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2. Die große Pariser Kunstreise.

(1777-79)

In einem Briefe vom Jahre 1776 klagt Wolfgang dem Pater Martini in Bologna, er lebe in einer Stadt, wo die Musik wenig Glück mache; beim Theater fehle es an guten Kräften, weil sie auch gut bezahlt sein wollten: »und Generosität ist nicht unser Fehler.« Er schreibe Kammer- und Kirchenmusik, allein die Stücke müßten immer sehr kurz sein, weil der Erzbischof es so liebe. »Ach, daß wir so weit von Ihnen entfernt sind, theuerster Meister, wie viel würde ich Ihnen zu sagen haben!« schließt das italiänische Schreiben in »Mozarts Briefen«.

Man sieht, es drängt den jungen Maestro in das Freie, dorthin wo er seine Kraft sichrer bethätigen konnte. Schon im Sommer 1773 waren Vater und Sohn miteinander wieder in Wien anwesend, aber selbst der Klugheit des erfahrenen Vaters war hier nichts zu erreichen gewesen. Und von München aus schrieb Wolfgang, die Mama solle ihre baldige Heimkunft nicht wünschen, denn sie wisse ja wie wohl das Schnaufen thue: »wir werden noch früh genug zum – – kommen.«

Sie lebten zwar daheim in ihrem engeren Kreise ein schönes Familienleben und hatten auch einige gute Freunde, mit denen das dort übliche Zimmerschießen und andere bescheidene Vergnügungen die geringe Muße ausfüllten, die sich Vater, Sohn und Tochter gönnen durften, da sie mit Composition und Unterricht ihr Brod zu ergänzen hatten. Denn des Vaters Gehalt betrug vierzig, des Sohnes gar nur fünfundzwanzig Mark monatlich: – »Generosität ist nicht unser Fehler.« Allein mehr störte ihren feineren Sinn die plumpe Art und der rohe Ton der kleinen Residenz. Galt der Salzburger an sich für einen Tropf, so daß damals Hanswurst in Wien Salzburgisch redete, so war die Lebensart und Anschauung der niederen und höheren »Noblesse« von noch weniger annehmlichem und feinem Wesen, und Mozart, der überhaupt die Lebensart selbst der »groben Baiern«, wie es damals noch allgemein hieß, der des Salzburger Adels vorzieht, schreibt von einem solchen Adligen, er habe sich über die Münchener Oper so »verwundert und verkreuzigt, daß sie sich völlig geschämt hätten.«

Die eigentlichen Collegen der Mozarts, die Musiker, standen bekanntlich im vorigen Jahrhundert mit Grund im Rufe als »Säufer, Spieler und liederliche Lumpe«. Das sei auch eine der Hauptursachen, die ihm Salzburg verhaßt mache, die grobe, lumpenhafte und liederliche Hofmusik, schreibt Mozart ebenfalls später, es könne kein honetter Mann mit ihnen leben, er müsse sich ja ihrer schämen. Selbst Michael Haydn, der Bruder Josephs, an sich ein sehr tüchtiger Componist, theilte den einen jener Fehler. Wer kännte nicht im Salzburger Stiftskeller das Haydn-Stübchen? Und als einmal der Organist einer dortigen Kirche im Trunk auf der Orgelbank vom Schlage getroffen war, schreibt der Vater an Wolfgang, was er wol meine, wer sein Nachfolger geworden? »Herr Haydn! – Alles lachte. Das ist ein theurer Organist, nach jeder Litanei trinkt er ein Viertel Wein, zu den übrigen Diensten schickt er den Lipp (ebenfalls ein Organist), der will auch trinken,« heißt es drastisch genug.

Und endlich sein eigenstes Gebiet, fand der junge Künstler hier einen Lohn, seines feurigen Geistes, seiner bereits geübten Kraft würdig?

Wir hörten ihn selbst klagen, über Theater, Kammer und Kapelle. Eine wandernde Truppe gab winters Vorstellungen im Theater, die Hofconcerte durften höchstens eine Stunde dauern – und dies bei stets mehreren Stücken – die Messe, selbst die feierlichste, nur dreiviertel Stunden. Zudem war das Orchester klein, hatte nicht einmal Clarinetten. Daß Mozart in diesem engen Rahmen und mit diesen beschränkten Mitteln noch Werke schuf, wie wir sie an Messen, Symphonien und Kammermusik aus dieser Salzburger Zeit besitzen, die das Schaffen der Zeitgenossen immerhin weit überragen und würdig neben Joseph Haydns Musik gleichen Genres stehen, – dies ist eben Verdienst seines Fleißes, seines Genies. Aber Befriedigung konnte er hier nicht erlangen, es mußte ihn hinausziehen mit Macht, ins Freie, wo er sich regen kann, wo gebildete Menschen seine Kunst würdigen und ein voller Strom von Leben ihn umgibt, der auf solcher Woge zu schiffen weiß. Also hinaus, hinaus!

Allein, da stand finster und schroff jener »– –«, zu dem sie noch früh genug zurückkommen, wie Mozart schreibt, der »Mufti«, wie er wegen seiner tyrannischen Art den Mann »mit dem scharfen Blick der grauen Augen, von denen das linke selten ganz geöffnet war, und dem strengen Zug um den Mund« nannte, der Erzbischof Hieronymus Colloredo. Er wußte eben im Grunde nicht zu würdigen, was er an Mozart besaß. »Sie sollen nur den Erzbischof fragen, der wird sie gleich auf den rechten Weg bringen,« schreibt dieser einmal von einem Concert, das in Mannheim so besonders gefallen hatte. Aber die Hauptsache war doch seine Kargheit, und er hielt seine Leute schon deshalb so streng, damit sie nur nicht mit irgend welchen Ansprüchen an ihn heran kamen. »Ich getraute mir nicht zu widersprechen, weil ich schnurgerade von Salzburg kam, wo man einem das Widersprechen abgewöhnt,« schreibt Mozart später. Was er also componirte, es war nicht recht, wurde getadelt und nicht in schonender Weise. Hatte der Erzbischof doch einmal die Stirn gehabt zu sagen, er verstehe nichts von seiner Kunst und müsse erst nach Neapel ins Conservatorium gehen, um etwas zu lernen, – er der Akademiker von Bologna und Verona und weitberühmter Operncomponist! Nur dann habe er Mozart geschmeichelt, wenn er etwas nöthig gehabt habe, sonst habe er ihm für alle seine Compositionen nicht einen Kreuzer bezahlt, erzählt der Vater später dem Pater Martini.

