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1. Die Jugend und die erste Schaffenszeit.

(1770–94)

Ludwig van Beethoven ward am 17. Dezember 1770 in Bonn – getauft. Nur dieses, der Tag der Taufe, ist uns festgestellt, und so hat man den 17. Dezember zugleich als den Geburtstag gelten zu lassen.

Sein Vater Johann van Beethoven war kurfürstlicher Capellsänger in Bonn. Doch stammte die Familie aus den Niederlanden. Erst der Großvater war (1732) nach Bonn gekommen, nachdem er als Knabe wegen eines Streites eigenwillig das Elternhaus verlassen hatte. Er hatte sich als Baßsänger in Kirche und Theater hervorgethan und war so 1763 kurfürstlicher Hofcapellmeister geworden. Auch sonst hatten ihm Fleiß und Ordnung einen wohlbestellten Hausstand und ein persönliches Ansehen begründet. Ein kleiner Weinhandel erlaubte ihm »sich eher zu rühren.« Doch trug eben dieser Nebenbetrieb bei, sein eigenes Glück wie das seines Sohnes zu untergraben. Seine Frau Josepha Poll verfiel dem Laster des Trunkes und mußte zuletzt nach Köln in ein Kloster gethan werden. Und leider theilte diesen Fehler der einzige überlebende Sohn, – »Johann van Beethoven verstand sich schon früh gut auf die Weinproben«, sagt der Bericht seiner Jugendgespielen, – und bald nahm die üble Schwäche so überhand, daß eine tiefe Störung des Hauswesens eintrat und schließlich gar Amtsentsetzung folgte. Beethovens Jugendfreund Stephan von Breuning sah selbst einmal, wie er den trunkenen Vater auf offener Straße aus den Händen der Polizei befreite.

Hier haben wir nun sogleich den Einblick in eine Jugendzeit, die Beethovens Geistes- und Gemüthskraft hart erprobte. Denn nach der angesehenen Stellung des Großvaters und durch seine eigene frühe Anstellung als kurfürstlicher Hoforganist wie die bedeutende Entwicklung seines Talentes genoß Beethoven frühe den Umgang der besseren Gesellschaft und wirkte als Künstler in den Familien des Adels wie bei Hofe. Doch wird berichtet, daß es stets mit der größten Zartheit geschah, wenn sie, er und seine zwei jüngeren Brüder, den Vater ins Haus zurückzubringen suchten, und niemals hören wir ein hartes Wort über den Mann, der seine Jugend zu einer so schweren gemacht, ja ein solches von einem Dritten machte ihn geradezu böse. Allein die Verschlossenheit und eine gewisse Trotzigkeit seines Jugend- und Manneswesens müssen doch auf solche frühen herben Erfahrungen zurückgeführt werden.

Und wer kennt die Verwickelungen, die hier das Unheil überhand nehmen ließen! Denn wenn es gleich heißt: »Johann van Beethoven hatte einen flüchtigen Geist«, so wissen doch auch diese Jugendgespielen von seinem Charakter nichts Schlimmes zu sagen. Nur Jähzorn und Halsstarrigkeit scheinen sein altniederländisches Erbtheil gewesen zu sein, und dieses zeigte in reichlichem Maße auch unser Meister. Doch während der Großvater sich zu so guter Stellung aufgeschwungen und stets eine solche Haltung zu bewahren gewußt hatte, daß Beethoven ihn förmlich als ein Vorbild seines Lebens nehmen und als von einem »Ehrenmanne« noch später gern von ihm sprechen konnte, brachte es sein Vater nicht über den geringbesoldeten Capellsänger. Und nicht einmal diesem Stande entsprach die Wahl seiner Frau.

Magdalena Kewerich aus Ehrenbreitstein, eine »hübsche schlanke Person«, die einige Zeit als Kammerjungfer bei vornehmen Herrschaften gedient hatte und schon mit neunzehn Jahren die Wittwe eines kurtrierschen Leibkammerdieners war, wurde 1763 Johann van Beethovens Frau. Da nun diese Heirath nicht nach des Hofcapellmeisters Sinn sein konnte, so zog der Sohn, der bisher mit dem vereinsamten Vater zusammen gewohnt hatte, in ein Nebengebäude des Hauses Nr. 515 der Bonngasse, welches also Beethovens Geburtshaus ward.

