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2. Eroica und Fidelio.

(1795–1806)

Es war noch wahrhaft das goldene Zeitalter der Musik in Wien, als Beethoven dort eintraf. Freilich nicht der Hof, aber der reiche Adel und viele Kreise der Gebildeten hatten in ihr den Mittelpunkt ihres geistigen Lebens und jeden höheren Daseins. Dadurch ergab sich von selbst eine vorwiegende Pflege der Kammermusik, und so sehen wir die erste Wiener Zeit Beethovens auch vorwiegend von Compositionen dieses Styles ausgefüllt. Ja ihre Widmungen weisen uns zugleich auf jene Kreise und Persönlichkeiten selbst hin.

Da sind sogleich die drei Trios Op. 1, dem Fürsten Karl von Lichnowsky gewidmet. Der einstige Freund und Schüler Mozarts mochte doppelt froh sein, so bald einen Ersatz für den einzigen Künstler zu gewinnen. Denn jeden Freitag war bei ihm Quartett und zwar von den vier tüchtigen Künstlern Schuppanzigh, Sina, Weiß und Kraft. Im Jahre 1794 schon fand Dr. Wegeler seinen Bonner Freund ganz bei dem Fürsten wohnend, und er hat ihm später sogar ein Gehalt von 1200 Mark ausgeworfen. Seiner Gemahlin, der Fürstin Christiane geb. Thun, gehören die Variationen über »Seht er kommt« (1797). Sie hätte am liebsten eine Glasglocke über ihn machen lassen, damit kein Unwürdiger ihn berühre oder anhauche, sagte er später selbst. Die ersten drei Sonaten (Op. 2) sind J. Haydn gewidmet, und er führt uns auf seine besonderen Beschützer, die Fürsten Esterhazy, zu denen Beethoven jedoch selbst in kein näheres Verhältniß trat, obwol die Messe Op. 86 von Nicolaus Esterhazy bestellt ward. Dem Grafen Fries sind das Quintett Op. 4 sowie die Violinsonaten Op. 23 und 24 (1800) und das Streichquintett Op. 29 (1801) gewidmet, und manche Nachricht aus Beethovens Leben zeigt uns die nahe Verbindung mit diesem reichen »Negozianten«. Die Sonate Op. 7 (1797) ist der Gräfin Keglevics gewidmet, ebenso das 1795 vollendete Erste Concert, als sie bereits Fürstin Odescalchi hieß. Die Trios Op. 9 wie die glänzende Sonate Op. 22 gehören dem splendiden russischen Grafen Browne, den Beethoven selbst » le premier Mécène de sa Muse« nennt, die Sonaten Op. 10 (1798) aber seiner Gemahlin. Der Gräfin von Thun eignete er das aus demselben Jahre stammende Trio Op. 11 zu, die Sonaten Op. 12 aber wieder einem seiner Wiener Lehrer, Salieri.

Eine bezeichnende Würdigung von Lichnowsky's Werth ist die Dedication von Op. 13, der Pathétique (1799): sie spricht zuerst Beethovens Meinung von der Musik als einer Rednerin zu unserem innersten Wesen und Aufruferin zu einem würdigeren Dasein sicher ergreifend aus. Aber auch die Sonate Op. 26 mit dem schönen Trauermarsch (1802) gehört ihm. Die liebenswürdigen zwei Sonaten Op. 14 von dem Jahre 1799 sind wie die Hornsonate Op. 17 (1800) der Baronin Braun gewidmet, deren Gemahl einige Jahre später den Fidelio bestellen sollte, das Quintett Op. 16 (fertig 1797) dem Fürsten Schwarzenberg. Und wenn wir noch die ersten Quartette Op. 18, componirt 1797-1800, mit dem Fürsten Lobkowitz, die erste Symphonie Op. 21 (1800) mit dem aus Mozarts Leben bekannten Baron van Swieten, dem Liebhaber des Wohltemperirten Claviers, und die sogenannte Pastoral-Sonate Op. 28 (1801) mit dem Gelehrten v. Sonnenfels nennen, so haben wir den Beweis für die Behauptung J. F. Reichardts von damals, der österreichische Adel sei der allermusikalischeste, den es vielleicht je gegeben. In der That hat denn auch einzig die spätere allgemeine Zerrüttung der Vermögensverhältnisse in den langen Kriegszeiten bis 1815 diese Thatsache zu ändern und ihren günstigen Einfluß auf die Musik zu schmälern vermocht. Jetzt sehen wir unsern Künstler noch in der vollen Woge dieser Musikpflege baden und ihr jedes Opfer seiner Muse darbringen. Bald aber sollte doch über alle dieses blos genießende Musiktreiben hinaus sein Geist zu höheren Sphären dringen: die ganze gebildete Welt sollte seine Kunst erfüllen und sie selbst an der Bewegung der Geschichte ihren lebendigen Antheil nehmen und die Ideen des Lebens mit aussprechen helfen. Die ersten wirklichen Mannesthaten dieses Künstlers waren die Eroica und der Fidelio mit der Leonorenouvertüre, und zu ihnen führte allerdings ein Weg, auf dem ihm seine nähere Umgebung nicht mehr so allgemein folgen konnte und der ihn später auch persönlich mehr und mehr vereinsamen lassen mußte.

Ein dunkles Gefühl für diese Sternenbahn eines höhern geistigen Daseins war es schon, was ihn nach Beendigung der Hauptpartien des musikalischen Studiums bei Haydn, Schenk und Albrechtsberger in den deutschen Norden, nach Berlin brachte. Nicht als wenn es ihm in seiner neuen Heimat an Anerkennung und Belohnung gefehlt hätte! Allein sie galt im Grunde mehr dem Virtuosen. Von seinen Compositionen wollten das Publikum und demgemäß die Kunsthändler einstweilen noch nicht viel wissen. »Soviel ich ihn kenne, ist er ganz für das Große und Erhabene, Haydn hat hierher berichtet, er würde ihm große Opern geben, und bald aufhören müssen zu componiren«, schreibt schon im Januar 1793, also kurz nach Beethovens Ankunft in Wien, der junge Bonner Professor Fischenich an Schillers Frau und meldet dabei, daß er auch dessen »Freude schöner Götterfunken« componiren wolle, sodaß wir schon früh auch die Vorstellung der großen Ideen in ihm aufgegangen sehen, die mit der Neunten Symphonie sein letztes Schaffen erfüllen. Von dieser geistigen Erweckung, die uns die erste classische Literatur und ebenso die Epoche der großen Denker im Westen und Norden von Deutschland geschaffen, war in Wien noch nicht viel zu verspüren, sein eigener Geist dagegen noch zu sehr von »Sturm und Drang« erfüllt, um die schöne Harmonie und das warme Gemüthsleben würdigen zu können, die eben in diesem süddeutschen Oesterreich die Erscheinung eines Haydn und vor allem eines Mozart möglich gemacht hatten. Im Norden dagegen lebte die Tradition des alten Fritz, wirkte die strenge Zucht der Geister und Gewissen fort, die der Protestantismus erzeugt hatte, und war auch das feste Gerüst seiner eigenen Kunst, die Contrapunctik des großen Bach, des »Urvaters der Harmonie«, wie er selbst ihn nennt, scheinbar noch kräftig dastehend. Zudem waltete dort ein musikliebender Hof, und König Friedrich Wilhelm II. hatte ja selbst den größten Meister seiner Zeit, Mozart, an Berlin fesseln wollen, Beethoven aber war seit der Flucht des Kurfürsten von Bonn ohne jede fernere Aussicht in seiner rheinischen Heimat, – also auf nach dem Norden!