Hieronymus liebte aber überhaupt nach der Sucht der Zeit in musikalischen Dingen die Italiäner und hatte auch deren mehrere zu seiner Musik berufen, so daß die Mozarts sich in jeder Weise zurückgestellt und der »Verfolgung und Verachtung« preisgegeben sahen. Andererseits waren beide, Sohn wie Vater, von Freimüthigkeit, von klarem Verstande und witziger Zunge, Wolfgang sogar oft jugendlich ausgelassen und jedenfalls mit dem Bewußtsein seines Könnens und seiner Geltung in der Welt nicht hinterm Berge haltend, während andererseits der Erzbischof die Eigenheit hatte, durch große wohlgebildete Gestalten sich imponiren zu lassen, kleine unansehnliche Leute aber, wie der zwanzigjährige schmächtige Mozart damals war, nicht zu respectiren, – alles Stoff zu scharfer gegenseitiger Spannung, die denn auch schließlich zu einem völligen Bruch führen mußte.

Wir besitzen das Schreiben Mozarts an den Erzbischof: es ist gerade hundert Jahre nach seiner Entstehung aus dem erzbischöflichen »General-Einnehmer- und Hofzahlamt« ans Tageslicht gekommen und gibt uns alles zur Erkenntniß eines Verhältnisses, das in Mozarts Leben sehr schwer wiegt und zuletzt die entscheidendsten Katastrophen herbeiführte. Wir müssen es deshalb hier vorführen. Zeigt es uns doch zugleich den ganzen Ton der Zeit und namentlich der Salzburger Unterthanenschaft! Mozart schreibt:

»Ihro Hochfürstl. Gnaden
Hochwürdigster des Heil. Röm. Reichs
Fürst,
Gnädigster Landes Fürst
und
Herr Herr!

Euer Hochfürstl. Gnaden etc. darf ich mit der umständlichen Beschreibung unserer traurigen Umstände nicht beschwerlich fallen: mein Vater hat solche in der den 14. März dieses Jahres eingereichten unterthänigsten Bittschrift Euer Hochfürstl. Gnaden etc. bei seiner Ehre und Gewissen mit allem Grund der Wahrheit demüthigst zu erkennen gegeben. Da nun aber hierauf der gehoffte gnädigst günstige Hochfürstl. Entschluß nicht erfolget, so würde mein Vater schon im Brachmonat Euer Hochfürstl. Gnaden etc. unterthänigst gebeten haben, uns gnädigst eine Reise von etlichen Monaten zu erlauben, um dadurch uns wieder in etwas aufzuhelfen, wenn Höchstdieselben nicht gnädigst befohlen hätten, daß die Musik für die bevorstehende Durchreise Sr. Majest. des Kaisers (Joseph II.) sich mit ein und anderm bereit halten solle. Mein Vater bat hienach demüthigst um diese Erlaubniß: allein Euer Hochfürstl. Gnaden schlugen ihm solche ab, und äußerten sich gnädigst, daß allenfalls ich, der ich ohnehin nur halb in Diensten wäre, allein reisen könnte. Unsere Umstände sind dringend: mein Vater entschloß sich mich allein fortzuschicken. Aber auch hiebei machten Euer Hochfürstl. Gnaden etc. einige gnädigste Einwendungen. Gnädigster Lands Fürst und Herr Herr! Die Eltern bemühen sich, ihre Kinder in den Stand zu setzen, ihr Brod für sich selbst gewinnen zu können: und das sind sie ihrem eigenen und dem Nutzen des Staats schuldig. Je mehr die Kinder von Gott Talente erhalten haben, je mehr sind sie verbunden Gebrauch davon zu machen, um ihre eigene und ihrer Eltern Umstände zu verbessern, ihren Eltern beizustehen und für ihr eigenes Fortkommen und für die Zukunft zu sorgen. Diesen Talentenwucher lehrt uns das Evangelium. Ich bin demnach vor Gott in meinem Gewissen schuldig meinem Vater, der alle seine Stunden unermüdet auf meine Erziehung verwendet, nach meinen Kräften dankbar zu sein, ihm die Bürde zu erleichtern und nun für mich und dann auch für meine Schwester zu sorgen, für die es mir leid wäre, daß sie so viele Stunden beim Flügel sollte zugebracht haben, ohne nützlichen Gebrauch davon zu machen.

Euer Hochfürstl. Gnaden etc. erlauben mir demnach gnädigst, daß ich Höchstdieselben unterthänigst um meine Dienstentlassung bitte, da ich noch von dem eingehenden Herbstmonat Gebrauch zu machen gezwungen bin, um nicht durch die bald nachfolgenden kalten Monate der übeln Witterung ausgesetzt zu sein. Euer Hochfl. Gnaden etc. werden mir diese unterthänigste Bitte nicht ungnädig nehmen, da Höchstdieselben schon vor drei Jahren, da ich um die Erlaubniß nach Wien zu reisen bat, sich gnädigst gegen mich erklärten, daß ich nichts zu hoffen hätte und besser thun würde mein Glück andern Orts zu suchen. Ich danke Euer Hochfürstl. Gnaden in tiefster Unterthänigkeit für alle empfangene Höchste Gnaden und mit der schmeichelhaften Hoffnung Euer Hochf. Gnaden in meinen mannbaren Jahren mit mehrerm Beifall dienen zu können empfehle ich mich zu fürwährenden Höchsten Hulden und Gnaden

Euer Hochfürstl. Gnaden
meines gnädigsten Lands Fürsten
und
Herrn Herrn
unterthänigster und gehorsamster
Wolfgang Amade Mozart m. p.

