Johann Nestroy
Die schlimmen Buben in der Schule
Johann Nestroy

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Neunzehnte Szene

Franz. Wampl. Willibald (versteckt).

Franz (zur Mitte eintretend). Herr Magister, ich sollte eigentlich nicht mehr –

Wampl. Warum nicht? Sie müssen, wenn ich befehle!

Franz. Sie haben mich fortgejagt!

Wampl. Der Vernünftige sieht im Fortjagen nur eine Einladung, zu einer günstigeren Zeit wiederzukommen – und jetzt ist sie da, die günstige Zeit!

Franz. Schwiegersohn – das ist die einzige Gunst, die ich von der Zeit verlange.

Wampl. Kann sich machen mit der Zeit, aber die Bedingung, die ich setz', hat gar keine Zeit. Es brennt auf die Nägeln! Der Gutsherr, der Landrat –

Franz. Examen! Ich weiß alles!

Wampl. Aber die examiniert werden, wissen gar nix. Ich bin das Opfer. Ich werde brotlos, weil meine Schüler hirnlos sind!

Franz (über etwas brütend). Hin, ich bin nach Ihrem Ausspruch auch nur ein simpler Schüler, weiter nichts!

Wampl. Sie sind Professor, Doktor, Dekan – was Sie wollen, wenn Sie nur –

Franz. Sagen Sie das nicht, denn gerade nur, weil ich Schüler bin, kann ich Ihnen helfen.

Wampl. Wieso?

Franz. Weil Hilfe hier nur durch einen Schülerstreich möglich ist!

Wampl. Also doch möglich –? Red', lieber Schüler, sag' diesen Meisterstreich von einem Schülerstreich!

Franz. Sie sollen gar nicht dadurch kompromittiert werden. Die Prüfungsfragen sind aufgesetzt –

Wampl. Hier in diesem Heft! (Zieht aus der Tasche ein Heft hervor.)

Franz. Es wird Ihnen ein leichtes sein, den gnädigen Herrn dahinzubringen, daß er die Fragen der Reihe nach stellt.

Wampl. Aber die Antworten –?

Franz. Dazu rufen Sie die Schüler der Reihe nach auf, wie sie sitzen werden. Ich werde jedem seine Antwort auf ein Zettelchen aufgeschrieben geben, und der sich's nicht merken kann, der legt das Zettelchen in seine Kappe und liest sie heraus.

Wampl. O Retter, so geht's! Wenn's die Buben nicht im Kopf haben, so haben sie's doch wenigstens in die Kappeln. Ich ziehe jetzt mein schwarzes Kleid an –

Franz. Und ich ordne das Verabredete!

Wampl. Also der Schwiegersohntitel ist der Preis, die Aufgabe sind wissenschaftliche Kappelbub'n! (Eilt in die Seitentüre rechts ab.)

Franz (allein). Ich rette den Magister von unverdientem Unglück und erringe Nettchen zur Frau – für solche Zwecke kann ein kleiner Betrug kein großes Verbrechen sein! (Geht in die Seitentüre links ab.)

Zwanzigste Szene

Willibald (allein).

Willibald (hinter der Tafel hervorkommend). So erleichtert man denen andern die Prüfung, und mir hat man für ein glänzend bestandenes Examen dritte Klass' gegeben!? Wart'ts, ich will euch zeigen, wie sich ein Dritter-Klassiker rächen kann!

