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4. Andeutungen über die Griechen.

196.

Mit einer Veränderung eines Wortes von Baco von Verulam kann man sagen: infimarum Graecorum virtutum apud philologos laus est, mediarum admiratio, supremarum sensus nullus.

197.

Wie man nur ein ganzes Volk verherrlichen und preisen kann! Die Einzelnen sind es, auch bei den Griechen.

198.

Es ist sehr viel Carrikatur, auch bei den Griechen, zum Beispiel die Sorge um's eigne Glück bei den Cynikern.

199.

Mich interessirt allein das Verhältniß des Volkes zur Erziehung des Einzelnen: und da ist allerdings bei den Griechen Einiges sehr günstig für die Entwicklung des Einzelnen, doch nicht aus Güte des Volkes, sondern aus dem Kampf der bösen Triebe.

Man kann durch glückliche Erfindungen das große Individuum noch ganz anders und höher erziehen, als es bis jetzt durch die Zufälle erzogen wurde. Da liegen noch Hoffnungen: Züchtung der bedeutenden Menschen.

200.

Die Griechen sind interessant und ganz toll wichtig, weil sie eine solche Menge von großen Einzelnen haben. Wie war das möglich? Das muß man studiren.

201.

Die griechische Geschichte ist immer bisher optimistisch geschrieben worden.

202.

Ausgewählte Punkte aus dem Alterthum: zum Beispiel die Macht, das Feuer und der Schwung der antiken Musikempfindung (durch die erste pythische Ode), die Reinheit in der historischen Empfindung, die Dankbarkeit für die Segnungen der Kultur, Feuer-Feste, Getreide-Feste. Die Veredelung der Eifersucht, die Griechen das eifersüchtigste Volk. Der Selbstmord, Haß gegen das Alter, gegen die Armuth. Empedokles über die Geschlechtsliebe.

203.

Gesunder gewandter Körper, reiner und tiefer Sinn in der Betrachtung des Allernächsten, freie Männlichkeit, Glauben an gute Rasse und gute Erziehung, kriegerische Tüchtigkeit, Eifersucht im ἀϱιστεύειν, Lust an den Künsten, Ehre der freien Muße, Sinn für freie Individuen, für das Symbolische.

204.

Die geistige Cultur Griechenlands eine Aberration des ungeheuren politischen Triebes nach ἀϱιστεύειν. Die πόλις höchst ablehnend gegen neue Bildung. Trotzdem existirte die Cultur.

205.

Wenn ich sage, die Griechen waren in Summa doch sittlicher als die modernen Menschen: was heißt das? Die ganze Sichtbarkeit der Seele im Handeln zeigt schon, daß sie ohne Scham waren, sie hatten kein schlechtes Gewissen. Sie waren offener, leidenschaftlicher, wie Künstler sind, eine Art von Kinder-Naivetät begleitet sie; so haben sie bei allem Schlimmen einen Zug von Reinheit an sich, etwas dem Heiligen Nahes. Merkwürdig viel Individuum: sollte darin nicht eine höhere Sittlichkeit liegen? Denkt man sich den Charakter langsam entstanden, was ist es doch, was zuletzt so viel Individualität erzeugt? Vielleicht Eitelkeit unter einander, Wetteifer? Möglich. Wenig Lust am Conventionellen.

206.

Die Griechen das Genie unter den Völkern.

Kindes-Natur, leichtgläubig.

Leidenschaftlich. Unbewußt leben sie der Erzeugung des Genius. Feinde der Befangenheit und Dumpfheit. Schmerz. Unverständiges Handeln. Ihre Art von intuitiver Einsicht in das Elend, bei goldenem genial-frohem Temperament. Tiefsinn im Erfassen und Verherrlichen des Nächsten (Feuer, Ackerbau). Lügnerisch, unhistorisch. Die Culturbedeutung der Polis instinktiv erkannt; Centrum und Peripherie für die großen Menschen günstig (die Übersichtlichkeit einer Stadtgemeinde, auch die Möglichkeit, sie als Ganzes anzureden). Das Individuum zur höchsten Kraft durch die Polis gesteigert. Neid, Eifersucht wie bei genialen Leuten.

207.

Es fehlt den Griechen die Nüchternheit. Übergroße Sensibilität, abnorm erhöhtes Nerven- und Cerebralleben, Heftigkeit und Leidenschaftlichkeit des Willens.

208.

