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5. Die letzten Quartette.

(1824–27)

»Edle Seelen fallen gewöhnlich nur deßhalb, weil sie die traurige aber unbestrittene Wahrheit verkennen, daß bei unsern gegenwärtigen Sitten und Staatsformen der Künstler jemehr zu leiden hat, jemehr er ein wahrhafter Künstler ist. Je neuer und großartiger seine Werke sind, desto härter wird er von ihren Folgen gestraft. Je erhabener und schneller der Flug seiner Gedanken geht, desto mehr entschwindet er dem Bereich der blöden Augen der Menge«, so klagt am Ende seiner Tage Beethovens nächster Kunstnachfolger Hector Berlioz, und auf wen paßte dieses Wort besser als auf unsern Meister, zumal jetzt, in dem erhabensten Fluge seiner Gedanken! Freilich zunächst schien gerade dieses höchste Schaffen ihm den unbedingten Sieg auch in seiner Umgebung zu sichern, – wir gelangen zu dem berühmten Concerte vom Mai 1824, – allein wie bald werden wir ihn tiefer als je zuvor und so gut wie völlig mit seinem Schaffen unverstanden und daher persönlich vereinsamt sehen.

Das »höhere Leben, das die Kunst und die Wissenschaft uns andeuten und hoffen lassen«, hatte er soeben einmal wieder in vollen Zügen gelebt und dabei auch wieder sich selbst vollständig verwahrlost. »Du mußt dir morgen gleich einen neuen Hut kaufen, die Leute halten sich darüber auf, daß du so einen schlechten Hut hast«, muß ihm der Bruder aufschreiben. Jetzt wo »die colossale Schöpfung bis zur letzten Feile fertig« war, begann er auch wieder besserer Laune zu werden und mit dem Stecher die schönen Auslagekasten betrachtend, durch die Straßen zu schlendern und manch alten Freund wie z. B. seinen einstigen Lehrer Schenk wieder näher zu begrüßen. So kam auch sein Name wieder mehr auf die Lippen der Freunde, und als bekannt wurde, daß jetzt außer der Messe eine große Symphonie fertig sei, erinnerte man sich der gränzenlosen »Entzückung« der Jahre 1813-14 und ein ehrenvolles Schreiben von Männern aller höheren Stände, die er selbst liebte und achtete, lud ihn im Februar 1824 ein, sich »nicht länger dem bedrängten Sinne für Großes zu entziehen«. Denn in der That hatten die italienischen Rouladen wie jede rein äußerliche Bravour in Wien damals überhand genommen und eine »zweite Kindheit des Geschmackes« drohte dem goldenen Zeitalter der Kunst zu folgen. Von ihm, in seinem Gebiete von Allen der Höchste unter den Lebenden, erwarte die heimische Kunst neue Blüten, verjüngtes Leben und die erneuerte Herrschaft des Wahren und Schönen.

Schindler fand ihn mit der Schrift in der Hand. »Es ist doch recht schön! Es freut mich!« sagte er in einem eigenthümlichen Tone der Ergriffenheit. Und eine andere Hoffnung mußte sich – so waren leider unausgesetzt seine Umstände, – dazu gesellen: hier auch in materieller Hinsicht Ersatz für seine lange Mühe und dadurch Muße für neues Schaffen zu finden. Die Vorbereitungen zu dem Concert brachten freilich wieder des Aergers gar viel, seine eigene Unentschlossenheit und mißtrauende Art freilich trugen auch ihr Theil dazu bei. »Ich bin nach dem sechswöchentlichen Hin- und Herreden schon gekocht, gesotten, gebraten«, schreibt er im ärgerlichsten Humor. Und als dann nähere Freunde wie Graf Lichnowsky, Schuppanzigh und Schindler eine kleine List versuchen, um ihn endlich zu einem Entschluß zu bringen, erfolgen die bekannten »Hati-Scherifs«: »Falschheiten verachte ich. Besuchen Sie mich nicht mehr,« und »Besuche er mich nicht mehr. Ich gebe keine Akademie.« Allein andererseits standen die ersten Geiger der Stadt, Schuppanzigh, Mayseder und der noch lebende Böhm mit Capellmeister Umlauf an der Spitze des Orchesters und ebenso waren zahlreiche Dilettanten zur Mitwirkung frohestens bereit. »Für Beethoven alles«, hieß es. So ging es denn mit den großen neuen Schöpfungen ans Werk.

»Also ganz als ständen Worte darunter?« fragt Schindler von den gewaltigen Baßrecitativen der »Neunten«. Henriette Sontag und Caroline Unger, beide später so sehr gefeiert, hatten die Soli, in der Messe und dem Finale schwer genug auszuführen, und Beethoven antwortete auf jeden Wunsch nach Abänderung nein und immer nein. »So quälen wir uns denn in Gottes Namen weiter«, endigte die Sontag. Am 7. Mai sollte die Aufführung sein. Der »seltene edle Mensch« Brunswick hatte »4 Ohren« mitgebracht, nur nichts zu überhören, Frau von Ertmann weilte auch wieder in Wien, die Logen waren bald »weg« und manche Plätze gar »überzahlt«. Den Hof lud der Meister persönlich ein. »Auch nehmen wir Ihren grünen Rock mit, das Theater ist ohnehin dunkel, es sieht niemand. O großer Meister, du hast keinen schwarzen Frack im Vermögen«, schreibt der diesmal besonders hilfreiche Famulus auf. Das Haus war überfüllt, nur wegen Abwesenheit des Kaisers die Hofloge fast leer. »Der Empfang war mehr als kaiserlich, das vierte Mal stürmte das Volk«, schreibt wieder der Famulus auf, und Böhm erzählt, wie ihm und Mayseder schon bei diesem Beginne die Thränen in die Augen getreten seien. Und nun gar der Erfolg selbst!