Zu Anfang 1796 finden wir ihn denn auf dieser Reise. »Meine Kunst erwirbt mir Freunde und Achtung, was will ich mehr?« schreibt er von Prag aus an Bruder Johann, der also derweilen in Wien in eine Apotheke eingetreten war. Hier ward die Arie Ah perfido (Op. 65) componirt. Ueber Dresden und Leipzig, von denen wir jedoch in Bezug auf seinen Aufenthalt nichts wissen, ging es nach Berlin. Der König empfing ihn sehr huldvoll. Er spielte dann einigemale bei Hofe und componirte die Cellosonaten Op. 5, weil der König selbst Violoncell spielte. Aber sogleich der erste Eindruck scheint für Beethoven entscheidend gewesen zu sein. Sein Clavierschüler K. Czerny erzählt hier nach eigener Anschauung und Erinnerung etwas, das überhaupt für Beethoven sehr charakteristisch ist und zeigt, wie er gerade in seinen besondersten Erwartungen auch hier in Berlin sich getäuscht fühlte. »Sein Phantasiren war im höchsten Grade glänzend und staunenswerth,« sagt er. »In welcher Gesellschaft er sich auch befinden mochte, er verstand es auf jeden Hörer einen solchen Eindruck hervorzubringen, daß oft kein Auge trocken blieb, während manche in lautes Weinen ausbrachen. Denn es war etwas Wunderbares in seinem Ausdruck, noch außer der Schönheit und Originalität seiner Ideen und der geistreichen Art, wie er dieselben zur Darstellung brachte. Wenn er eine Improvisation dieser Art beendigt hatte, konnte er in lautes Lachen ausbrechen und seine Zuhörer über die Bewegung, in die er sie versetzt hatte, ausspotten. Zuweilen fühlte er sich sogar verletzt durch diese Zeichen der Theilnahme. ›Wer kann unter so verwöhnten Kindern leben!‹ sagte er, und einzig aus diesem Grunde lehnte er es ab eine Einladung anzunehmen, welche der König von Preußen nach einer solchen Improvisation an ihn ergehen ließ.«

Es war eine Ernüchterung ganz eigener Art, was er hier erlebte: anstatt des Mannhaften, das er von dem weicheren Süden kommend, gerade in diesem Norden suchte, fand er theils etwas schwelgerisch Ueppiges, dem auch die Musik nur zum halbsinnlichen Genusse da war, theils sogar etwas abgelebt Altweiberhaftes, wie es seit der französisch-aufklärerischen Verständigkeit Voltaires nicht anders sein konnte. Das war nicht der neue Geist, der in ihm selbst lebte und für den er eine entsprechende Wirkensstätte suchte. Gluck und Mozart trachtete zwar sogar der König persönlich in Berlin einzubürgern, und Händels Oratorien erschienen selbst in den Hofconcerten. Aber die herrschenden Leiter der Musik, ein Himmel und Rhigini, – neben ihnen hätte ein Beethoven wirken sollen? Einzig Prinz Louis Ferdinand erschien ihm hier völlig ein Mann, und wie er offen genug dessen Spiel »gar nicht königlich oder prinzlich sondern das eines tüchtigen Clavierspielers« nannte, so entnahm er von ihm selbst vielleicht den ritterlichen und zugleich poetisch-schwärmerischen Charakter des dritten Concertes (Op. 37), das 1800 vollendet und 1804 dem »menschlichsten Menschen«, diesem Prinzen gewidmet ist.

Er spielte auch zweimal in der Singakademie vor ihrem Leiter Fasch und seinem Nachfolger Zelter, dem bekannten Freund Goethes, wobei den Zuhörern ebenfalls die Thränen in die Augen traten. In jenen beiden Hauptvertretern der ernsteren Musikrichtung in Berlin selbst mußte er aber zugleich deutlich erkennen, daß statt Bachs Geist, den er gesucht, hier nur die »Kunst musikalische Gerippe zu schaffen« galt, und dies war kein Gegengewicht gegen die sonst hier noch durchaus herrschende italienische Musik. Er kam in jeder Beziehung enttäuscht, aber dafür auch in sich selbst um so sicherer begründet, nach Wien zurück und verließ Oesterreich jetzt nicht mehr dauernd, machte es vielmehr zum Schauplatz seiner schönsten Heldenthaten, deren Beginn denn auch nicht mehr auf sich warten lassen sollte.

Ein kleines Notizbuch, das Beethoven auf der Reise von Bonn nach Wien gebraucht, enthält am Schluß die Bemerkung: »Muth! Bei allen Schwächen des Körpers soll doch mein Geist herrschen. 25 Jahre sie sind da, dieses Jahr muß den völligen Mann entscheiden. Nichts muß übrig bleiben.« Wenn man bedenkt, daß der Vater den Knaben stets jünger gemacht und dieser selbst im Jahre 1810 sich noch nicht für einen Vierziger halten wollte, so ist dieser Aufruf in den Winter 1796 oder gar 97 zu setzen und gewinnt so für uns eine erhöhte Bedeutung. Denn jetzt sah sich der Künstler mit voller Zweifellosigkeit auf dieses Oesterreich und Wien gestellt, und rücksichtslos ward daran gearbeitet »einst ein großer Mann zu werden«, das heißt Tüchtigstes in seiner Kunst zu leisten. Rücksichtslos vor allem auf die Bedingungen unserer physischen Existenz! »Im Jahre 1796 kam Beethoven an einem sehr heißen Sommertage ganz erhitzt nach Hause, riß Thüren und Fenster auf, zog sich bis auf die Beinkleider aus und kühlte sich am offenen Fenster ab. Die Folge war eine gefährliche Krankheit, deren Stoff sich bei seiner Genesung auf die Gehörwerkzeuge setzte, von welcher Zeit an seine Taubheit successive zunahm«, so erzählt ein Freund aus der nächsten Nähe Beethovens, der Baron von Zmeskall. Und wenn auch vielleicht nicht gerade im Jahre 1796, die Spuren der Taubheit infolge solcher Rücksichtslosigkeit im Dienste seines Genius zeigten sich in der That schon in diesen Neunziger Jahren und legten seinem moralischen Muth eine schwere Prüfung auf. Schon im November 1796 hatte Stephan von Breuning ihn »durch seine Reisen etwas solider oder eigentlich mehr Kenner der Menschen und überzeugt von der Seltenheit und dem Werthe guter Freunde« genannt. Es war der zunehmende Ernst durch herbe Lebensprüfung und die stets mehr erwachende Vorstellung von der Bedeutung der eigenen Pflicht. Und dies führt uns auf die Anregung zu dem erstentscheidenden Monumentalwerke jenes Genius, zu der Eroica, der dann bald auch sogar die Keime zur Cmollsymphonie folgen.

