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3. Kapitel
Taoismus und Zennismus

Die Vermählung des Zennismus mit dem Tee ist sprichwörtlich geworden. Es ist bereits darauf hingewiesen, daß sich das Teezeremoniell aus den Zen-Riten entwickelt hat. Auch der Name Lao-tzes, des Begründers des Taoismus, ist eng mit der Geschichte des Tees verbunden. In dem chinesischen Schulhandbuch über den Ursprung von Sitten und Gebräuchen steht geschrieben, daß das zeremonielle Anbieten des Tees mit Kuan Yin Genauer: Kuan-ling Yin Hi »Passkommandant Yin Hi.«, einem bekannten Jünger Lao-tzes, seinen Anfang nahm, der zum erstenmal an den Toren des Han-Passes dem alten Philosophen eine Schale des goldenen Elixiers reichte. Wir wollen uns mit der Untersuchung über die Echtheit solcher Geschichten nicht abgeben; sie sind nur insofern wertvoll, als sie den frühen Gebrauch des Getränks bei den Taoisten bestätigen. Was uns am Taoismus und Zennismus hier am meisten interessiert, sind die Ideen über Leben und Kunst, die in dem sogenannten Teeismus verkörpert sind.

Bedauerlich ist, daß es eine ausreichende Darstellung der taoistischen und zennistischen Lehren in einer fremden Sprache bisher nicht gibt, wenn auch verschiedene lobenswerte Versuche dazu vorliegen. Jede Übersetzung ist an sich eine Schändung, und die beste kann, wie ein Ming-Autor einmal gesagt hat, nur sein wie die linke Seite eines Brokats: die einzelnen Fäden sind zwar alle vorhanden, es fehlt aber doch die Feinheit von Farbe und Dessin. Indessen, welche große Lehre ließe sich ohne Schwierigkeiten auslegen? Niemals haben die alten Weisen ihre Lehre in eine systematische Form gebracht. Sie redeten in Paradoxen aus Furcht, Halbwahrheiten zu sagen. Sie begannen ihre Reden wie Narren, und am Ende waren ihre Hörer Weise. Lao-tze sagt mit dem ihm eigenen launigen Humor: »Wenn Menschen niederen Verstandes vom Tao hören, lachen sie gewaltig. Das Tao wäre ja auch nicht das Tao, wenn es nicht verlacht würde.«

Wörtlich bedeutet Tao Pfad. Das Wort ist auch als der Weg, als das Absolute, das Gesetz, Natur, höchste Vernunft oder Modus übersetzt worden. Diese Wiedergaben sind an sich nicht unrichtig, denn die Bedeutung des Wortes ändert sich auch bei den Taoisten je nach dem Gegenstand ihrer Untersuchungen. Lao-tze selbst hat wie folgt von ihm geredet: »Es gibt ein Ding, das ist allumfassend und ist geboren, ehe noch Himmel und Erde waren. Welche Stille! Welche Einsamkeit! Es steht allein und wandelt sich nicht, es dreht sich, ohne sich selbst zu gefährden, und ist die Mutter des Alls. Ich kenne nicht seinen Namen und nenne es darum den Pfad. Zögernd nenne ich es die Unendlichkeit. Das Unendliche ist das Enteilende, das Enteilende ist das Entschwindende, das Entschwindende ist die Wiederkehr.« Tao ist mehr Übergang als Pfad. Er ist Geist des kosmischen Wandels, das ewige Wachstum, das in sich wiederkehrt, um neue Formen zu gebären. Er windet sich zu sich selbst zurück wie der Drachen, das vielbeliebte Symbol der Taoisten. Er faltet und entfaltet sich wie die Wolken. Das Tao kann man also als den großen Übergang bezeichnen. Subjektiv genommen ist es die Stimmung des Alls. Sein Absolutes ist das Relative.