[von außen:]

An
Se. Hochfürstl. Gnaden
Erzbischof zu Salzburg etc. etc.
Unterthänigstes und gehorsamstes Bitten
Wolfgang Amade Mozarts.«

Was da alles vorausgegangen sein mußte, ehe der Vater sich entschloß, den Sohn einen Schritt thun zu lassen, der möglicherweise ihm selbst Amt und Brod kosten konnte, das stellt man sich unschwer selbst vor, erfährt es aber zum Ueberfluß noch aus folgenden Briefstellen. »Ich hoffe, daß Sie jetzt weniger Verdruß haben, als da ich noch in Salzburg war, denn ich muß bekennen, daß ich die einzige Ursache war,« schreibt der Sohn. »Man ging mit mir schlecht um, ich verdiente es nicht, Sie nahmen natürlicherweise Antheil – – aber zu sehr. Sehen Sie, das war die größte und wichtigste Ursache, warum ich so von Salzburg wegeilte.« Und der Vater: »Du hast wohl Recht, daß ich den größten Verdruß wegen der niederträchtigen Begegnung, die du hast erdulden müssen, empfunden habe; das war es, was mir das Herz abnagte, was mich nicht schlafen ließ, was mir immer in Gedanken lag und mich am Ende verzehren mußte.« Und dann folgt so recht ein Ausbruch des Gemüthstones der Mozarts: »Mein lieber Sohn, wenn du glücklich bist, so bin ich, so ist deine Mutter, so ist deine Schwester, so sind wir alle glücklich! Und das hoffe ich von der Gnade Gottes und durch das Vertrauen, das ich in deine vernünftige Aufführung setze.«

Das Letztere war denn auch das einzige Bedenken, das der Vater wegen der Reise des Sohnes hatte. Nicht als wenn er an dessen Charakter und Herzen gezweifelt hätte! So wenig wie an seinem »superieuren Talent«! Allein seine Unerfahrenheit, da er nie allein gereist war, – wer konnte sie besser kennen als sein getreuer Mentor, der ihn nach eigenem Geständniß stets wie ein Freund, ein Diener bedient hatte? Schön sind die Aeußerungen, die der Vater hier thut, sie enthüllen uns ganze Lebenszüge des noch so jugendlichen unsterblichen Großmeisters der Kunst.

»Du weißt, daß du auf alles allein achtzuhaben, dir selbst ein und anderes ohne fremde Hilfe zu thun nicht gewöhnt, mit den Geldsorten wenig bekannt warst, vom Einpacken und derlei Nothwendigkeiten nicht den mindesten Begriff hattest,« schreibt der Vater. »Ich stelle dir ferner vor, daß ein junger Mensch, wenn er auch vom Himmel gefallen über alle Meister hinwegsähe, doch die Achtung niemals erwerben wird, die er verdient. Dazu will es gewisser Jahre, und so lange man unter zwanzig ist, wissen die Neider, Feinde und Verfolger den Stoff ihres Tadels aus der Jugend, zu wenigem Ansehen und Erfahrenheit heranzuziehen.« Und später: »Mein Sohn! in allen deinen Sachen bist du hitzig und jähe. Du hast von deiner Kindheit und Knabenjahren an deinen ganzen Charakter geändert. Als Kind und Knabe warst du mehr ernsthaft als kindisch. Jetzt aber bist du, wie mir scheint, zu voreilig, jedem in spaßhaftem Ton auf die erste Herausforderung zu antworten, und das ist schon der erste Schritt zur Familiarität, die man bei dieser Welt nicht suchen muß, wenn man seinen Respect erhalten will. Dein gutes Herz ist es, welches macht, daß du an einem Menschen, der dich wacker lobt, der dich hochschätzt und bis in den Himmel erhebt, keinen Fehler mehr siehst, ihm alle deine Vertraulichkeit und Liebe schenkst.«

War dies nun auch nur auf einen besondern Fall gemünzt, der uns bald begegnen wird, so sind hier doch Grundeigenschaften Mozarts, seine arglose Gutherzigkeit und wieder durch den lebhaften Geist verführt Witz und Scherz aller Art deutlich genug bezeichnet, und tief aus eines väterlichsten Vaters Seele sind die Worte, mit denen er seine Gefühle beschreibt, als nun im September 1777 wirklich der Sohn in Begleitung der Mutter in die Ferne gezogen war. »Nachdem ihr abgereist,« sagte er, »ging ich sehr matt über die Stiege und warf mich auf einen Stuhl nieder. Ich habe mir alle Mühe gegeben mich bei unserer Beurlaubung zurückzuhalten, um unsern Abschied nicht noch schmerzlicher zu machen, und in diesem Taumel vergaß ich meinem Sohne den väterlichen Segen zu geben. Ich lief zum Fenster und gab ihn euch beiden nach, sah euch aber nicht zum Thor hinausfahren und wir mußten glauben, ihr wärt schon vorbei, weil ich lange dasaß ohne an etwas zu denken.« Nannerl ward gar vor lauter Weinen krank und erst am Abend erholten sich beide wieder zu einer kleinen häuslichen Zerstreuung. »So verging dieser traurige Tag, den ich in meinem Leben nicht zu erleben glaubte,« schließt der Bericht als Antwort auf die ersten Nachrichten des Sohnes. Man findet ihn in dem obengenannten Mozartbuche.

Wolfgang selbst war ganz heiter. Hatte er doch von neuem das Freie gewonnen, und seine arglose Unerfahrenheit verhüllte ihm noch des Lebens Dornen, die ihn fortan nie mehr unverletzt lassen sollten. Er sah, vertrauend auf sein Talent und seinen guten Willen, nur Rosen. »Ich bitte dich, halte dich an Gott. Du mußt es thun, denn die Menschen sind alle Bösewichter!« schreibt in etwas schwarzseherischem Uebereifer der Vater. »Je älter du wirst, je mehr du mit den Menschen Umgang haben wirst, je mehr wirst du diese schmerzliche Wahrheit erfahren. Denke nur an alle Versprechen, Maulmacherei und hundert Umstände, die mit uns vorgegangen, und mache den Schluß selbst, wie viel auf Menschenhilfe zu bauen ist.« Ganz Salzburg war erstaunt und empört über des Erzbischofs Benehmen, da die Entlassung sofort und in größter Ungnade geschehen war. Der Vater freilich ward im Amt belassen, aber der Hof blieb doch höchst unzufrieden über diesen Verlust, da alle Fremde nichts als Wolfgang bewundert hatten. Dies gesteht einer der Domherrn dem Vater nachher, und von dem alten Oberhofmeister Graf Firmian, der Mozart ebenfalls gar sehr liebte, berichtet der Vater folgende Unterredung bei der Aufwartung:

»Nun haben wir eine Person weniger bei der Musik.«

»Ew. Hochfürstliche Gnaden haben einen großen Virtuosen verloren!«

»Wie so?«

»Er ist der größte Clavierspieler, den ich in meinem Leben gehört habe. Bei der Violine hat er Ew. Hochfürstliche Gnaden gute Dienste gethan und war ein recht guter Componist.«

Der Erzbischof hatte darauf still geschwiegen.

