den Linien um den Mund und in den Augen bemerkbar, die kühl und abweisend blickten. Sie betrachtete ihn schweigend. Um den leise geöffneten Mund spielte ein verführerisches Lächeln.

»Sie sind ein ganzer Mann«, sagte sie leise. »Ich liebe es, wenn Sie streng aussehen. Ich glaube, Mr. Gilbert Channay, daß ich mich sehr zusammennehmen muß. Die Frauen haben Sie vermutlich immer verwöhnt.«

»Das war ihre Sache …« begann er –

Eine abwehrende Handbewegung hieß ihn schweigen. Ihre Finger ruhten wie zufällig auf seinem Arm und glitten, fast zögernd, wieder auf den Diwan zurück.

»Hören Sie also mein Geständnis«, fuhr sie fort. »Ihre Bekanntschaft am Abend Ihrer Ankunft habe ich keinem Zufall zu verdanken. Da ich Sie kennenlernen wollte, bat ich Ihren Vetter um eine Einladung. Sie sind nämlich für mich – für uns beide, von großer Wichtigkeit.«

»Beide?« wiederholte er.

»Für mich vielleicht sogar mehr und in einer ganz anderen Weise, als ich mir je vorgestellt hätte,« gestand sie sanft, »und natürlich auch für meinen Bruder Euphratos.«

Channay zeigte geschickt das erwartete Erstaunen. In der Tat hatte ihn ihre Offenheit wirklich verblüfft.

»Nicholas Euphratos!« rief er aus. »Sie wollen doch damit nicht sagen, daß Sie seine Schwester sind?«

»Ich bin seine Schwester«, erwiderte sie. »Nicholas verbrachte eine ganze Reihe von Jahren in London – wo er Finanzgeschäfte machte. Obwohl wir in Buenos Aires lebten, unterhielt mein Vater stets ein Haus in Paris, das mich völlig in seinen Bann zog. Ich war von Nicholas stets sehr eingenommen.«

»Dann ist Ihnen wohl auch bekannt, daß Ihr Bruder ein Geschäftsteilhaber von mir war?« fragte Channay.

»Das weiß ich,« erwiderte sie, »auch, daß er Sie schlecht behandelt hat.«

»Wissen Sie vielleicht noch mehr?«

»Wenn ich nicht irre, schulden Sie ihm ungefähr sechshunderttausend Mark.«

»In gewissem Sinn ist das ganz richtig«, gab Channay zu.

»Ich sagte Ihnen ja, daß ich ganz offen mit Ihnen sprechen würde«, fuhr sie versonnen lächelnd fort. »Nicholas und ich sind die einzigen, die von der Familie übriggeblieben sind. Mein Mann wurde, wie Ihnen ja bekannt ist, im Kriege getötet. Von meinem Besitz ist mir nichts geblieben, als dieses Haus hier und ein Schloß an der Riviera. Doch selbst dies wenige entgleitet allmählich unwiederbringlich meinen Händen und die Aufrechterhaltung meiner gesellschaftlichen Stellung geht oft über meine Kräfte. Nicholas steht sozusagen auf dem Almosenetat. Als er aus Buenos Aires zurückkam, hatte er kaum einen Franken in der Tasche. Auf Sie allein setzt er seine ganze Hoffnung, fast hätte ich gesagt ›unsere‹ Hoffnung.«

»Er ist also jetzt in Paris?«

»Hier in meinem Haus«, gestand sie ihm. »Wenn ich nach ihm schicke – und nur dann – kommt er.«

Gilbert Channay schwieg, das ließ ihre Hoffnung wachsen. Sie beugte sich etwas vor und ihre Hand ruhte wieder auf seinem Arm.

»Müssen Sie so streng blicken?« sagte sie einschmeichelnd. »Was ich auch zu seinen Gunsten sagen könnte, würde nichts ändern, weil ich das alles nicht so verstehe – außer, daß er schlecht an Ihnen gehandelt hat – aber, können Sie denn nicht vergessen? Es ist doch nun alles vorbei. Sie sind noch jung und besitzen doch alles, was ein Mann zu seiner Glückseligkeit bedarf. Können Sie da nicht großmütig sein, Mr. Channay?«

Ihre Stimme war schon zu einer Liebkosung geworden, die sich auch im weichen Druck ihrer Hand äußerte. Diese ungesprochene Schmeichelei löste aber in Channay eine sich steigernde Kälte aus. Dennoch antwortete er leichthin, sogar mit einem Lächeln auf den Lippen: »Es wäre vielleicht ganz gut, wenn ich Ihren Bruder sprechen würde«, schlug er vor.

»Jetzt?« fragte sie mit launischem Stirnrunzeln.

»So etwas erledigt man am besten an Ort und Stelle«, erwiderte er.

Sie erhob sich nur zögernd.

»Aber laufen Sie nachher nicht gleich davon,« bat sie, »– nein –? Wir wollen dann Freunde sein, Sie und ich und Nicholas? Der arme Kerl hat soviel durchgemacht – hat immer mächtig viel von Ihnen gehalten.«

»Wie war ich doch selbstsüchtig«, seufzte er, während er sie nach der Klingel greifen sah. »Ich hatte mir nämlich immer eingebildet, daß ich am meisten gelitten hätte …«

»Wenn ich Sie in jenen Tagen gekannt hätte,« sagte sie zärtlich, »so würde sich niemand elender gefühlt haben als ich …«

 

Nicholas Euphratos war seiner Schwester auffallend ähnlich, unverändert und vorzüglich aussehend, mit einem orientalischen Einschlag in seinem Wesen, peinlich sorgfältig gekleidet und aalglatt in Sprache und Gebärde, betrat das Zimmer und schritt etwas zögernd auf Channay zu.

