Johann Nestroy
Die schlimmen Buben in der Schule
Johann Nestroy

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Zehnte Szene

Frau Schnabel. Willibald. Die Vorigen. Dann Christoph Ries.

Frau Schnabel (Willibald hereinziehend). Nur da herein, du Taugenichts!

Wampl (ärgerlich, für sich). Kommt mir die auch noch über den Hals!

Frau Schnabel. Herr Magister, da bring' ich das ungeratene Kind, welches seiner Mutter nur Kummer und Ärger macht.

Wampl. Und mir Gall' und Verdruß – o, dieser Willibald! –

Frau Schnabel. Während ich glaub', er sitzt in der Schul' und lernt, find' ich ihn am Gartenzaun des Herrn Wirtschaftsintendanten Birn' stehlen.

Wampl. Entsetzlich! Stehlen überhaupt – Verbrechen! Birn'stehlen – extra Baumfrevel! Obrigkeitliches Eigentum – crimen laesae!

Willibald. Birnen, welche sich die Freiheit nehmen, über die Umzäunung hinauszuhängen, sind eine herrenlose Sache, und jeder vorübergehende Bube kann Herr derselben werden. Das hat mir einer gesagt, der das ganze corpus juris in Leib hat g'habt. Birnen überhaupt sind ein Gemeingut, denn sie sind ein gemeines Obst, gut sind sie aber deswegen doch auch, folglich sind sie ein Gemeingut, und folglich hab' ich sie nicht gestohlen.

Frau Schnabel. Und ich wollt' nix sagen, wenn sie schon zeitig wären; aber halb unreif! G'sundheit und Leben setzt so ein Bub aufs Spiel! (Hält dem Magister ein Tüchel hin, in welchem Birnen eingebunden sind.)

Wampl (ist vom Katheder herabgekommen, nimmt die Birnen in Empfang und kostet eine). Noch etwas hart, nicht saftig. Ich werde sie chemisch dünsten lassen. (Legt den Bündel aufs Katheder.) Solches Obst ist wahres Gift für die Jugend.

Willibald. Warum nicht gar Gift! Der Herr Magister sind nicht der Doktor Orfila, nur der hat das Privilegium, in jedem Glenkas Gift zu finden.

Wampl. Werden Sie schweigen!?

Frau Schnabel (zu Willibald). Kecker Fratz! Übrigens (zu Wampl) war er's nicht allein, der Christoph Ries war auch dabei!

Christoph Ries (ein sehr kleiner Junge, schleicht sich zur Mitteltür herein).

Willibald. Der Ries hat mich dazu verführt!

Stanislaus (Ries verratend, welcher sich ungesehen in seine Bank schleichen wollte). Da is er! Herr Magister, der Ries is da!

Wampl (grimmig). Wo ist dieser entsetzliche Ries? Dieser –! (Ihn hervorziehend.) Her da, Rädelsführer!

Christoph Ries. Ich kann nix davor, der Willibald –

Wampl (zu Christoph). Sie werden hier knien, sich selbst zur Straf' und für alle andern zum schauderhaften Exempl!

Christoph Ries (im Vordergrunde kniend). Wann's nicht anders is –

Wampl. Und der Willibald als der Verführte steht eine Stunde heraus!

Frau Schnabel (zu Willibald, der sich neben den knienden Ries hinstellt). Siehst du, so geht's, wenn die Kinder unfolgsam sind.

Christoph Ries (nimmt aus der Schultasche Birnen, ißt davon und verteilt an die zunächst Sitzenden).

Wampl (zu Stanislaus). Der liebe Stanislaus werden es dem Herrn Papa rapportieren, wie sehr mir das Beste seines Obstes am Herzen liegt.

Frau Schnabel. So eine Aufführung gerad' die Tag' vor der Preisverteilung!

Willibald (zupft Ries an den Haaren).

Christoph Ries (Willibald mit der Faust ins Knie stoßend). Wirst ein' Fried' geben!

Frau Schnabel (vertraulich zu Wampl). Unter uns gesagt, Herr Magister, ein g'scheiter Bub is er doch, ein pfiffiger Kopf!

Wampl. Wer? Ihr Willibald?

Frau Schnabel. Und ich hoffe, Sie werden ihm die heutige Sittennote bei der Preisverteilung nicht entgelten lassen!

