Johann Nestroy
Höllenangst
Johann Nestroy

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Siebzehnte Szene

Wendelin.

Wendelin. Jetzt bin ich vollendeter Liebesheld, ich habe nicht nur das Anziehende, ich hab' auch das Abstoßende in mir. – Und was sie Aberglauben nennt, das werden wir bald in klarste Überzeugung umwandeln. Es ist dalket, wenn ich noch einen Zweifel hab'; aber ich treib's justament auf 's äußerste: ich mach' noch eine Prob'. Gestern is die Wachmannschaft von Finsterau hier an'kommen; – mitten unter denen will ich in voller Gefangenwärteruniform erscheinen. Packen s' mich als verräterischen Flüchtling und hängen s' mich auf – na, so weiß ich doch, woran ich bin; sind sie aber alle mit Blindheit g'schlagen und lassen s' mich unangefochten herumstolzieren, dann weiß ich, wem ich zugehör' – und die Höllenfahrt is auf ein Haus. – Mich haben meine Kameraden immer ein abergläubisches altes Weib genannt, und wer hat jetzt recht? – Aberglauben is immer noch was Besseres als Unglauben, und ich glaub' einmal an den Aberglauben, und ich halt' große Stuck auf 'n Aberglauben, und mit einem Wort, um den Aberglauben nehm' ich mich an.

Lied
1.
                    D' Leut' woll'n nix mehr glaub'n, und darum
Werfen s' gar so mit 'n Aberglaub'n um,
Jeder Glaub'n, der s' a bißl geniert,
Wird als Aberglaub'n gleich persifliert.
D' Mehrzahl Menschen hat Grund ohne Zweifel,
Wenn's ein' gibt, sich zu fürchten vor 'n Teufel,
Statt sich z' bessern, disputier'n s' lieber keck
Dem Teufel die Ohrwaschel weg.
Ich glaub' fest, daß 's ein' gibt, möcht' drauf schwör'n,
's wär' sonst viel's auf der Welt nicht z' erklär'n,
Denn i sag: Wenn ka Teufel nicht wär',
Wo kommt alles das Teufelszeug her?
    I lass' mir mein' Aberglaub'n
    Durch ka Aufklärung raub'n,
    's is jetzt schön überhaupt,
    Wenn m'r an etwas noch glaubt.
2.
Sagt man zu die Gelehrten, 's geht um,
So lachen s' ein' aus, und warum?
Weil's an eignem Geist ihnen oft fehlt,
Sag'n s' glei, 's gibt gar kein' Geist in der Welt,
Wieviel Körper gehn um in der Stadt,
Wo keiner ein' Geist in sich hat!
Eb'nso kann auch a Geist allein gehn,
Ohne au'm dalketen Leib anz'stehn.
Auch d' Hexen sind stark noch verbreit't,
Obwohl keine mehr au'm Besen umreit't.
Jede ord'ntliche Hex' bei der Zeit
Hat ein' Federhut und a schön's Kleid.
    I lass' mir mein' Aberglaub'n
    Durch ka Aufklärung raub'n,
    's is jetzt schön überhaupt,
    Wenn m'r an etwas noch glaubt.
3.
's gibt auch Ahnungen; alles, was geschicht,
Ahnt mancher Mensch, jed'r aber nicht.
Was d' Frau treibt, weiß oft d' ganze Stadt schon,
Nur der Mann hat keine Ahnung davon.
Auch d' Wahrsagerei is veracht't,
Wird statt unterstützt nur verlacht;
D' Leut' zahl'n lieber für d' Abendblätter ihr Bares,
Das schon zeigt, sie hab'n kein' Sinn für was Wahres.
Auch auf Träum', daß s' ausgehn, glaub' fest,
Unser Freiheitstraum is so a Traum gwest,
Und ich frag', ob's nicht wahr is und g'wiß,
Ob d' Freiheit uns nicht aus'gangen is?
    I lass' mir mein' Aberglaub'n
    Durch ka Aufklärung raub'n,
    's is jetzt schön überhaupt,
    Wenn m'r an etwas noch glaubt.
4.
Um Mitternacht wird's auf d' Kirchhöf' lebendi,
Das glaubt heutzutag nit der zehnti,
Drum hab'n s' jetzt neue Schauder erdacht,
Die jed'n mahnen, es is Mitternacht.
Um die Stund, wo sich öffnet jeds Grab,
Schaffen s' d' Leut' aus d' Wirtshäuser ab.
»Noch a Seitl"!« – doch der Kellner sagt: »Nein!« –
Die größten Freigeister schüchtert das ein.
Manche fühl'n einen Druck 's ganze Jahr
Und glaub'n, 's druckt s' d' Regierung – nicht wahr!
Was d' meisten druckt, weiß ich recht gut,
Beim Tag d' Schulden und 's Nachts dann die Trud.
    I lass' mir mein' Aberglaub'n
    Durch ka Aufklärung raub'n,
    's is jetzt schön überhaupt,
    Wenn m'r an etwas noch glaubt.
5.
Und wenn d' Menschheit betrachten nur wollt',
Was der Teufel auf der Welt alles holt!
Nach dem Mädl ihrer Schönheit ich geize,
's Jahr drauf sein beim Teufel ihre Reize. –
Der Tenor, 's hohe C gelingt ihm –
Er wird heisri, und beim Teufel is d' Stimm'!
D' schönen Aussichten gar! Na, die sind
Oft beim Teuf'l, merkwürdig, wie g'schwind.
Wenn er 's Schlechte nur holet, ging's an,
Doch der Teuf'l is ein heiklicher Mann,
Aus dem, was 'r überlaßt, sieht man's recht,
Wie viel 's gibt, was dem Teufel zu schlecht.
I lass' mir mein' Aberglaub'n
Durch ka Aufklärung raub'n,
's is jetzt schön überhaupt,
Wenn m'r an etwas noch glaubt. (Ab.)

