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3. Idomeneo.

(1779-81)

Die Bahn Mozarts geht fortan durchaus des Lebens gewundene Wege: Enttäuschung folgt auf Enttäuschung, erste Leiden und Schmerzen treten ein, sie weisen auf ein höheres Ziel, als bloße nächste Lebenserfolge sind, und die schärfsten Prüfungen des Herzens geben diesem selbst einen über die eigenen Interessen hinausreichenden Gehalt, der auch erst den vollen Werth des Künstlers ausmacht.

Man würde nämlich sehr irren, wenn man glaubte, Mozart sei damals in dem Girren der Liebe völlig aufgegangen: er vergaß seiner über die eigene zufällige Person hinausgehenden Bestimmung nicht, und selbst in diesem Herzensverhältniß ist als wesentliche Seite noch seine Kunst einwirkend. »Mit dieser Arie hat meine liebe Weber sich und mir unbeschreibliche Ehre gemacht; Alle haben gesagt, daß sie noch keine Arie so gerührt hat wie diese; sie hat sie aber auch gesungen, wie man sie singen soll,« schreibt er an den Vater. Und doch hatte sie die Arie »von sich selbst gelernt« und sang sie »nach ihrem Geschmack«. Wie mußte dieser also schon gebildet und ein wie guter Lehrmeister mußte dieser junge Componist sein! Aber singt nicht Platen:

»Mein Herz und deine Stimme
Verstehn sich gar zu gut!«

Aloysia hat später mehr als irgend eine Sängerin die Musik Mozarts in fernere Weiten getragen und verstehen gelehrt. Und dies war nöthig. Denn auch Mozarts Melodien, die uns heute so allverständlich erscheinen, hatten ihrerzeit oft einen schweren Stand und wurden erst sehr allmählich den ungleich matteren anderen Weisen der Zeit, besonders der italiänischen Cantilene und Coloratur vorgezogen.

Auch jetzt hatte er bei diesem Erfolg wesentlich die erhoffte Oper für Mannheim im Auge, die also neben dem ersten Tenoristen vor allem durch ihn auch bereits eine Primadonna gehabt hätte. Allein auch hier erwiesen sich die Hoffnungen trügerisch. Man muß darüber, weil es uns hier im Einzelnen nicht angeht, die Briefe an den Vater lesen, die überaus mannichfaltige Details und ein wirkliches Musik- und Culturbild einer kleinen deutschen Residenz jener Zeit bringen, die für die deutsche Kunst sehr entscheidend gewesen.

Vor allem erfährt man dort, daß der eigentliche Zweck der Reise stets sicher festgehalten wird. Nur Projecte und Mittheilungen über fleißige Beschäftigung in seiner Kunst, dazwischen wie Ranken um feste Steine die Ausbrüche der ungekannten Empfindung, die ihn beseelt! Er, der so gern nur »speculirt und studirt« das heißt ganz und gar in seiner Kunst lebt, bemüht sich aufs eifrigste um Unterrichtsstunden, um Aufträge zu Compositionen jeder Art, und sei es für die ihm so wenig sympathische Flöte. Denn er glaubt immer noch sicher an des Kurfürsten Absicht ihm mindestens eine deutsche Oper aufzutragen. Eine solche, »Günther von Schwarzburg« von Holzbauer, hörte er hier, und was würde nicht erst er selbst mit Künstlern wie Raaff, wie seiner Weber und den ausgezeichneten beiden Frauen Wendling unter Leitung eines Cannabich hergestellt haben! Jedenfalls aber lernte er hier, was man einem guten Orchester zumuthen konnte, sowie er einst in Italien gelernt hatte für Gesang zu schreiben.

Als nun die Aussichten auf die Oper sich verdunkelten, – wir haben keine sicheren Nachrichten über die Ursache davon, dürfen aber annehmen, daß neben andern mißgünstigen Naturen der bekannte Abbé Vogler, der dort Capellmeister war und sogleich Mozarts Gegner und sogar Feind ward und zeitlebens blieb, hier nicht ohne Einfluß gewesen ist, – als die Angelegenheit mit der Oper wenig mehr versprach, wäre es das Natürlichste gewesen, sogleich weiterzureisen, zumal da ja jetzt Paris nicht mehr so weit entlegen war. Es hatten ihm auch schon die Bläser der Capelle Wendling, Ramm, Lang den Vorschlag gemacht, in den Fasten mit ihnen dorthin zu gehen und gemeinschaftliche Concerte zu geben: ihr Einfluß, meinten sie, würde ihm auch zu jeder Art Composition, ja sogar zu einer Oper verhelfen. Und um ihn nun selbst auf seine eigene Nachricht an den Vater: »Hier ist derweilen nichts mit dem Kurfürsten,« dennoch vorerst in Mannheim zu halten, trachteten sie ihm Compositionen und Stunden zu verschaffen. Dazu kam ein Ereigniß, das ihn doppelt fesselte, die Einstudirung einer zweiten deutschen Oper, Rosamunde von Wieland, und es ist von Interesse Mozart hier nach seiner vollen Unbefangenheit im Urtheil über andere berühmte Männer seiner Zeit kennen zu lernen. »Eine ziemlich kindische Stimme, ein beständiges Gläselgucken, eine gewisse gelehrte Grobheit und doch zuweilen dumme Herablassung«, das sind nicht gerade schmeichelhafte Prädicate. Doch entschuldigt er den Dichter, da die Mannheimer ihn so ansähen, als wenn er vom Himmel herabgefallen wäre. Auch kannte dieser den jungen Künstler selbst noch nicht und mochte daher ihn nicht so behandelt haben wie sich geziemte. Denn bald darauf heißt es: »Der Herr Wieland ist, nachdem er mich nur zweimal gehört hat, ganz bezaubert. Er sagte das letztemal nach allen möglichen Lobsprüchen zu mir: Es ist ein rechtes Glück für mich, daß ich Sie hier angetroffen habe! – und drückte meine Hand.«