»Mein lieber Channay«, rief er aus. »Sie werden mir einen Händedruck sicher nicht versagen.«

»Lassen wir das für einen Augenblick«, erwiderte dieser ruhig. »Ihre Schwester sagte mir, daß Sie mich zu sehen wünschten.«

Der junge Mann warf sich nun in einen Lehnstuhl.

»Deswegen bin ich ja auch aus Buenos Aires zurückgekommen«, sagte er. »Die Nyasa-Aktien stehen ja höher denn je. Das haben Sie genial angestellt!«

»Instinkt!« bemerkte Channay. »Wie Sie wissen, war ich von Anfang an felsenfest davon überzeugt. Sie entsinnen sich doch wohl noch der Vereinbarung, nach der ich diese Siamese Corporation-Bilanzbogen unterzeichnen sollte, um für die Zuteilung der vollen Anzahl Aktien nachsuchen zu können.«

Der junge Mann rückte in seinem Stuhl nervös hin und her.

»Mir ist alles noch lebhaft gegenwärtig«, gab er zu. »Es liegt mir fern, mich auf Kinkerlitzchen zu verlegen, und es ist hart, vor meiner Schwester zu bekennen – ich gestehe aber rückhaltlos zu, Channay, daß ich mich wie ein Erpresser betragen habe. In Wirklichkeit war es ja Ishams Plan, und wir alle sind in gleicher Weise zu verurteilen.«

»Ihre Schwester ist wohl über den Gang der Sache unterrichtet?« fragte Gilbert Channay ruhig.

»Mehr oder weniger, ja«, erwiderte der junge Mann.

»Um jedoch allen Mißverständnissen vorzubeugen, möchte ich Ihnen folgendes erklären, Marquise«, fuhr Channay fort. »Um den ganzen Gewinn der Nyasa-Aktien unter sich zu verteilen und mich loszuwerden, schreckten meine Geschäftsteilhaber nicht vor einem – moralischen Meineid zurück – wie ich es nennen würde –, der mir drei Jahre Gefängnis eintrug. Aber jede Tragödie hat auch ihre humorvolle Seite. Hier bestand sie darin, daß die Nyasa in meinem Namen gekauft worden waren – ich allein war in der Lage, die zu jener Zeit erforderlichen sechs- bis achthunderttausend Mark aufzubringen –, aber niemals übertragen worden sind. Die Folge davon war, daß keine Beute vorhanden war, als sie verteilt werden sollte. Die Nyasa-Aktien waren nicht Eigentum des Syndikats, wie jedermann vorausgesetzt hatte, sondern lediglich mein Eigen und gehören mir noch heute.«

»Ein jedes Syndikatsmitglied«, fiel Nicholas Euphratos ein, »hatte durch Zahlung des Paripreises einen proportionellen Anteil. Bis jetzt hat noch kein einziger von uns eine Zuteilung erhalten.«

Gilbert Channay wandte sich zur Klingel und verneigte sich nur kurz vor seiner Wirtin.

»Und keiner von Ihnen braucht je daraus zu hoffen«, erklärte er und verließ rasch und unerwartet das Zimmer.

 

Gilbert Channays Auskunft hatte Catherines erste Eindrücke von Paris vollständig umgeformt. Sie sah diese interessante Stadt jetzt mit ganz anderen Augen an und gewann dadurch einen inneren Reichtum. Diese Veränderung machte sich nur allmählich geltend und gipfelte darin, daß ihr Vater und sie von dem großen Hotel in den Boulevards in ein kleineres übersiedelten, das unweit der Champs Elysées gelegen war. Hier sollte Gilbert Channay eines Abends eine große Offenbarung erleben. Er war gekommen, um Vater und Tochter zu einem Diner abzuholen und saß mit Fogg im kleinen Wohnzimmer, wo beide einen Aperitif zu sich nahmen. Ihre Unterhaltung wurde aber durch Catherines unvermutetes Erscheinen plötzlich unterbrochen. Ihr Vater starrte sie mit offenem Munde an, und sogar Channay sah ganz verwirrt drein. Sie trug zum ersten Male ihr neues Abendkleid. Man konnte es kaum dekolletiert nennen, aber die ganze Aufmachung verriet die Genialität eines Künstlers. Dieser mußte es sich zur Aufgabe gemacht haben, durch Verhüllung und eine geradezu verführerische Andeutung der Körperlinien und schlanken Glieder zu wirken. Die Verschleierung stellte den berechneten Höhepunkt seiner Kunst dar.

Channay, der sie in den Sümpfen Blickleys hatte strumpflos waten, ihr kurzes Röckchen mehr als einmal um ihre Knie hatte wehen sehen, bekam im ersten Augenblick einen Schrecken: Aber dieser wurde abgelöst von der allzeit bereiten männlichen Freude über solche erstaunlichen Metamorphosen. Ihr Mut in Gefahr, ihre Geradheit in Sprache und Gedanken und ihr gesunder Blick für das Leben hatten sie ihm lieber gemacht, als er zugegeben hätte. Nun stand er einem neuen Wunder gegenüber. Die Rue de la Paix hatte zweifellos das Weib in ihr entwickelt.

»Gütiger Himmel!« rief ihr Vater aus.

»Ist das alles, was ihr zu sagen habt?« fragte sie.

»Siehst verdammt anders aus«, murmelte ihr Vater leise.

»Monsieur Felix ist ein hervorragender Künstler«, bemerkte Channay zu ihr auflächelnd. »Sie dürfen nicht vergessen, daß ihr Vater und ich schon zu den Älteren zählen und nicht an ihre Möglichkeit zu wunderbaren Entwicklungen gedacht haben. Felix hat unsere kleine Gefährtin in eine wunderschöne Frau verwandelt.«

Sie wandte sich rasch ab. Channay hatte aber etwas in ihren Augen gelesen, das ihm fast die Sinne benahm. Sie ging zum Tisch und nahm ein Weinglas, das für sie bereit gestanden hatte.