»Im Einzelnen stets das Allgemeine zu sehen ist gerade der Grundzug des Genies« Schopenhauer. Man denke an Pindar u. s. w. Die »Besonnenheit«, nach Schopenhauer, hat zunächst ihre Wurzel in der Deutlichkeit, mit welcher die Griechen der Welt und ihrer selbst inne werden und dadurch zur Besinnung darüber kommen.

Das » weite Auseinandertreten des Willens und des Intellekts« bezeichnet die Genies und auch die Griechen.

»Die dem Genie beigegebene Melancholie beruht darauf, daß der Wille zum Leben, von je hellerem Intellekte er sich beleuchtet findet, desto deutlicher das Elend seines Zustandes wahrnimmt.« Schopenhauer. Cf. die Griechen!

209.

Die Mäßigkeit der Griechen in ihrem sinnlichen Aufwand, Essen und Trinken und ihre Lust daran: die olympischen Spiele und ihre Vergötterung – das zeigt was sie waren.

Beim Genie wird »der Intellekt die Fehler zeigen, die bei jedem Werkzeuge, welches zu dem, wozu es nicht gemacht ist, gebraucht wird, nicht auszubleiben pflegen.«

»Es läßt den Willen oft sehr zur Unzeit im Stich: so wird das Genie für das Leben mehr oder weniger unbrauchbar, ja erinnert in seinem Betragen mitunter an den Wahnsinn.«

210.

Wie stechen die Römer durch ihren trockenen Ernst gegen die genialen Griechen ab! Schopenhauer: »der feste praktische Lebensernst, welchen die Römer als gravitas bezeichneten, setzt voraus, daß der Intellekt nicht den Dienst des Willens verlasse, um hinauszuschweifen zu dem, was diesen nicht angeht.«

211.

Es wäre viel glücklicher noch gewesen, daß die Perser, als daß gerade die Römer über die Griechen Herr wurden.

212.

Die Eigenschaften des Genialen ohne Genialität treffen wir bei dem Durchschnittshellenen, im Grunde alle die gefährlichsten Eigenschaften des Gemüths und des Charakters.

213.

Das Genie macht alle Halbbegabten tributpflichtig: so schickten Perser selbst ihre Gesandtschaften an die griechischen Orakel.

214.

Das glücklichste Loos, welches dem Genie werden kann, ist Entbindung vom Thun und Lassen und freie Muße: und so wußten die Griechen zu schätzen. Segen der Arbeit! Nugari nannten die Römer alles Tichten und Trachten der Hellenen.

Es hat keinen glücklichen Lebenslauf, es steht im Widerspruch und Kampf mit seiner Zeit. So die Griechen: sie bemühten sich ungeheuer, instinktiv, sich ein sicheres Gehäuse (in der Polis) zu schaffen. Endlich gieng Alles in der Politik zu Grunde. Sie waren gezwungen nach außen hin Stand zu halten: das wurde immer schwieriger, endlich unmöglich.

215.

Die griechische Cultur ruht auf dem Herrschafts-Verhältniß einer wenig zahlreichen Klasse gegen vier bis neunmal so viel Unfreie. Der Masse nach war Griechenland ein von Barbaren bewohntes Land. Wie kann man die Alten nur human finden! Gegensatz des Genies gegen den Broderwerber, das halbe Zug- und Lastthier. Die Griechen glaubten an eine Verschiedenheit der Rasse. Schopenhauer wundert sich, daß es der Natur nicht beliebt habe, zwei getrennte Species zu erfinden.

Zum Griechen verhält sich der Barbar wie »zum freibeweglichen, ja geflügelten Thiere die an ihren Felsen gekittete Muschel, welche abwarten muß, was der Zufall ihr zuführt«. Schopenhauer'sches Bild.

216.

Die Griechen als das einzig geniale Volk der Weltgeschichte; auch als Lernende sind sie dies, sie verstehn dies am besten und wissen nicht bloß zu schmücken und zu putzen mit dem Entlehnten: wie es die Römer thun.

Die Constitution der Polis ist eine phönizische Erfindung: selbst dies haben die Hellenen nachgemacht. Sie haben lange Zeit wie freudige Dilettanten an Allem herumgelernt; wie auch die Aphrodite phönizisch ist. Sie leugnen auch gar nicht das Eingewanderte und Nicht-Ursprüngliche ab.

217.

