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Sechstes Kapitel.

Rüdesheimer trinken ist auch nicht schriftstellern.


Hätte Viktor seinen Schreibtisch angesehen, ehe er sich zur Ruhe begab, so wäre er nicht mit dem Gedanken eingeschlafen: Also morgen nach Au im Winkel. Dort lag nämlich ein abgerissenes Blatt, mit Bleistift bekritzelt, und Viktor entzifferte mühsam am nächsten Morgen folgende Botschaft:

 

Lieber Servaz!

Da komme ich heute hierher und höre rein zufällig von einem Polizeidiener, einem Prachtexemplar dieser Sorte, der mir den Weg zu deinem Nachbar Säuerlich zeigte, daß du als die derzeitige größte Sehenswürdigkeit Haßlachs hier bist, und daß man dich entweder bei Frau Schwendeli findet, wovon ich das Gegenteil soeben erlebe, oder bei einem Kleinkrämer Allgäuer, den der Himmel kennt, aber nicht ich. O Servaz, benimmt man sich so? Habe die Güte, dich angesichts dieses in das Hotel zur Himmelsleiter, Zimmer Nr. 22, zu verfügen! Ich bin nur bis Montag hier.

Dein treuer Pankraz,
königlicher Baugehilfe mit Diäten.

 

Dieser Zettel verriet mit keinem Worte, daß er während eines Dialogs zustande gekommen war. »Also hier wohnt wirklich Herr Viktor Narzissus Zangkel?« hatte der Schreiber gefragt, und Frau Schwendeli hatte lächelnd beteuert, er wohne hier. – »Hat er immer noch alle seine Sachen in so beleidigender Ordnung?« – Frau Schwendeli schlug die Augen bewundernd zum Himmel auf. – »Und ist er immer noch so tiefsinnig unspaßhaft?« – Frau Schwendeli nickte, lächelte und sagte: »Ja, ein ernster junger Herr!« – »Und legt er immer noch zu Hause schlechtere Kleider an, um die guten zu schonen?« – – Hier verstummte Frau Schwendeli aus Unkenntnis. – »Und steht er immer noch so unmenschlich früh aus?« brummte der Schreibende weiter und achtete nicht auf die Antwort der Wirtin. »Und was zum Henker hat er denn mit den Schulen zu tun, der uniformierte Schreckensmann redete da was von Schulen inspizieren?« – Frau Schwendeli vermutete, daß es mit seiner Schriftstellerei zusammenhänge.

Von diesem denkwürdigen Zwiegespräch also gab der Zettel keine Andeutung, der von Viktor mit großer Überraschung gelesen wurde, und ehe eine Stunde vergangen war, wurde der Herr aus Nr. 22 durch den Zimmerkellner ohne allen Erfolg geweckt, eine halbe Stunde später aber durch Viktors Stimme mit ganz entschiednem Erfolge. Wenn Ernst Windisch, genannt Pankraz, ein paar Tage später seinen Eltern schrieb, Viktor habe ihn in die Kirche geschleppt, er habe ihn dafür zu einem solennen Diner geschleppt, so war diese gewalttätige Ausdrucksweise doch die Umschreibung zweier unbestreitbarer Tatsachen. Das »solenne Diner« fand in der Himmelsleiter statt, und zwar an einem kleinen Tische, wo die Freunde ungestört von der allgemeinen Tafel sich selbst leben und ihre Erinnerungen austauschen konnten, nachdem Pankraz zuerst den Freund weidlich mit seinem unerklärlichen Interesse am Schulwesen geplagt und dann humoristisch genug seine Irrfahrt in und um Haßlach und seine Rettung durch Belloff vor den schönen Mauern, Türmen und Gräben, die die Stadt noch ungestört im Westen begrenzten, geschildert hatte.

»Und denke dir, da ist ein Stadtverordneter Kibitz, der hat den Antrag gestellt, die Mauern und Türme abzutragen und die Gräben auszufüllen, damit man Bauplätze zur Erweiterung der Stadt gewinne. Das nennt der Kerl Hebung der Stadt, wenn er sie flach macht! Und diese Stadtväter nehmen die ›Motion Kibitz‹, wie sie diese Roheit nennen, in Überlegung, statt diesen Kibitz überzulegen, wie es ihm gebührt!«

»Ja, Ernst, das ist das garstige Geschlecht, das in allem die Goldgrube für sich findet, und dem alles Schöne und Herrliche nur der störende Schutt und das taube Gestein ist, das sie hinwegwühlen müssen, damit ihr gieriger Sinn zum Golde gelangt,« sagte Viktor. Er dachte an Frau Sonnenschein und ihren Zorn über die unersättlichen Midassöhne, aber er sagte nicht, wer ihm von dieser Art Goldgräber geredet hatte.