War dies alles nun auch für Wolfgang doppelte Genugthuung, dem Vater wurden dadurch die Sorgen nicht abgenommen. Die Vorbereitungen waren natürlich bis auf die kleinsten Bedürfnisse sorgfältig gemacht worden, zumal in Compositionen, um sich »in allem zeigen zu können«: Concerte für Clavier und Violine, Sonaten, Arien, Ensemblestücke verschiedenster Art. Die Sonaten für Clavier allein sind – so bemerken wir hier dem Freunde der Sache – die im »Chron. themat. Verzeichniß« von L. Köchel als Nr. 279-84 genannten, der Form nach von vollendeter Schönheit und auch oft im Inhalt schon vernehmlich redende Lebenszüge bietend. Mehr jedoch bedeutet die Sonate in Cdur, deren Andante cantabile (Fdur ¾) ein Cabinetsstück einer dramatischen Scene ist, die den späteren Componisten von Figaro und Don Juan selbst in so kleinem Rahmen deutlich verräth. Und die Variationen, womit die Sonate in Adur (6/8) beginnt, sind ein kaum erreichtes Vorbild für Beethovens Op. 26, das Trio in dem Menuett dagegen abermals eine volle Lebensscene, aber diesmal wie dem Carneval entnommen, worauf auch das abschließende Alla Turca hinweist. Wo bleiben auch gegen solche Jugendwerke Mozarts, – denn sie fallen ebenfalls ins Ende dieser 1770er Jahre, – die Sonaten von Ph. E. Bach und selbst J. Haydn?

Ebenso sorgfältig hatten mit Hilfe des Vaters die Reisenden alles Uebrige vorbereitet, sogar das Stiefelholz, wie es bei damaliger Reisetracht nothwendig war, wurde nicht vergessen. Und doch war das erste Reiseziel naheliegend genug: in München hatte der Vater schon früher einmal angeklopft, jetzt sollte der Sohn sein Heil abermals in persönlicher Vorstellung bei dem gutherzigen Kurfürsten suchen.

Wir können nun natürlich hier nur diejenigen Hauptbegebenheiten der Reise berühren, die von Einfluß auf Mozarts weiteres Leben waren, und verweisen für nähere Kenntniß der Sache auf » Mozarts Briefe«, die bereits 1877 in zweiter Auflage erschienen und auch ins Englische übersetzt worden sind. Es sind die anschaulichsten anmuthigsten witzigsten Lebensschilderungen von der Welt und berühren doch wieder in ihrem innigen Tone auch das tiefere Gefühl. Denn der Vater ist es, an den dieselben fast ausschließlich gerichtet sind. Und wieder seine Antworten findet man in dem mehrgenannten Mozartbuche. Sie mußten ausführlich sein, denn was war hier nicht alles zu rathen, vorzusorgen, abzuwenden, wieder gut zu machen und zu ermahnen? Aber überall leuchtet der schöne Gehalt jener treuen Seelen hervor, der eben in Mozarts Musik einen wahrhaft ideal verklärten Wiederhall finden sollte. Und diese Reise bildete in freudigen wie herben Erfahrungen jene innere Seite seines Wesens eben so aus, wie sie seinem künstlerischen Schaffen zuerst völlig den universellen und souveränen Charakter gab.

Schon von der ersten Station kommen Briefe. »Wir leben wie die Prinzen, uns geht nichts ab als der Papa; je nun Gott will es so haben, es wird noch alles gut gehen,« schreibt Wolfgang. »Ich hoffe der Papa wird wohlauf sein und so vergnügt wie ich, ich gebe mich ganz gut darein. Ich bin der andere Papa, ich gebe auf alles Acht. Ich habe mir auch ausgebeten, die Postillione auszuzahlen, denn ich kann mit die Kerls doch besser sprechen als die Mama. – Der Papa soll Achtung geben auf seine Gesundheit und gedenken, daß der Mufti H. C. (Hieronymus Colloredo) ein Schwanz, Gott aber mitleidig, barmherzig und liebreich sei.« Allein schon an der ersten Zielstation bekommt die Sache ein anderes Gesicht. Freilich an freundlicher Aufnahme fehlt es nicht, noch weniger an Bewunderung und Anerkennung, aber wol an nächstem Erfolg, an Einnahme oder gar Anstellung. Der Gastwirth Albert »zum schwarzen Adler« in der Kaufingergasse (heute Hôtel Detzer) nahm sie auf, er hieß der »gelehrte Wirth« und hatte viel Kunstinteresse. Der erste Gang war zum Theaterintendanten Graf Seeau, – denn nur wieder eine Oper und alles war gemacht. Darauf zum Bischof von Chiemsee, dem er die verstellte Gärtnerin verdankte. Man war schon überall unterrichtet, und jeder rieth nur direct zum Kurfürsten zu gehen, der ja überaus kunstliebend war und Mozart sehr schätzte. Allein schon nach wenig Tagen hatte Wolfgang in aller Höflichkeit zu erfahren, wie der Bischof bei der Tafel zu Nymphenburg heimlich mit dem Kurfürsten geredet und nun glauben mußte, sie würden in München nicht viel ausrichten. »Jetzt ist es noch zu früh, er soll gehen, nach Italien reisen, sich berühmt zu machen, ich versage ihm nichts, aber jetzt ist es noch zu früh,« hieß es. Der Vater hatte Recht: Mangel an gutem Willen versteckt sich hinter »Jugend und zu wenig Erfahrenheit«. Wer war denn so viel berühmter als dieser Cavaliere filarmonico? Auch die Kurfürstin hatte die Achseln geschupft, jedoch versprochen ihr Möglichstes zu thun.

Gleichwol ließ sich Mozart in Nymphenburg sehen, der Kurfürst wollte gerade vor der Jagd noch zur Messe gehen. Mozart dramatisirt sogleich die Scene.

»Ew. Kurfürstl. Durchlaucht erlauben, daß ich mich unterthänigst zu Füßen legen und meine Dienste antragen darf.«

»Ja, völlig weg von Salzburg?«

»Völlig weg, ja, Ew. Kurfürstliche Durchlaucht.«

»Ja warum denn? Habts eng z'kriegt (euch überworfen)?«

»Ei beileibe, Ew. Durchlaucht, ich habe nur um eine Reise gebeten, er hat sie mir abgeschlagen, mithin war ich gezwungen diesen Schritt zu thun, obwol ich schon lange im Sinn hatte wegzugehen, denn Salzburg ist kein Ort für mich.«

»Mein Gott, ein junger Mensch!«

»Ich bin schon dreimal in Italien gewesen, habe drei Opern geschrieben, bin Mitglied der Akademie in Bologna, habe müssen eine Probe ausstehen, wo viele Meister 4 bis 5 Stunden gearbeitet und geschwitzt haben, ich habe es in einer Stunde verfertigt. Das mag zum Zeugniß dienen, daß ich im Stande bin jedem Hof zu dienen. Mein einziger Wunsch ist, Ew. Kurfürstl. Durchlaucht zu dienen, der selbst ein großer …«

»Ja, mein liebes Kind, es ist keine Stelle frei, mir ist leid. Wenn nur eine Stelle frei wäre!«

»Ich versichere Ew. Durchlaucht, ich würde München gewiß Ehre machen.«

»Ja, das nützt alles nichts, es ist keine Stelle frei.«

Wir haben das ganze Gespräch gegeben, es ist förmlich das typische Beispiel, wie es Mozart durch sein ganzes kurzes Leben mit den Fürsten und Großen ging. Niemals war für ihn »eine Stelle frei«, – der wahre Genius hat ebenfalls nichts, wo er sein Haupt niederlegt. Es ist, als solle sein gottentstammtes Wesen ebenfalls nirgend am Irdischen haften.