»Ich habe nie in meinem Leben so einen wüthenden und doch herzlichen Applaus gehört, – der zweite Satz der Symphonie wurde einmal (nämlich wo im kühnsten Uebermuth plötzlich die Pauken allein das rhythmische Motiv erfassen) ganz vom Beifall unterbrochen, den Ausführenden standen die Thränen in den Augen, der Meister gab noch immer den Tact, bis Umlauf durch eine Bewegung der Hand ihn auf das Treiben des Publicums aufmerksam machte, – er sah sie und verneigte sich ganz ruhig,« so lauten die Berichte. Der Beifall am Schluß war aber noch größer, und doch, der ihn erzeugte, kehrte abermals der begeisterten Versammlung – den Rücken zu. Da hatte die Unger den guten Gedanken den Meister nach dem Theater umzuwenden und ihn auf die Beifallrufe des Hüte und Tücher schwenkenden Publicums aufmerksam zu machen: »durch eine Verbeugung gab er seinen Dank zu erkennen, dies war das Signal zum Losbrechen eines kaum erhörten, lange nicht enden wollenden Jubels und freudigen Dankgefühls«. »Das ganze Volk ist zerdrückt und zertrümmert über die Größe Ihrer Werke«, steht andern Tags in seinem Conversationshefte.

Und der materielle Erfolg? – Etwa 120 Mark! Die Unkosten waren zu groß gewesen. Die Loge-Abonnenten hatten obendrein für ihre Plätze keinen Heller bezahlt und der Hof nicht einen Groschen überschickt, »welches doch bei den allergewöhnlichsten Benefizianten zu geschehen pflegte.« Daheim angekommen, überreichte ihm Schindler den Kassenrapport. »Bei dessen Anblick brach er in sich zusammen. Wir rafften ihn auf und legten ihn auf das Sopha. Bis spät in die Nacht verweilten wir an seiner Seite: kein Verlangen nach Speise oder anderes, kein lautes Wort war mehr hörbar. Endlich nachdem wir merkten, daß Morpheus ihm sanft die Augen zugedrückt, haben wir uns entfernt. Schlafend, noch in der Concerttoilette (im grünen Frack!) fanden ihn am andern Morgen auf derselben Stelle seine Dienstleute«, so erzählt Schindler, der ihn mit dem jungen Beamten Joseph Hüttenbrenner, einem innigen Freunde Franz Schuberts, damals nach Hause gebracht hatte.

Das war die erste Aufführung der Missa solennis (Op. 123) und der Neunten Symphonie (Op. 125), am 7. Mai 1824. Und daß dabei trotz allem mehr Neugierde auf den berühmten und dazu ertaubten Mann als wirklicher Kunstsinn das Haus gefüllt, zeigte die Wiederholung am 24. Mai, wo trotz der Hinzunahme des »vergötterten« Tenoristen David mit Rossinis Di tanti palpiti (Nach soviel Leiden) das Haus nur zur Hälfte besetzt war. Beethoven hat gleich Mozart nicht lange genug gelebt, um auch die äußeren Früchte seines Ruhmes pflücken zu können. War es doch ebenfalls zuletzt die großsinnige Liberalität eines von seinem Geiste wahrhaft Entzündeten, die zunächst 1845 in seiner Vaterstadt Bonn und heute endlich auch in seiner zweiten Heimat Wien ein Denkmal für ihn ermöglichte, – die königliche Gabe und das ebenso goldspendende Spiel Franz Liszts.

Umsomehr mußte seine Neigung sich jetzt sofort derjenigen künstlerischen Arbeit zuwenden, die auch unverweilt Einnahme versprach, den gleich generös wie kunstgesinnt bestellten Quartetten, und sogleich das zweitfolgende Op. 127 ist das erste dieses strahlenden Kunstgestirns. »Ich schreibe nur das nicht, was ich am liebsten möchte, sondern des Geldes wegen, das ich brauche. Es ist deßwegen nicht gesagt, daß ich doch bloß ums Geld schreibe. Ist diese Periode vorbei, so hoffe ich endlich zu schreiben, was mir und der Kunst das Höchste ist, – Faust«, so hatte er schon während der Ausarbeitung der »Neunten« geäußert, als von einem »Oratorium für Boston« Rede war. Ebenso blieben die deutsche Melusine und eine Oper für Neapel, das Requiem, die Zehnte Symphonie, eine Ouverture auf B-A-C-H nur Projecte, aber allerdings als eine große Aussicht für die Zukunft bei der jetzigen Tagesarbeit und mit manchem Einfluß auch auf die Gestaltung der Quartette selbst. Denn unwillkürlich arbeiteten sich, je mehr ihn diese Beschäftigung einnahm, – und welche vermochte wohl einen so dichterischen Componisten tiefer einzunehmen! – jene Ideen in die Werke selbst ein und erzeugten den eigenthümlich großen Styl und monumentalen Charakter, der diese Letzten Quartette auszeichnet. Besonders die Seelenbilder des »Faust« klingen hier vernehmlich redend, oft in erhabensten Monologen wieder. Erschien aber auch der fürstliche Besteller völlig als der Mann, um ihm sogar auf so engumgrenztem Gebiete das Beste und Höchste der Kunst zu weihen! Denn er hatte es schon vor der Wiener Aufführung fertig gebracht, das »erhabene Meisterstück« der Messe öffentlich darzustellen und dazu berichtet, die Wirkung auf das Publicum sei nicht zu beschreiben, er habe noch nichts gehört, sogar Mozart nicht ausgenommen, was ihm diese Gemüthsbewegung hervorgebracht habe: Beethovens Genius sei Jahrhunderten vorausgeeilt und es gebe vielleicht jetzt keinen Zuhörer, der erleuchtet genug sei, um die ganze Schönheit dieser Musik aufzunehmen. Hingegen in Wien die ganze mattherzige Schwelgerei der Restaurationszeit mit ihrem Götzen Rossini, die jede edlere und ernste Musik in den Hintergrund drängte, und dazu des Fürsten ausdrücklicher Auftrag, die Kosten für die Composition »in jeder beliebigen Summe« zu entnehmen!

So setzt der Meister sich denn jetzt mit Ernst zurecht und diese Arbeit sollte seine letzte sein.

