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4. Entführung. Figaro. Don Juan.

(1781-87)

Es wird berichtet, Mozart habe auch in späteren Jahren den Idomeneo noch ganz vorzüglich geschätzt, und gewiß ist, daß Kenner diese Musik immer ausgezeichnet haben: sie verbindet jugendliche Frische und Lebenskraft mit einer großen Mannichfaltigkeit der Erfindung und Charakteristik in der Kunst. So ist begreiflich, daß das Bewußtsein solchen Könnens, zumal während er an dem Werke selbst arbeitete, Mozart den Busen höher schwellen machte und daß ihm in solchen Augenblicken die Erinnerung an die Salzburger Enge und »Chicane« wahrhaft lebentödtend sein mußte. »Hinaus! hinaus ins Weite und Freie!« mußte es jetzt heißen wie vier Jahre zuvor. Und hatte nicht das nahe Wien, damals Deutschlands Hauptstadt, sich jetzt auch geistig hoch aufgethan und Kaiser Joseph sogar ein deutsches Nationalsingspieltheater errichtet?

Schon im December 1780 hatte Wolfgang geschrieben, wie es denn mit seinem Urlaub stehe? Er sei wahrlich nur ihm, dem Vater zulieb in Salzburg, denn bei Gott, wenn es auf ihn ankäme, hätte er diesmal an seiner Anstellung die Nase geputzt: »mir wird bei meiner Ehre der Fürst und der stolze Adel alle Tage unerträglicher.« Es werde ihm leicht sein bei der jetzigen »großen Protection« in München auch ohne feste Anstellung durchzukommen, es sei zum Weinen, wenn man an diese Salzburger Verhältnisse denke. Doch durfte er diesmal auch über den Urlaub hinaus bleiben, der Erzbischof weilte Geschäfte halber in Wien, und so konnte er sich jetzt nach vollendeter Oper noch eine Weile in München ausruhen und an den Freuden des Carnevals theilnehmen, während er sonst höchstens bei der lieben Rose und »den Cannabichschen« gewesen war.

Da traf ihn denn mitten in solcher jugendlichen Ausgelassenheit, die nach der gewaltigen Anspannung aller Geister durch viele Monate nur zu natürlich erscheint, um Mitte März 1781 der Befehl des Erzbischofs nach Wien zu kommen. Hieronymus sah die Fürsten dort prunken, warum sollte »Seine hochfürstliche Gnaden« dabei fehlen? Die acht schönen Schecken waren schon dort, das Personal des Hofhalts folgte nach, und wenn es bei Festen mit Musik zu glänzen galt, wer hatte dann einen Mozart aufzuweisen? So kam dieser unvermuthet ans Ziel seiner Wünsche, nach Wien, und die Verhältnisse brachten es mit sich, daß er auch dort verblieb.

Zunächst ist er wohl aufgenommen, allerdings bei Tisch mit Köchen und Kammerdienern, die er durch Schweigen und »große Seriosität« von sich fern zu halten hat. Aber schon jetzt heißt es, der Erzbischof »glorire« sich nur mit seinen Leuten. Denn wenn sich für Mozart eine Gelegenheit zeigte sein Können in andern Adelshäusern zu produciren, versagte er die Erlaubniß, und doch war dort allein auch der Kaiser Joseph zu treffen, auf den für ihn jetzt alles ankam. Vielmehr ließ er ihn jetzt seine Abhängigkeit doppelt fühlen. Der Vater beschwichtigt nach Kräften. Doch Wolfgang fühlt, daß den Erzbischof in Betreff seiner Person nur sein Ehrgeiz kitzele, im übrigen sei ihm derselbe »wie ein Lichtschirm«. Auch sollten sie immer nur gleich den Bedienten sich an den Wänden umherdrücken. Mozart aber meldet, wie er bei einer Production beim Fürsten Galizin sich von den übrigen Musikern völlig getrennt und gerade durch in das Musikzimmer zum Wirthe gegangen und bei ihm stehen geblieben sei. Für seine Compositionen zu den erzbischöflichen Abenden ward ihm nichts gezahlt. Ein Concert für die Musikerwittwen in der jetzigen Haydn-Gesellschaft hatte Mozart allerdings durch seine Kunst verschönen helfen dürfen, weil »die ganze Noblesse Wiens den Herrn Erzbischof darum gequält hatte.« Ein eigenes Concert auf diesen außerordentlichen Beifall hin zu geben erlaubte derselbe jedoch nicht. Am härtesten aber traf unseren Künstler die Nachricht, daß sie demnächst nach Salzburg zurückkehren sollten. Er ließ also zunächst alle solche Andeutungen darauf unbeachtet, um nur erst ein Concert zu geben. Dazu zeigt sich eine Aussicht auf Anstellung in der Kaiserstadt selbst. Allein der Vater daheim will auf nichts eingehen.

Da schreibt nun Mozart plötzlich »in der natürlichen deutschen Sprache, weil es die ganze Welt wissen solle und dürfe,« daß der Erzbischof es nur ihm, seinem besten Vater, zu danken habe, daß er ihn gestern nicht auf immer verloren habe. Er habe bei dem gestrigen letzten Concert im Palais gar zu viel Verdruß gehabt. Und nach kurzer Zeit kommt denn auch der Ausbruch des Zwiespaltes. »Ich bin noch ganz voll der Galle,« heißt es, »man hat so lange meine Geduld geprüft, endlich ist sie aber doch gescheitert.« Der Erzbischof hatte ihn schon zuvor einmal einen »Buben, einen liederlichen Kerl« genannt, der weitergehen solle. Mozart hatte es um des Vaters willen ertragen. Dann hatte man ihn plötzlich ausziehen heißen, und er war zur alten Frau Weber gekommen und hatte jetzt auf eigene Kosten zu leben. So wollte er auch nicht eher fort, als bis wenigstens diese Ausgaben ersetzt seien.

»Nun, wann geht Er, Bursch?« schnauzte ihn aber dann der geistliche Fürst an, und darauf ging's in einem Odem fort, er sei der liederlichste Bursch, kein Mensch bediene ihn so schlecht, er werde die Besoldung einziehen. Er hieß ihn – unerhört! – einen Lump, einen Gassenjungen, einen Dummkopf. Endlich war Wolfgangs Blut zu stark in Wallung und er fragte, Hochfürstliche Gnaden sei also nicht zufrieden mit ihm?

»Was? Er will mir drohen? Er Dummkopf! dort ist die Thüre! ich will mit einem solchen elenden Buben nichts mehr zu thun haben.«

»Und ich mit Ihnen auch nichts mehr.«

»Also geh Er!« –

So lautet dieses culturhistorische Gespräch zwischen einem Fürsten und einem Künstler jenes Jahrhunderts. Und: »Ich will nichts mehr von Salzburg wissen, ich hasse den Erzbischof bis zur Raserei,« endet Mozart den Bericht.

Aber es sollte noch schlimmer kommen. »Ich wußte nicht, daß ich Kammerdiener sei und das brach mir den Hals!« sagt Mozart und der Vater solle sich freuen, daß er keinen Ehrlosen zum Sohne habe. Allein jetzt waren die speichelleckerischen Bedientennaturen thätig, sie wußten, der Erzbischof verlor einen Künstler nicht gern, um den man sich in Wien vor seinen Augen gerissen. Der Oberstküchenmeister Graf Arco setzte also alles daran die Sache wieder ins Gleiche zu bringen, er verweigerte »aus Mangel an Muth und Liebe zur Fuchsschwänzerei« sogar die Annahme des Entlassungsgesuches. Doch als Mozart darauf bestand, beging er die seines Herrn allerdings nicht unwürdige Brutalität, – den edlen Künstler mit einem Fußtritt zur Thüre hinauszuwerfen!

War schon nach den persönlichen Audienzen beim Erzbischof Mozart ganz erhitzt gewesen, hatte am ganzen Leibe gezittert und auf der Straße wie ein Trunkener getaumelt, so versichert er jetzt, wo er den Grafen treffe, werde er ihm wieder einen Tritt geben. In der Antichambre habe er nicht wie Arco selbst »den Respect vor den fürstlichen Zimmern verlieren wollen,« aber jetzt werde, und sollte es in zwanzig Jahren sein, »dem hungrigen Esel seine handgreifliche Antwort nicht ausbleiben«. Und als der Vater über solch ein Attentat erschrack, ruft er ein Wort aus, das diesen jungen Künstler über seine ganze Umgebung erhebt und zu den edelsten Vertretern der Menschheit stellt. Wir kennen es aus dem Motto dieser seiner Biographie: » Das Herz adelt den Menschen

Schmerzlicher aber als all diese Kränkungen seiner männlichen Ehre wurden dem jungen Künstler jetzt diejenigen seines Herzens durch denselben Mann, der ihn füglich gerade hier hätte am besten verstehen sollen, durch den Vater.

