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6. Kapitel
Blumen

Im flimmernden Dämmer eines Frühlingsmorgens, wenn die Vögel in den Zweigen geheimnisvoll leise zu zwitschern beginnen, wer hat da nicht mitunter zu fühlen vermeint, Paar um Paar hielt Zwiesprache mit den Blumen? Wahrlich, im Menschen muß das Verständnis für Blumen gleichzeitig mit der Poesie der Liebe geboren sein. Wie läßt sich das Erschließen einer jungfräulichen Seele besser versinnbildlichen als in einer Blume, lieblich in ihrer Unschuld, duftend in ihrem Schweigen? Der Mann der Urzeit, der seinem Mädchen die erste Blumenwinde brachte, tat so den ersten Schritt über das Tier hinaus. Er wurde Mensch, indem er sich über die rohen Bedürfnisse des Lebens erhob. Er betrat den Bezirk der Poesie, da er den zarten Nutzen des Unnützen begriff.

In der Freude wie in der Trauer sind Blumen unsere ständigen Freunde. Wir essen, trinken, singen, tanzen und flirten mit ihnen. Wir heiraten und taufen mit Blumen. Wir wagen es nicht, ohne sie zu sterben. Wir haben mit der Lilie angebetet und mit dem Lotos meditiert Wir sind mit Rose und Chrysantheme in die Schlacht gestürmt. Wir haben sogar versucht, uns in der Blumensprache zu unterhalten. Wie könnten wir da ohne sie leben? Uns ängstigt die Vorstellung einer Welt, die ihrer Gegenwart beraubt ist. Welchen Trost spenden sie nicht am Krankenlager, welch seliges Licht tragen sie nicht in die Düsternis müder Seelen? Ihre stille Zärtlichkeit gibt uns das schwindende Vertrauen zur Welt zurück, gleichwie der unwandelbare Blick schöner Kinderaugen uns verlorene Hoffnungen wiederbringt. Und senkt man uns in den Staub, so sind sie es wiederum, die in Trauer auf unserem Grabe ausharren.

So beklagenswert es ist, es läßt sich nicht verhehlen, daß wir uns trotz dieses Zusammenlebens mit den Blumen doch nicht gar so viel über das Tier erhoben haben. Man rühre an unseren Schafspelz, und der Wolf in uns wird sehr bald die Zähne zeigen. Es heißt, daß der Mensch mit zehn Jahren ein Tier, mit zwanzig ein Wahnsinniger, mit dreißig ein Schiffbrüchiger, mit vierzig ein Betrüger und mit fünfzig ein Verbrecher ist. Vielleicht ist er ein Verbrecher geworden, weil er niemals aufgehört hat ein Tier zu sein. Nichts ist uns wirklich, außer dem Hunger, nichts uns heilig, außer unseren eigenen Wünschen. Ein Tempel nach dem anderen ist vor unseren Augen in den Staub gesunken; ein einziger Altar nur ist geblieben, der, auf dem wir dem obersten Götzen, unserem Ich, Weihrauch streuen. Unser Gott ist groß, und Geld ist sein Prophet! Wir verwüsten die Natur, nur um ihm opfern zu können. Wir rühmen uns, die Materie besiegt zu haben, und vergessen, daß die Materie uns versklavt hat. Welche Ungeheuerlichkeiten werden nicht im Namen des Geistes und der Kultur begangen!

Sagt, ihr sanften Blumen, Tränentropfen der Sterne, die ihr im Garten den Bienen zunickt, die euch von Tau und Sonnenstrahlen vorsingen, ahnt ihr das furchtbare Schicksal, das eurer harrt? Träumt weiter, wiegt euch und spielt mit dem lauen Sommerwind, solange ihr könnt. Morgen wird sich eine rauhe Hand unbarmherzig um eure Kehlen schließen. Ihr werdet Glied für Glied aus eurer stillen Heimat gezerrt und gerissen werden. Vielleicht ist die Elende ein Wunder an Schönheit! Vielleicht gerät sie in Entzücken über eure Lieblichkeit, während ihre Finger noch feucht sind von eurem Blut. Sagt mir, ist das Güte? Vielleicht ist es euer Los, gefesselt zu werden in das Haar einer Frau, die ihr als herzlos kennt, oder in eines Mannes Knopfloch gesteckt zu werden, der es nicht wagen würde, euch ins Gesicht zu sehen, wäret ihr selbst ein Mann! Vielleicht sogar werdet ihr in irgendein enges Gefäß gesperrt werden, in dem nur faules Wasser euren wahnsinnigen Durst, den Vorboten schwindenden Lebens, zu stillen vermag.