Wampl. Was? Ich glaub' gar, die Frau macht sich Hoffnung –?!

Frau Schnabel. Na, soll er etwan keinen Preis kriegen? Für was zahl' ich denn 's Schulgeld?!

Willibald (zupft Ries an den Haaren).

Christoph Ries (stoßt mit der Faust nach Willibald wie oben). Wirst aufhör'n?!

Willibald. Der Ries stoßt mich!

Wampl. Für so einen ungezogenen Bengel einen Preis!?

Frau Schnabel. Den Preis kriegt er fürs Lernen!

Wampl. Mit 'n Patzenferl kann er 'n haben!!

Willibald (zupft den Ries an den Haaren).

Christoph Ries (stoßt wie oben den Willibald). Ich sag's dem Herrn Magister!

Willibald (verklagend). Der Ries stoßt mich!

Wampl (zu Christoph). Ja, was is denn das?! Mitten in der Straf' geben Sie noch keine Ruh'?

Christoph Ries. Der Willibald –

Wampl. Das sind ja abscheuliche Jünglinge!

Christoph Ries. Er reißt mich immer!

Willibald. Der Ries hat ang'fangt!

Wampl (zu Willibald). Wie können Sie sich unterstehn –?

Willibald. Ich riß ihn, den Ries, weil er mich stieß, ich tat es aus Notwehr, und Notwehr ist eine erlaubte Handlung.

Frau Schnabel. Sehn Sie, zu antworten weiß er halt doch!

Wampl. Ein vorlauter Bub is er, der gar nichts weiß, das will ich der Frau gleich beweisen! In Ihrer Gegenwart werd' ich ihn examinieren.

Frau Schnabel. Gut, da wird sich's zeigen –

Wampl (zu Willibald, indem er das Katheder besteigt). Her da vors Katheder und geantwortet auf meine Fragen!

Frau Schnabel (zu Willibald, der vors Katheder tritt). Laut und couragiert! Zeig', daß du mein Sohn bist!

Wampl. Zuerst aus der Naturlehre! Wie nennt man alles Erschaffene mit einem Namen?

Willibald. Man nennt es die Natur, und deswegen kann es auch keine Kunst gewesen sein, alles zu erschaffen, denn wenn es ein Kunstwerk wäre, so wär' es keine Natur!

Wampl. Keine Absprünge! Was versteht man unter dem Ausdruck »Firmament«?

Willibald. Man versteht darunter den leeren Raum über uns.

Wampl. Gefehlt! In der Natur gibt es keinen leeren Raum.

Willibald. Man war lange Zeit der Meinung, daß es in der Natur gar keinen leeren Raum gäbe. Diese Behauptung jedoch wurde durch verschiedene Menschenköpfe widerlegt, in denen sich ganz leerer Raum vorgefunden. Auch hört man die Theaterdirektionen, namentlich im Sommer, sehr häufig über leere Räume klagen!

Wampl. Reden Sie nicht so albern! – Was ist die Erde?

Willibald. Ein Himmelskörper, auf dem die Unglücklichen ein höllisches Leben haben.

Wampl (ärgerlich den Kopf schüttelnd). Was ist der Mond?

Willibald. Auch ein Himmelskörper.

Wampl. Wissen wir, ob der Mond ebenfalls von Geschöpfen bewohnt wird?

Willibald. Der Mond ist von Geschöpfen bewohnt.

Wampl. Wir vermuten es, aber wir wissen es nicht.

Willibald. Ich weiß es, denn im Mond werden auch Häuser gebaut. Die Meteorsteine nämlich sind nichts anderes als Lunar-Ziegeln, welche uns unvorsichtige Mond-Maurer auf d' Nasen fallen lassen. Ferner wissen wir auch, daß die Mondgeschöpfe viel größer sind als die bei uns. Zum Beispiel, ein Mondkalb is schon ein enormes Viech, während ein irdisches Kalb nur von mittlerer Größe ist.

Wampl. Sie sind selbst ein – ich mag mich nicht ärgern! – Zur Mathematik! Wieviel Rechnungsarten gibt es?

Willibald. Es gibt verschiedene Rechnungsarten. Die leichteste ist die algebraische, da schreibt man nur überall darunter: »Gleich x«, und es is nie g'fehlt, weil »x« jede unbekannte Zahl ausdrückt: »x« ist nämlich die Abkürzung von: »Schmeck's!«

Wampl. Keine Allotria! Kann man ungleichnamige Größen miteinander multiplizieren?