Vor allem darf man nicht vergessen, daß der Taoismus, wie sein legitimer Nachfolger, der Zennismus, die individualistische Strömung des südchinesischen Intellekts im ausgesprochenen Gegensatz zu dem im Konfuzianismus sich ausdrückenden Kommunismus Nordchinas darstellt. Das Reich der Mitte ist so groß wie Europa, und die Differenzierung seiner Eigenarten ist charakteristisch durch die beiden großen Flußsysteme, die es durchströmen, dargestellt. Der Yang-tze-kiang und der Huang-ho sind sein Mittelmeer und seine Ostsee. Selbst heute noch unterscheidet sich der südliche Sohn des himmlischen Reiches trotz jahrhundertealter Einheit von seinem nördlichen Bruder, wie ein Mitglied der lateinischen Rasse sich von den Germanen unterscheidet. In den alten Zeiten, als der Verkehr noch schwieriger war als heute, insbesondere zur Feudalzeit, trat dieser Unterschied im Denken am stärksten zutage. Kunst und Dichtung des einen atmen einen Geist aus, der sich von dem des anderen in allem unterscheidet In Lao-tze und seinen Jüngern wie in Kutsugen (K'üh Yüan), dem Vorläufer der Naturpoeten des Yang-tze-kiang, findet sich ein Individualismus, der sich in keiner Weise mit der prosaischen Ethik der zeitgenössischen Schriftsteller des Nordens in Einklang bringen läßt. Lao-tze lebte fünf Jahrhunderte vor dem christlichen Zeitalter.

Der Keim taoistischer Spekulation läßt sich bereits lange Zeit vor Lao-tze, genannt der »Langohrige«, feststellen. Die archaischen Schriften Chinas, insbesondere das Buch der Wandlungen, spiegeln seine Gedankenwelt voraus. Allein die große Achtung, die man Gesetz und Brauch jener klassischen Periode chinesischer Kultur zollte, die im 16. Jahrhundert vor Christo mit der Gründung der Chou-Dynastie endete, hemmte auf lange Zeit hinaus die Entwicklung des Individualismus. Erst nach der Auflösung der Chou-Dynastie und der Errichtung zahlreicher unabhängiger Königreiche, konnte er sich in der üppigen Blüte der Gedankenfreiheit entfallen. Lao-tze und Soshi (Chuang-tze) waren beide vom Süden und die bedeutendsten Vertreter der neuen Schule. Andererseits suchten Konfuzius und seine zahlreichen Jünger die altväterlichen Konventionen aufrecht zu erhalten. Der Taoismus läßt sich ohne einige Kenntnisse des Konfuzianismus nicht verstehen und umgekehrt.

Wie gesagt: Das taoistische Absolute war das Relative. In der Ethik verlachten die Taoisten Gesetze und Sittenlehren der Gesellschaft, denn für sie waren Gut und Böse nur relative Begriffe. Definition ist stets Begrenzung -- das »Feste« und »Unwandelbare« sind nur Ausdrücke für ein Aufhören des Wachtums. Kutsugen (K'üh Yüan) erklärte: »Die Weisen bewegen die Welt.« Die Gesetze unserer Moral sind erzeugt von den Bedürfnissen der Gesellschaft von gestern. Soll die Gesellschaft sich denn aber ewig gleich bleiben? Die Befolgung allgemeiner Traditionen schließt ein ständiges Opfern des Individuums an den Staat ein. Bildung züchtet eine Art Unwissenheit auf, um den gewaltigen Trugschluß aufrecht erhalten zu können. Man lehrt die Menschen nicht wahrhafte Tugend, sondern nur Schicklichkeit. Wir sind böse, weil wir uns unseres Ichs entsetzlich bewußt sind. Wir vergeben den anderen niemals, weil wir uns selbst im Unrecht wissen. Wir nähren ein Gewissen, weil wir uns fürchten, den Anderen die Wahrheit zu sagen. Wir flüchten uns in unseren Stolz, weil wir uns fürchten, uns selbst die Wahrheit zu sagen. Wie können wir die Welt ernst nehmen, wo die Welt doch so lächerlich ist! Der Geist des Schachers herrscht überall. Ehre und Keuschheit? Seht, da sitzt der selbstgefällige Handelsmann und hält das Wahre und Gute feil. Selbst die sogenannte Religion ist käuflich. Die Religion, die in Wahrheit nichts ist als Alltagsmoral, geweiht von Blumen und Musik. Nehmt der Kirche ihre Kulissen, und was bleibt übrig? Und doch erfreuen diese Trusts sich eines erstaunlichen Gedeihens, weil die Preise so lächerlich gering sind. Ein Gebet ist gut für eine Fahrkarte in den Himmel, ein Diplom für ein ehrenvolles Bürgerrecht. Man stelle sein Licht rasch unter den Scheffel, denn wäre seine wahre Nützlichkeit der Welt bekannt, so würde sie gar bald von dem öffentlichen Auktionator meistbietend versteigert werden. Warum machen Männer und Frauen so gern und viel Reklame für sich? Ist's anderes als ein von den Tagen der Sklaverei überkommener Instinkt?

