Johann Nepomuk Nestroy
Der Talisman
Johann Nepomuk Nestroy

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Dritter Akt

Die Dekoration wie am Anfange des zweiten Aktes, ein Teil des Gartens mit der Gärtnerwohnung

Erste Szene

Titus (allein, kommt melancholisch hinter dem Flügel des Schlosses hervor)

Titus Das stolze Gebäude meiner Hoffnungen ist assekuranzlos ab'brennt, meine Glücksaktien sind um hundert Prozent g'fall'n, und somit belauft sich mein Aktivstand wieder auf die rundeste aller Summen, nämlich auf Null. Kühn kann ich jetzt ausrufen: Welt, schicke deine Wälder über mich, Wälder, laßt eure Räuber los auf mich, und wer mich um einen Kreuzer ärmer macht, den will ich als ein Wesen höherer Natur verehren! – Halt! Ich hab' ja doch was profitiert bei der G'schicht': einen sehr guten Anzug hat mir das Schicksal gelassen; vielleicht nur als aushienzendes Souvenir an eine g'stolperte und auf d' Nasen g'fallne Karriere. Also doch eine Ausbeute: dieser schwarze Frack –

Zweite Szene

Titus, Georg

Georg (welcher während der letzten Worte rasch hinter dem Schloß hervorgekommen ist, ihm in die Rede fallend) Wird samt Weste und Beinkleid aufs Schloß zurückgeschickt.

Titus O, lieber Abgeordneter, wissen Sie, daß Sie eine höchst unangenehme Sendung –

Georg Nur keine Umständ' g'macht

Titus Gesetzt, lieber Abgeordneter, ich wär' jetzt schon heidipritsch gewesen?

Georg O, unser Wachter holt jeden Vagabunden ein.

Titus Oder gesetzt, lieber Abgeordneter, ich vergesset das Völkerrecht und schlaget Ihnen nieder und laufet davon, was würden –

Georg Zu Hilf', zu Hilf'!

Titus Wegen was schrein S' denn? Ich frag' ja nur, und a Frag' is erlaubt.

Georg (nach der Türe der Gärtnerwohnung rufend) Plutzerkern!

Plutzerkern (von innen) Was gibt's?

Georg (die Tür der Gärtnerwohnung öffnend und hineinsprechend) Der wird da sein Vagabundeng'wand wieder anziehen und die honetten Kleider da lassen.

Plutzerkern (von innen) Schon recht!

Titus (zu Georg) Sie sind ein äußerst schmeichelhafter Mensch.

Georg Keine Komplimente! In einer Viertelstund' müssen die Kleider da und Er muß wenigstens Gott weiß wo sein! Verstanden? (Geht ab hinter dem Schlosse.)

Dritte Szene

Titus (allein)

Titus O ja, ich versteh' alles. Das Unglück hat mich heimgesucht, ich hab' die Visit' im schwarzen Frack empfangen wollen, aber das Unglück sagt: Ich bin ja ein alter Bekannter, ziehen S' ein' schlechten, zerrissenen Rock an, machen S' keine Umständ' wegen mir!

Plutzerkern (von innen) No, wird's werden?

Titus Komm' schon, komm' schon! (Ab in die Gärtnerwohnung.)

Vierte Szene

Spund, Salome (von links auftretend)

Salome Sie hab'n aber g'wiß nix Übles vor mit ihm?

Spund Wann ich schon sag': Nein! Ich tu' ja nur das, was mir der Bräumeister g'sagt hat, denn das ist der einzige Mann, der auf meinen Geist Einfluß hat.

Salome Und was hat denn der g'sagt?

Spund Er hat g'sagt: »Das haben S' davon, weil S' Ihnen von Jugend auf net um ihn umg'schaut haben! Jetzt geht er durch und macht der Familie vielleicht Schand' und Spott in der Welt!« Drum bin ich ihm nach.

Salome Und woll'n ihn etwa gar einsperren lassen?

Spund Ich? Für mein Leben gern! Aber der Bräumeister hat gesagt: »Das wär' auch eine Schmach für die Familie.«

Salome Ah, gengen S', auf'n leiblichen Vettern so bös –

Spund O, es kann einem ein leiblicher Vetter in der Seel' z'wider sein, wenn er rote Haar' hat.

Salome Is denn das ein Verbrechen?

Spund Rote Haar' zeigen immer von ein' fuchsigen Gemüt, von einem hinterlistigen – und dann verschandelt er ja die ganze Freundschaft! Es sein freilich schon alle tot, bis auf mich, aber wie sie waren in unserer Familie, haben wir alle braune Haar' g'habt, lauter dunkle Köpf', kein lichter Kopf zu finden, soweit die Freundschaft reicht, und der Bub' untersteht sich und kommt rotschädlet auf d' Welt.

