Richard Muther
Geschichte der Malerei. II
Richard Muther

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6. Crivelli

Wie der Beginn des 15. Jahrhunderts den leisen Ausklang des Mittelalters bedeutete, leben am Schlusse des Jahrhunderts alle mittelalterlichen Stile noch einmal in raffinierter Verfeinerung auf. Statt vorwärts zu gehen, blicken die Künstler rückwärts. »Le moyen-âge énorme et délicat« ist ihre geistige Heimat.

Besonders deutlich zeigen sich die reaktionären Tendenzen in Venedig. Die neue kirchliche Strömung, die durch die Epoche ging, ermöglichte dort den Malern, nicht nur in konservativer Starrheit an den Idealen der Frühzeit des Quattrocento festzuhalten, sondern noch einmal die düstere Majestät altbyzantinischen Stiles heraufzubeschwören. Bartolommeo Vivarini, obwohl er bis 1499 lebte, mutet in seiner strengen Herbheit wie ein Paduaner aus den Tagen Squarciones an. Starr, in getrennten Abteilungen wie auf Squarciones Altar, stehen die Figuren da. Die marmornen Stufenthrone sind mit Engelstatuetten und Steinornamenten, mit Frucht- und Blumenguirlanden überreich geschmückt. Hart und asketisch sind die Gestalten der Heiligen, vergrämt oder grimmig ernst ihre Züge, von tiefen Falten durchfurcht die mächtigen Stirnen. Düster und drohend wirkt die Farbe, diese weißen, schwarzen und gelben Draperien, die grell aus goldenem Hintergrund aufleuchten.

Und Carlo Crivelli scheint überhaupt nicht ins Quattrocento, sondern in die vorgiotteske Zeit, in die Tage Cimabues zu gehören. In »A rebours« findet sich eine Stelle, wie Des Esseintes den Panzer einer Schildkröte mit einer Goldglasur überziehen und mit seltenen und kostbaren Steinen einlegen läßt. Dann setzt er sie auf einen orientalischen Teppich und freut sich an dem glitzernden Farbenfleck. Carlo Crivellis Bilder gleichen dieser vergoldeten Schildkröte. Sie wirken widerlich und köstlich, abstoßend und verwirrend zugleich in ihrer funkelnden metallischen Pracht und eisigen, krötenhaften Kälte. Wie die Mosaicisten des Mittelalters kann er die Malerei sich nicht vorstellen ohne glänzenden Aufwand reicher Ornamente, die er – Schlüssel und Kronen besonders – in dickem Reliefstil aufsetzt. Wie die Mosaicisten berauscht er seine Augen an dem Schillern der Stoffe, an dem Funkeln der Edelsteine, an ganz barbarischer materieller Pracht. Die dreifache päpstliche Krone tragen seine Heiligen, mit kostbaren Steinen sind ihre Kleider besetzt, eine Ornamentik von betäubendem Reichtum ziert den Rahmen. Doch es genügt ihm nicht, griechische Kirchenstolen, Meßgewänder aus Goldstoff und brokatene Chormäntel aufzuhäufen, die Bischofsstäbe seiner Heiligen mit durchsichtigen Perlen von gläsern scharfem Glanz zu besetzen. Selbst da wo sie gar nicht hingehören, am Sarkophag Christi, sieht man Teppiche und wunderliche Steine, Smaragde und Rubinen, Topase und Amethysten in kaltem Glanze da blaurot, da meergrün flimmern. Wie die Diamanten liebt er die glitzernden Erzeugnisse der Goldschmiedekunst, den Zauber schlanker Kelche und Hostiengefäße, Monstranzen aus vergoldetem Kupfer in byzantinischem Stil, seltsame Messer mit elfenbeinernem in Perlmutter eingelegtem Griff, kostbare Meßtafeln mit gravierten Ornamenten und alte silberbeschlagene Quartanten. Selbst das bunte Gefieder der Vögel muß beitragen, den Glanz der Bilder zu steigern, Pfauen namentlich, deren Schweif gold und grün, blau und silbern schillert.

Ebenso mittelalterlich wie die barbarische Farbenpracht wirkt die archaisierende Zeichnung. Steif wie bei Cimabue ist die Haltung seiner Madonnen, blaß und leichenhaft die Farbe ihres Gesichtes. Magere Arme, nackt bis zum Ellbogen, dürre schmale Hände strecken sich aus den Aermeln hervor. Während auf anderen Altarwerken der Zeit die Stifter groß inmitten des Hauptbildes knieen, geht Crivelli auf die mittelalterliche Sitte zurück, sie außerhalb der Komposition als Pygmäen anzubringen.

