Richard Muther
Geschichte der Malerei. II
Richard Muther

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10. Leonardo

Das Ergebnis ist, daß Savonarola keineswegs als »Totengräber der Kunst« zu gelten hat, sondern daß wir der religiösen Bewegung, die von ihm ausging, das Zarteste, Duftigste verdanken, was das Quattrocento überhaupt geschaffen. Wohl wurden durch ihn die Götter Griechenlands aus Italien verdrängt. Wohl war es vorbei mit all jenen Erzählungen aus dem Alten Testament und der Heiligenlegende, die den Realisten als Verwand gedient, den Prunk und Glanz ihrer Zeit zu schildern. Dafür kam unter dem Einfluß des gesteigerten Gefühlslebens in die religiöse Malerei eine neue Note. Indem er die Künstler daran erinnerte, daß das höchste Ziel des christlichen Malers nicht die Wiedergabe der äußeren, sondern der inneren Welt, nicht die Darstellung der körperlichen, sondern der seelischen Schönheit sei, erschloß er ihnen das ganze Gebiet des Geisteslebens. Indem er gegen die weltlichen Ausschreitungen der Kunst eiferte, trug er dazu bei, daß sich die Wirklichkeitsfreude der Realisten zu stilvoller Schönheit klärte.

Hatten die Primitiven im Porträt ihr Hauptziel gesehen, so schufen die Meister der Savonarolazeit Menschen, wahr wie in der Wirklichkeit und doch von einem Hauch höheren Lebens beseelt, durch die Intensität ihrer Empfindung allem Irdischen entrückt. Ein subjektives Schönheitsideal ist an die Stelle objektiver Naturabschilderung getreten. Mögen die Köpfe mehr melancholisch wie bei Bellini, mehr sentimental wie bei Perugino, mehr kindlich gut wie bei Memling sein – die Beherrschung der Formen geht völlig auf in dem Ausdruck einer Seelenstimmung. Geistige Zustände der flüchtigsten, zitterndsten Art werden gemalt: in Maria entsagungsvolle Wehmut, in Johannes prophetische Begeisterung, in Hieronymus qualvolle Reue, in Ursula gottbegeisterte Glaubensstärke, in Franz schwärmerische Inbrunst, in Katharina keusche Hingabe, in den Engeln selige Verzückung. Auf die Eroberung der Wirklichkeit, die von den Realisten vollbracht war, ist die Renaissance der Seele gefolgt.

Dadurch änderte sich auch das Wesen der Porträtmalerei. Die Aelteren, die auf Pisanello und Jan van Eyck folgten, hatten in scharfer Naturwahrheit die Epidermis gemalt, das Aeußere des Menschen, wie er dem Maler festgenagelt gegenübersaß. In den Bildnissen Memlings, Bellinis und Botticellis ist das Körperhafte nicht mehr höchstes Ziel. Ein Hauch von Wehmut oder sinnendem Träumen beginnt die starren Köpfe zu beseelen. Durch geheimnisvolle Inschriften und Attribute wird das Gemütsleben oder das Schicksal der Personen angedeutet. Die menschlichen Dokumente sind zugleich Seelenbekenntnisse und Stimmungsbilder.

Dieser seelischen Stimmung, die man im Bildnis erstrebt, entspricht das Stimmungselement, das neu in die Landschaft kommt. Wohl hatten schon die Realisten landschaftliche Hintergründe gemalt, aber das Bewußtsein, daß es im Vermögen des Künstlers liege, die psychische Stimmung des Vorgangs ausklingen zu lassen in der Stimmung der Landschaft, war noch nicht erwacht. Unverschmolzen stehen beide Elemente da. Die Grablegung Christi geht inmitten lachender Frühlingslandschaften vor sich. Die folgenden, wie sie die Seele des Menschen entdeckten, entdecken die Seele der Natur. Je nach der Stimmung des Hauptvorgangs ist über die Erde heitrer Friede oder stille Wehmut gebreitet. Mensch und Natur klingen zu großem Accord zusammen.

Zu Gunsten dieses Stimmungselementes – dem auch Blumen und Musik so wichtige Dinge waren – erfahren selbst die koloristischen Anschauungen eine Umwandlung. Die Primitiven in ihrem ausgeprägten Wirklichkeitssinn hatten jedem Ding seine eigenen bunten vollen Farben gegeben. Dann war Piero della Francesca gekommen und hatte auf das Atmosphärische hingewiesen. Man hatte alle Kraft eingesetzt, die schwierigsten Elemente der Erscheinungswelt, Luft und Licht malen zu lernen. Die Meister der Savonarolazeit, weniger Analytiker als Träumer, thaten einen weiteren Schritt. Nicht mehr die objektive Wiedergabe des Natureindrucks ist Bellini und seinen Genossen letztes Ziel, sondern die Farbe wird zum Ausdrucksmittel seelischer Stimmung gemacht, die musikalische Innerlichkeit der Farbe wird entdeckt. Die Formen erweichen sich, zartes Dämmerlicht hüllt die Dinge ein. Die Periode des »Helldunkels« beginnt.

