Johann Nestroy
Höllenangst
Johann Nestroy

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Zweiter Akt

Eleganter Salon in Thurmings Hause. Mitteltüre. Nahe am Prospekt eine Seitentür links, eine rechts. Im Vordergrunde links der Eingang in ein Kabinett, nur mit einem Vorhang statt der Türe versehen, im Vordergrunde rechts ebenso. Im Prospekte links ein Fenster, durch welches man annimmt, nach der Straße zu sehen. Es ist Morgen.

Erste Szene

Thurming (tritt durch die Seitentüre rechts ein und verschließt sie sorgfältig hinter sich).

Thurming. Es ist geglückt, unerkannt bin ich wieder in meinem Hause. Eigentlich dank' ich's diesem Schlüssel, der den geheimen Eingang öffnet (indem er die Jacke, welche er von Wendelin eingetauscht, über eine Stuhllehne hängt), sonst würde mir selbst die Verkleidung in dieser Jacke wenig genützt haben. – Wie unheildrohend war diese Nacht! Die Ehre meiner Adele, wie die meine, stand auf dem Spiel. – Ein Oberrichter spaziert nächtlicherweile auf den Dächern herum –! Wenn ich entdeckt worden wäre –!? Sie hätten mich zum Oberrichter geführt – in mein Haus wäre ich jedenfalls zurückgekommen – (lachend) man hätte mich vor meinen eigenen Richterstuhl geschleppt! (Er hat währenddem einen eleganten Schlafrock aus dem mit dem Vorhang versehenen Eingang links vorne genommen und angezogen, greift dann nach der Klingel auf dem nebenstehenden Tische und läutet.) Von meinen Dienern darf außer Ignaz niemand ahnen, daß ich die Nacht außer dem Hause zugebracht.

Zweite Szene

Der Vorige; Gottfried.

Gottfried (tritt durch die Mitte ein).

Thurming. Ist schon jemand im Vorzimmer?

Gottfried. Ein armer alter Mann hat den Brief gebracht und bittet inständigst um die Gnad', vorgelassen zu werden.

Thurming. Gib! (Den Brief nehmend und die Aufschrift besehend.) Die Schrift ist mir bekannt. (Liest.) »Ein Unglücklicher, von mächtigen, hochgestellten Feinden bedroht, befindet sich in diesem Augenblick hier, wo er ohne Obdach umherirrt. Ohne Zweifel wird er bald erkannt und verhaftet werden – (Für sich.) Allerdings zu befürchten. (Liest weiter.) »Er hat sich daher entschlossen, freiwillig vor dem Oberrichter zu erscheinen, indem er in dem Ritter von Thurming nicht ein blindes Werkzeug der Rache des Ministers zu finden hofft. Ein weißes Tuch in einem der Fenster Ihres Salons wird dem unglücklichen Verbannten den Augenblick andeuten, wann er erscheinen darf.« (Für sich.) Keine Unterschrift – (Zu Gottfried.) Wartet der alte Mann auf Antwort?

Gottfried. Ja, Euer Gnaden!

Thurming. Laß ihn herein! (Nachdem der Bediente abgegangen, für sich.) Wo ich nur diese Schriftzüge schon gesehen –

Dritte Szene

Pfrim, Thurming.

Pfrim (tritt mit schüchterner, tiefer Verbeugung durch die Mitte ein).

Thurming. Nur näher, guter Alter, fürchtet Euch nicht.

Pfrim. Es ist weniger Furcht als nur das ängstliche Zittern, Herzklopfen und Atemverlegen, was man gewöhnlich bei Audienzen zu empfinden pflegt – (Tief seufzend.) O du mein Gott!

Thurming. Ihr seufzt? Habt Ihr Kummer?

Pfrim. O du mein Gott, wie's halt schon geht, ich bin Flickschuster, wenig Verdienst, und der ungeheure Einfluß, den die Zeitverhältnisse – alles schränkt sich ein, es ist nicht mehr das Leben –

Thurming. Das trifft alle, ich wünsche aber Euren besondern Kummer zu kennen.

Pfrim. Ich bin ein unglücklicher Vater, der sein Kind durch Lehren und gutes Beispiel –

Thurming. Habt Ihr mir diesen Brief gebracht?

Pfrim. Freilich, ich komm' grad als so desparater nach Haus, nach dem Unglück mit mein' Sohn, und wie ich jetzt daher komm', seh' ich mein eigen Fleisch und Blut unten in Ketten.

Thurming. Aber der Brief –? Ihr müßt deutlicher sprechen.

Pfrim. Noch deutlicher? Ja – jetzt, den Namen kann ich doch nicht sagen.

