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II.
Ein geistlich Brautlied der gläubigen Seelen von JEsu Christo ihrem himmlischen Bräutigam, gestellet über den 43. Psalm des Propheten David.

Dr. Philippus Nicolai.

Wie schön leuchtet der Morgenstern
Voll Gnad und Wahrheit von dem HERRN,
Die süße Wurzel Jesse! Römer 15, 12; 1 Sam. 16, 1; Matth. 1, 6; Luc. 3, 32; Apostgesch. 13, 22.
Du Sohn Davids, aus Jacobs Stamm,
Mein König und mein Bräutigam.
Hast mir mein Herz besessen.
Lieblich.
Freundlich,
Schön und herrlich. Groß und ehrlich, Reich von Gaben,
Hoch und sehr prächtig erhaben!

2.

Ei mein Perle. Du werthe Kron,
Wahr Gottes und Marien Sohn,
Ein Hochgeborner König!
Mein Herz heißt Dich ein lilium (Lilie),
Dein süßes Evangelium
Ist lauter Milch und Honig.
Ei mein
Blümlein,
Hosianna, Himmlisch Manna Das wir essen.
Deiner kann ich nicht vergessen.

3.

Geuß sehr tief in mein Herz hinein.
Du heller Jaspis und Rubin,
Die Flamme Deiner Liebe.
Und erfreu mich, daß ich doch bleib
An Deinem auserwählten Leib
Ein lebendige Rippe.
Nach Dir
Ist mir,
Gratiosa coeli rosa, (süße Himmelsrose) Krank und glimmet
Mein Herz, durch Liebe verwundet.

4.

Von Gott kommt mir ein Freudenschein,
Wenn Du mit Deinen Aeugelein
Mich freundlich thust anblicken.
O HErr JEsu, mein trautes Gut,
Dein Wort, Dein Geist, Dein Leib und Blut
Mich innerlich erquicken.
Nimm mich
Freundlich
In Dein Arme, daß ich warme Werd von Gnaden,
Auf Dein Wort komm ich geladen!

5.

HERR Gott Vater, mein starker Held,
Du hast mich ewig vor der Welt
In Deinem Sohn geliebet.
Dein Sohn hat mich Ihm selbst vertraut.
Er ist mein Schatz, ich bin Sein Braut,
Sehr hoch in Ihm erfreuet.
Eya!
Eya!
Himmlisch Leben Wird Er geben Mir dort oben!
Ewig soll mein Herz Ihn loben.

6.

Zwingt (schlagt) die Saiten in cythara: (auf der Zither)
Und laßt die süße Musica
Ganz freudenreich erschallen!
Daß ich möge mit JEsulein.
Dem wunderschönen Bräutgam mein.
In steter Liebe wallen!
Singet!
Springet!
Jubiliret! Triumphiret! Dankt dem Herren!
Groß ist der König der Ehren.

7.

Wie bin ich doch so herzlich froh.
Daß mein Schatz ist das A und O, Offenb. 1, 8
Der Anfang und das Ende!
Er wird mich doch zu Seinem Preis
Aufnehmen in das Paradeis:
Deß klopf ich in die Hände!
Amen –
Amen –
Komm du schöne Freuden-Krone – Bleib nicht lange!
Deiner wart ich mit Verlangen! –

