Johann Nestroy
Zu ebener Erde und erster Stock
Johann Nestroy

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Vierzehnter Auftritt

Vorige; Herr von Steinfels und seine Frau. Noch ein Herr und eine Dame.

Frau von Steinfels (im Eintreten). Ah, bon jour, liebe Emilie!

Herr von Steinfels. Mein Fräulein, Ihr Untertänigster!

Emilie (der Gesellschaft entgegengehend). Ich bitte, nur zum Papa hineinzuspazieren.

Herr von Steinfels (indem er nach rechts geht, zu Emilien). Wohlauf, der Herr Papa?

Emilie. Ich danke, ja.

(Die zwei Herren gehen mit ihren Damen rechts ab.)

Fünfzehnter Auftritt

Damian (allein). Emilie, Fanny.

Damian (kommt aus der Mitte links mit dem gesiegelten Brief zurück; er ist noch immer benebelt). Da ist der Spagat schon. Der Chevalier hat zu der Salerl gesagt, er laßt einen Spagat herab – ist schon da, der Spagat –, sie soll nur den Brief dranbinden, er wird 'n aufziehn. (Geht behutsam hin und bindet seinen Brief an.) Ist schon droben!

Fanny (zu Emilien). Die Antwort kommt! (Sie zieht die Schnur mit Damians Brief herauf und zum Fenster herein.)

Emilie. Oh, gib geschwind!

Fanny. Tummeln Sie sich; mir scheint, es kommt wer. (Emilie öffnet den Brief.)

Damian (nachdem er langsam vom Fenster geschlichen). Jetzt wird er a Freud' haben, der dumme Kerl! (Lacht in die Faust.) Aber g'freu dich jetzt nur über den Brief, den du lesen tust, (gegen den ersten Stock hinaufdrohend) deine Schläg' sein so viel als wie 'druckt. Jetzt muß ich schaun, was in der Kuchel g'schieht! (Ab.)

Emilie (öffnet den Brief und liest schnell). »Ich liebe Sie von ganzer Seele, ich bete Sie an. Wenn Sie meinem leidenden Herzen einen süßen Trost gewähren wollen, so kommen Sie heute abends zu mir.« – Wie –? Ach, das kann ich doch unmöglich!

Fanny. Es ist eine etwas kühne Idee von ihm.

Emilie (liest). »Das Glück meines Lebens hängt an der Erfüllung dieser Bitte.«

Sechzehnter Auftritt

Vorige; Herr von Wachsweich, dessen Frau, noch ein Herr und eine Dame (treten ein).

Frau von Wachsweich. Ah, Fräulein Emilie

Herr von Wachsweich. Wie steht das werte Befinden?

Emilie (nachdem sie unbemerkt Fanny den Brief zugesteckt hat). Ich danke. Ist's nicht gefällig, zum Papa hereinzuspazieren? (Öffnet die Türe rechts, alle ab.)

Siebzehnter Auftritt

Schlucker und Adolf. Chevalier Bonbon, Johann (kommen von links).

Bonbon (in eiliger Geschäftigkeit). Hat Er den Spagat, lieber Johann?

Johann. Da ist er, Euer Gnaden!

Bonbon. Befestige Er ihn am Fenster und lass' Er ihn hinab.

Johann. Das wird gleich geschehen sein. (Tut, wie ihm befohlen.)

Bonbon (für sich). Ich bin doch neugierig, ob sie mir schreibt? Ohne Zweifel schreibt sie, das pauvre Ding – aber hübsch ist sie. Pauvre, aber hübsch!

Schlucker (von rechts, einen Brief in der Hand). So! Da is eine Antwort, die sich gewaschen hat, die steckt sie nicht vors Fenster!

Adolf (ihm folgend). Vater, wenn Ihnen das Leben Ihres Sohnes lieb ist, nur das tun Sie nicht!

Schlucker. Nix da, ich leid' keine Löfflerei, ich will keine Löfflerei und ich mag keine Löfflerei, außer die, wo Messer und Gabel dabei ist.

Adolf (schmerzlich). Emilie! (Bedeckt sich das Gesicht mit beiden Händen und sinkt rechts auf den Stuhl.)

Schlucker (zum Fenster gehend). Die Schnur hängt richtig noch da – (Knüpft den Brief an.)

Adolf. Vater!

Johann (zu Bonbon). Sie bandelt schon unten.