Thurming. Das begreif' ich allerdings.

Pfrim. Denn Euer Gnaden sind wohl ein charmanter Mann; aber einer Gerichtsperson is halt doch nie recht z' traun, und dann können S' Ihnen wohl denken, um einen Unglücklichen auf freien Fuß werd' ich mich nicht so heiß annehmen als um einen Sohn in Ketten.

Thurming. Aber wie kommt denn Euer Sohn in Ketten?

Pfrim. Unschuldig, das heißt, er hat wohl ein Verbrechen begangen, ein großartiges Verbrechen –

Thurming. Unschuldig, und ein Verbrechen? Wie nehm' ich das?

Pfrim. Gar nicht; es is ein Verbrechen, was Ihnen nix angeht.

Thurming (etwas schärfer). Guter Freund –

Pfrim. Nit bös' sein, ich mein' nur, Sie könnten Verdruß mit der Geistlichkeit kriegen.

Thurming. Was soll denn das wieder heißen?

Pfrim. Der weltliche Richter ist da gar keine Instanz, verstehn Sie mich? Er hat es nur aus Kindesliebe getan, verstehn Sie mich?

Thurming. Immer weniger.

Pfrim. Denn selbst das, daß mein Sohn durch'gangen is, verstehn Sie mich – das is das Alleredelste, denn sehn Sie, er kann keinen Wohltäter in Ketten sehn.

Thurming. Ich dachte, Sein Sohn sei in Ketten –

Pfrim. Jetzt der Sohn, aber dazumal war's der Wohltäter.

Thurming. Jetzt versteh' ich Ihn vollends gar nicht mehr.

Vierte Szene

Die Vorigen; Ignaz.

Ignaz (zur Mitte eintretend). Gott sei Dank, Euer Gnaden sind wieder da! Ich hab' schon glaubt – (Macht die Pantomime des Erdolchens.)

Thurming. So arg ist's diesmal nicht geworden.

Ignaz. Aber den Spitzbuben haben wir glücklich erwischt, der Ihnen ausg'raubt hat. Ihren rotseidenen Geldbeutel – Ihren Überrock – alles haben wir ihm wieder abgenommen.

Thurming. Was sagst du? Meine Börse, meinen Paletot?

Ignaz. Wir hab'n ihn vorläufig in Ketten gelegt, unten steht er im Gerichtszimmer.

Pfrim (jammernd). Das is mein Sohn!

Ignaz (zu Pfrim). Da können S' a Freud' haben.

Thurming (lebhaft zu Ignaz). Du sorgst dafür, daß ihm nicht das geringste zuleid geschieht.

Ignaz. Was? Hör' ich recht?

Thurming. Man soll ihn sogleich hierher führen – in einigen Minuten werd' ich ihn selbst verhören.

Ignaz (zögernd). Ah, jetzt kenn' ich mich schon a bissel aus – Euer Gnaden wollen weitere Spuren von der Rauberbande –

Thurming. Tue, was ich dir befehle, und behandle ihn mit der größten Aufmerksamkeit!

Ignaz (geht durch die Mitte ab).

Fünfte Szene

Thurming, Pfrim.

Pfrim (gerührt). Ich küss' 's Kleid, Euer Gnaden! Schaun S', mein Sohn is a guter Bub, und wann er in der andern Welt in die Höll' kommt, so parier' ich, es sitzt mancher im Himmel und laßt sich angeignen von die Engeln, der ihm nicht 's Wasser reicht.

Thurming (für sich). Was doch dieser Mann für verwirrtes Zeug –

Pfrim. Mich und mein' alte Eva hat er nicht Not leiden sehen können, und es wär' gewiß nie zu dem Schritt kommen, wenn uns der böse Baron Stromberg nicht den Strich 'macht hätt' durch die Ammel-Pension.

Thurming (aufmerksam werdend). Was sagt Ihr da? Amme – Stromberg – und der Name Eva –

Pfrim. So heißt die Meinige. Wenn Sie das Strombergsche Haus kennen, so muß Ihnen auch eine liebe Baroneß Adele bekannt sein.

Thurming. O ja! Nun?

Pfrim. Ich war Ammel bei ihr, und mein Weib hat die Pension – (sich korrigierend) will ich sagen, mein Weib war Ammel, und ich hab' die Pension bezog'n.

Thurming. Ich kannte die selige Baronin.

Pfrim. Natürlich, die Herrschaften, das hängt ja alles zusamm'.