Entwürfe waren schon mannichfach gemacht worden, für Op. 127 bereits im Sommer 1822, für das folgende Amollquartett (Op. 132) im Jahre 1823, wo die Neunte ausgearbeitet ward, und beide erinnern auf verschiedene Weise an deren Art, das eine, letztere durch seine schmerzerfüllte Leidenschaft, das andere mit seinem Adagio, wo ebenfalls der sehnsuchtsvolle Blick zu den Sternen empor einen wundergleich wehmuthvollen Frieden des Gemüthes erzeugt hat, während das unmittelbar folgende dritte Quartett (Op. 130) wie eine neubegründete Welt dasteht, die ganz und gar nicht »von dieser Welt ist«. Die Ereignisse seines Lebens waren aber auch mehr und mehr darnach angethan, ihn innerlich von dieser Welt zu befreien, und die ganze Quartettencomposition erscheint wie eine Vorbereitung auf jenen Augenblick, wo sich nun der Sinn ganz vom Dasein erlöst und mit einem höheren Sein vereint fühlt. Allein nichts weniger als schmerzselige Todessehnsucht, sondern die innerlich frohe und selbstgewisse Empfindung eines wahrhaft Ewigen und Heiligen spricht sich hier wie in neuen Verkündungssprüchen aus, und selbst was von Welt und Leben, ernst oder humoristisch, hier noch gemalt wird, hat diesen verklärten Schein, den Ausblick auf das Ewige. Es gibt weniges in der Welt der Kunst, wo die Natur des Religiösen so nach ihrem Bestand und Wesen erscheint, ohne je anders als rein menschlich, also unvergänglich, nie in irgend einem zufälligen und vergänglichen Gewande hervorzutreten. Daraus eben ist es begreiflich, daß einem Volke, welches nicht persönlich musikalisch ist, sondern auch die Musik einzig aus ihrem letzten Inhalt und Geist zu erfassen vermag, den von ihm selbst so hoch gestellten Engländern Beethovens Musik »so religiös« erscheint. Sie ist es eben nach diesem ihrem letzten Inhalt und Geist. Und wie also dieser Charakter sich gerade in den Letzten Quartetten am reinsten und eindrucksvollsten ausprägt, so lehren sie uns auch das Wort des ächtesten Schülers und Nachfolgers von Beethoven verstehen, eben jenes Wort R. Wagners, daß aus dem Geiste dieser Musik unsere Civilisation neu beseelt und einer sie durchdringenden Erneuerung der Religion zugeführt werden könne.

Wir gehen zu den Einzelheiten der Entstehung dieser Werke über.

Das meiste Herbe, das fortan Beethovens Gemüthe bereitet ward, rührte von seinen eigenen Verwandten her. »Gott ist mein Zeuge, ich träume nur, von dir, von diesem elenden Bruder und dieser mir zugeschusterten abscheulichen Familie gänzlich entfernt zu sein«, schreibt er im nächsten Jahre 1825 an den heranwachsenden Neffen, und wir dürfen uns der Berührung dieser traurigen Dinge jetzt umsoweniger entziehen, als sie den größten Einfluß auf seinen innern und äußern Zustand hatten und endlich zu einer Katastrophe führten, die mit seinem immerhin zu frühen Tode im innersten Zusammenhange steht.

Der schwache und »etwas geldgierige« Bruder Johann hatte, freilich infolge von Beethovens eigenem ungestüm moralischen Dreinfahren, ebenfalls eine leichtsinnige Frau bekommen, und war dann unfähig, ihrem Lebenswandel Einhalt zu thun oder gar sich von ihr zu scheiden, weil er ihr einen Theil seines Vermögens verschrieben hatte und in diesem Geldpunkte eben »inflexible« war. So vermochte es der Bruder denn auch trotz mancher Einladung nicht über sich, ihn einmal auf seinem Gute Wasserhof bei Gneixendorf an der Donau, das dem Apotheker seine Speculation erworben hatte, zu besuchen. »O verruchte Schande, ist kein Funken Mann in dir? Soll ich mich so erniedrigen, in solcher schlechten Gesellschaft zu sein!« schrieb er im Sommer 1823. Doch war diese Frau Schwägerin jetzt allmählich »gezähmt«. Dagegen die Mutter des Knaben wußte denselben in diesen Jahren der beginnenden Erwachsenheit selbst in ihre trüben Kreise zu ziehen, – »dabei dieser vergiftende Athem des Drachen«, schreibt Beethoven im Sommer 1824, – und dem Leichtsinn folgten Lüge und ungeziemendes Betragen gegen den Oheim-Vater auf dem Fuße. Dieser andrerseits in dem Drang seines sittlichen Gefühls war mit dem Knaben oft bis zur Härte »stürmisch« und konnte doch wieder, je älter und einsamer er ward, des jungen Mannes Gesellschaft nicht entrathen. Aus dieser Kette des natürlichen Liebebedürfens und dem Einschlag der sittlichen Strenge und des väterlichen Pflichtbewußtseins wob sich hier das Gewebe, das dieses Mannes Todtenhemd werden sollte.

Die Correspondenz dieses Jahres 1824 dreht sich hauptsächlich um die pecuniäre Verwerthung der neuen großen Werke, denn im Herbst wollte man bestimmt in London sein. Gleichwol liegt schon aus dem Sommer ein Schreiben an seinen Advocaten Dr. Bach wegen seines Testamentes vor. »Nur die göttliche Kunst, nur in ihr sind die Hebel, die mir Kraft geben, den himmlischen Musen den besten Theil meines Lebens zu opfern,« so schreibt er: es umwehen uns die ebenfalls himmlischen Klänge jenes Adagios von Op. 127. Und ihn selbst erfüllt dieses wahre »Manna« so, daß er in denselben Sommertagen ausruft: »Apollo und die Musen werden mich noch nicht dem Knochenmann überliefern lassen, denn noch so vieles bin ich ihnen schuldig, was mir der Geist eingibt und heißt vollenden. Ist mir doch als hätte ich kaum einige Noten geschrieben!« So finden sich denn auch jetzt schon die Skizzen zu jenen Stücken vor, die bald in einer geradezu überirdischen Glückseligkeit spielen, bald wieder die bestehende Welt in heiterer Ironie verspotten und eine neue kräftig aufbauen: das » Alla danza tedesca« und das » Poco scherzando« von Op. 130 sowie die große Fuge Op. 133, die ursprünglich Finale von Op. 130 sein sollte und durch ihre Ueberschrift »Overture« und ihr riesenhaft ausschreitendes Thema an den Plan der »Bachouverture« erinnert. Ja selbst die so unsagbar tief wehmuthsvoll und doch wieder beseligt aufblickende berühmte »Cavatine« desselben dritten Quartetts Op. 130 entblüht schon jetzt der Stimmung seines Herzens, das immer mehr auch den vollen Sinn des Ewigen in sich aufgenommen hat und von einer höheren Wonne erfüllt wird. Hier liegen, an Mozarts letzte Seelentöne ansetzend, die Keime einer neuen und innersten Seelensprache, einer wirklichen persönlichen Rede, die der Menschheit auch für den Ausdruck ihrer letzten Geheimnisse gewonnen ist und heute zu den innersten Seelenbildern der Kunst, zu der Verklärung Isoldes und zu Brünnhildes Todessang von der erlösenden Liebe geführt hat.