»Schade daß ich die Kriegskunst nicht so verstehe wie die Tonkunst, ich würde ihn doch besiegen«, rief Beethoven im Jahre 1806 aus, als ein Freund ihm den Sieg Napoleons bei Jena meldete. Eine fast persönliche Rivalität spricht sich in diesem Worte aus, das nur ein Narr oder gleichgearteter Kraftmuth sagen konnte. Und wirklich, wenn wir von den Genien der Kunst, von Goethe und Schiller absehen, deren Ruhm längst fest begründet war, – unter den Gleichlebenden und Höchststrebenden konnte nur ein solcher Souverän der Heldenkraft wie dieser Napoleon Bonaparte einem Manne imponiren, dessen Wahlspruch lautete: »Kraft ist die Moral der Menschen, die sich vor andern auszeichnen, und sie ist auch die meinige.« Eine dicht gedrängte Reihe von Siegen der glänzendsten Art umtanzte wie die Horen den Sonnengott den mit ihm gleichaltrigen General der gloriosen Republik bis zu dem Jahre 1798. An ihnen hatte auch derjenige theilgenommen, dessen Nachkommen heute den schwedischen Thron einnehmen, General Bernadotte. Er ward zu Anfang 1798 französischer Gesandter in Wien. Ebenfalls noch jung, bürgerlicher Abkunft und Vertreter der Republik, konnte er ungezwungen jeden persönlichen Verkehr üben. Außerdem war jener berühmte Geiger, dem Beethovens »Kreutzersonate« (Op. 47) gewidmet ist, Rudolph Kreutzer in seinem Gefolge. Was liegt näher, als daß wenn ihnen erst Beethoven bekannt geworden, hier auch ein mehr als gewöhnlicher Verkehr und nähere Freundschaft eintrat? Bernadotte, dem die eigene Hingebung für Napoleon Beethovens Enthusiasmus für denselben noch näher bringen mußte, regte die Idee in ihm an, den Helden durch eine Symphonie zu feiern. So hat Beethoven im Jahre 1823 selbst seinem Famulus Schindler erzählt und ist auch sonst bestätigt. Es war der erste Anstoß zur Eroica.

Aber der Held der Kraft sollte sich auch bald in ihm selbst zu dem Helden des geistigen Muthes erheben. »So pocht das Schicksal an die Pforte«, hat Beethoven ebenfalls 1823 und zwar »in gleichsam ungestümer Begeisterung« von jenem wahrhaft pochenden Motive des ersten Satzes der Cmollsymphonie gesagt. Und der letzte Satz des Werkes, jenes fanfarenhaft siegjubelnde Finale zeigt uns, daß es sich hier in der That um einen Sieg, um die Ueberwindung alles Dunkels und Widerstandes des Lebens und wären es nur die »Schwächen des Körpers« handelt. Die Skizzen zu jenem Satze aber kommen in den Entwürfen der Quartette Op. 18 vor und haben also ebenfalls schon vor dem Jahre 1800 ihre Aufzeichnung gefunden! Daß jedoch dabei auch schon die Melodie des Adagios steht beweist, daß die Gewißheit der Ueberwindung des Leids schon damals ebenso gegenwärtig lebendig in ihm dämmerte, wie der Schmerz um den »Dämon in seinen Ohren« und die trübe Aussicht in eine »elende« und sicherlich sehr einsame Zukunft ihn jetzt im Innersten tief erregte.

Zur Ausgestaltung der Motive dieser beiden großartigen Werke kam es jedoch erst nach Jahren. Es gehörte volle Concentration des Innern, Stählung der Kraft, Hebung des Könnens dazu, um solchen monumentalen Ideen, dem Heldensiege der Kraft und des Willens, gerecht zu werden, und die Darstellung der Kämpfe und des künstlerischen Schaffens der jetzt folgenden Jahre bildet den auch das gewisse Verständniß erzeugenden Uebergang zu jenen ersten großen Heldenthaten selbst.

Auf welche napoleongleiche Art Beethoven mit diesem Ablauf des Jahrhunderts in Wien und damit in Europa den unbestrittenen Vorrang über alle, auch die berühmtesten Virtuosen der Zeit gewonnen hatte, mögen dem Freunde näherer Kunde der Sache der Wettkampf mit dem renommirten Clavierspieler Wölffl im Jahre 1799 und die Niederlage Steibelts zeigen, den er 1800 ebenfalls in Wien »aufs Haupt schlug«. Man findet die Berichte in der Schrift » Beethoven. Nach den Schilderungen seiner Zeitgenossen,« (Cotta 1877). Aber ebenso drang er jetzt mehr und mehr mit seinen Werken durch. Und wie die zahlreichen Variationen ihm die clavierspielenden schönen Hände gewannen, so mußte die 1797 erschienene » Adelaide« ihm alle feiner fühlenden Herzen zuwenden, und Wegeler mag nur Recht haben, wenn er schreibt: »In Wien war Beethoven, wenigstens so lange ich da lebte [1794–95] immer in Liebesverhältnissen und hatte mitunter Eroberungen gemacht, die manchem Adonis wo nicht unmöglich doch sehr schwer geworden wären«. Der pockennarbige »garstige« Mann mit den stechenden Augen hatte eben Schönheit und Kraft auf Gebieten, wogegen jeder äußere Reiz verstummt. Aber nun diese Sonaten: Op. 7 mit dem Trauerliede im Adagio, die er in einer »sehr passionirten« Stimmung geschrieben haben soll, Op. 10 mit dem echten Mannesprofil der revolutionären Cmollsonate, mit dem geheimnißvollen Ringen des Allegretto in Nr. II, und in Nr. III der glänzende Siegesschwung des Allegro, der tragische Gesang des Largo, die holdeste Anmuth des Menuets – hier ausnahmsweise noch statt des schon mit Op. 1 dafür eingetretenen Scherzos! – und endlich die neckische Frage mit dem Stumpfnäschen im Finale! Und doch folgten darauf erst die Pathetique mit ihrem innig beseligten Adagio und die beiden lieblichen Liebeslieder Op. 14, – folgten erst jene Sechs Quartette Op. 18, in denen er einem Verein von Freunden seiner Kunst wahre Gesänge der Seele wie Bilder des sprudelndsten Lebens bot, das Adagio von Nr. I gar die Todesklage der Liebe gleich der Grabesscene in »Romeo und Julie« selbst darstellend, und im Adagio von Nr. VI die Melancholie malend, die jetzt bereits so oft ihre dunklen Fittige über diese des höchsten Schwunges freudenvoller Erhebung fähige Brust auszuspannen begann! Und wenn wir das bilderreiche Septett (Op. 20, 1800) und die im Haydn'schen Style entworfene, aber mit Mozart'schem Pinsel gemalte Erste Symphonie (Op. 21) nennen, so haben wir, was mit »des Jahrhunderts Neige« schon eine alte Welt in diesem Künstlerleben abschließt und in dem glänzend leuchtenden Op. 22 (1800) – »diese Sonate hat sich gewaschen, geliebtester Herr Bruder«, sagt er selbst, – bereits eine neue ankündigt.