»Alles das sind nur Äußerlichkeiten«, sagte sie. »Als Monsieur Felix mich heute nachmittag sah, war er alles andere als ermutigend. So sagte er mir zum Beispiel, daß ich mich in einem Alter befände, in dem es schwieriger sei, ein unverheiratetes Mädchen von fünfundzwanzig als eine Frau von fünfzig Jahren zu kleiden. Und Madames Ansicht war noch freimütiger. Sie leistete sich sogar den Ausspruch, daß es unmöglich sei, ›la jeune fille‹ nach neunzehn zu kleiden … Wollen wir nicht lieber aufbrechen?«

Sie aßen in einem Restaurant auf der Place Gaillon – begaben sich danach zu den »Capucines«. Catherine war ruhiger als gewöhnlich und ließ die Eindrücke eines intimen Theaters und eines erlesenen Publikums auf sich wirken. Nur einmal beugte sie sich zu Channay hinüber, der Führer und Dolmetscher spielte.

»Wer ist die wunderschöne Frau in der Loge gegenüber, die zu Ihnen herüber grüßte?« fragte sie.

Channay lächelte.

»Die Marquise de Valborde. Ihr Vater kennt sie schon.«

»Die Schwester von Nicholas Euphratos!« rief sie aus. Channay nickte.

»Ich hatte mich bei unserem letzten Zusammentreffen so rasch von ihr verabschiedet, daß ich gar nicht mehr darauf rechnete, unter ihre Bekannten gezählt zu werden.«

»Sie scheinen sich sogar ihrer Gunst zu erfreuen,« bemerkte Catherine trocken, »Ihre Fächersprache ist deutlich genug.«

Der Vorhang war gefallen, und das Publikum zerstreute sich in die Wandelgänge des Theaters. Channay erhob sich zögernd.

»Ich werde die Marquise wohl begrüßen müssen«, sagte er leise vor sich hin und begab sich zur Loge. Sie war allein.

»Wer ist die außerordentlich anziehende junge Dame neben Ihnen?« fragte sie unvermittelt.

»Ein englisches Mädchen. Sie trägt zum erstenmal ein Pariser Kostüm«, fügte er lächelnd hinzu.

Die Marquise fächelte sich.

»Wer hat sie zu Felix begleitet?« fragte sie. »Wohl jemand mit Erfahrung.«

»Ich tat es.«

Nach kurzer Pause fuhr die Marquise fort: »Mein Bruder war noch vor ein paar Minuten hier und sagte mir, daß der Herr neben Ihnen der reiche Wachhund sei, der Sie nie aus den Augen ließe, ob Sie es nun wüßten oder nicht …«

»Er ist ein sehr guter Freund von mir,« bemerkte Channay, »eines besonderen Schutzes dürfte ich jedoch kaum benötigen.«

»Darin«, erwiderte sie, indem sie ihre Stimme ein wenig senkte und nach der Tür sah, als wollte sie sich vergewissern, daß sie unbelauscht seien, »kann ich Ihnen nicht ganz recht geben.«

»Ihr Bruder plant wohl meinen Fall?« fragte er.

Sie zuckte die Achseln.

»Weshalb sollte ich ihn daran hindern?« sagte sie. »Sie haben sich mir gegenüber gleichgültig gezeigt, Nicholas ist schließlich mein Bruder –! Einen kleinen Rat möchte ich Ihnen ja geben, aber ich wage es nicht …«

»Ich werde sehr aufmerksam sein.«

»Gut«, sagte sie. »Müssen Sie mit diesen Leuten heute abend noch zusammen sein? Nicholas ist mir davongelaufen. Sie und Ihren Wachhund – das konnte er nicht mehr länger ansehen. Kommen Sie mit mir nach Hause …«

Channay zögerte.

»Sind Sie allein?«

»Ich habe Ihnen ja gesagt, daß Nicholas mir davongelaufen ist, und ich bin doch Begleitung gewöhnt.«

»Ich werde Sie mit Vergnügen nach Hause begleiten«, versprach er ihr.

Diese Worte wirkten Wunder. Die Spannung in ihrem Gesicht löste sich. Ihre tiefblauen Augen leuchteten warm auf und ihre Lippen öffneten sich lächelnd.

»Also Sie kommen wirklich mit?« rief sie aus. »Doch was machen Sie mit Mademoiselle?«

»Mademoiselle ist nicht auf meine Begleitung angewiesen«, erwiderte er. »Sie dürfen nicht übersehen, daß ich einer älteren Generation angehöre. Zudem wollten wir auch heute nach dem Theater nach Hause gehen. Morgen abend werden wir wieder zusammen, wahrscheinlich im Montmartre, soupieren, danach auf einen Ball gehen.«

Ihr Lächeln schwand.

»Das trifft sich also gut!« sagte sie. »Ich werde Sie nach Schluß des Theaters hier erwarten.«

 

»Sind Sie in das Mädchen verliebt?« fragte die Marquise, als er neben ihr im Auto Platz genommen hatte.

Gilbert Channay seufzte.

»Sie schmeicheln mir, gnädige Frau. Wenn ich noch in dem Alter wäre, wo so ein Gefühl möglich – –«

Sie verhinderte ihn, weiter zu sprechen.

»Verzeihen Sie,« sagte sie, »ich hätte wissen müssen, daß Ihr Wesen keine Natürlichkeit offenbart. Sie werden auch mit mir nie natürlich sein. Nicholas sagte mir, daß noch kein Mann Ihr Freund gewesen sei, auch nie eine Frau Ihrem Herzen nahegestanden habe. Nur für sich und mit sich – das sei Ihre Art zu leben. Stimmt das?«

»Die Umstände haben mich begreiflicherweise zu einem ungewöhnlichen Grade auf mich selber und meine eigene Gesellschaft angewiesen«, gab er trocken zu.