Vermögen besaß die junge Frau ebenfalls nicht, und so trat, nachdem ziemlich rasch mehrere Kinder gekommen waren, von denen der 1774 geborene Karl und der 1776 geborene Johann eine Rolle in Beethovens Leben spielen, bald materielle Bedrängniß ein. Anfangs hatte der wohlhabende Großvater nachgeholfen, und seine stattliche Gestalt im rothen Rock, mit dem großen Kopf und den »dicken Augen« blieb bei dem Knaben Ludwig, der mit der größten Innigkeit an ihm gehangen, auch tief haften, obwol er erst drei Jahre zählte, als der Großvater starb. Bei zunehmender Bedrängniß machte der Vater einige Gesuche um Aufbesserung. Allein seine nur »ziemliche« Aufführung und seine »abgängige« Stimme ließen sie fehlschlagen. So suchte er sich denn mit Unterrichtgeben weiter zu helfen und wirkte auch im Theater mit, denn er spielte zugleich Violine. Doch bald verschlangen Krankheiten auch die immerhin nicht bedeutende Erbschaft: die Glas- und Porzellanschränke wandelten nebst dem Silberservice und der Leinwand, »die man durch einen Ring hätte ziehen können«, eins nach dem andern zum Trödler, und die Noth selbst konnte wieder den Vater nur mehr seiner Schwäche verfallen lassen.

Doch eines stand von früh an als ein Hoffnungsstern an dem trüben Himmel seiner Existenz: das Talent seines Sohnes Ludwig. Denn dasselbe zeigte sich ebenfalls bereits in erster Kindheit und konnte dem Vater, der selbst immerhin ein »guter Musiker« war, am wenigsten entgehen. Und wenn er auch selbst den vollen Erfolg hier nicht mehr erleben sollte, es war in der That dieses Talent, durch welches späterhin einzig die Familie vor dem Untergang gerettet und ihr Name sogar wieder zu hellem Klange erhoben werden sollte. Denn als zumal nach der Geburt jenes jüngsten Bruders und einer kleinen bald verstorbenen Schwester die Verhältnisse sich stets mehr zerrütteten, verfiel der Vater darauf den Sohn gleich dem kleinen Mozart, der kurz zuvor auch in Bonn gewesen war, zu einem Wunderkinde heranzubilden, um dann auf Reisen mit ihm die so sehr bedurften weiteren Existenzmittel zu gewinnen. So ward denn der Knabe mit Ernst angehalten Clavier und bald auch Violine zu spielen, und es muß bei diesen täglichen Uebungen härter zugegangen sein, als zu einer regelrechten Ausbildung erforderlich ist. Denn er wurde sogar vom Spielen mit den Kindern weggeholt, und die Jugendfreunde sahen ihn auf einem Bänkchen vor dem Claviere stehen und weinend seine Aufgaben üben. Auch Strafen fehlten nicht und selbst mahnende Freunde brachten den Vater nicht von solcher unerbittlichen Strenge ab. Doch ward der Zweck erreicht, und die anhaltende und regelmäßige Uebung legte den Grund zu einer Fertigkeit, die ihn schon als siebenjährigen Knaben vor die Oeffentlichkeit führte. In einer Kölner Zeitung kündete der Vater an, daß am 26. März (Beethovens Todestag!) 1778, »sein Söhnchen von 6 Jahren mit verschiedenen Clavierconcerten die Ehre haben werde aufzuwarten, wo er allen hohen Herrschaften ein völliges Vergnügen zu leisten sich schmeichele, um so mehr, da er zum größten Vergnügen des ganzen Hofes sich hören zu lassen die Gnade gehabt habe.« Der Knabe ward, damit das Wunder um so größer sei, um ein Jahr jünger gemacht, und dies erzeugte in ihm selbst einen Irrthum über sein Alter, der noch den nahezu Vierzigjährigen täuschte.

Ueber seine weiteren Jugendlehrer können wir uns kurz fassen. Seine Schule war vorzugsweise die Noth des Lebens, die ihn seine Kunst treiben und üben hieß, um sie zu beherrschen und mit ihr in der Welt vorwärts zu kommen. Außer dem Vater unterrichtete den achtjährigen Knaben ein Jahr lang der Sänger Tobias Pfeiffer, der bei Beethovens in Kost und Logis war. Er war ein fertiger Clavierspieler und Beethoven erkannte ihn auch dadurch als einen seiner Hauptlehrer an, daß er ihm noch von Wien aus Unterstützung zukommen ließ. Wie jedoch dieser Unterricht und das Leben im Beethoven'schen Hause beschaffen war, erkennt man aus der Erinnerung der Hausgenossen, daß wenn Pfeiffer oft spät in der Nacht mit dem Vater von dem Wirthshause kam, der kleine Ludwig noch aus dem Bette geholt und bis zum frühen Morgen am Clavier gehalten ward. Dagegen war der Erfolg dieser Unterrichtung bereits ein solcher, daß wenn der Knabe mit seinem Lehrer, der auch Flöte blies, zusammen »variirte«, die Leute draußen stehen blieben und die schöne Musik lobten. Im Jahre 1781 finden wir den zehnjährigen Ludwig denn auch mit seiner Mutter auf einer Reise nach Holland, wo er in großen Häusern spielte und die Leute durch seine Fertigkeit in Erstaunen setzte. Doch muß es mit dem Ertrag der Reise nicht ebenso gut gestanden sein. Denn auf eine Frage antwortete der Knabe: »Die Holländer, das sind Pfennigfuchser, ich werde Holland nimmermehr besuchen.«