Ein ungeheurer Ernst bemächtigt sich seiner: er versteht aus dem öden Graus, der ihn persönlich umgibt, immer tiefer die höheren Aufgaben des Geistes, an denen auch seine Kunst lebendigen Antheil hat, und wir erkennen deutlich die stets zunehmende Richtung seines Wesens auf das Eine was noththut. »Alle Liebe ist Mitleid«, Mit-Leid mit dem Leiden der Welt, sagt der Philosoph, und so drängt sich neben dem unermeßlichen Weitblick, den sein Geist jetzt über die Gefilde des Daseins gewinnt, mehr und mehr ein ebenso unerschöpfter Born duldsamer Güte und innerer aufnehmender Liebe hervor. »Von Kindheit an war es mein größtes Glück für Andere wirken zu können,« sagt er das einemal und andrerseits bei der Wiederaufführung der Ouverture Op. 124: »Ich erhielt deßwegen viel Lobeserhebungen etc. Was ist das alles gegen den großen Tonmeister oben – oben – oben – und mit Recht allerhöchst, wo hier unten nur Spott damit getrieben wird. Die Zwerglein allerhöchst!!!!« Man vernimmt die erhabene Ironie seiner Töne in Op. 130, aber auch die leuchtende Milde des Adagios von Op. 127, wo in dem kleinen Edursatze sozusagen die vom Geist des Ewigen erfüllte menschliche Seele selbst ihr Auge aufschlägt. »Ich bin was da ist. Ich bin alles was ist, was war und was sein wird. Kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben. Er ist einzig von ihm selbst und diesem Einzigen sind alle Dinge ihr Dasein schuldig«, diese egyptischen Sprüche hat er sich in diesem Sommer 1824 ausgeschrieben und eingerahmt vor sich auf den Schreibtisch hingestellt. Er wußte was die wahrhaft erschaffende und erhaltende Gottheit im menschlichen Leben ist: sie lebte ihm in der eigenen innersten Empfindung und Gesinnung und quoll ihm als ein ihn selbst beseeligender Strom auch stets zu stets neuen poetischen Bildungen unwillkürlich in die Feder.

Das Amollquartett Op. 132 gehört dem Frühjahr und Sommer 1825 an. Die Reise nach London war verschoben worden. »Ausartungen seines überaus geliebten Neffen, schon ziemlich laut geworden«, gibt Schindler als Grund an. Wie konnte man da den »Sohn« so unbewacht dem »vergiftenden Athem des Drachen« überlassen? Doch war, weil die Einladung erneut ward, die Zehnte Symphonie wieder vorgenommen worden und aus diesen Skizzen wissen wir das Sichere von ihrer Existenz. Sollte sie doch »das Schöne zu dem Guten« fügen, dem Geiste des Christenthums die Schönheit der Antike vermälen oder vielmehr deren bloße Weltschöne durch die geistige Schöne des Ueberirdischen verklären! Aber ein solches unmittelbar und absichtlich geschaffenes höheres Weltbild liegt in dem Adagio » in modo lidico« im 2. Quartett vor, das als »Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit« bezeichnet, einen Choral darstellt, zwischen dessen stets reicherer und innigerer Wiederholung das stets neuerstehende Leben freudig pulsirt. Beethoven war in diesem Frühjahr schwer erkrankt gewesen. Allein noch mehr mag eine Art innerer Genesung hier gefeiert sein. Denn die Zuneigung zu dem Neffen hatte allmählich gerade durch die stete Reizung seiner Empfindung von außen eine Art persönlicher Leidenschaftlichkeit angenommen, die den Knaben schier zu Tode quälte und doch wie jede Leidenschaft ihn selbst nicht beglückte. Der erste Satz dieses Amollquartetts ist ein psychologisches Gebilde, ein Gedicht der Leidenschaft, dessen verzehrender Charakter einzig aus solchen Seelenzuständen des Künstlers selbst zu erklären ist. Und wie schuf nicht gerade Beethoven stets aus seiner eigenen großen und jeder Erregung und Stimmung fähigen Seele! Will man ein deutliches Bild dieser seiner Verfassung von damals, – nun der ebenfalls in jenes Cotta'sche Beethovenbuch aufgenommene Bericht des jungen Dichters Ludwig Rellstab aus diesem Frühling 1825 gibt es, und Beethovens eigene Briefe bestätigen die Richtigkeit der Züge dieses Antlitzes mit dem »Blick der Güte und zugleich des Leidens.« »Wo bin ich nicht verwundet, zerschnitten?!« ruft er selbst dem Neffen zu, dessen Leichtsinn schon schlimme Folgen für seine Zukunft heraufzubeschwören begann. »O kränke nicht mehr, der Sensenmann wird ohnehin keine lange Frist mehr geben!« sagt er ein andermal.