»Ich meinte aber schon früher«, fuhr sie beharrlich fort. »Heute kommt es für Sie nur darauf an, die richtige Frau zu finden. Sie besitzen Gaben, die sich entwickeln würden … Hören Sie mich jetzt an, Mr. Channay. Der Wagen wird jetzt gleich halten. Ich werde Sie heute abend nicht zu mir bitten. Ich habe das Gefühl, daß Sie nicht mit hereinkommen würden, wenn ich Sie auch darum bäte. Etwas aber möchte ich Ihnen noch sagen. Darf ich?«

»Ich bitte darum.«

»Auch ich habe das Alter solcher Gefühle überwunden«, fuhr sie sanft fort. »Gut. Das schlimmste ist aber, wenn man sich nachher in noch größere Tiefen verliert. Aber sprechen wir nicht mehr davon. Ich habe ein ›faible‹ für Sie. Und bei der ganzen unseligen Geschichte zwischen Ihnen und meinem Bruder und all den anderen gehören meine Sympathien Ihnen. Wir alle miteinander brauchen Geld –! Ich, mein Bruder, seine Freunde. Mein Bruder möchte es gern aus Ihnen herauslocken. Ich glaube nicht, daß es ihm gelingen wird, denn Sie sind einer von den Männern, an denen die Ränke anderer zerschellen.«

»Sie wollen mir also sagen«, fragte er. –

»Nichts«, antwortete sie. »Warnen will ich Sie, nur warnen. Ich wünschte, daß Sie Paris verließen.«

»Aber wohin?«

»Wohin sich jeder vernünftige Mensch begibt«, erwiderte sie. »Gehen Sie nach dem Süden. Und jetzt muß ich mit der selbstsüchtigen Seite meines Wunsches herausrücken. Ich habe nämlich unweit Nizza, nahe an der See gelegen, ein schönes, historisches Schloß. Es sind noch einige Dienstboten da. Leider ist es reparaturbedürftig, nicht gerade gemütlich, aber doch großartig und von einer unvergleichlichen Schönheit, die Sie gefangennehmen dürfte. Es ist ›zu vermieten‹. Nehmen Sie es auf drei Monate.«

»Die Idee ist nicht schlecht«, sagte er leise.

»Dort können Sie auch Gesellschaften geben, und wenn Sie mich einladen, werde ich natürlich mit Vergnügen annehmen.«

»Wer sind Ihre Agenten?« fragte er.

»Meriton, in der Rue Scribe. Einhunderttausend Franken für drei Monate ist für Sie wirklich nicht viel. Mir bezahlt es ein paar Rechnungen, und Sie verschwinden aus Paris.«

Der Wagen hielt vor ihrem Hause. Er führte ihre Hand, die auf der seinen ruhte, an seine Lippen.

»Ich werde morgen Monsieur Meriton aufsuchen«, versprach er ihr.

 

Aller Zauber des Südens schien über das Gelände zwischen dem Schloß und dem Meere ausgegossen. Gärten, Weinberge, Kornfelder, Wiesen und einige kleine malerische Dörfer umgaben das Schloß, das sich gegen den klaren Abendhimmel scharf abhob. Der Mond schien und badete alles in magischem Glanz. Catherine fröstelte und schlang den Schal fester um sich.

»Wie märchenhaft unwirklich!« rief sie ganz erfüllt vom schweren Duft südlicher Gärten, »es ist, als erlebe man ein Feenstück und als müsse jeden Augenblick ein Riese auf der Terrasse erscheinen.« Channay lächelte über ihre poetische Begeisterung.

»Ein fabelhaft interessanter alter Platz«, gab er zu. »Hatte keine Ahnung, daß die Valbordes eine so alte Familie sind. Übrigens unterzeichnete Franz I. dort in dem Turmzimmer den Vertrag mit den Genuesern.«

»Sind die Schlüssel noch nicht angekommen?« fragte sie.

»Noch nicht«, sagte er etwas ärgerlich. »Jeden Tag richte ich an Pierre die gleiche Frage und jeden Tag erhalte ich die gleiche Antwort: ›Noch nicht, Monsieur, morgen vielleicht‹ … Möchten Sie nicht für immer hier leben, Miß Catherine?«

Sie schüttelte den Kopf, von einer unbestimmten Unruhe befangen. »Wie könnte ich mich hier wohl fühlen, unter den Gespenstern eines alten vornehmen Geschlechts?« sagte sie.

Gilbert Channay lachte beruhigend.

»Ja, ja –« sagte er, »ich sehe schon. Sie müssen aus diesem Zauberland fort. Morgen fahren wir nach Monte Carlo und da wird sich Miß Catherine wieder in ihren wunderschönen Pariser Kleidern einer staunenden Welt vorstellen!«

»Vielleicht kommen aber die Schlüssel«, sagte sie.

»Dann werden wir zuerst den alten Teil des Schlosses untersuchen und später nach Monte Carlo gehen –«

Catherine lehnte an der Brüstung der Terrasse. Channay war wieder verwirrt von der Veränderung, die mit Catherine, nicht nur in der Erscheinung, sondern auch im Ausdrucke ihres Gesichts, vorgegangen war. Das war nicht mehr jenes Mädchen, das einst auf seinem Boot in Blickley versonnen gesessen hatte. Die zuversichtliche Heiterkeit der Jugend, die damals aus ihren Augen leuchtete, war einem nachdenklichen, rätselhaften Ausdruck gewichen. Die letzten in dieser Umgebung verbrachten zwei Wochen schienen neue Stimmungen in ihr geweckt zu haben. Aber darüber hinaus stand etwas in ihren Augen, was sich seiner Deutung entzog … Martin Fogg erschien winkend am anderen Ende der Terrasse. In der Ferne hörte man das Geräusch eines herannahenden Autos. Channay achtete nicht weiter darauf.

