Johann Nepomuk Nestroy
Der böse Geist Lumpazivagabundus
Johann Nepomuk Nestroy

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Dritter Akt

Die Bühne stellt ein nobles Zimmer im Erdgeschoß in Meister Hobelmanns und Meister Leims Hause in Wien vor, mit Mittel- und Seitentüren und zwei praktikablen Fenstern im Hintergrunde, durch welche man auf die Straße sieht.

Erste Szene

Gertraud, Reserl

Gertraud Also heut' ist der g'wisse Jahrestag, wo s' zusammekommen solle, alle drei Brüderln.

Reserl Ich hör' einen Wagen, mir scheint, es kommt schon einer angefahren.

Gertraud Ja, mir scheint auch. (Beide eilen an das Fenster rechts im Hintergrund und schauen rechts in die Szene.)

Reserl Nein, das ist der gnädige Herr, der daneben wohnt im ersten Stock.

Zweite Szene

Die Vorigen; Zwirn (kommt ärmlich und abgerissen, aber wohlgemut zur Mitteltüre herein)

Zwirn Schön guten Abend wünsch' ich. Logiert da nicht der Meister Hobelmann?

Gertraud Ja. Und was will Er?

Zwirn Sagen S' nur, der Zwirn ist da wegen dem Jahrestag.

Beide Wie? Was?

Zwirn Ja, so schaut ein Zwirn aus, dem der Zwirn aus'gangen ist.

Gertraud Sie machen ein' Spaß. – So ein reicher Herr, der so viel g'wonnen hat, in der Maskerade.

Zwirn O, nix Maskerade, das ist mein schönster, mein einziger Anzug, denn ich hab' gar kein' andern.

Reserl Hören S' auf.

Zwirn Auf Ehr', wenn ich auf einen Baum steig', so hab' ich nix zu suchen herunt' auf der Erd'.

Gertraud O, du blau's Herrgottle, das ist kaum zum Glauben.

Zwirn Unter anderm, war noch kein Schuster da?

Knieriem (von außen) Fixstern, Kometen! Wenn ich nicht bald ein' Schnaps krieg', so –

Zwirn Ah, da kommt er schon!

Dritte Szene

Die Vorigen; Knieriem

Knieriem (ebenfalls zur Mitte eintretend, sehr abgeschaben) Ist das die Boutique, wo der Herr Hobelmann logiert?

Zwirn Brüderl, kennst mich nicht?

Knieriem Halloh! Der Zwirn! (Umarmen sich.)

Zwirn (betrachtet ihn von oben bis unten) Armer Mensch, wie siehst du aus!

Knieriem Du hast Ursach', daß dich wunderst, wie ein anderer ausschaut.

Zwirn Kamerad, mir scheint, wir sein alle zwei mit unsern Kapitalien in Ordnung. – Du, mir ist's noch schlecht gangen.

Knieriem Mir ist's auf die Letzt' gar nimmer gangen; denn ich bin g'sessen, zwei Monat' in Arrest.

Zwirn Aber nobel hab' ich das Meinige durchgebracht, das braucht einmal nix!

Knieriem Ich hab' a Reis' am Rhein g'macht – da sind gar kuriose Weinkeller – so oft ich zu viel trunken hab', allemal war meine Brieftaschen weg. Unbegreiflich! Dann hab' ich im Rausch immer Händel ang'fangt, Straf' zahlen müssen, wie ich nix mehr g'habt hab', haben s' mich eingesperrt – mit einem Wort, nichts als unverschuldete Unglücksfälle!

Zwirn Wir sein halt jetzt alle zwei betteltutti.

Knieriem Bei uns heißt's: gleiche Brüder, gleiche Kappen.

Zwirn Aber dabei immer allegro und fidel.

Knieriem Allemal!

Vierte Szene

Die Vorigen; Hobelmann

Hobelmann (ist schon früher aus der Seitentüre rechts getreten) No, brav, da hör' ich ja recht auferbauliche Sachen.

