Johann Nestroy
Die schlimmen Buben in der Schule
Johann Nestroy

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Sechste Szene

Wampl. Nettchen.

Wampl (seinen Ideengang verfolgend). Seine Reden haben was zu bedeuten!

Nettchen (erschreckend). Wie –?! Sie haben gehört, bester Vater –?

Wampl. Jedes Wort, welches der Intendant hat fallen lassen, hat der Amtsschreiber mir hinterbracht.

Nettchen. Ich bin so überrascht, so erfreut, Sie einmal voll froher Hoffnungen zu sehen.

Wampl. Ich war ein Narr mit meinen Ängsten! Schon daß man mein Gesuch um Zulag' zwölf Jahr' hat liegen lassen, schon das hat etwas zu bedeuten gehabt. Man hat nur die Gelegenheit abgewartet, rasche, energische Schritte zu tun! (Nach der Mitteltüre horchend.) Ich glaub' – richtig, er kommt! Geh hinein, Tochter, mach' mich auf eine Viertelstunde kinderlos!

(Nettchen geht in die Seitentüre rechts ab.)

Siebente Szene

Wampl. Dazu Herr von Wichtig und Stanislaus.

Wampl (die Mitteltür respektvoll öffnend). Was seh' ich? Glück und Ehre treten, als Wirtschaftsintendant personifiziert, über meine Schwelle.

Wichtig (tritt, Stanislaus an der Hand führend, zur Mitte ein). Herr Schulmeister –! (Zu Stanislaus.) So laß dich nicht so ziehn, Pursche!

Wampl. O, es ist immer gut, wenn Kinder sich ziehen lassen, es kommen nur zu viele ungezogene hieher!

Wichtig (mit leisem Kopfnicken, sich zu einem süßsauren Lächeln zwingend, welche Nuance sich bei jeder ähnlichen Stelle wiederholt). Sind sehr freundlich, Herr Schulmeister! Im Vertrauen, ich habe Ihnen nur ein Wort zu sagen.

Wampl (sich verneigend). Ein Wort aus Ihrem Munde, und man hat genug!

Wichtig (ärgerlich). Aber, Stanislaus, wenn du nicht zu weinen aufhörst –!

Wampl (mit einschmeichelndem Tone). Warum weint denn mein Stanisläuschen?

Stanislaus. Weil ich in die Schul' gehn muß.

Wichtig (zu Stanislaus). Wirst du still sein!

Wampl. Er weint, weil er noch vieles zu lernen hat, möchte gern schon alle Wissenschaften absolviert haben, jedenfalls ein höchst lobenswerter Ehrgeiz!

Stanislaus. Spielen möcht' i!

Wichtig (leise, aber grimmig zu Stanislaus). Pursche –!

Wampl. Es gibt sehr nützliche Spiele für die Jugend, und es gereicht dem lieben Stanislaus zur Ehre, daß er so viel Sinn für das Nützliche hat.

Wichtig. Sind sehr freundlich, Herr Schulmeister! Sind Sie also doch im ganzen zufrieden mit ihm?

Wampl. Unendlich, ausgezeichnet, wie könnt' ich anders!?

Wichtig. Wie steht es mit der Handschrift?

Wampl. Gut – sehr gut – wenn erst einige Leserlichkeit eingetreten sein wird, exzellent!

Wichtig. Und mit der Geographie?

Wampl. Vortrefflich! Die fünf Erdteile hat er sich vollkommen zu eigen gemacht! Was braucht so ein junger Mensch mehr als fünf Weltteile?

Wichtig. Und mit der Naturgeschichte –?

Wampl. Ausgezeichnet! Im Tierreich is gar keiner so zu Haus wie er!

Wichtig. Aber das Rechnen, das Rechnen –!?

Stanislaus. Ich rechne alle Tag' und zähl' die Minuten, bis d' Schul' aus is!

Wampl. Brav, Stanislaus; Sie sind also im Geiste immer der Schule um eine Stunde voraus! (Zu Wichtig.) Der überflügelt uns noch alle!

Wichtig. Sind sehr freundlich!

Wampl. Übrigens gehört das mehr in unser Bereich. Wenn die Jugend schon berechnen wollte, was hätten denn dann die Alten voraus?

Wichtig (zu Stanislaus). Bedank' dich doch, (leise) du Stock!