»Lassen Sie sich nicht durch Schmeicheleien verführen, seien Sie auf Ihrer Hut,« hatte Mozart schon an ihn schreiben müssen. Aber jetzt kamen zu den mißtrauischen Aeußerungen noch Vorwürfe, daß er ihn in seinen alten Tagen mit seiner Subsistenz aufs Spiel setze. Er vergleicht ihn mit Aloysia, die kaum in gute Verhältnisse gelangt, sich an einen Comödianten – es war der ausgezeichnete Schauspieler Joseph Lange, – gehängt und die Ihrigen vernachlässigt habe, er verlangt sogar, Wolfgang solle das Gesuch zurücknehmen, er sei es seiner Ehre schuldig! Dieser erkennt denn hier aber auch aus keinem einzigen Zuge seinen Vater wieder: »wohl einen Vater, aber nicht den besten liebevollsten, den für seine eigene Ehre und die Ehre seiner Kinder besorgten Vater, – mit einem Wort nicht meinen Vater!« »Begehren Sie von mir was Sie wollen, nur das nicht, sonst alles, nur der Gedanke macht mich vor Wuth zittern,« schließt er. Wie das Schaffen den Künstler, so hatte das Leiden den Menschen innerlich mannhaft und sicher gemacht, aber gegen diese Leiden waren alle früheren ein Spiel: wir wissen, wie sehr und in welcher Tiefe seines Gemüthes und seiner ganzen Lebensanschauung dieser Sohn seinen Vater liebte und verehrte. Man muß wieder die Briefe selbst lesen. Gar Mangel an Liebe wirft er ihm vor, dann Vergnügungssucht in der großen Stadt und sogar leichtfertigen Umgang! Denn fremde Verleumdung und eigenes Mißtrauen reichen einander hier die Hand zu schlimmstem Bunde, und ein Schüler jenes Abbé Vogler, I. P. Winter, später bekannt durch sein »Unterbrochenes Opferfest«, spielt dabei eine Hauptrolle. Die Zurückweisungen zeigen uns Mozarts ganzes Herz, sie sind eine förmliche Illustration zu seiner tief reinen und friedensvollen Kunst. »Der Hauptfehler bei mir ist, daß ich nach dem Scheine nicht immer so handle wie ich handeln sollte,« entschuldigt er sich einfach bescheiden, und allen anderen Ermahnungen gegenüber sagt er mit dem schönsten menschlichen Selbstbewußtsein: »Ich darf nur meine Vernunft und mein Herz zu Rathe ziehen, um zu thun was recht und billig ist.«

So war und blieb denn das stets wenig segens- und ehrenvolle Salzburger Verhältniß für immer gelöst, und wenn auch eines dabei verloren ging, das liebende Vertrauen des Vaters, – so schmerzlich es war, es war ein größerer Besitz dafür eingetauscht, die persönliche Freiheit und die Eroberung eines Grund und Bodens, auf dem die bereits so hoch entwickelte künstlerische Individualität Mozarts nun auch völlig frei schaffend wirken konnte. Dies und die Gewinnung eines dauernden menschlichen Eigenbesitzes in der Liebe und Ehe sind die weiteren entscheidenden Momente in diesem Künstlerleben. Wir gehen zu ihrer Darstellung über und werden bald daraus Mozarts großes monumentales Schaffen in Werken wie Entführung, Figaro, Don Juan hervorblühen sehen. Die jüngsten persönlichen Erlebnisse aber hatten in ihm jenen Blick für das Leben und jene innere Freiheit erzeugt, ohne welche solche überragend lebenskundige Art und solche souveräne Charakteristik nicht möglich sind.

Es waren aber auch die Zeit und der Ort, wo so etwas erblühen konnte, und nicht blos das niederdrückende Gefühl entwürdigender und beengender Verhältnisse in seiner bisherigen Stellung, – nein ungleich mehr das frohlockende Bewußtsein von der gerade für ihn am meisten geeigneten Welt, wie sie sein genialer Blick hier in Wien sogleich erkannte, ließ ihn mit der Energie eines vollen Bedürfnisses diesmal seinen Wunsch erfassen und festhalten. »Und wenn die Welt voll Teufel wär'!« – etwas von diesem zwingenden Muß der Seele ist aus seinen damaligen Kämpfen mit dem geliebtesten Vater herauszulesen, und dies entsprang eben den entsprechenden Lebens- und Kunstverhältnissen, in die er sich, nachdem er längst davon tiefinnen Ahnung gehabt und heißes Sehnen darnach empfunden hatte, jetzt so plötzlich durch einen Zufall versetzt sah. Er fühlte, er könne hier nach seiner ganzen Größe auswachsen, und gleich der Liebe ist der künstlerische Schaffenstrieb ein unwillkürlicher und unwiderstehlich. Dies verstand der Vater nicht, ihm mußte daher mit anderen Aussichten beigekommen werden, mit Aussichten auf materiellen Erfolg, und diesen konnte Wolfgang sich und dem Vater getrost versprechen, – er hat auch nicht gemangelt. Und wenn Mozart selbst sogar in diesem reichen Wien, im Grunde muß man so sagen, verkam und vor der Zeit starb, so lag dies zum Theil daran, daß eben sein Genius zu überragend war, um schon von seiner Zeit und Umgebung auch bereits völlig gewürdigt werden zu können, theils daran, daß ihm, dem in solche hohen Aufgaben Versunkenen, die Welt bald mehr und mehr entschwand und es daher Neidern und Feinden leicht gelang, ihm den äußeren Erfolg vor dem Munde hinwegzunehmen und ihn auf seine sonnige wonnige Kunst einzuengen. Diese aber gedieh in Wien selbst eben über alles Hoffen und Verstehen der Zeit hinaus, und wo ständen wir heute ohne diesen Mozart? Trotz Goethe hat er uns in der Kunst das Gefühl für die letzte und reinste Schönheit bereitet und zuletzt auch die letzten und innersten Tiefen des Herzens eröffnet. Und dazu half eben vor allem Wien und Oesterreich.

Oesterreich hatte sich in diesen beginnenden 1780er Jahren von den Wunden des siebenjährigen Krieges erholt, es war Besitz unter den Leuten und besonders in der Hauptstadt ließ der reiche Adel der östlichen Provinzen, diese Esterhazy, Schwarzenberg, Thun, Kinsky, ein unermeßliches Geld. Dazu waren die sozialen Verhältnisse noch nicht getrübt, Adel und Bürgerthum lebten in guter Harmonie miteinander und über allen thronte innig geliebt und in der That ein Ideal österreichischen Wesens, wie es seit Maximilian I. nicht dagewesen, Kaiser Joseph II.: er hat an Gemüth und Bildung sozusagen als die andere Seite des alten Fritz zu gelten, der seinerseits damals die Intelligenz und praktische Thatkraft des deutschen Geistes am wirksamsten vertrat. Und dies gab eben dem österreichischen und vor allem dem Wiener Wesen jenen ganz besonderen Zug und Gehalt, aus dem ein Gebilde der Kunst hervorgegangen ist, das einzig in Rafael und der Antike sein Vorgängerthum und zugleich ebenbürtiges Gegenstück hat: die deutsche Kammermusik. Haydns, Mozarts, Beethovens Quartette allein genügten, diese Wiener Zeit von 1775-1825, eine Spanne von fünfzig Jahren, für alle Zeiten unvergeßlich zu machen, und dazu kamen noch die Opern und die Instrumentalmusik dieses leuchtenden musikalischen Dreigestirns, dem Gluck voraufgegangen!

Das ganze Dasein in Wien schwamm damals in einer warmen Sinnlichkeit, das Leben hatte kaum einen Stachel, und unbefangen rührte und zeigte sich jede seiner nächsten Regungen. Ist nun dies schon an sich der natürlichste und fruchtbarste Nährboden für eine geistige Production, die eben zunächst auf die Sinne wirken und durch sie zu unserm geheimsten Herzensleben und höchsten Geistesschauen reden will, für die Kunst, so war dadurch speziell für die Blüte der Musik die nächste und unersetzlichste aller Bedingungen gegeben: dieses scheinbar ganz in Sinnlichkeit versunkene Leben hatte auf seinem Grunde wie eine Widerspiegelung der ewig leuchtenden und wärmenden Sonne das deutsche Gemüth, jenen ausgleichenden Frieden und das schöne Gelten- und Gewährenlassen alles dessen, was neben mir lebt und sich regt. Dazu der hohe Grad von Bildung, der damals Wien auszeichnete und zum Theil noch direct von der Berührung mit der Zeit der höchsten Blüte der italiänischen Cultur, mit der Renaissance zusammenhing! Diese Adelshäuser, diese begüterten feinen Bürger- und Gelehrtenfamilien und wieder an der Spitze wenn auch nicht gerade in der Musik so doch überall sonst als der edelst Gebildeten Einer, der Kaiser! Wahrlich ein bloßer Gedanke an die übrigen Hauptstädte des gebildeten Europa von damals, an Paris, London oder gar Berlin überzeugt uns, daß ein Gluck, Haydn, Mozart oder Beethoven dort nie hätte gedeihen können. Aber in Wien gediehen sie vollauf, und wir hören namentlich die beiden letzteren Künstler selbst bestätigen, daß es eben Wien war, wo sie allein gedeihen, das heißt zu demjenigen Künstlerthum auswachsen konnten, dessen Keim sie als ein anvertrautes Pfund in sich fühlten.

Und wie stand es nun des Näheren mit Musik und Theater in jenen Tagen? – Sehr viele der großen Häuser hatten eigene Musik, die reichen Fürsten oft eine Privatcapelle, die andern Familien Streichquartett oder Clavier, und dieses letztere nicht zu dem entsetzlichen Uebegeklimper unserer Tage sondern zu einem Spiel um, wie Ph. E. Bach sagt, »das Herz zu rühren«. Seit der Zeit der norddeutschen Organistenschulen, aus der ein achtes Weltwunder wie Seb. Bach hervorging, dem alle Quellen seiner speziellen Kunst miteinander sprangen, hatte die Welt kein solch goldenes Zeitalter der Musik gesehen, und Beethoven erinnerte sich desselben mit einer gewissen Wehmuth, als mit den großen Revolutionskriegen eine Zeit der Härte und Oede eingetreten war, wo das Gemüth und mit ihr die Kunst der Seele, die Musik schweigt. Und eben aus jener ersten reichquellenden Zeit der deutschen Musik, deren lebendiger Mittelpunkt das höchste aller Menschengüter, die Religion, war, hatte dieser jüngere Sohn Seb. Bachs, Philipp Emanuel Bach, jetzt die Musik hinübergeführt und ihr durch seine »Sonaten für Kenner und Liebhaber« auch das Gebiet des freien menschlichen Daseins erschlossen. »Er ist der Vater, wir sind die Buben,« hat Mozart von sich selbst und J. Haydn gesagt, von dem wir übrigens das gleiche eigene Geständniß besitzen, und sie beide waren es nun, die dieser freien Sprache der Musik sozusagen das ganze menschliche Leben aufthaten und so mit Beethoven gemeinsam in ihren Sonaten, Quartetten, Symphonien der Zeit und Menschheit selbst wieder förmlich das Herz öffneten. Das war es, warum Mozart schreiben konnte, gestern hätten ihn die Damen nach dem Concert noch eine ganze Stunde am Clavier gehabt: »ich glaube, ich säße noch dort, wenn ich mich nicht davon gestohlen hätte!«