Derweilen war es nun auch an das Orgelspiel gegangen, und ein Bruder Willibald im nahen Franziskanerkloster führte ihn darin bald soweit, daß er beim Gottesdienst als Gehülfe gebraucht werden konnte. Seine Hauptlehrer in dieser Kunst waren aber zunächst der alte kurfürstliche Hoforganist van den Eeden und dann dessen Nachfolger Christian Gottlob Neefe. Der letztere hat auch in der Composition den ersten entscheidenden Einfluß auf Beethoven geübt, und er selbst dankte ihm später »für den guten Rath bei dem Weiterkommen in seiner göttlichen Kunst«. »Werde ich einst ein großer Mann, so haben auch Sie Theil daran,« schließt der Brief. Er stammte aus Sachsen und stand so einerseits auf der Grundlage der norddeutschen Organistenkunst, hatte aber andrerseits in der Composition die Richtung der neuen Ph. E. Bach'schen Sonate genommen und war außerdem durch allgemeine geistige Bildung und gefälligere künstlerische Form ausgezeichnet. Schon im Jahre 1782 konnte er den elfjährigen Knaben als seinen »Vicar« annehmen und ihm so die Anwartschaft auf die Hoforganistenstelle selbst verschaffen. Von ihm stammt denn auch der erste öffentliche Bericht über Beethoven, und hier erfahren wir, daß die Hauptgrundlage dieses Unterrichtes Bach's Wohltemperirtes Clavier, jenes » Non plus ultra« der Contrapunctik wie der Technik war. Die Bach'schen Fugen waren es daher auch, durch deren ausgezeichneten Vortrag er sich später in Wien zuerst seinen Ruf verschaffte. Aber auch der Compositionsunterricht trug seine Früchte und ein Heft Variationen über einen Marsch wie drei Sonaten erschienen schon damals im Druck.

»Dieses junge Genie verdiente Unterstützung, daß er reisen könnte, er würde gewiß ein zweiter Mozart werden,« hatte Neefe schon in jenem Bericht von 1783 geschrieben. Bald nachher war dann die Ausbildung des »Genies« auch auf anderen Gebieten vorgegangen: der 12jährige Organistenvicar hatte gar, wenn Neefe verhindert war, die Proben im Theater zu leiten, und dieses brachte damals, wie wir noch sehen werden, auch in Bonn die besten Stücke der Zeit. So gewannen die künstlerische Anschauung und die technische Fertigkeit einen stets weiteren Umkreis, und es existirt schon aus diesen frühen Jahren eine Anekdote, wonach er als Hoforganist, – denn dies war er schon 1784, mit dreizehn Jahren! – einmal beim Gottesdienste den sehr tonfesten kurfürstlichen Sänger Heller durch seine kühnen Ausweichungen ganz aus dem Tone geworfen. Der Kurfürst untersagte wol für die Zukunft »derlei Geniestreiche«, war aber wie sein Capellmeister Luchesi von der außerordentlichen Befähigung des jungen Mannes ganz überrascht.

Solche Erfahrungen mochten denn Anlaß sein, daß man an den Unterricht eines wirklichen Großmeisters für ihn dachte, und in der That finden wir im Frühjahr 1787 den Bonner Hoforganisten bei Mozart in Wien.

Die kleine Gestalt, zwar kräftig, aber »fast plump organisirt von Körper« und mit einer stumpfen runden Nase, konnte beim ersten Anblick wenig Eindruck machen. Mozart belobte das Vorgetragene, das er für ein eingelerntes Paradestück hielt, etwas kühl, worauf ihn aber Beethoven um ein Thema zum Phantasiren bat und dann so spielte, daß Mozart lebhaft ausrief: »Auf den gebt Acht, der wird einmal in der Welt von sich reden machen.« Gleichwol war von Unterrichtung nicht viel die Rede. Mozart stack zu tief in der Composition des Don Juan und mancherlei herben Erlebnissen, so daß er ihm nur wenig vorgespielt und nur einige Stunden gegeben hat. Zudem rief den jungen Mann die heftige Erkrankung der Mutter schon nach wenig Wochen in die Heimat zurück, und hier harrten seiner weitere Schicksalsschläge: die gute Mutter starb und des Vaters Schwäche nahm eben dann so überhand, daß er bald nachher seines Amtes entsetzt werden mußte. Dadurch ward dem ältesten Sohne die Pflicht auferlegt, seine beiden jüngern Brüder zu erhalten und zu erziehen.

