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3. Cmollsymphonie, Pastorale und Siebente.

(1806–1812)

Das Heiligenstädter Testament vom Jahre 1802 schloß mit dem schmerzlichen Anruf: »O Vorsehung, laß einmal einen reinen Tag der Freude mir erscheinen. So lange schon ist der wahren Freude inniger Widerhall mir fremd. O wann, o wann o Gottheit kann ich im Tempel der Natur und der Menschen ihn wieder fühlen. Nie? Nein – o es wäre zu hart.« Damit war des Künstlers Seele eine Richtung gegeben, die weit über das ihn umspielende Leben hinaus in ein höheres Dasein wies, dem er nun ebenfalls bald Denkmale zu setzen beginnen sollte. Ja die Pastorale, die diesen »Tempel der Natur« feiert, war ursprünglich als Nr. 5 bezeichnet, sollte also der Cmollsymphonie in der Ausarbeitung voraufgehen. Es mußte jedoch wie es scheint auch dieses Schicksalspochen erst innerlich überwunden sein, ehe die Ruhe gewonnen ward, um den »Frieden Gottes in der Natur« völlig zu erfassen und künstlerisch darzustellen.

Freilich Breuning schreibt am 2. Juni dieses Jahres 1806, die Kabale mit dem Fidelio sei für Beethoven um so unangenehmer gewesen, als er durch die Nichtaufführung in seinen ökonomischen Verhältnissen ziemlich zurückgeworfen sei und sich um so langsamer erholen werde, als er einen großen Theil seiner Lust und Liebe zur Arbeit durch die erlittene Behandlung verloren habe. Allein das erste der Quartette Op. 59 hat die Notiz »angefangen am 26. Mai 1806«, und die Vierte Symphonie (Op. 60) wie das Violinconcert (Op. 61) gehören ebenfalls diesem Jahre an. Ja derweilen waren die schon früher begonnenen Op. 56, das Tripleconcert, Op. 57, die Appassionata genannt, und Op. 58, das vierte Concert, auch theils weiter geführt theils gänzlich fertig geworden. Welcher Reichthum, der Zahl, dem Umfange und dem Inhalte nach! Die drei Quartette sind dem Grafen Rasumowsky gewidmet, der sie bestellt und die russischen Melodien dazu gegeben hatte. Wie weist das Adagio des zweiten auf jene höhere Region, in der jetzt Beethoven immer mehr heimisch werden sollte. Es sei ihm eingefallen, als er einmal nachts lange den gestirnten Himmel betrachtet und an die Harmonie der Sphären gedacht habe, erzählte er selbst Czerny, und der Wandel der Sterne spiegelt sich in der beseligten Ruhe dieser still dahinziehenden Töne herrlich wieder. Aller Schmerz scheint gelindert, alle Leidenschaft gestillt. Wie hatte sie aber auch noch in der »Appassionata« getobt, deren Skizzen unter denen des Fidelio stehen. Das ist wie mit Blut geschrieben und schreit auf in schmerzlichster Erregung. Sie war im Sommer fertig und ist dem Grafen Franz Brunswick gewidmet. Von seiner Schwester, der Gräfin Therese, befand sich in Beethovens Nachlaß ein Oelbild mit der Aufschrift: »Dem seltenen Genie, dem großen Künstler, dem guten Menschen von T. B.« Es wird vermuthet, daß an sie jener Brief an die »unsterbliche Geliebte« gerichtet ist, der auch in bloßen Worten Beethovens Seelenzustand von damals wie seinen »riesenhaften Ideenschwung« malt. Er fand sich nach seinem Tode mit andern wichtigen Papieren in einem alten Schranke und ist aus einem ungarischen Badeort vom 6. Juli datirt. Man setzt ihn mit Grund in dieses Jahr 1806, wo Beethoven auch auf einem Besuche bei Brunswicks war. Doch wie dem auch sei, er bezeichnet eine äußerste Steigerung des persönlichen Gefühles und weist von selbst in die erhabene Region hinüber, wo alles irdische Wünschen schweigt. Er dient uns also zu einer Ueberleitung in das weitere Schaffen Beethovens, das von jetzt an eine Idealität anzunehmen beginnt, wie sie in solch wahrhaft überirdischem Glanze selten gesehen worden ist. Man findet ihn nach dem Original abgedruckt in den »Briefen Beethovens« (Stuttgart 1865). Hier genügen die Hauptstücke desselben.

»Mein Engel, mein alles, mein Ich,« beginnt er am 6. Juli morgens. »Nur einige Worte heute und zwar mit Bleistift (mit deinem) – erst bis morgen ist meine Wohnung sicher bestimmt, welcher nichtswürdige Zeitverderb in dergleichen! Warum dieser tiefe Gram, wo die Nothwendigkeit spricht! Kann unsere Liebe anders bestehen als durch Aufopferungen, durch nicht alles verlangen? Kannst du es ändern, daß du nicht ganz mein, ich nicht ganz dein bin? Ach Gott, blick in die schöne Natur und beruhige dein Gemüth über das Müssende. Die Liebe fordert alles und ganz mit Recht, so ist es mir mit dir, dir mit mir. Nur vergißt du so leicht, daß ich für mich und für dich leben muß. Wären wir ganz vereinigt, du würdest dieses Schmerzliche ebensowenig wie ich empfinden. ... Wir werden uns wohl bald sehen. ... Auch heute kann ich dir meine Bemerkungen nicht mittheilen, welche ich während dieser wenigen Tage über mein Leben machte. Wären unsere Herzen immer dicht aneinander, ich machte wohl keine dergleichen. Die Brust ist voll dir viel zu sagen. Ach es gibt Momente, wo ich finde, daß die Sprache noch gar nichts ist. Erheitere dich, bleibe mein treuer einziger Schatz, mein Alles wie ich dir, das Uebrige müssen die Götter schicken, was für uns sein muß und sein soll. Dein treuer Ludwig.«

Aber auf demselben feinen Blättchen geht es weiter, denn die Post ist bereits fort: »Du leidest, du mein theuerstes Wesen. Ach wo ich bin, bist auch du mit mir. Mit mir und mit dir werde ich machen, daß ich mit dir leben kann. Welches Leben!!! so!!! ohne dich. Verfolgt von der Güte der Menschen hier und da, die ich meine ebensowenig verdienen zu wollen als sie wirklich zu verdienen. Demuth des Menschen gegen den Menschen, sie schmerzt mich, und wenn ich mich im Zusammenhang des Universums betrachte, was bin ich und was ist der den man den Größten nennt? Und doch ist wieder hierin das Göttliche im Menschen ... Wie du mich auch liebst, stärker liebe ich dich doch, doch nie verberge dich vor mir. Gute Nacht. Als Badender muß ich schlafen gehn. Ach Gott, so nah! so weit! Ist es nicht ein wahres Himmelsgebäude unsere Liebe? Aber auch so fest wie die Veste des Himmels.«

