Johann Nestroy
Zu ebener Erde und erster Stock
Johann Nestroy

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Zehnter Auftritt

Emilie, Fanny; Vorige.

Emilie (erschrocken, von rechts). Was geht da vor?

Fanny (zu Emilien). Still, still –! (Zieht sich mit Emilien unbemerkt zurück.)

Johann. Ich glaub', er hat einen Rausch.

Goldfuchs (zu Zins). Herr, Sie sind mit Ihrem Begehren abgewiesen, dort ist die Türe!

Zins (aufgebracht). Was? Mich hinausschaffen aus meinem eigenen Haus?

Goldfuchs. Ich bezahle den Zins, diese Wohnung ist mein.

Johann (zu Zins). Die Aufkündigung können S' uns schicken, morgen, nachher derfen S' aber erst noch ein halb's Jahr nit herein.

Goldfuchs. Adieu! (Sehr stolz.) Es ist schade, daß ich mich echauffiere. (Ab.)

(Zins will erbittert etwas erwidern, erblickt aber das Fräulein, hält sich zurück und läßt mit unterdrückter Wut Johann bis zu Ende reden.)

Johann (zu Goldfuchs während des Abgehens). Ja, echauffieren wir uns nicht! (Sehr keck zu Zins.) Man muß nicht glauben, wenn man ein Hausherr is, daß man dann alles durchsetzt. Hausherr kann ein jeder sein, der sich ein Haus kauft; und überhaupt, da is jetzt gar nit drauf zu gehn; heutzutage gibt's Hausherrn, daß Gott erbarm'! jeder Stein ist beim Grundbuch vernagelt, und dreiß'g Jahr' zieht der Baumeister den Zins, die Sponponaden kennt man schon! (Ab.)

Elfter Auftritt

Zins, Emilie, Fanny.

Zins. Dem Kerl muß ich eine Tracht Prügel z'wegen bringen, und wenn mich 's Stuck auf ein' Dukaten kommt.

Fanny (zu Zins). Was ist denn eigentlich vorgefallen?

Emilie. Lieber Herr von Zins, ich bin so erschrocken –

Zins (beiseite). Jetzt geht's in ein'! – Ich mach' ihr meinen Antrag; mag sie mich, dann setz' ich mein ganzes Vermögen dran, sie muß die Meinige werden. (Zu Emilie.) Mein Fräulein, ich hab' bei Ihrem Herrn Papa um Ihre Hand angehalten und bin abgewiesen worden. Gesetzt, ich hätt' bei Ihnen zuerst angeklopft, was für eine Antwort hätt' ich erhalten?

Emilie. Herr von Zins, Sie sind mir ein zu schätzenswerter Mann, als daß ich Ihnen meine Gefühle verheimlichen sollte.

Zins (freudig überrascht). Reden Sie –! (Beiseite.) Sie ist verliebt in mich! Oh, ich glücklicher Kerl!

Emilie. Ihnen will ich mein Vertrauen schenken. Möchte mir dies Anspruch auf Ihre Güte erwerben! Gerade Sie könnten viel tun für mein künftiges Glück.

Zins (entzückt). Alles – alles! Reden Sie nur!

Emilie. Ich fühle mich geehrt durch Ihren Antrag, doch mein Herz gehört schon einem Jüngling –

Fanny (zu Zins). Wohlgemerkt, einem Jüngling!

Emilie (fortfahrend). Von edlem Gemüte, aber arm.

Zins (ganz verblüfft). So –?

Emilie. Sie kennen ihn; er ist der Sohn einer Ihrer Parteien; der Sohn des Trödlers da unten.

Zins (losbrechend). Was? So einen Springinsfeld zieht man einem Hausherrn vor?

Fanny. Ja, die Liebe fragt nichts nach Georgi und Michaeli; Luftschlösser sind ihre liebsten Häuser, ihr Grundbuch ist das Herz, der Zins wird mit Küssen bezahlt.

Zins (böse zu Fanny). Geh' Sie mir aus dem Weg! Ich bin so in Grimm, daß ich mich selber zerreißen könnt'.

Fanny. Sie sind Ihr eigener Herr.

Emilie (ihn besänftigend). Herr von Zins –

Zins (ohne auf sie zu hören, für sich). Ich bin furchtbar abgebrennt'. Aber ich weiß, was ich tu'! Der Sohn einer Zu-ebener-Erd-Partei soll über einen Hausherrn triumphieren? Nein, das darf nicht sein! (Eilt erzürnt links ab.)