Wieland war durch seinen Aufruf in dem »Versuch über das deutsche Singspiel« im »Deutschen Merkur« von 1775 – man findet ihn in dem Buche »Gluck und Wagner« (München 1870) – der Hauptvertreter dieser Bestrebungen um ein Nationalsingspiel geworden, und so ist Mozarts Begegnung mit ihm für diesen doppelt bedeutsam und anregend gewesen. Die Aufführung der Rosamunde ward zwar durch den plötzlichen Tod des Kurfürsten Maximilian III. von Baiern verhindert, da Karl Theodor um Neujahr nach München reiste. Allein die Idee einer deutschen Oper blieb fortan eine treibende Kraft in Mozarts Innern. Er schreibt schon in diesen Tagen von der Absicht Kaiser Josephs II. auch in Wien eine solche zu errichten und daß derselbe mit allem Ernst einen jungen Capellmeister suche, der die deutsche Sprache und Genie habe und im Stande sei etwas Neues auf die Welt zu bringen. »Ich glaube, das wäre so eine Sache für mich!« ruft der spätere Componist von Entführung und Zauberflöte dabei aus.

Vorerst ward aus dieser Sache jedoch nichts, so sehr Mozart in seiner jetzigen persönlichen Lebenslage eine derartige Stellung wünschen mußte. Dagegen bringt ihn eben dieses jetzt auf ganz andere Pläne, und da dieselben eine sehr nachdrückliche Mittelung und Schüttelung seines ganzen inneren Menschen im Gefolge hatten, so sind uns dieselben hier von Bedeutung. Werfen sie doch andererseits zugleich ein neues Schlaglicht auf das Verhältniß zu »seiner lieben Weber!«

Der Vater nämlich, der ganz in der Gewißheit der Reise Wolfgangs nach Paris lebte und demselben schon allerhand guten Rath gegeben, auch wie er die Mutter am besten nach Augsburg zurückbringe, erhält plötzlich die Nachricht, Wolfgang gehe nicht nach Paris. Das Wendlingsche Leben gefalle ihm nicht, sie seien »ohne Religion«; auch wisse er nicht recht, was er in Paris zu thun habe; zu Stundengeben sei er nicht auf der Welt: »ich bin ein Componist und bin zu einem Capellmeister geboren, ich darf mein Talent, welches mir der gütige Gott so reichlich gegeben hat, – ich darf ohne Hochmuth so sagen, denn ich fühle es jetzt mehr als jemals, – nicht so vergraben und das würde ich durch die vielen Schüler.«

Aber was wollte er denn? Warum betont er dieses sein Talent so? – Er wollte mit Webers nach Italien gehen und dort Opern schreiben, in denen sie als die Primadonna fungiren sollte.

»Der Gedanke, einer armen Familie ohne sich schaden zu thun aufzuhelfen, vergnügt mich in der Seele,« schreibt er und sein ganzes Herz liegt vor uns. Freilich zu solchem aufrichtigem Wohlthätigkeitssinne kommt nur halb bewußt der Wunsch, bei dem Mädchen bleiben und sie am Ende gar auf diesem Wege der Berühmtheit und ergiebigen Thätigkeit eines italiänischen Operncomponisten ganz sein nennen zu können. Denn »das ist wieder eine Geldheirath, sonst weiter nichts,« hatte er schon Wochen vorher über einen Salzburger Freund geschrieben, »so möchte ich nicht heirathen, ich will meine Frau glücklich machen und nicht mein Glück durch sie machen.« Zunächst wollten sie miteinander auf Concerte reisen. »Wenn ich mit ihm reise, so ist es gerade so viel als wenn ich mit Ihnen reiste,« vernimmt der Vater. »Deswegen habe ich ihn so gar lieb, weil er das Aeußerliche ausgenommen ganz Ihnen gleicht und ganz Ihren Charakter und Denkungsart hat. Ich durfte mich um nichts bekümmern; was zerrissen war fand ich geflickt, mit einem Wort, ich war bedient wie ein Fürst. Ich habe diese bedrückte Familie so lieb, daß ich nichts mehr wünsche als wie ich sie glücklich machen könnte, und vielleicht kann ich es.«

Er hatte also in Erinnerung seiner dortigen Siegeszüge selbst den Rath wegen Italien ertheilt, und der Vater soll nun »je eher je lieber« die alten Verbindungen wieder anknüpfen, so daß man recht bald irgendwo die Saisonoper erhalte. Für ihr Singen stehe er mit seinem Leben, daß sie ihm gewiß Ehre mache. Dann würden sie zunächst den Papa besuchen und Nannerl werde an Aloysia eine Freundin und Kameradin finden. Denn sie stehe in Mannheim im Ruf wie seine Schwester in Salzburg, der Vater wie seiner und die ganze Familie wie die Mozartsche. »Sie wissen mein größtes Anliegen: – Opern zu schreiben,« schließt er, »ich bin jedem vor Verdruß neidig, der eine schreibt; ich möchte ordentlich weinen, wenn ich eine Arie höre oder sehe. – Nun habe ich alles geschrieben, wie es mir ums Herz ist. Ich küsse Ihnen tausendmal die Hände und bin bis in den Tod dero gehorsamster Sohn W. A. Mozart.«

Allein schon die Mutter fügt eine heimliche Nachschrift bei, daß Wolfgang sogleich Gut und Blut für die Leute gebe; es sei wahr sie singe unvergleichlich und die Wendlings seien ihr nie recht gewesen. Doch er, als er mit den Weberschen bekannt geworden, habe sogleich wegen Paris seinen Sinn geändert.