Stanislaus. Fürs Schulgehn, da bedank' ich mich schon lang'!

Wampl. Witzig ist er auch! Ja, dieser Stanislaus ist wirklich ein Genie!

Wichtig. Oh –! Ich wollte Sie nur fragen, im Vertrauen, ob er bei der bevorstehenden Preisverteilung Hoffnung hat.

Wampl. Wie können der Herr Intendant zweifeln?

Wichtig. Ich dachte nur – die Vaterliebe macht für gewisse Mängel etwas blind!

Wampl. Und die Gerechtigkeit muß ex officio stockblind sein! Die Allegorienerfinder haben ihr die Augen verbunden – warum? Damit sie nicht sieht, wohin sich die Waagschale neigt, und 'reintun kann, was sie will.

Wichtig. Sind abermals sehr freundlich.

Stanislaus. Ich bitt' –

Wichtig (zu Wampl). Ich kann also drauf bauen und (mit geheimnisvoller Wichtigkeit einen gesiegelten Brief hervorziehend) diesen Brief absenden? Herr Wampl, es steht Ihnen eine große Überraschung bevor!

Wampl (mit großer Spannung). Etwa gar – in bezug – betreffenderweise anbelangend –?

Wichtig. Noch darf ich nichts sagen, aber –

Wampl (entzückt). In diesem »Aber« liegt eine Welt von Aussichten –!

Stanislaus. Herr Schullehrer, ich bitt' –

Wampl (zu Stanislaus). Was wünschen der kleine Herr Wirtschaftsintendant?

Stanislaus. Ich möcht' ausg'stoßen werd'n!

Wichtig. Stanislaus, du wirst eine Ohrfeige –

Wampl. Bitte gehorsamst, das ist Bescheidenheit, er will den minder Talentierten nicht im Wege stehn!

Wichtig. Der Herr Magister sind so freundlich –

Wampl. Nur pflichtschuldige Devotion!

Wichtig. Wenn Sie erst meinen Jüngsten sehen sollten –

Wampl (mit erkünsteltem Staunen). Er wird doch den Stanislaus nicht übertreffen?

Wichtig. Bei weitem, sag' ich Ihnen!

Wampl. Ja, wenn das so fortgeht, dann müssen ja die noch zu Erwartenden reine Phänomene werden!

Wichtig. Herr Magister sind gar zu freundlich! Nun leben Sie wohl, der Brief wird abgesendet, und Sie werden ungemein überrascht sein über die bevorstehende Überraschung! Nun komm, Stanislaus!

Stanislaus (freudig hüpfend). Ja, gehn wir! Gehn wir fort!

Wampl (den Wirtschaftsrat hinauskomplimentierend). Welch lebhafter Geist in diesem herrlichen Knaben!

(Wichtig und Stanislaus gehen zur Mitte ab.)

Achte Szene

Wampl. Dann Nettchen.

Wampl (allein). Schulmeister sein, ein riegelsamer Mann sein und den Stanislaus nicht beuteln, da gehört was dazu!

Nettchen (aus der Seitentüre rechts kommend). Nun, lieber Vater, er ist fort – aber Sie sind so in Aufregung –?

Wampl. Hoffnung – Freud' – Aussicht – Macht der Verhältnisse –

Nettchen. Ach, das ist schön!

Wampl. An der Macht der Verhältnisse is eben nichts Schönes! Der Stanislaus muß ein Prämium kriegen!

Nettchen. Nun, so gibt man dem dummen Buben eins!

Wampl. Das is eben die Schwierigkeit! Er is ein dummer Bub, und ich bin ein gerechter Mann – da schaut kein Prämium heraus!

Nettchen. Vielleicht eifert es ihn für die Zukunft an!

Wampl. Das is wahr, so geht's! Als der faulste Bub in der ganzen Schul' hat er die meiste Aneiferung nötig!

Nettchen. Man könnte ihm in dieser Beziehung mehr als ein Prämium geben.

Wampl. Du hast es abermals getroffen! Prämium für die Geographie – extra für die Geschichte – extra für die Sprachlehr' – separat für die Rechenkunst – ganz apart für die Naturlehr' und insbesondere für die gute Aufführung.

Nettchen (überlegend). Und die bekäme alle –?

Wampl. Alle der Stanislaus!

Nettchen. Und was kriegen denn die andern?