Trotzdem oder vielleicht gerade durch solche äußerste Erregung seines ganzen inneren Wesens war dieser Sommer 1825 sehr reich an Schöpfungen. »Beinahe unwillkürlich« mußte er nach dem Bdurquartett Op. 130 noch das in Cismoll (Op. 131) schreiben, und auch das letzte in Fdur (Op. 135) entsprang solcher »unerschöpflichen Phantasie«, wie sie diese Arbeit selbst stets wieder erzeugen half. Daher kommt es auch, daß die Zahl der Sätze sich mehrt. Schon das zweite hat ihrer fünf, das dritte (Bdur) gar sechs und das vierte (Cismoll) sogar sieben, als wenn die alte Suitenform oder doch das Divertimento des Septetts wiederkehren sollte. Allein man vergleiche nur und auf den ersten Blick steht die alte organische Gliederung der Sonatenform da. Denn theils Ueberleitung, theils Geschiebe zwischen zwei gar zu mächtig harten Colossen bilden diese Sätze, die die gewohnte Zahl erhöhen und oft nur Sätzchen, ja wenig Tacte sind. Aber wie die Säulen des Herkules ragen Eingangssatz und Finale im Amollquartett und bestimmen unwandelbar den passionirten Charakter und den dramatischen Styl des Ganzen: er nennt es selbst »ein meiner würdiges Kunstwerk«. Das Gleiche gilt von Op. 130, wenn man, was heute nie anders sein sollte, die große Fuge Op. 133 dazu nimmt. Und wie ungeheuer groß erwacht im Cismollquartett aus tiefster Selbstschau in dem an S. Bach anklingenden fugirten ersten Satz dieser Geist zur Schau der Welt und ihrer Qual und Lust, – »durch Leiden Freude!«

Wie sehr sein Dasein verödete, indem im vollsten Gegensatz zu seinem stets mehr sich erweiternden Geist und Empfinden die ihn umgebende Welt sich durch die Restaurationen eines Metternich und Gentz mehr und mehr verengte, das alles wie überhaupt diese ganze ernste und große letzte Lebenszeit des Künstlers kann man einzig anschaulich aus dem dritten Bande von »Beethovens Leben« (Leipzig 1877) kennen lernen, wo zum erstenmal nach den Quellen, namentlich den auf der Berliner Bibliothek befindlichen Conversationsheften diese trostlose und doch in ihrer steten Qual geistig so erhebende Existenz dargestellt ist. »Die Worte sind verpönt, glücklich, daß die Töne noch frei sind«, schreibt ihm damals Ch. Kuffner, der Dichter des Oratoriums »Saul und David« auf, in dem er zuletzt noch sowohl das eigene menschliche Verhältniß zu seinem »David« wie die wunderwirkende Geistesart gerade seiner Kunst aussprechen wollte. Nur der Tod hemmte die Ausführung dieses Planes. Jene allgemeine Entsittlichung, die mit dem Congreß in Wien eingetreten war, wirkte eben durch den Neffen noch ungleich unmittelbarer in seine Sphäre und war also für ihn mit verhängnißbereitend. »Unser Zeitalter bedarf kräftiger Geister, die diese kleinsüchtigen heimtückischen elenden Schufte von Menschenseelen geißeln«, ruft er ebendamals einmal seinem Neffen zu, als er sich einen gar zu empfindlichen Spaß mit einem solchen echten »Faijaken«, wie er die guten Wiener von damals nannte, dem Musikalienhändler Haslinger, erlaubt hatte und derselbe gar in die Oeffentlichkeit gedrungen war. Aber wie er dabei mit einem † anmerkt: »sosehr sich auch mein Herz einem Menschen wehe zu thun sträubt«, so war auch sein Inneres nicht bei solchem Zorn und Strafen, sondern bei dem wahren Mit-Leiden mit diesem Leid menschlicher Schwäche, das sich ihm zum Leid der Welt selbst erweiterte. Dieser Stimmung verdankte ebenjenes Op. 130 in Bdur seine Reihe der Bilder, in kühnem Neuaufbau der Welt, in ironisch lächelnder und wehmuthvoll humoristischer wie in seelig heiterer Färbung der einzelnen Stücke, die in der That keine bloßen Sonatensätze, sondern volle Lebens- und Seelenbilder sind. Die »Cavatine« ragt darüber als ein Stück seines eigenen Herzens hervor, das ihm selbst, wie er gegen K. Holz gestand, »immer neue Thränen kostete.«

»Ahme meine Tugenden nach ohne meine Fehler«, ruft er dem »Sohne« zu. »Die ganze Woche mußte ich wie ein Heiliger leiden«, heißt es von dem »Pöbelgeschmeiß« der damaligen Dienstboten und »Gott mit dir und mir! Es wird bald ein Ende haben mit deinem treuen Vater«, noch schmerzlicher ein andermal. Seine seltsam getheilte Existenz zwischen den höchsten Visionen des Geistes und den niedrigsten Störungen des Lebens macht ihn fortan gegen dieses selbst stets gleichgiltiger, und es dringen Elemente in seine Sphäre, die er sonst dauernd nie um sich geduldet hätte und die ihn selbst manchmal zu einem ungebundeneren Leben sogar an öffentlichen Orten führten. Dies wirkt dann wieder auf den Neffen zurück, dessen Achtung vor dem Geist und Charakter des »großen Oheims« solchem scheinbar gleichen Thun und Treiben desselben nicht lange Stand hält. Allerdings entsteht jetzt ein Bild, von dem einer solcher faijakischen Freunde, der es copirte, jener Kanzleibeamte und Dilettant Holz, ihm selbst aufschreibt: »Wenn man es so ruhig übersehen kann, so steigen ganz neue Welten auf«, – das Cismollquartett Op. 131. »Mit dem lichtströmenden Blick, tropfend von Wonne und Weh«, so erblickte ihn ebendamals »wie versunken« der junge Dr. Rollett im schönen Baden stehen, so strahlt auch dieses Werk, das er selbst für das »größte« seiner Quartette erklärte und das auf eine andere Art als die Neunte Symphonie noch einmal den Sinn seines ganzen Daseins und des Menschenlebens überhaupt sich wiederholt, dem er hier zuletzt noch selbst, wie R. Wagner gesagt, zu seinem wilden Wechsel von Wehe und Lust aufspielt. Aber wir erkennen jetzt immer mehr, daß etwas »wie ein Geier ihm am Herzen frißt«, und nahen uns in der That der Katastrophe, die zu seinem vorzeitigen Ende führte.