Blumen, lebtet ihr im Lande des Mikados, so würdet ihr vielleicht einer gefürchteten Persönlichkeit mit einer Schere und einer winzigen Säge begegnen, die sich »Meister der Blumen« nennt und euch gegenüber alle Rechte des Arztes in Anspruch nehmen würde. Und ihr, ihr würdet ihn instinktiv hassen, denn ihr wißt ja, daß ein Arzt stets die Qualen seines Opfers zu verlängern trachtet. Er würde euch schneiden, biegen und in die unmöglichen Stellungen zwingen, die er euch zu geben für gut befindet. Er würde eure Muskeln krümmen und eure Knochen wie der geschickteste Chirurg entfernen. Er würde euch mit glühheißen Kohlen brennen, um euer Blut zu stillen, und euch mit Draht durchziehen, um seinen Kreislauf zu fördern. Er würde euch mit Salz, Essig, Alaun und vielleicht sogar mit Vitriol behandeln. Kochendes Wasser würde auf eure Füße gegossen werden, wenn ihr ohnmächtig zu werden drohtet, und es würde sein Stolz sein, euch ein oder sogar zwei Wochen länger am Leben erhalten zu können, als es ohne diese Behandlung möglich wäre. Wäre es euch da nicht lieber gewesen, im Augenblick eurer Gefangennahme getötet zu werden? Welche Verbrechen habt ihr in einem früheren Leben begangen, um heute einer solchen Strafe schuldig befunden zu werden?

Die achtlose Verschwendung von Blumen, so wie sie in abendländischen Kreisen üblich ist, ist indes noch grauenerregender, als selbst ihre Behandlung seitens der Blumenmeister des Ostens. Die Zahl der täglich geschnittenen Blumen, die zur Ausschmückung von Tafel und Ballsaal in Europa und Amerika dienen, um am folgenden Tage weggeworfen zu werden, muß riesengroß sein. Zur Girlande gebunden könnten sie wohl einen Erdteil umschlingen. Neben dieser krassen Nichtachtung des Lebens verliert die Schuld des Blumenmeisters jede Bedeutung. Bezeugt er doch zum mindesten Achtung vor der Ökonomie der Natur. Er sucht seine Opfer mit Sorgfalt aus und erweist ihren Überresten nach ihrem Tode die schuldige Ehre. Im Westen scheint die Verschwendung von Blumen zur allgemeinen Schaustellung des Reichtums zu gehören: Laune eines Augenblicks. Wo kommen sie alle hin, diese Blumen, wenn das Fest vorüber ist? Es gibt nichts Traurigeres als der Anblick einer welken Blume, unbarmherzig zum Kehricht geworfen.

Warum sind Blumen so schön und doch so glücklos geboren? Insekten haben ihren Stachel, und selbst das sanfteste Tier setzt sich, in die Enge getrieben, zur Wehr. Die Vögel, auf deren Gefieder man als Hutschmuck Jagd macht, können ihren Verfolgern davonfliegen; das Pelztier, dessen Fell der Mensch als Kleid begehrt, kann sich beim Nahen seines Feindes verbergen. Die einzige Blume aber, der Flügel gegeben sind, ist der Schmetterling. Alle die anderen stehen hilflos vor ihrem Zerstörer. Schreien sie in ihrer Todesangst, so dringt kein Laut davon an unser verhärtetes Ohr. Wir sind ja stets brutal zu denen, die uns in Liebe und Schweigen dienen. Aber die Zeit wird vielleicht noch einmal kommen, in der wir zum Dank für unsere Grausamkeit von diesen, unseren besten Freunden, in Stich gelassen werden. Seht ihr denn nicht, daß die wilden Blumen mit jedem Jahre seltener werden? Vielleicht haben ihre weisen Männer ihnen geraten fortzugehen, bis der Mensch menschlicher geworden ist. Vielleicht sind sie nach dem Himmel ausgewandert.