War nun dies in der That eine harte Schule des Lebens, die aber andrerseits dazu diente, seinem Charakter jenen ehernen Halt zu geben, der ihn auch in den schwersten Prüfungen nicht untergehen ließ, so gewann der Aufenthalt in Bonn fortan für ihn fast die gleichen Vortheile, die er in der musikalischen Großstadt Wien gesucht hatte. Denn Maximilian Franz, aus der »Biographie Mozarts« (Nr. 1121) als dessen Freund und Beschützer bekannt und seit dem Jahre 1784 Kurfürst von Köln, gehörte zu jenen edlen Fürsten des vorigen Jahrhunderts, die ihre Residenz zu einer Stätte jeder schönen Bildung und namentlich der ernsteren Kunstpflege machten.

Als jüngster Sohn Maria Theresias hatte er die sorgfältige Erziehung dieses Kaiserhauses gewonnen und besaß an Joseph II. das beste Vorbild. Seinen geistlichen Beruf erfaßte er mit Ernst, ebenso seine Regentenpflicht. Dem Wesen und Treiben der »großen Pfaffengasse am Rhein« war er ebenso abhold wie dem verrotteten Zustande, in dem seine verschwenderischen Vorgänger das Land hinterlassen hatten. Ueberallhin strebte er Ordnung und neues Gedeihen zu bringen. Es wehte ein frischer Wind durch das ganze Leben der kleinen Residenz, solange er dort war. Er war selbst noch jung, ein Dreißiger, und hatte feine Sitten. »Man war vielleicht bisher gewohnt unter Köln sich ein Land der Finsterniß zu denken, man wird aber ganz anderer Meinung, wenn man an den Hof des Kurfürsten kommt«, sagt ein gleichzeitiger Bericht von »diesem menschlichsten und besten Fürsten«. Besonders die Capellisten, unter welche wir uns also auch diesen jungen Hoforganisten begriffen denken müssen, seien ganz aufgeklärte, gesund denkende Männer von einem sehr eleganten Ton und Benehmen.

Der Kurfürst hatte 1786 die Universität eröffnet und begründete ein öffentliches Lesezimmer, das er auch selbst ungenirt besuchte. »Alle diese Anstalten huldigten in meinem Auge einem unbekannten Genius der Menschheit und mein Gemüth ahnte zum ersten Male die Hoheit der Wissenschaft,« sagt der Maler Gerhard Kügelgen, ein Landsmann Beethovens von damals, und sollte dieser selbst anders empfunden haben? Die ausschließliche Hinleitung auf den musikalischen Unterricht freilich hatte seine Schulbildung wenig vorschreiten lassen: schon das Rechnen ward ihm durchs ganze Leben schwer, und ebenso lag er mit der Orthographie stets mehr im Streit, als selbst jene Zeit vertrug. Etwas Latein und Französisch hatte er gelernt. Allein jener Hauch einer edleren Geistesbildung, der damals Bonn durchzog und durch den nahen Verkehr mit den gebildetsten Männern der Stadt auch ihn lebendig berührte, führte ihn schon früh auch in dieser Hinsicht auf Höhen, die andere Künstler und gar Musiker jener Zeit gar nicht kannten, die aber ihm stets mehr ein neues Schaffensgebiet für seine Kunst eröffneten. Denn so sehr auch solche ernste und vielseitige geistige Beschäftigung ihm seitdem stets ein unentbehrliches Bedürfen war und er, wie er später selbst sagt, »ohne auch im mindesten Anspruch auf eigentliche Gelehrsamkeit zu machen, sich von Kindheit an bestrebte, den Sinn der Bessern und Weisen jedes Zeitalters zu fassen,« so blieb, wie ebenfalls Kügelgen von sich sagt, »doch sein Herz liebevoll der Kunst zugewandt«. Und gerade seine Kunst ward damals in Bonn in der That mit Ernst und Hingebung gepflegt.