Achtzehnte Szene

Rosalie, dann Johann.

Rosalie (lachend aus der Seitentüre links rückwärts kommend). Hörst du, Wendelin – wo is er denn? Jetzt hab' ich erst den ganzen Überblick über seine Dummheit – nein, wie ich zu so einem Liebhaber komm' –!

Johann (rasch durch die Mitteltüre eintretend). Das heiß' ich atemlos laufen!

Rosalie. Atemlos? Johann, da is was Ungewöhnliches geschehn!

Johann. Ah, unsere reizende Rosalie –

Rosalie (ungeduldig). Alles zu seiner Zeit, jetzt nur –

Johann. Also Scherz beiseite, unser Herr is rasend über die Flucht seiner Nièce.

Rosalie. O weh –! Übrigens bis hierher kann er uns doch nicht verfolgen.

Neunzehnte Szene

Die Vorigen; Thurming, Adele.

Thurming (mit Adelen aus der Seitentüre links rückwärts kommend). Soldaten und Gendarmen umringen das Haus – (Gegen die Mitteltüre.) Heda!

Adele. Ich zittre –

Thurming (Johann erblickend). Wer ist der Mensch

Johann. Ein untertänigster Diener –

Adele. Von Stromberg –

Rosalie. Aber ganz auf unsrer Seiten.

Thurming (zu Johann). Darf ich Ihm trauen?

Johann. Auf Ehre –

Thurming. Der reichlichste Lohn soll dir werden.

Johann. Dann schon gar –

Thurming. Nun sprich!

Johann. Ein mit »E von T« gemerktes vergessenes Sacktuch hat den gegen Emil von Thurming bereits gehegten Verdacht zur Gewißheit erhoben; mein Herr hat dieserwegen beim Staatssekretär um Erlaubnis, eine Haussuchung bei Euer Gnaden vorzunehmen, nachgesucht! –

Thurming (entrüstet). Wie?

Johann. Ich hab' das Gespräch behorcht, wie der Staatssekretär g'sagt hat: »Das würde uns noch zu keinem so auffallenden Schritte berechtigen, aber eine geheime Meldung, die eben dem Minister gemacht wurde, vereinigt sich mit Ihren Wünschen.«

Thurming. Geheime Meldung – (zu Adele) es ist kein Zweifel mehr, Reichthals Zurückkunft ist entdeckt –

Adele. Er ist verloren –!

Thurming. Noch ist Rettung möglich! (In die zweite Seitentür links rufend.) Kommen Sie schnell!

Zwanzigste Szene

Die Vorigen; Reichthal.

Reichthal (aus der Türe tretend). Man sucht mich – ist's nicht so?

Adele. Ach, leider –

Thurming (zu Reichthal). Nur eilig diese Jacke angezogen! (Nimmt Wendelins Jacke, welche er im Anfang des Aktes auf den Stuhl gelegt, und gibt sie Reichthal.) Sie hat mich gerettet, möge sie Ihnen dieselben Dienste tun.

Johann. Es sind aber die Ausgänge besetzt!