»Wahrscheinlich Leute, die von Monte Carlo zurückkehren«, bemerkte er. »Wenn wir die Schlüssel nicht bekommen, wollen wir morgen auch hin.«

Martin Fogg knurrte ärgerlich: »Ist mir spanisch, was dieser Pierre sagt«, erklärte er. »An die Schlüssel glaube ich aber nicht mehr. Das Innere dieses Burgverlieses werden wir nicht zu sehen bekommen.«

Aber Martin Fogg irrte sich, denn er verbrachte dort tatsächlich eine Nacht.

 

Gilbert Channays Bewußtsein kehrte am nächsten Morgen wieder zurück. Die Folgen einer ungewöhnlich verbrachten Nacht waren Kopfschmerzen, eine leichte Betäubung – zu ihnen gesellte sich noch das unbehagliche Gefühl einer fremden Umgebung. Er richtete sich auf und blickte um sich. Der Raum war nur halb so groß wie sein Schlafzimmer, die Wandfüllung war älter und die sonstige Einrichtung unterschied sich wesentlich von der bisher gewöhnten. Auf dem Steinboden lagen keine Teppiche, und statt der großen hellen Fenster konnte er nur einen kleinen Spalt in der Mauer entdecken und ein Eisengitter. Er versuchte sich an die Ereignisse zu erinnern. Nach und nach besann er sich, daß er beim Erwachen drei bis vier Leute in seinem Zimmer vorfand, das von einem ekelerregenden Betäubungsmittel erfüllt war. Auch meinte er eine ihm bekannte Stimme zu hören. Dann schlief er wieder ein. Nun schwang er sich aus dem Bett und faßte den Türgriff. Wie zu erwarten war, gab er nicht nach. Eine Klingel suchte er vergeblich. Je wacher er wurde, um so klarer wurde ihm seine Lage, und dennoch mußte er darüber lächeln. Ihn durchpulste wieder der Zauber des Abenteuers. Daß er im Turmzimmer eingesperrt war, unterlag keinem Zweifel. Seine Kleider und sonstige Habe waren ringsum verstreut; selbst sein Notizbuch lag auf einem Tischchen neben seinem Bett. Einzig seine Pistole und sein Revolver fehlten. Er hüllte sich in seinen Schlafrock und wartete der Dinge, die da vielleicht noch kommen sollten. Plötzlich gewahrte er, wie sich in der gegenüberliegenden Mauer eine Füllung verschob und ein Gitterfensterchen sichtbar wurde.

»Sind Sie es, Pierre?« fragte Channay.

»Zu Diensten, gnädiger Herr«, antwortete Pierre, nachdem er das Frühstück durchgeschoben und das Gitterfensterchen wieder geschlossen hatte.

»Haben Sie mir auch genug Brötchen gebracht? Ich habe nämlich einen Bärenhunger.«

»Sie werden wie sonst bedient werden«, war Pierres ernste Antwort. »Auch Honig finden Sie vor!«

Channay betrachtete sich sein Frühstück genau und drückte seine Zufriedenheit darüber aus. Er stellte das Tablett auf das Tischchen neben seinem Bett.

»Gehen Sie nicht weg, Pierre«, bat er. »Wo sind denn die anderen?«

»In Zimmern, die dem Ihren entsprechen, gnädiger Herr.«

»Schwierigkeiten, sie – fortzuschaffen?«

»Nicht im geringsten, gnädiger Herr. Es waren vorzügliche Vorkehrungen getroffen worden. Herr Fogg wachte nicht eher auf, als bis ich ihm sein Frühstück brachte. Er war sehr gesprächig … Was er sagt, kann ich natürlich nicht verstehen, da ich nicht Englisch kann. Aber er sprach sehr laut und vernehmlich.«

»Und seine Tochter?«

»Das Fräulein scheint das alles sehr unterhaltsam zu finden.« Channay goß sich Kaffee ein und begann sein Brötchen zu streichen.

»Gestern abend ist wohl Besuch angekommen?« fragte er.

»Herr Euphratos und ein Freund«, gab Pierre zur Antwort. »Herr Euphratos empfiehlt sich Ihnen bestens und wird Ihnen um elf Uhr seine Aufwartung machen.«

»Blendend!« stimmte Channay zu. »Dieser Euphratos ist ein liebenswürdiger Kerl. Freue mich, ihn zu sehen. Wie wäre es mit ein paar Zigaretten?«

»Ihre eigenen finden Sie in der obersten linken Schublade.«

»Gehört zu meinen Räumen auch ein kleiner Salon?« erkundigte sich Channay. »Es wäre doch noch soviel netter, wenn man auch die anderen sehen könnte?«

Pierre fand diese Frage viel zu frivol und zog sich wortlos wieder zurück. Channay beendete sein Frühstück. Er entdeckte noch eine Geheimtür, die in einen kahlen Baderaum führte, kleidete sich an und bereitete sich auf seinen Besuch vor. Pünktlich um elf Uhr glitt die Füllung wieder zurück und Euphratos blickte durch die Öffnung.

»Guten Morgen, Mr. Gilbert Channay«, sagte er.

»Guten Morgen«, erwiderte Channay höflich. »Weshalb bleiben Sie draußen? Kommen Sie doch herein.«

Euphratos räusperte sich.

»Lieber nicht«, sagte er entschieden.

»Für eine geschäftliche Besprechung ist es reichlich ungemütlich«, brummte Channay, während er sich einen Stuhl hinstellte. »Schließlich bin ich bester daran als Sie, denn ich kann sitzen, während Sie stehen müssen. Sie sehen wirklich nicht gut aus,« fuhr er fort, als er Euphratos' unrasiertes Kinn und die Ringe unter seinen Augen bemerkte. »Wohl die Nacht durchgefahren?«

»Bitte sich nicht weiter darum zu bekümmern«, schnitt der andere kurz ab. »Ich bin in Geschäften hier.«

Channay seufzte.