Vieles läßt sich zugunsten dessen sagen, der Pflanzen züchtet. Der Mann des Topfes ist weit menschlicher als der Mann der Schere. Mit Entzücken beobachten wir seine Sorge um Wasser und Sonnenlicht, seinen Kampf mit Parasiten, seine Furcht vor Frost, seine Besorgnis, wenn die Knospen nur langsam treiben, sein Entzücken, wenn die Blätter ihren Schmelz erhalten. Im Osten ist die Blumenzucht eine sehr alte Kunst, und die Liebe eines Dichters zu seiner Lieblingspflanze ist in Gesang und Dichtung oft geschildert worden. Mit der Entwicklung der Keramik zur Zeit der T'ang- und Sung-Dynastie erfahren wir von wunderbaren Behältnissen für Pflanzen, die nicht Töpfe waren, sondern edelsteingeschmückte Paläste. Jeder Blume ward ein besonderer Diener beigegeben, um ihr aufzuwarten und ihre Blätter mit weichen Bürsten aus Kaninchenhaar zu waschen. Dazu steht geschrieben »Ping-tze« von Yüan Chun-lang., daß die Päonie von einer stolzen Jungfrau im Staatskleid, die Winterpflaume von einem blassen, schlanken Mönch gebadet werden soll. In Japan gründet sich einer der volkstümlichsten No-Tänze, der während der Ashikaga-Periode komponierte Hachinoki, auf die Geschichte eines verarmten Ritters, der in einer kalten Winternacht aus Mangel an Brennholz seine geliebten Pflanzen schneidet, um einen Wandermönch zu bewirten. Der Mönch ist in Wahrheit niemand anders als Hojo Tokiyori, der Harun-al-Raschid unserer Märchen, und das Opfer wird natürlich nicht unbelohnt gelassen. Diese Oper rührt auch heute noch unfehlbar das Tokyoter Publikum zu Tränen.

Die größte Vorsicht ließ man walten, um zarte Blumen am Leben zu erhalten. Der Kaiser Hüan-tsung aus der T'ang-Dynastie behing sämtliche Zweige seines Gartens mit winzigen goldenen Glöckchen, um die Vögel fernzuhalten. Er war es auch, der sich zur Frühlingszeit mit seinen Hofmusikanten auf den Weg machte, um die Blumen mit lieblicher Musik zu beglücken. In einem der japanischen Klöster Sumadera bei Kobe. existiert noch heute ein wunderliches altes Täfelchen, das von der Überlieferung Yoshitsune, dem Helden unserer Artussage, zugeschrieben wird. Es stellt einen Anschlag zum Schutze eines bestimmten wunderbaren Pflaumenbaumes dar und spricht zu uns mit dem grimmigen Humor eines kriegerischen Zeitalters. Nach einem Hinweis auf die Schönheit der Blüten besagt die Inschrift: »Wer von diesem Baume auch nur einen einzigen Zweig abschneidet, soll dafür mit einem Finger büßen.« Könnten doch solche Gesetze auch heute noch gegen die in Kraft treten, die vorsätzlich Blumen vernichten oder Kunstwerke verunglimpfen!

Allein selbst in dem Verhalten Topfpflanzen gegenüber sind wir menschliche Selbstsucht zu sehen geneigt. Warum Pflanzen aus der Heimaterde nehmen und sie in fremder Umgebung zum Blühen bringen? Ist es nicht dasselbe wie Vögel in Käfigen singen und sich paaren lassen? Wer weiß, ob die Orchideen unter der künstlichen Treibhauswärme nicht ersticken und vergeblich nach einem Blick in ihren eigenen südlichen Himmel schmachten?