»Nun, Servaz, keiner von uns Gilderichen wird je dieser oder jeder andern Motion Kibitz' zustimmen, wo in der Welt sie auch eingebracht werde, und was uns ihre Ablehnung auch kosten möge,« rief Ernst und stieß mit dem Freunde fröhlich mit goldnem Rüdesheimer an.

Und damit war den Universitätserinnerungen die Türe weit geöffnet, und sie strömten und drängten sich herein. Die Abende in der kleinen Kneipe, die enge Verbindung der wenigen Freunde, die die »Gilde« bildeten, der Ehrgeiz der »Kibitzkinder«, in die Gilde aufgenommen zu werden, und das Ablehnungsgenie der Gilderiche, die »Fahrt nach dem Topfe« zur Erwerbung der sieben gleichen Bierkrüge, die naturgemäße Entstehung der Gildesatzungen, ihre »Selbwachsenheit«, wie der Germanist in der kleinen Schar diese Entstehung genannt hatte, das alles zog in lebhafter Rede und Gegenrede mit dem Einklingen der Sehnsucht oder mit frohem Lachen, während sich die Wangen röteten, an den Freunden vorüber. – »Servaz, wo ist das Notizbuch?« »Ja, das alte, in dem die Satzungen stehen, liegt in Endenburg wohl verschlossen.« – »Nun, das erste Gesetz, das wird uns allen unvergessen bleiben!« – Viktor erwiderte lachend: »Wer sich in die Gilde begibt, kommt darin um.« – »Ja,« sagte Ernst, »nachher kam der Trost für die Erschrockenen: Die Gilde ist zartfühlend.« – »Und,« fiel Viktor ein, »die Gilde weiß, was sich ziemt. – Ach, das war ein schöner Abend, wo wir diese zwei ›Prinzipien‹ durch Korollarien erläuterten: Die Gilde ist edelmütig, die Gilde weiß Schmähungen zu vergessen.« – Behaglich fiel Pankratius ein: »Die Gilde ist leutselig!«

Beide lachten und sahen sich an und lachten wieder, das schöne, gottwohlgefällige Lachen der Erinnerung an den hochwallenden Strom des Jugendlebens. Die Gläser klangen zusammen und der alte, liebe Ruf: »Heil! Gilde Heil!« erscholl wieder wie vordem.

»Das war einer deiner Beiträge zu den Satzungen, Servaz: Jeglicher Trinkspruch ist nur eine Umschreibung von Heil! Gilde Heil!« Viktor sah den Freund mit fröhlichen Augen an und sagte: »Weißt du noch, wie dein Vater über deinen Anteil an den Satzungen erschrak?« – »Ja,« sagte Ernst, »das war ein lustiger Schrecken, als die Mutter in den ersten Weihnachtsferien die Gildesatzungen in meinem Reiseköfferchen vorfand, und ich mit Stolz meinen Paragraphen vorlas: Die Gilderiche haben kein Eigentum, alles Vermögen gehört der Gilde. Aber wie hieß doch der Satz, den Bonifaz beisteuerte, weißt du noch, damals als wir in der Weinlaube über dem Flusse saßen, und der Jüngste davon sprach, daß es Zeit zum Aufbruche sei?« – »Ach ja,« sagte Viktor, »da sprach er das große Wort gelassen aus, das so fort in die Satzungen der Gilde aufgenommen wurde: Die Gilde ist schöpferisch, aber nie erschöpft. – Und wie wir uns gegen die Lederköpfe abgrenzten, Leute, die die Karriere in der Tasche und die Jugend in den Examenkompendien hatten: Die Gilde kennt keine Gründe – die Gilde hört selten neues.«