Lied
1.
                        In der Sprachlehr' blamier'n s' mit d' vielen Hauptwörter sich,
Der Mensch kennt ein Hauptwort nur, und das heißt: Ich –
Ja und nein sind als Neb'nwörter nur angegeb'n,
Und für 'n Ehr'nmann sind's Bindewörter fürs ganze Leb'n, –
Mit Empfindungswört'r erst, da will's durchaus nicht fort,
Für viele Empfindungen hab'n s' gar kein Wort. –
Selbst im ABC find't ka Anleitung statt,
Wie m'r am g'scheitesten B sagt, wenn m'r A gesagt hat –
Und die Hauptlehre in jeder Sprach' wär' es wohl,
Genau anzugeb'n, wenn man 's Maul halten soll.
        Drum: was drüber erscheint auch im Druck,
        In der Sprachlehr', da sind wir zuruck.
2.
D' Geographen beschreib'n uns jeds Meer, jedes Land,
Jeden Weltteil, der ihnen nur kommt unter d' Hand,
Doch sollten s' manch Land detaillierter beschreib'n,
Um den Leuten den Auswanderungs-Gusto z' vertreib'n,
Sie schreib'n nur, der Fluß fließt grad, der überzwerg,
Und wo s' nicht hinaufkönnen, stehen s' am Berg;
Übers Innre von Afrika geb'n s' gar nix kund,
Und warum? Weil s' nicht h'neinkommen, is das a Grund?
Belletristen war'n viel' schon nicht drin in ein' Stück,
Das geniert s' nicht, sie schreib'n desweg'n doch a Kritik.
        Drum: was drüber erscheint auch im Druck,
In der Geographie sind wir noch z'ruck.
3.
Mit der Rechenkunst tut man so manches h'rauskrieg'n,
Doch gibt's viel, was außer aller Berechnung tut lieg'n.
Der rechnet auf Liebe, und was kommt heraus?
A Frag' nach sein' Geld und ein Wurf aus 'n Haus.
Der rechnet auf Ruhm, auf enormen Applaus,
Spielt sein' Roll' aus Leib'skräft'n, und sie pfeifen ihn aus.
Mancher G'schwuf is rein gar nix, und seine Insolenz
Wär' unmöglich zu erheb'n auf a höh're Potenz. –
Was d' Erhaltung einer Frau kost't, is ausg'rechnet bald,
Doch wie rechnet man das aus, wie lang man s' erhalt't?
        Drum: was drüber erscheint auch im Druck,
        Im Rechnen, da sind wir noch z'ruck.
4.
Auch in der Botanik muß man drüber klag'n,
Daß noch unaufgelöst sind die wichtigsten Frag'n.
Warum wird das »Gehst aussi!« nur g'sagt beim Salat?
Warum sind d' Kamel bucklig, d' Kamelien grad'?
Warum 's Lebenskräut'l der Hirsch nur erschaut,
Während mancher als Hirsch stirbt, frißt er noch so viel Kraut?
Auch gibt's ein g'wiss's Blatt, was noch keiner recht kennt,
Das is nämlich das Blatt, was so plötzlich sich wend't;
Auch sag'n s' Zweni über'n Kren, den so viele sich geb'n,
Sowie über den Radi, der oft blüht darneb'n.
        Drum: was drüber erscheint auch im Druck,
        Wir sind in der Botanik noch z'ruck.
5.
Unter Schreibkunst tun s' Schönschreibkunst nur verstehn,
Und vergessen den Grundsatz dabei: »G'scheit is schön.«
Drum schreib'n als wie g'stochen so schön viele Leut',
Und im Grund schreib'n s' doch nicht schön, denn sie schreib'n nicht g'scheit.
Auch poetisch zu schreib'n versucht jetzt alt und jung,
Und trotz Stahlfedern kriegt das Geschriebne kein' Schwung.
Da werd'n s' schiech, werfen 's Tintenfaß weg, Knall und Fall,
Und tauchen von nun an die Feder in Gall';
Werd'n satirisch und bös', doch's mißlingt jeder Trumpf,
Keine Feder schreibt spitzig, wenn der Schreiber is stumpf.
        Drum: was drüber erscheint auch im Druck,
        In der Schreibekunst sind wir noch z'ruck. (Ab.)

Einundzwanzigste Szene

Franz. Dann die Schüler, darunter Peter Petersil, Anton Waldfuchs, Blasius Pichler, Sebastian Grob, Christoph Ries, Stanislaus.

Franz (aus der Seitentüre links kommend, hält mehrere beschriebene Zettel in der Hand). Das wäre getan. Nach dem Lärmen draußen zu urteilen, sind sie schon versammelt. Ich will sie schnell instruieren. (Die Mitteltüre öffnend.) Kommt nur herein! So – so – und setzt euch allsogleich jeder auf seinen Platz, wie er im Katalog notiert ist! (Die Schüler musternd, welche die Plätze einnehmen.) Nun, euer Äußeres wäre ganz nett zur Prüfung ausgestattet, aber wie sieht es mit dem Innern aus?

Mehrere Schüler. Ich weiß nicht – es wird schwer gehn!

Stanislaus. Die Prüfung ist viel zu fruh, da kann man nix können.

Peter Petersil. Ich werd' ein Gartner, mir liegt eigentlich nix an die dalketen Gegenständ.

Sebastian Grob. Ich kann 's ganze Jahr nix, wird's mich auch heut' nicht umbringen.

Christoph Ries. Mich lassen s' eh nicht aufkommen in der Schul'.

Franz. Schön wär's aber doch, wenn ihr auf alles richtig antworten und euch Ehre und euren Eltern Freude machen würdet!

Die Schüler. Ja freilich, aber –

Peter Petersil. Das sind fromme Wünsche –

Franz. Die diesmal durch mich in Erfüllung gehen sollen! Ich will in Berücksichtigung der etwas unerwartet gekommenen Prüfung diesmal nicht als euer Aufseher, sondern als euer Mitschüler handeln. Auf diesen Zetteln habe ich eure Antworten aufgeschrieben. (Verteilt der Reihe nach die Zettel.) Da lege nun jeder seinen Zettel, in die Kappe verborgen, vor sich hin, werfe einen Blick hinein – antworte, wenn er aufgerufen wird.