Diese neue Welt aber stellt sich nach ihrem allgemeinen Charakter auch für Beethovens Gesammtanschauung am reinsten und sichersten in Schillers herrlichem Wort an die Künstler dar:

»Wie schön, o Mensch, mit deinem Palmenzweige
Stehst du an des Jahrhunderts Neige
In edler stolzer Männlichkeit!
Mit aufgeschlossnem Sinn, mit Geistesfülle,
Voll milden Ernsts, in thatenreicher Stille
Der reifste Sohn der Zeit.
Frei durch Vernunft, stark durch Gesetze,
Durch Sanftmuth groß und reich durch Schätze,
Die lange Zeit dein Busen dir verschwieg.«

Es beginnt jetzt jene Zeit schwerer Prüfungen, die er, nur allzusehr »frei durch Vernunft«, sich selbst bereitete, da er auch ferner, im Schaffen versunken, des physischen Daseins und selbst des zunehmenden Gehörleidens nicht genügend achtete und so einen Lebenszustand heraufbeschwor, wo allerdings nur der unerschöpfte Reichthum seines eigenen Busens ihm Erleichterung und Freude schuf.

Doch hören wir, was er selbst im Juni 1801 an den »besten der Menschen«, seinen Freund Amenda in Kurland schreibt, der zwei Jahre zuvor Wien verlassen hatte: »Dein Beethoven lebt sehr unglücklich, im Streite mit Natur und Schöpfer, schon mehrmals fluchte ich letzterem, daß er seine Geschöpfe dem kleinsten Zufall ausgesetzt, sodaß oft die schönste Blüthe dadurch zernichtet und zerknickt wird. Wisse, daß mir der edelste Theil, mein Gehör, sehr abgenommen hat. Wie traurig ich nun leben muß, alles was mir lieb und theuer ist meiden! O wie glücklich wäre ich jetzt, wenn ich mein vollkommenes Gehör hätte, dann eilte ich zu dir, aber so muß ich von allem Zurückbleiben, meine schönsten Jahre werden dahin fliegen, ohne alles das zu wirken, was mir mein Talent und meine Kunst geheißen hätten. Traurige Resignation, zu der ich jetzt meine Zuflucht nehmen muß!«

Hier haben wir die Worte zu den langgezogenen Trauertönen eines Liedes, wie der Eingang der berühmten Cismoll-(Mondschein-) Sonate Op. 27 Nr. II, die in diese Zeit fällt und ihre nächste Anregung dem in »Beethovens Brevier« mitgetheilten Gedichte »die Beterin« von Seume verdankt: eine Tochter ringt hier im Gebet um den zum Tode verurtheilten edlen Vater. Aber auch der Sturm der Leidenschaft in diesem schmerzensvollen Selbstbekämpfen tritt uns in Worten entgegen. Freund Wegeler vernimmt kurz darauf von ihm selbst die ganze Leidensgeschichte dieser Kur, sie findet sich in den »Briefen Beethovens« von 1865. »Ich kann sagen, ich bringe mein Leben elend zu,« sagt er hier. »Ich habe schon oft mein Dasein verflucht, ich will, wenns anders möglich ist, meinem Schicksale trotzen, obschon es Augenblicke meines Lebens geben wird, wo ich das unglücklichste Geschöpf Gottes sein werde«. Man vernimmt das Donnern der Kraft in dem Finale jener Sonate. Und als sie im nächsten Frühjahr erscheint, lautet ihre Widmung: Alla damigella contessa Giulietta Guicciardi. Die berühmte Giulietta! – Sie ist in der That ein erquickender Sonnenstrahl in dem »elenden Leben« dieser Zeit. Denn was schreibt er selbst weiter im Herbste dieses Jahres 1801?

»Etwas angenehmer lebe ich jetzt wieder, indem ich mich mehr unter Menschen gemacht. Diese Veränderung hat ein liebes zauberisches Mädchen hervorgebracht, das mich liebt und das ich liebe. Es sind seit zwei Jahren wieder einige selige Augenblicke und es ist das erstemal, daß ich fühle, daß Heirathen glücklich machen könnte. Leider ist sie nicht von meinem Stande und jetzt – könnte ich nun freilich nicht heirathen, ich muß mich nun noch wacker herumtummeln.«

Unter den vielen Familien höheren Standes, mit welchen Beethoven eben durch seine Kunst in so nahem Verkehre stand, war der aus Modena stammende k. k. Hofrath Graf Guicciardi. Seine Frau stammte aus der ungarischen Familie Brunswick, der Beethoven ebenfalls früh befreundet war: die Gräfin Therese Brunswick, der mit ihrer anmuthigen Schwester Gräfin Deym 1800 die vierhändigen Variationen über »Ich denke dein« ins Album geschrieben sind, wird uns noch begegnen. Die Gräfin Giulietta war 16 Jahre alt, – gleichwol schon so gut wie verlobt, nämlich dem Grafen Gallenberg, der ebenfalls Musiker war und Balletmusik componirte, jedoch in so beschränkten Verhältnissen lebte, daß Beethoven ihm durch einen Freund einmal eine Geldunterstützung verschaffen mußte. So mochte das junge Mädchen noch nicht im Ernste an eine solche standesmäßige Verbindung denken und gab sich mit voller Seele einer wahren Liebe hin. Sie hallt denn auch aus Beethovens Worten gegen Wegeler wieder: »Meine Jugend, ja ich fühle es, sie fängt erst jetzt an. War ich nicht immer ein siecher Mensch? Meine körperliche Kraft nimmt seit einiger Zeit mehr als jemals zu und so meine Geisteskräfte. Jeden Tag gelange ich mehr zu dem Ziele, das ich fühle, aber nicht beschreiben kann. Nur hierin kann dein Beethoven leben. Nichts von Ruhe! Ich weiß von keiner andern als dem Schlaf und wehe genug thut mirs, daß ich ihm jetzt mehr schenken muß als sonst. Nur halbe Befreiung von meinem Uebel und dann – als vollendeter reifer Mann komme ich zu euch, erneuere die alten Freundschaftsgefühle. So glücklich als es mir hienieden beschieden ist, sollt ihr mich sehen, nicht unglücklich. Nein das könnte ich nicht ertragen. Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen, ganz niederbeugen soll es mich gewiß nicht. O es ist so schön, das Leben tausendmal leben! Für ein stilles Leben, nein ich fühls, ich bin nicht mehr dafür gemacht.«