Diesem Hamburger Liede der Lieder hat des lieben Pastors erster Organist, der berühmte David Scheidemann, die wunderherrliche, männiglich bekannte Weise zugethan. Das heiße ich einen geistlichen Minnesang! einen rechten JEsus-Cult, im Gegensatz einerseits gegen den falschen Mariencult oder Marianismus, wie ihn Stip nennt (in seiner Abhandlung »Liturgische Fragen« in der Zeitschrift für die gesammte luth. Theol. und Kirche von Dr. Rudelbach und Dr. Guericke 1853 Quartal-Heft 3 S. 419), andererseits gegen die dürre puritanische Uncultur. Es ist drum auch kein Wunder, daß gerade dies Lied, in dem die reine Lehre (s. a. eben a. O., auch über die gratiosa coeli rosa) so wohl verwahrt, dem Teufel so sehr ein Dorn im Auge gewesen und daß sich so viel ebionitisches Gebell dawider erhoben hat. Hunderte von Wiedertaufen hats geduldig müssen über sich ergehen lassen, alle Arten von Wasser sind ihm reichlich zugeflossen, Poeten und Prosaiker, feinere und rohere Hände haben daran geputzt und gefeilt. So daß es in der That als »Dom« nur selten noch zu finden ist. Doch ich lasse dies ärgerliche Capitel und erzähle meinen lieben Lesern lieber noch einiges von der älteren Geschichte dieses wunderbar süßen Liedes. Es berichtet aber Wetzel (in seinem oben angeführten Werke), der sel. Nicolai habe sich »über der Verfertigung dieses Liedes dermaaßen vertiefet, daß er keine Arbeit, Essen noch Trinken sich so lieb sein oder daran stören lassen, bis er das Lied zu Ende gebracht, welches Nachmittag um 3 Uhr geschähe, da er dann darüber eine ungemeine Freude soll bezeuget haben, wie H. Dr. Götze in seinem Sendschreiben an Olearium p. 82 und Tenzelius im Monatl. Unterricht a. 1705 p. 36 berichten. Die Anfangsbuchstaben des Liedes machen ein acrostichon aus und präsentiren den Namen: Wilhelm Ernst, Graf Und Herr Zu Waldeck. Daher man meint, daß es der Autor als ein Waldecker diesem Grafen, mit welchem ... die Wildungensche Linie a. 1598 abgestorben, zu Ehren verfertigt habe.« Fürwahr eine dauernde Grabschrift, lieber Leser, vom feinsten Marmor und lautersten Golde! So hat der Hamburger Pfarrherr seines fernen Vaterländchens und seines treuen gräfl. Wohlthäters nicht vergessen. Hat ers doch den Soestern nicht einmal vergessen können, daß sie seine Sachen ein Stück gefahren (s. seine Vorrede z. Freudensp.). Wetzel berichtet weiter: »Der sel. Dr. David Klug, auch letztgewesener Pastor zu St. Katharina in Hamburg, hat phosphorum sacrum oder Predigten über dies Lied ediret, welche Wittenius im diar. biogr. ad a. 1688 p. 148 anführet, und Sommerlattius in disput. de eruditis singulis cujusdam libri amatoribus ed. Lips. 1715 p. 28 meldet von demselben, daß solches Magdalena Sibylla, Churfürst Georg I. Gemahlin, Dr. Christoph Bulaeus und Dr. Henr. Höpfner, der es auch, nach Anzeige des Naumburgischen Gesangbuchs a. 1717 p. 605, bei seiner Leiche singen lassen, ungemein lieb gehabt. Wie denn auch sich mit solchem, besage des Zwickauischen Gesangbuchs a. 1710 p. 557, der sel. Dr. Joh. Gerhard in seinem Tode herzlich getröstet.« Auch der gleichzeitige Joh. Arndt († 11 Mai 1621; Gerhard 17. Aug. (1637) war ein besonderer Verehrer dieses Liedes. Wetzet fährt fort: »Und dies alles daher, weil das Lied kein Wort in sich fasset, das nicht selbst in der Schrift zu finden oder doch seinen Grund darinnen hat, wie Carpzovius in seinen Lieder-Predigten P. II. p. 1458 davon urtheilet. Was sonst Herr Avenarius in seiner Vergnügungs-Lust der Seelen p. 15 wider den Mißbrauch dieses Liedes erinnert, daß nämlich, da es allein von der geistlichen Vermählung einer gläubigen Seele mit Christo handelt, solches bei fleischlichen Hochzeiten so schändlich gemißbrauchet werde und einfältige Leute, ja auch oft welche Dii majorum gentium (Honoratioren) heißen wollen, sich einbilden, es könne die Hochzeit nicht recht vollzogen werden, wenn der Morgenstern, wie sie es nennen, bei ihrer Trauung, oder, wie es in Franken geschiehet, vor der Hochzeiter Thüren nicht gesungen werde; da man doch bei dergl. Fällen vielmehr, nach Dresdenischer Weise: Gott der Vater wohn