Johann Nestroy
Höllenangst
Johann Nestroy

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Verwandlung

Ärmliche Stube. In der Mitte der Rückwand ist das Fenster praktikabel; vor dem Fenster steht ein Tisch. Vom Fenster links im Prospekte ist die Eingangstüre. Eine Seitentüre führt rechts in eine Kammer.

Sechste Szene

Pfrim, dann Eva.

Pfrim (allein, erscheint durch die Hintergrundtüre in der Stube). Jetzt wär' ich bald ein'duselt auf der Stiegen – ja, da nutzt nix, wenn der Schlaf kommt, das is Natur, da muß man nicht ankämpfen dagegen. Und was is denn das? Mein Weib noch nicht bei der Arbeit, wenn ich nach Haus komm'?

Eva (mit Licht aus der Seitenkammer tretend). Na, bist einmal da?

Pfrim. Is das ein' Ordnung? Da können wir freilich auf kein' grünen Zweig kommen, wenn du um die Zeit noch schlafst.

Eva. Schieb nicht die Schuld auf mich, du trinkst z' viel.

Pfrim. Das tu' ich, um ein höh'res Wesen nicht zu disgustieren. Hast du nie gehört, daß Kinder und Betrunkene einen eigenen Schutzeng'l haben? Kind bin ich schon lang' keins mehr, also muß ich trinken, um mir meinen Schutzengel nicht zu verscherzen.

Eva. Hör' auf! Immer nach Haus kommen, wenn's schon bald Tag wird!

Pfrim. So war's von jeher bei mir, und alte Gebräuche muß man ehren. Ich versprich dir keine Besserung; zu was? Du weißt ohnedem, daß alles Lug und Trug is auf der Welt. (Geht in die Kammertüre ab.)

Eva. Mit dem Mann hab' ich a wahres Kreuz. (Folgt ihm.)

Siebente Szene

Wendelin (tritt während des Vorspiels zum folgenden Liede ein. Er ist ärmlich gekleidet).

Wendelin.

Lied
1.
                      Die Welt zu regier'n, is was Leichtes, auf Ehr',
Gut wär's, wenn 's Regier'n auf der Welt so leicht wär',
Der Himmel beherrscht ganz kommod die Natur,
Sie macht keine Forderung, er g'steht ihr nix zua.
Der Himm'l hat keine Kammern, nur eine Hofstell',
Seine Hofrät' sind Engeln, sein Spielberg is d' Höll';
Zu Olims Zeit hat's Umwälzung geb'n, jetzt geht's wie g'schmiert,
Seit sechstausend Jahr'n is d' ganze G'schicht' oktroyiert.
Die Natur b'steht zwar aus drei verschiedene Reich',
Doch wie leicht die z' regieren sind, das sieht man ja gleich.
's Mineralreich laßt alls mit sich machen und bleibt stumm,
's Pflanzenreich vegetiert nur, und d' Viecher sind dumm.
Doch das möcht' ich sehn, wenn d' Vernunft tät' erwachen
In diese drei Reich', was der Himmel tät' machen,
Wenn s' so kämen zum Himm'l, ihre Rechte begehr'n,
Meiner Seel', 's müßt' dem Himmel höllenangst dabei wer'n,
Meiner Seel', 's müßt' dem Himmel höllenangst dabei wer'n.
2.
Wenn s' auf einmal sich z'samm'rotten täten, d' Metalle,
Und sag'n: »Gleichberechtigung wollen wir alle«,
's Kupfer jammert: »Die Papiersechs'rln bringen mich ins Grab,
Grosch'n und Kreuz'r reißt sich jeder von d' Guld'nzetteln ab.«
Und dem Gold erzeigt d' Menschheit fast göttliche Ehr',
D' meisten Leut' geb'n ihr' Seel' drum als Agio her.
Auch die Achtung vor'n Silber tut sich täglich vermehr'n,
Seit d' Zwanziger unter d' Sagen der Vorzeit gehör'n.
Wenn die Weinstöck' klag'n kämen, was der Saft ihrer Reb'n
Von d' Weinwirt' muß für a Behandlung erleb'n!
»Ich nähre die Menschheit«, könnt' sagen das Getreid',
»Und wie dreschen s' mich flegelhaft z'samm', diese Leut'!«
Während d' Blumen glaub'n, das is Beschäftigung g'nug,
Wenn s' zu nix auf der Welt sind als bloß zum Geruch.
Wenn s' so alle sich täten beim Himmel beschwer'n,
Meiner Seel', 's müßt' dem Himmel höllenangst dabei wer'n,
Meiner Seel', 's müßt' dem Himmel höllenangst dabei wer'n.
3.
Wenn auf einmal das Tierreich so kummet zu gehn
Und tät auf seine ang'bor'nen Viehrechte b'stehn,
Wenn das Lamm fangt zu klag'n an: »Der Tiger und ich,
Wir sind jedes ein Vieh, warum frißt er denn mich?«
»Ein' Fiaker g'hör' ich, komm' fast gar in kein' Stall,
Und mein Bruder, das Roß, paradiert 's Jahr zweimal.«
Der Ochs sagt: »Sechs Tag' in der Woch'n nähr' ich d' Leut',
W'rum die Karpf' nur am Freitag? So ein Backfisch wär' g'scheit.«
»Wir Muli hab'n gar a Existenz, a infami,
Last trag'n, solang wir leb'n, nach 'n Tod werd'n wir Salami.«
Die Gans sagt: »Ich soll abg'stochen wer'n, ich arm's Viech,
Wie viele leb'n prächti, und sind 's selbe wie ich.«
's derfen nur zehn g'scheite Viehrassen mach'n so aber G'schra,
Die Eseln, die sag'n dann von selber: »I-a«,
Und als Sturmpetition käm' zum Himm'l ihr Begehr'n,
Meiner Seel', 's müßt' dem Himmel höllenangst dabei wer'n,
Meiner Seel', 's müßt' dem Himmel höllenangst dabei wer'n.