»So, so,« sagte er, »und ich betrachtete dies als einen Höflichkeitsbesuch und daß Ihre Schwester sich vielleicht erkundigen wollte, ob wir auch gut untergebracht seien. Na, dann schießen Sie mal los.«

»Ich habe gehört,« begann Euphratos, »daß das Schloß Ihren Beifall findet.«

»Habe mich noch nie so behaglich gefühlt«, versicherte Channay.

»Da dachten meine Schwester und ich, daß Sie es vielleicht gern erwerben möchten.«

»Eine gute Idee«, pflichtete Channay bei. »Und der Preis?« Euphratos räusperte sich.

»Zehn Millionen Franken.«

Channay pfiff leise vor sich hin.

»Großartig!« rief er aus. »Das haben Sie sich genial ausgedacht.«

»Die Papiere habe ich bei mir«, fuhr Euphratos fort. »Ich verlange einen Scheck in Höhe von fünf Millionen Franken oder den gleichen Betrag in bar und die Ausfertigung der Urkunden durch Ihre Unterschrift.«

»Wenn ich aber auf den Handel nicht eingehen werde, was dann?«

»Je länger Sie sich zur Überlegung Zeit lassen und den Abschluß hinauszögern, desto mehr wird das die Behandlung unserer Gefangenen, also Sie, Mr. Fogg und Miß Fogg, beeinflussen.«

Channays Augen loderten plötzlich auf.

»Euphratos!« sagte er warnend, »über einen Punkt müssen wir uns ein für allemal verstehen. Miß Fogg steht ganz und gar außerhalb unserer Geschäfte und ist mit größter Rücksicht zu behandeln. Verstanden?«

»Vollkommen. Die Behandlung wird, wie bisher, auch künftig nichts zu wünschen übrig lasten«, gab Euphratos vieldeutig lächelnd zurück. »Sie dürfen dabei aber die Tatsache nicht vergessen, daß ich verdammt viel Geld brauche und daher von meinen Forderungen nicht abgehe, was für Gefahren auch damit verbunden sind.«

»Wenn ich den Scheck ausgeschrieben und die Urkunden unterzeichnet habe, dann können wir wohl gehen?«

»Sobald der Scheck eingelöst ist, ja.«

»Bilden Sie sich wirklich ein, daß ich den Kauf dann auch durchführen würde?« fragte Channay interessiert.

»Wir haben dies alles genau erwogen. Sie dürfen nicht vergessen, daß die zu dieser Transaktion erforderlichen Urkunden Ihre Unterschrift tragen. Durch Erzählung von Ihrer ›Haft‹ könnten Sie sich nur lächerlich machen. Sie würde durch meine Dienerschaft, die meiner Schwester und mir zuliebe bereit sind, jeden Meineid zu leisten, vollständig entkräftet werden, und Sie würden schließlich als ein Mann dastehen, der sich von seinen Verbindlichkeiten drücken will. Voilà tout.

Channay überlegte.

»Kann ich diesen Handel mal mit Mr. Fogg besprechen?«

»Ist nicht nötig«, erwiderte Euphratos. »Dieser einfache Privatdetektiv ist kein Freund von Ihnen, sondern lediglich Ihr Wachhund. Hat 'ne hübsche Tochter.«

»Euphratos!« warnte Channay.

»Natürlich mit allem Respekt gesagt«, gab Euphratos zurück. Eine kurze Pause trat ein. »Mein Rechtsbeistand und einige Zeugen sind schon da.«

»Muß Ihr Rechtsbeistand ein Gauner sein!« bemerkte Channay.

»Ist er auch, sonst könnte ich ihn nicht brauchen. Soll ich nach ihm schicken?«

»Nicht gleich. Ich möchte mit Mr. Fogg sprechen.«

»Gut. Durch die Öffnung hier in meiner Gegenwart«, schlug Euphratos vor.

»Einverstanden!«

Einige Minuten später kehrte Euphratos mit Fogg zurück. Er war ungekämmt und fluchte wie ein Kutscher. Die Begrüßung zwischen beiden war auf das Notwendigste beschränkt.

»Wollen Sie ihm bitte die Sache auseinandersetzen, Euphratos.«

Fogg hörte mit gespitzten Lippen aufmerksam zu.

»Wieviel sind zehn Millionen Franken?« fragte er.

»Ungefähr zwei Millionen sechshunderttausend Mark«, erklärte Channay.

»Und wie groß ist der wirkliche Wert des Objekts?«

Channay dachte nach.

»Ich veranschlage ihn auf ungefähr achthunderttausend Mark. Ich nehme an, daß die Meiereien –«

»Diese sind nicht mit einbegriffen, da sie bereits verkauft sind«, unterbrach Euphratos.

»Dann also fünfhunderttausend Mark.«

Martin Fogg ließ sich die Zahlen durch den Kopf gehen.

»Ich bin der Ansicht,« sagte er schließlich, »daß Mr. Euphratos dieses gewagte Spiel nicht länger treiben wird, als er gerade muß. Wir fühlen uns hier leidlich wohl. Halten Sie es also noch ruhig bis morgen abend aus. Dieser Herr wird schon noch Abstriche machen.«

»Ihr Rat ist schlecht«, sagte Euphratos kühl. »Die Verträge sind geschrieben und ihre Zahlen bleiben unverändert; Ihrer beider und Miß Foggs Lage wird jedoch durch jede Stunde Verzögerung nur unbehaglicher.«

Während Euphratos Channay fest im Auge behielt, trat Fogg heimlich einen Schritt zurück. Er blickte Channay vielsagend an und gab ihm durch Blinzeln ein nicht mißzuverstehendes Zeichen. Channay schien nun zu einem Entschluß zu kommen.

»Ich bin nicht so begütert, wie Sie denken«, sagte er. »Ich werde mir die Sache noch ein bis zwei Stunden überlegen.«

»Es liegt nur in Ihrer aller Interesse, wenn Sie Ihre Entscheidung nicht über diese Zeit hinausschieben.« Damit schloß er die Wandöffnung.