Der kluge Vater, obgleich ihn dieser Plan Wolfgangs so mit fremden Leuten in der Welt umherzureisen, »fast von Sinnen brachte«, beginnt doch möglichst klar und besonnen dem Sohne sein ganzes bisher fast nutzloses Thun auf der Reise vorzuhalten und ihm dann die Unausführbarkeit seiner Absicht mit tausend Gründen klar zu machen. Ueberall redet in dem Briefe die treue Liebe wie die maßvolle Besonnenheit, doch macht er von seinem väterlichen Rechte den vollsten Gebrauch und wendet auch manchmal die scharfe Ironie der Mozartschen Natur an. Nur an seinem zu guten Herzen und seiner Leichtgläubigkeit erkenne er seinen Sohn wieder, beginnt es, – man muß den schönen langen Brief an Ort und Stelle lesen, er ist ein Denkmal des Sinnes, der in dieser Familie waltete, – alles Andere sei verwandelt und die für ihn vergnügten Augenblicke seien vorbei. Es komme jetzt allein auf ihn an, sich nach und nach in eins der größten Ansehen zu erheben, das je ein Tonkünstler genossen, – und dies sei er seinem Talente schuldig, – oder von einer Frau etwa eingeschäfert mit einer Stube voll nothleidender Kinder zu sterben. »Der Vorschlag mit Herrn Weber und notabene zwei Töchtern herumzureisen hätte mich beinahe um meine Vernunft gebracht,« sagt er. So leichtsinnig seine und der Eltern Ehre aufs Spiel zu setzen! Und wie solle ein so junges Mädchen plötzlich zu Erfolgen in Italien gelangen, wo doch die größten Sängerinnen seien. Zudem drohe jetzt Krieg – wegen der bairischen Erbfolge. Und überhaupt seien solche Pläne nur für kleine Lichter, für Halbcomponisten, für Schmierer. »Fort mit dir nach Paris! Setze dich großen Leuten an die Seite! Aut Caesar, aut nihil! Der einzige Gedanke Paris zu sehen hätte dich vor allen fliegenden Einfällen bewahren sollen,« so ruft er energisch genug zuletzt ihm zu.

Wolfgang, als er diesen Brief erhielt, ward unwohl: all seine heiligsten Empfindungen waren hier angerührt, seine kindliche Liebe, sein Pflichtgefühl, seine Ehre und sein künstlerischer Stolz. Nur einen Punkt hatte der Vater wohlweislich unberührt gelassen: seine Liebe, denn hier wäre der Sohn taub gewesen. Doch hält er ihm all die wechselnden Neigungen vor, die Zähre für die kleine Kaiserin in München, das Spiel mit dem Bäsle, das Andante für die liebe Rosa Cannabich. So beugt sich denn Wolfgangs kindliches Gefühl unter den Willen wie seine Unerfahrenheit unter die erprobte Klugheit des Vaters. Er habe alles nur aus Eifer für die Familie gethan, er bitte alles von ihm zu glauben was er wolle, nur nichts Schlechtes: »ich bin ein Mozart, aber ein junger und gutdenkender Mozart«. Und zuletzt dringt die volle Sonne zutrauender Liebe wieder hervor: »Nach Gott kommt gleich der Papa, das war als Kind mein Wahlspruch und bei dem bleibe ich auch noch!«

Die Abreise ward denn auch sofort vorbereitet und nach kurzer Zeit schon ist Mozart in Paris. Die Claviersonate in Amoll, die das Datum »Paris 1778« trägt, sagt uns durch ihre energischen Rhythmen und die leidenschaftliche Klage des Finales mehr als alles, was in Mozart damals vorgegangen: es ist die unmittelbarste Sprache eines in Leid zuckenden Herzens und stellt wie kurz zuvor die Arie Non sò d'onde viene ein neuerobertes Gebiet dichterischen Ausdruckes in bloßen Tönen dar. Und überhaupt finden wir Mozart nach diesen ernsten Kämpfen mit dem geliebten Vater in seinem Charakter merklich gereift. Der jähe Tod der Mutter in Paris aber hob diesen Ernst des Gemüths noch höher empor. Es folgte dann die schmerzliche Enttäuschung, daß auch die Liebe der schönen Aloysia eine sterbliche gewesen sei, und zuletzt mußte er abermals und zwar aufs tiefste selbst sich überwinden und in das verhaßte Salzburg zurückkehren. Dies sind die Ereignisse und Erlebungen, die uns auf das erste echte Meisterwerk des Künstlers, auf den Idomeneo führen. Aber den Spuren der Prüfungen dieser Mannheimer Tage, namentlich der vollen Erkenntniß des hehren Werthes väterlich waltender Liebe, wie er es damals am entscheidendsten erfahren, werden wir noch in seinen späten Tagen begegnen.