Die Lebensfähigkeit der Idee ruht nicht weniger auf ihrer Macht, den Geist der Zeit zu durchbrechen, als auf ihrer Fähigkeit, kommende Bewegungen zu beherrschen. Der Taoismus war solch eine aktive Macht während der T'sin-Dynastie, jener Epoche der Einigkeit, der wir den Namen »China« verdanken. Es wäre nicht uninteressant, seinen Einfluß auf die damaligen Denker, Mathematiker, Rechts- und Kriegsgelehrten, Mystiker und Alchimisten, wie auf die späteren Naturdichter des Yang-tze-kiang zu verfolgen. Ja, wir dürfen selbst jene Denker nicht übersehen, die sich mit dem Problem der Realität beschäftigten und daran zweifelten, ob ein weißes Pferd auch wirklich sei, nur wegen seiner weißen Farbe und Greifbarkeit. Und auch mit den Konversationalisten der »Sechs Dynastien« müßten wir uns eigentlich befassen, die ähnlich wie die Zen-Philosophen in Diskussionen über das Reine und Abstrakte schwelgten. Vor allen Dingen aber müßten wir dem Taoismus danken für das, was er zur Bildung des chinesischen Charakters beigetragen hat, dem er eine gewisse Reserviertheit und Vornehmheit verlieh, die »warm« war »wie Nephrit«. Die chinesische Historie birgt eine Fülle von Beispielen dafür, daß die Anhänger des Taoismus, ob Fürsten oder Eremiten, sich den Lehren ihres Glaubens mit den verschiedensten und eigenartigsten Ergebnissen hingaben. Ihre Geschichte hätte manch Quentchen Vergnügliches und Belehrendes. Sie würde reich sein an Anekdoten, Allegorien und Aphorismen. Wie gut ließe es sich plaudern mit dem scharmanten Kaiser, der niemals starb, weil er nie gelebt hat. Wir können mit Lieh-tze auf dem Winde reiten und ihn vollkommen ruhig finden, weil wir ja selbst der Wind sind, oder mitten in der Luft, bei dem Alten des Huang-ho verweilen, der zwischen Himmel und Erde lebte, weil er weder dem einen noch der anderen Untertan war. Selbst in der Taoismus-Groteske, die wir im heutigen China sehen, läßt sich in einer Fülle von Bildern schwelgen, wie sie in keinem anderen Kult zu finden sind.