Zwölfter Auftritt

Später Adolf und Damian. Vorige ohne Zins.

Fanny. Hu! Dem brennt der Kopf!

Emilie. Er ist ein vernünftiger Mann; wenn der Zorn vorüber ist, so –

Fanny. Jetzt von was anderm, Fräul'n! Ich lass' Ihnen nicht mehr aus; jetzt müssen Sie dem armen Adolf schreiben. Der gute Mensch ist so melancholisch, so –

Emilie. Wie kann ich? Er hat ja mir noch nie geschrieben.

Fanny. Er traut sich nicht, und eins muß ja den Anfang machen. Unter uns gesagt: Sie müssen nicht bös sein, Fräulein, aber ich hab' ihn heut begegnet und da hab' ich ihm versprochen, weil er gar so blaß war, er kriegt heut Schlag eins einen Brief von Ihnen. Da hat der Mensch eine Freud' g'habt, ah –! (Nach der Wanduhr sehend.) Aber es ist schon bald ein Uhr –

Emilie (eilig). Geschwinde, Feder, Tinte und Papier!

Fanny (öffnet die Lade des kleinen Tischchens und nimmt das Verlangte heraus). Da ist schon alles! (Emilie setzt sich rechts und schreibt, Fanny sieht nach dem Fenster.)

(Adolf und Damian kommen durch die Mitte links.)

Damian (benebelt). Ich lass' dich nicht aus, du mußt mir den Brief schreiben.

Adolf. Vetter, ich hab' jetzt unmöglich Zeit.

Damian. Du bist der Sohn meiner Schwester, du mußt Zeit haben – ich befehl' es als Oheim, verstehst du, als Oheim'

Adolf (nach einer hölzernen Wanduhr sehend, für sich). Bald wird es ein Uhr schlagen, die Stunde, der ich mit banger Ungeduld entgegensehe. – Wenn ich ihn nur fortbrächte!

Damian. Du bist eine schwärmerische Seele, liest Romane, red'st hochdeutsch, hast einen guten Stil, du mußt mir den Brief schreiben.

Adolf. Gut also, aber schnell! – Was hab' ich zu schreiben? (Sieht während der folgenden Rede wieder nach der Uhr, öffnet das Fenster und richtet sich dann das Schreibzeug auf einem Tischchen.)

Damian. Das Verhältnis ist so: ich habe einen Rachedurst in mir; der Salerl ist einer nachgegangen, und den will ich trischacken. Da muß also ein Brief an ihn geschrieben werden, als wenn die Salerl einen zärtlichen Brief an diesen Nachgeher schreibet, daß wir ihn so zu der beabsichtigten Trischackung hierherlocken.

Adolf. Aha! (Setzt sich.)

Fanny (hat zum Fenster hinabgesehen). Das Fenster ist offen, er ist schon zu Haus.

Emilie (welche abwechselnd nachdachte und schrieb). Ich bin verlegen, was ich schreiben soll.

Fanny. Das ist nur beim ersten Brief.

Damian. Der Brief muß aber Gefühl haben, sehr viel Gefühl.

Adolf (will schreiben). »Ich wünsche Sie heute abends zu sehen –«

Damian. Nix, das is ja kein Gefühl!

Adolf. Also anders! (Schreibt.) »Ich liebe Sie von ganzer Seele, ich bete Sie an –

Damian. So is's recht. Da wird der alte Windbeutel wini!

Adolf (weiter schreiben wollend). »Kommen Sie also –«

Damian. Das ist schon wieder ohne Gefühl!

Adolf. Aha! (Schreibt wieder.) Also: »Wenn Sie meinem leidenden Herzen einen süßen Trost gewähren wollen, so kommen Sie –«

Damian. Nur zu in' der Dicken, das is Gefühl!

Adolf (weiterschreibend). »... heute abend zu mir –« (Denkt nach.)

Emilie. Soll ich schreiben, daß ich Antwort erwarte?

Fanny. Das glaub' ich. Schreiben Sie nur: »Die Schnur wird so lange am Fenster bleiben, bis Sie die Antwort daran geknüpft haben.«

Emilie. Wie versteh' ich das?

Fanny. Schreiben Sie nur – (Wispelt ihr leise zu.)

Adolf (schreibt). »Das Glück meines Lebens hängt an der Erfüllung dieser Bitte.« (Zu Damian.) Ohne Unterschrift?