Wir fahren zunächst gleichmäßig erzählend fort.

»Ich habe in dich, mein lieber Wolfgang, nicht nur kein, auch nur das geringste Mißtrauen, sondern ich setze in deine kindliche Liebe alles Vertrauen und alle Hoffnung. Ich gebe dir von Herzen den väterlichen Segen und bin bis in den Tod dein getreuer Vater und sicherster Freund,« so hatte jetzt der heimatliche Abschiedsgruß auf die Reise in fremdes Land gelautet. »Ich muß sagen, daß alle, die mich kannten, sehr unwillig und betrübt über meine Abreise waren,« berichtet dagegen Mozart. Aloysia hatte ihm »aus gutem Herzen« ein kleines Andenken gestrickt. Sie weinten alle, als »unser bester Freund, unser Wohlthäter« wegging und: »ich bitt um Verzeihung, aber mir kommen die Thränen in die Augen, wenn ich daran denke,« erzählt er. Sonst war bei ihm jetzt »nichts gehauen oder gestochen«. Doch hatte er des Vaters Willen erfüllt und erfuhr zudem bald in Paris selbst die Freude, daß Raaff, der ebenfalls dorthin gekommen war, ihm versprach für die Zukunft seiner lieben Weberin zu sorgen.

In Paris selbst war für ihn jetzt fast bloß Unbehagen und Enttäuschung zu finden. Die Art der Musik dort war ihm wenig genehm, die italiänischen Arien wurden verzerrt und die heimische »Plärrerei« widerstand seiner musikalischen Empfindung, die eben zunächst wesentlich auf den Reiz des Schönen gerichtet war. Und doch war damals in Paris die große Zeit, wo es zuerst entscheidend in der Musik mitsprach: der Kampf der Gluckisten und Piccinisten.

Wir hörten oben, daß in der italiänischen Oper bald mit der »Melodie« auch die Coloratur und äußere Virtuosität ans Ruder gelangt war. Die Franzosen aber hatten ihre Oper selbstständig entwickelt: die Handlung und demgemäß eine musikalische Recitation, die dem Wort und seinem Sinn entspricht, galt ihnen als die Hauptsache. An diesem Punkte knöpfte, durch eigenen gesunden Sinn und mannichfache theoretische Darlegung jener wälschen Unart bei den verschiedenen Nationen geleitet, der Deutsche Gluck eben in Frankreich an, und erhabene Tragödien wie die Iphigenie in Aulis hatten bereits auch jede ernstere künstlerische Gesinnung in Paris ergriffen. Wie aber die Masse stets dem sinnlichen Tand und der Mode huldigt, so war bald eine große Gegnerschaft gegen diese Neuerung eingetreten, die gleichwol nur eine entsprechende Weiterbildung der großen französischen Oper selbst war, und man hatte, ganz gegen sonstige französische Gewohnheit, jetzt gar, durch den Einfluß Rousseau's verführt, die italiänische Oper über die heimische gestellt und einen Fremden, den Neapolitaner Piccini berufen, um dem Deutschen Gluck ein Paroli zu bieten.

Wir wissen heute, wer in diesem Kampfe Sieger geblieben. Mozart stand mit seiner nächsten Empfindung noch auf italiänischem, das heißt rein musikalischem Gebiete. Seine deutsche Natur sagte ihm aber, daß dessen tiefste Quellen doch in jenem Ernst der Empfindung und des geistigen Lebens liegen, der auch die Dichtung, vor allem die tragische, schafft, und hier waren ihm freilich die »Wälschen« zu wenig tiefgründend. So neigte er doch, wie sehr er über die damalige französische Musik verstimmt erscheint, innen unwillkürlich zu den ernsten Bestrebungen der französischen Oper. Und überhaupt mußte ihm trotz aller Unannehmlichkeiten und des mancherlei Unbequemen und Störenden, das er in Paris erfuhr, der große Ton eines wirklich geschichtlichen Lebens dort im Gegensatz gegen die politische Misere in Deutschland und in Italien imponiren. Vor allem aber die hohe Stellung, welche die Bühne damals in Frankreich einnahm, ist ihm nicht entgangen und nicht ohne entscheidende Wirkung auf ihn geblieben. Er erwähnt noch später in seinen Briefen ausdrücklich, daß dort Hanswurst, das heißt das Possenhafte sogar aus der komischen Oper vertrieben sei. Er kommt freilich erst in dem Augenblick, wo er Paris verlassen soll, zu diesem Bewußtsein eines größeren reicheren kräftigeren Lebens, wie es zehn Jahre später die Revolution zeigte, aber er kommt zu demselben, und so ward seinem eigenen künstlerischen Sinnen und Trachten dort ein kräftigerer Halt und ernsterer Gehalt gegeben. Und dies ist der Gewinn des damaligen Aufenthaltes in Paris, ein innerlicher, der den Mangel des äußeren Erfolges reichlich aufwiegt.

