Richard Muther
Geschichte der Malerei. II
Richard Muther

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12. Die Niederländer

Quentin Massys, der »Schmied von Antwerpen«, führte in den Niederlanden die Reform durch. Er sei nur Maler geworden, erzählt die Legende, weil seine Liebe ihn als Schmied nicht heiraten wollte. Das klingt sehr unwahrscheinlich. Aber wie in allen Legenden steckt auch in dieser eine gewisse Logik. Die Menschen, die an die spitzpinselige Mache der älteren Meister gewöhnt waren und nun diese mächtigen, breit heruntergemalten Bilder sahen, mußten notwendig nach einer Erklärung für diese Stilwandlung suchen und fanden sie darin, der Schöpfer der Werke sei ursprünglich Schmied gewesen, ein Mann mit derben Fäusten und großen Bewegungen, der etwas von der Faustfertigkeit seines früheren Handwerks in seinen neuen Beruf herüber nahm.

Noch heute, wenn man im Antwerpener Museum vor seiner »Grablegung« steht, fühlt man, daß mit diesem Bild eine neue Epoche der niederländischen Kunst beginnt. Format, Komposition, Farbe – alles ist neu. Während die Früheren in ungebrochenen Farben arbeiteten, ein volles Blau, Rot, Grün unvermittelt nebeneinander setzten, macht Quentin Massys diese buntschillernde Pracht mehr einer einheitlichen Tonskala dienstbar. Nicht in Miniaturformat, wie man es früher bevorzugte, sondern in fast natürlicher Größe sind die Gestalten gegeben. Nichts Episodisches lenkt den Blick von der Hauptsache ab, sondern das Problem, das Leonardo in seinem Abendmahl gestellt – eine große Scene als einheitlich geschlossenes Drama vorzuführen – ist auch für den Niederländer maßgebend geworden. Und mit diesen psychologischen Bemühungen gehen die nämlichen formalen Bestrebungen wie bei Leonardo Hand in Hand. So verschiedenartig die Bewegungen der Figuren sind, ordnen sie sich doch streng dem kompositionellen Gefüge ein.

Auch seine anderen Werke – die heilige Sippe in Brüssel, eine Madonna in Berlin und die Pietà in München – fallen durch das große Format, die runderen Bewegungen und die breitere Zeichnung aus dem Rahmen der älteren Kunst heraus: das Bindeglied gleichsam zwischen Jan van Eyck und Rubens. Halbfigurenbilder kommen besonders häufig vor und ergaben sich mit logischer Konsequenz aus der Richtung des Meisters. Da er vom lebensgroßen Maßstab nicht abgehen wollte, ganze Figuren aber eine Riesenleinwand erforderten, hat er in allen Fällen, wo er auf kleineres Format angewiesen war, es vorgezogen, sich auf Halbfiguren zu beschränken, statt überhaupt den Maßstab zu verringern.