Die Schüler. Das is g'scheit!

Blasius Pichler. Einsagen wär' besser!

Stanislaus. Als wie auf 'n Theater!

Anton Waldfuchs. Das sollt' eingeführt werden bei die Prüfungen!

Peter Petersil. Na ja – wir Schulbub'n soll'n alles auswendig wissen, auf 'n Theater sein s' Künstler und können nix, als was ihnen eing'sagt wird!

Franz (hat mittlerweile sämtliche Zettel verteilt). So – also nur gehörig aufgepaßt!

Zweiundzwanzigste Szene

Wampl. Die Vorigen. Dann Willibald.

Wampl (in festlichem Anzug aus der Seitentüre rechts kommend). Schon alle beisammen?

Franz. Bis auf Willibald Schnabel.

Wampl (zu den Schülern mit heimlichem, auf Franz gerichtetem Nachdruck). Auch alle mit den gehörigen Kenntnissen ausgerüstet?

Die Schüler. Ja!

Franz (Wampl das früher von ihm bekommene Heft zurückgebend). Hier ist das Verzeichnis der Fragen!

Wampl. Werden wir gleich eine Probe machen. Stanislaus Wichtig! (Aus dem Hefte.) Welche Planeten unseres Sonnensystems sind größer als die Erde?

Stanislaus (nachdem er einen Blick in die vor sich habende Kappe geworfen). Uranus, Saturnus und Jupiter.

Wampl. Peter Petersil! (Aus dem Hefte.) Welche sind die kleinsten Tiere aus der Gattung der Vögel?

Peter Petersil (nachdem er einen Blick in seine Kappe geworfen). In unseren Gegenden der Zaunkönig, in den Tropenländern der Kolibri.

Willibald (tritt zur Mitte ein und will unbemerkt in seine Bank).

Wampl . Nun, es geht – es wird sich machen. (Wirft Franz einen zufriedenen Blick des Einverständnisses zu.) Aha –! (Indem er Willibald bemerkt.) Der kommt wieder der letzte!. Sie werden zur Straf' gar nicht aufgerufen bei der Prüfung. (Zu Franz.) Kommen Sie mit mir! Trompeter und Pauker sind ohne Zweifel schon unten. Gelungene Antworten der vorzüglichsten Schüler – merken Sie was, Stanislaus? – werden ebenfalls mit einem Tusch honoriert. (Zu Franz.) Jetzt zum Empfang des gnädigen Gutsherrn! (Geht mit Franz zur Mitteltüre ab.)

Dreiundzwanzigste Szene

Die Vorigen ohne Wampl und Franz.

Willibald (zu den Schülern). Ihr habts die Antworten aufg'schrieben in die Kappel, soviel ich seh'?

Die Schüler. Freilich.

Peter Petersil. Der Aufseher selber hat s' uns geben.

Willibald. Wird wieder a schöne Einteilung sein! Keinem das, wo er am festesten is!

Mehrere Schüler. Na, schau s' an! (Zeigen ihm die Zettel.),

Willibald (die Zettel flüchtig übersehend). Na ja, es is schon so! (Zu einem Schüler aus der zweiten Bank.) Deine Stärke is die Sprachlehr', dir gibt er die Geschichte! (Zu Stanislaus.) Deine Force is die Statistik, dir gibt er die Astronomie! (Zu einem Schüler aus der zweiten Bank.) Du bist für die Mythologie, dir gibt er aus der Arithmetik. (Zu Peter Petersil.) Dein Glanzpunkt is Erdbeschreibung, und dir gibt er die Naturgeschicht'!

Stanislaus. Das tut er uns mit Fleiß!

Sebastian Grob. Ja, ja, er is ein solcher!

Christoph Ries. Drum sag' ich: Nur ein' Aufseher trauen –!

Willibald. Wißts was? Tauschts die Zetteln aus untereinand', ihr werd'ts euch doch nix vorschreiben lassen!

Die Schüler. Das is g'scheit! Das tun wir! (Durcheinander schreiend, indem sie die Zettel gegenseitig verwechseln.) Das gib mir! – Nein, das is für mich! – Der hat gar zwei! – Das g'hört mein!

Peter Petersil (zu Willibald). Was wirst denn du tun? Du wirst ja gar nicht aufg'ruft bei der Prüfung?

Willibald. Ich hab' mir Golatschen mitg'nommen, da vertreib' ich mir schon die Zeit.

(Man hört von außen Intrade von Trompeten und Pauken.)

Die Schüler. Oje! Sie kommen schon!!


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