Allein das wichtigste Geschenk des Taoismus an das Leben Asiens liegt auf dem Gebiete der Ästhetik. Die chinesischen Historiker haben vom Taoismus stets als von der »Kunst des In-der-Welt-Seins« geredet, denn er handelt von der Gegenwart, von uns selbst. In uns begegnet Gott der Natur, scheidet das Gestern sich vom Morgen. Die Gegenwart ist die sich bewegende Unendlichkeit, die legitime Sphäre des Relativen. Die Relativität sucht die Anpassung; Anpassung aber ist Kunst. Die Kunst des Lebens beruht in der konstanten Anpassung an unsere Umgebung. Der Taoismus nimmt das Weltliche hin, wie es ist, und sucht, im Gegensatz zu Konfuzius und den Buddhisten, nach Schönheit in unserer Welt der Pein und Klagen. Die Sung-Allegorie von den drei Essigtrinkern erläutert vorzüglich die verschiedenen Richtungen der drei Lehren. Sakyamuni, Konfuzius und Lao-tze standen einstmals vor einem Krug Essig -- dem Symbol des Lebens, und jeder tauchte seinen Finger in die Flüssigkeit, um sie zu kosten. Der real gesinnte Konfuzius fand sie sauer, der Buddha nannte sie bitter und Lao-tze erklärte sie für süß.

Die Taoisten behaupten, die Komödie des Lebens würde an Interesse gewinnen, wenn jeder sich bemühen wollte, die Einheit zu wahren. Die Proportion der Dinge einzuhalten und anderen Platz zu machen, ohne seiner eigenen Stellung verlustig zu gehen, sei das Geheimnis des Erfolges in dem Drama dieser Welt. Wir müssen das ganze Stück kennen, um unsere eigene Rolle gut zu spielen. Der Begriff des Ganzen darf in der Vorstellung des Einzelnen niemals verloren gehen. Dieser Gedanke wird von Lao-tze in seiner Lieblingsmetapher vom Vakuum illustriert. Er behauptete, daß einzig und allein im Vakuum das wahrhaft Bedeutungsvolle ruhe. Die Realität eines Zimmers ruhe zum Beispiel im leeren Raum, der von Dach und Wänden umschlossen sei, nicht in dem Dach und in den Wänden selbst. Die Nützlichkeit eines Wasserkruges wohne in seiner Leere, in die das Wasser hineingegossen werden könne, nicht in der Form des Kruges oder in dem Material, aus dem er hergestellt sei. Der leere Raum sei allmächtig, weil er allumfassend ist. Im leeren Raum allein wird Bewegung möglich. Wer aus sich selbst einen leeren Raum schüfe, in den hinein die anderen frei hineingehen könnten, wäre Herr aller Situationen. Das Ganze vermag stets die Teile zu beherrschen.

Diese taoistischen Ideen haben das Theoretische all unseres Handelns, selbst beim Fechten und Ringen stark beeinflußt. Jujitsu, die japanische Kunst der Selbstverteidigung, verdankt ihren Namen einer Stelle im Tao-teh-king. Das Jujitsu sucht den Feind zu entkräften und zu erschöpfen durch ein Nicht-Widerstehen, also ein Vakuum. Man spart die eigene Kraft auf bis zum Sieg im Endkampf. Bei der Kunst wird die Bedeutung desselben Prinzips durch den Wert der Suggestivwirkung illustriert. Indem man etwas ungesagt läßt, gibt man dem Beschauer die Möglichkeit, sich die Idee zu vollenden. Damit fesseln die großen Meisterwerke so unwiderstehlich die Aufmerksamkeit, bis der Schauende gleichsam Teil ihrer selbst wird. Ein Vakuum ist vorhanden, in das er eingeht, um es bis zum Rande mit seinem ästhetischen Gefühl auszufüllen.

Wer sich zum Beherrscher der Lebenskunst machen konnte, war der rechte Mann der Taoisten. Mit der Geburt betritt der Taoist das Land der Träume und wacht erst mit dem Tode auf zur Wirklichkeit. Er »mildert seine eigene Helle, um mit der Dunkelheit der anderen zu verschmelzen. Er zaudert wie einer, der im Winter einen Strom überschreiten muß; zögert wie einer, der seine Umgebung fürchtet; ist voller Respekt wie ein Gast; unfest wie Eis vor der Schmelze; ohne Anspruch wie ungeschnitztes Holz; leer wie ein Tal; formlos wie erregte Wasser«. Seines sind die drei Kleinode des Lebens: Mitleid, Wirtschaftlichkeit und Bescheidenheit.