Der ideale Blumenfreund ist der, der die Blumen an ihren heimatlichen Plätzen aufsucht, wie Tao Yüan-ming Der berühmte chinesische Dichter bez. Philosoph., der sich vor einem zerbrochenen Bambuszaun mit der wilden Chrysantheme unterhielt, oder Lin Wo-sing, der sich bei seinen Wanderungen unter den blühenden Pflaumenbäumen des westlichen Sees in ihrem geheimnisvollen Duft verlor. Es heißt, daß Chow Mu-shih in einem Boote übernachtete, um seine Träume mit denen der Lotos zu vermählen. Und von dem gleichen Geiste war auch die Kaiserin Komyo beseelt, eine der berühmtesten Herrscherinnen der Nara-Periode, da sie sang: »Pflücke ich dich, Blume, so wird meine Hand dich besudeln. Stehend hier in den Wiesen, opfere ich dich, so wie du bist, den Buddhas der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft.«

Aber werden wir nicht allzu sentimental. Seien wir weniger üppig, dafür aber größer. Und Lao-tze sprach: »Himmel und Erde sind mitleidlos.« Sprach Kobo-daishi: »Fließe, fließe, fließe, fließe. Der Strom des Lebens eilt unablässig vorwärts. Stirb, stirb, stirb, stirb. Der Tod kommt zu allen.« Zerstörung tritt uns überall entgegen, Zerstörung oben, Zerstörung unten, Zerstörung hier, Zerstörung dort. Das einzig Ewige ist der Wechsel -- warum da den Tod nicht ebenso willkommen heißen wie das Leben? Der eine ist nichts als der Widerpart des anderen -- die Nacht und der Tag Brahmas. Durch die Auflösung des Alten wird die Neuschöpfung erst möglich. Wir haben den Tod, die strenge Gottheit des Erbarmens, unter vielen verschiedenen Namen angebetet. Den Schatten des Allverzehrenden grüßten die Gheburs in ihrem Feuer; und vor der eiskalten Reinheit der Schwertseele wirft das shintoistische Japan sich heute noch in den Staub. Das mystische Feuer zehrt unsere Schwäche auf, das heilige Schwert zerschneidet die Fesseln des Begehrens. Aus unserer Asche ersteht der Phönix himmlischen Hoffens, der Freiheit entspringt eine höhere Mannhaftigkeit.

Warum sollten wir Blumen nicht zerstören, wenn wir dadurch neue Formen entwickeln können zur Vervollkommnung der Weltidee? Fordern wir doch nur, daß sie sich an unserem Opfer an die Schönheit beteiligen. Wir sühnen die Tat damit, daß wir uns der Reinheit und Einfachheit weihen. So war der Gedankengang der Teemeister, als sie den Blumenkultus aufrichteten.

Wer mit den Bräuchen unserer Tee- und Blumenmeister vertraut ist, wird auch die religiöse Verehrung kennen, die sie den Blumen zollen. Sie pflücken die Blumen nicht nach Laune oder Belieben, sondern wählen sorgfältig jeden Zweig und jede Dolde im Hinblick auf die künstlerische Komposition aus, die sie im Sinne haben. Sie würden sich schämen, mehr zu schneiden, als unbedingt notwendig ist. Hierbei sei erwähnt, daß sie die Blätter, soweit welche vorhanden sind, stets mit den Blüten zusammenbringen, denn ihr Wille ist es, die volle Schönheit des Pflanzenlebens wiederzugeben. In dieser wie in so manch anderer Hinsicht unterscheidet sich ihre Methode von der des Abendlandes. Dort finden wir in der Regel die Blütenstengel wahllos gleichsam als Köpfe ohne Körper in die Vasen gesteckt.

Hat ein Teemeister seine Blume zur Zufriedenheit geordnet, so wird er sie für das Tokonoma, den Ehrenplatz des japanischen Zimmers, verwenden. Nichts wird in ihre Nähe gestellt werden, was irgendwie ihre Wirkung stören könnte, nicht einmal ein Bild, es sei denn, daß für eine derartige Zusammenstellung ein besonderer ästhetischer Grund vorliegt. Dort ruht sie wie ein Fürst auf seinem Thron, und die Gäste oder Jünger werden sich bei ihrem Eintritt in das Zimmer tief vor ihr verneigen, noch ehe sie den Wirt begrüßen. Von besonderen Meisterwerken der Blumenkunst werden Zeichnungen angefertigt und zur Erbauung der Kunstliebhaber veröffentlicht. Die Literatur darüber ist recht umfangreich. Ist die Blume verwelkt, so überläßt der Meister sie liebevoll dem Fluß oder vergräbt sie sorgfältig in der Erde. Ja, mitunter werden sogar Denkmäler zur Erinnerung an sie errichtet.