Unvermittelt neben diesen byzantinischen Dingen stehen paduanische und umbrische Elemente. Er klingt an Gentile da Fabriano an in der Süssigkeit, die er manchmal seinen Madonnen giebt. Er berührt sich mit den Mystikern des Trecento, wenn er symbolisch – durch eine Angel in der Hand – das Christkind als Menschenfischer kennzeichnet. Selbst einen niederländischen Zug glaubt man zu bemerken in der Art, wie er Kannen und Leuchter, Teller und Gläser, Teppiche und Kissen, Flaschen und Vasen zu ganzen Stillleben aufbaut. Paduanisch, an Schiavone und Zoppo anklingend, sind seine harten Kindertypen und seine vergrämten alten Frauen. Paduanisch sind die schweren Guirlanden, die über den reichen steinernen Thronen schweben, die großen Pfirsiche und starren Blumen, die er auf dem Boden verstreut. Paduanisch wirkt das Pathos, das durch seine Darstellungen der Pietà geht. Heulende Megären werfen sich wild schreiend über den Leichnam, einen halbverwesten, faulenden Körper, dessen Haut wie Leder über den Rippen hängt. Dicke Thränen laufen über die Backen der Engel. Von krampfhaftem Schmerz sind noch im Tode die Finger und die Züge des Heilandes verzerrt.

Doch gerade in solchen Bildern, wo er pathetisch klagt, zeigt sich desto mehr seine grausame Kälte. Obwohl er die ganze Skala der Empfindungen von rasendem Schmerz bis zu süßlicher Verzückung durchläuft, wirkt seine Kunst kalt wie Eis. Mögen seine Heiligen in morbider Grazie ihre Lippen verziehen oder in groteskem Jammer heiße Thränen weinen, seine Werke behalten das Juwelenartige, Versteinerte des mittelalterlichen Mosaikstils. Starr, wie ausgegrabene Leichen blicken die Männer drein. Kalt und klar ist der Blick der Frauen mit ihren stahlblauen toten Fayenceaugen. Selbst die Thongefäße, die er ringsum anhäuft, und die Landschaften, über die ein so seltsames grünlich silbernes Licht sich breitet, – wüste, bleiche, durchwühlte Landschaften – verstärken noch die kalte leichenhafte Wirkung. Nur in der koloristischen Verfeinerung, in der raffinierten Art, wie er alte Nuancen aufnimmt und zu neuen Accorden verbindet, außerdem in der gewundenen Zierlichkeit, mit der seine Frauen ihre blassen, nervösen Hände, ihre dünnen Spinnenfinger ausstrecken und biegen, verrät sich der Spätgeborene, für den dieser archaische Stil nicht der natürliche, sondern ein künstlicher war, den er aus bewußter Gourmandise wählte.

Man versteht auch, weshalb gerade Crivelli berufen war, diese seltsame Wiederausgrabung des Mittelalters ins Werk zu setzen. Crivelli war ein sehr vornehmer aristokratischer Herr. Als 1490 Ferdinand von Neapel ihm die Ritterwürde verlieh, scheint er diese Auszeichnung als das wichtigste Ereignis seines Lebens betrachtet zu haben. Denn er stellt nun den heiligen Sebastian als Ritter dar und unterzeichnet sich immer als Eques. Lebte er heute, so würde er sicher nicht zur Fortschrittspartei, sondern zur äußersten Rechten gehören. So war er in diesem konservativen Venedig der konservativste, reaktionärste von allen, setzte sich in den Kopf, wenigstens draußen auf dem Lande, in all jenen kleinen Ortschaften, wohin noch nichts, weder von Weltlichkeit noch von kirchlichen Kämpfen gedrungen – in Massa und Ripatransone, in Ascoli, Camerino und Fermo – noch einmal das Evangelium der großen unerschütterten mittelalterlichen Kirche zu künden. Rechnet man hinzu, daß dieser Glaube kein innerlicher war, daß der vornehme Clivelli, selbst eine Art Des Esseintes, die byzantinische Kunst nur als Quelle ästhetischen Genusses, die alten kirchlichen Ideale als parfümierten goldigen Flitter betrachtete, so ergiebt sich der ganze Charakter seiner Malerei, dieser Kunst, die so künstlich ist, so affektiert und gemacht, die so kaltblütig mit allen Empfindungen des Herzens spielt, Kindlichkeit und dumpfen Verwesungsgeruch, archaische Herbheit und fauligen Hautgout in so perverser Mischung vereint. Und diese Perversität erklärt zugleich, weshalb gerade unsere Zeit Crivelli zu ihrem Liebling erkor. Als späte Menschen, auf denen viele Vergangenheiten lasten und denen gleichfalls die Kunst der Vorfahren eine ästhetischere Natur bedeutet, lieben wir Crivelli, weil das blaue Blut uralter Kulturvergangenheit durch seine Adern fließt, weil er als bewußter Abstraktor von Quintessenz das Zierlichste, Köstlichste aus der Vergangenheit auswählte, um daraus seinen bizarren Stil zu formen; bewundern ihn, weil er inmitten einer ganz anders gearteten Welt noch einmal so grausame Visionen, so feenhafte Apotheosen eines längst versunkenen Zeitalters erstrahlen ließ, den Glanz des Mittelalters mit seiner barbarischen Pracht so sinnbetäubend heraufbeschwor; lieben ihn, wie wir Gustave Moreau lieben, weil sein gezierter, aristokratisch manierierter Stil den Gipfel des Raffinements bedeutet, weil er der großen Menge so unbekannt ist, weil seine Kunst noch heute ihren hochmütigen Adel bewahrte.


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