Wenden wir uns nun dem Zennismus zu, so sehen wir, daß er die Lehren des Taoismus noch unterstreicht. Der Name Zen ist hergeleitet von dem sanskritischen Dhyana, das Meditation bedeutet. Der Zennismus will durch geweihte Meditation die höchste Selbsterkenntnis errungen wissen. Die Meditation ist einer der sechs Wege, die zur Buddhaschaft führen; und die zennistischen Sektierer behaupteten, daß Sakyamuni in seinen späteren Lehren besonderes Gewicht auf diese Methode gelegt und ihre Regeln seinem Hauptjünger Kasyapa Übermacht habe. Der Überlieferung nach gab Kasyapa, der erste der Zen-Patriarchen, das Geheimnis an Ananda weiter, der es seinerseits dem folgenden Patriarchen überlieferte, und so fort bis auf den Achtundzwanzigsten, Bodhidharma. Bodhidharma kam in der früheren Hälfte des sechsten Jahrhunderts nach Nordchina und wurde der erste Patriarch der chinesischen Zennisten. Um die Geschichte dieser ersten Patriarchen und ihrer Lehre ist viel Ungewißheit. Seiner äußeren Philosophie nach scheint der frühe Zennismus einerseits mit dem indischen Negativismus von Nagarjuna, andererseits mit der von Sankaracharya formulierten Gnan Vielleicht Druckfehler für jnana.-Philosophie verwandt zu sein. Die erste Lehre der Zennisten, so wie wir sie heute kennen, muß Eino Hui-neng, dem sechsten chinesischen Patriarchen (637-713) des wegen seiner Vorherrschaft in Südchina sogenannten »südlichen Zennismus« zugeschrieben werden. Ihm folgt kurz darnach der große Baso (Ma-tsu, 788 gestorben), der den Zennismus zu einer lebendigen Kraft im Reiche des Himmels gestaltete. Hyakujo (Peh-jang, 719-814), der Schüler Basos, gründete das erste Zen-Kloster und stellte Ritual und Regeln für seine Verwaltung auf. In den Disputen der Zen-Schule nach Baso finden wir die geistigen Spielarten des Yang-tze-kiang am Werk, die einheimischen Gedankenrichtungen, im Gegensatz zum einstigen indischen Idealismus, zu vervielfältigen. Was auch Sektiererstolz dagegen behaupten mag, man wird unwillkürlich betroffen durch die Ähnlichkeit des südlichen Zennismus mit den Lehren Lao-tzes und den taoistischen Konversationalisten. Bereits im Tao-teh-king finden wir Anspielungen auf die Bedeutung der Selbstbesinnung und auf die Notwendigkeit, den Atem richtig zu regulieren -- wesentliche Einzelpraktiken der zennistischen Meditationsübungen. Auch einige der besten Kommentare zu den Werken Lao-tzes sind von den zennistischen Gelehrten geschrieben worden.

Der Zennismus ist wie der Taoismus Kult der Relativität. Einer seiner Meister definiert Zennismus als die Kunst, den Polarstern an der südlichen Himmelskugel zu fühlen. Wahrheit läßt sich nur durch Erfassen der Gegensätze begreifen. Wiederum ist der Zennismus, ganz wie der Taoismus, ein strenger Anwalt des Individualismus. Nichts ist wirklich mit Ausnahme des Inhalts unserer Gedanken. Eino, der sechste Patriarch, sah einst zwei Mönche eine im Winde flatternde Fahne einer Pagode beobachten. Der eine sagte: »Es ist der Wind, der sie bewegt«, der andere behauptete: »Es ist die Fahne, die sich bewegt.« Eino aber erklärte ihnen, daß die Bewegung in Wahrheit weder im Winde noch in der Fahne läge, sondern in einem Etwas in ihnen selbst. Hyakujo ging im Walde mit einem Jünger spazieren, als ein Hase bei ihrem Nahen flüchtete. »Warum flieht der Hase vor dir?« fragte Hyakujo. »Weil er Angst vor mir hat«, lautete die Antwort. »Nein,« erwiderte der Meister, »weil du einen mörderischen Instinkt hast.« Dies Gespräch erinnert an das, was Soshi (Chuang-tze), der Taoist, sagte, als er eines Tages am Ufer eines Flusses mit einem Freunde spazieren ging. »Wie herrlich sich die Fische im Wasser ihres Lebens freuen!« rief Soshi. Sein Freund aber sprach zu ihm also: »Du bist kein Fisch; woher weißt du also, daß die Fische sich ihres Lebens freuen?« »Du bist nicht ich,« erwiderte Soshi, »woher willst du also wissen, daß ich nicht weiß, daß sich die Fische freuen?«

