Johann Nepomuk Nestroy
Der Talisman
Johann Nepomuk Nestroy

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Sechzehnte Szene

Titus; die Vorigen

Titus (kommt in blonder Perücke aus der Seitentür rechts) Hier bin ich und beuge mich im Staube vor der hohen Gebieterin, der ich in Zukunft dienen soll.

Emma (erstaunt beiseite) Was ist denn das? Das ist ja kein Schwarzkopf?

Frau von Cypressenburg (für sich, aber laut) Recht ein artiger Blondin!

Titus (hat das letzte Wort gehört, für sich) Was? Die sagt Blondin?

Frau von Cypressenburg (zu Titus) Meine Kammerfrau hat Ihm die Stelle eines Jägers gegeben, und ich bin nicht abgeneigt – (zu Emma sich wendend) Emma –! (Spricht im stillen mit Emma fort.)

Titus (für sich) Blondin hat s' g'sagt? – Ich hab' ja doch – (sieht sich verlegen um, so daß sein Blick in einen an der Kulisse rechts hängenden Spiegel fällt, äußerst erstaunt) meiner Seel', ich bin blond! Ich hab' da drin aus lauter Dunkelheit a lichte Perücken erwischt. Wann nur jetzt die Kammerfrau nicht kommt!

Frau von Cypressenburg (im Gespräche mit Emma fortfahrend) Und sage der Constanze –

Titus (erschrocken, für sich) Uijeh, die laßt s' holen!

Frau von Cypressenburg (ihre Worte fortsetzend) Sie soll meinen Anzug zur Abendgesellschaft ordnen.

Titus (aufatmend, für sich) Gott sei Dank, da hat s' a Weil' z' tun.

Emma Sogleich! (Für sich im Abgehen.) Die alberne Constanze hielt mich zum besten! Gibt einen Blondin für einen Schwarzkopf aus! (Zur Mitte ab.)

Siebzehnte Szene

Frau von Cypressenburg, Titus

Titus (für sich) Ich stehe jetzt einer Schriftstellerin gegenüber, da tun's die Alletagsworte nicht, da heißt's jeder Red' ein Feiertagsg'wandel anziehn.

Frau von Cypressenburg Also jetzt zu Ihm, mein Freund!

Titus (sich tief verbeugend) Das ist der Augenblick, den ich im gleichen Grade gewünscht und gefürchtet habe, dem ich sozusagen mit zaghafter Kühnheit, mit mutvollem Zittern entgegengesehen.

Frau von Cypressenburg Er hat keine Ursache, sich zu fürchten, Er hat eine gute Tournüre, eine agreable Fasson, und wenn Er sich gut anläßt – wo hat Er denn früher gedient?

Titus Nirgends. Es ist die erste Blüte meiner Jägerschaft, die ich zu Ihren Füßen niederlege, und die Livree, die ich jetzt bewohne, umschließt eine zwar dienstergebene, aber bis jetzt noch ungediente Individualität.

Frau von Cypressenburg Ist Sein Vater auch Jäger?

Titus Nein, er betreibt ein stilles, abgeschiedenes Geschäft, bei dem die Ruhe das einzige Geschäft ist; er liegt von höherer Macht gefesselt, und doch ist er frei und unabhängig, denn er ist Verweser seiner selbst – er ist tot.

Frau von Cypressenburg (für sich) Wie verschwenderisch er mit zwanzig erhabenen Worten das sagt, was man mit einer Silbe sagen kann! Der Mensch hat offenbare Anlagen zum Literaten. (Laut.) Wer war also Sein Vater?

Titus Er war schülerischer Meister; Bücher, Rechentafel und Patzenferl waren die Elemente seines Daseins.

Frau von Cypressenburg Und welche literarische Bildung hat er Ihm gegeben?

Titus Eine Art Mille-fleurs-Bildung. Ich besitze einen Anflug von Geographie, einen Schimmer von Geschichte, eine Ahndung von Philosophie, einen Schein von Jurisprudenz, einen Anstrich von Chirurgie und einen Vorgeschmack von Medizin.

Frau von Cypressenburg Scharmant! Er hat sehr viel, aber nichts gründlich gelernt! Darin besteht die Genialität.

Titus (für sich) Das is 's erste, was ich hör'! Jetzt kann ich mir's erklären, warum's so viele Genies gibt.

Frau von Cypressenburg Seine blonden Locken schon zeigen ein apollverwandtes Gemüt. War Sein Vater oder Seine Mutter blond?

Titus Keins von alle zwei! Es is ein reiner Zufall, daß ich blond bin.

Frau von Cypressenburg Je mehr ich Ihn betrachte, je länger ich Ihn sprechen höre, desto mehr überzeuge ich mich, daß Er nicht für die Livree paßt. Er kann durchaus mein Domestik nicht sein.

Titus Also verstoßen, zerschmettert, zermalmt?

Frau von Cypressenburg Keineswegs. Ich bin Schriftstellerin und brauche einen Menschen, der mir nicht als gewöhnlicher Kopist, mehr als Konsulent, als Sekretär bei meinem intellektuellen Wirken zur Seite steht, und dazu ernenn' ich Sie.