Salome Deßtwegen soll man aber ein' Verwandten nit darben lassen, wenn man anders selber was hat.

Spund Was ich hab', verdank' ich bloß meinem Verstand.

Salome Und haben Sie wirklich was?

Spund Na, ich hoff'! Meine Eltern haben mir keinen Kreuzer hinterlassen. Ich war bloß auf meinen Verstand beschränkt, das is eine kuriose Beschränkung, das!

Salome Ich glaub's, aber –

Spund Da is nachher eine Godl g'storben und hat mir zehntausend Gulden vermacht. Denk' ich mir, wann jetzt noch a paar sterbeten von der Freundschaft, nachher könnt's es tun. Richtig! Vier Wochen drauf stirbt ein Vetter, vermacht mir dreißigtausend Gulden, den nächsten Sommer steht ein Vetter am kalten Fieber ab, ich erb' zwanzigtausend Gulden. Gleich den Winter drauf schnappt eine Mahm am hitzigen Fieber auf und hinterläßt mir vierzigtausend Gulden; a paar Jahre drauf noch eine Mahm, und dann wieder eine Godl, alles, wie ich mir's denkt hab'! Na, und dann in der Lotterie hab' ich auch achtzehntausend Gulden g'wonnen.

Salome Das auch noch?

Spund Ja, man muß nit glauben, mit 'm Erben allein is es schon abgetan; man muß was andres auch versuchen; kurzum, ich kann sagen: was ich hab', das hab' ich durch meinen Verstand.

Salome Na, so g'scheit wird der Mussi Titus wohl auch sein, daß er Ihnen beerbt, wann S' einmal sterben.

Spund Mir hat einmal ein g'scheiter Mensch g'sagt: ich kann gar nit sterben – warum, hat er nicht g'sagt – das war zwar offenbar nur eine Schmeichelei; aber wenn es einmal der Fall is, so werd' ich schon Leut' nach mein' Gusto finden für mein Vermögen, ich könnt' das nicht brauchen, daß mir a Rotkopfeter die Schand' antut und erweist mir die letzte Ehr'.

Salome Also tun Sie weder jetzt, noch nach Ihrem Tod was für den armen Mussi Titus?

Spund Ich tu' das, was der Bräumeister g'sagt hat. Ich kauf' ihm eine Offizin in der Stadt, das bin ich der verstorbenen Freundschaft schuldig; dann gib ich ihm a paar tausend Gulden, daß er dasteht als ordentlicher Mann; dann sag' ich ihm noch a paar Grobheiten wegen die roten Haar', und dann därf er sich nicht mehr vor mir blicken lassen.

Salome (freudig) Also machen S' ihn doch vermöglich und glücklich?

Spund Ich tu' das, was der Bräumeister g'sagt hat.

Salome (traurig für sich) Ich g'freu mich d'rüber, und wann er nicht mehr arm is, is er ja erst ganz für mich verlor'n. (Seufzend.) Mir hat er ja so nix wollen!

Spund Und als was is er denn im Schloß?

Salome Das weiß ich nit, aber bordiert is er vom Kopf bis zum Fuß voll goldene Borten.

Spund Das is Livree! O Schandfleck meiner Familie! Der Neveu eines Bierversilberers voll goldene Borten! Ich parier', die ganze Freundschaft hat sich um'kehrt im Grab! Skandal ohnegleichen! Führ' Sie mich g'schwind hinauf, ich beutl' ihn heraus aus der Livree – nur g'schwind! Ich hab' keine Ruh', bis die Schmach getilgt is und meine Freundschaft wieder daliegt im Grab, wie es sich g'hört.

Salome Aber lassen S' Ihnen nur sagen –

Spund (äußerst agitiert) Vorwärts, hab' ich g'sagt – Leuchter, voran! (Treibt sie vor sich her hinter den Flügel des Schlosses.)

Fünfte Szene

Flora, dann Plutzerkern

Flora (tritt von links auf) He! Plutzerkern! Plutzerkern!

Plutzerkern (aus der Gärtnerwohnung kommend) Was schaffen S'?

Flora Der Mensch ist doch schon fort, hoffe ich?

Plutzerkern Nein, er is noch nicht fertig.

Flora Er soll sich tummeln!

Plutzerkern (boshaft) Wünschen Sie vielleicht ein Abschiedssouper in zweien, bei dem ich überflüssig bin?

Flora Dummkopf!

Plutzerkern Ich hab' nur glaubt, weil Sie sich z' Mittag so um ihn g'rissen hab'n; jetzt wär' die Gelegenheit günstig, jetzt schnappt ihn Ihnen doch die Kammerfrau nicht mehr weg.