Die Geburt der Kunst der Blumenaufstellung scheint mit der des Teeismus im 15. Jahrhundert zusammenzufallen. Die Legende schreibt das erste Blumengebilde den frühen buddhistischen Heiligen zu, die die vom Sturm geknickten Blüten aufsammelten und sie kraft ihrer grenzenlosen Fürsorglichkeit für alles Lebende in Gefäßen mit Wasser aufstellten. Es heißt, daß Soami, der große Maler und Kunstkenner am Hofe Ashikaga Yoshimasas, einer der frühesten Meister dieser Kunst war. Juko, der Teemeister, war einer seiner Schüler, auch Senno, der Gründer des Hauses Ikenobo, eines Geschlechts, das in der Geschichte des Blumenkultus nicht minder berühmt war als das der Kanos in der Malerei. Mit der Vervollkommnung des Teerituals unter Rikyu in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts steigt auch die Kunst der Blumenaufstellung zur höchsten Blüte. Rikyu und seine Nachfolger, die berühmten Ota Wuraka, Furuka Oribe, Koetsu, Kobori Enshu und Katagiri Sekishu, wetteiferten miteinander in der Erfindung neuer Zusammenstellungen. Wir dürfen indes nicht vergessen, daß die Blumenverehrung der Teemeister nur einen Teil ihres ästhetischen Rituals bildete und nicht eine besondere Religion für sich war. Ein Blumengebilde war, ähnlich wie die übrigen Kunstgegenstände des Teeraums, dem dekorativen System des Ganzen untergeordnet. So ordnete Sekishu z. B. an, daß man sich der weißen Pflaumenblüte nicht bedienen dürfe, wenn draußen im Garten Schnee läge. »Laute« Blumen wurden rücksichtslos aus dem Teeraum verbannt. Das Blumengebilde eines Teemeisters verliert somit auch seine Bedeutung, sobald es von dem Platz entfernt wird, für den es ursprünglich bestimmt war, denn seine Linien und Proportionen sind eigens im Hinblick auf seine Umgebung ausgedacht.

Die Anbetung der Blume um ihrer selbst willen beginnt mit dem Aufstieg der Blumenmeister um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts. Der Blumenkultus wird jetzt von dem Teeraum unabhängig und erkennt kein anderes Gesetz an ab das ihm von der Vase auferlegte. Neue Begriffe und Methoden der Ausführung werden möglich, und zahlreich sind die daraus entsprungenen Prinzipien und Schulen. Ein Schriftsteller aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts berichtet, daß er über hundert verschiedene Schulen der Blumenaufstellung zählen könnte. Im großen und ganzen teilen diese sich in zwei Hauptzweige, in die formalistischen und in die naturalistischen Schulen. Die von den Ikenobos geführten formalistischen Schulen hatten sich einen klassischen Idealismus, ähnlich dem der Kano-Akademiker, zum Ziel gesetzt. Wir besitzen Berichte von den Blumengebilden der frühen Meister dieser Schule, die die Blumenbilder Sanetsus und Sunenobus fast genau wiedergeben können. Andererseits nahm die naturalistische Schule, wie ja ihr Name schon besagt, sich die Natur zum Vorbild und fügte nur solche Abänderungen ein, die zur Einheit des künstlerischen Ausdrucks beitrugen. So erkennen wir denn in ihren Werken den gleichen Impuls wieder, der zur Bildung der Ukiyo-e'schen und Shijo'schen Malerschule führte.

Es wäre interessant, gründlicher als es hier möglich ist, auf die Gesetze der Komposition und die näheren Angaben der verschiedenen Blumenmeister dieser Periode einzugehen, die sämtlich die grundlegenden Theorien dekorativer Kunst der Tokugawa-Periode darlegen. Wir finden, daß sie eines »Obersten Prinzips« (des Himmels), eines »Untergeordneten Prinzips« (der Erde) und eines »Vermittelnden Prinzips« (des Menschen) erwähnen. Jedes Blumengebilde, das diese drei Prinzipien nicht in sich vereinigte, galt als tot und unfruchtbar. Sie legten auch großes Gewicht darauf, eine Blume von ihren drei verschiedenen Seiten, der formalen, der halbformalen und der unformalen zu behandeln. Die erste stellt die Blume sozusagen in zeremonieller Balltoilette dar, die zweite in der nachlässigen Eleganz des Nachmittagskleides und die dritte in dem entzückenden Negligé des Boudoirs.