Solchem Schwung der Seele, der ihn zu den wonnigsten Empfindungen und zu freien geistigen Höhen erhob, entstammen nun jene Werke, die auch stets mehr freie poetische Bildungen sind. Wo bleibt die hergebrachte Form der Sonate, wenn er nun anhebt zu sagen und zu singen, was Leid und Wonne und ihre wunderbare Mischung sind, wie in der Sonate Op. 31 Nr. II, deren erster Satz aber auch fast in einem Zuge hingeworfen ist. Diese sinnende Frage an das Schicksal in dem Eingangsaccord, dieses jauchzende Dahineilen im Glück, dieses Aussprechen all des Wehs, das noch herber vorgeahnt als schon empfunden wird, wo er zum förmlichen Rufen in der Noth greift und das baare Recitativ sogar in diejenige Kunst bringt, deren Sprache doch beredter ist als alle Worte der Welt! Hier haben Weh, Glück und Genie gemeinsam aus dem bloßen Musiker den freien Künstler und Dichter geboren. Von dieser Dmollsonate zählt der Meister der geistigen Welt in Tönen, Beethoven! Jedes Stück wird jetzt ein psychologisches Gemälde des Lebens. Die Sonatenform hat den geistigen Keim, der in ihr lag, ganz voll entwickelt, sie tritt als Form zurück und bleibt nur das endliche Gefäß, das einen unendlichen geistigen Inhalt aufnimmt. Auch die einzelnen Sätze, so sehr sie gewohnheitsmäßig beibehalten worden, sind fortan nur Phasen und Stadien der Entwicklung jenes geistigen Inhaltes, sind Acte eines Dramas, das tief innen in der Seele eines Mannes lebt, der den tragischen Inhalt menschlicher Existenz in jedem Augenblick seines Daseins mit wehmuthvollem Lachen durchzukosten hat. Denn so wird es jetzt: das tiefste Leid gebiert ihm die freie Heiterkeit des Geistes, das Dunkel wird zur Mutter eines höhern Lichts und vor allem der thränenlächelnde Humor springt in voller Herrlichkeit hervor.

Da folgt denn auch eine Symphonie, die schon Beethovenschen Athem hat, jene Zweite (Op. 36). Sie entstammt dem »hohen Muth«, der ihn in den schönen Sommertagen von 1802 »beseelte«. Ebenso der glänzende Schwung der Kreutzersonate Op. 47. Gerade dieser Sommer von 1802 aber sollte ihm auch die schärfste Prüfung jenes Mannesmuthes bringen, die den menschlichen Helden in ihm völlig erwachsen und ein Heldenbild wie die Eroica schaffen ließ. Aus dieser Zeit rührt das sogenannte Heiligenstädter Testament her, das uns den Grund seiner Seele selbst aufdeckt und das wir daher hier zunächst kennen lernen müssen.

»O ihr Menschen, die ihr mich für feindselig, störrisch oder misanthropisch haltet oder erklärt, wie unrecht thut ihr mir, ihr wißt nicht die geheime Ursache von dem was euch so scheinet,« schreibt er im October 1802 von dem Dorfe Heiligenstadt bei Wien aus, wohin ihn sein Arzt geschickt, in einem Zustande der tiefsten Hoffnungslosigkeit, wo er den Tod nahe glaubt und sich vor der Nachwelt sicher rechtfertigen will. »Mein Herz und mein Sinn waren von Kindheit an für das zarte Gefühl des Wohlwollens, selbst große Handlungen zu verrichten, dazu war ich immer aufgelegt. Aber bedenket nur, daß seit 6 [!] Jahren ein heilloser Zustand mich befallen, durch unvernünftige Aerzte verschlimmert, von Jahr zu Jahr in der Hoffnung gebessert zu werden betrogen, endlich zu dem Ueberblick eines dauernden Uebels gezwungen! Mit einem feurigen lebhaften Temperamente geboren, selbst empfänglich für die Zerstreuungen der Gesellschaft mußte ich früh mich absondern, einsam mein Leben zubringen. Welche Demüthigung, wenn Jemand neben mir stand und von weitem eine Flöte hörte und ich nichts hörte! – Solche Ereignisse brachten mich nahe an Verzweiflung, es fehlte wenig und ich endigte selbst mein Leben. Nur sie, die Kunst, sie hielt mich zurück. Ach es dünkte mir unmöglich die Welt eher zu verlassen, bis ich das alles hervorgebracht, wozu ich mich aufgelegt fühlte. Gottheit, du siehst herab auf mein Inneres, du weißt, daß Menschenliebe und Wohlthun darin hausen. O Menschen, wenn ihr einst dies leset, so denkt, daß ihr mir Unrecht gethan, und der Unglückliche, er tröste sich Einen seines Gleichen zu finden, der trotz allen Hindernissen der Natur doch noch alles gethan, was in seinem Vermögen stand, um in die Reihe würdiger Künstler und Menschen aufgenommen zu werden.«

Aufblicke der Seele zur »Gottheit« begegnen uns hier zuerst auch in seiner Kunst: die Sechs Lieder von Gellert (Op. 48, erschienen 1803) haben geistlichen Text. Aber auf diesem religiösen Gebiete ist uns der Künstler noch nicht ganz geboren. Sein Sinn steht noch vorwiegend bei Leben und Kraft, und glänzendes Wechselspiel von Geist, Kunst und Phantasie zeichnet sein jetziges Schaffen aus. Im höheren Sinne aber hat dies das Opus 55, das diesem Jahre 1803 seine Vollendung dankt, die Eroica. Und jetzt wissen wir, wozu er sich »aufgelegt« fühlte, verstehen aber auch das an sich räthselhaft scheinende Gespräch, als er im Jahre 1823 mit seinem Famulus Schindler auf diese frühere Zeit und Giulietta zu sprechen kommt, die damals längst Gräfin Gallenberg hieß und kurz zuvor aus Neapel zurückgekommen war, wo ihr Mann viele Jahre das Theater geleitet hatte. Dasselbe beginnt in Französisch.