Flora Halt' Er 's Maul und schick' Er ihn fort!

Plutzerkern (in die Gärtnerwohnung rufend) Mach' der Herr einmal, daß er weiterkommt!

Titus (von innen) Gleich!

Sechste Szene

Titus; die Vorigen

Titus (in seinem schlechten Anzug wie zu Anfang des Stückes, aus der Gärtnerwohnung kommend) Bin schon da!

Flora Sehr gefehlt für einen Menschen, der schon fort sein sollt'!

Titus Die Gärtnerin, die auch an meinem Haar ein Haar g'funden hat! Wollen Sie mir vielleicht gütigst was mitgeben auf 'n Weg?

Flora Für die kecke Täuschung, die Er sich gegen mich erlaubt hat, was mitgeben? Ich will lieber nachschaun, ob Er nichts mitgenommen hat. (Gebt, ihn verächtlich messend, in ihre Wohnung ab.)

Titus (entrüstet) Was –!?

Plutzerkern Ja, ja, man kann nicht wissen! (Ihn ebenfalls verächtlich messend.) Haariger Betrüger! (Geht in die Gärtnerwohnung ab.)

Siebente Szene

Titus, dann später Georg

Titus (allein) Impertinentes Volk! – Das is wahr, recht liebreich behandeln ein' d' Leut', wenn ein' der Faden ausgeht. Im Grund hab' ich's verdient, ich hab' mich auch nicht sehr liebreich benommen, wie ich obenauf war – lassen wir das! Es wird Abend, in jeder Hinsicht Abend! Die Sonne meines Glücks und die wirkliche Sonne sind beide untergegangen im Okzident – wohin sich jetzt wenden, daß man ohne Kreuzer Geld ein Nachtquartier find't – das ist die schwierige okzidentalische Frage. – (Das Schloß und die Gärtnerwohnung betrachtend.) Zimmer gäbet's da g'nug, aber ich schein' eine Kost zu sein, die der Magen dieser Zimmer nicht vertragt.

Georg (kommt hinter dem Schlosse hervor und tritt Titus mit einem sehr artigen Kompliment entgegen) Herr von Titus?

Titus (über diese Höflichkeit frappiert) Ich bitt' mir's aus, mich nicht für einen Narren z' halten!

Georg Ich weiß recht gut, für was ich Ihnen zu halten hab' (beiseite) ich darf's aber nit sagen. (Laut.) Sie möchten aufs Schloß kommen.

Titus (erstaunt) Ich?

Georg Zu der Kammerfrau.

Titus Ich? Zu der Madame Constantia?

Georg Dann vielleicht auch zu der gnädigen Frau! Aber nicht gleich, erst in einer halben Stund'! Sie können derweil da im Garten spaziern gehn.

Titus (für sich) Unbegreiflich! Aber ich tu's! (Zu Georg.) Ich werd' warten und dann erscheinen, wie befohlen. Wollten Sie aber nicht die Güte haben, dort – (nach links deutend) sind Gartenleut' – und ihnen sagen, daß ich mit herrschaftlicher Erlaubnis hier promeniere, denn nach dem Sprichwort: »Undank is der Welt Lohn« hab' ich Grund zu vermuten, daß sie zum Dank für das, daß ich s' heut' traktiert hab', jetzt Hinauswerfungsversuche an mir tentiereten.

Georg Ich bitt', Herr von Titus, das werden wir gleich machen. (Geht, sich artig verneigend, ab.)

Achte Szene

Titus (allein)

Titus Ich reim' mir das Ding schon zusamm': Die Gnädige wird in einem Anfall von Gnad' in sich gegangen sein, eingesehen haben, daß sie mich als armen Teufel zu hart behandelt hat, und ruckt jetzt zum Finale mit einer Wegzehrung heraus. Halt! (Von einer Idee ergriffen.) Um diesen Zweck noch sicherer zu erreichen, erweis' ich ihr jetzt eine zarte Aufmerksamkeit – (in die Tasche greifend) ich hab' ja da noch – sie kann die roten Haar' nit leiden – ich hab' da die graue Perücken vom ehemaligen Gartner im Sack – (zieht sie hervor) mit der mach' ich jetzt meine Abschiedsvisite, dann laßt s' g'wiß was springen. Ich probier's jetzt mit der grauen. Schwarze und blonde Haar' changieren sehr bald die Farb', so hat auch für mich bei beiden nur eine kurze Herrlichkeit herausg'schaut! Die grauen Haare ändern sich nicht mehr, vielleicht mach' ich mit die grauen ein dauerhaftes Glück. (Geht links im Vordergrund ab.)


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