Zwirn (sein Kompliment machend) Hab' ich die Ehr', den Herrn von Hobelmann zu sprechen?

Knieriem Sein Sie der, der seiner Tochter einmal 's Stemmeisen nachg'worfen hat?

Hobelmann Der bin ich. – Ihr habt es aber weit gebracht mit eurem Geld.

Zwirn Grad so weit, als das Geld g'lengt hat.

Hobelmann Ihr habt euer Glück zum Fenster hinausgeworfen.

Zwirn Deswegen wird aber doch der Jahrestag zelebriert.

Knieriem Geben S' nur ein' Schnaps her.

Zwirn Vor allem andern, was macht denn der Bruder Leim?

Hobelmann Da müßt's mich nicht drum fragen.

Knieriem Ist er nicht Ihr Schwiegersohn?

Hobelmann Lassen wir das. Mit einem Wort, er ist nach und nach um alles kommen –

Zwirn Ich kann nicht begreifen, wie der Mensch so liederlich sein kann.

Hobelmann Und wie 's Geld weg war, bis auf zweihundert Taler, da hat er hundert Taler bei mir zurück'lassen, und mit der andern hundert ist er aufs Geratewohl fort in die weite Welt. Heut' hab' ich glaubt, er wird sich wieder einfinden, aber statt seiner ist der Brief da kommen, an euch zwei adressiert.

Zwirn An uns zwei? Ah, da bin ich neugierig. (Nimmt den Brief und öffnet ihn.) Du, Schuster, bist du auch neugierig?

Knieriem Freilich bin ich neugierig.

Zwirn No, da hast, lies!

Knieriem Weißt – ich les' nicht gern.

Zwirn Ich leset wieder für mein Leben gern, aber ich kann nit lesen.

Knieriem Bei mir ist das der nämliche Fall.

Zwirn Mir fallt was ein, ich probier's! (Geht zu Hobelmann.) Herr Hobelmann, Sie scheinen ein vernünftiger Mann zu sein – obwohl der Schein manchmal trügt.

Hobelmann Nein, nein! Diesmal trügt er nicht.

Zwirn Sie werden wissen, ein Unterschied der Stände muß sein. – Sie sind Meister, wir zwei Gesellen – (ihm den offenen Brief reichend) lesen Sie!

Hobelmann Recht gern will ich euch den Gefallen tun. (Liest.) »Liebe Freunde und Brüder! Wie gern wär' ich heute bei euch – aber –«

Zwirn Ehre, dem Ehre gebührt.

Hobelmann No ja, ich les' ja recht gern, ich fühl' mich auch geehrt. (Liest.) »Wie gern wär' ich heute bei euch –«

Zwirn Das werden Sie gar nie erleben, daß ich in Ihrer Gegenwart lesen werd'.

Hobelmann Wann Er's so fortmacht, so wird auch Er nicht erleben, daß ich in Seiner Gegenwart lesen werd'. Also – (liest). »Wie gerne wäre ich heute bei euch, aber –«

Zwirn (murmelt etwas vor sich)

Hobelmann Was murmelt Er denn da?

Zwirn Jetzt, Schuster, sei einmal still.

Knieriem Ich hab' kein Wort g'red't.

Hobelmann Der Schuster red't ja gar nichts.

Zwirn O, Sie kennen ihn nicht so, wie ich ihn kenn'.

Hobelmann Aber er hat ja gar nichts g'red't.

Zwirn Aber er hätt' was reden können. – Das kommt grad so heraus, als wenn Sie unser Narr wären.

Hobelmann Jetzt sei Er einmal still, sonst leg' ich den Brief nieder, nachher kann Er lesen.

Zwirn Nachher kann ich lesen, wenn Sie den Brief niederlegen?

Hobelmann Ich mein', daß Er hernach gar nicht erfahrt, was in dem Brief steht, weil Er selber nicht lesen kann. – Kann Er denn nicht zwei Minuten still sein?

Zwirn O, auch noch länger.