»Der Kurfürst ist nicht nur selbst Spieler, sondern auch enthusiastischer Liebhaber der Tonkunst. Es scheint, als könne er sich nicht satt hören. Im Concert war er – Er nur der aufmerksamste Zuhörer«, sagt der Zeitbericht oben. Die musikalische Bildung der Kinder Maria Theresias war gleichfalls tüchtig und in Wien stand ja eben damals diese Kunst in höchster Blüte: Gluck, Haydn, Mozart wirkten dort miteinander. So ward im Cabinet zu Bonn nur gute Musik gemacht, und daß dabei der ausgezeichnete Clavierspieler Ludwig van Beethoven mit thätig war, versteht sich bei einem Fürsten, der Mozart kannte und liebte, von selbst.

Aber auch die Capelle und das Theater wurden mit wahrhaft künstlerischer Achtung bedacht, sobald nur die Wiederherstellung der verkommenen Regierungszustände dazu Muße und Mittel ließen. Bereits 1784 hatte Max Franz die Capelle constituirt, in der der junge Hoforganist bald ebenfalls als Bratschist mitwirkte und die den Geiger Ries und den Hornist Simrock enthielt, welche in Beethovens Leben ihre Stelle einnehmen. Ein Jahr darauf ist eine Truppe in Bonn, die neben italienischen Opern und französischen Singspielen Gluck's Alceste und Orpheus gibt. Dann kam auch jener geistvolle Großmann hin, der in der Geschichte der deutschen Schauspielkunst einen Namen hat und auch vor allem Dramen brachte. Sein Repertoire umfaßte Shakespeare, Lessing, Schiller, Goethe, die also Beethoven schon früh auch auf der Bühne kennen lernte. Im Jahre 1788 aber begründete Max Franz ein eigenes Nationaltheater, und jetzt beginnt eine Blütezeit für dramatische Poesie und Musik, die Bonn unmittelbar neben Mannheim, Wien und Weimar stellt und unserem Beethoven die hohe Schule seines Könnens bereitete. Das Orchester gewann Männer wie Andreas und Bernhard Romberg und Anton Reicha, jenen später so berühmten Theoretiker, der damals Beethovens innigster Freund und Kunstgenosse war, das Theater Darsteller, von denen später manche Deutschland mit ihrem Ruhm erfüllten, und es erschienen nun dramatische Werke jedes Styles: Martins Baum der Diana neben Mozarts Entführung, Salieris Grotte des Trophonius neben Dittersdorfs Doctor und Apotheker und Rothkäppchen, Glucks Pilgrime von Mekka neben Paisiellos König Theodor, dann vor allem der Don Juan, – »die Musik gefiel den Kennern sehr,« – und Figaro's Hochzeit: »gefiel ungemein, Sänger und Orchester wetteiferten mit einander dieser schönen Oper Genüge zu thun«. »Die Stärke des hiesigen Theaters besteht in der Oper«, sagt einfach und bezeichnend ein Bericht jener Tage.

Dieses stete Schauen von »Gestalten in Tönen« war allein schon von entscheidendem Werth für die Entwicklung eines Künstlers, der gerade in der Instrumentalmusik ebenfalls solches poetisches und geradezu dramatisches Leben entzaubern sollte. Allein wir hören, daß seine Gewalt in dieser Darstellung des individuellsten Daseins schon damals so groß war, daß ihm bei dem so beliebten Phantasiren häufig aufgegeben ward »den Charakter irgend einer bekannten Person zu schildern«. Und doch bot dem spätern größten Symphoniker gerade eine auszeichnende Besonderheit dieses Bonner Orchesters auch noch ein besonders fruchtbares Element seiner Entwicklung. Schon durch den ehemaligen Capellmeister Mattioli, einen »Mann voll Feuer und lebhaften und feinen Gefühls«, der von Gluck die Accentuation und Declamation des Orchesters erlernt hatte, war jene »genaueste Beobachtung des Forte und Piano oder des musikalischen Licht und Schattens« in die Bonner Capelle eingeführt worden, und man stellte ihn im »musikalischen Enthusiasmus« sogar über jenen aus Mozarts Leben bekannten Mannheimer Cannabich, der diese Vortragsart in Deutschland begründet hatte. Ihm war der Concertmeister Joseph Reicha gefolgt, unter dessen energischer Leitung das Bonner Orchester erst seine eigentliche Blüte gewann. Im Herbst 1791 nun befand sich diese ganze Capelle in Mergentheim, dem Sitz des deutschen Ordens, dessen Hochmeister Max Franz war, und von dort besitzen wir denn einen Bericht über dieselbe, der uns eine willkommene Einsicht in Beethovens Lehrjahre gibt.