Die glücklichste und behaglichste Gestaltung der politisch-socialen Lage ist am wenigsten bei den Griechen zu finden; jenes Ziel schwebt unsern Zukunftsträumern vor. Schrecklich! Denn man muß es nach dem Maaßstabe beurtheilen: je mehr Geist, desto mehr Leid (wie die Griechen beweisen). Also auch: je mehr Dummheit, desto mehr Behagen. Der Bildungsphilister ist das behaglichste Geschöpf, welches je die Sonne gesehn hat, er wird eine gehörige Dummheit haben.

218.

Aus der gegenseitigen Todfeindschaft erwächst die griechische Polis und das ἰὲν ἀϱιστεύειν. Hellenisch und philanthropisch waren Gegensätze, obschon die Alten genug sich geschmeichelt haben.

Homer in der Welt der hellenischen Zwietracht der panhellenische Grieche. Der Wettkampf der Griechen zeigt sich auch im Symposion, in der Form des geistreichen Gesprächs.

219.

»Die frevelhafte gegenseitige Zernichtung unvermeidlich, so lange noch eine einzige πόλις leben wollte, ihr Neid gegen alles Höhere, ihre Habsucht, die Zerrüttung ihrer Sitte, die Sklavenstellung für die Frau, die Gewissenlosigkeit im Eidschwur, in Mord und Todtschlag.«

Ungeheure Kraft der Selbstüberwindung, zum Beispiel im Bürger, in Sokrates, der zu allem Bösen fähig war.

220.

Der herrliche Sinn für Ordnung und Gliederung hat den Staat der Athener unsterblich gemacht. – Die zehn Strategen in Athen! Toll! Gar zur sehr ein Opfer auf dem Altar der Eifersucht.

221.

Die Erholungen der Spartaner bestanden in Festen, Jagden und Krieg: ihr alltägliches Leben war zu hart. Im Ganzen ist ihr Staat doch eine Carrikatur der Polis und ein Verderben von Hellas. Die Erzeugung des vollkommnen Spartaners – aber was ist er Großes, daß seine Erzeugung einen so brutalen Staat brauchte!

222.

Das politische Unterliegen Griechenlands ist der größte Mißerfolg der Cultur: denn es hat die gräßliche Theorie aufgebracht, daß man die Cultur nur pflegen könne, wenn man zugleich bis an die Zähne bewaffnet und mit Fausthandschuhen angethan sei. Das Aufkommen des Christentums war der zweite große Mißerfolg: die rohe Macht dort, der dumpfe Intellekt hier kamen zum Siege über das aristokratische Genie unter den Völkern. Philhellene sein heißt: Feind der rohen Macht und der dumpfen Intellekte sein. Insofern war Sparta das Verderben von Hellas, insofern es Athen zwang, bundesstaatlich zu wirken und sich ganz auf Politik zu werfen.


223.

Es giebt Gebiete, wo die ratio nur Unfug anrichten wird, und der Philolog, der nichts weiter hat, damit verloren ist und nie die Wahrheit sehen kann; zum Beispiel bei Betrachtung der griechischen Mythologie. Natürlich hat ein Phantast auch noch keinen Anspruch: man muß griechische Phantasie und etwas von griechischer Frömmigkeit haben. Selbst der Dichter braucht in sich nicht consequent zu sein, und überhaupt ist Consequenz das Letzte, wozu sich die Griechen verstehen würden.

224.

Fast alle griechischen Gottheiten sind angesammelte; eine Schicht wieder über der andern, bald verwachsen, bald nothdürftig verkittet. Dies wissenschaftlich auseinanderzuklauben scheint mir kaum möglich: denn dafür kann es keine gute Methode geben: der elende Schluß der Analogie ist hier schon ein sehr guter Schluß.

225.

Wie fern muß man den Griechen sein, um ihnen eine solche bornirte Autochthonie zuzutrauen wie Ottfried Müller! Wie christlich, um mit Welcker die Griechen für ursprüngliche Monotheisten zu halten! Wie quälen sich die Philologen mit der Frage, ob Homer geschrieben habe, ohne den viel höheren Satz zu begreifen, daß die griechische Kunst eine lange innere Feindseligkeit gegen Schriftwesen hatte und nicht gelesen werden wollte.

226.