Das Einzelne dieses Aufenthalts findet man nun wieder in großer Lebendigkeit und oft drastischer Anschaulichkeit in den eigenen Briefen Mozarts, sie bilden ein Stück Cultur- und Kunstleben des damaligen Paris. Freilich zunächst der Tod der Mutter, der Folge der ungewohnten Lebensweise und der vielen Gemüthsbedrückung war, bringt eine schmerzliche Verwirrung in sein Dasein. Aber als er erfährt, daß er wenigstens wegen des Vaters ohne Sorge sein kann, athmet er wieder auf, und gar die Aussicht für Paris eine Oper zu schreiben, bringt neuen Lauf in das seit langem stockende Blut des jungen Künstlers. Heiter bekundet sich dies in der sogenannten französischen Symphonie, die er eben damals schrieb, und wir vernehmen, welcher zwar rein äußerliche, aber doch dem Leben entsprungene Anlaß ihr den so besonders lebhaften Ton gegeben: es war der Charakter der Franzosen selbst, der vor allem auf Leben und Anschaulichkeit gerichtet ist. Schon von einer solchen lebhaften Passage im ersten Satze wurden alle Zuhörer hingerissen, im Finale aber erlaubt er sich mit diesem musikalisch noch recht naiven Publikum einen Spaß wie später Haydn in London mit dem Paukenschlag, der die in der Verdauung begriffenen Gentlemen plötzlich aufmerken machen sollte: er läßt im Gegensatz zur dortigen Sitte zwei Geigen allein piano anfangen, darauf kam sogleich ein Forte. Hatten sie beim Piano sch! gemacht, so hieß es jetzt: »Sie das Forte hören und in die Hände zu klatschen war Eins.« So hat er die Mannheimer Steigerungseffecte hier sofort zu verwenden gewußt.

Allein sonst wieder nur Neid und Intrigue! Einem wälschen Maestro Cambini hatte er sogleich beim ersten Begegnen »die Augen ausgelöscht«, indem er ein Quartett von ihm aus dem Gedächtniß begann und so ausführte, daß derselbe ausrief: »Das ist ein großer Kopf!« Dieser sorgte nun, daß weitere öffentliche Aufführungen seiner Compositionen unterblieben, und so müssen denn doch die Musikstunden auch hier wieder aushelfen. Das ist aber für Paris ungemein umständlich und gar für einen Künstler, der, wie er selbst damals schreibt, »sozusagen in der Musik steckt, den ganzen Tag damit umgeht und gern speculirt, studirt, überlegt.«

Ein Freund vom früheren Aufenthalte in Paris her, der Encyclopädist Grimm nützt ihm diesmal ebenfalls nicht viel. Denn Wolfgang war nicht der Mann sich in einer solchen Stadt, in einer solchen Gesellschaft zurechtzufinden. Grimm schreibt auch dem Vater, er sei zu treuherzig, zu wenig activ, zu leicht gefangen, zu wenig in den Mitteln gewiegt, die zu Erfolg führen. Freilich war dies eben Mozarts Natur, daß ihm die oft niedrigen Mittel und Wege der Welt nicht sehr geläufig waren, und sie blieben es zeitlebens. Und da es nun auch mit der Oper nichts ward, so mußte der Vater wünschen, daß er bald Paris ganz verlasse, das er ohnehin für ihn ohne Mutter geradezu gefährlich erachtete.

Wolfgangs Auge war auf München gerichtet, wo Karl Theodor jetzt Kurfürst war. Allein der Krieg hielt dort alles noch im Stocken. Derweilen ward in Salzburg selbst eine Capellmeisterstelle frei und man wandte sich jetzt, nachdem schon vorher bei einem Todesfall mancherlei Anspielungen gemacht worden, zunächst auf Umwegen, dann unmittelbar an den Vater. Und was diente diesem als sicherer Köder für den Sohn? – Aloysia! Der Erzbischof wünsche auch eine Sängerin, und Wolfgang hatte sie ohnehin schon dem Vater dringend ans Herz gelegt. Doch geht er zunächst nicht darauf ein. Als aber dann die Stellung für ihn wirklich und in entsprechenderer Weise als früher ausgemacht ist und es heißt, die Weber steche dem Fürsten und Allen erstaunlich in die Augen, da lindert sich sein Haß gegen Salzburg und dessen harten und ungerechten Fürsten. Doch nur die bestimmte Zusicherung des Urlaubs zu Reisen tröstet ihn ganz. Denn: »ein Mensch von mittelmäßigem Talent bleibt immer mittelmäßig, er mag reisen oder nicht; ein Mensch von superieurem Talent, welches ich mir selbst ohne gottlos zu sein nicht absprechen kann, wird schlecht, wenn er immer in demselben Orte bleibt,« schreibt er.

Doch derweilen wird Aloysia ebenfalls in München angestellt. Mozart erfährt dies noch vor der Abreise und mit einem Schlage erwacht seine ganze Abneigung gegen Salzburg: Paris steht wie ein Ort da, wo er gewiß »Ehre, Ruhm und Geld erlangt und den Vater aus den Schulden gerissen haben würde.« Ihm galt es jetzt wieder selbst in München angestellt zu werden, denn er hatte kürzlich noch erfahren, wie sehr das Mädchen ihn liebe: man hatte auch ihn für gestorben ausgegeben und das arme Kind war alle Tage zum Beten gegangen. »Sie werden lachen, – ich nicht, mich rührt es, ich kann nicht dafür,« schreibt er. Allein der Vater verstand abermals keinen Spaß, – stand doch diesmal sicherlich die eigene Stellung und damit das ganze Brod auf dem Spiel, wenn Wolfgang zurücktrat!