Und nun weiter! »Meine einzige Unterhaltung besteht im Theater, ich wollte dir wünschen hier ein Trauerspiel zu sehen. Ueberhaupt kenne ich kein Theater, wo man alle Arten Schauspiele vortrefflich aufführt, aber hier ist es,« so schreibt er bald der Schwester. Und freilich wo ein Schröder wirkte! Und dann war ja damals Shakspeare aufgetaucht und die deutsche dramatische Literatur in Lessing und Goethe im Aufblühen begriffen! Da ist wohl an einen Figaro, einen Don Juan zu denken. Aber auch von einem Nationalsingspiel-Theater hörten wir schon. Nicht als wenn Joseph II. in der Musik deutsche Sympathien gehabt hätte! Dafür war er zu sehr in der italiänischen Kunst aufgewachsen und sein Musiksinn, so gebildet er war, nicht tief genug. Aber er mußte den nationalen Bestrebungen auf solchen Gebieten nachgehen, da ihm Friedrich der Große die übrigen fast alle verrannt hatte. So bildete damals Wien mit Mannheim und Weimar zusammen die entscheidende Trias, aus der eine deutsche Kunst für Musik und Theater hervorgegangen ist, und was diese Bestrebungen bedeuten, erkennen wir aus der Sternenbahn von Mozarts Zauberflöte über Beethovens Symphonien bis zum Ring des Nibelungen in Bayreuth von 1876, – wahrlich ein glorioses Säculum der Kunst für Deutschland!

Zu diesem deutschen Singspieltheater kam nun Mozart gerade recht. Denn Gluck componirte nicht mehr, sein Sieg war entschieden und sein Zenith war fast erreicht, er nahte sich den Siebzigern. Sein Schüler Salieri war freilich der »Abgott des Kaisers«, aber er war eben Italiäner, und die übrigen Wiener Componisten bedeuteten damals nicht viel. Haydn aber war auf diesem dramatischen Gebiete nicht eigentlich thätig, weilte auch zumeist in Eisenstadt bei seinem Fürsten Esterhazy. Norddeutschland hatte nichts Epochemachendes mehr aufzuweisen, seine vorwiegend »gelehrte« oder formalistische Musik wäre auch nicht nach Wiener Geschmack gewesen. Was stand also näher als den jungen Meister zu nehmen, der zudem noch soeben in einer andern Residenz sein überragendes Können gezeigt hatte? Und wirklich sprach auch schon bald nach seiner Ankunft der Kaiser selbst den Wunsch nach einer solchen deutschen Oper von Mozart aus, und nachdem der Intendant Graf Rosenberg in einer Privataufführung den Idomeneo gehört, vernehmen wir, daß er Auftrag zu einem Textbuch für Mozart gegeben: es ist »Belmonte und Constanze oder die Entführung aus dem Serail«, und Mozart berichtet dazu (1. August 1781), sein Geist sei so erheitert, daß er mit der größten Begierde zum Schreibtisch eile und mit der größten Freude daran sitzen bleibe. Ja eine und zwar die schönste Arie, Belmonte's »O wie ängstlich, o wie feurig« war damals sogleich fertig geworden.

Allein zunächst wird die ganze Sache verschoben und zwar nicht zum Nachtheil derselben. Denn Mozart erlebte derweilen Dinge, die ihm ermöglichten, die künstlerische Feder so recht tief in jenes feurige Naß zu tauchen, aus dem die wundervolle Farbentiefe und gelbreife Süßigkeit kommt, die außer ihm fast nur Rafael besitzt: er fand eine innige Herzensliebe. Und da diese den gleichen Einfluß auf sein Leben wie auf seine Kunst hatte, – denn sie führte zu dem entscheidenden Herzensbunde der Ehe, – so haben wir hier zunächst dieses wie immer aus Herzensnoth und Seligkeit gewobene wichtige Stück Leben unseres Künstlers zu betrachten.

Wir hörten schon, Mozart war in der Eile, als er das erzbischöfliche Palais verlassen mußte, zu Webers gezogen. »Da habe ich mein hübsches Zimmer, bin bei dienstfertigen Leuten, die mir in allem, was man so geschwind braucht, an die Hand gehen,« schreibt er. Madame Weber erhielt sich nach dem Tode ihres Mannes durch Zimmervermiethen, wobei ihr die Töchter zur Hand sein konnten. Sie wohnte im Auge Gottes am Petersplatz, das noch heute steht. Der Vater argwöhnt sofort andere Dinge. Mozart antwortet: »Bei der Lange (Aloysia) war ich Narr, aber was ist man nicht, wenn man verliebt ist!« Jetzt handelte es sich ihm zunächst neben gutem Logis nur darum, Leute zu haben, die an seinem verzehrenden Aerger und Kummer um den Erzbischof und den Vater zugleich persönlichen Antheil nahmen, und dies fand er hier. Brauchte er doch, der jetzt immer zu componiren hatte um zu leben, »einen heiteren Kopf und ein ruhiges Gemüth!« Gleichwol drängt der Vater auf Verlassen dieser Wohnung und Mozart thut es endlich im Herbst. Doch wenn er sagt, »wegen dem Geschwätz der Leute« und wissen möchte, was man über ihn so in den Tag hinein zu reden habe, daß er in ein Haus ziehe und die Tochter heirathe, so war dies eitel Selbsttäuschung. Denn schon hatte eben die »zärtliche Sorge und Bedienung«, mit der die dritte Tochter Constanze sich seiner annahm, die gegenseitige Neigung geboren.

Man muß nun die Einzelnheiten der Entstehung wie des Bestandes dieses schönen Verhältnisses einer echten Künstlerliebe in der Skizze » Mozarts Constanze. Ein deutsches Frauenbild« in den obengenannten »Neuen Bildern« lesen. Wir beschränken uns hier auf das Notwendigste.

Constanze Weber, 1764 geboren, stand damals im achtzehnten Lebensjahre, war also acht Jahre jünger als Mozart. Sie war schon als Mädchen damals in München seine Clavierschülerin gewesen und jetzt gab er ihr zugleich Gesangunterricht. So hatte Mozart auch einen äußeren Anlaß nach wie vor in dieses Haus zu kommen, und daß es Musik war, was sie da miteinander trieben, die Sprache der Seele, mußte sie bald genug ganz von selbst innerlich einander nahe bringen. Abends »narrirten« sie dann miteinander, denn es kamen auch Freundinnen, und Mozart erinnert noch in einem späten Ehebriefe daran, wie sie mit einer solchen »Versteckens« gespielt. Zugleich aber treten jetzt mancherlei Umstände drängend hervor. Seine Jahre, sein Temperament, welches mehr zum ruhigen Leben geneigt war, – er der von Jugend auf niemals daran gewöhnt war auf seine Sachen Acht zu geben und daher jetzt viel unnütze Ausgaben hatte, – dann daß er, von der anstrengenden Tagesarbeit ermüdet, sich wenn er nicht eben bei Webers war, allein und öde fühlte: war es ihm doch, als er nun im September ausgezogen, als wenn einer von seinem eigenen Wagen sich in einen Postwagen setzte! Und da er obendrein mit dem nur unserem tiefsten Gefühle eigenen Instinkte stets mehr zu dem Bewußtsein kam, daß sie »die Rechte war«, so stellt er dem Vater mit freimüthiger Sicherheit die Notwendigkeit und die bestimmte Absicht zu heirathen vor.

»Nun aber, was ist der Gegenstand meiner Liebe?« schreibt er im December 1781. »Erschrecken Sie auch da nicht, ich bitte Sie. Doch nicht eine Weberische? Ja eine Weberische, aber nicht Josepha, nicht Sophie, sondern Constanze, die mittelste.« Und nun bekommen wir eine Beschreibung, die durch die damals waltende Empfindung etwas übertrieben und gefärbt werden mußte. Er habe in keiner Familie eine solche Ungleichheit gefunden. Die älteste sei faul und grob und habe es dick hinter den Ohren, die Lange gar falsch und coquett, – und doch hatte er im Frühjahr geschrieben, sie sei ihm auch jetzt noch nicht gleichgültig! – die jüngste, Sophia, die uns ebenfalls noch begegnen wird, sei noch zu jung um etwas sein zu können, sei nichts als ein gutes aber zu leichtsinniges Geschöpf: »Gott möge sie vor Verführung bewahren!« Und nun erhalten wir eine Schilderung von »der Liebe Müh'«: »Die mittelste aber, nämlich meine gute liebe Constanze ist die Märterin darunter und eben deshalb vielleicht die gutherzigste geschickteste und mit einem Wort die beste darunter. Die nimmt sich um alles im Hause an und kann doch nichts recht thun.« Er könne ganze Bogen von den bösen Auftritten in diesem Hause schreiben. Eben diese aber hatten beide so recht eng zusammengeführt: es war die Probe ihrer Zuneigung zu einander gewesen.

Und dann schildert er sie, – man findet ihr Portrait nach dem Oelbilde im Mozarteum ebenfalls in der zweiten Auflage von »Mozarts Leben«, – sie sei nicht häßlich, aber auch nichts weniger als schön, ihre ganze Schönheit bestehe in zwei kleinen schwarzen Augen und einem schönen Wachsthum; sie habe keinen Witz aber Menschenverstand genug, um ihre Pflichten als Frau und Mutter erfüllen zu können; sie sei nicht zum Aufwand geneigt, das sei grundfalsch, sondern gewohnt schlicht zu gehen, denn die Mutter wende das Wenige was sie thun könne an die zwei andern; sie könne sich alles selbst machen, verstehe die Wirthschaft, habe das beste Herz von der Welt: »– ich liebe sie und sie liebt mich von Herzen, sagen Sie mir, ob ich mir eine bessere Frau wünschen könnte?« Und den besten Commentar dieser Worte geben die Stücke, die von »Belmonte und Constanze« wie die Entführung ja auch hieß, bereits fertig waren, vor allein jenes »O wie ängstlich, o wie feurig« aus den Sommertagen von 1781, und die Arie »Ach ich liebte, war so glücklich«, deren Text von Constanze's Hand abgeschrieben vorhanden ist.