Unsere persönlichen Sympathien gehören eher den Blumengebilden der Teemeister als denen der Blumenmeister. Die erstgenannten sind Kunst in ihrer richtigen Umgebung. Sie sprechen zu uns kraft ihrer wahrhaft innigen Beziehungen zum Leben. Wir möchten diese Schule als die natürliche im Gegensatz zu den naturalistisch-formalistische Schulen bezeichnen. Der Teemeister glaubt mit der Auswahl der Blumen seiner Pflicht Genüge getan zu haben und läßt sie ihre eigene Geschichte erzählen. Betritt man spät im Winter einen Teeraum, so wird man dort vielleicht einen Zweig wilder Kirschen vereint mit einer Kamelienknospe finden: ein Echo des scheidenden Winters, verbunden mit einer Frühlingsahnung. Oder begibt man sich an einem quälend heißen Sommertag um die Mittagszeit in einen Teeraum, so wird man in der verdunkelten Kühle des Tokonomas vielleicht eine hängende Vase mit einer einzigen Lilie entdecken. Tauträufelnd scheint sie über die Torheit des Lebens zu lächeln.

Ein Blumensolo ist interessant, allein im Zusammenklang mit Malerei und Skulptur wird es zu einem berückenden Konzert. Sekishu stellte einmal eine Reihe von Wasserpflanzen in einem flachen Gefäß auf, um See- und Sumpfvegetation anzudeuten. An die Wand darüber hängte er ein Gemälde von Soami, das einen Flug von Wildenten darstellte. Ein anderer Teemeister, Shoha, verband ein Gedicht über den Reiz der Meereseinsamkeit mit einem bronzenen Weihrauchgefäß in Form einer Fischerhütte und einigen wilden Strandblumen. Einer der Gäste berichtet, er habe aus dem Ganzen der Komposition den Hauch des schwindenden Herbstes gespürt.

Der Blumengeschichten ist kein Ende. Wir wollen nur noch eine einzige nennen. Im sechzehnten Jahrhundert galt die Winde noch als seltene Pflanze in Japan. Rikyu besaß einen ganzen Garten, der nur mit ihr bepflanzt war, und den er mit großer Sorgfalt pflegte. Der Ruhm seiner convolvuli kam auch dem Taiko zu Ohren, und er äußerte den Wunsch, sie zu sehen. So lud ihn denn Rikyu zu einem Morgentee zu sich ein. An dem festgesetzten Tage wanderte der Taiko durch den Garten, ohne auch nur eine Spur der convolvuli zu entdecken. Der Boden war eingeebnet und mit Sand und feinem Kies bestreut. Mürrisch und zornig betrat der Despot den Teeraum. Dort aber harrte seiner ein Anblick, der ihm seine gute Laune restlos wiederbrachte. Auf dem Tokonoma, in einer seltenen Bronze aus der Sungzeit, ruhte eine einzige Winde, die Königin des ganzen Gartens!

Solche Beispiele lassen uns die volle Bedeutung des Blumenopfers erkennen. Vielleicht wissen auch die Blumen seine Bedeutung ganz zu würdigen. Sie sind nicht feige wie die Menschen. Manche Blumen gehen jauchzend in den Tod -- die japanischen Kirschblüten, wenn sie sich rückhaltlos dem Winde ergeben. Wer auch nur ein einziges Mal vor der duftenden Lawine von Yoshino oder Arashi-yama gestanden hat, wird es begriffen haben. Einen Augenblick lang schweben sie wie edelsteingeschmückte Wolken über dem kristallklaren Fluß; wenn sie dann auf den lachenden Wassern dahinfahren, ist es, als sprächen sie: »Leb wohl, Frühling! Wir sind auf dem Wege zur Ewigkeit.«


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