Wir fahren fort. Mozart ließ sich trotz dieser bestimmten Erklärung nicht abhalten, fernere Versuche bei Hofe zu machen und dies obwol der Vater ihm geschrieben, der Kurfürst dürfe nicht so ohne weiteres eine neue Stelle schaffen und zudem seien immer heimliche Feinde da, die so etwas aus Angst verhindern. Freunde, falsche wie wahre, wissen ihn jedoch zu fesseln. Vor allen Graf Seeau, weil dieser zugleich am Theater materiellen Antheil hatte und wußte, was ein solcher fruchtbarer Geist ihm nützen konnte! Er verstand ihn, den er sogleich bei der ersten deutschen Oper Feuer und Flamme sah, hinzuhalten: Mozart sollte eine deutsche Oper heroischer Gattung schreiben, und dies war zugleich seinem patriotischen Gefühle zusagend. Er selbst entzündete dann wieder seine Freunde und so sollte sich denn gar eine Anzahl »wünschender Personen« zusammen thun, die durch einen regelmäßigen Monatsbeitrag ihn so lange in München zu halten vermochten, bis ein solches Werk geschrieben und damit für ihn Boden gewonnen war. Denn Seeau hatte geäußert, wenn Wolfgang nur »ein wenig Beihilfe von Hause« habe, hätte er Lust ihn zu behalten. Mozart will sich verpflichten, alle Jahre vier deutsche Opern, theils komische, theils ernste, zu liefern, und rechnet sein Benefice dabei auf mindestens 850 Mark, Graf Seeau werde wenigstens fünfhundert geben, er würde stets eingeladen sein, – also was ist da nicht alles zu gewinnen! Dazu heißt es: »Ich bin hier sehr beliebt; und wie würde ich erst beliebt werden, wenn ich der deutschen Nationalbühne in der Musik emporhälfe! – Und das würde durch mich gewiß geschehen, denn ich war schon voll Begierde zu schreiben, als ich das deutsche Singspiel hörte.«

»Die ersten Luftschlösser!« mochte der Vater denken. Denn der »gelehrte Wirth«, der die Sache mit aufrichtigem Interesse betrieb, konnte nicht einmal zehn Personen mit monatlich je 1 Ducaten (10 Mark) zusammenbringen. Doch ist zu bedenken, daß damals zumal durch die Thaten des alten Fritz und das neubeginnende freie Geistesleben der Nation das nationale Gefühl auch für die Kunst lebhaft erwacht war und ein »deutsches Nationalsingspiel« zu den Idealen der Fürsten wie der Künstler selbst, so weit sie edler und weiter dachten, gehörte. Wir werden davon noch vernehmen und können so Wolfgangs warme Auffassung der deutschen Oper, – hatte ihm doch die erste Sängerin Kaiser damals »öfters eine Zähre abgelockt!« – wie sein ernstliches Bemühen um festes Bleiben in München wohl begreifen. Worin ihm aber der Vater völlig glauben wurde und was ihn bei diesem ersten Mißerfolg trotz allem zuversichtlich bleiben ließ, waren Mozarts Erfolge als Virtuose: »Zu guterletzt spielte ich die Cassation aus Bdur von mir, da schaute alles groß darein, ich spielte als wenn ich der größte Geiger in Europa wäre.« Worauf der Vater antwortet: »Du weißt selbst nicht, wie gut du Violine spielst, wenn du nur dir Ehre geben und mit Figur, Herzhaftigkeit und Geist spielen willst, ja so als wärest du der erste Violinspieler in Europa!« Eine Cassation aber ist ein Musikstück in der Form von Beethovens Septett, jedoch für ein Soloinstrument, und besonders zu Ständchen bestimmt.

»Nun, Alberich, das schlug fehl!« – Man muß in den Briefen der Beiden selbst lesen, wie der Vater die Ehre des Sohnes wahrt, der so fast im ersten Anlauf seiner Bemühungen in ein unwürdiges Abhängigkeitsverhältniß gerathen und damit zum Spott des Erzbischofs geworden wäre, und wie andererseits Mozart seinen achtlosen Uebereifer mit der Leidenschaft für die Oper entschuldigt. »Doch ich rede nur so wie es mir ums Herz ist; – wenn ich vom Papa durch Gründe überzeugt werde, daß ich Unrecht habe, so werde ich mich obwol ungern darin ergeben; denn ich darf nur von einer Oper reden hören, so bin ich schon ganz außer mir,« schließt er nach der liebenswürdigen Bescheidung seines Wesens auch hier.

Am 11. October 1777, also nach vollem vierzehntägigem Aufenthalt verließen sie München. »Die schönen Worte, Lobsprüche und Bravissimo zahlen weder Postmeister noch Wirthe,« ermahnt der Vater. Denn: »aufs Geldeinnehmen muß alle Bemühung gehen und aller Bedacht auf wenig Ausgeben, so viel es möglich ist,« heißt es hier leider; »die Absicht der Reise und zwar die nothwendige Absicht war, ist und muß sein einen Dienst zu bekommen oder Geld zu erwerben.« Das Letztere war nun aber auch nicht in der reichen freien Reichsstadt Augsburg der Fall, wohin als nach des Vaters Geburtsort zunächst die Reise ging. Bei seinem dort lebenden Bruder, einem Buchbinder wie der Großvater gewesen, fanden sie herzliche Aufnahme, auch gewann wie immer Mozarts Spiel und Composition die lebhafteste private und öffentliche Anerkennung, aber zu einem Concerte kam es nicht: die »Patricii« waren nicht bei Cassa. Und als dann die protestantischen Patrizier ihn zu ihrer »vornehmen Bauernstub-Akademie« einluden, betrug das ganze Present – 2 Ducaten. »Das ist gewiß,« sagt der Vater, »mich würden sie schwerlich in ihre Bettel-Akademie gebracht haben,« und wir ergänzen: »Der Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande.«