Denn auch diese letzte Noth, »der Trennung banges Loos« sollte ihm wenigstens dräuen. Zuerst der Vater, dann der Vormund der Tochter, darauf die Mutter waren gegen die Heirath und endlich bereitet ihm der störrische Jugendübermuth der Geliebten selbst die Gefahr des Scheiterns seines schönsten Lebensglückes. Denn dies war es, es blickt durch alle jene Noth mit offenen Augen aus Mozarts Briefen hervor, und niemand kennt Mozart ganz, der ihn nicht auf diesen Spuren seines persönlichsten Lebens aufsucht. Wir hier kommen jetzt zunächst zu den künstlerischen Resultaten dieses neuen Wiener Daseins.

An Clavier- und Kammermusik war natürlich gar manches entstanden, das Bedürfniß nach Neuem blieb in all diesen Wiener Cirkeln stets sehr groß, und wer konnte bereiter sein ihm zu willfahren als Mozart, der mit seinem Ruhm und jetzt gar mit seinem Lebensunterhalt von dieser Aufnahme in der Kaiserstadt abhing? Allein die Entscheidung lag doch in der ihm übertragenen Oper, und diese ward denn auch zum Glück im nächsten Frühjahr 1782 wiederaufgenommen. Und trotz aller Quälereien und Aergernisse mit dem eigenen Vater und der Mutter seiner Braut gelang es ihm rechtzeitig damit fertig zu werden. Allein er verschrieb sich denn auch öfters bis 1 Uhr nachts: »und dann um 6 Uhr wieder auf!« Und wenn auch hier von der außerordentlich fleißigen Detailarbeit nicht Rede ist wie bei dem Idomeneo, dem er alle Zeit, alle Kraft, jede Gemüthsregung und Phantasiethätigkeit widmen konnte, so durfte er doch selbst gegen den Vater sich gestehen: »Ich freue mich recht sehr auf diese Oper«. Jedoch hatte er, der sonst »schlechterdings seinen eigenen Empfindungen folgte«, diesmal möglichst auf den Geschmack der Wiener Rücksicht genommen, und dieser ging in solchem Genre auf leichtbeschwingte Heiterkeit und drastische Komik. Diese sehen wir denn auch in dem Werke vorwalten. Und wenn der innigste Gemüthston an den entscheidenden Stellen nicht fehlt, noch weniger fehlt die charakteristische Zeichnung und vor allem ein Humor, der in diesem Falle manchmal bereits an Shakspeare heranreicht. »Man sieht das Zittern, das Wanken, man sieht wie sich die schwellende Brust hebt, welches durch ein Crescendo ausgedrückt ist, man hört das Lispeln und Seufzen, welches durch die ersten Violinen mit Sordinen und eine Flöte im unisono ausgedrückt ist,« schreibt er selbst von Belmonte's »O wie ängstlich«, das denn auch die Lieblingsarie von Allen, ja von ihm selbst war. Und doch entzückte das Rondo »Wenn der Freude Thränen fließen« noch mehr: es enthält auch allerdings jene Stelle »Ach Constanze, dich zu sehen, dich voll Wonne und Entzücken an dies treue Herz zu drücken!« – eine Stelle, an der die deutsche Musik zuerst völlig die Sprache der ernsten männlichen Liebe und innigen Hingebung gelernt hat, wie sie einst mit dem Choral die Erhabenheit der religiösen Empfindung in Tönen fand. Dieser Charakter des »deutschen Jünglings« auch in der Musik war durch die Gestalt dieses Belmonte sozusagen für immer festgestellt. Man denke nur an Beethovens Florestan und Wagners Walther von Stolzing!

Aber ebenso die Gestalt des dummen groben und boshaften Haremswächters Osmin in dieser derben Komik und doch mit stylvollstem Adel in der Form war neu. Da ist der »gestarzte Herr Sohn« des Augsburger Schellenkönigs, es ist der ganze brutale Hochmuth des Salzburger Divans mit seinem trefflichen Oberstküchenmeister nicht vergeblich in diese Existenz getreten. Aber des Künstlers Rache bleibt edel und wirkt darum auf ganze Geschlechter veredelnd. Man muß in den Briefen lesen, wie er selbst bei Osmins Arie »Drum beim Barte des Propheten« sich dieser Komik völlig bewußt war, daß alle Thorheit und alles rohe Uebermaß sich gewissermaßen selber straft und zum Spott und Hohn wird. Es liegt hier in der ganzen skizzenhaften Zeichnung schon das Material, aus dem zwei Menschenalter später der »wilde Wurm« im Nibelungenring aufgebaut ward. Die schwerfälligen Rhythmen sogleich im ersten Liede, das Ungeschlachte der ganzen Bewegung und das fast Brüllende des »Trallalara!« – es ist die ganze Art der ungezähmten Wildheit brutaler Natur, eine grandiose Rohheit auch im kleinen Rahmen.

Nun die Aufführung! – Es war am 12. Juli 1782. Das gedrängte Haus wollte mit Beifall und Dacaporufen nicht enden: wie hoch gespannt die Erwartungen gewesen, durch solche Musik, die in Wohllaut und Schönheit getränkt doch stets lebendigstes Leben und drastische Zeichnung bot, die der charakteristischen Wahrheit nicht den Adel der Form opferte, aber auch nicht blos mit »blinkenden Reden« verführte, war man überrascht, entzückt, hingerissen. Eine Aufführung folgte rasch der andern, und dies obwol am Theater selbst die stärkste Cabale dagegen war. Denn die Italiäner, Salieri an der Spitze, sahen das Aufkommen einer deutschen Bühne nicht gern, es störte ihre Kreise, bedrohte ihre Alleinherrschaft. Sogar das ausführende Personal wußten sie zu bestricken, so daß die Darstellung selbst »verwischt« wurde: »ich war so in Wuth, daß ich mich nicht kannte,« schreibt Mozart. Aber das Bravorufen konnten sie doch nicht verhindern und Mozart selbst sagt: »Es thut Einem doch wohl, wenn man solchen Beifall erhält.« Von dieser »Entführung« läuft denn auch die ununterbrochene Kette der Wirkungen und Erfolge bis zu der universalen dramatischen Production unserer Tage, die nach einem Menschenalter Europa noch mehr und in entscheidenderen Regionen des geistigen Lebens beherrschen wird, als damals die italiänische Oper, die dieser ersten deutschen Oper den Erfolg zu erschweren und gar sie selbst bald zu verdrängen wußte.

Denn dies geschah und Kaiser Joseph war schwach genug, der wälschen Herrschaft von neuem so völlig die Oberhand einzuräumen, daß Mozart dann selbst nicht anders konnte als in diesen Bacchantenchor miteinzustimmen, aber ihn dann freilich auch zu wirklich dionysischer Schönheit und Fülle zu erheben. Dies geschah mit dem Figaro, und seine Entstehung ist unser nächstes Ziel.

Das Erste, was nach Beendigung dieser großen Arbeit als durchaus selbstverständlich und dem natürlichen Abschlusse nahe sich hervordrängte, war seine Verbindung mit Constanze, und durfte er nach solchem Erfolge nicht auch die Ehe und den eigenen Hausstand wagen? Freilich Joseph II. hatte von dem Werke gesagt: »Zu schön für unsere Ohren! – Und gewaltig viel Noten, lieber Mozart!« – worauf dieser in edlem Freimuth entgegnete: »Gerade so viel Noten, Ew. Majestät, als nöthig ist.« Aber Gluck, weitaus die erste Autorität Wiens in Bühnendingen, ließ sich die Oper, obwol sie noch wenig Tage vorher gegeben war, besonders aufführen, machte dem Componisten viel Complimente und lud ihn zum Speisen ein. Dies war demselben ein besseres Horoskop als alles Andere. Doch hatte er auch noch andere Gönner. Fürst Kaunitz, der »Kutscher von Europa« war selbst mit dem Kaiser sehr unzufrieden, daß er die Leute von Talent nicht mehr schätze und sie aus seinem Gebiete ließe. Er hatte unter anderm zum Erzherzog Maximilian gesagt, als von Mozart Rede war, solche Leute kämen nur alle hundert Jahre auf die Welt und man müsse sie daher festzuhalten trachten.

So drängt er jetzt mit aller Gewalt in den Vater. Hatten doch die Quälereien der Mutter schon dahin geführt, daß Mozart das Mädchen zu seiner Freundin und Gönnerin Frau von Waldstädten bringen mußte! »Mein Herz ist unruhig, mein Kopf verwirrt, wie kann man da etwas Gescheidtes denken und arbeiten?« schreibt er. Aber der Vater hält die Heirath für sein Unglück und gibt statt der Einwilligung »lauter gutmeinenden Rath«. Da macht denn Mozart kurzen Prozeß und inscenirt mit Hilfe seiner Gönnerin die »Entführung aus dem Auge Gottes«, wie er später scherzhaft seine Heirath nannte. Die Baronin schreibt selbst an den Vater, räumt weiß Gott wie die verschiedenen Hindernisse fort, verschafft sogar das Geld zum Ehecontract und die Befreiung vom kirchlichen Aufgebot und – am 4. August 1782 findet die Hochzeit der Beiden statt, die sich so innig liebten. Wir müssen den Bericht kennen, den Mozart selbst darüber schrieb.