Im religiösen Cultus ist ein frührer Culturgrad festgehalten, es sind »Überlebsel«. Die Zeiten, welche ihn feiern, sind nicht die, welche ihn erfinden. Der Gegensatz ist oft sehr bunt. Der griechische Cultus führt uns in eine vorhomerische Gesinnung und Gesittung zurück, ist fast das Älteste, was wir von den Griechen wissen, älter als die Mythologie, welche die Dichter wesentlich umgebildet haben, so wie wir sie kennen. – Kann man diesen Cult griechisch nennen? Ich zweifle: sie sind Vollender, nicht Erfinder. Sie conserviren durch diese schöne Vollendung.

227.

Es bleibt ein großer Zweifel übrig, ob man aus den Sprachen auf Nationalität und auf Verwandtschaft mit andern Nationen schließen darf; eine siegreiche Sprache ist Nichts als ein häufiges (nicht einmal regelmäßiges) Zeichen einer gelungenen Überwältigung. Wo hätte es je autochthone Völker gegeben! Es ist ein ganz unklarer Begriff, von Griechen zu reden, die noch nicht in Griechenland lebten. Das Eigenthümlich-Griechische ist viel weniger das Resultat der Anlage als der adaptirten Institutionen, und auch der angenommenen Sprache.

228.

Auf Bergen zu wohnen, viel reisen, schnell von der Stelle zu kommen – darin kann man sich jetzt schon den griechischen Göttern gleichsetzen. Wir wissen auch das Vergangene und beinah das Zukünftige. Was ein Grieche sagen würde, wenn er uns sähe!

229.

Die Götter machen den Menschen noch böser; so ist Menschennatur. Wen wir nicht mögen, von dem wünschen wir, daß er schlechter werde, und freuen uns dann. Es gehört dies in die düstere Philosophie des Hasses, die noch nicht geschrieben ist, weil sie überall das pudendum ist, das Jeder fühlt.

230.

Der Panhellene Homer hat seine Lust an der Leichtfertigkeit der Götter; aber erstaunlich ist, wie er ihnen wieder Würde geben kann. Dieses ungeheure Sich-Aufschwingen ist aber griechisch.

231.

Woher stammt nun der Neid der Götter? man glaubt nicht an ein ruhend stilles Glück, sondern nur an ein übermüthiges. Es muß den Griechen schlecht zu Muthe gewesen sein, allzu leicht verwundet war ihre Seele; es verbittert sie, den Glücklichen zu sehen. Das ist griechisch. Wo es ein ausgezeichnetes Talent gab, da mag die Schaar der Eifersüchtigen ungeheuer groß gewesen sein. Traf Jenen ein Unglück, so sagte man »aha! der war auch zu übermüthig«. Und Jeder hätte ebenso sich benommen, wenn er das Talent gehabt hätte, übermüthig; und Jeder hätte gern eben den Gott gespielt, der das Unglück schickt.

232.

Die griechischen Götter verlangten keine Sinnesänderung und waren überhaupt nicht so lästig und zudringlich: da war es auch möglich, sie ernst zu nehmen und zu glauben. Zu Homer's Zeiten war das griechische Wesen übrigens fertig: Leichtfertigkeit der Bilder und der Phantasie ist nöthig, um das übermäßig leidenschaftliche Gemüth etwas zu beschwichtigen und zu befreien.

233.

Jede Religion hat für ihre höchsten Bilder ein Analogon in einem Seelenzustande. Der Gott Mahomet's: die Einsamkeit der Wüste, fernes Gebrüll des Löwen, Vision eines schrecklichen Kämpfers. Der Gott der Christen: Alles was sich Männer und Weiber bei dem Worte »Liebe« denken. Der Gott der Griechen: eine schöne Traumgestalt.

234.

Zu einem griechischen Polytheismus gehört viel Geist; es ist freilich sparsamer mit dem Geist umgegangen, wenn man nur einen Gott hat.

235.

Die griechische Moral beruht nicht auf der Religion, sondern auf der Polis.

Es gab nur Priester einzelner Götter, nicht Vertreter der ganzen Religion: also keinen Stand. Ebenfalls keine heilige Urkunde.

236.

Die »leichtlebenden« Götter: das ist die höchste Verschönerung, die der Welt zu Theil geworden ist; im Gefühl, wie schwer es sich lebt.

237.