Thurming. Und ihren leider auch schon verstorbenen Bruder, den Baron Reichthal –

Pfrim. Verstorben –? (Pfiffig lachend.) Haha! Verstorbenen Baron Reichthal kenn' ich keinen – aber –

Thurming. Was sagt Ihr?

Pfrim (treuherzig). Merken S' denn gar nix, hochgstudierter Herr, von wem der Brief is?

Thurming. Von ihm –? Wär's möglich!?

Pfrim. Als Ammel seiner Nièce Adele hab' ich ihm Unterstand' – das heißt, die Meinige –

Thurming. Lieber Alter, eilt zum Baron und sagt ihm, ich werde das verabredete Zeichen geben, sobald es mit Sicherheit geschehen kann. Er wird nicht den Richter, sondern den Freund in mir finden.

Pfrim. Aber der Wendelin –?

Thurming. Er ist unschuldig – ich bin von allem bereits unterrichtet. Geht nur, geht, ich werd' ihn sogleich seiner Haft entlassen.

Pfrim. Vergelt's Gott tausendmal! Und was das gewisse Verbrechen anbelangt von ihm, da verlass' ich mich auf Rom. Vielleicht komm' ich in neun Jahren und werd' bitten um ein Empfehlungsschreiben. (Geht, sich tief verbeugend, durch die Mitte ab.)

Sechste Szene

Thurming.

Thurming. Das Unglück seines Sohnes, die g'fahrvolle Lage des Barons, seine drückenden Verhältnisse – das alles zusammen scheint eingewirkt zu haben auf die Geisteskräfte dieses Mannes. – (Überlegend.) Aber das Vertrauen des Barons kann mich in schwere Verantwortlichkeit stürzen – gleichviel! Pflicht, Liebe und Ehre gebieten hier, wer denkt da an Gefahr! – Was hör' ich? Ein Wortwechsel im Vorsaal –

Siebente Szene

Thurming; Rosalie.

Rosalie (durch die Mitte eintretend, noch unter der Türe, halb für sich, halb zurücksprechend). Der Alte wird mich noch ganz bös machen! Ich bin gewiß ein Geschöpf, was allen möglichen herzlichen Anteil nimmt, aber die Schuld geben lass' ich mir nicht.

Thurming. Was ist denn geschehn?

Rosalie. Ich muß um Entschuldigung bitten, Euer Gnaden, ich bin eine stille, sanfte Person, aber aufbringen muß man mich nicht!

Thurming. Dich sendet meine Adele – ach, in welcher Angst mag die Arme gewesen sein!

Rosalie. Sie weiß schon, daß Euer Gnaden glücklich nach Haus gekommen sind, und is jetzt ganz Heiterkeit, aber ich – meinen Liebhaber so sehn zu müssen und noch extra die Vorwürf' vom Alten anhör'n –!

Thurming. Was läßt mir Adele sagen? Sprich –!

Rosalie. Sie wird selbst kommen, in einer halben Stund' is sie da, sie will sich vor den Verfolgungen ihres Vormundes retten, eh's zu spät is, denn er will s' ins Kloster sperren.

Thurming. Endlich also gibt sie meinen Bitten nach – oh, ich Glücklicher!

Rosalie. Die heimliche Heirat soll offenbar werden. Natürlich, Lieb' kann heimlich sein, aber Heirat – ich wollt', er könnt' mich heiraten, ich saget's der ganzen Welt.

Thurming. Ohne Zweifel liebst du auch?

Rosalie. Na ob! (Sich korrigierend.) Das heißt, ich hab' ihm kein Wort g'sagt, wenn er's erraten hat, dafür kann ich nicht. Ihre heimliche Frau Gemahlin is in die Kirchen g'fahren, beim herübrigen Tor is sie aus der Equipage gestieg'n, beim drübrigen steigt sie in einen Fiaker und fahrt auf Umwegen zu ihrem Gemahl. Es is was Schönes um die Lieb'; wann aber ein Mann nicht heiraten kann, wie mein Anbeter, da darf man ihm so wenig als der Welt was merken lassen, die Männer übernehmen sich gern.

Thurming. In einer halben Stunde, sagtest du

Rosalie. Is sie da, und keine Rücksicht soll sie mehr abhalten – o Gott, mich haltet auch keine Rücksicht ab, aber wie gesagt – übrigens, was die Ehrlichkeit anbelangt, da is er unschuldig, und wenn eine Kammerjungfer sagt: »Ich leg' die Hand ins Feuer«, so is das keine Kleinigkeit. Und was sein Verbrechen anbelangt –

Thurming. Also dein Geliebter auch unschuldig und ein Verbrecher? Spricht denn heute alles in Rätseln?


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