Beethoven: »Sie war mein vor ihrem Gemahl, vor Italien, und sie besuchte mich weinend, aber ich verachtete sie.«

Schindler: »Herkules am Scheidewege!«

Beethoven: »Wenn ich hätte meine Lebenskraft mit dem Leben so hingeben wollen, was wäre für das Edle, Bessere geblieben?«

Wir hörten, daß er zunächst noch etwas anderes in der Welt zu thun hatte als zu heirathen, daß die Existenz in solchen beschränkenden Privatverhältnissen ihm nicht das Ideal war, er vielmehr etwas »Edleres, Besseres« kannte. Gleichwol scheint er in diesem Jahre 1803, wo ihm zuerst die Aussicht einer dauernden Besserung seiner Lage winkte, dem »lieben zauberischen Mädchen« seine Hand angetragen zu haben und sie auch selbst der Heirath nicht abgeneigt gewesen zu sein. Allein Erwägungen der Familie hemmten den entscheidenden Schritt: sie heirathete im Herbst desselben Jahres den Grafen Gallenberg. Beethoven aber, sie »verachtend«, – ob mit Recht oder Unrecht vermögen wir nicht zu entscheiden, aber glücklich, das wissen wir, glücklich war sie nicht, – Beethoven wendete sich zu den großen Aufgaben, zu denen er »sich aufgelegt fühlte«.

So verlief in tausendfach gewohnter Weise ein Begebniß in diesem Künstlerleben, das in früheren Biographien und auch noch in meinem »Beethovens Leben« als ein wichtiges und wol gar tragisches Ereigniß gefaßt werden konnte, weil irrigerweise der großartig herrliche Brief an die bis heute unbekannte »unsterbliche Geliebte«, der uns später begegnen wird, auf dieses Verhältniß zur Gräfin Guicciardi bezogen wurde. Allein obwol es nur eine Episode war, es gehörte zu seiner Ueberwindung ein Zustand der innern Anschauung, in den Beethoven eben jetzt völlig eingetreten war, das Bewußtsein der Verpflichtung, die ihm sein Genius auferlegte – le génie oblige, sagt Liszt, – und die allen bloßen Ehrgeiz und selbst solche innige Beglückung durch Liebe weit hinter sich lassen muß und kann. »Malen Sie und ich mache Noten und so werden wir – – ewig? – ja vielleicht ewig fortleben,« schreibt er am Tage vor der Hochzeit Giuliettas an den Maler Macco. Und nicht immerhin nur einzelne kleine Gedichte wie seine Sonaten, Lieder und Quartetten, nein einzig mächtige monumentale Werke, den ewigen Weltgeist selbst lebendig widerspiegelnd, geben dem Bewußtsein des Künstlers solchen Anspruch auf Unsterblichkeit: es war der Löwenwurf der Eroica, woran er arbeitete. Allein daß trotzdem diese Abweisung seiner aufrichtigsten und innigsten Gefühle, obwol sie sicherlich mehr dem Zufälligen seiner schwankenden Lebensstellung und seiner zunehmenden Schwerhörigkeit galt als seiner Person, sein tiefstes Innere traf, beweist nicht blos jenes » mais je la meprisais«, sondern mehr noch, daß gerade hierdurch sich in ihm jenes Ideal vom Werth der Liebestreue feststellte, das uns der unmittelbar aus die Eroica folgende Fidelio in dieser schönsten aller Frauengestalten zeigt. Und hier einte sich dann sein warmes Herz mit seiner freien Geistesanschauung zum schönsten Bunde künstlerischer Gestaltung. Auf dem Goldgrunde seiner Begeisterung für das »Edle, Bessere« hebt sich Leonorens Kopf in vollster menschlichen Schönheit ab.

Die erhebenden Ideen der Humanität, hier auf das große Gebiet des öffentlichen Lebens übertragen, sind es, was ihm die Töne zur Eroica lieh. Da schreitet er einher, in Riesenschritten die Grundlagen unserer Existenz berührend, die er beglückend erneuen will, dieser Held. Und in der That jener erste Consul der französischen Republik konnte ihm in diesem Anfange des Jahrhunderts wohl noch versinnlichen, wie Helden schreiten, wie Völker ihm entgegenjauchzen und wie mächtige bestehende Ordnungen sich ihm entgegenstemmen und donnernd niederstürzen. Die verschiedensten Ereignisse eines solchen Heldenthums malt dieser erste Satz in einer Episodenfülle, die fast dessen Form zu sprengen droht. In seiner Gipfelung erscheint dann das eigentliche Heldenwerk: in mächtig erschütternden Synkopen und schärfest dissonirenden Accordschlägen erdröhnt die alte Ordnung der Dinge und stürzt krachend in sich selbst zusammen, um einem neuen menschenwürdigeren Dasein Platz zu machen. Am Schluß des Satzes aber spannt der siegende Held dieses ganze neu gewordene Dasein jubelnd an den Triumphwagen seines Heldenlaufes. Das ist Geschichte, Weltgeschichte in Tönen, und um ihretwillen mag man für den Augenblick auch sehnsuchtsvollstes persönliches Bedürfen und Empfinden in das Dunkel der Entsagung drängen.

Und nun hat seine künstlerische Phantasie den Genius der Freiheit, der damals neu in der Geschichte erwachte, auch völlig erfaßt und der tiefe Grund seiner Seele ahnt mit voller Sicherheit das Tragische jeder Heldenerscheinung: er wird wie alle Sterblichen fallen, dieser Gottgesandte, und muß sterben, falls sein Werk zu Leben und Gedeihen gelangen soll. Auch für den erhaben feierlichen Schritt des Trauermarsches konnte dieser Bonaparte noch den Rhythmus leihen. Denn so war seit Cäsar und Alexander keiner durch die Räume des Bestehenden geschritten. Aber dennoch weit über diese Anschauung der ihn umgebenden Wirklichkeit war hier schon die dichterische Phantasie hinaus! »Reit' euch denn der Teufel insgesammt, meine Herren, mir vorzuschlagen eine solche Sonate zu machen? Zur Zeit des Revolutionsfiebers, nun da wäre das so was gewesen. Aber jetzt da sich alles wieder ins alte Geleis schiebt, Bonaparte mit dem Papste das Concordat geschlossen, so eine Sonate!« hatte er schon 1802 an die Leipziger Musikalienhandlung geschrieben, die heute durch die »Edition Peters« allbekannt ist. So ist es denn auch kein Napoleon mehr, der hier bestattet wird und um den die Menschheit weint, es ist der stets lebendig wiederaufwachende Menschheitsheld und Genius unseres Geschlechts selbst, was mit solchen Harmonien, solchen Rhythmen in feierlichem Preis zu Grabe getragen wird. Nicht blos auf der Höhe des ersten Satzes steht dieser Trauermarsch, er berührt schon die Reiche des tragischen Pathos eines Aeschylos und Shakespeare. Hier war also der volle Tragiker auch auf rein instrumentalem Gebiet geboren und ihm selbst ein Zustand der Seele verliehen, der ihn »gegen die Pfeil' und Schleudern des schmählichen Geschicks« mehr und mehr machtvoll gleichgiltig machen mußte.