So verfolgt mich mein Schicksal, daß ich nur in der Nacht ausgeh', den ganzen Tag versteck' ich mich z' Haus, nicht vorm Schicksal, das find't ein' zu jeder Stund'. Aber der weltliche Arm soll mich nicht ergreifen; von ihm Versorgung anzunehmen, da schau' ich doch noch lieber, daß ich mir manchmal bei der Nacht a paar Groschen verdien'. Beim Tag schlaf' ich nacher, daß mir der Hunger vergeht, so leb' ich recht billig. Mein' arme Mutter wart't g'wiß schon auf mich. Ich sollt' eigentlich bös sein auf sie, weil sie mich geboren hat; mein Gott, sie hat's gut g'meint; daß 's schlecht ausg'fallen is, das g'hört auf a ander's Blatt. Ich hätt' sollen gar nie in d' Wirklichkeit kommen; solang ich noch ein Traum meines Vaters, eine Idee meiner Mutter war, da kann ich recht eine charmante Idee gewesen sein; aber so viele herrliche Ideen haben das, wenn s' ins Leben treten, wachsen sie sich miserabel aus.

Achte Szene

Der Vorige; Eva.

Eva (tritt aus der Kammertüre). Mein Mann schlaft, wenn nur das arme Bübel schon z' Haus wär', 's kommt a Wetter, ich g'spür's in die Glieder, und mein Sohnerl noch auf der Gassen.

Wendelin. Nein, z' Haus is er und wünscht seiner Frau Mutter ein' guten Morgen.

Eva. Mein Sohnerl –!

Wendelin. Aber d' Frau Mutter hätt' nicht so zeitlich aufstehn soll'n, wir hab'n nichts zu verwerfen, und a Stund' Elend mehr verschlafen, is ja ein offenbarer Profit, den der Arme nicht so in Wind schlagen soll.

Eva. Hast was verdient heut' nacht, daß ich dir a Fruhstuck machen kann?

Wendelin. Nix, gar nix!

Eva. Das is ja schrecklich, ich hab' jetzt ka Fruhstuck für dich.

Wendelin. Das wär 's Geringste, ich wollt' lieber, daß ich für d' Frau Mutter a Mittagmahl hätt'.

Eva. Ja, hast denn gar ka Arbeit kriegt?

Wendelin. Keine. Der Gasbeleuchter, für den ich immer auslöschen geh', der hat sich mit sein' Weib zerkriegt, der is froh, wenn er ausgehn kann bei der Nacht, und der alte Kapitalist, den ich immer um zwei Uhr hamg'führt und auf d' Stieg'n hinauf'tragen hab' mitsamt sein' Rausch, der hat a jung's Madl g'heirat't und geht immer schon um achte nach Haus. Mit ein' Wort: Die Geschäfte stocken.