Aber ein Denkmal hat er solcher schöppenstädtischen alten Reichsstädterei gesetzt, wie es nicht treffender gedacht werden kann. Allzu erhöhtes Selbstbewußtsein und das Sichgenügenlassen am überkommenen Besitz und seinen Ehren, das man so oft in diesen alten Reichsstädten fand und das selbst die Jugend dort altkindisch spielend gemacht hatte, – man muß darüber Mozarts Briefe an den Vater lesen, um ein ganz ergötzlich anschauliches Bild dieser Zustände zu gewinnen und sich recht innig über solcher Welt Beschränktheit zu erheitern. Besonders »Ihro Gnaden« der Herr Stadtpfleger von Langenmantel mit seinem »gestarzten Herrn Sohne« und der »langhacksigten gnädigen jungen Frau« kommen hier bei der bekannten »schlimmen Zunge« der Mozarts um so böser weg, als Wolfgang wohl hätte hoffen dürfen, in der Geburtsstadt seines Vaters eine geziemende Aufnahme zu finden. Auch der goldene Sporn des Papstes Ganganelli reizte diese »freien Bürger« mehr, als er ihnen zum Bewußtsein brachte, welche Ehren ein so junger Künstler bereits gewonnen hatte und daß er dadurch an Stand einem jeden der Herren ebenbürtig war. Besonders ein Offizier der seligen Reichsarmee läuft dabei schlimm an und erfährt, daß mit Mozart nicht wohl zu spaßen war. »So oft ich an deine Reise nach Augsburg dachte,« schreibt der Vater, »so oft fielen mir Wielands Abderiten ein: man muß doch, was man im Lesen für pures Ideal hält, Gelegenheit haben in natura zu sehen.« Der Herr Stadtpfleger sei eben gar sehr an den Respect der Bürger vor ihrem »regierenden Schellenkönig« gewohnt. Mozart aber hatte hier die beste Gelegenheit zu Studien, wie sie der Künstler braucht, um wirklich nach dem Leben zu malen: bei dem brutalen sich selbst überstürzenden lächerlichen Hochmuth des Osmin in der »Entführung aus dem Serail« werden wir solcher Erlebnisse wiedergedenken.

Heiter und so recht nach Mozarts Sinn war die Wiederbegegnung mit dem berühmten Clavierbauer Stein, den er erst errathen ließ, wen er vor sich hatte; – »schlimm« abermals die Zeichnung des Spiels von Steins achtjährigem »Mädl«, der spätern Frau Streicher, die in Beethovens Leben eine so recht das Weib ehrende Rolle hat; – sehr vergnügt der Verkehr im Hause des Onkels, wo die achtzehnjährige Nichte, das »Bäsle«, zu einer kleinen Herzensübung dient, die nachher eine Reihe spaßhafter Briefe erzeugt. »Das kann ich sagen, wenn nicht so ein braver Herr Onkel und Tante und ein so liebes Bäsle da wäre, so reute es mich so viel ich Haare auf dem Kopfe habe, daß ich nach Augsburg bin,« schreibt Mozart. Das aber sei wahr, sie zwei taugten recht zusammen: »denn sie ist auch ein bischen schlimm; wir foppen die Leute miteinander, daß es lustig ist.« – Das Scheiden von ihr war denn auch der Art, daß nachher der Vater den »traurigen Abschied von den zwei in Thränen zerfließenden Personen, des Wolfgangs und des Bäsle«, auf die Scheibe ihres Zimmerschießens malen ließ. Alles Uebrige dieses Aufenthalts aber muß man in den Briefen selbst lesen, es ist sehr ergötzliche Genremalerei.

»Wie mir Mannheim gefällt? – so gut einem ein Ort ohne Bäsle gefallen kann,« heißt's dann bald. Denn diese Residenz des eben so kunstsinnigen wie schwelgerisch üppigen Kurfürsten Karl Theodor war das nächste Ziel der Reisenden, um den Zweck Wolfgangs zu erreichen. Er erreichte denselben auch hier nicht, aber wol traf ihn hier die erste innere Herzenserfahrung, die sein Gemüth eben so reifen half, wie sein Geist schon über seine jungen Jahre hinaus hoch entwickelt war.

Die nächste Begegnung war mit dem kurfürstlichen Capellmeister Cannabich, der ihn schon als Knabe gekannt. Er war »ungemein höflich«, das Orchester aber sah ihn groß an: »sie denken halt, weil ich klein und jung bin, so kann nichts Großes hinter mir stecken, sie werden's aber bald erfahren.« Und bald schreibt denn auch die Mutter: »Du kannst dir nicht vorstellen, wie der Wolfgang hier hochgeschätzt wird, sowol bei der Musik als auch bei Andern; sie sagen Alle, daß er seines Gleichen nicht hat, seine Compositionen thun sie völlig vergöttern.« Und doch war noch nichts eigentlich Großes, keine Oper darunter, um derentwillen hauptsächlich Mozart seinen Aufenthalt so lange verzögerte. Denn Karl Theodor war vor allen der Beschützer der Bestrebungen um ein deutsches Nationalsingspieltheater und sein Orchester unter Cannabichs Leitung so vorzüglich, daß man es ernsthaft neben des alten Fritz Taktik als die bedeutendsten neuen Erscheinungen im damaligen Europa stellte. Dabei war der Kurfürst leutselig gegen seine Musiker, und diese selbst galten allgemein für »honette Leute«, – der vollständige Gegensatz gegen das Wesen der Musiker in Salzburg. Freilich war der genußsüchtige Ton des Hofes auch in die Bürgerkreise gedrungen, aber was wußte davon Mozarts reines Herz? Im Gegentheil sollte er gerade in diesem üppigen Mannheim eine schöne reine Herzensliebe finden.