»Gerade aber aus diesem Kreise,« erzählte Ernst, »haben junge Landsleute von mir nach unserm Weggange von der Hochschule eine neue Gilde zu gründen gesucht, aber die Selbwachsenheit fehlte, eine Gilde gründet sich nicht, sie ist immer da, oder sie ist nie da. Höre nur die Namen, die sie sich gegeben haben: Lemmo der Undurchdringliche, Unk von Trist-Einsamkeit, und was sonst noch solcher spitzfindigen, ausstudierten Namen. Wir hatten echte Freude und dann, wenn's Not tat, auch Verstand; aber diese Lederköpfe haben nur durch ihren Verstand Freude. Wie hübsch machte sich das mit unsern Übernamen. Unser Ältester, das Haupt der kleinen Gemeinde, war am 14. Mai geboren, du, Viktor, am 13., ich am 12., der Zufall fertigte das Epigramm, wir verstanden es, lachten und machten es uns zu nutze. – Ja, die andern vier noch mehr: wenn es schlechtes Wetter an den Tagen der Eismänner gab, so wurden wir die drei Tage in alle Kosten des Verfahrens verurteilt, und nur einmal, in dem letzten wunderherrlichen Frühling vor unserm Weggange waren wir ›aus Anerkennung unsrer hervorragenden Verdienste um die gute Witterung‹ die Gäste der andern.«

Wieder glänzten die Augen heller und wieder klangen die Gläser zusammen. Dann verstummten beide. Endlich fuhr Ernst auf: »Da haben sie auch von unsern Gildesatzungen etwas läuten hören und auch solche erfunden, ein Bekannter hat mir drei abgeschrieben, höre nur! Die Gilde verwirft nicht die Unterbrechung der Ferien durch das Semester, denn sie ist gesellig; die Gilde lernt die Namen der Professoren aus dem Adreßkalender kennen; die Gilde ist bescheiden, sie wartet auf den Besuch der Professoren!« – »O,« rief Viktor lebhaft aus, »wir waren harmlos und fleißig und jung, aber das sind offenbar spitzfindige, faule und blasierte Menschen, die setzen an die Stelle unsers edeln Rüdesheimers einen Liqueur und trinken Jugend nicht aus Römern, sondern aus elenden Spitzgläschen! Ernst, wir kannten diese Sorte noch nicht, das sind keine Lederköpfe, sondern Egoisten, die die Art der Jugend kapitalisieren, um sich den Schein des Reichtums zu verschaffen und das funkelnde Gold der Jugend in ihr schändliches Kibitzgold zu verwandeln!«

» Pereant!« sagte Ernst so trocken, daß Viktor lachen mußte. Dann fuhr er fort: »Es ist, als ob Säuerlich ihr Präsident wäre!«

»Ah, mein Nachbar. Sage, wie kommst du zu dem?«

»Ich kenne ihn von einem Baubüreau aus, wo wir zusammen gearbeitet haben, und hatte ihn diesmal aus Auftrag zu besuchen; er hat die Pläne zu einem neuen Schulhause hier entworfen, und zwar mit vieler Einsicht (was dich freuen wird); als ich ihn gestern aufsuchte, um seine Pläne vorher noch genau anzusehen und mich dann von ihm führen zu lassen, sah ich, daß der Grimmige Recht hatte, und du sein Nachbar bist – o, Servaz, er gab mir ja etwas mit für dich, ich habe es über der Gilde ganz vergessen!«

Bei diesen Worten nahm er einen Brief aus der Tasche und reichte ihn Viktor hin. Dieser legte ihn neben sich und sagte: »Es eilt nicht, ich breche ihn nachher auf, mir ahnt, was darin steht. Aber sage nur, was weißt du von ihm? Mir ist, als ob er doch etwas mehr sein könnte, als Präsident der Lederköpfe.«

»Wir stammen aus derselben Stadt, er ging ein paar Klassen vor mir ins Realgymnasium. Hier galt er als ein Rechthaber und Spielverderber und ein Befangenmacher, der an Gegner und Freund rasch die schwache Seite herausfand, so daß ihm seine Mitschüler den Spitznamen ›Accusativ‹ gaben; auf der technischen Hochschule, die er nachher besuchte, nannten sie ihn ›Essig‹, er mochte sich dagegen wehren, so viel er wollte.«