Schlucker (schließt sorgfältig das Fenster). Du bleibst dort und rührst dich nicht von der Stelle! – So!

Johann (zieht den Brief herauf und beim Fenster herein). Da is der Brief. Euer Gnaden werden doch ein Herzensbezwinger sein aus 'n ff! (Will ihm den Brief übergeben.)

Bonbon. Da hat Er zwei Dukaten, lieber Johann, jetzt les' Er mir aber den Brief vor, ich habe meine Brille vergessen.

Johann (liest). »Keckes Geschöpf!«

Bonbon (befremdet). Was für ein Geschöpf?

Johann. Da steht: »Keckes Geschöpf«. (Liest weiter.) »Verschonen Sie mich mit Ihren Zudringlichkeiten –«

Bonbon (erzürnt). Das ist ja impertinent!

Adolf (trostlos). Der Brief muß sie empören, das arme Fräulein.

Schlucker (vom Fenster kommend). Das is recht, sie soll sich ärgern, die verliebte Flitschen, die! (Sieht den Rock, den Damian in seiner ersten Szene über den Stuhl gehängt.)

(Adolf geht verzweifelt auf und ab.)

Johann (weiterlesend). »Bleiben Sie bei Ihresgleichen und mir hübsch vom Leibe, wenn Sie sich Unannehmlichkeiten ersparen wollen.« – Ohne Unterschrift. – Den verwegenen Stil hätt' ich der Jungfer Salerl gar nicht zugetraut. (Gibt ihm den Brief.)

Bonbon. Ich könnte rasend werden.

Johann. Wär' schad, grad vorm Essen; das müssen Euer Gnaden nicht tun!

Bonbon. Ja, ja, Er hat recht. Mach' Er, daß wir bald speisen, ich will meinen Grimm verbeißen.

Johann. Ich werde gleich zum Koch hinausschaun. (Ab.)

Bonbon (für sich, den Brief zusammenballend). Insolenz ohnegleichen! (Geht wütend ab.)

Achtzehnter Auftritt

Die Vorigen; Sepherl, Salerl, Christoph, Seppel, Nettel, Resi. Bediente.

Schlucker (nachdem er den Rock besehen und wieder hingelegt, ruft er nach rechts). Sepherl, was ist's denn unter andern? Wird denn heut nit bald ang'richt't?

(Christoph, Seppel, Nettel und Resi kommen aus rechts.)

(Während dieser Szene tragen die Bedienten die Tafel vor, richten die Stähle, ordnen die Kredenztische mit Tellern, Aufsätzen, Bouteillen, Gläsern, Tassen, Vasen usw.)

Christoph. D' Frau Mutter vernachlässigt uns heut wieder ganz. Auf die Art müssen wir zurückbleib'n in Wachstum.

Sepherl (die mit Salerl ebenfalls aus rechts kommt). Gib a Geld her, Mann! Es muß a bissel was aus 'n Wirtshaus g'holt wer'n. Du hast mir ja nix z' Haus lassen zum Einkaufen, und der Kredit hat ein End'.

Schlucker. Jetzt geht's z'samm', ich bin heut g'sessen in der Hütten als wie ein ang'mal'ner Türk und hab' kein'n Kreuzer Geld g'löst.

Salerl. Meine Kundschaft, für die ich Hauben putz', haben alle g'sagt, sie zahlen mich 's nächstemal.

Sepherl. Du, Adolferl, hast du nix?

Adolf. Sie wissen, Frau Mutter, ich hab' Ihnen in dem Monat alles gegeben, was ich mir verdient hab'; erst den nächsten Donnerstag bezieh' ich wieder meinen Gehalt. – Übrigens, was mich anbelangt, Mutter, (kleinlaut) ich werd' nicht mehr viel brauchen auf der Welt.

Christoph. Aber wir brauchen desto mehr.

Sepherl (besorgt). Adolferl, was is dir denn?

Christoph, Seppel, Nettel, Resi (ungeduldig). Frau Mutter, es is spät, wir können nicht mehr warten!

(Ein Bedienter kommt und stellt einen dampfenden silbernen Suppentopf auf den Kredenztisch.)

Neunzehnter Auftritt

Die Vorigen; Damian (von links kommend). Bediente, Johann, später Goldfuchs, Emilie, Bonbon, mehrere Herren und Damen.