Und noch einmal wird das Blatt ergriffen: »Guten Morgen am 7. Juli. Schon im Bette drängen sich die Ideen zu dir, meine unsterbliche Geliebte, hier und da freudig, dann wieder traurig, vom Schicksal abwartend ob es uns erhört. Leben kann ich entweder nur ganz mit dir oder gar nicht. Ja ich habe beschlossen in der Ferne so lange herumzuirren, bis ich in deine Arme fliegen kann und mich ganz heimatlich bei dir nennen kann, meine Seele von dir umgeben ins Reich der Geister schicken kann. Ja leider muß es sein, du wirst dich fassen, umsomehr, da du meine Treue gegen dich kennst. Nie eine andere kann mein Herz besitzen, nie – nie. O Gott, warum sich entfernen müssen, was man so liebt. Und doch ist mein Leben in Wien so wie jetzt ein kümmerliches Leben. Deine Liebe macht mich zum Glücklichsten und Unglücklichsten zugleich. In meinen Jahren jetzt bedürfte ich einiger Einförmigkeit, Gleichheit des Lebens, kann diese bei unserem Verhältnisse bestehen? Sei ruhig, nur durch ruhiges Beschauen unseres Daseins können wir unseren Zweck zusammen zu leben erreichen. Sei ruhig, liebe mich, heute – gestern – welche Sehnsucht mit Thränen nach dir – dir – dir mein Leben, mein alles. Leb wohl, o liebe mich fort, verkenne nie das treueste Herz deines geliebten L. Ewig dein, ewig mein, ewig uns.«

Klingt hier nicht der völlige Beethoven wieder? Er hatte in diesem Sommer eben bei Brunswicks die Appassionata beendet, die er selbst für seine größte Sonate hielt. Ist ihre Sprache irgend größer als die dieses Briefes? Seine Gemüthsstimmung erschien damals »meistens sehr melancholisch«. Um so mehr aber war die Kunst sein Trost, und gerade ihm mußte sie ein völliges Heiligthum sein, das er nicht gern dem fremden Auge öffnete, am wenigsten dem feindlichen. Dies erfuhr in diesem Herbst auf eine sehr deutliche Weise der Fürst Lichnowsky, zu dem er von Ungarn aus auf einige Zeit nach Schlesien gereist war, als derselbe ihn nöthigen wollte, den bei ihm einquartierten französischen Offizieren vorzuspielen. Es gab eine heftige Scene, nach welcher Beethoven sofort das Schloß verließ und selbst dem nachreisenden Fürsten nicht wieder zurückfolgte, sondern direct mit Extrapost nach Wien fuhr, wo dann obendrein noch des Fürsten Büste als Sühnopfer in Trümmer fiel. Es währte jedoch nur eine kurze Weile, bis die alte Freundschaft hergestellt wurde.

In den Quartettskizzen dieses Jahres stehen die Worte: »Ebenso wie du dich hier in den Strudel der Gesellschaft stürzest, ebenso möglich ist es, Opern trotz allen gesellschaftlichen Hindernissen zu schreiben. Kein Geheimniß sei dein Nichthören mehr, auch bei der Kunst.« Der »Strudel der Gesellschaft« bringt uns einige neue Namen. Jener Graf Rasumowsky hatte als russischer Gesandter vor allen die glänzendsten Soireen, in ihnen trug auch seines Bibliothekars reizende und liebenswürdige Frau, Marie Bigot besonders schön Beethovensche Werke vor. Ebenso schön spielte die hübsche feine Gräfin Marie Erdödy, von Beethoven selbst »sein Beichtvater« genannt. Ein anderes sehr musikalisches Haus war das der Frau Dorothea von Ertmann, einer höchst anmuthigen Frankfurterin, und das der Familie Malfatti, deren Verwandter, Dr. Malfatti, Beethovens Arzt ward. Auch bei Streicher, der jene Nanette Stein, Tochter des Augsburger Clavierbauers, geheirathet hatte, welche Mozarts Brief von 1777 so drollig schildert, waren musikalische Gesellschaften, und gedenken wir noch des Fürsten Lobkowitz, so müssen wir uns fortan dort auch den jüngsten Bruder des Kaisers, den Erzherzog Rudolph mitwirkend vorstellen, Beethovens hohen Schüler, der auch wirklich nach seinem eigenen Zeugniß »Musik verstand«.

Allein der Hauptwerth jener Notiz liegt darin, daß wir erfahren, wie Beethoven trotz der Erlebnisse mit dem Fidelio jetzt vor allem an »Opern« denkt. Denn allerdings, wenn dies einschlug, dann war auch äußerlich »sein Glück gemacht« und nichts hinderte ferner, seinen Liebesbund durch die Ehe zu krönen. Dazu winkte jetzt in der That gute Hoffnung. Denn mit dem neuen Jahre 1807 gingen die beiden Hoftheater an eine Gesellschaft von Cavalieren über, an deren Spitze Lobkowitz stand, und dieser forderte denn auch Beethoven sofort selbst auf, sich sozusagen als Hoftheatralcomponist zu melden. Dies geschieht alsbald und Beethoven macht sich dabei »anheischig und verbindlich« jährlich wenigstens eine große Oper und eine Operette, sowie jede weitere erforderliche Musik zu liefern. Das Gefühl wahrhaft unerschöpflicher Schaffenskraft muß ihn damals, wo obendrein die innigste Liebe seine Geister beflügelte, zu dem kühnsten Selbstvertrauen emporgehoben haben, und eine donnergleich einschlagende Bethätigung desselben ist die Ouvertüre, die er eben damals zu Collins Coriolan schrieb. Allein die Herren gingen nicht auf seinen Wunsch ein, sie mochten ihm als Instrumentalcomponisten in diesem Punkte nicht trauen, und so wurde Beethoven, obwohl er darob dem »fürstlichen Theatergesindel« wenig grün ward, ihm und uns zum Glück eben »seiner Weise« erhalten.