Die beiden letzten Sätze des Werkes entsprechen freilich nicht mehr solcher kraftvoll hohen Anschauung heldischen Wirkens. War ihm selbst, was freilich nicht oft geschehen ist, der Athem ausgegangen, war die Wendung der Geschichte in jenen Tagen, wo das Finale geschrieben wurde, eine solche, die ihm mindestens als Denkmal auf Napoleon das Werk einigermaßen verleidete oder doch weniger werth machte, – wir wissen, daß als nun im Frühjahr 1804 die Abschrift fertig dalag, die auf dem Titel stolz und bezeichnend genug nichts als zwei Namen trug, oben »Buonaparte« und ganz unten »Luigi Van Beethoven«, und er die Nachricht von Napoleons Erhöhung erfuhr, mit den Worten: »Ist der auch nichts anderes als ein gewöhnlicher Mensch! Nun wird er auch alle Menschenrechte mit Füßen treten, nur seinem Ehrgeize fröhnen, ein Tyrann werden!« das Werk mit durchrissenem Titelblatt auf die Erde geschleudert und lange nicht mehr angesehen ward. Beim Erscheinen im Jahre 1806 hieß es dann aber Sinfonia eroica »componirt um das Andenken eines großen Mannes zu feiern«, und ward dem Fürsten Lobkowitz gewidmet, der es angekauft hatte und im Herbst 1804 dem Prinz Louis Ferdinand vorführte, der es – für Beethoven eine stolze Genugthuung – sich unmittelbar dreimal hintereinander spielen ließ.

An dieses instrumentale Frescogemälde eines Helden, der um der Menschheit höchste Güter kämpft und leidet, schließt sich auch dem Geiste nach Beethovens einzige Oper, der Fidelio. Denn Florestan »wagte Wahrheit kühn zu sagen«, und diese schönste Mannesthat des Eintretens für Recht und Freiheit entzündet sein treues Weib Leonore zu jener Heldenthat, sich in der Kleidung eines Mannes Eingang in das Gefängniß zu verschaffen und im entscheidenden Augenblick selbst dem Mörder des geliebten Gatten entgegenzuwerfen. Ihr todesmuthiges »Tödt' erst sein Weib!« ist ein Stück Geschichte sowol der seelenkräftigen Begeisterung für die idealen Güter wie der vollen Energie dramatischer Darstellung in Tönen.

Noch in jenem Brief an Amenda von 1801 hatte es geheißen: »Ich habe alles geschrieben bis auf Opern und Kirchensachen.« Doch war er kurz zuvor bereits in sofern mit dem Theater in Berührung gekommen, als er das Ballet »Prometheus« geschrieben hatte, das eine Art Menschenschöpfungsgeschichte in choreographischen Bildern darstellt. Dieses Werk bestimmte nun den durch die Zauberflöte bekannten Schikaneder, der das damals neuerbaute Theater an der Wien leitete, Beethoven mit einem ansehnlichen Gehalt für dasselbe zu engagiren und als in demselben Frühjahr 1803 das Oratorium »Christus am Oelberg« mit seinem allerdings mehr theatralischen als geistlichen Charakter guten Erfolg gehabt hatte, ihm auch eine Oper zur Composition zu geben. Es war vermuthlich ein Stoff »Alexander«, allerdings für Beethovens eigene Heldenart und seine damalige Stimmung ein geeigneter Gegenstand. Es wurde freilich nichts daraus. Allein ein ohne Zweifel dafür entworfenes Stück ging in das Duett »O namenlose Freude« im Fidelio über. Dieser selbst aber ward dann eben von jenem Baron von Braun bestellt, der auch das Wiener Theater übernommen hatte, und zwar zu Ende 1804.

Es schrieben damals zugleich für Wien Abbé Vogler und Cherubini, letzterer mit großem Erfolg und auch für Beethoven bedeutendem Eindruck. Es galt also einem würdigen Wettkampfe, es galt noch mehr einer erneuten Erhebung zu sich selbst. Die herbe Herzensenttäuschung hatte ihm erst recht gezeigt, wie einsam er war. »Sie glauben nicht, lieber Wegeler, welch unbeschreiblichen und ich möchte sagen schrecklichen Eindruck die Abnahme seines Gehörs auf ihn gemacht hat«, schreibt im November 1804 Breuning. »Denken Sie sich das Gefühl unglücklich zu sein bei seinem heftigen Charakter. Hierbei Verschlossenheit, Mißtrauen, oft gegen seine besten Freunde!« Ein Gegenstand wie dieser Fidelio aber mußte Beethoven nicht einzig wegen jener mächtig ergreifenden Scene, wo Leonore den Todfeind Pizarro mit der Pistole festbannt, auch selbst mächtig ergreifen: – die Hauptsache war der ideale Hintergrund des Leidens um der Wahrheit und Freiheit willen – denn Pizarro war ein »Tyrann«, – und daß ein Weib die Kraft der echten Treue gewinnt, um jedes Hemmniß, jede Gefahr selbst mit Einsetzung des eigenen Lebens von dem geliebten Gatten abzuwenden. Und diesen gehobenen und fast verklärten Stimmungshintergrund des Ganzen hat Beethoven dem Werke durch seine Musik zu geben vermocht, die hier die Verfassung seines eigenen Wesens, seine ganze Geistesanschauung aussprach. Ebenso weiß er den entscheidenden Höhepunkt des Conflicts sicher zu treffen und gibt den Hauptgestalten soviel persönlich eigenen Charakter, daß sie kenntlichst vor uns stehen und ihr Handeln uns aus dieser ihrer inneren Gesinnung verständlich und begreiflich wird. Dies in Verbindung mit einer sehr energischen Declamation ist die Fortführung des Dramatischen, die wir im Fidelio zu begrüßen haben, – die Opernform als solche erscheint hier nicht fortgebildet, und mehr noch als im Fidelio hat Beethoven in seiner rein instrumentalen Kunst die Sprache der Seele und die große innere Action der Welt und Menschennatur musikalisch festgestellt.