Eva. Wenn ich den Gnadengehalt von der verstorbenen Baronin noch hätt', aber auch den hat ihr abscheulicher Schwager g'strichen.

Wendelin. Oh, der treibt die Unglücklichmacherei schon ins Große, und so ein Mensch schwimmt in Millionen. Meiner Seel', ich halt' schon auf die andre Welt auch nix mehr.

Eva. Frevel nit, Sohnerl, die andre Welt is ja die bess're Welt.

Wendelin. Mein Gott, sie kann zehnmal besser sein, und 's is erst noch nicht viel dran.

Eva. Schau, Buberl, du kannst niemandem die Schuld geben als dir selbst. Daß du den Platz in der Fabrik auf'geben hast, um in ein' Staatsgefängnis G'fangenwarterg'hilf' zu werd'n, das war kein guter Gedanken.

Wendelin. Glaubt die Frau Mutter?

Eva. Daß du von dem neuen Posten – mußt nit harb sein, Sohnerl – als wie ein Vagabund davon'gangen bist, das war noch ein schlechterer.

Wendelin. Wenn d' Frau Mutter wüßt'! (Sich selbst zum Stillschweigen mahnend.) Aber nein – auch a Frau Mutter braucht nit alles z' wissen.

Eva. Glaubst du, daß ich noch a Aufklärung brauch'? Du bist in meiner jungen Baroneß ihre Kammerjungfer verliebt, in die spröde Mamsell Rosalie. In ihrer Näh' war dir 's Herz zu schwer, drum bist fort; in der Entfernung war dir 's Herz noch schwerer, drum bist wieder da.

Wendelin. Frau Mutter, ich red' nit gern, drum lass' ich d' Frau Mutter reden; wenn aber d' Frau Mutter so red't, nacher – ich bin verliebt, wahnsinnig verliebt, ja, aber daß ich à conto meiner Lieb' Ihnen noch mehr Kummer machet, als S' ohnedem schon haben – das G'schäft existiert nicht.

Eva. Ja, aber so sag' nur –

Wendelin. Ja, jetzt muß ich freilich allerhand sagen, also hör' mich d' Frau Mutter an! Ich bin darum ein G'fangenwarterg'hilf' worden, weil unser Wohltäter, der brave, edle Baron Reichthal, ein Gefangener war und vergebens auf Hilf' g'wart't hat; und nur deßtwegen bin ich jetzt ein scheinbar verbrecherisch Durchgegangener, weil unser Wohltäter durch meine Hilf' ein glücklich Durchgekommener is.

Eva. Is's möglich! Das hast du getan –?! O du mein Kind, mein Wendelin, mein Engelsbuberl! Also er is frei, der Baron? – Frei –?

Wendelin. Frei, wie der Vogel in der Luft; ich hör', er is vogelfrei.

Eva. Und das sagst du mir jetzt erst?

Wendelin. Seine letzten Worte, eh' ich ihn über die Mauer hinunter'lassen hab', waren: »Ich fliehe nach England, doch schweig gegen jedermann.« Jetzt, wenn ich schon keinem Mann was sagen soll, so wird er g'wiß nicht woll'n, daß ich's einer alten Frau erzähl'.

Eva. Hör' auf und schau her, was deine Verschwiegenheit für a Unheil hätt' anrichten können; ich hab' da so wichtige Schriften für ihn. (Öffnet einen Schrank.)

Wendelin. Von wem?

Eva. Von der verstorbenen Baronin, mit ihrer letzten Kraft hat sie s' g'schrieben, an dem fürchterlichen Tag –

Wendelin. Was nutzt das?!

Eva. Sie hat mit Bestimmtheit drauf g'hofft, daß ihr Bruder frei werden muß, und dann hätt' ich ihm s' übergeben sollen; jetzt is er frei, jetzt müssen s' ihm nachg'schickt werden, an der Stell'! (Hat ein versiegeltes Paket aus dem Schrank genommen.)

Wendelin. Ich wüßt' keine andre Adreß drauf z' schreiben, als: an einen unter falschem Namen in England Verborgenen, abzugeben in Großbritannien, wahrscheinlich in ein' klein' Haus – und da parier' ich, der englische Brieftrager find't ihn nicht. Aber wie kommt denn die Frau Mutter dazu –?


 << zurück weiter >>