Thurming. Dieser hier ist frei. (Zieht einen Schlüssel aus der Tasche und schließt eilig die zweite Seitentüre rechts rückwärts auf.)

Einundzwanzigste Szene

Die Vorigen; Pfrim.

Pfrim (durch die Mitte eintretend). Meuterei –!! Wo is mein Sohn?!

Rosalie. Der muß da sein. (Geht in das Kabinett rechts vorn ab.)

Pfrim (zu Thurming, argwöhnisch). Die halbe Stund' is vorbei – (erblickt Reichthal, der die Jacke angezogen). Ha, das is der Bonjour meines Sohnes –!? Gute Nacht – Hilfe! Meuterei!!

Thurming. Was habt Ihr denn?

Adele (zugleich, Pfrim begütigen wollend). Aber, guter Alter –!

Pfrim (auf Thurming deutend). Der hat meinen Sohn heimlich hinrichten lassen, nix als das Jankerl is mehr übrig von ihm!

Johann (hat an der Mitteltüre gehorcht). Man kommt

Thurming (zu Reichthal). Hier, nehmen Sie diese Börse. Dieser Ausgang führt Sie sicher ins Freie – (Drängt Reichthal durch die Seitentür rechts rückwärts fort.)

Zweiundzwanzigste Szene

Die Vorigen ohne Reichthal.

Rosalie (aus dem Kabinett rechts vorn zurückkommend). Der Wendelin is nicht da – ich begreif' nicht –

Pfrim (jammernd). Jetzt, wo ich erst a Freud' erlebet an dem Sohn, jetzt muß ich ihn verlieren.

Thurming (ärgerlich). Zum letzten Male, schweigt, oder –

Dreiundzwanzigste Szene

Die Vorigen; Kommissär, Wache.

Kommissär (tritt zur Mitte ein, durch die offenbleibende Mitteltür sieht man Wache im Vorsaale, der Sergeant derselben bleibt an der Türe). Herr von Thurming, ich habe Befehl von Seiner Exzellenz dem Herrn Minister, hier strenge Hausdurchsuchung vorzunehmen.

Thurming. Ohne zu erörtern, ob der Minister auf seinem Sterbelager sich wirklich mit Erteilung solcher Befehle befaßt, kann ich mir nur eine Veranlassung denken. (Zeigt dem Kommissär ein Papier.) Aus diesem Trauschein aber mögen Sie entnehmen, daß keine Macht der Erde diese Dame (auf Adele zeigend) aus meinem Hause führen kann. Übrigens –

Kommissär. Das allein ist es eben nicht –

Thurming. Sei es, was immer, ich werde für dieses beleidigende Verfahren Genugtuung zu finden wissen.

Pfrim (zum Kommissär). Lassen Sie sich nicht abschrecken – er hat meinen Sohn gemordet –

Kommissär. Wie das? (Zu Pfrim.) Wie heißt Er?

Pfrim. Ich? Pfrim – und mein Sohn heißt erst recht Pfrim, nämlich Wendelin Pfrim.

Kommissär. Was –? Der in Finsterau Gefangenwärter war?

Pfrim. Ja, ein hoffnungsvoller, ein –

Kommissär (geht zum Sergeanten zurück und spricht ein paar Worte leise mit ihm).

Pfrim (drohend zu Thurming). G'freu'n S' Ihnen, jetzt werd'n Sie's krieg'n!

Adele (zu Pfrim). So laßt Euch nur –

Pfrim (zu Adele). Er hat mich um meinen hoffnungsvollen Sohn gebracht, noch haben wir keinen Reichtum, noch waren wir nicht auf der Pilgerfahrt, und der hat ihn gemordet!

Kommissär (ist wieder nach vorne gekommen und sagt zur Wache, welche ebenfalls vorgetreten, auf Pfrim zeigend). Nehmt den Mann hier fest!

Pfrim. Was wär' das!? Ha, gräßlich –! Mein Sohn heimlich hingerichtet, ich öffentlich arretiert –! Das is noch nicht dagewesen!

(Im Orchester fällt Musik ein, Pfrim wird von der Mannschaft in die Mitte genommen, der Kommissär macht eine entschuldigende Bewegung gegen Thurming, daß er nun die Durchsuchung vornehmen müsse, Thurming weist ihm höflich die Eingänge zu beiden Seiten. Während dieses zugleich mit der Arretierung des widerspenstig sich wehrenden Pfrim vorgeht, fällt der Vorhang.)


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