Der Zennismus stand nicht selten im Widerspruch zur buddhistischen Orthodoxie, wie ja auch der Taoismus zur konfuzischen. Der transzendentalen Einsicht der Zennisten galten Worte nur als Hemmschuhe der Gedanken, die ganze Sammlung buddhistischer Schriften nur als Kommentare zur persönlichen Spekulation. Die Anhänger des Zennismus strebten nach direkter Verbindung mit dem inneren Sein der Dinge und betrachteten ihre äußeren Eigenschaften nur als Hindernisse für die klare Durchdringung der Wahrheit. Diese Liebe zum Abstrakten war es auch, die die Zennisten dazu führte, Skizzen in Schwarz und Weiß den komplizierten farbigen Malereien der klassisch buddhistischen Schule vorzuziehen. Ja, einige Zennisten wurden durch ihr Streben, lieber den Buddha in sich als in den Bildern und Symbolen zu erkennen, sogar Bilderstürmer. Wir sehen Tankaosho eines Wintertages eine Holzstatue eines Buddha zertrümmern, um damit Feuer zu machen. »Welch eine Schändung!« meinte entsetzt ein Zuschauer. »Ich will nur die Shari (she-li) Die kostbaren Edelsteine, die sich nach Verbrennung in den Körpern (sarira) der Buddhas bilden sollen. aus der Asche gewinnen«, erwiderte gelassen der Zennist.

»Aber aus diesem Bildwerk wirst du nie und nimmer Shari gewinnen«, lautete die zornige Antwort, auf die Tanka erwiderte: »Wenn mir das mißlingt, so ist es entschieden kein Buddha und dann begehe ich auch keine Schändung.« Und damit kehrte er ihm den Rücken, um sich an dem aufflammenden Feuer zu wärmen.

Ein besonderes Geschenk der Zennisten an die Philosophie des Ostens aber war ihre Anerkennung des Weltlichen als gleichberechtigt mit dem Geistigen. Sie behaupteten, daß es in der großen Verwandtschaft der Dinge miteinander kein Großes und Kleines gäbe. Ein Atom trug für sie die gleichen Möglichkeiten in sich wie das All. Der Sucher nach Vollkommenheit sollte in seinem eigenen Leben den Widerschein des inneren Lichtes finden. Der Aufbau der Zen-Klöster war für diesen Standpunkt sehr bezeichnend. Jedem Mitglied, ausgenommen dem Abte, war ein besonderes Amt in der Klosterpflege übertragen, und merkwürdigerweise erhielten die Novizen die leichteren Pflichten zugemutet, während die am meisten geachteten und fortgeschrittenen Mönche die beschwerlichen und niedrigen Arbeiten verrichten mußten. Diese Art Dienstleistungen bildeten einen Teil der zennistischen Disziplin. Jede, auch die kleinste Handlung mußte bis in das Letzte vollendet geleistet werden. So ist manche gewichtige Diskussion beim Unkrautjäten, Rübenschaben und Teereichen entstanden. Das ganze teeistische Ideal ist eine Folge der zennistischen Anschauungsweise, die auch in den kleinsten Begebenheiten des Lebens das Große sah. Der Taoismus lieferte die Basis für die ästhetischen Ideale, der Zennismus setzte sie in die Praxis um.


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