»Wenn gediegene Kraft und die Fülle tiefer Empfindung den Deutschen charakterisiren, so darf man Beethoven vorzugsweise einen deutschen Künstler nennen. In diesem seinem neuesten Werke bewundert man die ausdrucksvolle Tiefe seiner Kunst, die das wild bewegte Gemüth Coriolans und den plötzlich schrecklichen Wechsel seines Schicksals auf das herrlichste darstellte und die erhabenste Rührung hervorbrachte«, so sagt der Bericht über ein Concert, das Lichnowsky in diesem Frühjahr 1807 im Augarten gab. In eben dieser Zeit aber wissen wir Beethoven auf das bestimmteste mit der Cmollsymphonie und der Pastorale beschäftigt. Er hatte vor allem durch Clementi, der ein großes Musikgeschäft in London besaß, und durch den alten Freund Simrock in Bonn, das ja damals französisch war, materiell mehr Freiheit der Bewegung erhalten, – »sodaß ich dadurch hoffen kann, die Würde eines wahren Künstlers noch in früheren Jahren zu erhalten «, schreibt er am 11. Mai 1807 an Brunswick. Und wenn wir die weitere Stelle dieses in den »Neuen Briefen Beethovens« (Stuttgart 1867) mitgetheilten Schreibens lesen: »Küsse deine Schwester Therese, sage ihr, daß ich fürchte, ich werde, ohne daß ein Denkmal von ihr dazu beiträgt, groß werden müssen«, so verstehen wir, wie sich hier Liebe, Ruhm und hohe Anschauung zu einem völlig neuen und gewaltigen künstlerischen Schaffen einten.

Das Nächste was fertig ward, war die CMesse Op. 86, auf Bestellung Esterhazys geschrieben. Allein hier hat Beethoven noch ungleich weniger als in der Oper das eigentliche Entscheidende der Sache getroffen, und wie geistreich und schönklingend, eine religiöse Composition ist uns dies nicht. Doch berührt es nicht diesen Punkt, wenn Beethoven selbst damals an Esterhazy schreibt: »Darf ich noch sagen, daß ich Ihnen mit viel Furcht die Messe übergeben werde, da Sie gewohnt sind, die unnachahmlichen Werke des großen Haydn sich vortragen zu lassen«. Denn Haydn hat ebensowenig den wirklichen Kirchenstyl. Einer Aufführung der Schöpfung des 76jährigen Greises im nächsten Jahre wohnte jedoch auch Beethoven bei und empfing mit hohen Personen des Adels den ehrwürdigen Gast an der Thüre. Er, den er hier so ehren half, mochte ihm ein Zeichen des eigenen Ruhmes sein, dessen Glanz er mit dem Hervortreten der neuen großen Werke sicher voraussehen durfte. Bei der Aufführung der Messe im September 1807 in Eisenstadt geschah durch Mißverständniß ein persönliches Zerfallen des Componisten mit Mozarts Schüler Hummel, das erst nach einigen Jahren wieder ausgeglichen wurde. Der Fürst hatte die Messe mit der sonderbaren Frage kritisirt: »Aber lieber Beethoven, was haben Sie denn da wieder gemacht!« und Hummel eben über solch sonderbare Art der Kritik gelacht, was Beethoven jedoch auf sich und sein Werk bezog. Von dem Fürsten wollte er seitdem erst recht nichts wissen.

Anders stand es mit dem ebenso großmüthig noblen wie kunstsinnigen Fürsten Lobkowitz und ihm, als einem der ersten böhmischen Granden und großen Theaterliebhaber mochte es zu danken sein, daß man zunächst in Prag den Fidelio zu geben gedachte. Dazu schrieb denn Beethoven in diesem Jahre 1807 die Ouverture Op. 138, die also nicht die zweite, sondern die dritte Leonorenouverture ist. Die Aufführung des Fidelio dort kam jedoch wie in Wien erst 1814 zu Stande. Vom nächsten Sommer 1808 kommt die Nachricht in die Oeffentlichkeit: »Der geniale Beethoven hat die Idee, Goethes Faust zu componiren, sobald er jemand gefunden hat, der ihn für das Theater bearbeitet.« Zur Herbstmesse 1807 war der erste Theil des Faust zuerst als »Tragödie« erschienen: wir werden sehen, daß ihn das Gedicht sehr tief getroffen hatte, denn noch spät und gar auf dem letzten Krankenbette beschäftigt ihn diese Idee. Faustmusik hatte er jedoch damals schon selbst geschrieben, die Cmollsymphonie, und mit ihr als einem Grundpfeiler von Beethovens Schaffen und der modernen Tonkunst überhaupt haben wir uns also jetzt zunächst kurz zu beschäftigen.

»Kraft ist die Moral der Menschen, die sich vor andern auszeichnen,« hörten wir ihn selbst sagen. Und so zeichnet ihn auch der Eine mit »personifizirte Kraft«, der Andere sagt: »Ein Jupiter sah zuweilen aus diesem Kopfe heraus«, der Dritte: »Besonders war die herrliche Stirn ein wahrer Sitz majestätischer Schöpferkraft.« Aufgestachelt durch den Widerstand des »Schicksals« d. h. einer gegebenen Naturbeschränkung, trat nun hier diese Kraft als solche in ihrer ganzen Geschlossenheit und Erhabenheit hervor. Man hat die Kraft, die das All erschaffen hat und erhält, »Wille« genannt und die Musik selbst eine unmittelbare Erscheinung desselben, während die anderen Künste nur die Bilder dieses Lebenswillens, die Dinge der Welt wiedergeben. Nun, in diesem ersten Satz der Cmollsymphonie ist diese Kraft als persönlicher Wille in einer Steigerung vorhanden, die kaum irgendwo in der Kunst ihres Gleichen hat. Sie erscheint in ihrer vollsten Bethätigung, in ihrem ganzen Adel, und Jupiter-Symphonie sollte dieses Werk heißen, denn sie ist ein Zeuskopf, wie nur je ein Phidias einen ersonnen. Und wenn man die Melodie als die »Geschichte des von der Besonnenheit beleuchteten Willens« charakterisirt, so ist eben die Sonatenform der Symphonie als solche eine einzige solche große Melodie. Namentlich diese »Fünfte« Beethovens erzählt uns die geheimste Geschichte jenes persönlichen Willens, malt all sein Streben und seine Bewegung. Kein Vorbild irgend welcher Kunst konnte R. Wagner einen Siegfried zeigen: hier spielt er als Kraft, als Wille wie als besonnenstes Bewußtsein in dem Urtypus des Geistes. »Aber solche Musik darf man doch nicht machen,« hörte nach der Aufführung des Werkes in Paris Hector Berlioz seinen Lehrer Lesueur, obwohl derselbe gleichfalls von dem Werke tief bewegt war, sagen. »Trösten Sie sich,« lautete die Entgegnung, »es wird nicht viel dergleichen gemacht werden.« Wie richtig hat der genialische Franzose gesehen! Siegfrieds Rheinfahrt in der »Götterdämmerung« ist ein Stück »dergleichen«.