Seine Sittenbilder gehören gleichfalls in diese Reihe. Was Petrus Christus in seinem Eligius angebahnt, vollendete Quentin Massys. Als er 1518 den »Goldschmied und seine Frau« malte, that er im Grunde nichts, als daß er den Heiligenschein wegließ, den Christus seinem Eligius gegeben – scheinbar ein sehr geringes Verdienst und doch ein entscheidender Schritt. Denn erst damit war das Sittenbild als selbständige Gattung der Malerei anerkannt. Freilich selbst Quentin wie seine Nachfolger Jan Massys und Marinus von Roymerswaele wagten noch nicht, auf alle kirchliche Beigaben zu verzichten. Nachdem die Malerei ein Jahrtausend lang streng religiös gewesen, konnte sich nicht mit einem Schlag eine solche Verschiebung des Repertoires vollziehen. Der Künstler mußte, wenn auch zum Schein nur, einen gewissen Zusammenhang mit der Bibel wahren. Noch auf dem Bilde des Quentin Massys hat die Frau des Goldwägers, obwohl ihre Blicke am Golde hängen, ein zierliches, mit Miniaturen geschmücktes Gebetbuch in der Hand. Die folgenden vertauschten dann das Gebetbuch mit dem Rechnungsbuch. Aus dem Goldwägerehepaar wurden Sachwalter, Kaufleute, Geizhälse, Wucherer. Aber auch da ist noch ein biblischer Inhalt angenommen. Wenigstens sind dem Wiener Bilde die Worte aus dem Gleichnis vom Herrn und dem ungerechten Haushalter beigesetzt. Und namentlich: die Bilder sind nicht selbständig, sondern bilden das Gegenstück zu den ebenso häufigen Darstellungen des Hieronymus. Der Freude am Irdischen, die in den Geldwechslerbildern geschildert ist, wird in den Hieronymusbildern die Moral: alles ist eitel gegenübergestellt. Neben den Werken, die den Menschen inmitten seines Reichtums darstellen, stehen andere, die ihn an die Vergänglichkeit des Irdischen mahnen. Erst allmählich traten die Hieronymusbilder zurück und der biblische Grundgedanke der Kaufmannsbilder ward vergessen. Pfandleiher und Advokaten, von Zetteln und Akten umgeben, sitzen in ihrem Bureau und heimsen von ihren Klienten Geld und Naturalien ein. Breit ausgemalte Sittenbilder treten an die Stelle der ursprünglichen Allegorien. Auch der Ausdruck der Köpfe ändert sich. Anfangs war er gewöhnlich bis ins Leidenschaftliche verzerrt, weil eine Kunst, die sich vorzugsweise mit den pathetischen Scenen der Passion beschäftigte, unbewußt dieses Pathos in ganz einfache Stoffe aus dem Alltagsleben hineintrug. Nun macht dieses forcierte Grimassieren einer ruhigen Geschäftsmiene Platz.

Die »Schachpartie« des Lukas van Leyden ist für das pathetische Element der älteren Sittenbilder besonders bezeichnend. Die Leute gebaren sich, als seien sie nicht um einen Spieltisch, sondern um das Kreuz des Heilandes versammelt. Selbst die gestikulierenden Hände fallen auf und weisen auf einen entfernten Zusammenhang mit Leonardo. Lukas stellte sich ein ähnliches Problem wie Dürer, als er seinen Christus mit den Schriftgelehrten, und Tizian, als er seinen Zinsgroschen malte. Uebrigens ist es schwer, die Ziele dieses geistvollen, jung gestorbenen Holländers zu erkennen. Eine Reise nach Italien scheint das bestimmende Ereignis seines Lebens gewesen zu sein. Und so wenig Bilder von ihm erhalten sind, so reiche Anregungen gab er durch seine Stiche. Die durchgearbeiteten, von Gedanken durchwühlten Köpfe, die man beim Severinmeister sieht, sind schon in den Stichen des Lukas van Leyden enthalten, und durch seine sittenbildlichen Blätter – Zahnärzte, Chirurgen, Vagabunden – ebnete er späteren Genremalern, wie Ostade und Brouwer, den Boden.

Als Phantast machte ein anderer Holländer, Hieronymus Bosch, sich einen Namen. All jene fratzenhaften Gebilde, wie sie in der Zierkunst des Mittelalters, namentlich in den Steinornamenten der gotischen Dome und den Schnitzereien der Chorstühle üblich waren, wurden von ihm in die Tafelmalerei übertragen. Besonders liebt er es, wie später Teniers, Fische mit Fledermausflügeln zu versehen oder durch die Zusammensetzung von Tieren und Gefäßen monströse Mischbildungen zu schaffen. Erwartet man Phantastik in unserem Sinn, Dämonisches und Spukhaftes, ist man also bitter getäuscht. Die Bilder wirken nicht phantastisch, sondern nur burlesk, oder besser noch, sie wirken didaktisch. Schon die Form des Flügelaltars, die er ihnen giebt, ist bezeichnend. Die sieben Todsünden, das Narrenschiff, die Lust der Welt, die Versuchung des Antonius – es ist immer eine Predigt, die mit dem Sündenfall beginnt und mit der Hölle endet. Zur selben Zeit, als Luther mit dem Tintenfaß nach dem Teufel wirft, läßt Bosch die alten Teufelsvorstellungen des Mittelalters ausklingen. In einer Zeit, als Schlemmerei und wilde Sinnlichkeit auf die Fleischabtötung von früher gefolgt war, schwingt er, wie später Hogarth, den derben Knüttel der Moral, übt die Kunst »in Farben aufzuhängen«, malt die nämlichen Kapuzinerpredigten, wie sie Sebastian Brant, Geiler von Kaisersperg und Thomas Murner ihren Hörern hielten.