Euphratos begab sich nun zu Catherine. Noch fühlte er sich allmächtig und scheute sich nicht, seine Übergewalt in der Rolle eines aufdringlichen Liebhabers dem Mädchen fühlen zu lassen, dessen scharfe und unerschrockene Art ihn vor dem Äußersten zurückschrecken ließ.

»Noch einen Schritt näher,« drohte sie, »und ich werde Sie unfehlbar töten!«

»Werden sehen, was morgen wird …« sagte er und verließ den Raum.

Channay hielt sich nicht an die ihm gesetzte Zeit, und Euphratos schränkte die Verpflegung seiner männlichen Häftlinge seiner Drohung entsprechend ein. Er blieb den ganzen folgenden Tag in seinem Schloßflügel und ließ sich erst wieder am übernächsten Tag bei Channay blicken.

»Gedenken Sie uns auszuhungern?« fragte Gilbert Channay.

»Nur die beiden Herren. Das gnädige Fräulein wird auf das beste verpflegt. Heute abend will ich sogar mit ihr dinieren.«

Channay wurde ganz ruhig. Er hörte auf, hin und her zu laufen und stellte sich nah an die Öffnung, so daß Euphratos erschrocken zurückwich.

»Haben Sie Miß Fogg gelangweilt?« fragte er mit gefahrdrohender Ruhe.

»Mademoiselle weiß meine Gesellschaft vollauf zu würdigen, und wenn alles gut geht, werden wir morgen noch nach Monte Carlo fahren«, war die freche Antwort.

Channay lachte spöttisch auf.

»Wenn alles gut geht, werden Sie morgen ins Gefängnis kommen!«

»Rettungsmannschaft unterwegs?«

»Werden von ein Uhr mittags ab erwartet.«

»Von woher?«

»Werden Sie bald genug erfahren.«

Euphratos zog sich zurück und begab sich zu Fogg. Er fand ihn auf einem Stuhl stehend und durch den Schlitz ausschauend.

»Sie wollen uns wohl aushungern?« fragte Fogg. »Gestern habe ich fast nichts zu essen bekommen.«

»Heute wird Ihre Ration sogar noch kleiner werden.«

»Wetten, daß ich sogar noch ein besseres Diner haben werde als Sie«, antwortete Fogg bedeutungsvoll.

»Vielleicht verraten Sie mir wie?« fragte Euphratos spöttisch.

»Von Ihnen, wenn wir Sie nicht lieber hinauswerfen. Sie werden uns bald auf den Knien vorwinseln, daß das alles nur ein Scherz war.«

»Sie sind ein Narr!« rief Euphratos entrüstet aus.

»Das ist ja gerade unser Glück, daß ich keiner bin!«

Euphratos stürzte wütend davon und begab sich noch einmal zu Catherine, allerdings ohne wie früher heimliche Freude zu empfinden.

Er klopfte an und fand auch sie bei seinem Eintritt auf einem Stuhl stehend, die Augen in die Ferne gerichtet. Sie wandte sich um und blickte auf die altmodische Uhr in der Ecke des Zimmers.

»Es war noch ein bißchen zu früh«, bemerkte sie kühl, während sie vom Stuhl heruntersprang.

Euphratos wußte sich vor Staunen kaum zu fassen. Was mochte nur vorgehen? Jeder seiner drei Häftlinge beobachtete die Fahrstraße, jeder erwartete heute die Rettung. Wie war das möglich, da sie keine Verbindung miteinander haben konnten, außer in seiner Gegenwart.

»Erwarten Sie Besuch, Mademoiselle?« fragte er mit schlechtverhehlter Gleichgültigkeit.

»Wir werden heute, ehe der Tag zu Ende ist. Besuch bekommen, passen Sie nur auf«, antwortete sie ruhig. »Und auch Sie.«

»Sollten sich Ihre Erwartungen nicht erfüllen, so werde ich mich heute abend bei Ihnen zu Tisch einladen.«

»Besten Dank, ich werde bis dahin aber anderwärts versagt sein.«

»Oder auch enttäuscht«, warnte er sie.

Sie lachte ihm siegesgewiß ins Gesicht.

»Ich möchte lieber meine Enttäuschung als die Ihre haben.«

Euphratos verließ bestürzt und nervös schnell das Zimmer und begab sich in das Arbeitszimmer des Schlosses, wo er seinen Rechtsbeistand, Monsieur Courvoirselle, mit Korrespondenzen beschäftigt fand.

»Nun?« rief er dem Eintretenden entgegen. »Haben Sie die Sache endlich soweit? Schließlich kann ich nicht ewig hierbleiben.«

»Noch ist nichts beschlossen«, gestand Euphratos. »Die Sache muß aber die längste Zeit gedauert haben.«

»Und was macht die junge Dame?« fragte der Anwalt mit unangenehmem Lächeln.

»Sie ist etwas schwierig zu behandeln. Aber auch das wird vorübergehen.«

Pierre trat ein und flüsterte seinem Herrn etwas ins Ohr. Die Unruhe, die Euphratos erfüllte, war plötzlich tausendfach gesteigert.

»Was ist los«, erkundigte sich der Rechtsanwalt.

»Nichts Besonderes«, antwortete sein Klient. »Seit dem Eintreffen der Gäste ist Mr. Fogg jeden zweiten Tag nach Cannes gefahren. Das Ziel seiner Fahrt ist mir soeben bekannt geworden.«

»Nun?«

»Die Polizeistation!«

»In Cannes? Wozu zum Teufel? Ich habe diesen Fogg nie ausstehen können – ein ganz Gerissener, der. Angenommen, daß – er Verdacht geschöpft und der Polizei jeden Tag Meldung erstattet hat – was dann?«

»Alles Unsinn!« rief Euphratos ungeduldig. »Würden denn die auf ihn gehört haben!«

Pierre erschien. Seine Botschaft ließ Euphratos' Augen triumphierend aufleuchten.