Spricht bei ihnen der Verstand, wie herbe und grausam erscheint ihnen das Leben! Sie täuschen sich nicht. Aber sie umspielen das Leben mit Lügen: Simonides räth, das Leben wie ein Spiel zu nehmen: der Ernst war ihnen als Schmerz zu bekannt. Das Elend der Menschen ist den Göttern ein Genuß, wenn ihnen davon gesungen wird. Das wußten die Griechen, daß einzig durch die Kunst selbst das Elend zum Genusse werden kann, vide tragoediam.

238.

Es ist gar nicht wahr, daß die Griechen nur auf dieses Leben ihre Blicke gerichtet hatten. Sie litten auch an der Todes- und Höllenangst. Aber keine Reue und Zerknirschung.

239.

Das leibhafte Erscheinen von Göttern, wie bei Sappho's Anrufung der Aphrodite, ist nicht als poetische Licenz zu verstehen, es sind häufige Halluzinationen. Vieles, wie auch den Wunsch zu sterben, fassen wir zu flach auf, als rhetorisch.

240.

Der »Dulder« ist hellenisch: Prometheus, Herakles.

Der Heroenmythus ist panhellenisch geworden; dazu gehörte freilich ein Dichter.

241.

Wie wirklich die Griechen selbst in reinen Erfindungen waren, wie sie an der Wirklichkeit fortdichteten, nicht sich aus ihr hinaussehnten.


Das Steigern des Gegenwärtigen in's Ungeheure und Ewige z. B. bei Pindar.

242.

Welchen Zustand nehmen nur die Griechen als Vorbild für ihr Leben im Hades? Blutlos, traumhaft, schwach: es ist die nochmalige Steigerung des Greisenalters, wo das Gedächtniß noch mehr schwindet und der Leib auch noch mehr. Das Greisenalter des Greisenalters – so leben wir in den Augen der Hellenen.

243.

Der kindliche Charakter der Griechen von den Ägyptern empfunden.

244.

Das eigentlich wissenschaftliche Volk, das Volk der Litteratur, sind die Ägypter und nicht die Griechen. Was wie Wissenschaft bei den Griechen aussieht, stammt daher und später kehrt es nach Ägypten zurück, um sich mit dem alten Strome wieder zu vereinigen. Alexandrinische Cultur ist eine Verquickung von Hellenisch und Ägyptisch: und wenn die neue Welt an die Cultur der Alexandriner anknüpft, dann hat sie ...

245.

Die Ägypter sind viel mehr ein litterarisches Volk als die Griechen. Dies gegen Wolf. Das erste Korn in Eleusis, die erste Rebe in Theben, der erste Ölbaum, Feigenbaum. Ägypten hatte seinen Mythus wesentlich verloren.


246.

Die unmathematische Schwingung der Säule in Pästum ist ein Analogon zur Modifikation des Tempos: Belebtheit an Stelle eines maschinenhaften Bewegtseins.

247.

Der Wunsch, irgend etwas Sicheres in der Ästhetik zu haben, verführte zur Anbetung des Aristoteles; ich glaube, es läßt sich allmählich beweisen, daß er Nichts von der Kunst versteht, und daß nur die klugen Gespräche der Athener es sind, deren Widerhall wir so bei ihm bewundern.

248.

In Sokrates haben wir einen Vorgang des Bewußtseins gleichsam vor uns offen liegen, aus dem später die Instinkte des theoretischen Menschen entstanden sind: daß Jemand lieber sterben will, als alt und schwach im Geiste werden.

249.

Am Ausgange des Alterthums stehen noch ganz unchristliche Gestalten, die schöner, reiner und harmonischer sind, als alle christlichen; zum Beispiel Proklos. Die Mystik, sein Synkretismus sind Dinge, die ihm gerade das Christenthum nicht vorwerfen darf. Jedenfalls wäre es mein Wunsch, mit Denen zusammenzuleben. Denen gegenüber erscheint das Christentum nur wie die roheste Vergröberung, für den Haufen und die Ruchlosen hergerichtet.


Proklos, der den aufgehenden Mond in feierlicher Weise anbetet.

250.

Mit dem Christenthum erlangte eine Religion das Übergewicht, welche einem vorgriechischen Zustand des Menschen entsprach: Glaube an Zaubervorgänge in Allem und Jedem, blutige Opfer, abergläubische Angst vor dämonischen Strafgerichten, Verzagen an sich selbst, ekstatisches Brüten und Halluziniren, der Mensch sich selber zum Tummelplatz guter und böser Geister und ihrer Kämpfe geworden.



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