Schon im Herbst 1825 waren »stürmische« Scenen vorgegangen. Unverwüstliche Lust zum Spiel und Flaniren hatten den jungen Mann auf immer schlechtere Bahnen gebracht, zu Lüge und Unterschlagung, und die Entlarvung derselben ließ ihn dann sich heimlich von Hause entfernen. Die liebende Schwäche des Oheims rief ihn allerdings bald zurück, jedoch um ihn fortan gar zu knechtisch an eine Existenz zu bannen, die für ein gewöhnliches Menschenkind stets quälend sein wird und bei diesem leidenschaftsvollen und dabei tauben großen Manne es doppelt und dreifach sein mußte. Die »Vorwürfe«, »der Lärmen«, »die Gefangenschaft«, dazu Verführung durch schlechte Gesellschaft und Angst vor neuen Vorwürfen, – da er doch schon einmal bei solchen den alten Oheim selbst »an der Brust gepackt«, – kurz eines Tages im Sommer 1826 erhält derselbe die jäh aufschreckende Nachricht, daß der Sohn sich mit ein paar Pistolen aus seiner Wohnung entfernt habe und sich das Leben nehmen wolle. Ein entsetzlich langer Morgen wird mit Aufsuchen des Unglücklichen verbracht, der endlich auch wirklich mit einer Wunde am Kopf vom nahen Baden hergeführt wird. »Jetzt ist's geschehen ... quäle mich jetzt nicht mit Vorwürfen und Klagen«, schreibt er auf, und seine Verfassung und Stimmung erhellt aus den Worten: »Ich bin schlechter geworden, weil mich mein Onkel besser haben wollte« und: »Er sagte, es sei nicht Haß, sondern ein ganz anderes Gefühl, was ihn gegen Sie ergreife.«

Der Oheim, – ach er verstand diese Aussprüche tiefer als all seine Umgebung, die für die verworfene That nur Vorwürfe kannte. »Beweise tiefsten Schmerzes waren deutlich in seiner gebeugten Haltung zu erblicken. Vorbei war das immer noch Feste, Stramme in allen seinen Körperbewegungen, ein Greis von nahezu 70 Jahren stand vor uns, willenlos fügsam, jedem Luftzuge gehorchend«, sagt Schindler. Er selbst verlangt die Bibel, aber »in der wirklichen Sprache wie sie Luther übersetzt hat«. Und nach einigen Tagen schon, als die Kopfwunde sich als gefährlich erwies, steht da in den Conversationen: »† auf den Tod von dem verstorbenen Beethoven.« Ist's sein eigener, ist's der Tod des geliebten Knaben, in dem er sozusagen sein eigenes Leben mitverloren hätte, – jedenfalls sang er jetzt den tiefsten Gesang aus seiner Seele und es sollte sein Schwanenlied, ja sein eigener Grabgesang sein, das Adagio in dem letzten Quartett Op. 135. Seine Harfe verstummte bald darauf für immer, – was irgend noch weiter geschah, blieb Project oder Bruchstück. Aber er rührt sie jetzt noch einmal wie in der Edda König Gunther »unter Schlangen sitzend«, deren giftigste, die eigene Gewissensqual, ihm den Tod drohte. Unter den Bildern, in denen er den Sinn des einen gleichen Themas dieses Adagios ausmalt, – »Variationen« kann man so geistig selbständige Stücke nicht mehr nennen, – ist eines, das sich durch sein Moll und die Rhythmik als eine Trauerfeierlichkeit von ergreifendster Erhabenheit charakterisirt. Aber was er irgend an Schuld geübt, er hat es im tiefsten Herzen durch Liebe gesühnt und so ist dieses selbst, seine Seele ist frei. Dies sagt uns mit redender Deutlichkeit dieses Thema selbst. Und wie hier die Seele wehmuthvoll still um ihren Urquell kreist und am Schluß zu dem sehnend seeligsten Aufschwunge sich erhebt, so zeigen die weiteren Bilder diesen völlig sicheren und sogar freudigen Besitz seiner selbst, und das letzte scheint gar diese Seele selbst in ihre Fähigkeiten aufzulösen, wo sie dann in wonnevollster Seeligkeit wie um ein ewiges Sein schwebt, – ein Erschauen und ein Zustand, welche von allen Ausdrucksmitteln des Geistes völlig nur die Musik wiederzugeben vermag und die uns für diesen Künstler beweisen, daß Furcht und Tod längst innerlich überwunden sind.

So kommt es, daß ein unvergleichlicher, nach unserem Gefühl sogar der gehaltvollste und vollendetste Satz und zugleich von einer wahrhaft strahlenden Durchleuchtung, in ein Werk gelangt ist, das sonst in keiner Hinsicht der Größe dieses letzten Schaffens entspricht. Denn auch in dem Finale »der schwergefaßte Entschluß«, bei dem es sich nämlich um eine unliebsame Zahlung handelte, enthüllt sich nur ein Scheinspiel jener tragischen Mächte, die der Meister sonst in erhabenen Schrecken wie in erlösender Heiterkeit gleich sicher heraufzubeschwören wußte.

Aber jenem Zustande seiner Seele sollte bald auch der körperliche entsprechen. Freilich sahen ihn, als nun die Genesung Karls gut vorschritt und dieser selbst sich für einen neuen Beruf, das Militär, entschieden hatte, die Freunde bald äußerlich wieder frisch und heiter: er habe sich über sein Schicksal zu stellen gewußt und sein Wesen habe eine »antike Würde« gezeigt, sagt Schindler. Allein er selbst meint schon damals gegen den alten Jugendfreund Wegeler nur »noch einige große Werke hervorzubringen und dann wie ein altes Kind irgendwo unter guten Menschen seine irdische Laufbahn zu beschließen.« Und wirklich erscheint sein ganzes innere Wesen gebrochen. »Was fehlt dir? Worüber hängst du den Kopf? Ist dir die treuste Ergebenheit bei wenn auch Mängeln nicht genug?« diese eine Conversation mit Karl sagt uns alles. Dazu zeigten sich auch bedenkliche Krankheitserscheinungen, – ein einziger Stoß und die machtvolle Mannesgestalt sank hin wie der geringste der Sterblichen. Und er kam und zwar in fast unerwarteter Heftigkeit.