Doch wie es auch sein und ob eine Zeit kommen mag, welche strengere dramatische Anforderungen stellt und daher dem Stückweisen auch dieses Werkes nicht mehr den vollen Reiz abgewinnen kann, – immer gibt es hier Einzelheiten, die stets die reine Empfindung unwiderstehlich ergreifen werden: sie sind wie jene Stellen in Beethovens freier Phantasie, wo die Thränen der Beseligung ausbrachen. Der größere Theil dieser Sprache ist zwar ebenfalls ganz die Mozart'sche gemüthreiche Cantilene. Doch sind Melodien wie »Komm Hoffnung, laß den letzten Schein«, »In des Lebens Frühlingstagen« und »O namen-, namenlose Freude« von jener Art, die sicher auch »die Menschheit nie vergessen wird«, die wie der heilige Gral leuchten und nähren zugleich und wie gewisse Kräfte um so mehr spenden, je mehr sie verwendet werden. Ein unnachahmlicher Ausdruck waltet hier oft, und eine ganze Welt der Gemüthsvertiefung und Geistesentfaltung liegt, wenn man dieses Werk betrachtet, zwischen Beethoven und seinen Vorgängern, Mozart nicht ausgenommen. Aber ebenso sind ganze Stücke von dem wahrsten und tiefsten dramatischen Leben und wie aus dem Weben der Menschenseele selbst geschöpft. So jenes »Wir müssen gleich zum Werke schreiten«, so der Gefangenenchor, so Florestans Kerkerbild, das Graben des Grabes und vor allem jenes erschütternd große »Tödt' erst sein Weib!« Der Mittelpunkt bleibt aber, man sieht es an unzähligen feinsten inneren Zügen, eben Leonore, das Bild der todtesmuthigen Treue selbst: sie ist ihm aus der Seele geschrieben, ihre Kraft der Hoffnung und der befreienden That die seine, und »Leonore« sollte auch nach ihm das Werk selbst heißen und heißt in der That der erste Clavierauszug vom Jahre 1810.

Denn fast noch mehr als in der Kunst bedeutet gerade dieses Werk in des Künstlers eigenem Leben. Die Darstellung des Einzelnen seiner Entstehung wird dies zum Schluß des Kapitels deutlich erweisen.

Die Ausarbeitung nahm nur Frühjahr und Sommer des einen Jahres 1805 ein. Die Skizzen zeigen wie außerordentlich sorgfältig an jedem Stücke gefeilt ward: nur das Feuer begeisterter Hingebung vermochte das Erz der einzelnen Arien, Duette, Terzette, in die auch hier der Stoff zerstückt ist, zu schmelzen, doch nicht so ganz, daß nun der natürliche Fluß, den das dramatische Gefühl schon damals begehrte, auch völlig erreicht worden wäre. Obendrein raubte das Ungewitter des Krieges, der sich mit dem Herbst heranwälzte, den Zuhörern die Ruhe der Hingebung, und einzig die Milder-Hauptmann als Fidelio genügte der theatralischen Darstellung. Auch hatte Beethoven als Instrumentalcomponist zu wenig gesangmäßig zu schreiben verstanden. Am 13. November 1805 war Napoleon mit der Armee eingerückt und vom 20. an wurde Fidelio dreimal, aber statt vor dem kunstsinnigen Wiener Adel vor einem Publikum von französischen Offizieren gespielt. Der Beifall war gering und nach der ersten Vorstellung blieb das Haus leer. Beethoven zog also das Werk zurück. Aber auch die Kritik vermißte diesmal »jenen gewissen originellen Schöpfungsglanz« Bethoven'scher Werke. Nun thaten die Freunde sich zusammen, um ihn zu Kürzungen zu bewegen. Es war bei Lichnowsky. Man hatte ihn in solcher Aufregung nie gesehen und ohne das Bitten und Flehen der zartfühlenden schwächlichen Fürstin Christiane wäre er wol auf nichts eingegangen. So fielen denn endlich ein paar Nummern, aber es hatten sechs volle Stunden dazu gehört, um dies zu erreichen. Wir wissen warum: es war sein Lieblingskind. Breuning arbeitete nun das Textbuch um, wodurch die Handlung lebhafter wurde, und Beethoven kürzte noch die einzelnen Stücke. Jetzt gefiel das Werk dann in der That besser. Allein Beethoven selbst meinte sich von Intriguen und Betrügereien umgeben und zog, da er auf Tantième eingegangen war, das Werk abermals zurück. So blieb es denn bis zum Jahre 1814 liegen, wo wir ihm wiederbegegnen und auch erst die volle Wirkung seines inneren Gehaltes ins Leben treten sehen werden.

Aber jene Umarbeitung hatte auch zu einer neuen Ouvertüre und eigentlich musikalischen Ausdichtung des Stoffes, zu der großen Leonoren-Ouverture – Nr. 3 genannt, aber thatsächlich Nr. 2 – geführt. Hier läßt uns Beethoven die Tiefe des Leids in dem Kerker Florestans, die Hoffnungsblitze des Gedenkens an seine Leonore, den Ringkampf der Liebe mit der angebornen Furcht im weiblichen Herzen, ihr kühnes Einstehen für das Leben des geliebten Mannes und mit dem Trompetensignal die Ankunft des Retters, den stillen Jubel der namenlos seligen Gatten und den laut anstürmenden der Gefangenen, die ja mit diesem einen Geknechteten alle frei werden, und endlich den lautesten Preis der Freiheit und Beglückung in Stimmen wie von Tausenden vernehmen: es ist die symphonische Dichtung »Leonore«, die als Ganzes das dramatische Werk selbst weit hinter sich zurückläßt und neben der Eroica als das zweite Monumentalgebilde dieser großen Jugendschaffensepoche Beethovens dasteht, die ihn selbst zum Mann und Meister in seiner Kunst gemacht.

Wir werden ihn denn auch diese stolze Bahn nicht wieder verlassen sehen.

Als Werke aus dieser Zeit aber sind außer den bereits berührten hier der Vollständigkeit wegen noch folgende zu nennen: Das Opferlied (1. Bearbeitung), Seufzer eines Ungeliebten, Variationen Quant' è più bello um 1795; Variationen über Nel cor più und Menuet à la Vigano erschienen 1796; Sonate Op. 49 II um 1796; vierhändige Sonate Op. 6, Rondo Op. 51 I, Variationen über einen Russischen Tanz erschienen 1797; Variationen über ein Schweizerlied und »Mich brennt« erschienen 1798; Gretels Warnung, La partenza, comp. 1798; Variationen über La stessa, »Kind willst du« und »Tändeln und Scherzen« ersch. 1799; Sonate Op. 49 I comp. 1799; Variationen in Gdur comp. um 1800; Serenade Op. 25, Rondo Op. 51 II, Variationen »Bei Männern« erschienen 1802; Terzett Op. 116, Violinsonaten Op. 30, Variationen Op. 34 und 35 comp. 1802; Glück der Freundschaft Op. 88 und Zärtliche Liebe ersch. 1803; Triovariationen Op. 44 und Violinromanze Op. 40 comp. 1803; drei Märsche Op. 45, Variationen über Rule Britannia, der Wachtelschlag ersch. 1804; Sonate Op. 53 nebst dem ursprünglich dazu gehörigen Andante in Fdur, Tripleconcert Op. 56, Sonate Op. 57 entworfen 1804; » An die Hoffnung« Op. 32 und Trio Op. 38 ersch. 1805; 4. Concert Op. 58 comp. 1805; Trio Op. 36, Sonate Op. 54 erschienen 1806; Empfindungen bei Lydiens Untreue vermuthlich 1806.

 


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