Bei der Copulation, heißt es da, als kurz nachher der Consens des Vaters angelangt war, sei kein Mensch als die Mutter und die jüngste Schwester, der Vormund und zwei Zeugen gewesen: »als wir zusammen verbunden wurden, fing sowol meine Frau als ich an zu weinen; davon wurden alle, sogar der Priester gerührt, und alle weinten als sie Zeuge unserer gerührten Herzen waren.« Das Hochzeitsfest bestand aus einem Souper bei der Frau von Waldstädten, welches »in der That mehr fürstlich als baronisch war«. »Wir sind schon eine geraume Zeit ledig allzeit miteinander sowol in die Messe als zum Abendmahl gegangen,« schreibt er einige Tage später, »und ich habe gefunden, daß ich niemals so andächtig gebeichtet und communicirt hätte als an ihrer Seite, und so ging es ihr auch. Mit einem Wort wir sind für einander geschaffen und Gott, der alles anordnet und folglich auch dieses alles also gefügt hat, wird uns nicht verlassen.« Er hat sie auch nicht verlassen: es war Segen bei dieser Ehe, innerlicher Segen, denn sie beruhte auf Liebe, und wir werden auch abgesehen von Mozarts Tönen diesen schönsten Widerhall des Lebens, den Wonneklang reiner zärtlicher Liebe hier ebenso hell ertönen hören, wie Mozarts Name selbst als der eines Sängers der Liebe durch die ganze Welt erklingt.

Ueber den ebenso erheiternden wie rührenden Bestand dieser Künstlerehe selbst nun muß man »Mozarts Leben« nachlesen, das sich gerade in diesem Punkte, wo die Welt ein ganz falsches Bild von Mozart hatte, um ein würdiges, nein nur ein einfach wahres zu bemühen hatte. Denn keiner der Züge dieses Künstlers braucht verwischt zu werden, sie sind alle nur menschlich und selbst die Schwächen liebenswürdig und leicht entschuldbar. Und wenn irgend, so gilt hier das oberste aller moralischen Urtheile: »Wer unter euch ohne Fehl ist, der werfe den ersten Stein auf sie!« sowie das andere Wort des heiligen Buches: »Und die Liebe höret nimmer auf«. Wir werden davon noch hören und kommen hier zu den weiteren Thaten des Künstlers.

Der Kaiser schätzte wohl das » talent décidé« Mozarts und hatte ihn auch eines Tages zu einem Wettkampfe mit Clementi aufgefordert, um dabei so recht seine souveräne Ueberlegenheit über das mehr blos formale Talent jenes renommirten Römers zu genießen. Er erkannte aber nicht den vollen Werth dieser »Entführung«, die er sogar einmal mit dem Wort bezeichnte: Non era gran cosa, »es war nichts Besonders«, und dies verdroß Mozart tief. Er gedachte sogar jetzt Wien zu verlassen und zuerst nach Frankreich zu gehen, dann nach England. Derweilen hatten die »Wälschen«, vielleicht eben wegen des stetigen großen Erfolges der Entführung, beim Kaiser von neuem eine ausgezeichnete Opera buffa durchgesetzt, die sehr gefiel: »der Buffo ist besonders gut, er heißt Benucci.« Zugleich war seit einiger Zeit jener Lorenzo da Ponte in Wien, den die Welt heute als Dichter der beiden größten Opere buffe der Welt kennt, – unsern Figaro und Don Juan. Er hatte denn auch Mozart, der natürlich jetzt ebenfalls auf diese italiänische Oper sah, ein »neues Büchel« versprochen, sobald er ein solches für Salieri fertig habe. Darüber vergehen nun freilich ein Paar Jahre, aber es kommt in der That dazu. Mozart hatte derweilen bei seinem Besuch in Salzburg im Herbst 1783 eine komische Oper »Die Gans von Kairo« begonnen, sie ward aber nicht vollendet, der Text war zu schlecht, die Ganshistorie zu »dumm«. Eine schöne Fülle rein instrumentaler Musik dagegen fällt in diese Epoche bis zum Figaro: das Clavierquintett mit Blasinstrumenten ward am 24. März 1784 fertig, die selbst von Beethoven nicht übertroffene Fantasie in Cmoll wie das Veilchen im Frühling 1785, – das Clavierquartett in Gmoll – »das beste was ich in meinem Leben geschrieben,« – im Juli desselben Jahres, – die Sechs Quartette aber, dem Schöpfer der Gattung Joseph Haydn gewidmet, noch in dem gleichen Herbst dieses Jahres 1785, das überhaupt zu den fruchtbarsten seines Lebens gehört. Und doch war Mozart damals schon mit dieser komischen Oper beschäftigt, ja eine andere, Il sposo deluso (Der gefoppte Bräutigam), war ebenfalls begonnen worden, aber eben um des Figaro willen liegen gelassen. Denn kaum hatte dieser Gegenstand Mozarts Sphäre berührt, so war dieselbe auch völlig von ihm erfüllt, und selbst nicht Idomeneo und Entführung hat er mit solcher vollen Hingebung auch seiner ganzen Individualität geschrieben wie diesen Figaro, der zum erstenmal seinen Geist wie sein Gemüth nach allen Seiten hin beschäftigte und zudem seinem Witz und seinem musikalischen Können alle Gelegenheit gab wahrhaft zu glänzen. So liegt denn hier auch ein Ganzes vor, das wie ein geschliffener Edelstein ist und so recht von innen heraus leuchtet. Einzelne Schwächen der Herkunft aus der italiänischen Oper treten hier hinter deren Vorzügen zurück, es ist ein Bild des Lebens, das zwar einer bestimmten Zeitepoche anzugehören scheint, dennoch aber im Grunde die Natur des Menschen selbst in ihrer allem Spott und Mitleid preisgegebenen Schwäche zeigt.

Graf Almaviva, der mit Hilfe Figaro's, des Barbiers von Sevilla, seine schöne Gräfin gewonnen, findet dennoch Gefallen an deren reizender Zofe Susanna, die ihrerseits den Figaro liebt. Nun gilt's den Grafen von dieser Thorheit zu curiren. Zunächst wird seine Eifersucht auf den Pagen erregt, und dies gehörig ins Werk zu setzen kostet die Beihilfe mehrer anderer Personen und gibt so eine Reihe köstlicher Scenen, die mit der völligen Verwirrung des Grafen enden. Der zweite Theil der Action – denn mehr hat die Opera buffa regelmäßig nicht, da sie ursprünglich als »Intermezzo« zwischen den drei Acten der ernsten Oper ( Opera seria) lag, – findet Susanna bei dem Grafen, wie sie ihm ein Stelldichein abends im Garten verspricht, – heimlich, sehr heimlich! – denn die Frauen haben jetzt miteinander ausgemacht, daß die Gräfin selbst als Susanna verkleidet dort sein soll, während diese dann die Gräfin spielen und die Kosenden überraschen soll. Der Page findet sich ebenfalls ein und überläßt die Ohrfeige, die er wegen seiner Naschhaftigkeit bei der verkleideten Gräfin vom Grafen bekommen soll, dem eifersüchtigen Figaro, der vor der Untreue seiner Susanna gewarnt, sich in diesem Momente sogar für die Dunkelheit zu nahe gewagt hatte. Dafür macht nun er der vermeintlichen Gräfin, die sich jedoch ihm zu erkennen gegeben hat, vor den Augen des Grafen eine glühende Liebeserklärung: da gibt's denn natürlich Lärm, der Graf ruft nach Lichtern und wird dann selbst durch Beschämung und das liebende Verzeihen der Gräfin, wie wir annehmen dürfen, von seiner schlimmen Schwäche für immer geheilt.

So als »des Pudels Kern« der Vorgang in Mozarts Oper, liebenswürdig heiter und für die damalige Zeit und Art nicht allzu gewagt! Aber Mozart gibt nun obendrein den Frauencharakteren des Stückes noch die schönste Innigkeit und Reinheit der Seele und nimmt so selbst dem übermüthigen Leichtsinn des Grafen den eigentlichen Stachel, so daß wir innerlich versöhnt den Anblick dieses Stückchens menschlicher Schwachheit verlassen.

Anders war das Original, jenes Le mariage de Figaro ou la folle journée desselben Beaumarchais, dem Goethe seinen Clavigo entlehnte. Hier werden die Laster und vor allem die gewaltthätige Willkür des Adels gegen Bürgerliche mit solcher Rücksichtslosigkeit gegeißelt, daß das Stück als eine Art Vorspiel jener welthistorischen Augustnacht von 1789 zu gelten hat, die alle und jede Vorrechte des Adels mit einem Federzuge aufhob, und es zeigt also die ganze innere Milde und Würde des Menschen bei Mozart, der doch auch die brutale Hoffahrt der damaligen privilegirten Stände gewiß auf das aller empörendste persönlich erfahren hatte, daß er hier alles in Humor, das heißt in thränenlächelndes Mitleiden mit der Beschränkung und Schwäche der Menschennatur aufzulösen weiß. Denn sicher war dies Mozarts Werk schon sogleich bei der Einrichtung des Textes, so gut wie er es war, der dessen Wahl getroffen hatte.

Hören wir darüber das Nähere.

Jener Lorenzo da Ponte, der zuerst so ganz und gar auf der Seite Salieri's und der Italiäner stand, hatte sich jetzt selbst zu Mozart gewendet, um durch ihn seine gefährdete Stellung als Textdichter wiederzugewinnen. Der damals weltberühmte Paisiello war nämlich derweilen nach Wien gekommen und hatte mit einer Oper »König Theodor« den größten Erfolg errungen. Den Dichter derselben, Casti, auszustechen, verfaßte da Ponte ein Textbuch für Salieri, mit dem derselbe aber so gänzlich durchfiel, daß er schwur sich eher die Finger abhacken zu lassen als wieder einen Vers von da Ponte zu componiren. Zudem wandte sich Salieri jetzt an Casti und errang mit dessen »Grotte des Trophonius« abermals einen großen Erfolg. Da Ponte, der dadurch seine Stelle als Theaterdichter bedroht sah, ging nun zu Mozart. Die Intrigue und Eifersucht dieser Wälschen war es also, was schließlich dennoch diesen selbst ans Ruder brachte. So stach dem Salieri die eigene Nadel in den Finger. Denn Mozart schlug eben das Stück Beaumarchais' vor, das im Frühjahr 1784 in Paris gegeben war und ungeheures Aufsehen erregt hatte. Allein da war guter Rath theuer: der Kaiser hatte dasselbe seines »unmoralischen Styles« halber für Wien verboten. Auch trug er Mozarts wegen Bedenken, der zwar ein guter Instrumentalcomponist sei aber erst eine Oper geschrieben habe, an der obendrein nicht allzu viel sei. Also wird die Sache im Stillen gemacht: Mozart componirt einen Theil und da Ponte sorgt dann dafür, daß der Kaiser denselben hört, worauf denn auch sofort der Auftrag der Vollendung des Werkes und später der Befehl zur Aufführung erfolgt.