Denn jetzt war für diesen unwiderstehlichen Zug der menschlichen Natur sein volles Herz erwacht. Schon in München bei der Composition der »Gärtnerin aus Liebe« hatte es einmal zu der »liebsten Schwester« geheißen: »Ich bitte dich, vergiß nicht dein Versprechen zu halten, das ist den bewußten Besuch abzustatten – – – – denn ich habe meine Ursachen. Ich bitte dich dort meine Empfehlung auszurichten – – – aber auf das nachdrücklichste – – – und zärtlichste – – – und – – oh – ich darf mich ja nicht zu bekümmern, ich kenne ja meine Schwester, die Zärtlichkeit ist ihr ja eigen.« Das Tändelspiel mit dem Bäsle freilich hatte sein eigentliches Innere nicht berührt: sie war nach Geist und Bildung allzu bürgerlich umfangen und unentwickelt für einen solch bei aller inneren Einfachheit reich entfalteten Geist. Es beweisen dies die spaßhaften Briefe an sie. Jetzt aber ersehen wir, daß bereits die Liebe selbst ihm den Griffel zu führen vermag, und ihr Glühen gebiert auch in der Kunst höchstes Leben.

Da hören wir zunächst, wie lustig es in diesen Musikantenhäusern einer Stadt herging, von der allerdings ein damaliger Berichterstatter sagt, »das Frauenzimmer« sei dort sehr schön artig und reizend. Bei Cannabichs war er bald »wie gewöhnlich« zum Nachtessen und schreibt einmal von solchem Abend: »Ich Johannes Chrysostomus Amadeus Wolgangus Sigismundus Mozart gebe mich schuldig, daß ich vorgestern und gestern wie auch öfters erst in der Nacht um 12 Uhr nach Hause gekommen bin und daß ich von 10 Uhr an in Gegenwart und in Gesellschaft des Cannabich, seiner Gemahlin und Tochter, Herrn Schatzmeister Ramm und Lang (zwei Bläser der Capelle) oft und nicht schwer, sondern leichtweg gereimt habe und zwar lauter Unarten, und zwar mit Gedanken, Worten und – aber nicht mit Werken. Ich hätte mich nicht so gottlos aufgeführt, wenn nicht die Rädlführerin die Lisel mich gar so sehr dazu animirt hätte, und ich muß bekennen, daß ich ordentlich Freude daran hatte.« Ja einmal beim Flötisten Wendling hatte er in einer besonders vortrefflichen Laune so gut gespielt, daß er nachher – die Frauenzimmer küssen mußte. Bei der Tochter sei ihm dies nicht schwer angekommen, denn sie sei nicht zu verachten, – sie war die Geliebte des Kurfürsten gewesen und damals, wie der Dichter Schubart in seiner Aesthetik der Tonkunst sagt, die »erste Schönheit im Orchester«.

Aber mehr als eine solche aufgeblühte Rose fesselte mit der ganzen Unwiderstehlichkeit unschuldvollen Reizes seinen Sinn die so jugendliche Rosa Cannabich, »ein sehr schönes, artiges Mädl«, wie er schreibt. Und hier beginnt der Cyklus süßer Liebeslieder, die aus diesem Dichterherzen auch in bloßen Tönen quollen. Daher hier eine Art biographischen Ereignisses für dieses Künstlerleben zu verzeichnen ist. »Sie spielt ganz artig Clavier und damit ich mir ihn recht zum Freunde mache, arbeite ich jetzt an einer Sonate für seine Mademoiselle Tochter,« schreibt er bald nach der Ankunft in Mannheim. Als nun das erste Allegro davon fertig war, fragte ihn ein junger Musiker, wie er das Andante machen wolle. »Ich will es ganz nach dem Charakter der Mademoiselle Rose machen,« antwortete er und erzählt weiter: »Als ich es spielte, gefiel es halt außerordentlich. Es ist auch so: wie das Andante so ist sie.«

Und wie war sie? – »Wie viele solcher süßen unschätzbaren Augenblicke schenkte mir der Himmel in dem lieben Umgang mit der schönen Rose Cannabich, ihre Erinnerung ist meinem Herzen ein Eden,« sagt später ein Maler, und Wolfgang schreibt jetzt von ihr, sie habe für ihr Alter sehr viel Vernunft und gesetztes Wesen, sie sei ernst, rede nicht viel, aber was sie rede geschehe mit Anmuth und Freundlichkeit. In Neapel steht die Psyche, eine so eben ausbrechende Rose. Mozart besaß das gleiche feine antike Gefühl für die Seelenstatue des Menschen: ihm blühte hier in seiner hellsehenden Künstleranschauung die Knospe zu der Blüte auf, die in ihr lag. Bald sollte aber dieses fruchtbringende Herzensleben bei ihm selbst tiefere Keime schlagen und sein eigenes Künstlerthum zur vollen Blüte bringen.

Und hier treten wir an einen ersten Wendepunkt in Mozarts innerem Wesen, der auch für seine geistige Entwickelung von Bedeutung wurde, indem die Leidenschaft ihm zuerst den Ernst des Lebens wie der Kunst erschloß. Dies verhielt sich aber so.

Schon in der ersten Woche seines Aufenthalts in Mannheim hatte der Hof ihn gehört. »Er spielt unvergleichlich,« hatte der Kurfürst zu ihm gesagt. Kurz darauf sprach er den Kurfürsten »wie seinen guten Freund« und dieser begann: »Ich habe gehört, Er hat zu München eine Oper geschrieben.« »Ja, Ew. Durchlaucht,« entgegnete Mozart, »ich empfehle mich zu höchster Gnade, mein größter Wunsch wäre hier eine Oper zu schreiben, ich bitte mich nicht ganz zu vergessen, ich kann Gott Lob und Dank auch Deutsch.« »Das kann leicht geschehen,« hatte darauf Serenissimus gesagt. So richtete sich denn Mozart für einen längeren Aufenthalt ein, nahm Schüler an und schrieb, wie wir dies bei der schönen Rosa Cannabich sahen, Sonaten oder Variationen für sie. Dazu bedurfte er eines Abschreibers. Das Copiren aber war, wie er dem Vater einmal klagt, in Mannheim sehr theuer, und so war er, dem das Abschreiben eigener Sachen ein wirklicher Gräuel war, sehr froh nach einiger Zeit – es war zu Anfang 1778 – einen Mann zu finden, der ihm dies unentgeldlich verrichtete: nur hatte er dafür seine Tochter zu unterrichten.

Dieser Mann war Fridolin von Weber, Bruder von C. M. von Webers Vater und damals Souffleur und Copist am Mannheimer Theater. Die Tochter aber hieß Aloysia, die später berühmte Sängerin Madame Lange.