Nach der Genesung war Karl von der Polizei mit der ausdrücklichen Weisung entlassen worden, nur noch einen Tag in Wien zu bleiben. Die Narbe am Kopf verhinderte aber den Eintritt in den Dienst. Wohin nun in diesem beginnenden Herbst? Bruder Johann bot sein Gut Wasserhof bei Gneixendorf an. Das einstige » Non possibile per me« (Für mich nicht möglich!) mußte jetzt weichen. Allein der Aufenthalt in einer für die nasse und kalte Zeit nicht eingerichteten Landwohnung, mangelhafte Rücksichtsnahme auf seine zunehmende Kränklichkeit, Aerger mit der Frau, ein heftiger Streit mit dem Bruder, der dann seinen geschlossenen Stadtwagen verweigerte, endlich die jähe Abfahrt in kalter Winterszeit auf dem »elendesten Fuhrwerk des Teufels«, – alles ließ zuletzt den Leidenden heftig erkrankt nach Wien zurückkommen. Der Neffe verzögerte obendrein die Besorgung des Arztes, der dadurch erst am dritten Tage am Krankenbette erscheinen konnte. Dieser, nicht Beethovens gewohnter Arzt, verkannte trostloser Weise die Krankheit. Es kamen neue Gemüthserschütterungen hinzu und die Folge war ernstestes Auftreten einer Wassersucht, deren Spuren sich schon in Gneixendorf gezeigt hatten.

Es ist das lange, schmerzlich lange letzte Ende, was jetzt begann. Denn fast drei Monate sollte noch dieser riesenmäßig kräftige Organismus »dem Tode das Thor sperren«. Da an Arbeiten nicht zu denken war, so bot ihm zunächst die Ankunft von Händels Werken als Geschenk aus London eine erwünschte Zerstreuung in seinem eigensten Gebiete. Doch bald traten nächtliche Erstickungsanfälle ein und so mußte der »Bauchstich« gemacht werden. Beim Anblick des Wasserstromes rief er nach seinem erhabenen Humore aus, der Operateur komme ihm vor wie Moses, der mit dem Stabe an den Felsen geschlagen. Ebenso hilft ihm der Humor weiter: »besser Wasser aus dem Bauch, als aus der Feder«, tröstet er sich. Allein die Krankheit nimmt zu und den Freunden erscheint ärztliche Berathung vonnöthen. Er ahnt selbst nichts Gutes und macht am 3. Januar 1827 abermals sein Testament, sein geliebter Neffe wird »einziger Universalerbe«. Und daß derselbe Tags zuvor zu seinem Regimente abgereist war, erwies sich als eine wohlthätige Beruhigung: der Oheim wußte ihn dort bestens untergebracht und bezeugte seine Dankbarkeit dadurch, daß er dem General von Stutterheim, der ihn aufgenommen, das Cismollquartett, sein »größtes«, widmete. Jetzt drängt er aber auch selbst, den Dr. Malfatti beizuziehen. Allein er hatte sich vor Jahren mit ihm überworfen und der berühmte Arzt wollte jetzt nicht mit seinen Collegen in Unfrieden gerathen. »Beethoven weinte bitterlich, als ich ihm diesen Bescheid überbrachte«, sagt Schindler, der sich jetzt in voller Treue erwies.

Endlich kam er doch und nach wenig Worten lagen die alten Freunde einander weinend in den Armen. Er verordnete Punschgefrornes »zur Hebung der durch Arzneiüberladung erschlafften Verdauungsorgane«. Die Wirkung trat bald ein. »Er wurde munter und oft voll witziger Einfälle und träumte, sein Oratorium Saul und David endigen zu können«, erzählt der erste Arzt selbst und wir finden nach den Conversationsheften jetzt manchen Freund an seinem Bette. Ja er dachte zu einem Concert Schindlers die Bachouverture zu vollenden und begann sogar die Zehnte Symphonie wieder hervorzuholen. Denn es trat, eine doppelt schmerzliche Erlebung in dieser Lage, zumal infolge der Ausstattung Karls zum Soldaten, pecuniäre Bedrängniß ein. Galitzin hatte zwar kurz zuvor ausdrücklich Geld zu schicken zugesagt, erwies sich aber leider als ein »fürstlicher Prahler«. Von anderer Seite stand keinerlei Einnahme in Aussicht, denn alle fertigen Werke waren verkauft und das Capital vom Congreß her lag, vor allem nach dem Testamente, unangreifbar fest für Karl da.

So denkt denn er selbst an die »großmüthigen« Engländer, die ihm ja schon früher ein »Benefice« zugesagt hatten. Denn jedenfalls dauerte die Krankheit noch lange, da schon die dritte Operation gemacht war. In Wien selbst aber hatte er sich durch seine langjährige Einsamkeit den Menschen mehr und mehr entfremdet und traute in der That, besonders nach den Erfahrungen mit der Akademie von 1824, nicht mehr recht dem Kunstenthusiasmus und der Opferwilligkeit seiner zweiten Heimat. Schreibt doch Schindler bei diesem Anlaß nach England: »Was ihn noch sehr kränkt ist, daß sich hier gar niemand um ihn bekümmert, und wirklich ist diese Theilnahmlosigkeit sehr auffallend!« Nur die allernächsten Freunde begegnen uns fernerhin an seinem Bette. So Gleichenstein, der zu kurzem Besuch in Wien war und aufschreibt: »Du mußt meinen Buben segnen, wie Voltaire den Sohn Franklins gesegnet hat«, – so der auf einer Concertreise begriffene Hummel, der beim Anblick dieser Leidensgestalt, – denn es war schon die vierte Punctation geschehen, – in Thränen ausbrach. »Sieh, mein lieber Hummel, das Haus, wo der Haydn geboren wurde, eine schlechte Bauernhüte, wo ein so großer Mann geboren wurde«, mit diesen Worten zeigte dagegen Beethoven ihm ein kleines Bild, das er soeben zum Geschenk erhalten hatte.