Langsam geht diesmal die Reise von statten, denn warum eilen? In Straßburg, in Mannheim wird längere Station gemacht und hier sogar wegen einer melodramatischen Composition unterhandelt. Allein: »beim Empfange dieses wirst du abreisen!« lautet das kategorische Wort, und doch war in Mannheim »ein rechtes Gereiß« um ihn. Der Vater tröstet ihn, er sei ganz und gar nicht gegen seine Liebe zu Aloysia, umsoweniger jetzt, wo sie sein Glück machen könne, und nicht er ihres! Und Mozart selbst hatte schon auf der Reise das Bäsle ebenfalls nach München eingeladen und zwar mit dem Zusatz: »Sie werden vielleicht eine große Rolle zu spielen bekommen.«

Allein was hören wir? – Sie schien den, um den sie ehedem geweint hatte, nicht mehr zu kennen, als er eintrat. Deshalb setzte sich Mozart flugs ans Clavier und sang laut: »Ich laß das Mädl gern, das mich nicht will!« – So hat Aloysia's jüngere Schwester Constanze, Mozarts spätere Frau, ihrem zweiten Manne erzählt und gab als Ursache an, Mozart, der nach damaliger Sitte an seinem rothen Rock wegen der Trauer um die Mutter schwarze Knöpfe getragen, habe ihr nicht gefallen. Allerdings die Offiziere und Herren vom Hofe mögen eben der ersten Sängerin besser gefallen haben, als der kleine Mann da, dessen Herzenstöne sie einst so sehr beglückt hatten. Er hinterließ der Ungetreuen auch damals noch eine Gabe seines Könnens, aber nicht mehr aus seinem Herzen, sondern als Künstler. Die Arie, die er ihr damals schrieb, ( Popoli di Tessaglia, Köchel Nr. 316) zeigt uns erst ganz, was jenes Non sò d'onde viene in seiner Kunst und seinem Leben bedeutet.

Aloysia ward nicht glücklich, wir werden davon noch vernehmen. Mozart weinte diesmal seinen Schmerz nicht in Tönen aus, sein Stolz siegte über seine Liebe. Aber seine Briefe sprechen dennoch umsomehr den Zustand seiner Seele aus, als auch die Münchener Anstellungshoffnungen sich wieder als eitel Dunst erwiesen. Gleichwol sollte sein jetziger Aufenthalt in München bald zu einem entscheidenden Ereignisse in seinem künstlerischen Dasein führen. Diesmal klagt er, er könne nicht schreiben, sein Herz sei zu sehr zum Weinen gestimmt. Und ein Freund meldet dem Vater, er habe ihn seit einer Stunde kaum aus den Thränen bringen können, und schildert ihn uns nach seinem ganzen schönen inneren Wesen so: »Nie habe ich ein Kind gesehen, das mehr Empfindung und Liebe für seinen Vater in seinem Busen trägt als Ihr Herr Sohn. Sein Herz ist so rein, so kindlich gegen mich, wie viel mehr muß es dies nicht gegen seinen Vater sein! Nur muß man ihn hören und wer würde ihm nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen als dem besten Charakter, dem redlichsten und eifrigsten Menschen!« Wir hören die Quellen rauschen, denen bald die Töne des Idomeneo, die Arie der Ilia entfließen sollten.

Die Wiederbegegnung kann nicht anders als etwas sehr Rührendes gehabt haben: man muß des Vaters Brief bei der Nachricht von der Erkrankung der Mutter lesen, um dies nachzufühlen, denn Wolfgang kam ja zugleich ohne sie, die innig geliebte Gattin nach Hause zurück. Alles empfing ihn mit offenen Armen, aber: »ich schwöre Ihnen bei meiner Ehre, daß ich Salzburg und die Salzburger nicht leiden kann, mir ist ihre Sprache, ihre Lebensart ganz unerträglich,« hatte er schon früher geschrieben, und die Hauptursache davon lag in seiner Kunst. »Wenn ich in Salzburg spiele oder etwas von meiner Composition aufgeführt wird, so ist's als wenn lauter Tische und Stühle die Zuhörer wären,« sagt er später und so begreift man, daß sein Gemüth dort »nicht vergnügt war«. Denn: »wenn man seine jungen Jahre so in einem Bettelort in Unthätigkeit verschlänzt, ist es traurig genug und auch Verlust,« sagt er.

Die ersten Wochen dieses zu Anfang 1779 beginnenden Wiederaufenthaltes in seiner dumpfen Vaterstadt half ihm das lustige Bäsle vertreiben. Aber jetzt konnte ihre einfache Art seinem voll erwachten Innern noch weniger sein. Der beste Zeitvertreib war ihm zugleich seine Arbeit, und Werke der verschiedensten Art zeigt diese Zeit in Salzburg trotz allem in Menge auf. Die Symphonien freilich sind von ihm selbst später bedeutend übertroffen und die Messen durch das eine Requiem in Schatten gestellt. Aber die Musik zu einem Trauerspiel König Thamos hat einen solch vollen inneren Hall, daß hier die Spuren tieferer Lebensprüfung durchaus zu fühlen sind, und darum konnte Mozart den Chören daraus später auch andere Worte unterlegen und sie der Welt als »Hymnen« bekannt machen. Ihr Ton erinnert an die feierlich ernsten Chöre der Zauberflöte, deren Tendenz auch der Stoff des Dramas verfolgte. Der Veranlasser dieser Compositionen war Schikaneder, der uns eben bei der Zauberflöte wiederbegegnen wird. Er war damals Theaterdirector in Salzburg und für ihn bekam Mozart denn auch jetzt eine komische Oper zu schreiben. Sie hieß »Zaide« und enthielt ebenfalls eine Entführungsgeschichte. Die Composition derselben war beinahe vollendet, da endlich winkt – im Herbst 1780 – eine erste Erlösung aus der Verbannung: er erhält die Einladung zur Composition einer Oper für München, – es war Idomeneo, und ihr Erfolg besiegelte Mozarts ferneres Geschick, er sah außer zu einem kurzen Besuch Salzburg nicht wieder.