Die Familie hatte einst bessere Tage gesehen, aber des Vaters Leidenschaft für die Bühne hatte ihn in diese Lebensenge geführt, wo er sich Jahre lang mit sechs Kindern auf 350 Mark Gehalt angewiesen sah. Doch verwendete er sein musikalisches Wissen so gut, daß diese zweite Tochter schon jetzt – sie war 15 Jahre alt – vortrefflich sang, am Theater mitwirkte und so dem Vater das Gehalt verdoppelt ward. Fühlte sich Mozart hier schon so zu sagen musikalisch zu Hause, – denn die älteste Tochter Josepha ward die spätere Frau Hofer, für welche die »Königin der Nacht« in der Zauberflöte geschrieben ist, – so ward obendrein rasch sein gutes Herz in Mitleidenschaft gezogen. »Es geht ihr nichts ab als die Action, dann kann sie auf jedem Theater die Primadonna machen. Ihr Vater ist ein grundehrlicher deutscher Mann, der seine Kinder gut erzieht, und dieses eben ist die Ursache, warum das Mädl hier verfolgt wird,« so faßt er sogleich in der ersten Nachricht die Hauptdinge dieses Verhältnisses zusammen. »Ich übergehe ihr Singen – mit einem Wort vortrefflich!« heißt es dann später von einer Production bei der Prinzessin von Oranien in dem nahen Kirchheim-Bolanden, und zum Schluß: »Ich habe das unaussprechliche Vergnügen, mit grundehrlichen und gut christlichen Leuten in Bekanntschaft gekommen zu sein – mir ist leid genug, daß ich sie nicht schon lange kenne!«

Dies sagt uns Alles. Er widmete der Familie fortan fast jede Mußestunde, studirte der jungen Sängerin alle seine Arien ein, verschaffte ihr Gelegenheit sich hören zu lassen und hatte die Genugthuung, daß selbst Raaff, der bedeutendste Tenorist Mannheims und selbst Deutschlands bald rühmte, sie singe nicht wie eine Schülerin, sondern wie eine Meisterin.

Eine Begebenheit aber – denn das Nähere des ganzen Verhältnisses findet man in der biographischen Skizze »Mozarts Aloysia« im »Musikalischen Skizzenbuche (München 1866)« – ist uns auch hier von entscheidender Bedeutung, weil sie unmittelbar in Mozarts Thun und seine Entwickelung als Künstler eingreift. Er war daran gegangen, jenem ersten Sänger, um ihn bei der etwa bevorstehenden Oper für sich zu gewinnen, eine Arie zu schreiben. »Aber gleich der Anfang,« erzählt er in voller Unbefangenheit selbst, »schien mir für den Raaff zu hoch und um ihn zu ändern, gefiel er mir zu sehr. Mithin entschloß ich mich diese Arie für die Weberin zu machen. Ich legte sie beiseite und nahm andere Worte für den Raaff vor. Ja da war es umsonst, ich hätte unmöglich schreiben können, die erste Arie kam mir immer in den Kopf. Mithin schrieb ich sie und nahm mir vor, sie accurat für die Weberin zu machen.«

Und was enthielten diese Worte, die er nur genommen hatte, weil ihm eine auf dieselben componirte Arie vom Londoner Bach so gut gefallen hatte und stets in den Ohren war, um zu versuchen, ob er nicht trotz allem im Stande sei, eine Arie zu schreiben, die der von Bach gar nicht gleiche, – was waren diese Worte?

Ein König will einen Jüngling zum Tode führen lassen, der einen Anschlag auf sein Leben machte. Aber plötzlich, wie er ihn anschaut, ruft er aus: »Was ist's, was mich ergreift? Sein Antlitz, sein Auge, seine Stimme! Mein Herz bebt, jede Fiber zittert! In all meinen Gefühlen suche ich die Ursache und finde keine. Was ist's, o Gott, was ist's, was ich empfinde?« Und darauf folgt nun die eigentliche Arie Non sò d'onde viene: – »Ich weiß nicht, woher mir dies zärtliche Empfinden kommt. Solch jähen Wechsel zu erwecken genügt nicht das bloße Mitleid!« War dies nicht Mozarts eigener innerer Zustand? Er wähnte, einzig das Mitleid mit der Lage der Weberschen Familie und höchstens das Interesse für die »schöne reine Stimme« und solches Können in solcher Jugend fesseln sein Herz an dieses Haus, – und es sind die ungeahnten Tiefen, die das erste Gefühl der Liebe in uns aufthut, die Wunder, der Zauber, das Zittern, das Glühen, das Jauchzen, die schwebende Seligkeit des Innern, die uns zum ersten Mal ahnungsvoll sehnsüchtig uns selbst erschließen und in heißer Erbebung unseres tiefsten Innern jeden Tropfen Blutes neu in uns zu gebären scheinen. In solchem Zustande sang er, wie wir begreifen, dieses » Non sò d'onde viene« nicht als Musiker, nicht als Künstler, sondern aus jenem vollen Drang des Herzens, der in letzter Instanz alles wahre Leben erzeugt. Und wie Pygmalion in solchem glühenden Drang den Stein erweichte, so schmolz auch er in diesem ersten Feuer der vollsten und menschlichsten Empfindung die elementare Substanz der Musik und gab ihr, was sie bisher stets nur vereinzelt und mehr zufällig gezeigt hatte, den seelischen Ausdruck das heißt das Sinnbedeutende in jedem Tone. Es wird schwer halten, vor Mozart, außer im Volksliede, etwas von diesem tieflebendig beseelten und allerpersönlichsten Empfindungsausdruck zu finden, wie diese Arie Non sò d'onde viene ihn hat, – sie steht wie das Portrait Aloysias selbst in »Mozarts Leben« (Leipzig 1877): – es redet hier förmlich alles, redet eine Sprache, die deutlicher, allverständlicher ist als Worte, es erwärmt und entzückt uns, blickt uns an mit sprechender Geberde und hat einen Ausdruck als seien nur wir, nur wir mit dieser Anrede gemeint. Das ist die höchste, die allerhöchste Wirkung der Kunst, das ist der Augenblick, wo sie ein zweites, ein ideal verklärtes Leben wird, und Mozart hat diese neue Weise, diese neue Sprache, die er damit seiner Kunst gewonnen, nie mehr verlassen: er hat sie aber noch verschönert, erfüllt, vertieft, bis zu jenem Seelenausdruck, wo wie in den Weisen der Zauberflöte die Seele selbst vor dem Angesicht ihres Schöpfers steht und in stiller Beseligung fühlt, daß sie das »Ebenbild Gottes« und sein ewiger Mitantheil ist.

Wir schließen also hiermit den Abschnitt von Mozarts innerm Erwachen und stellen den ersten Herzensproben die ersten Geistesthaten gegenüber, zu denen diese Liebe zu Aloysia Weber ihm mit der Arie Non sò d'onde viene zuerst die Schranken ganz geöffnet hatte.

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