Aber auch einzig die Nacht der Leiden gebiert dieses Aufrufen aller Kraft, nur die äußere Steigerung und Spannung hält diese Energie aufrecht. Und wie schon Coriolan zuletzt alle Geschosse, die die Mutter auf ihn gerichtet, zu todesmuthiger Sühne in die eigene Brust drückt, so liegt im tiefsten Hintergrunde auch dieses kühnsten mannhaftesten Lebenswillens das Bewußtsein von dem Schein und Wandel aller Dinge. Beethoven fühlt im tiefsten Innern, daß nur darum das Schicksal »an seine Pforte geklopft«, weil er selbst im unwillkürlichen Drange der Kraft und des Schaffens sich an den heiligen Kreisen der Mutter Natur versündigt hat, ja daß aller »Wille« nur Vergänglichkeit zeugt und Selbsttäuschung ist. So steht denn auch das Adagio in einer schönen Bescheidung und Hingabe an dasjenige da, was über allen persönlichen Willen geht. Und das Bewußtsein dieser höchsten That des Willens, sich selbst dahin zu geben und so seine wahre Freiheit zu bewahren, hat das Jubellied des Finales erzeugt, das ebenfalls nicht mehr Freud und Leid eines einzelnen Herzens angeht, sondern die »Freiheit«, die man bisher gesucht und gepriesen, in das höhere Gebiet des sittlichen Willens erhebt. Durch diesen ihren inneren Gehalt besitzt die Cmollsymphonie denn auch eine weit über ein bloßes »Kunstwerk« hinausgehende Bedeutung und erfüllt neben den Erzeugnissen der religiösen Kunst Zweck und Wesen der Musik als einer Darstellung dessen, was die Welt »im Innersten zusammenhält«.

Und diese Erkenntniß des tieferen Zusammenhanges der Dinge schwebt fortan wie ein versöhnender und verklärender Schein hinter allem Dunkel, das stets mehr des Künstlers eigene Existenz umfängt und gibt ihm stets verklärtere Schöpfungen aus dem eigenen Schöpfungswillen ein.

Da folgt sogleich die Pastorale, mit der Cmollsymphonie zugleich in der Arbeit, nach ihrem Sinn aber die Seelenhingabe an den Frieden der Natur und die Erfüllung jenes Wortes: »Blick in die schöne Natur und beruhige dein Gemüth über das Müssende«. Während die Vierte Symphonie im Vergleich mit jener Fünften doch eben nur – eine Symphonie, wenn auch von Beethoven, bleibt, waltet in dieser Sechsten der poetische Sinn, das reine Gefühl für das hinter allem Leben thätig Webende, und ihre Idee und Stimmung bildet für Beethoven selbst eine Ueberleitung zur vollen Erfassung eines Ewigen, das er hier nur in der Gottheit schönem Kleide erschaut. »Erinnerung an das Landleben« heißt es hier, aber zugleich »mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei«. »Die Beethovens liebten den Rhein«, sagen schon die Jugendgespielen des Knaben Ludwig, und: »die schöne Gegend, in der ich das Licht der Welt erblickte, ist mir noch immer so schön und deutlich vor Augen, als da ich euch verließ«, schreibt er selbst an Wegeler. »Im Wald Entzücken, wer kann Alles ausdrücken«, steht auf einem Blatt von seiner Hand. Aber jetzt, wo er einsam sein Leben zubringen mußte, war ihm die Natur eine liebende Mutter, eine Schwester, ja eine Geliebte, und er blickte nicht bloß wie in lebendige Augen in ihre geheimen Wunder, sondern sie offenbarte ihre Macht als innern Frieden spendend an ihm, der selbst so stürmisch war und den das Leben so mannichfach feindselig behandelte. In der »Scene am Bach« murmelt das Wasser ihm Frieden zu und die Vöglein an dem Heiligenstädter Bächlein, wo diese beiden Symphonien fertig wurden, Freude. Neuen Lebensmuth gibt das »Lustige Zusammensein der Landleute«, und als »Gewitter und Sturm« an die Macht des Ewigen gemahnt, sprechen die Hirten mit »Herr wir danken dir« – denn das Finale sollte ursprünglich wie die schon 1800 geplante, aber ebenfalls erst 1808 vollendete Chorphantasie (Op. 80) Worttext enthalten – ihre »frohen und dankbaren Gefühle« aus. Es war wenn irgend etwas sein stets wiedererfahrenes persönliches Erleben und selbst ein Dankopfer, was er solcher höheren Spende spendete. Tiefere Versenkung in diese heilige Natur führte ihn aber zu noch tieferem Aussprechen der Stimmungen, die sie in unserer Brust entfacht, und das Ganze ihres unsterblich webenden Wechsels mehr und mehr zur Erfassung des Ewigen und wahrhaft Bestehenden selbst.

Wir kommen jetzt zu einer ganzen Reihe neuer schimmernder Blüten seines Geistes, als habe diese innige Berührung mit dem Ewigen der Natur in ihm selbst einen ganzen fruchtzeugenden Frühling geboren.

Ein anmuthiger Verkehr bestand in diesen Jahren vor allem mit der Familie Malfatti und ihren zwei reizenden Töchtern. »Mir ist so wohl bei ihnen allen, es ist als könnten die Wunden, wodurch mir böse Menschen die Seele zerrissen haben, durch sie geheilt werden,« – »ich vermuthe, daß ich dort (im ›Wilden Mann‹ im Prater) keine wilden Männer, sondern schöne Grazien finden werde«, und: »grüße mir alles, was dir und mir lieb ist, wie gern würde ich noch hinzusetzen, und wem wir lieb sind???? wenigstens gebührt mir dieses Fragezeichen«, – solche Aeußerungen in den Zetteln an seinen Freund Gleichenstein, der 1811 die jüngere Tochter Anna heirathete, geben uns seine Empfindung. Er sendet der soeben jungfräulich aufblühenden dunkeläugigen Therese, die wohl »flüchtig ist und alles im Leben leicht behandelt«, aber »für alles Schöne und Gute soviel Gefühl und ein so schönes Talent für Musik« hat, eine Sonate und empfiehlt ihr Goethes Wilhelm Meister und Schlegels Shakespeare. Man erkennt, daß dem Verkehre auch hier der geistige Hintergrund nicht fehlte, dessen ein Beethoven nie entrathen konnte, und fast scheint auf der Bahn »zu neuen Thaten« auch diesem Siegfried mehr und mehr vor der hell aufgehenden Jugend die »unsterbliche Geliebte« verbleichen zu sollen.