Wampl. Die kriegen gar nix!

Nettchen. Damit werden sie nicht zufrieden sein!

Wampl. Dann kriegen sie Schläg'!

Nettchen. Dann werden sie erst recht weinen!

Wampl. Sollen sich trösten! Alles geht vorüber, in hundert Jahren sind ganz andere Buben auf der Welt!

Nettchen. Aber die Gerechtigkeit –!

Wampl (sich hinterm Ohr kratzend). Ja, freilich, die verflixte Gerechtigkeit – hm – hm!

Nettchen. In der Sprachlehre ist der kleine Grob der beste.

Wampl. Und sein Vater, der Inspektor, lädt mich alle Sonntag' ein! Der Bub muß ein Prämium kriegen!

Nettchen. In der Geographie verdient's der Försterische Anton.

Wampl. Durch die Protektion seines Vaters verlauft sich manch herrschaftlicher Has' in meine Kuchel – 's tut's nicht ohne Prämium!

Nettchen. Des Kellermeisters Blasius und des Gärtners Peter sind im Rechnen und in der Naturgeschichte ausgezeichnet.

Wampl. Dem einen sein Vater versorgt mich mit Wein, dem andern seiner mit Erdäpfeln, da kann ich doch den Söhnen 's Prämium nicht entziehn!

Nettchen. Für die gute Aufführung allenfalls, um ihn anzuspornen –

Wampl. Wen? Den Stanislaus spornen? Gereitgertert werden, das wär' ihm am g'sündesten.

Nettchen. Auf die Art fiele der Stanislaus ganz durch.

Wampl. Das darf wieder aus intendantischen Rücksichten nicht g'schehn. Mir wird der ganze Kopf konfus! – Wieviel Bücher hat der gnädige Herr zur Preisverteilung geschick0

Nettchen. Vierundzwanzig.

Wampl. Und Schüler haben wir –?

Nettchen. Fünf in der obern Abteilung, dreizehn in der untern.

Wampl. So kriegt der Stanislaus sechs Bücher, einer zwei, die andern jeder eins, so is ihnen 's Maul g'stopft.

Nettchen. Einer sollte aber doch ganz durchfallen.

Wampl. Hast recht, es is wegen dem abschreckenden Beispiel.

Nettchen. Aber welcher?

Wampl. Der Willibald, der Gassenbub! Seine geizige Mutter hat ohnedem noch nie –

Nettchen. Ich glaube, die Schüler kommen schon!

Wampl (auf die Uhr sehend). Ja, es is Zeit, der Vortrag beginnt! Bring' mir meinen Kaffee!

(Nettchen geht Seitentüre rechts ab.)

Neunte Szene

Wampl. Dazu Franz Rottmann, die Schulknaben; darunter Blasius Pichler, Sebastian Grob, Peter Petersil, Anton Waldfuchs und Stanislaus.

(Während dem folgenden Chor treten die sämtlichen Schulknaben, von Franz geführt, paarweise zur Mitte ein und marschieren am Katheder vorüber.)

Chor
(nach der Melodie des »Vielka«-Marsches)
Die Knaben in die Schule gehen müssen,
    Sonst wissen
Sie nix; wir nehmen uns vor dem Examen
    Zusammen,
    Die Köpfe fast zerspringen,
    Denn es muß gelingen,
    Weisheit hineinzubringen
    Und Gelehrsamkeit!

(Zum Schluß des Chores haben sich alle im Vordergrunde aufgestellt.)

Stanislaus (zankend zu Peter Petersil). Was drängst du vor? Mein Vater is Wirtschaftsintendant!

Peter Petersil. In der Schul' is ein Bub' wie der andere.

Franz. Was habt ihr denn?

Stanislaus (zu Peter). Ich bin ein junger Herr!

Peter Petersil (ihn höhnend). Oi!

Stanislaus. Herr Magister, der Peter Petersil spott't mich aus!

Wampl (welcher während dem Eintreten der Schüler schon gravitätisch das Katheder bestiegen). Petersil, ich sag' Ihnen zum letzten Mal –

Mehrere Schüler. Der Peter hat garnix getan!

Wampl. Ruhig, meine Herren Jünglinge! Setzen Sie sich ordentlich auf Ihre Plätze!

(Die Schüler steigen trotz den Bemühungen des Aufsehers lärmend über die Bänke auf ihre Plätze.)