Titus (freudig überrascht) Mich? – Glauben Euer Gnaden, daß ich imstand' bin, einen intellektuellen Zuseitensteher abzugeben?

Frau von Cypressenburg Zweifelsohne, und es ist mir sehr lieb, daß die Stelle offen ist. Ich habe einen weggeschickt, den man mir rekommandierte, einen Menschen von Gelehrsamkeit und Bildung. Aber er hatte rote Haare, und das ist ein Horreur für mich. Dem hab' ich gleich gesagt: »Nein, nein, mein Freund, 's ist nichts, adieu!« Ich war froh, wie er fort war.

Titus (für sich) Da darf ich mich schön in Obacht nehmen, sonst endet meine Karriere mit einem Flug bei der Tür hinaus.

Frau von Cypressenburg Legen Sie nur die Livree sogleich ab; ich erwarte in einer Stunde Gesellschaft, der ich Sie als meinen neuen Sekretär vorstellen will.

Titus Euer Gnaden, wenn ich auch den Jäger ablege, mein anderer Anzug ist ebenfalls Livree, nämlich Livree der Armut: ein g'flickter Rock mit z'rissene Aufschläg'.

Frau von Cypressenburg Da ist leicht abgeholfen! Gehen Sie da hinein (nach rechts deutend), dann durchs Billardzimmer in das Eckkabinett, da finden Sie die Garderobe meines verewigten Gemahls. Er hatte ganz Ihren Wuchs. Wählen Sie nach Belieben und kommen Sie sogleich wieder hierher.

Titus (für sich) Wieder der Anzug von ein' Seligen. (Sich verbeugend.) Ich eile! (Für sich, im Abgehen.) Ich bring' heut' ein' ganzen seligen Tandelmarkt auf den Leib. (Rechts in die Seitentüre ab.)

Achtzehnte Szene

Frau von Cypressenburg, dann Constantia

Frau von Cypressenburg (allein) Der junge Mann schwindelt auf der Höhe, auf die ich ihn gehoben! Wenn ich ihn durch Vorlesungen meiner Dichtungen in überirdische Regionen führe, wie wird ihm da erst werden!

Constantia (aufgeregt durch die Mitte eintretend) Übel, sehr übel find' ich das angebracht.

Frau von Cypressenburg Was hat Sie denn?

Constantia Ich muß mich über das gnädige Fräulein beklagen. Ich find' es sehr übel angebracht, einen Spaß so weit zu treiben. Sie hat mich ausgezankt, ich hätt' sie wegen den Haaren des Jägers angelogen. Ich glaubte anfangs, sie mache einen Scherz; am Ende aber hat sie mich eine dumme Gans geheißen.

Frau von Cypressenburg Ich werde sie darüber reprimandieren. Übrigens ist der Mensch nicht mehr Jäger. Ich habe ihn zum Sekretär ernannt, und man wird ihm die seinem Posten schuldige Achtung erweisen.

Constantia Sekretär!? Ich bin entzückt darüber, daß er vor Ihnen Gnade gefunden. Die schwarze Sekretärkleidung wird ihm sehr gut lassen zu dem schwarzen Haar.

Frau von Cypressenburg Was spricht Sie da?

Constantia Schwarze Haare, hab' ich gesagt.

Frau von Cypressenburg Mir scheint, Sie ist verrückt! Ich habe noch kein schöneres Goldblond gesehen.

Constantia Euer Gnaden spaßen!

Frau von Cypressenburg Ist mir noch nicht oft eingefallen, mit meinen Untergebenen zu spaßen.

Constantia Aber, Euer Gnaden, ich hab' ja mit eigenen Augen –

Frau von Cypressenburg Meine Augen sind nicht weniger eigen als die Ihrigen.

Constantia (äußerst erstaunt) Und Euer Gnaden nennen das blond?

Frau von Cypressenburg Was sonst?

Constantia Euer Gnaden verzeihen, dazu gehören sich wirklich eigene Augen! Ich nenne das das schwärzeste Schwarz, was existiert.

Frau von Cypressenburg Lächerliche Person, mache Sie Ihre Schwänke jemand anderm vor!

Constantia Nein, das ist, um den Verstand zu verlieren!

Frau von Cypressenburg (nach rechts sehend) Da kommt er – nun? Ist das blond oder nicht?

Neunzehnte Szene

Titus (aus der Seitentür rechts kommend, im schwarzen Frack, kurzen Hosen, seidenen Strümpfen und Schuhen); die Vorigen

Titus Hier bin ich, gnädigste Gebieterin! (Erblickt Constantia und erschrickt, für sich.) O je! Die Constantia!

Constantia (äußerst betroffen) Was is denn das!

Frau von Cypressenburg (zu Constantia) In Zukunft verbiete ich mir derlei –

Constantia Aber, Euer Gnaden, ich hab' ja –

Frau von Cypressenburg Kein Wort mehr!

Titus (zu Frau von Cypressenburg) Die Gnädigste sind aufgeregt! Was ist's denn? –

Frau von Cypressenburg Stellen Sie sich vor, die Närrin da behauptet, Sie hätten schwarze Haare.