Das der Pastorale unmittelbar folgende Op. 69 ist die dem Freunde Gleichenstein gewidmete Cellosonate. Als Op. 70 kommen dann die beiden herrlichen Trios, der Gräfin Erdödy gewidmet, bei der er in dieser Zeit wohnte. Der erste Satz des Ddurtrios ist ein glänzend freies Spiel des Geistes und der Kräfte, das Adagio aber wie Fausts tiefe Versenkung in die Natur und ihre Geheimnisse, – ja von den seltsamen Schauern dieses Satzes hat das Ganze bei den Musikern den Name« »Fledermaustrio«. Als Op. 72 ist die »Leonore« bezeichnet, die im Jahre 1810 herauskam, Op. 73 aber, das schönste aller Concerte, ist dem Erzherzog Rudolph gewidmet. Weiter kommen Op. 74 das Harfenquartett, dem Fürsten Lobkowitz, und die Clavierphantasie Op. 77, dem Freunde Brunswick gewidmet, und endlich die von Beethoven selbst sehr hoch geschätzte Fisdursonate, Op. 78, seiner Schwester Therese gehörend. Wahrlich genug »neue Thaten« und welch glorreiche!

Doch damit sind wir schon im Jahre 1809 und dieses brachte für Beethoven günstige Veränderungen: er erhielt ein ständiges Gehalt. »Meine Umstände bessern sich, ohne Leute dazu nöthig zu haben, die ihre Freunde mit Flegeln traktiren wollen, auch bin ich als Capellmeister zum König von Westphalen berufen worden und es könnte wohl sein, daß ich diesem Rufe folge«, schreibt er am 1. November 1808 an den schlesischen Grafen Oppersdorf, den er im Herbst 1806 mit Lichnowsky zusammen besucht und der bei ihm eine Symphonie bestellt hatte, die er aber nie erhielt. Im folgenden Dezember gab Beethoven zunächst ein großes Concert, in dem er die beiden neuen Symphonien, Stücke der Messe, das Gdurconcert und die Chorphantasie aufführte und selbst phantasirte. Man ward so aufs neue und in weiteren Kreisen auf den großen ernsten Meister aufmerksam, den ein Lüstling wie Jerome Bonaparte nach seinem Capua Cassel ziehen wollte, und begann um seinen Verlust besorgt zu sein. Die Freunde rühren sich, Beethoven selbst nicht weniger, – man erkennt es aus den Briefen an Gleichenstein und die Erdödy, – und unter dem Gesichtspunkte der thätigen »Miturheberschaft jedes neuen größeren Werkes« werden drei »Herren« gewonnen, welche des Künstlers Verbleiben in Wien sichern: es sind – ihr Andenken sei gepriesen – Erzherzog Rudolph und die Fürsten Lobkowitz und Kinsky, – der Gemahlin des Letztern sind die »Sechs Gesänge« Op. 75 mit Goethes Mignon und Neue Liebe neues Leben gewidmet, – und die Summe betrug 4000 Fl. = 8000 Mark. »Du siehst mein lieber guter Gleichenstein aus Beigefügtem, wie ehrenvoll nun mein Hierbleiben für mich geworden,« schreibt er am 18. März 1809 von dem »Decret«, das er am 26. Februar aus den Händen des Erzherzogs empfangen hatte und das ihm keinerlei Verpflichtung auferlegte, als in Wien und Oesterreich zu bleiben. Wenn er aber hinzufügt: »der Titel als Kaiserl. Kapellmeister kommt auch noch nach,« so ist davon gewiß nie ernstlich Rede gewesen, der Hof eines Kaiser Franz konnte einen solchen »Neuerer« nicht brauchen. Die obenerwähnten Widmungen dagegen waren naturgemäße Dankesbezeugungen für solche Thatfreundschaft.

Geplant ward jetzt zunächst eine große Reise, die England und sogar Spanien berühren sollte, und Gleichenstein vernimmt: »Nun kannst du mir helfen eine Frau suchen; wenn du eine schöne findest, die vielleicht meinen Harmonien einen Seufzer schenkt, so knüpf im voraus an. Schön muß sie aber sein, nichts nicht Schönes kann ich nicht lieben – sonst müßte ich mich selbst lieben.« Allein der herannahende Krieg unterbrach jedes äußere Vorhaben, brachte aber auch in die Phantasie des Künstlers jenes farbenreiche Bild der frohen Allregung der Kräfte, das R. Wagner die »Apotheose des Tanzes« genannt hat, die Siebente (Adur-) Symphonie (Op. 92). Es war das erstemal, daß Deutschland das Bild eines eigentlich nationalen Krieges sah: Napoleon erwuchs als der Erbfeind und vom höchsten Adel bis zum Bauern regte sich in Wahrheit das ganze Volk zu einem energischen Befreiungskriege. Und wie der Marsch ja selbst nur ein Kriegstanz ist, so faßte Beethoven dieses fröhlich frische Ziehen der Schaaren, diese Rhythmen des Pferdegetrappels, dieses Fahnenwehen und Trompetenklingen in einem instrumentalen Bilde zusammen, wie die Welt nie etwas Leuchtenderes gesehen. Dem Dichter genügt ein Mühlradstrudel, um den »dampfenden Gischt« der Charybdis zu malen. Für Beethoven war dieses frohe Kriegsspiel wie einst die Gestalt Bonapartes eine Erregung der Phantasie, die dann selbstthätig aus dem nächsten geschichtlichen Anlaß ein allgemeines Bild des freien Spiels der Kräfte und der Allregung des menschlichen Daseins machte. Die Beziehung auf die Zeit und den Nerv seiner Existenz bekundete aber dieses Werk auch noch in seiner späteren Wirkung. Ja es bildete, wie wir bald sehen werden, die entscheidende musikalische Feier, als dann 1813 auch die eigentlichen Befreiungskriege erfolgten und zum glänzendsten Siege führten. Denn wie er persönlich sich dem mächtigen Eroberer an Naturkraft gewachsen fühlte, hatte er auch gleich Schiller die Regung des Genius der Nation, die denselben niederwarf, sicher vorausgesehen. Diesem zweiten Gesicht des Propheten, der in jedem echten Dichter lebt, diesem zweifellos gewissen Herzgefühle des schließlichen Triumphes verdankte der Künstler es, daß er in den Tagen der grenzenlosesten Schmach und Niederhaltung doch die Erhebung der Geister und den jubelnden Sieg zu singen vermochte. Napoleon warf diesmal noch die Oesterreicher. Aber wie er selbst bei Aspern und Wagram zuerst die Wucht und Standhaftigkeit deutscher Art gefühlt, so schilderte, als er nun die Kaisertochter gewonnen hatte und ganz Europa dauernd zu beherrschen schien, Beethoven dennoch in dem Scherzo und Finale dieser 7. Symphonie den ganzen Jubel der siegreichen Nation mit allem Fest- und Volksspiel, womit nur je die wiedererrungene Selbstständigkeit und Freiheit gefeiert worden ist. Wobei man dann in dem immerhin etwas wehmuthvoll ergreifenden zweiten Satz mit seinen eintönigen Schlägen auf der Dominante auch dumpfe Marschrhythmen zu Tod und Begräbniß erkennen mag! Und gerade dieses außerordentlich charakteristische Thema steht in dem Beginn eines Skizzenbuches, das in dieses Jahr 1809 zu setzen ist.