»Channay hat nach mir geschickt!« rief er aus. »Warten Sie.«

Er flog die Treppen hinauf, steinerne Gänge entlang, bis er atemlos zum Turmzimmer gelangte. Channay saß mit verschränkten Armen auf seinem Stuhl.

»Also Euphratos,« begann er, »ich werde Ihr verdammtes Schloß kaufen.«

»Ist das Ihr Ernst?« fragte Euphratos, der seine freudige Aufregung nur schwer meistern konnte.

»Mein voller Ernst«, versicherte Channay. »Meine Bedingungen sind: Ich gebe Ihnen mein Wort und Mr. Fogg auch. Wir werden dann keine Gewalt anwenden, aber Sie müssen uns sofort freigeben. Ich bin bereit, die Urkunde in Ihrem Arbeitszimmer zu unterschreiben, sobald – Sie mir eine Flasche Wein und etwas zu essen bringen lassen.«

»Also Sie geben mir Ihr Wort, daß Sie sich aller Gewaltakte enthalten und mein Schloß abkaufen wollen?«

»So ist's«, bestätigte Channay. »Bringen Sie Mr. Fogg zu mir, und ich werde ihm meine Entscheidung mitteilen.«

»So haben Sie klug gehandelt«, sagte Euphratos. »Warten Sie noch, bis ich die Schlüssel hole.«

 

Zehn Minuten später saßen sie alle um den großen Tisch des Arbeitszimmers, nur Fogg hatte sich zum Fenster begeben. Channay sprach dem Weine tüchtig zu. Dann sah er flüchtig die Urkunden durch, die der Rechtsanwalt ihm vorgelegt hatte.

»Wir haben es also hier«, begann Channay, »mit einer vollkommen rechtskräftigen und bindenden Grundstücksübergabe zu tun?«

Der Rechtsanwalt lächelte. »Ich habe für die ordnungsmäßige Ausfertigung gesorgt.«

»Also gut«, sagte Channay. »Ich habe hier nur noch eine kleine Änderung zu machen. Sie setzen hier als Kaufpreis des Schlosses zehn Millionen Franken an. Ich mache eine Million daraus.«

Der Rechtsanwalt staunte Channay wortlos an, während Euphratos verächtlich auflachte.

»Machen Sie sich doch nicht lächerlich, Channay!« rief er aus.

Channay war aber schon mit den Streichungen beschäftigt und stieß Euphratos von sich.

»Aufgepaßt!« rief er.

Martin Fogg wandte sich plötzlich um.

»Sie kommen!« kündete er an.

»Wer?« fragte Euphratos.

Gilbert Channay nützte die Verwirrung gut aus und nahm in dem Kaufakt verschiedene Änderungen vor. Er ließ seine Feder schnell über die Urkunde hingleiten, zeichnete sie und lehnte sich zufrieden in seinen Stuhl zurück.

»Euphratos«, sagte er, »mein Freund hier und ich mögen vielleicht etwas töricht gewesen sein, Narren sind wir aber noch lange nicht. Wir wußten, daß unsere Anwesenheit gefährlich sein würde und haben entsprechende Vorkehrungen getroffen. Mein Freund, Martin Fogg, der viele Jahre im Londoner Sicherheitsdienst stand, bekam ein Empfehlungsschreiben an den Chef der Pariser Sicherheitspolizei; dieser gab meinem Freund eines an seinen Kollegen in Cannes. Eine regelmäßige Meldung innerhalb gewisser Zeiträume ward vereinbart; wenn sie einmal ausfallen sollte – wie gestern zum Beispiel –, sollte die Sicherheitspolizei in Cannes die Ursachen auf eigene Faust erforschen.«

»Der Wagen ist schon in der Einfahrt«, verkündete Fogg. »Drei Mann sind draußen, einer davon könnte ein Gendarm in Zivil sein.«

Der Rechtsanwalt erhob sich bestürzt.

»Ich selbst habe mit der Sache gar nichts zu tun«, erklärte er schneidend. »Mein Besuch hier hat rein beruflichen Charakter.«

»Daß die ganze Geschichte ein Scherz war, muß einem jeden einleuchten«, bemerkte Euphratos beklommen.

»Ich kann Ihnen nur raten, die Verkaufsurkunde jetzt zu unterzeichnen, Euphratos. Dann steht Ihnen der Scheck heute noch zur Verfügung. Das Schloß mit Ausstattung sagt mir für eine Million Franken ganz schön zu. Natürlich müssen wir die Dienerschaft wechseln. Tut mir riesig leid, daß ich Ihre Gastfreundschaft nicht erwidern kann.«

»Eine Million Franken – einfach verrückt!« protestierte Euphratos, »wo wir noch vergangenes Jahr zwei Millionen Franken ausgeschlagen haben!«

»Eine Million Franken und damit Schluß!« bemerkte Channay. »Einmal gefaßte Entschlüsse habe ich noch nie geändert!«

Ein Auto fuhr über den Kies am Fenster vorbei und eine Sekunde später ertönte der tiefmetallene Klang der Glocke.

»Hier Euphratos«, sagte Channay, während er ihm den Federhalter hinhielt, »wenn Sie jetzt unterschreiben, dann war die Sache nur ein Scherz. Wenn nicht, dann bedeutet es für Sie eine Vergnügungsfahrt mit unseren Freunden nach der Polizeistation in Cannes.«

Euphratos unterzeichnete die Urkunde mit zitternder Hand. Channay nahm das Dokument an sich. Stimmen wurden hörbar. Es klopfte an die Türe und Pierre trat auf seinen Herrn zu.

»Etliche Herren aus Antibes wünschen das Schloß zu besichtigen …«


 << zurück weiter >>