Peter Petersil (während dem Tumult schreiend zu Blasius). Obs d' weiter gehst! Das is mein Platz!

Anton Waldfuchs. Der Bumlische Hansi steigt mir auf 'n Kopf!

Mehrere Schüler (untereinander). Wennst nicht aufhörst, ich schlag' zu! – Weiter da! – Der gibt kein' Fried'!

Franz (strenge). Wird jeder hingehn, wohin er gehört?

Wampl. Aber, meine Herren Jünglinge, was sind Sie denn für Buben! (Mit dem Lineal aufs Katheder klopfend.) Still!! Jetzt wollen wir verlesen. Ich sehe schon wieder einige, die nicht da sind. (Verlesend.) Franz Rottmann!

Franz. Hier!

Wampl. Das versteht sich von selbst! Wär' nicht übel, wenn der Aufseher Schul' stürzen ging'! (Verlesend.) Stanislaus Wichtig!

Stanislaus (unwillig und halb weinend). No freilich, ich bin ja eh da!

Wampl (in sehr freundlichem Tone). Weiß es, junger Herr, habe gleich beim Eintritt das Vergnügen gehabt zu bemerken – der Herr Papa immer wohlauf?

Stanislaus. Von was sollt' er denn krank worden sein in der halben Stund'?

Wampl. Freut mich ungemein! – (Verlesend.) Anton Waldfuchs!

Anton Waldfuchs. Hier!

Wampl (verlesend). Peter Petersil!

Peter Petersil. Hier!

Wampl. Schreien Sie nicht so!

Stanislaus (gähnt).

Wampl. Der junge Herr Wirtschaftsintendant scheinen nicht gut geschlafen zu haben! – Was ich sagen wollte – (zu Peter) geht Ihre Frau Mutter schon wieder aus?

Peter Petersil. Gestern hat sie den Vatern aus 'n Wirtshaus g'holt.

Wampl. Das gehört nicht hieher! Wir sind nicht hier, um Diskurse zu führen. – Ist also immer wohlauf, mein werter Freund Petersil?

Peter Petersil. Blau is er auf ein' Aug', heut' fruh haben sie sich erst wieder versöhnt.

Wampl. Still! Hier ist unser Zweck –

Anton Waldfuchs (gähnt).

Wampl. Was gähnen Sie denn?

Peter Petersil (gähnt).

Wampl (zu Peter). Und Sie auch? Das werd' ich mir verbieten.

Peter Petersil. Ich kann nix davor.

Anton Waldfuchs. Ich auch nicht.

Peter Petersil. Der Stanislaus gähnt immer, (gähnend) und wenn man einen gähnen sieht, so muß man mitgähnen.

Wampl. Leere Ausrede! Wer hat Ihnen das gesagt, daß man – (gähnt) mitgähnen muß?

Die Schüler (lachend). Der Herr Magister gähnt auch!

Wampl (drohend). Wie sich einer un – (gähnt) tersteht –

Die Schüler (lachen). Hahahahaha!!

Wampl (ärgerlich). »Silentium!« hab' ich gesagt, Ruhe –!

Peter Petersil. In Thüringen –

Wampl (entrüstet). Welche Keckheit! Peter, ich werde Sie –

Peter Petersil. Ich lern' Geographie.

Wampl. Ja so! (Im Verlesen fortfahrend.) Sebastian Grob!

Sebastian Grob. Hier!

Wampl (verlesend). Willibald Schnabel!

Peter Petersil (mit verstellter Stimme). Hier!

Wampl. Wo sind Sie? Ich seh' Sie nicht.

Peter Petersil (wie oben). Hier!

Wampl. Ein anderer hat für ihn geantwortet – wer war's?

Stanislaus (aufzeigend). Der Peter Petersil hat »Hier!« g'sagt.

Wampl. So? (Zu Peter.) Sie schreiben drei Seiten Strafe aus der Sprachlehre!

Peter Petersil (drohend zu Stanislaus). Wart', Aufstecherl!

Stanislaus (aufzeigend). Der Christoph Ries is auch nicht da! Ich verrat' alles, justament!

Wampl (zu Stanislaus). Kultivieren Sie dieses schöne Talent! Der Christoph und der Willibald sollen ihrer Strafe nicht entgehn.


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