Freilich zunächst ging es in Wien und Oesterreich böse her. Alles war in die enge Stadt gesperrt und mußte zudem harte Lasten tragen. Ward beim Abzuge des geliebten Schülers Erzherzog Rudolph »das Lebewohl« der Sonate Op. 81 a geschrieben, dem auch erst am 30. Januar 1810 das Finale (»die Ankunft«) folgte, so schlummerte den langweilig beengten Sommer über seine Kunst völlig. Er arbeitete nach Ph. E. Bach, Kirnberger, Fux und Albrechtsberger »Materialien zum Generalbaß« für den hohen Schüler aus, die später fälschlich als »Beethovens Studien« herausgegeben worden sind. Am 8. September war noch ein Wohlthätigkeitsconcert, wobei Beethoven – ein Hohn auf die Zeit, da Napoleon soeben erst Schönbrunn verlassen hatte! – selbst die Eroica dirigirte. Den Rest des Sommers aber hoffte er in irgendeinem glücklichen Landwinkel zubringen zu können, und der Aufenthalt bei Brunswicks in Ungarn trieb denn auch wieder Blüten seines Genius hervor, jene Op. 77 und 78. Ja dieser Herbst 1809 scheint sogar das volle Wiedererwachen desselben zu bezeichnen. Denn das Skizzenbuch der Siebenten Symphonie (Op. 92) enthält auch Skizzen der Achten (Op. 93), und Beethoven gedachte um Weihnachten wieder ein Concert zu geben, zu dem natürlich nur neue Werke verwertet werden konnten. Entwürfe zu einem neuen Concert folgen denn auch jenen Skizzen, darauf steht da: »Polonaise für Clavier allein« und dann: »Freude schöner Götterfunken – Ouverture ausarbeiten« und »Abgerissene Sätze wie Fürsten sind Bettler, nicht das Ganze,« – die Wiederaufnahme jener Jugendidee, aber hier in größerem Style, also ein geistiger Keim zum Finale der Neunten Symphonie. Die wirklich aufnotirte Melodie dagegen ist 1814 zu der Ouverture Op. 115 (»zur Namensfeier«) ausgearbeitet worden.

Das Theater hatte in jener Zeit der nationalen Erweckung wieder besonders Schiller gebracht. So mochte auch in Beethoven die frühere Idee wiedererstehen. Er wollte damals auch den Tell mit Musik ausstatten. Für den Egmont aber ward ihm jetzt wirklich solch ein Auftrag gegeben und dabei führen wir ein bemerkenswerthes Wort von ihm an. »Schillers Dichtungen sind für die Musik äußerst schwierig, der Tonsetzer muß sich weit über den Dichter zu erheben wissen. Wer kann das bei Schiller? Da ist Goethe viel leichter,« sagte er einmal zu Czerny, und in der That, diese Egmontouverture überragt an Größe des Athems und an Schwung Goethes schöne Tragödie. Die Composition dieser Musik brachte ihn aber in eine um so vertrautere Bekanntschaft mit dem Dichter, und in dasselbe Jahr 1810 fallen denn auch die unvergleichlichen Lieder »Kennst du das Land« und »Herz mein Herz« in jenem Op. 75.

Mit diesem Jahre 1810 stehen wir zugleich vor einem etwas räthselhaften Puncte in Beethovens Leben, seiner »Heirathspartie«.

Im Frühling schreibt er an Freund Zmeskall: »Erinnern Sie sich nicht der Lage worin ich bin, wie einst Herkules bei der Königin Omphale??? Leben Sie wohl und schreiben ja nicht mehr der große Mann über mich, denn nie habe ich die Macht oder Schwäche der menschlichen Natur so gefühlt als jetzt.« Am 2. Mai aber heißt es gegen Wegeler: »Seit ein paar Jahren hörte ein stilleres ruhigeres Leben bei mir auf und ich ward mit Gewalt in das Weltleben gezogen. Doch ich wäre glücklich, vielleicht einer der glücklichsten Menschen, wenn nicht der Dämon in meinen Ohren seinen Aufenthalt aufgeschlagen hätte. Hätte ich nicht irgendwo gelesen, der Mensch dürfe nicht freiwillig scheiden von seinem Leben, solange er noch eine gute That verrichten könne, längst wär ich nicht mehr – und zwar durch mich selbst. O so schön ist das Leben, aber bei mir ist es für immer vergiftet.« Er bittet um seinen Taufschein und zwar auf eine so dringende Art, daß es auffallend ist. Drei Monate später fand sich denn auch die Auflösung des Räthsels: Breuning schrieb, er glaube, Beethovens Heirathspartie habe sich zerschlagen. Uns aber bleibt das Geheimniß seiner Wahl. Man räth unwillkürlich auf die »unsterbliche Geliebte« und Therese Brunswick. Aber wir wissen nichts. Allerdings hatte er jetzt neben dem Ruhm ein sicheres Brod. Allein sie war gegen 32 Jahre alt und er schwerhörend. Dazu eine Verwandtschaft auf seiner Seite, deren sonderbaren Schimmer wir noch kennen lernen werden! Es müßte von ihrer Seite die Leidenschaft, wenn eine solche bestanden hat, unter den Bann der Klugheit gelegt worden sein, und allerdings ist es bezeichnend, daß fortan ihr Name bei Beethoven nicht mehr genannt wird. Allein ihre noch lebende Nichte, die Stiftsdame Gräfin Marie Brunswick schreibt ausdrücklich: »Niemals habe ich von intimeren Beziehungen noch einer Leidenschaft zwischen ihnen gehört, während die tiefe Liebe zu meines Vaters Cousine Gräfin Guicciardi oftmals besprochen worden war.« Giulietta aber war damals längst Gräfin Gallenberg. Die Lösung dieses Räthsels gehört demnach der Zukunft.