»Doch muß etwas an ihm sein!«

»Ja, ja – er ist ehrlich, aber ein Übertreiber. Er hat Freude am Schönen, das sehe ich als Fachmann recht gut; er hat Geschmack, aber es fehlt ihm, damit ich einmal einen Hasen schieße, der auf deinen Feldern läuft, die Magie des Blicks, die über die Außenseite hinausgeht, oder er hat jene Störrigkeit des Auges, die nur eins sehen will und das andre leugnet.«

»Ja, das muß es sein,« sagte Viktor; »die liefern Adern der Gutartigkeit wird erst eine Frau in ihm erschließen, die stärker ist als er, stärker im Glauben, stärker im Lieben, und ihm überlegen durch das ungestüme Samaritertum einer rechten Frau. Da wird er zu sich selbst kommen!«

»Servaz! Woher kommt dir diese Kunde von der Samariterin und Philipp Säuerlich?«

Viktor gab auf die zweite Frage bereitwillig Antwort und erzählte von der wunderlichen Sendung, die durch das Fenster zu ihm hereingekommen sei und nur von dem Nachbar herrühren könne, der irgendwie – hier sprach Viktor, als würgte ihn etwas in der Kehle – den Titel des Buches, das er schreiben wolle, erfahren habe. – »Ja, ja, das kommt von ihm, so ist er,« schaltete Ernst ein, »über deine Schriftstellerei aber erwarte ich ein umfassendes Bekenntnis!« – »Und nun hat er die neue Sendung etwas manierlicher beabsichtigt,« fuhr Viktor fort, als hätte er Ernsts Zwischenbemerkung nicht gehört, und da kamst du ihm als Vermittler sehr gelegen, offenbar auch darum, daß ich den Absender in beiden Fällen erkennen sollte. Nun höre, was er schreibt, du wirst sehen, daß er kein Kibitzkind ist.«

»Laß es uns draußen lesen mit dem Blick auf die schönen Türme und bunten Gärten in euerm alten Wallgraben,« schlug Ernst vor, »da vertrage ich den Bruder Accusativ besser als hier im engen Zimmer.«

Und aus einer Bank inmitten blühender Syringenbüsche las Viktor dem Freunde folgendes vor:

Midaskinder.

2. Friedensrichter Schaal.

Letzten Karfreitag benutzte ich den freien Tag zu einem Ausfluge und fuhr mit dem ersten Frühzug ab. Ich fand leere Wagen und setzte mich in eine Ecke, wie sie mir paßte, und schaute auf den Bahnsteig hinaus. Da kam eilig ein junger Herr daher, mehr getrippelt, als es ein Gang war, der nach einem rechten Gang aussah, und war ganz über alle Maßen festtäglich gekleidet, »hochfein,« alles neu, ich muß sagen geschmacklos neu, denn ein Mensch, der nach dem Laden schmeckt, weiß nicht, wie unfein er aussieht. Dieser Jüngling wußte es wenigstens nicht.

Er steuerte geradeswegs auf mich zu. Offenbar so ein lästiger Mensch, dachte ich, der nicht seinem Schöpfer dankt, wenn er allein fahren darf, sondern der Augen, Ohren und Mund brauchen muß, damit es ihm wohl ist. Er grüßte vertraulich, aber ich nahm keine Notiz von ihm. Dann grüßte er alle, die nach ihm hereinkamen, zuerst. Zwei Soldaten kamen, dann ein Einjähriger von den Ulanen – alle drei gingen in Osterurlaub; endlich erschienen noch zwei Bürgermädchen mit ihrem alten Vater, und mit allen kam er ins Gespräch – mit dem Alten über das Wetter, den Soldaten suchte er sich durch einige Mitteilungen über die zunehmende Schwere des Dienstes und das täglich frühere Ausrücken der Kompagnien angenehm zu machen, die Mädchen fragte er wiederholt in einem rücksichtsvollen Flötenton, ob sie nicht lieber den Rücksitz wollten, und auch mich lächelte er einigemal so etwas fragweise an; aber ich musterte still seine dürren Beine, die wie der ganze leibarme Kamerad in einem hellen, großkarrierten Anzuge steckten, seinen dürren, gelben Schnurrbart und machte im übrigen ein Gesicht, als spräche ich nur Spanisch, und er zu viel Deutsch.