Schon ein Octett von Bläsern dieser Capelle imponirte dem Berichterstatter gar sehr. Er nennt diese acht Spieler Meister, die besonders im Tragen des Tons einen hohen Grad von Wahrheit und Vollkommenheit erreicht hätten. Wer wird da nicht an Beethovens köstliches Septett (Op. 20) erinnert. Aber Ries, »der an der Seite Cannabichs steht«, wie wußte er erst durch seinen kräftigen und sichern Bogenstrich im Orchester Allen Geist und Leben zu geben! »Eine solche genaue Beobachtung des Piano, des Forte, des Rinforzando, eine solche Schwellung und allmähliche Anwachsung des Tones und dann wieder ein Sinkenlassen desselben von der höchsten Stärke bis zum leisesten Hauch, dies hörte man ehemals nur in Mannheim«, heißt es hier. Dabei sehen wir an Bernhard Rombergs Spiel das »Vollkommene des Ausdrucks, die feinen Nüancen der Empfindung, die gerade aufs Herz wirken«, an seinem Vetter Andreas das »Geschmackvolle des Vortrags« und seine Kunst der »musikalischen Malerei« rühmen. Kein Wunder, daß im Verein und Wettstreit mit solchen Künstlern sich Beethovens Genius stets tiefer entwickelte! Der beinahe unerschöpfliche Reichthum seiner Ideen, die ganz eigene Art des Ausdrucks seines Spiels und vor allem das Sprechende, Bedeutende, Ausdrucksvolle seiner Phantasie wird hervorgehoben. »Ich wüßte nicht, was ihm zur Größe des Künstlers noch fehlen sollte, selbst die sämmtlichen vortrefflichen Spieler dieser Capelle sind seine Bewunderer und ganz Ohr, wenn er spielt, nur er ist der Bescheidene, ohne alle Ansprüche,« schließt es hier.

So haben wir seine technische Schulung durch Vorbild und Uebung auf Orgel und Clavier, auf Theater und Orchester gesehen, und alles ward ihm obendrein eine Schule des Componisten. Denn Haydn und Mozart waren dieser Capelle geläufig wie uns Heutigen Beethoven. Und wie tief und innig er besonders Mozart erfaßte, erfahren wir aus einer kleinen Begebenheit mit John Cramer, dem einzigen Clavierspieler, den er selbst als »ausgezeichnet« lobte. Es war im Jahre 1799, wo sie miteinander im Augarten in Wien spazieren gingen und dabei Mozarts Concert in C-moll hörten. »Cramer, Cramer! wir werden niemals im Stande sein, etwas Aehnliches zu machen,« rief er bei dem so einfach schönen Motiv gegen Ende des Stückes aus. »Nur er ist der Bescheidene«, hieß es auch oben, und dies führt uns denn zuletzt noch auf die wenigen aber schönen rein menschlichen Gaben, die das Jugendleben in Bonn ihm ebenfalls fürs Leben spendete.

Da war die Hofräthin von Breuning mit ihren vier Kindern, die nur wenig jünger waren als unser Hoforganist. Die Schülerschaft bei Ries hatte ihn mit jenem Sohne Stephan zusammengeführt und er war früh selbst Clavierlehrer im Hause. Wie tief Beethoven sich vereinsamt fühlte, als nach vielen überstandenen Schmerzen und Leiden seine gute Mutter gestorben war, sagt er in dem ersten der Briefe, die uns erhalten sind: »Sie war mir eine so gute liebenswürdige Mutter, meine beste Freundin. O wer war glücklicher als ich, da ich noch den süßen Namen Mutter aussprechen konnte! Und er wurde gehört und wem kann ich ihn jetzt sagen? Den stummen ihr ähnlichen Bildern, die mir meine Einbildungskraft zusammensetzt?« Frau von Breuning ward ihm eine zweite Mutter. »In diesem Hause herrschte bei allem jugendlichen Muthwillen ein ungezwungener gebildeter Ton. Christoph versuchte sich früh in kleinen Gedichten, was bei Stephan viel später, aber nicht ohne Glück geschah. Hausfreunde zeichneten sich durch gesellige Unterhaltung aus, welche das Nützliche mit dem Angenehmen verband. Beethoven wurde bald als Kind des Hauses behandelt, er brachte nicht nur den größten Theil des Tages, sondern selbst manche Nacht dort zu. Hier fühlte er sich frei, hier bewegte er sich mit Leichtigkeit, alles wirkte zusammen, um ihn hier heiter zu stimmen und seinen Geist zu entwickeln,« so erzählt Dr. Wegeler, der spätere Mann der Tochter Eleonore (Lorchen), die selbst eine Schülerin Beethovens war. Und wenn er hinzufügt, hier habe Beethoven auch die erste Bekanntschaft mit der deutschen Literatur gemacht, sowie seine erste gesellschaftliche Bildung erhalten, so erkennen wir ganz die Bedeutung dieser Familienfreundschaft, die denn auch, wie wir noch sehen werden, ein ganzes langes Leben nicht aufhob.