Damian. Ohne Unterschrift! Das is das wahre Gefühl! Jetzt heißt's, den Brief petschieren.

Emilie. Fanny, gib mir die Oblaten her!

(Fanny tut es und befestigt dann einen Spagat am Fenster.)

Adolf. Es ist weder Siegelwachs noch Petschaft da.

Damian. Ich petschiere den Brief halt bei der Kasstecherin drüben. (Nimmt den Brief.) Wenn der Chevalier den Brief liest, kommt er unausbleiblich, (im Abgehen) und die Trischackung geht vor sich, und das tüchtig – oh, nur Gefühl! (Ab.)

Dreizehnter Auftritt

Voriger ohne Damian. Später Schlucker. Die Vorigen.

Emilie. Ich bin fertig.

Fanny. Geben Sie nur geschwind!

(Sie bindet den Brief an das Ende der Schnur und läßt ihn übers Fenster.)

(Die hölzerne Wanduhr schlägt Eins.)

Adolf. Schon ist es ein Uhr vorbei. Fanny versprach mir an einer Schnur – (Sieht gegen das Fenster.) Ha, was seh' ich? Darf ich meinen Augen trauen –? (Eilt hin.)

(Schlucker tritt ein, einen großen Laib Brot unterm Arm tragend.)

Adolf. Da ist der heißersehnte Brief! (Zieht den Brief bei dem Fenster herein und löst ihn ab.)

Schlucker (Adolf bemerkend, stutzt und sagt leise für sich). Was g'schieht denn da? (Schleicht in Adolfs Nähe.)

Adolf (jubelnd den Brief emporhaltend). Ich hab' ihn!

Schlucker (rasch vortretend und Adolf den Brief aus der Hand reißend). Nein, ich hab'n.

Adolf (erschrocken). Ha, mein Vater –!

Fanny (freudig zu Emilie). Er hat ihn schon.

Emilie (ängstlich, aber in freudiger Bewegung). Gott, wie mir das Herz schlägt!

Schlucker. Komm' ich endlich hinter deine Schlich'? Liebesbrieferln? G'schichterln? Sacherln? Na, wart'! (Legt den Laib Brot auf den Tisch.)

Adolf. Vater, hören Sie mich!

Schlucker (mit verhaltenem Ärger). Ich muß erst lesen. (Liest.) »Mißdeuten Sie es nicht, daß ich zuerst an Sie schreibe. Ich glaube von der Wahrheit und Innigkeit Ihrer Liebe überzeugt zu sein –« Brav sehr brav! (Lacht vor Ärger.)

Emilie (zu Fanny). Jetzt wird mein Adolf ihn lesen. (Setzt sich, in Gedanken versunken, zum Schreibtisch.)

(Fanny sieht abwechselnd zum Fenster hinaus.)

Schlucker (weiterlesend). »Kann meine Gegenliebe Sie glücklich machen, so nehmen Sie die Versicherung, daß nur Ihr Bild in meinem Herzen lebt.«

Adolf (entzückt). Wär's möglich? Oh, ich Überglücklicher!

Schlucker. O du Hauptspitzbub! – Solche Masematten fängst du mir an? (Liest weiter.) »Erfreuen Sie mich durch einige Zeilen von Ihrer Hand, die Schnur wird so lang am Fenster bleiben, bis Sie die Antwort daran geknüpft, die ich mit Sehnsucht erwarte.«

Adolf. Liebster Vater! –

Schlucker (von einer Idee ergriffen). Halt! Das is das G'scheiteste! Du gehst jetzt mit mir in die Kammer, kommst mir nicht von der Seiten, und ich beantwort' der Fräule anstatt deiner den Brief auf eine Art, daß sie dich für den impertinentesten Flegel halten muß und dich in ihrem Leben nicht mehr anschaut.

Adolf. Vater, das könnten Sie?!

Schlucker. O ja, ich kann Flegel sein.

Adolf. Vater, Sie treiben mich zur Verzweiflung.

Schlucker. An der Krankheit ist noch kein Tandlerssohn g'storben. Nur vorwärts!

Adolf. Ich beschwöre Sie

Schlucker. Keine Faxen g'macht, ich beantwort' einmal den Brief. (Schiebt Adolf in die Seitentüre rechts und geht nach.)

Fanny (zu Emilie). Geben Sie acht, wie liebevoll er antworten wird.


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