Dagegen besitzen wir ein paar Zettel an Gleichenstein, der im nächsten Frühjahr die jüngere Malfatti heirathete. »Du lebst auf stiller ruhiger See oder schon im sichern Hafen – – des Freundes Noth, der sich im Sturm befindet, fühlst du nicht oder darfst du nicht fühlen. Was wird man im Stern Venus Urania von mir denken, wie wird man mich beurtheilen ohne mich zu sehen? Mein Stolz ist so gebeugt, auch unaufgefordert würde ich mit dir reisen dahin«, lautet der eine. Der andere aber: »Deine Nachricht stürzte mich aus den Regionen des Glückes wieder tief herab. Wozu denn der Zusatz, du wolltest es mir sagen lassen, wenn wieder Musik sei? Bin ich denn gar nichts als dein Musikus oder der Andern? – Ich kann also nur wieder im eigenen Busen einen Anlehnungspunkt suchen, von außen gibt es also gar keinen für mich. Nein, nichts als Wunden hat die Freundschaft und ihr ähnliche Gefühle für mich. So sei es denn. Für dich, armer Beethoven, gibt es kein Glück von außen, du mußt dir alles in dir selbst erschaffen, nur in der idealen Welt findest du Freunde.« In Therese Malfattis Besitz war die Skizze von »Herz mein Herz« und Klärchens Lied »Freudvoll und leidvoll«. In der Zeit der Verlobung Gleichensteins war dem so bitter Getäuschten die sehnende Empfindung übergequollen, – allein konnte das 18jährige Mädchen wagen, was die ernste Gräfin nicht gewagt? – Therese Brunswick starb unvermählt, Therese Malfatti heirathete 1817 einen Herrn von Droßdick. Der Verkehr Beethovens mit der Familie aber blieb bestehen.

Das Nächste, was uns jetzt begegnet, ist die Bekanntschaft mit Bettina Brentano, die zu einer persönlichen Zusammenkunft mit Goethe führte.

Ihr Bruder Franz hatte eine Birkenstock aus Wien zur Frau, in deren Elternhause Beethoven längst wohl bekannt war. Sie selbst war die Braut Achim von Arnims, doch ihre tief musikalische Natur hatte ihr eine wahre Sehnsucht zu Beethoven eingegeben. An einem schönen Maitage ging sie daher einfach mit ihrer verheiratheten Schwester Savigny zu ihm in seine Wohnung und ward auch aufs beste empfangen. Er sang ihr jenes schöne »Kennst du das Land«, zwar scharf und schneidend, aber mit tiefstem Ausdruck. Ihre Augen glänzten. »Aha,« sagte er, »die meisten Menschen sind gerührt über etwas Gutes, das sind aber keine Künstlernaturen, Künstler sind feurig, die weinen nicht.« Dann ging er mit ihr nach Hause zu Brentanos und seitdem waren sie alle Tage beieinander.

Bettina hat damals den Eindruck seiner Erscheinung und seiner Gespräche zusammengefaßt und an Goethe berichtet. Man findet diese so anziehenden und bedeutsamen Schriftstücke in dem Cottaschen Beethovenbuche. Sie zeigen, wie sehr Beethoven den hohen Beruf seiner Kunst und ihre Wurzel im allerschaffenden Geiste faßte. »Er fühlt sich als Begründer einer neuen sinnlichen Basis im geistigen Leben, er erzeugt frei aus sich das Ungeahnte, Unerschaffne, – was sollte diesem auch der Verkehr mit der Welt, der schon vor Sonnenaufgang am heiligen Tagewerk ist und nach Sonnenuntergang kaum um sich sieht, der seines Leibes Nahrung vergißt? – O Goethe, kein Kaiser und kein König hat so das Bewußtsein seiner Macht und daß alle Kraft von ihm ausgehe, wie dieser Beethoven«, schreibt sie. Und Goethe, der »mit Vergnügen das Bild eines wahrhaft genialen Geistes in sich aufnimmt« und wohl weiß, »daß diesem eben sein Genie vorleuchtet und oft wie durch einen Blitz Hellung gibt, wo wir im Dunkel sitzen und kaum ahnen, von welcher Seite der Tag anbrechen werde,« – Goethe lädt ihn nach Karlsbad, wo er doch beinahe jedes Jahr hinkomme.

Die beiden merkwürdigen Schreiben an Bettina (vom 11. August 1810 und 10. Februar 1811), deren Autographe seitdem aufgefunden worden sind, enthüllen das ganz liebeerregte Wesen des Künstlerherzens in dieser Zeit, man findet sie in den »Briefen Beethovens«. Ergänzend für diese Lebensseite des Künstlers und doch weit über all das Leid und die Freude solcher Zustände hinaus ist eine Composition dieser Zeit, das Quartetto serioso Op. 95 vom October 1810. Dumpfe Donner künden das Arbeiten dieses Vulcans an, und doch das Finale, wie weiß dieser Geist stets wieder von sich selbst frei zu werden. Auch das heldisch kraftvoll sich aufschwingende Trio Op. 97 stammt aus dem Frühjahr 1811 und zeigt besonders im Adagio eine ganz wunderbare innere Beseligung. Allein es scheint doch die Fülle bitterer Erlebnisse insofern einigen Einfluß geübt zu haben, als außer diesen Compositionen in jener Zeit wenig entstanden ist. Doch mag andrerseits die Bestellung der beiden Festspiele »Die Ruinen von Athen« und »König Stephan« für das neue deutsche Theater in Pest seine beste Zeit weggenommen haben, und dann waren ja noch die beiden Symphonien auszuarbeiten. Auch fällt das Lied »An die Geliebte« in dieses Jahr 1811 und der Hauptentwurf von Op. 96, der lieblich neckischen Violinsonate, vollendet 1812 bei Anwesenheit des damals berühmten Violinspielers Rode in Wien.

Die Arbeit an den beiden Festspielen füllt den Sommer 1811 aus, ihre Aufführung aber geschah im Frühjahr 1812. Zugleich dachte man wieder an eine Oper für Wien, – es waren die Ruinen von Babylon, – und ferner muß eine Einladung nach Neapel, wo Graf Gallenberg Theaterdirector war, eben damals an ihn ergangen sein. Das Nächste aber war eine Badereise nach Teplitz, wo er mit Varnhagen, Tiedge und Elise von der Recke in ein näheres Verhältniß trat. Bei ihr lebte eine lichtbraune junge Dame aus Berlin, Amalie Sebald, damals 25 Jahre alt, mit einer bezaubernd schönen Stimme und durch geistige und körperliche Vorzüge gleich ausgezeichnet. Zu ihr faßte der so oft getäuschte Meister eine tiefe Zuneigung: ihr Auge zeigt Seelengüte und Verstand zugleich, ihr Mund ist besonders lieblich, – vor mir liegt ihr Bild. »Der Gräfin einen recht zärtlichen und doch ehrfurchtsvollen Händedruck, der Amalie einen recht feurigen Kuß, wenn uns niemand sieht«, schreibt er hinterher an Tiedge. Goethe sah er diesmal nicht. Doch ging er nächstes Jahr abermals hin, und damals geschah nun die vielbesprochene Begegnung mit dem »kostbarsten Kleinod einer Nation«, wie er selbst gegen Bettina einen »großen« Dichter nennt. Wir geben davon die Hauptsache.