Gegenstand dieses Werkes ist das alte Jephtha-Gelübde, nach Kreta verlegt, wohin dessen König Idomeneo von der Zerstörung Troja's zurückkehrt. Auf der Reise hat er in einem furchtbaren Sturme dem Neptun den ersten Menschen gelobt, der ihm begegne. Es ist sein eigener Sohn Idamante, der so zum Opfer bestimmt ist. Er will ihn in fremde Lande entsenden: Neptun jedoch erregt einen noch fürchterlicheren Sturm und läßt durch ein Unthier das ganze Land verwüsten. Das Volk strömt klagend zusammen und erfährt nun das Gelübde. Als auch Idamante, der inzwischen das Unthier erlegt hat, sein Geschick vernimmt, ist er bereit den Zorn des Gottes zu sühnen. Da stürzt seine Geliebte Ilia sich zwischen ihn und den Vater, sie will den Tod für ihn erleiden. Aber wie sie niederkniet, »hört man ein großes unterirdisches Getöse, die Statue Neptuns erschüttert sich, der Hohepriester steht in Entzückung, alles bleibt vor Furcht unbeweglich, eine tiefe majestätische Stimme verkündet den Willen der Götter:« Idomeneo soll dem Thron entsagen, den Idamante mit Ilia vereint besteigt.

Man erkennt, es sind große und ernste menschliche Situationen, was hier vorlag, und Mozart hat es verstanden ihnen gerecht zu werden, indem er ihren Kern faßte und die Nebensachen Nebensachen sein ließ. Das Ganze war freilich, obwol einem französischen Texte entnommen, nach damaliger italiänischer Opernsitte in zahlreiche Einzelstücke für Musik zerklüftet, unter denen besonders viel Arien sind, und ist dadurch für das natürliche dramatische Gefühl nicht recht genießbar. Allein diese einzelnen Stücke selbst, mögen sie Jammer oder Schreck, Freude und Zärtlichkeit oder was sonst die Situation bietet, vereinzelt oder gemischt auszudrücken haben, sind stets mit großer Sicherheit von diesem Ausdruck erfüllt und dazu oft mit einem wahren Füllhorn von musikalischer Schönheit überschüttet. Nur da wo der Unfähigkeit oder Beschränktheit der Sänger nachzugeben, von denen z. B. der Tenorist Raaff so »auf den alten Schlendrian versessen war, daß man Blut dabei schwitzen möchte,« – nur da ist der traditionellen Form und dem italiänischen Singsang manchmal ein gar zu empfindliches Opfer gebracht. Die Hauptsache aber waren einzelne gewaltige Scenen, die sich wirklich dramatisch darstellen, und hier zeigte sich Mozart als Meister der Bühne und im Besitz der Gluckschen Neuerungen, nicht den Sänger und seine Coloraturen sondern die Musik walten zu lassen, und zwar diese als erhöhtesten Ausdruck der Poesie, das heißt der dramatischen Scene, die sich da vor uns abspielt. Wir erfahren davon manches interessante Einzelne aus Mozarts eigenen Briefen.

Seine Mannheimer Künstler, Sänger wie Orchester, fand er – außer Aloysia, die nicht lange zuvor an das neue Nationalsingspieltheater nach Wien berufen worden war, – in München wieder vor, er konnte also allüberall »gehörig ins Zeug gehen«. Und er wollte es, es war das erste Mal, daß ihm wieder auf der Bühne Gelegenheit ward sich völlig zu zeigen. »Glücklich und vergnügt« war schon seine Ankunft, er wohnte in der Burggasse, da wo heute eine Bronzetafel mit seinem Kopfbilde angebracht ist. Der Kurfürst begrüßte ihn sehr gnädig, und als Mozart seinen besonderen Eifer aussprach, klopfte er ihm auf die Schulter: »O daran habe ich keinen Zweifel, daß alles sehr gut sein wird.« Schon der erste Act setzte bei der Probe alles in Freude und Erstaunen. Man hatte sehr viel von ihm erwartet, aber das nicht. Frau Cannabich, die mit ihrer kranken Rose allein hatte zu Hause bleiben müssen, umarmte ihn voll Vergnügen und die Bläser kamen wie närrisch nach Hause. Der Oboist Ramm, mit dem noch 1804 Beethoven sein Quintett Op. 16 spielen sollte, gestand ihm als »wahrer Deutscher«, daß ihm noch keine Musik solchen Eindruck gemacht habe – es waren die Doppelchöre bei Idomeneo's Schiffbruch darunter, – welche Freude erst sein Vater haben werde!