So ungefähr sind die Memoiren des Textdichters und eines der Sänger, des Engländers O'Kelly, die man zum erstenmal nach dem Original unverkürzt wiedergegeben in meinem Mozartbuche findet, miteinander in Zusammenhang zu bringen. Aber beide beweisen, daß die Italiäner eben jetzt erst recht Himmel und Hölle in Bewegung setzten, um Mozart die Bühne zu verstellen und daß in der That der Kaiser bei diesem Figaro persönlich eingreifen mußte. Wie er denn auch sonst gerade damals Mozart seine Gunst dadurch zu erkennen gab, daß er zu einem Gartenfeste in Schönbrunn den Schauspieldirector bestellte, eine einfache komische Probe zweier Primadonnen vor dem Theaterdirector, woraus man später eine unwürdige Darstellung von persönlichen Verhältnissen Mozarts gemacht hat!

Die Italiäner hatten aber auch Ursache genug zu solcher Furcht, und Salieri hat alle ihre Empfindungen später in dem einen fürchterlichen Wort zusammengefaßt, es sei gut, daß Mozart gestorben, man hätte ihnen sonst bald kein Stück Brod mehr für ihre Compositionen gegeben! Und wer gibt ihnen heute noch eines dafür, während Mozarts Werk unsterblich lebt und Arien wie »Will der Herr Graf ein Tänzlein wagen«, »Neue Freuden neue Schmerzen« und »Ihr die ihr Triebe« leben werden, so lange überhaupt Musik gemacht wird.

Vernehmen wir aber auch, wie er sogleich lebendig lebte, als er am 1. Mai 1786 die wirkliche Aufführung erfuhr. Es ist der Bericht des Sängers Kelly, aus dem selbst ein Stück Mozartscher Liebenswürdigkeit spricht:

»Von allen Darstellern der Oper aus jener Zeit ist nur noch einer am Leben, – ich selbst (er sang den Basilio und den stotternden Richter). Es muß zugestanden werden, daß nie eine Oper besser gegeben wurde. Ich sah sie zu verschiedenen Zeiten in allen Ländern und gut dazu, und doch verhält sich die allererste Aufführung zu jeder andern wie Licht zu Finsterniß. Alle ursprünglichen Darsteller hatten den Vortheil durch den Componisten selbst unterwiesen zu werden, der sich bemühte auf ihren Geist seine Anschauung und seine Begeisterung zu übertragen. Niemals werde ich sein kleines belebtes Gesicht vergessen, in dessen Zügen das Feuer des Genius glühte und leuchtete: es ist eben so unmöglich es zu beschreiben als Sonnenstrahlen zu malen.«

»Als ich ihn eines Abends besuchte, sagte er mir: ›Eben habe ich ein kleines Duett für meine Oper beendigt, das Sie hören sollen.‹ Er setzte sich an das Clavier und sang es. Ich war hingerissen, und die musikalische Welt wird mein Entzücken begreifen, wenn ich erwähne, daß es das Duett des Grafen Almaviva mit Susanna war: ›So lang hab' ich geschmachtet.‹ Etwas Köstlicheres wurde nie zuvor von einem Menschen geschrieben; oft ist es eine Quelle des Vergnügens für mich gewesen, daß ich der erste war, der es gehört. Ich sehe noch Mozart im rothen Pelz und goldbordirten Hut bei der ersten Probe mit Orchester auf der Bühne stehen und der Musik den Tact angeben. Benucci sang Figaro's ›Dort vergiß leises Fleh'n, süßes Wimmern‹ mit größtem Enthusiasmus und mit der ganzen Kraft seiner Stimme. Ich stand neben Mozart, der leise wiederholt Bravo! Bravo Benucci! rief. Als Benucci zu der schönen Stelle kam: ›Bei dem Donner der Karthaunen‹ ließ er seine Stentorstimme mit Macht ertönen. Die Darsteller auf der Bühne und im Orchester waren elektrisirt: berauscht von Wonnegefühlen riefen sie wieder und wieder und immer lauter: ›Bravo! bravo, Meister! Es lebe der große Mozart!‹ Die im Orchester schlugen unaufhörlich mit den Bögen ihrer Violinen auf die Musikpulte, um dadurch ihrer Begeisterung Ausdruck zu geben; es schien, als wolle sich der Sturm der Beifallsbezeugungen gar nicht legen. Der kleine Mann dankte durch wiederholte Verbeugungen für die enthusiastischen Huldigungen, die ihm gespendet wurden. Das Finale am Schlusse des ersten Actes wurde mit gleichem Entzücken aufgenommen. Wenn Mozart weiter nichts geschrieben hätte als dieses Musikstück, es allein würde ihn meinem geringen Urtheile nach zum größten Meister seiner Kunst gemacht haben. Nie war ein Triumph größer als der Mozarts und seines Figaro.«

Das ist der einzige ausführliche Bericht, den wir besitzen. Auch der Vater hatte von den »erstaunlich starken Cabalen wegen seines besonderen Talents und Ansehens« genug gehört. Jetzt kann er der Tochter aber schreiben, fünf ja sieben Nummern der Oper seien wiederholt worden, und ein Duett mußte gar dreimal gesungen werden. Die Italiäner hatten es dahin gebracht, daß der Kaiser diese Wiederholungen verbot. Als er dann aber die Sänger wegen dieser »Wohlthat, die er ihnen gethan« ansprach, entgegnete die Susanna offen: »Glauben Ew. Majestät das nicht, sie alle wünschen, daß man dacapo ruft, ich wenigstens kann es von mir bestimmt versichern«, – worauf der Kaiser lachte.

Und war nun damit auch Mozarts Glück gemacht, der schon damals in so drückenden Verhältnissen lebte, daß er sich an seinen Verleger Hofmeister um so kleine Vorschüsse wie ein paar Ducaten wenden mußte?

Das Haus war jedesmal gedrängt voll und das Publikum nicht müde gewesen zu klatschen und Mozart herauszurufen. Allein sorgte man schon jetzt dafür, daß die Aufführungen nicht zu oft und nicht zu rasch hintereinander kamen, wo dann allerdings der Geschmack des Publikums bald ein edlerer geworden sein möchte, so genügte der Erfolg einer neuen Oper – wir müssen sie nennen, weil sie im Don Juan zur Tafelmusik dient, es ist Una cosa rara (Eine seltene Sache, nämlich Mädchentreue) des Spaniers Martin, – sie genügte beim Publikum wie beim Kaiser, den Figaro zunächst in Schatten und dann ganz zurückzustellen. Der Erfolg war aber auch ein unglaublicher gewesen und charakterisirt so recht ein Publikum, dessen edelster Repräsentant, Kaiser Joseph, damals gegen Dittersdorf, den Componisten von »Doctor und Apotheker« selbst äußerte, Martins leichte gefällige Melodien seien ihm lieber als Mozarts Art, der die Sänger durch die Begleitung übertäube. »Sie glücklicher Mann, ach könnte ich mit Ihnen reisen, wie froh wäre ich! Da muß ich jetzt eine Stunde geben, damit ich nur etwas verdiene,« sagte Mozart zu dem jungen Componisten Gyrowetz, der in diesem Herbst 1785 nach Italien ging. Ja er selbst dachte von neuem an England, doch ward daraus wieder nichts.

Und dennoch hatte der Figaro einen ganz directen Erfolg auch für seinen Componisten: er veranlaßt die Entstehung des Don Juan, und dies führt uns zu dem Schluß dieses so bedeutungsvollen und thatenreichen vorletzten Abschnittes von Mozarts Leben.

Die Neigung und Fertigkeit für Musik im waldigen Böhmerland ist bekannt. Wie heute R. Wagner hatte man in Prag Mozart sich bald nachdem er in Wien neu aufgetreten war, zu eigen gemacht und der auf die Entführung folgende Figaro war sogleich mit einem Beifall aufgenommen worden, der nur mit dem spätern der Zauberflöte verglichen werden kann. Er ward den ganzen Winter 1786/87 fast ohne Unterbrechung gegeben, der Enthusiasmus war ohne Beispiel, man konnte sich nicht satt daran hören. Clavierauszug, »blasende Partien«, Quintett, Tänze, alles ward daraus gemacht: »kurz Figaro widerhallte auf den Gassen, in den Gärten, ja selbst der Harfenist mußte sein ›Dort vergiß‹ ertönen lassen, wenn er gehört sein wollte.«

So war es das Orchester und eine Gesellschaft »großer« Kenner und Liebhaber, die ihn selbst nach Prag einluden. Was konnte ihm willkommener sein, den Wiener Feinden zu zeigen, daß er auf der Welt auch noch Freunde habe? Seine Frau begleitete ihn, es war Januar 1787. Graf Thun, einer der ersten Cavaliere und Musikkenner von Prag ward sein Wirth, eine eigene Hausmusik verschaffte dort täglich eine »wahre Unterhaltung«. Mehr aber umspielte ihn zum erstenmal völlig wieder die Woge des anerkennenden Verkehrs mit liebenden Freunden seiner Kunst. Sogleich den ersten Abend war Ball von dem »Kern der Prager Schönheiten«. »Ich sah mit ganzem Vergnügen zu, wie alle diese Leute auf die Musik meines Figaro, in lauter Contretänze und Teutsche verwandelt, so innig vergnügt herumsprangen; denn hier wird von nichts gesprochen als Figaro, keine Oper besucht als Figaro und ewig Figaro,« schreibt er selbst.