Willibald. Das kann man nicht.

Frau Schnabel (leise zu Willibald). Warum nicht? Zeig' justament, daß du alles kannst!

Willibald (zu Wampl). Man kann es.

Wampl. So? Also multiplizieren Sie mir siebzehn Pfund mit drei Ellen, was kommt denn da heraus?

Frau Schnabel (leise zu Willibald). Rasch antworten, er weiß's selber nicht.

Willibald (zu Wampl). Siebzehn Pfund, multipliziert mit drei Ellen, das macht netto sechs Kilogramm, dreizehn Hektoliter, achtundzwanzig Millimeter, zweieinhalb Gallonen, sechs Yards.

Wampl. Sie wissen gar nichts!

Willibald. Rechnen S' nur nach!

Wampl. Jetzt die Weltgeschichte! Wie wird selbe eingeteilt?

Willibald. Die Weltgeschichte teilt man ein in die alte und in die neue. Beide unterscheiden sich wesentlich voneinander. Wien, zum Beispiel, war vor zweitausend Jahren eine kleine römische Stadt, hatte wohl römische Kultur, aber noch keine Vorstädte. Spittelberg, Liechtental, Hundsturm und Lerchenfeld wurden erst in den Zeiten der Aufklärung hinzugebaut. – In der alten Geschichte hat Wien »Vindobona« geheißen, und Vasen und Urnen hat es in Überfluß gegeben. In der neuen Geschichte heißt es »Wien«, und Heferln, Reindln und Schaffeln werden auf'n Stephansplatz verkauft. In noch älterer Zeit war Wien ein Wald, und wahrscheinlich zur Gedächtnisfeier wird jetzt noch in der Kärntnerstraßen Holz gehackt. – Überhaupt haben sich die Zeiten sehr geändert. In der alten Zeit hat es Römer und Griechen gegeben – in der neuen Zeit haben wir Salamimänner und Razen. In der alten Zeit hat es trojanische, punische und andere Kriege gegeben, an denen jeder ehrenwerte Staatsbürger teilnehmen mußte. In der neuen Zeit haben sie Federkriege, in die sich kein honetter Mensch einlassen kann. Warum aber diese neue Zeit die Zeit des Fortschrittes genannt wird, das is die einzige Frag', wo ich keine Antwort drauf weiß.

Wampl. Alles larifari! Ihre Antworten haben keine Hand und kein' Fuß.

Frau Schnabel. Wenn s' nur ein' Kopf haben!

Wampl. Zum Beschluß noch was aus der Naturgeschichte. Was ist der Mensch?

Willibald. Der Mensch is das Wesen, welches die oberste Stufe in der sichtbaren Schöpfung einnimmt, welches sich sogar für das Ebenbild Gottes ausgibt, worüber sich jedoch Gott nicht sehr geschmeichelt fühlen dürfte.

Wampl. Grundfalsch! Der Mensch ist ein Säugetier!

Willibald. Der Mensch ist allerdings ein Säugetier, denn er saugt sehr viel Flüssigkeiten in sich, das Männchen Bier und Wein, das Weibchen Kaffee. Der Mensch ist aber auch ein Fisch, denn er tut Unglaubliches mit kaltem Blut und hat auch Schuppen, die ihm zwar plötzlich, aber doch – g'wöhnlich zu spät – von den Augen fallen. Der Mensch ist ferner auch ein Wurm, denn er krümmt sich häufig im Staube und kommt auf diese Art vorwärts. Der Mensch ist nicht minder ein Amphibium, welches auf dem Land und im Wasser lebt, denn mancher, der schon recht im Wasser is, zieht noch ganz nobel aufs Land hinaus. Der Mensch ist endlich auch ein Federvieh, denn gar mancher zeigt, wie er a Feder in die Hand nimmt, daß er ein Viech ist.

Wampl. Genug! – Dritte Klass', durchaus dritte Klass'!

Frau Schnabel. Was? Mein Sohn dritte Klass'-!?

Wampl. Ich werd' ihm lernen, nach dem Schulbuch antworten!