Hobelmann Also schweig' Er! (Liest.) »Wie gern wär' ich heute bei euch, aber –«

Zwirn Herr von Hobelmann, ich werd' Ihnen einen Vorschlag machen. Damit Sie im Lesen nicht mehr können unterbrochen werden, so lesen Sie uns den Brief g'schwind vor, und wir zwei gehen derweil hinaus. (Geht gegen die Türe.)

Hobelmann Aber wie dalket! Wie kann Er denn hör'n, was ich da herin les', wenn Er draußt ist?

Knieriem Dableiben müssen wir.

Zwirn Richtig -das hab' ich nicht überlegt.

Hobelmann Jetzt sei Er einmal ruhig. (Liest.) »Wie gern wär' ich heute bei euch, aber meine traurige Lage macht es unmöglich. Ich bin krank –«

Zwirn Da sollten S' doch mit ein' Doktor reden.

Hobelmann Warum denn?

Zwirn Sie sagen ja, Sie sein krank.

Hobelmann Das schreibt ja der Leim, der ist krank!

Zwirn Ja, von wem ist denn der Brief?

Hobelmann Von Leim.

Knieriem Von Leim.

Zwirn Ah so – von Leim.

Hobelmann (liest weiter) »Ich bin krank und liege in Nürnberg im Spital –«

Zwirn Herr Hobelmann, foppen müssen S' mich nicht! Ich kann auch grob sein. Wie können Sie denn sagen, Sie liegen in Nürnberg im Spital, und stehen da neben meiner?

Hobelmann Aber den Brief schreibt ja der Leim.

Knieriem Der Leim.

Zwirn Ah so – der Leim.

Hobelmann (liest) »Ich habe vor vier Monaten, wie ich von Wien fort bin, Herrn Hobelmann hundert Taler zurücklassen –«

Zwirn Wer?

Hobelmann No, der Leim.

Knieriem Der Leim.

Zwirn Aha, der Leim.

Hobelmann (liest) »Herrn Hobelmann hundert Taler zurücklassen –«

Zwirn Also zweihundert Taler.

Hobelmann Nein, nur einhundert Taler.

Zwirn Verzeihen Sie, Sie haben vorhin gelesen: »Ich habe Herrn Hobelmann hundert Taler zurücklassen« – dann haben Sie wieder g'lesen: »Ich habe Herrn Hobelmann hundert Taler zurücklassen« – sein also zweihundert.

Hobelmann Wie ich das erste Hundert gelesen hab', hat Er mich unterbrochen, dann hab' ich's repetiert, und so ist das zweite Hundert herausgekommen.

Zwirn Das müssen Sie sich abgewöhnen.

Hobelmann So muß Er mich nicht immer unterbrechen. (Liest.) »Herrn Hobelmann hundert Taler zurückgelassen –«

Zwirn Jetzt sein's drei.

Hobelmann (böse) Es gilt nur einhundert Taler, ich halte mich an das, was in dem Brief steht.

Knieriem Nein, nein, es gilt nur hundert Taler.

Zwirn So müssen Sie also nicht mehr herauslesen, als drin steht, Sie stürzen sich sonst in eine Schuldenlast.

Hobelmann Jetzt lass' Er mich einmal zum Schluß kommen. (Liest.) »zurücklassen für den Fall, daß Ihr ebenfalls nichts mehr haben solltet und ein Reisegeld braucht. Ich hoff' Euch daher vor meinem Ende noch zu sehen. – Euer Bruder – Johann Leim.«

Zwirn Herr Hobelmann, jetzt geben S' nur g'schwind die hundert Taler her.

Hobelmann Da könnt's euch einen frohen Tag drum antun.

Zwirn Ja, das wollen wir auch.

Knieriem Aber auf eine andere Art, als der Herr Hobelmann glaubt. Wir bringen dem Leim das Geld ins Spital, und nichts wird davon versoff en.

Zwirn Wir wollen unterwegs Erdäpfel essen, daß uns der Staub bei die Ohren herausfahrt.


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