Anmuthiges Liebesspiel blieb solchem Verkehre auch nicht fern. Wegeler nennt uns zwei junge Damen, deren eine, eine schöne, lebhafte Blondine und von freundlicher Art, Jeannette d'Honrath von Köln, oft bei Breunings war.

»Mich heute noch von dir zu trennen,
Und dieses nicht verhindern können,
Ist zu empfindlich für mein Herz!«

sang sie neckisch dem jungen Künstler entgegen. Denn sein begünstigter Nebenbuhler war ein österreichischer Hauptmann Greth, dessen Namen wir noch 1823 in den Conversationsheften des ertaubten Meisters finden. Ebenso vergebens freilich schwärmte er für die schöne und artige Fräulein W[esterhold], von welcher »Wertherliebe« er selbst viele Jahre nachher B. Romberg Anekdoten erzählt hat. Aber wie er dieses Verkehres auch später noch gedachte, sagt uns das Wort, mit dem er 1793 von Wien seiner Freundin Lorchen die Variationen Se vuol ballare gewidmet: »Es sei eine kleine Wiedererweckung der Zeit, wo ich so viele und so selige Stunden in Ihrem Hause zubrachte.«

Neben diesem Breuning'schen Hause nennen wir noch den Grafen Waldstein, dem die Sonate Op. 53 gewidmet ist. Er war Beethoven sehr nahe befreundet und ahnte sein Genie, weshalb er ihm sogar manche Geldunterstützung zuwandte, die jedoch zur Schonung seiner Reizbarkeit als Gratification vom Kurfürsten ausgegeben ward. Dieser liebenswürdige und kunstsinnige junge Oesterreicher mochte es denn auch sein, der den Sinn des Künstlers stets energischer auf den Ort gelenkt erhielt, wo allein derselbe die letzte Schulung gewinnen konnte, auf Wien. Denn gerade die Fülle der Ideen und der freie geistige Aufschwung ließen denselben jetzt erst recht empfinden, daß er in der künstlerischen Darstellung derselben denn doch noch weit hinter der Vollendung zurückstehe. Freilich seine Fertigkeit im Spiel und die hohe Kunst im freien Phantasiren sicherten ihm schon jetzt überall den Sieg. Aber daß er sich desselben nicht ebenso sicher auch in der Composition wußte, bezeugt allein schon die geringe Anzahl der Compositionen, welche dieser Bonner Zeit gehört, und doch stand er jetzt in den Jahren, wo Mozart bereits ein berühmter Operncomponist war.

Im März 1790 war auf seiner Reise nach London Haydn durch Bonn gekommen und von Max Franz persönlich der Capelle vorgestellt worden. Im Sommer 1792 kam er zurück, und da derweilen Mozart gestorben war, so lag nichts näher, als den damals lebenden größten Meister um seine Unterrichtung anzugehen. Der Kurfürst gewährte eine Unterstützung, und wie des jungen Künstlers Herz schwoll, als er jetzt den wahren Ringplatz seiner Kunst beschritt, sagt uns jenes Wort gegen seinen Lehrer Neefe aus eben diesen Tagen: »Werde ich einst ein großer Mann«. Was erwartete man aber nicht auch von ihm! Waldstein begrüßte die »Erfüllung seiner lange bestrittenen Wünsche« mit einem Stammbuchwort: »Durch ununterbrochenen Fleiß erhalten Sie Mozarts Geist aus Haydns Händen.« Es war eine Zeit allgemeiner mächtigen Erregung, als die Revolution die Grenzen Frankreichs überschäumte. Beethoven ward einzig von ihren Idealen berührt, – das fratzenhaft Lächerliche der Sansculotten und das Blut der Guillotine sollte er nicht auch persönlich erleben. Die Kaiserstadt barg ihn nach kurzer Fahrt im November 1792 in ihrem trauten Schooß und hat ihn nicht wieder daraus entlassen. Die Franzosen waren bald Herren des Rheines, Max Franz mußte fliehen und so war für Beethoven jede Aussicht verloren in die Heimat zurückzukehren.