Anwesend waren das österreichische Kaiserpaar, ihre Tochter, die Kaiserin von Frankreich, der König von Sachsen, der Herzog von Sachsen-Weimar und zahlreiche andere fürstliche Personen. Zu der früheren Gesellschaft kamen jetzt Goethe, der Jurist Savigny und sein Schwager A. von Arnim nebst seiner reizenden Frau Bettina. »Mit Goethe war ich viel zusammen«, schreibt Beethoven selbst am 12. August 1812 an seinen Erzherzog nach Wien. Und des Dichters Wort gegen Zelter lautet: »Beethoven habe ich in Teplitz kennen gelernt. Sein Talent hat mich in Erstaunen gesetzt. Allein er ist leider eine ganz ungebändigte Persönlichkeit, die zwar nicht Unrecht hat, wenn sie die Welt detestabel findet, aber sie freilich dadurch weder für sich noch für andere genußreicher macht. Sehr zu entschuldigen ist er hingegen und sehr zu bedauern, da ihn sein Gehör verläßt. Er, der ohnehin lakonischer Natur ist, wird es nun doppelt durch diesen Mangel.«

Die merkwürdige Begebenheit, die in dem ebensoviel bestrittenen wie gelesenen 3. Briefe an Bettina steht, dessen Autograph nicht vorhanden scheint, erzählt nun sie selbst in einem Schreiben an Pückler-Muskau. Goethe, der von den anwesenden Fürsten viel Auszeichnung genossen hatte, habe besonders der Kaiserin seine Devotion bezeugen wollen und das »mit feierlich bescheidenen Ausdrücken« auch Beethoven angedeutet. Dieser aber habe entgegnet: »Ei was, so müßt Ihrs nicht machen. Ihr müßt ihnen tüchtig an den Kopf werfen, was sie an Euch haben, sonst werden sie's gar nicht gewahr. Ich habs ihnen anders gemacht.« Und nun erzählte er, wie ihn einmal sein Erzherzog habe warten lassen und er darauf fortgegangen sei: einen Orden könnten sie einem wohl anhängen, einen Hofrath könnten sie wohl machen, aber keinen Goethe, keinen Beethoven, davor müssen sie Respect haben. Indem sei nun der ganze Hofstaat gekommen. Nun sagte Beethoven: »Bleibt nur in meinem Arm hangen, sie müssen uns Platz machen«. Aber Goethe machte sich los und stellte sich mit abgezogenem Hut an die Seite, während Beethoven mit untergeschlagenen Armen mitten durch ging und nur den Hut ein wenig rückte, während diese sich von beiden Seiten theilten um ihm Platz zu machen und ihn alle freundlich grüßten. Jenseits blieb er stehen und wartete auf Goethe, der mit tiefen Verbeugungen sie hatte an sich vorbeigelassen. Nun sagte er: »Auf Euch habe ich gewartet, weil ich Euch ehre und achte, wie Ihr es verdient, aber jenen habt Ihr zuviel Ehre angethan.« Nachher sei dann Beethoven zu ihnen gelaufen und habe ihnen alles erzählt.

Daß diesem Vorgange nicht entfernt Ueberschätzung der eigenen Person, sondern ein tief menschliches Gefühl der Gleichberechtigung zugrundelag, die in der That der Künstler am schwersten erwirbt, bezeugt der ganze Verlauf von Beethovens Leben, bezeugt auch hier der Verkehr aus den letzten Tagen dieses Badeaufenthaltes: er fand Fräulein Sebald wieder. Eine Reihe zartester Billets an sie in den »Neuen Briefen Beethovens« deutet uns das innige Einvernehmen mit der feinsinnigen Norddeutschen an, die zugleich seinem Naturell mit besserem Verständnis, als er bisher erfahren, entgegenkam. »Ich fand nur Eine, die ich wohl nie besitzen werde«, schreibt er 1816. Und aus demselben Jahre stammt sein Geständniß, seit fünf Jahren – also im Jahre 1811! – habe er eine Dame kennen gelernt, mit welcher sich zu verbinden er für das höchste Glück seines Lebens gehalten hätte; es sei nicht daran zu denken, fast Unmöglichkeit, eine Chimäre. »Dennoch ist es jetzt noch wie den ersten Tag, ich habs noch nicht aus dem Gemüth bringen können,« schloß er. Er wußte nicht, daß Amalie Sebald seit October 1815 Frau Justizrath Krause hieß. Er hat diesmal seine Empfindung auch deutlich in Tönen ausgedichtet, in dem Liederkreis »An die ferne Geliebte«, der das Datum »1816 im Monat April« trägt.

Es war das letztemal, daß er ernstlich mit einer »Heirathspartie« umging. Bald sollte ihn das Schicksal zum »Vater« machen, aber ohne Frau. Allein was auch an persönlichem Wünschen und Bedürfen noch durch dieses Künstlerleben hindurchging, fest auf die Sterne gerichtet stand sein Sinn, und in der idealen Welt fand er wirklich seine Freunde: nach der Siebenten Symphonie gewann auch die Achte eben in diesem Herbst 1812 ihre Vollendung. Wenn das neckische Allegretto scherzando der letztern den Keim seiner Entstehung in dem kurz zuvor erfundenen Mälzl'schen Metronom (Chronometer) hat, so mag das ungewöhnliche Menuett mit seinem stolzirenden Schritt auf jene vornehme Hofgesellschaft hinweisen, die Beethoven so sehr an die überwundenen Zeiten des Ancien régime ermahnte, wo das l'état c'est moi auch noch in der Gesellschaft galt. Jedenfalls aber ist es eben der wunderbar frei und groß sich erhebende Geist einer neuen und besseren Zeit, was in diesen Werken sich ankündigte, und gerade die Siebente Symphonie sollte es denn auch sein, die unserem Meister selbst im großen und weiten Sinne die Herzen der Zeit öffnete: sie half den neugewonnenen Frieden mitfeiern, den der Wiener Congreß begründete, und dies leitet in Beethovens Leben ebenfalls auf eine neue Bahn der Entwicklung, die ihn auf die volle Höhe seines Daseins und seines Künstlerthums führte. –

An Werken, die weiter in diese Periode von Beethovens Schaffen fallen, sind zu nennen: 32 Variationen (1806-7); In questa tomba (1807); Sonatine Op. 79 (ersch. 1808); Variationen Op. 76 und Lied aus der Ferne (comp. 1809); die laute Klage (wahrsch. 1809); Sextett Op. 81 b, Andenken, Sehnsucht von Goethe, der Liebende, der Jüngling in der Fremde (ersch. 1810); 3 Gesänge von Goethe Op. 83 (comp. 1810); Schottische Lieder (begonnen 1810); 4 Arietten Op. 82 (ersch. 1811); Trio in einem Satz und drei Equale für 4 Posaunen (comp. 1812), letztere später als Trauergesang bei Beethovens Leichenbegängniß bearbeitet.

 


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