Sonst hat auch er wie Quentin Massys gern biblische Scenen in Halbfigurenbildern gemalt, in denen er als scharfer, boshafter Physiognomiker erscheint. Seine Kupferstiche – die Gefräßigkeit, die Geldgier, die Trunksucht – sind weitere Beispiele dafür, wie unter allegorischem Mantel das Sittenbild sich herauswagt. Namentlich Themen, wie der Tanz der Krüppel, die chirurgische Operation und der Quacksalber wurden bald auch in der Malerei beliebt.

Für die Anfänge der Landschaftsmalerei sind Hendrik Bles und Joachim Patinir wichtig. Beide verbrachten ihre Jugend an den malerischen Ufern der Maas, wo bewaldete Berge mit grünen Wiesen und welligen Thälern wechseln. Hier empfingen sie für ihre Kunst die entscheidenden Eindrücke. Zwar den großen Schritt, ausschließlich Landschafter zu sein, konnten sie noch nicht thun. Wie in den älteren Sittenbildern mußte in den Landschaften das religiöse Element noch gewahrt bleiben und durch seine Anwesenheit die Neuerung entschuldigen. Aber man fühlt doch, daß, während sie Biblisches malten, das Herz der Maler wo anders war. Selbst für die Wahl der Stoffe ist der landschaftliche Gesichtspunkt maßgebend. Der heilige Hubertus, der vor dem wunderbaren Hirsch ins Knie sinkt, die Vision des Johannes auf Patmos, die Flucht nach Aegypten, die Anbetung der Könige sind fast die einzigen Themen und ihrerseits nur Vorwand, eine reiche Waldlandschaft zu schildern.

Namentlich Henry met de Bles ist ein interessanter Maler, oft manieriert in seinen spindeldürren, langaufgeschossenen Figuren, doch gerade wegen dieses Manierismus von sehr apartem Reiz. Ein Antwerpener Bild ist besonders merkwürdig, weil er darauf in ganz moderner Weise schon eine Natur darstellt, die im Dienste des Menschen arbeitet. Man sieht im Vordergrund eine belebte Straße mit Walzwerken, Hochöfen und einer Schmiede, wo Arbeiter hämmern, dahinter Felsen mit einer Burg und in der Ferne die von Schiffen belebte See. Ein Mann führt ein Pferd, auf dem eine Frau mit einem Kinde sitzt. Diese nebensächliche Gruppe deutet allein den Gegenstand des Bildes, die Flucht nach Aegypten, an.

Patinir, den Dürer schon »den guten Landschaftsmaler« nennt, arbeitete im nämlichen Sinn, nur daß er mehr Details zusammenhäuft. Teils war dieses Zusammentragen von Einzelheiten eine Folge jugendlicher Begeisterung. Da das Metier des Landschafters noch nicht anerkannt war, hielt man für nötig, durch Übertreibung der Formen, durch Zusammenschieben und Anhäufen die Natur interessanter zu machen, als sie wirklich ist, glaubte ihr desto mehr Freunde werben zu können, wenn man sie in reichem sonntäglichem Aufputz zeigte. Anderenteils äußert sich darin noch derselbe realistische Zug, jenes Streben nach Richtigkeit, von dem schon Bouts ausging. Da es sich um biblische Scenen handelte, suchte man dafür die passende Landschaft zu erfinden, die gerade deshalb, weil sie den Charakter eines fernen Landes wiedergeben sollte, nicht der heimatlichen Wirklichkeit entsprechen durfte. Und da noch keiner der Maler in das heilige Land gekommen war – das gelang erst einige Jahre später Jan Scorel –, so behalfen sie sich damit, ihre heimatliche Natur phantastisch zuzustutzen, aus gegebenen flandrischen Naturmotiven Phantasielandschaften zusammenzusetzen. Die üppigen Baumkronen, weiten Flußthalperspektiven, Dünen und Meereshorizonte der Heimat wurden vergrößert, vermehrt, mit schroffen Felszacken und wilden Alpenhöhen verbunden, weil man glaubte, den Bildern dadurch ein biblisch-orientalisches Gepräge zu geben.


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