Als der Schaffner kam, suchte der eine Soldat sehr lange an seiner Fahrkarte; sobald er an einer der nächsten Halte ausgestiegen war, beeilte sich der Großkarrierte zu dem Schaffner zu sagen, wie rücksichtslos die Reisenden oft den Herren Kondukteuren gegenüber wären; es könne doch jeder seine Karte bereit halten. Seine Karte stak im Hutband an der Stelle, wo solche Jünglinge sonst Edelweiß zu tragen pflegen. Vielleicht hatte er das auch, ich weiß es nicht mehr.

Mensch, woher kenne ich dich? fragte ich mich immer im stillen. Ich muß dich irgendwo gesehen haben! Aber wo?

Als er nach zwei Stunden abzog, unter vielen Entschuldigungen Füße vermied und Füße trat, und seinem Abzug noch etwas von der schwebenden und tänzelnden Art verlieh, sah ich ihm immer noch fragend nach. Wie er aber den Bahnhofsvorstand grüßte, neben ihm stehen blieb und den abfahrenden Zug musterte, dahin und dorthin die behandschuhte Hand zu einem Gruße schwenkte, da fiel es mir aus einmal ein, wer dieser Mensch war. Fast hätte ich laut gesagt: Du bist ja der Friedensrichter Schaal oder sein später, ihm beneidenswert ähnlicher Urenkel! Natürlich! Daß ich dich nicht gleich erkannte! Ich kenne ja dich und deinen Bruder! Neulich fuhr deiner Mutter andrer Sohn in einer Wagenabteilung voller Arbeiter, die sich nach harter Tagesarbeit ausruhten, d. h. sie sangen, rauchten, stießen sich mit den Ellenbogen wie Schuljungen und erzählten sich Tagesvorkommnisse in den Fabriken, daß es auf ein allgemeines Geschrei herauskam. Er blickte entrüstet um sich und warf mit Stirnrunzeln und resigniertem Zucken der Achseln die Angel seiner Entrüstung auch in unsre Abteilung, aber ohne jeglichen Erfolg. Als die nächste Station kam, stieg er eilig aus, und nachdem die Tür hinter ihm geschlossen war, und er sich in Numero Sicher wußte, sprang er noch einmal auf das Trittbrett und schrie durch das offne Fenster herein: »Ich wünsche Ruhe in meinem Koupee!«

Gleiche Brüder, gleiche Kappen! Du hast dir mit deinem flotten Hütchen und deinem goldnen Zwicker und deiner großen goldnen Uhrkette und mit dem großkarrierten Anzug eine feine Mütze über die Ohren gesetzt; aber sie sind etwas lang und ungebärdig, diese Ohren, mein Guter, sie wollen an das Licht und die Luft und der Welt sagen, daß du so ein armes Mitglied der großen Schar derer bist, die von der Zustimmung andrer leben, die unglücklich sind, wenn ihnen niemand zuhört, wenn sie nicht jemand Recht geben können, wenn sie nicht allen zugleich Recht geben können, und die mitlächeln, wenn andre lächeln, und mitentschuldigen, wenn andre entschuldigen – Menschen, nach unten hochmütig und zugleich auf die Brocken erpicht, die von den Tischen derer fallen, von denen sie nicht ignoriert werden.

Nun, Friedensrichter Schaal, ich verweigere dir die Zustimmung zu deiner Existenz. –

Ernst schwieg, nachdem Viktor dieses Blatt vorgelesen hatte; vielleicht bedachte er Säuerlichs Wesen und diese Kriegserklärung, vielleicht dachte er auch dieselben Gedanken, die dann Viktor äußerte, und denen er mit dem energischen Ausrufe zustimmte: »Dieser Schaal ist als sein eigener Großvater auf die Welt gekommen! Im übrigen, Servaz: Heil! Gilde Heil!«

Der Tag ging für die Freunde zu Ende, wie sie es in der alten Zeit gewöhnt waren, in belebtem Einklang von Wort und Widerwort, und am Abend verabschiedeten sie sich mit dem Zurufe: »Also morgen früh um sieben Uhr nach Au im Winkel!« – »Auf die Studienreise,« fügte Ernst ein wenig satirisch hinzu; Au lag auf seinem Rückwege, aber was Viktor dort zu tun hatte, war ihm doch ein Rätsel.


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