Er mußte das Werk dann persönlich dirigiren, – endloser Jubel! Die Leistungen der Capelle erkannte er selbst in einem »sehr gut geschriebenen« Briefe lebhaft an: das Orchester gerieth aber auch jedesmal völlig in Feuer. Zwei Concerte folgten. »Nie sah man das Theater so voll Menschen, nie ein einstimmigeres Entzücken,« erzählt ein Augenzeuge. »Wir wußten in der That nicht, was wir mehr bewundern sollten, ob die außerordentliche Composition oder das außerordentliche Spiel: beides zusammen bewirkte einen Totaleindruck, welcher einer süßen Bezauberung glich! Aber dieser Zustand löste sich, als Mozart zu Ende allein mehr als eine halbe Stunde phantasirte, in laute überströmende Beifallsäußerung auf.« Zum drittenmal war er bestürmt worden: »Mozart erschien und innige Zufriedenheit strahlte aus seinem Antlitz. Er begann mit steigender Begeisterung, leistete was noch nie gehört worden, als auf einmal eine laute Stimme rief: ›Aus Figaro!‹ woraus Mozart in die Lieblingsarie ›Dort vergiß‹ einleitete, ein Dutzend der interessantesten und künstlichsten Variationen improvisirte und unter dem rauschendsten Jubel diese merkwürdige Production endigte.«

Gewiß war dies ein Höhepunkt seines eigenen Lebens. Er sah in dem Beifall der Menge sein eigenes geistiges Gesicht, das ihn erzeugte, es mußten in seiner Seele selbst wunderbare Dinge vorgehen, nie empfundene Gefühle sich regen: ein Höhepunkt läßt uns auch abwärts schauen, es war wol das erstemal, daß der lebensprühende Sinn dieses Künstlers eine solche Empfindung hatte, aber daß er sie hatte, werden wir bald vernehmen. Die unausgesetzten Cabalen und Intriguen seiner Gegner und Neider, die bei seinem Tode sogar das Gerücht aufbrachten, man habe ihn vergiftet, fraßen in der That wie ein Geier an seinem Leben und endeten dasselbe vor der Zeit. Hier, in diesem endlosen Jubel der anerkennenden Freude, mußte ihm dieses Bewußtsein zuerst mit voller Wehmuth kommen, er sah zuerst des Lebens Ende, des Lebens tragisches Spiel: – sein merkwürdiges Abbild besitzen wir im Don Juan, und dieser war das Resultat der Prager Reise. Denn als Mozart in der Freude seines Herzens äußerte, für ein solches Publikum würde er gern eigens eine Oper schreiben, nahm ihn der Theaterdirector Bondini beim Wort und schloß mit ihm für den nächsten Herbst den Contract um 100 Ducaten ab.

Da Ponte erzählt, daß diesmal er den Stoff vorgeschlagen habe, denn er habe erkannt, daß Mozarts Genie ein vielseitiges und erhabenes Gedicht verlange. Und in der That, an diesem Stoff hatten wie am Faust die Nationen gearbeitet, und Don Juan ist der unverwüstliche Lebenstrieb wie Faust der Trieb nach Erkenntniß, wie sie beide sich selbst stets vernichten und stets wiedererzeugen. Der Held ist dem vollsten Lebensgenuß rücksichtslos frei und heiter ergeben, keine Fessel hemmt ihn, jeder Widerstand erhöht seine Kraft. Aber an eben diesem Uebermuth erzeugt sich zuletzt für ihn das Gericht, und diesen Schluß des ganzen weitausgedehnten ursprünglich spanischen Abenteuerspieles wählte sich unser Textdichter.

Don Juan dringt in das Gemach der ihres Geliebten Don Octavio harrenden Donna Anna, ihr Hilferuf treibt den Vater, einen Comthur, hervor, ein Duell macht seinem alternden Leben ein Ende. Auf der Gasse begegnet ihm und dem Diener Leporello dann die verlassene Elvira, sie klagt ihr Leid und überhäuft ihn mit Vorwürfen, er eilt seinem Wollustleben nach. Zerline, die Braut des jungen Masetto wird ihm zunächst durch Elvira's Eifersucht entrissen, er hat aber die ganze ländliche Hochzeitsgesellschaft zu sich aufs Schloß geladen. Wieder begegnet ihm, – es ist schon alles auf das Mißlingen und Ende eingerichtet, – Donna Anna mit Octavio, sie suchen seine Hilfe wegen des ermordeten Vaters, dabei erkennt aber Donna Anna, die schon durch Elvira mißtrauisch gemacht worden, ihn selbst als den Mörder. Sie erscheinen dann als schwarz gekleidete Masken ebenfalls auf dem Bankett, und als Don Juan soeben die ländliche Schöne entführen will, treten sie ihm entgegen, es entspinnt sich ein Kampf, aus dem nur die männlichste Kühnheit Herrn und Diener errettet.

Dies der erste Act dieses ebenfalls als Opera buffa genommenen Werkes.

Der zweite findet Don Juan mit Leporello im Streit, einem solch gefährlichen Herrn mag derselbe nicht mehr dienen. Allein Geld hilft selbst die ausgestandene Angst wiedergutmachen. Elvira erscheint auf dem Balcon. Don Juan wechselt mit Leporello die Kleider und schwört ihr aufs neue Liebe. Sie kommt herab und entflieht auf ein künstliches Geräusch Don Juans mit Leporello ins Dunkle. Darauf ein Ständchen an ihre Zofe, Leporello's Geliebte! Aber da erscheinen Masetto und seine Bauern mit Gewehren. Doch Don Juan als Leporello verkleidet weiß die Freunde zu entfernen und ihm selbst die Waffen abzuschwatzen, und prügelt ihn dann durch, worauf Zerlinchen ihn mit jenen berühmten schönsten Zusagen trösten muß. Elvira sucht jetzt im Dunkeln den vermeintlichen Geliebten, der geängstigte Leporello aber strebt zu entkommen: da treten plötzlich Don Octavio und Donna Anna mit Fackeln hervor und erkennen nun, daß sie diesmal statt des Herrn nur den Diener haben. Dieser entkommt und trifft verabredetermaßen auf dem Kirchhof wieder mit Don Juan zusammen. In ihre gottlosen Reden aber fährt plötzlich eine Stimme: »Verwegener, gönne Ruhe den Entschlafnen!« Es ist die Statue des Comthurs! Don Juan nöthigt dann übermüthig genug Leporello ihn zum Essen zu laden. Inmitten seiner Tafelfreuden, zu denen eben die Cosa rara von Martin auch einen Theil der Musik liefern muß, wie für Prag auch das »Dort vergiß« nicht fehlen durfte, – inmitten der üppigsten Lebensfreude, aus der ihn selbst die drängend warnende Stimme der liebenden Elvira nicht zu reißen vermag, tritt ihn der steinerne Gast an. Er verkündet ihm das Gericht. »Nieder in Staub und bete!« – »Die Weiber lehre beten!« – »Bessre dich!« – »Nein!« – »Ja!« – »Nein!« – »Jetzt ist dein Ende da!« Gähnende Schlünde öffnen sich und höllische Geister zerren den lebend Uebermüthigen ins düstere Grab hinab.

Die heitere Lebensseite des vorigen Jahrhunderts kennen wir, sie ertönt im Don Juan noch feuriger glühend als im Figaro. Die Renaissance hatte auch den freien Lebensgenuß der antiken Welt wiedereingeführt, man denke nur an die Borgias. Von Italien und Spanien aber war er nach Frankreich gedrungen, wo man sich dann zuerst bewußt ward »auf einem Vulcane zu tanzen«. Dieses Gefühl eines nothwendigen tragischen Gerichts über den bloßen sinnlichen Lebensungestüm, ein gesteigertes und concentrirtes dichterisches Bild irdischer Vergänglichkeit überhaupt, wie sie den Lebenden selbst stets ein dunkles Räthsel bleiben wird und daher auch dem übermüthigsten Leben gegenüber stets mit einer gewissen Wehmuth, ja mit Mitleid erfüllt, – dieses Gefühl, das den poetischen Kernpunkt der ganzen Don Juan-Sage bildet, hat von Allen, die den Stoff künstlerisch behandelt haben, keiner auch nur entfernt so in seiner Macht und Tiefe getroffen wie Mozart, und die Musik beim Auftreten des steinernen Gastes ist aus dem gleichen Born geschöpft, aus dem Fausts schönste und tiefsinnigste Monologe fließen: es ist das Gewissen, das innere Wissen von dem thatsächlichen Bestande menschlicher Existenz, und wir sahen, wie auch diesen Menschen und Künstler das Leben selbst auf solches innere Wissen und das Gefühl für ein wirklich Ewiges in diesem Wechsel der Dinge geführt hat.

Die Einzelnheiten der Entstehung des Don Juan bieten wieder manches Anziehende.

Da Ponte's Renommiren in seinen Memoiren ist in der That ergötzlich und zeigt, daß er doch im Grund ohne Ahnung davon gewesen, welch großem Wurf es mit diesem Stoffe galt. Er hatte alle drei angesehensten Operncomponisten Wiens von damals zugleich »unter der Feder« und beruhigte die Zweifel des Kaisers an dem Gelingen solcher Aufgabe mit der Entgegnung, er werde nachts für Mozart schreiben und dabei an Dante's Hölle denken, morgens für Martin und Petrarca lesen, abends aber für Salieri und da werde Tasso sein Gefährte sein. Dann hatte er, eine Flasche Tokaier und spanischen Tabak vor sich und die sechzehnjährige Tochter seiner Wirthin als holde Muse neben sich, die Arbeit begonnen und in zwei Monaten sei alles fertig gewesen.