Frau Schnabel. In der Schul' kann keiner was, und mein Sohn is grad so gut wie alle andern! Der Herr Amtmann hat recht, wenn er sagt, diese Lehrkanzel muß eingehn.

Wampl. Ich sitz' schon sechs Wochen drauf, und sie ist nicht eingegangen, folglich –

Frau Schnabel. Die ganze Schul' auf 'n Schloß wird aufgehoben!

Wampl. O, eine Schul', wo ich an der Spitze steh', hebt man nicht so leicht auf. Und der Amtmann soll das gesagt haben? Der Amtmann? Die Frau geht jetzt an der Stell' mit mir –!

Frau Schnabel. Wohin?

Wampl. Zum Amtmann!

Frau Schnabel. O, ich fürcht' mich nicht!

Wampl. Ich will ihm unters Gesicht treten, er soll mir's ins Gesicht wiederholen, denn einer Verleumderin glaub' ich nichts aufs Gesicht.

Frau Schnabel (mit steigender Heftigkeit). Was wär' ich?!

Wampl. Nur vorwärts! Drei Gesichter werden jetzt auf eine furchtbare Art konfrontiert!

(Beide geben wütend zur Mitteltüre ab.)

Elfte Szene

Die Vorigen ohne Wampl und Frau Schnabel.

(Wie Wampl und Frau Schnabel fort sind, steht Christoph Ries auf, schleicht sich zur Türe und sieht hinaus; dann eilt er mit ausgelassener Fröhlichkeit zurück.)

Christoph Ries. Is schon drunten über der Stieg'n!

Alle Schüler. Der Magister ist fort! Julieh! (Springen auf.)

Franz (aufstehend). Halt! Das geht nicht so! In Abwesenheit des Herrn Magisters hab' ich die Schule zu halten.

Willibald (zu Franz). Die Schule halten können Sie, aber die Schüler nicht!

Franz. Das werd' ich Ihnen zeigen! (Besteigt das Katheder.) Alles setzt sich auf seine Plätze nieder!

Die Schüler (setzen sich nach einem kurzen Gemurmel).

Franz. Christoph Ries! Sie sind der Schlimmste, Sie bleiben knien!

Christoph Ries (sich wieder auf seinen Platz kniend). Ich bin's schon g'wöhnt.

Franz. Richten Sie sich alle zum Diktandoschreiben!

Die Schüler (ordnen ihre Schreibtheken und Federn).

Franz. Und Sie, Willibald, setzen sich einstweilen und schreiben das Diktando mit!

Willibald. Wenn ich wollte, könnte ich auch auf meiner stehenden Strafe bestehen und –

Franz. Tun Sie, was ich Ihnen sage!

Willibald. Meinetwegen, ich will diesmal Nachsicht haben.

Franz (zu den Schülern). Schreiben Sie! (Diktiert aus einem Buche.) »Als Sokrates den Giftbecher geleert, sprach er –«

Peter Petersil (schreibend). Wir können nicht nach!

Willibald (schreibend). Sie überstürzen uns!

Franz (sehnsuchtsvoll nach der Seitentüre rechts sehend, sich vergessend). O Nettchen, Nettchen –!

Peter Petersil (halb für sich). Gehört das auch dazu?

Willibald (Franz erinnernd, weiter zu diktieren). Wir sind schon so weit!

Franz (sich sammelnd und im Diktieren fortfahrend). »mit größter Seelenruhe zu seinen Schülern –

Blasius Pichler. Wie schreibt man denn »Seele«?

Willibald. Mit »ö, h«!

Franz (wie oben, sich vergessend, indem er das Buch sinken läßt). Ach, die Liebe tötet mich noch! (Nach einer Pause sich wieder sammelnd.) Wo sind Sie geblieben?

Willibald. Bei der Liebe!

Franz. Wer erlaubt sich, Spaß zu machen? (Strenge.) Was haben Sie geschrieben?

Willibald (das eben Geschriebene vorlesend). »Als Sokrates den Giftbecher geleert, sprach er, ›o Nettchen, Nettchen‹, mit größter Seelenruhe zu seinen Schülern, ›ach, die Liebe tötet mich noch‹.«

Franz. Was –?

Willibald. Der Herr Diktator haben vielleicht –

Franz (verlegen, sich ein Ansehen geben wollend). Ich glaube gar – in Zukunft –


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