Von seinem rheinischen Verleger Schott, der die Messe und die Neunte Symphonie gekauft und später auch Herr der »Nibelungen« werden sollte, erbittet er sich alten Wein zur Stärkung, und Malfattis »Wissenschaft« räth ein Heublumenbad, das ihm wie sichere Rettung erscheint. Allein es bewirkt das Gegentheil und jetzt tritt bald heftiges Leiden ein. »Ich bitte Gott stets nur, daß ich, solange ich noch hier den Tod im Leben erleiden muß, vor Mangel geschützt werde«, schreibt er nach London und da kommt denn auch wenigstens nächste Hilfe, 1000 Gulden von der Philharmonischen Gesellschaft » a conto des sich vorbereitenden Concertes«. »Es war herzzerreißend ihn zu sehen, wie er seine Hände faltete und sich beinahe in Thränen der Freude und des Dankes auflöste«, heißt es dabei. Es war die letzte Freude und gerade sie bereitete durch die jähe Erregung eine Beschleunigung des Endes: die Wundnarbe brach auf und schloß sich ferner nicht. Freilich er selbst fühlte dies zunächst als geradezu wundergleiche Erleichterung und dictirte in dieser Stimmung nach London einige seiner schönsten Briefe, versprach die Zehnte Symphonie für die Gesellschaft auszuarbeiten und hatte andere »ungeheure« Pläne, besonders in Betreff der Faustmusik. »Das soll was geben!« rief er oft. Die Ueberströmung seiner Phantasie war »unbeschreiblich und von einem Schwung, wie ihn die Freunde in gesundem Zustande nur selten an ihm wahrgenommen.« Dabei schwebten ihm die höchsten Gebilde dramatischer Dichtung vor und er selbst stellt unausgesetzt im Gespräche seine Werke als von ebensolchen »poetischen Ideen« erfüllt dar. Aber bald ward das Leiden »unbeschreiblich groß«, seine Auflösung nahte »mit Riesenschritten« und die Freunde konnten selbst nur den Eintritt des Todes wünschen. Am 24. März schreibt Schindler nach London: »Er fühlt sein Ende, denn gestern sagte er zu mir und Breuning: Klatscht ihr Freunde, das Schauspiel ist zu Ende!« – »Mit wahrhaft sokratischer Weisheit und beispielloser Seelenruhe geht er dem Tode entgegen«, heißt es dabei. Er konnte innen ruhig sein, er hatte seine Pflicht als Mensch wie als Künstler erfüllt. Noch ein Codizill für den Neffen schrieb er an diesem Tage, und jetzt blieb den Freunden »nur ein sehnlicher Wunsch, ihn mit dem Himmel auszusöhnen«. Der Arzt schrieb es auf, worauf er ganz ruhig und gefaßt antwortete: »Ich wills!«

Der Geistliche kam und Beethoven verrichtete »mit frommer Ergebung« seine Andacht. »Geistlicher Herr, ich danke Ihnen, Sie haben mir Trost gebracht«, hörte nach Empfang der Sacramente Frau Johann van Beethoven ihn sagen.

Dann erinnerte er Schindler noch an den Brief nach London: »Gott wolle sie segnen«! Es kam der Wein. »Schade – schade – – zu spät«, dies waren seine allerletzten Worte. Gleich darauf verfiel er in einen solchen Todeskampf, daß er keinen Laut mehr hervorbringen konnte. Schaarenweise kamen an diesem 24. und 25. März die Menschen, um ihn noch zu sehen. Auch die »Faijaken« Haslinger und Holz wie der Dichter Castelli waren darunter. »Wir knieten alle drei vor seinem Bette«, erzählte Holz später der Frau Linzbaur, und sie fügte der Wiedererzählung hinzu: »Holz versagte die Stimme, er verhüllte sein Gesicht und weinte. – ›Er hat uns gesegnet‹, sagte er mit Anstrengung, ›und wir haben seine Hand geküßt und ihn nimmer gesehen‹.« Es war seine letzte Lebenshandlung.

Am 26. blieb die kleine Pyramidenuhr, ein Geschenk der Fürstin Christiane Lichnowsky, stehen: so thut sie noch heute, wenn ein Gewitter im Anzuge ist. Schindler und Breuning waren zum Kirchhof gegangen um ein Grab zu wählen. Gegen 5 Uhr toste mit gewaltigem Donner und Hagelschlag das Unwetter heran. Nur Frau van Beethoven und der junge Componist Anselm Hüttenbrenner, der von Graz herbeigeeilt war, um den verehrten Meister noch einmal zu sehen, waren im Sterbezimmer anwesend. Ein Blitz erleuchtete dasselbe plötzlich grell. Der Sterbende öffnete die Augen, erhob die rechte Hand und blickte starr mehrere Secunden lang mit sehr ernster drohender Miene in die Höhe, – der Heldengeist wollte nicht erlöschen. Doch: »als er die erhobene Hand aufs Bett niedersinken ließ, schlossen sich seine Augen zur Hälfte. Kein Athemzug, kein Herzschlag mehr! Ich drückte dem Entschlafenen die halbgeöffneten Augen zu«, erzählt jener letztere Augenzeuge. Es war am 26. März 1827.

»Keine trauernde Gattin, nicht Sohn, nicht Tochter weinten an seinem Grabe, aber an seinem Grabe weinte eine Welt«, sagte der Redner des Festes bei der Enthüllung jenes ersten Beethovendenkmals im Jahre 1845 in Bonn. Aber auch das Leichenbegängniß an dem schönen Frühlingstage war sehr glänzend: an 20,000 Menschen wogten über das Glacis, wo jetzt die Votivkirche steht, denn in dem dahinterliegenden Schwarzspanierhause hatte Beethoven die letzte Zeit gewohnt. Die ersten Capellmeister der Stadt trugen das Bahrtuch, Schriftsteller und Musiker die Fackeln. »Die Kunde des Todes hatte die Bevölkerung aus ihrer Theilnahmlosigkeit gewaltig aufgerüttelt«, sagt Dr. G. von Breuning. War es doch, wie eine Höckerin bei diesem Aufzuge sich ausdrückte, der »General von den Musikanten«, den man hier begrub! Der Dichter Grillparzer aber hielt die Grabrede. »Ein Künstler war er und was er war, war er nur durch seine Kunst«, so lautete das Thema. Es berührt unser innerstes Sein und erhabenstes Gefühl, wenn wir diesen Namen aussprechen hören, den Namen

Ludwig van Beethoven.

 

Ende.

 


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