Und Mozart? – Wenn er mit Anfang April das Textbuch dieses dichterischen Lebensgerichtes in Händen hatte, so war seine Seele auf dessen letzten Inhalt mit verdoppelter Energie gerichtet: er empfing ebendamals die Nachricht der schweren Erkrankung seines Vaters, die ihn auf merkwürdige Aeußerungen über den Tod als den »wahren Endzweck unseres Lebens und den wahren besten Freund des Menschen« führt, wir werden von dem näheren Zusammenhang noch hören. Er hatte zudem kurz zuvor seinen »liebsten besten« Freund Graf Hatzfeld verloren und verlor jetzt gar, am 28. Mai 1787, den geliebten Vater. Das Gmollquintett stammt aus dieser Zeit: seiner Seele Tiefen öffnen sich hier, es ist ein Vorspiel zum Don Juan. Es war auch damals, wo der sechzehnjährige Bonner Hoforganist Ludwig van Beethoven bei ihm war, aber nur soweit von ihm beachtet wurde, daß er seinen die Welt erfüllenden Ruhm voraussagte. So sehr war seine Seele von seiner neuen Arbeit erfüllt. Im September darauf starb dann sein Freund Dr. Barisani, der ihn selbst zwei Jahre vorher in tödtlicher Krankheit behandelt hatte, und Mozart schreibt unter seine Verse im Stammbuch: »Ihm ist wohl! – aber mir – uns – und Allen, die ihn genau kannten, uns wird es nimmer wohl werden, bis wir so glücklich sind, ihn in einer bessern Welt wieder und auf nimmer Scheiden zu sehen!« Seine Gedanken gingen über das Grab hinaus und trachteten in den ewigen Zusammenhang der Dinge zu dringen. Das war die Stimmung, einen Don Juan zu schreiben. Selbst in das hellste Licht des Lebens fallen endlich die dunklen Schatten der Vernichtung.

Im Anfang September 1787 befanden sich Componist und Dichter in Prag, Constanze war ebenfalls mitgereist: sie hatte zu sorgen, daß dem tiefinnen arbeitenden Geiste von außen keine Störung kam. Der persönliche Verkehr mit den Sängern erhöhte dessen innere Anregung, der erste Don Juan, Luigi Bassi, wird noch fast 40 Jahre später dem tauben Beethoven als »feuriger Italiäner« gelobt. Die Sängerinnen waren nicht gerade hervorragend. Gleichwol ward unserem Meister mit diesem Prager Aufenthalte allerlei Liebesabenteuer angedichtet. »Ist das Vergnügen einer flatterhaften launigen Liebe nicht himmelweit von der Seligkeit verschieden, welche eine wahrhafte vernünftige Liebe verschafft?« schreibt dagegen er selbst ebendamals einem Freunde in Wien. Die Bekannten erinnerten sich noch später der schönen Stunden mit ihm in Prag. In einem Weingarten, den heute seine Büste ziert, spielte er mit ihnen Kegel, während er zugleich am Gartentisch die Partitur ausschrieb. Und abends vor der Aufführung war er besonders voll Heiterkeit und Scherzen. Endlich ermahnt ihn jedoch Constanze, – es war elf Uhr – daß die Ouvertüre noch nicht aufgeschrieben. Bei einem Glase Punsch daheim, wie er ihn liebte, ging es an diese ihm so lästige Arbeit. Denn fertig im Kopfe war das Werk schon längst, er hatte es nebst zwei andern Entwürfen sogar seinen Freunden bereits vorgespielt. Deshalb mußte ihm Constanze jetzt, um seinen Geist wach zu erhalten, Geschichten erzählen. Es waren Märchen wie Aladins Wunderlampe, Aschenbrödel und solch liebliche Poesie der dichtenden Volksphantasie. Mozart mußte darüber oft bis zu Thränen lachen. Endlich überwältigte ihn aber doch die Müdigkeit und seine Frau ließ ihn einige Stunden schlafen. Dennoch empfingen bereits in der Früh die Abschreiber das Werk. Er hatte sich übrigens nach seiner eigenen Betheuerung gegen den Orchesterdirector keine Arbeit und Mühe verdrießen lassen, um für Prag etwas Vorzügliches zu leisten, und versicherte dabei, man solle nur nicht glauben, daß ihm seine Kunst leicht geworden: niemand habe wol so viel Fleiß darauf verwendet wie er, und es gebe nicht leicht einen berühmten Meister, den er nicht fleißig studirt habe. Wir sahen es auch hier durch sein ganzes Leben.

Das berühmte »Reich mir die Hand« soll er dem Don Juan fünfmal componirt haben. Die Sänger studirte er einzeln ein, den Menuett tanzte er selbst vor, – denn merkwürdigerweise nannte er selbst einmal gegen Kelly seine Leistungen im Tanzen bedeutender als die in der Musik, – die Darsteller waren deshalb voll Willigkeit und Begeisterung und in Folge dessen die Aufführung wieder eine sehr gute. Sie fand am 29. October 1787 statt: das Haus war zum Erdrücken voll und der Empfang dreimaliger Tusch und endloses Klatschen. Die Aufnahme aber war derart, daß der Theaterdirector selbst an den derweilen nach Wien zurückgekehrten Poeten schreiben konnte: »Es lebe da Ponte! Es lebe Mozart! Alle Directoren, alle Sänger sollen sie preisen; so lange diese beiden leben, weiß man nichts von Theaterelend!« Mozart selbst redet wie immer bescheiden nur von »lautestem Beifall« und bemerkt gegen jenen Wiener Freund: »Ich wollte meinen Freunden wünschen, daß sie nur einen einzigen Abend hier wären, um Antheil an meinem Vergnügen zu nehmen. Vielleicht wird sie in Wien doch aufgeführt? ich wünsche es. Man wendet hier alles Mögliche an, um mich zu bereden ein paar Monate hier zu bleiben und noch eine Oper zu schreiben, ich kann aber diesen Antrag, so schmeichelhaft er ist, nicht annehmen.«

Und nun das Werk selbst?

Am 29. December 1797 hat Schiller an Goethe geschrieben, er habe immer ein gewisses Vertrauen zur Oper gehabt, daß aus ihr wie aus den Chören der alten Dionysosfeste das Trauerspiel in einer edleren Gestalt sich loswickeln sollte: sie stimme durch die Macht der Musik das Gemüth zu einer schönern Empfänglichkeit und es könne auf diesem Wege am Ende sich gar das Ideale auf das Theater stehlen. Goethe antwortete kurz: »Ihre Hoffnung würden Sie neulich im Don Juan auf einen hohen Grad erfüllt gesehen haben; dafür steht aber auch dieses Stück ganz isolirt und durch Mozarts Tod ist alle Hoffnung auf etwas Aehnliches vereitelt.«

Daß wir heute das Gegentheil sagen können und inmitten jener erneuerten Blüte der wahren dramatischen Kunst stehen, die einst in Italien mit der Wiedererstehung der Antike angestrebt wurde, verdanken wir zum größten Theil diesen Figaro und Don Juan. Glucks Forderung der dramatischen Charakteristik ist hier auf den höchsten Grad erfüllt und in manchem Einzelnen oft bis heute unübertroffen. Dies dankte Mozart seiner genaueren Bekanntschaft mit den Erfordernissen des Dramas und seiner souveränen Beherrschung aller Mittel der Musik. Zwar halten uns die einzelnen abgeschlossenen Musikstücke mit ihren leidig sich wiederholenden Cadenzen stets gegenwärtig, daß wir es mit einem Musiker und trotz allem mit der herkömmlichen italiänischen Oper zu thun haben. Aber dieser Musiker ist dann wieder von einer so sicheren poetischen Intuition, daß ihm gerade der dichterische Stoff zu stets neuer Erfindung in seiner Kunst verhilft. Und während diese eine ruhige Ausbreitung in ihrem Elemente und damit bestimmte Formen nothwendig zu erheischen scheint, weiß der Genius die schöne Ausgleichung zu finden, daß die dramatische Bewegung nichts Entscheidendes verliert und doch die Musik nicht »der Poesie gehorsame Tochter« wird.

»Mozart hat in der Oper das unerschöpfliche Vermögen der Musik dargethan, jeder Anforderung des Dichters an ihre Ausdrucksfähigkeit in undenklichster Fülle zu entsprechen, und bei seinem völlig unreflectirten Verfahren hat der herrliche Musiker auch in der Wahrheit des Ausdrucks, in der unendlichsten Mannichfaltigkeit seiner Motivirung dieses Vermögen der Musik in beiweitem reicherem Maße aufgedeckt als Gluck und alle seine Nachfolger,« so sagt derjenige Meister, der allein auf diesem Gebiet sein wahrer Nachfolger geworden ist, Richard Wagner. Und in dieser dramatischen Hinsicht stehen der Figaro und Don Juan durchaus voran. »Keine Ruh' bei Tag und Nacht«, »Wenn du fein artig bist,« »Treibt der Champagner«, wer kännte nicht diese ganz neue Sprache in Tönen? Die edelsten Errungenschaften von Idomeneo und Entführung treten hier in der möglichsten Vollendung und energischsten Concentration wieder hervor. Es ist ein Wunder an Kraft und Anmuth, Geist und Wohllaut, an Schwung, Adel und innigstem Gefühl zugleich.

Figaro und Don Juan stehen denn auch wie unsere classische Dichtung mit an der Spitze jener großen dramatischen Epoche, die vor jetzt hundert Jahren begann. Sie sind ein Stück des Lebens der modernen Menschheit überhaupt, und Mozart entfaltete in ihnen zuerst völlig sein unerschöpfliches Genie, so daß diese Werke heute gleich der Antike und der Renaissancekunst der ganzen gebildeten Welt gehören. Eine nähere Beschreibung des Einzelnen der beiden Opern findet der Freund der Sache in O. Jahns historisch vortrefflichem »W. A. Mozart« (Leipzig 1856-59).

Der Schluß von Mozarts Schaffen zeigt ein Zusammenfassen all seiner Lebenseindrücke und Geisteserschauungen in ihrer Tiefe, und vor allem die Zauberflöte ward durch ihre rein menschliche und sittlich-religiöse Tendenz zum Ausgangspunkte der Bestrebungen einer eigentlich deutschen Kunst, aus der sich dann wieder das universale Kunstschaffen der heutigen Tage gebar. Zu diesen Darstellungen führt das fünfte und letzte Kapitel unserer Biographie.

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