uns bei etc. oder: Erbarm Dich mein, o HErre Gott etc. anstimmen sollte: – ist löblich und gut. Doch beantwortet auch diesen Einwurf Herr Mag. Joh. Christian Koch, Pastor zu Lentz, der bekannte Autor derer observat. miscell. P. VII. p. 551 nicht uneben, wenn er sagt: Wir bekennen zwar, daß es eine große Sünde sei, wenn Jemand bei Absingung dieses Liedes fleischliche Gedanken haben wollte, glauben auch wohl daß Einige aus Einfalt dergl. hegen mögen: es ist aber kein Zweifel, daß die Alten, wenn sie diesen Gesang bei Trauungen eingeführt, auf die Würde des h. Ehestandes gesehen und also dem h. Apost. Paulo gefolgt, welcher ausdrücklich Ephes. 5, 25 die eheliche Liebe mit der Liebe, welche Christus zu seiner Gemeinde trüget, zusammen hält. Sie haben nämlich die neuen Eheleute erinnern wollen, daß sie, auch bei ihrer ehelichen, dennoch die Liebe, die sie Christo, dem geistlichen Seelen-Bräutigam, schuldig, nicht vergessen, sondern vielmehr dahin denken sollen, wie sie allezeit vor Seinem Angesichte keusch, liebreich und verträglich wandeln sollen: welches, wenn es beobachtet wird, so können wir nicht sehen, warum das Lied bei Copulationen nicht könne angestimmt werden. Man muß die Leute diesfalls nur recht unterrichten. – Mehreres davon besiehe in Olearii Lieder-Schatz P. I. p. 69 ff., Schamelii Naumb. Gesangbuch c. I. und in Götzingers Lehr-Liedern p. 634.« An dem »recht unterrichten« über den Liederschatz unserer Kirche fehlt es freilich noch so gar unter uns, in Kirche, Schule und Haus. Wenn das nur einigermaaßen wieder geschieht, wird man sehr wohl auch die »schwierigen« Nicolaischen Lieder zur herzlichen Erbauung können singen lassen, wie die Erfahrung schon mannigfach gezeigt hat. Und braucht sie dann nicht mehr so jämmerlich zu verstümmeln. Man sollte doch nie vergessen, was Luther in der Vorrede zu seinen geistl. Liedern v. J. 1521 sagt: »Kann doch ein Jeder wohl selbst sein eigen Büchlein voll Lieder zusammenbringen und die unsern für sich allein lassen ungemehret bleiben. Denn wir ja auch gern unsere Münze in unserer Würde behalten, niemand unvergönnet, für sich eine bessere zu machenAls Probe von Entwerthung der alten Münze schließlich nur dies. Im hiesigen neuen Sorauer Gesb. das an den meisten Orten hier herum das gute alte verdrängt hat, lautet Nicolais erstes Lied so: Wachet auf! ruft euch die Stimme des Sohns, des Weltversöhners Stimme, wacht Seelen, wacht vom Schlummer auf! Todt seid ihr, todt durch Verbrechen« etc. v. 2 heißt es: »Angstvoll liegen wir und schauen auf unser Elend hin mit Grauen.« etc. Nr. II und III. sind glücklicherweise in dem Buche ohne Berücksichtigung geblieben. Noch ein Pröbchen dieser neueren Poesie: »Wie selig (so beginnt ein Lied) lebt der Mensch, der Dienstbegierde kennet, und, diese Pflicht zu thun, aus Menschenliebe brennet; der wenn ihn auch kein Eid zum Dienst der Welt verbindt, Beruf und Eid und Amt schon in sich selber sindt! Dir, Höchster, ahmt er nach. Dir als Dein Bild zu gleichen. Durch Dienstbeflissenheit sucht er dies zu erreichen etc. Die Welt, denkt er, hat Recht auf meinen Dienst und Kräfte. Ihr nützen ist für mich ein seliges Geschäfte etc. So denkt der Menschenfreund« etc. Und so geht es fort, bis es am Schluß heißt: »Voll Dienstbegierde sei mein Leben hier auf Erden, so nützlich als ich kann, dem Nächsten stets zu sein! Dann geh ich einst zu Gott ins Reich der Liebe ein –« In dem P. Gerhardtschen Liede: Ist Gott für mich, so trete etc. heißt es: »An mir und meinem Leben ist Nichts, was ewig währt.« Doch genug. Der alte Valerius Herberger sagt: »Neues Brot, neue Heringe, neue Semmeln taugen wohl auf unsern Tisch; neue Kalender in die Tasche, wenn das Jahr um ist; neue Hemden und Röcke an den Leib; – aber neue Lehre und neuer Trost taugen nicht in die Kirche.« Uebrigens habe ich auch schon Brautleute getraut, die sich zu meiner herzlichen Freude als erstes Traulied (nach der Trauung wird meist: Ach bleib mit Deiner Gnade etc. gesungen) »den schönen Morgenstern« eigens bestellt hatten.


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