Titus Das is schwarze Verleumdung.

Constantia Da möchte man den Verstand verlieren!

Frau von Cypressenburg Daran wäre nichts gelegen, wohl aber, wenn ich die Geduld verlöre! Geh' Sie und ordne Sie meine Toilette!

Constantia Ich kann nur noch einmal versichern –

Frau von Cypressenburg (ärgerlich) Und ich zum letzten Male sagen, daß Sie gehen soll.

Constantia (sich gewaltsam unterdrückend und abgehend) Das übersteigt meine Fassung! (Durch die Mitte ab.)

Zwanzigste Szene

Frau von Cypressenburg, Titus

Frau von Cypressenburg Insolente Person das!

Titus (für sich) Meine Stellung hier im Hause gleicht dem Brett des Schiffbrüchigen: Ich muß die andern hinunterstoßen, oder selbst untergehn. (Laut.) O, gnädige Frau, dieses Frauenzimmer hat noch andere Sachen in sich!

Frau von Cypressenburg War sie etwa unhöflich gegen Sie?

Titus O, das nicht, sie war nur zu höflich! Es sieht kurios aus, daß ich darüber red', aber ich mag das nicht. Diese Person macht immer Augen auf mich, als wenn – und red't immer, als ob – und tut immer, als wie – und – ich mag das nicht.

Frau von Cypressenburg Sie soll fort, heute noch –!

Titus Und dann betragt sich Dero Friseur auch auf eine Weise – er hat ein fermes Liaisonverhältnis mit der Kammerfrau, was doch ganz gegen den Anstand des Hauses –

Frau von Cypressenburg Den dank' ich ab.

Titus Mich verletzt so was gleich, diese Liebhaberei, dieses Scharmieren, ich seh' das nicht gern – (beiseite) ich tu's lieber selber.

Frau von Cypressenburg (beiseite) Welch zartes, nobles Sentiment! (Laut.) Marquis hat mich zum letzten Male frisiert.

Titus Und dann is noch die Gärtnerin – na, da will ich gar nichts sagen.

Frau von Cypressenburg Sprechen Sie, ich will es!

Titus Sie hat mir einen halbeten Heiratsantrag gemacht.

Frau von Cypressenburg Impertinent!

Titus Einen förmlichen halbeten Heiratsantrag!

Frau von Cypressenburg Die muß heute noch aus meinem Hause!

Titus (für sich) Alle kommen s' fort; jetzt kann ich blonder Jüngling bleiben. (Laut.) Mir ist leid, daß ich –

Frau von Cypressenburg Schreiben Sie sogleich an alle drei die Entlassungsbriefe.

Titus Nein, das kann ich nicht. Mein erstes Geschäft als Sekretär darf kein so grausames sein.

Frau von Cypressenburg Nein, ein edles Herz hat der junge Mann!

Einundzwanzigste Szene

Emma (aus der Seitentüre links); die Vorigen

Emma Mama, ich komme, die Constanze zu verklagen, sie hat mich durch ihr Benehmen gezwungen, sie eine dumme Gans zu heißen.

Titus (für sich) Daß doch immer eine der andern was vorzurupfen hat!

Frau von Cypressenburg Du wirst ihr sogleich den Dienst aufkünden, der Constanze mündlich, der Gärtnerin und dem Friseur schriftlich.

Emma Schön, liebe Mama!

Titus (sich erstaunt stellend) Mama?!

Frau von Cypressenburg Ja, dies ist meine Tochter.

Titus Ah! – Nein! – Nein! – Hör'n Sie auf! – Nein, das ist nicht möglich!

Frau von Cypressenburg Warum nicht?

Titus 's geht ja gar nicht hinaus mit die Jahre.

Frau von Cypressenburg (sich sehr geschmeichelt fühlend) Doch, mein Freund!

Titus So eine junge Dame – und diese große Tochter? Nein, das machen Sie wem andern weis! Das ist eine weitschichtige Schwester oder sonst eine himmelweit entfernte Verwandte des Hauses. Wenn ich Euer Gnaden schon eine Tochter zutrauen soll, so kann sie höchstens – das is aber schon das Höchste – so groß sein – (zeigt die Größe eines neugebornen Kindes.)

Frau von Cypressenburg Es ist so, wie ich gesagt. Man hat sich konserviert.

Titus O, ich weiß, was Konservierung macht. Aber so weit geht das Konservatorium nicht.

Frau von Cypressenburg (huldreich lächelnd) Närrischer Mensch – ich muß jetzt zur Toilette eilen, sonst überraschen mich die Gäste! Du, Emma, begleite mich! – (Zu Titus.) Ich sehe Sie bald wieder.

Titus (wie vom Gefühle hingerissen) O, nur bald! (Tut, als ob er über diese Worte vor sich selbst erschrocken wäre, faßt sich, verneigt sich tief und sagt in unterwürfigem Tone.) Nur bald ein Geschäft, wo ich meinen Diensteifer zeigen kann!

Frau von Cypressenburg (im Abgehen) Adieu! (Mit Emma zur Seitentür links ab.)


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