Dieser mahnt von daheim sich zu schonen, er kennt seinen Sohn, und wirklich vernimmt man von leichter Erkrankung desselben: »man erhitzt sich halt doch, wenn Ehre und Ruhm im Spiele sind,« heißt es dabei naiv genug. Aber er ist rasch wieder gesund und kann bald melden: »Man ist doch froh, wenn man von einer so großen mühsamen Arbeit endlich befreit und mit Ehre und Ruhm befreit ist: denn fast bin ich es, – denn es fehlen mir noch drei Arien, der letzte Chor, die Ouvertüre und das Ballet – und adieu Partie«. Der Vater hatte ihn erinnert das »Populäre« nicht zu vergessen, das auch die langen Ohren kitzle, – der Künstler entgegnet, in seiner Oper sei Musik für alle Gattung von Leuten, ausgenommen für lange Ohren. Das Werk hatte nämlich einige zur Handlung gehörige Balletzwischenspiele, also in der That selbst die populärste aller Musikarten, den Tanz. Ja sein Genie erlaubt ihm, wie wir sahen, der Besonderheit der Sänger trotz dem Ernst der Sache manches nachzugeben. Wo aber dieser entscheidend ist wie in dem bewundernswerthen großen Quartett des dritten Acts, da hat er seine liebe Noth mit den Leutchen. Je öfter er es sich auf dem Theater vorstellte, je mehr Effect machte es ihm selbst und gefiel auch Allen schon am bloßen Clavier. Nur Raaff fand es zu lang und nicht genug gesungen. »Wenn ich nur eine Note wüßte, die zu ändern wäre! Allein ich bin mit keiner Sache in dieser Oper so zufrieden gewesen wie mit diesem Quartett,« entgegnete ihm Mozart und Raaff fand sich denn auch nachher »mit Vergnügen betrogen«. Ebenso vergnügt mochten die vier Bläser des Orchesters Wendling, Ramm, Ritter und Lang sein, die in der Arie der Ilia im ersten Act »obligat« das heißt in selbstständigen Melodien mitzuwirken hatten und hierbei Mozarts eigenstes Wesen freudig wiedererkennen sollten. Denn es war die tiefste innere Beglückung durch Freude und Liebe, was die Musik hier auszusprechen hatte, und wie zuvor in dem Non sò d'onde viene verstand er dies noch an seinem allerdings frühen Lebensabend in der Arie »Dies Bildniß ist bezaubernd schön«. An beides erinnert die Arie der Ilia. Das Quartett aber setzt Glucks Bestreben, jeden Sänger in jedem Momente möglichst nach seiner Individualität sich aussprechen zu lassen, die Krone auf: selbst bei Mozart finden wir nicht viel Aehnliches, und damals war solcher musikalische Reichthum bei scharfer Charakteristik völlig neu und unerhört.

Der Kurfürst sagte nach dem Donnerwetter im zweiten Act lachend: »Man sollte nicht meinen, daß in einem so kleinen Kopfe so was Großes stecke.« Und nun erst die Chöre, wo beim Sturm das Volk entsetzensvoll aufschreit! Dieser Chor müsse Jedem auch in der größten Sonnenhitze kalt machen, meinte man im Orchester. Und doch war der dritte Act noch ungleich reicher. »Fast keine Scene, die nicht äußerst interessant wäre,« sagt Mozart selbst und hat »Kopf und Hände davon so voll, daß es kein Wunder wäre, wenn er selbst zum dritten Act würde.« Er meint aber auch, daß derselbe wenigstens so gut ausfallen werde als die beiden ersten: »ich glaube aber unendliche Male besser und daß man mit Recht sagen könne: finis coronat opus« (das Ende krönt das Werk). Die Anrede des Oberpriesters bei den Leiden des Volkes durch das Seeungethüm, der feierliche Marsch, das Orakel selbst, – mag hier Glucks Alceste als Vorbild gedient haben, die Größe solcher tragischen Momente war wenigstens verstanden und niemand wird bei diesen Tönen auch heute noch ohne inneren Eindruck bleiben. Es ist aber zugleich eine Schule des echten dramatischen Styls in der Musik geworden, und besonders das Orchester steht schon auf der Höhe von Mozarts Leistungen, von denen eben jeder Spätere das Beste gelernt hat.

Von der Aufführung selbst (Januar 1781) wissen wir nichts Näheres. Der Eindruck aber kann nicht anders als den Proben entsprochen haben. Daß Idomeneo heute nur noch im Concertsaale lebt, verdankt er dem italiänischen Textgefüge, das den stetigen Fortgang der Handlung alle zwei Schritte unterbricht. Der italiänischen Oper als absoluter Herrscherin setzte Mozart mit diesem Idomeneo ihr Ziel, sie blieb fortan nur noch ein nationales Gebilde. Er zwang die Operncomponisten fortan auf andere Bahnen zu lenken und mehr und mehr die Forderungen Glucks aufzunehmen, welche die Oper unseres Jahrhunderts auf die Höhe eines wahren Dramas gehoben haben.

Die vollentscheidenden Schritte hierzu thaten aber erst Figaro und Don Juan. Zu ihnen führt uns jetzt unser Weg. Denn der Idomeneo, wie er das erste Meisterwerk Mozarts im monumentalen Style war, bildete mit seinen Folgen auch die Ueberleitung zu einer ganz neuen Lebensepoche, der Zeit seiner vollen Selbstständigkeit als Mensch wie als Künstler.

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