Damian. Ich bemerke mit Mißvergnügen gänzlichen Mangel an Anstalten zum Diner.

Schlucker (zu Damian). Du, Schwager, ich hab' dir heute früh ein Geld mit'geben.

Damian. Da hab' ich den Rock drum gekauft. (Zeigt auf den Rock, der auf dem Sessel hängt.)

Schlucker. Hm! Hm! Du hast da freilich ein' recht guten Einkauf g'macht, aber was tun wir jetzt? Kein Kreuzer Geld im Haus und die Schar Leut' zum Abfuttern.

Johann (kommt). Wie die Gesellschaft kommt, muß gleich die Tafelmusik anfangen.

Seppel, Nettel, Resi. Frau Mutter, gehn wir essen!

Johann (in die Seite rechts rufend). Es ist aufgetragen!

(Goldfuchs kommt mit seinen Gästen. Mehrere Gäste treten noch von links ein.)

Schlucker. Zum Glück hab' ich den Laib Brot kauft um die letzten acht Groschen.

Goldfuchs (zu den Gästen). Ich bitte, sich zu placieren nach Gefallen!

Schlucker. Jetzt, Kinder, geht's halt her, heut ist das unsere einzige Speis'.

Goldfuchs. Ich habe meine reizende Tischnachbarin schon gewählt.

(Die Kinder setzen sich stillschweigend an den Tisch, die übrigen ebenfalls, Schlucker schneidet das Brot vor, Sepherl teilt es aus. Salerl hat im Hintergrunde den Wasserkrug genommen und ist damit in Mitte links abgegangen.)

Schlucker (einen Seufzer unterdrückend). Mir ging's jetzt schlecht genug, wenn's noch schlechter werden sollt', dann weiß ich nit, was ich anfang'.

Seppel. Mir 's Scherzel, Vater!

Damian. Kinder, schlickt's kein Bein!

Sepherl (traurig zu Schlucker). Wir haben also nichts mehr als trocknes Brot!

Schlucker (sehr herabgestimmt). Und das nur von heut auf morgen.

Goldfuchs. Eine Eröffnung habe ich Ihnen zu tun, meine Herren und Damen, die Sie überraschen wird. Ich wollte es zwar bis zu Ende der Tafel verschieben, doch wozu?

Die Gesellschaft (neugierig). Nun?

Goldfuchs. Es ist – doch halt! Das darf nur bei vollen Gläsern geschehn. (Winkt den Bedienten.) Champagner!

(Die Bedienten lassen Champagnerbouteillen knallen. Es wird eingeschenkt.)

(Salerl kommt mit dem Wasserkrug aus der Mitte links.)

Damian (seufzend). Eine Bouteille vom Allerleichtesten!

Salerl (schenkt ihm aus dem Krug Wasser ein). Ich hab' gerad ein frisches Wasser vom Brunnen geholt.

(Damian trinkt und gibt den Krug dann den übrigen, welche alle trinken.)

Goldfuchs. So wissen Sie denn: Meine Tochter ist Braut.

Emilie (erschrickt). Ich –?

Goldfuchs. Hier, der Bruder meines alten Geschäftsfreundes in Marseille, Chevalier Bonbon, ist der Bräutigam.

(Emilie sucht ihre Bestürzung zu verbergen.)

Alle. Wir gratulieren!

Chor der Gäste
Vernehme Bräutigam und Braut
Die Wünsche unsers Herzens laut!

(Alle erheben die Gläser und stoßen mit Bonbon an.)

Christoph, Seppel, Nettel, Resi (traurig). Krieg'n wir heut gar nix als Brot?

Schlucker. So lang wir das noch hab'n, dankt's Gott! (Er steht auf, zieht die Mütze vom Kopfe und steht mit gefalteten Händen in betender Stellung. Alle falten die Hände und stehen in einer andächtigen Gruppe um ihn.)

(Alle zugleich mit dem im ersten Stocke gesungenen Chor.)

Wenn man für uns kein Brot mehr bacht,
Dann ist's mit uns erst gute Nacht!

Chor der Gäste.
Dem Paar, dem Liebesglück nun lacht,
Sei dieses Vivat ausgebracht!

(Sie sitzen in trauriger Stellung um den Tisch herum.) (Leeren unter lautem Jubel und Vivatgeschrei die Gläser.)

Der Vorhang fällt.


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