Umsomehr mußte er jetzt daran denken sich völlig auf die eigenen Füße zu stellen. Die beiden Brüder waren versorgt, Karl als Musiker, Johann als Apotheker. Sie folgten ihm freilich bald nach Wien und haben ihm hier die Bonner Zeiten noch oft wiederholt. Er selbst aber trachtete jetzt vor allem darnach, den schaffenden Künstler in sich zu entbinden, den er stets gewaltigeren Dranges in sich fühlte. Die Schule bei Haydn, dann bei dem aus der Zauberflötenaufführung bekannten Schenk, weiter bei dem trockenen Contrapunktisten Albrechtsberger, ja bei Mozarts Todfeind Salieri, alles ward – es zeigen dies die mannichfachen Studien, die er hinterlassen, – gleich ernst und eifrig genommen. Aber schon war dieser Geist zu reich entwickelt, diese Phantasie selbst zu schwungvoll, um anders lernen zu können als durch eigenes Schaffen. Zeigt daher die Bonner Zeit nur wenig Werke, so springt sogleich bei dem ersten Wiener Aufenthalt ein wahrer Quell von Schöpfungen hervor, so daß andrerseits die Annahme nicht abzuweisen ist, daß manche davon ihre Keime ebenfalls schon in der Zeit des Virtuosenthums von Bonn angesetzt haben. Mit der Aufzählung jener Werke ist das Capitel der Jugendzeit des Meisters zu beschließen.

Als sicher in die Bonner Zeit gehörig sind außer den genannten ersten Versuchen, denen noch ein Clavierconcert von 1784 und drei Clavierquartette von 1785, die später zu den Sonaten Op. 2 benutzt wurden, zuzufügen sind, zu nennen: ein Ritterballet vom Graf Waldstein (1791), ein Claviertrio in Es, die acht Lieder Op. 52 (erschienen 1805), zwei Arien, von denen die eine als Goethes »Mailied« in diesem Op. 52 steht, ein Theil der Bagatellen Op. 33 (erschienen 1803), die zwei Präludien Op. 39, ein Menuet (erschienen 1803), die Variationen Vieni amore (1790), eine Trauercantate auf Joseph II. (1790) und eine auf Leopold II. (1792), welche letztere wol Haydn vorgelegt und von ihm »besonders beachtet« ward (beide verloren), ein Allegro und Menuet für 2 Flöten, ein Rondino für Blasinstrumente und das Streichtrio Op. 3 (erschienen 1796).

Dazu kommt aber aller Wahrscheinlichkeit nach manches, was bei dem ersten Aufenthalte in Wien völlig ausgearbeitet und noch später veröffentlicht wurde: das Octett Op. 103, nach dem vor 1797 schon das Quintett Op. 4 gemacht wurde, die Serenade Op. 8, nach der das Notturno Op. 42 gemacht ward, die Variationen Op. 66 über »Ein Mädchen oder Weibchen« aus der Zauberflöte (erschienen 1798), die Variationen über God save the king, die Violinromanze Op. 50, beide erschienen 1805, wo die Brüder Beethovens heimlich manches herausgaben, die Variationen über Se vuol ballare aus Mozarts Figaro, »Es war einmal« aus Dittersdorfs Rothem Käppchen, »Seht er kommt« aus dem Messias und ein Thema vom Grafen Waldstein (erschienen 1793–97), die »leichte Sonate« in Cdur, Lorchen von Breuning gewidmet, (erschienen 1830), das Präludium in Fmoll (erschienen 1805) und das Sextett für Bläser Op. 71 (ersch. 1810).

Mozart hatte bis zu seinem 23. Jahre schon über 300 Werke zu verzeichnen, darunter die poetischen Jugendsonaten. Wie wenig Sonnenschein und Muße muß ein Dasein gehabt haben, das bei so außerordentlichem Geistesreichthum und solchem Thatendrang so wenig Früchte gezeitigt! Und selbst wenn wir auch die Keime der drei Trios Op. 1 noch in die Zeit dieses ersten großen Empfindens von Welt und Geschichte bei der Sturmbewegung der Neunziger Jahre verlegen und uns die beiden Clavierconcerte Op. 19 und Op. 15 aus jenen wunderbaren Phantasien »heraufbeschworen« denken, mit denen er schon in Bonn die Herzen zu entzücken und die Geister zu bannen wußte, wie wenig bleibt es immer noch! – Es gibt keinen schlagenderen Beweis für die Wahrheit von Beethovens eigener Behauptung in jenem ersten Briefe: »Das Schicksal hier in Bonn ist mir nicht günstig«, als diese Thatsache. Beethovens Jugend war abgesehen von seiner künstlerischen Ausbildung eine wenig glückliche, nur selten dauernd vom Schimmer der Freude bestrahlt.

 


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