Andererseits gingen mit diesen psychologischen und koloristischen Errungenschaften ebenso ernste formale Bestrebungen Hand in Hand. Nachdem Savonarola verboten hatte, das Zeitkostüm anzuwenden und wieder Idealtracht an die Stelle des modischen Kleinkrams getreten war, handelte es sich um deren künstlerische Durchbildung. Das Studium der Draperien, worauf Mantegna schon hingewiesen, bildete ein wichtiges Arbeitsfeld. Ebenso hatte der religiöse Ernst, der wieder in die Kunst gekommen, zur Ausscheidung all der intimen anektodischen, oft vulgären Dinge geführt, die die Früheren so gern ihren Bildern beifügten. Damals, als nicht der religiöse Stimmungsgehalt des Themas, sondern die Freude an der Natur im Vordergrunde stand, kannte man keine Grenze in der Aufhäufung der verschiedenartigsten Dinge. Wie man auf einer Tafel zeitlich getrennte Momente zusammenstellt, in einem einzigen Bild Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erzählt, so werden rings um den Hauptvorgang, nur der Porträtmalerei zulieb, allerhand Nebenfiguren, die mit der Handlung nichts zu thun haben, als unbeteiligte Zuschauer eingeführt. Die Meister der Savonarolazeit drängen, dem einheitlichen Gesamteindruck zulieb, all dieses Beiwerk zurück. Machtvolle Einfachheit soll an die Stelle der Zersplitterung treten. Darum ändert sich schon äußerlich die Form der Altarwerke. Bestanden sie früher aus dem Hauptbild, den Flügeln, Predellen und Lünetten, so genügt jetzt eine einzige Tafel. Keine Figur wird eingeführt, die nicht an der Handlung beteiligt ist. Lyrische Gedichte, einheitliche Dramen treten an die Stelle der Epen. Ein psychisches Grundmotiv geht durch das Ganze und weist jeder Gestalt die entsprechende Rolle zu. Dadurch kommen auch neue kompositionelle Fragen in Fluß. Der geschlossenen Stimmung mußte die geschlossene Komposition entsprechen. Hatte man früher friesartig aneinander gereiht, so handelte es sich jetzt darum, zu konzentrieren, dem Bild Gipfel und Basis zu geben, die dramatische Einheitlichkeit des Vorgangs schon durch die Komposition zum Ausdruck zu bringen. So wurde das Ziel jene Concinuitas, die schon Alberti als Ideal der Schönheit hinstellte: eine Harmonie der Teile, so daß ohne Schaden nichts hinzugefügt und nichts hinweggenommen werden könnte. Statt der breiten Epik der Aelteren herrscht straffer Aufbau, rhythmische Einfachheit, weiche Wellenlinie.

Und addiert man alles, so bietet sich – wenigstens teilweise – die Möglichkeit, die scheinbar ganz der Erde entrückte Gestalt Leonardo da Vincis in Zusammenhang mit seiner Zeit zu bringen. Man fühlt, wie er als Psycholog, als Meister der Clairobscur und Begründer der Kompositionslehre aus der Savonarolazeit herauswächst. Alle Probleme, die von der Zeit gestellt waren, nimmt er auf und giebt sie gelöst zurück.

Zunächst ist das psychologische Problem, das seit Savonarola in Fluß gekommen war, für ihn Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Sowohl das Kapitel in seinem Malerbuch, wie die vielen Dinge, die aus seinem Leben erzählt werden, zeigen, wie sehr ihn das Studium der Affekte beschäftigte. Er lädt sich Bauern ein, erzählt ihnen abenteuerliche Geschichten, jagt ihnen Schrecken ein, um plötzliche Gefühlsausbrüche zu beobachten, begleitet Verbrecher auf den Richtplatz, um zu sehen, wie sich die Todesangst in ihrem Gesicht spiegelt. In den sogenannten Karikaturen verfolgt er das Ziel, gewisse von der Natur gegebene Eigentümlichkeiten menschlicher Gesichtsbildung bis zur äußersten Grenze des organisch Möglichen zu steigern, aber zugleich das Ziel, alle Schattierungen des Affektes in greller Unmittelbarkeit festzuhalten. Desgleichen sind die Köpfe, die sonst in seinen Zeichnungen wiederkehren, psychologische Studien. Sein Ideal ist kein physisches, nicht kräftige Stärke, nicht üppige Schönheit. Es ist ein psychisches: die Delikatesse, die Weichheit, die Träumerei. Für zitternde Erotik wie für Mutterglück und Kinderfreude sucht er immer neue Nuancen. Die Frische der Jugend ist durch leise Sehnsucht gedämpft, die Würde des Alters von philosophischer Resignation verklärt. Den Kommentar zu den Köpfen bilden die Hände. Schon sein Lehrer Verrocchio hatte die Anmut seiner jugendlichen Gestalten durch zierliche Stellung der schlanken Finger gesteigert. Leonardo, auf diesem Wege weitergehend, zieht die Hände als psychologischen Kommentar heran, läßt sie dramatischen Anteil an der Handlung nehmen.

Außer dem psychologischen beschäftigt ihn das koloristische Problem. Er war Musiker. Schon in seiner Jugend, erzählt Vasari, hätte er sich mit Musik beschäftigt und die Lyra spielen gelernt. Selbst nach Mailand sei er nur berufen worden, weil der Herzog so großes Vergnügen am Lyraspiel gehabt. Und er habe ein selbsterfundenes Instrument mitgebracht, das den Klang abtönte, so schmelzend und wohllautend machte, daß er damit alle Musiker Mailands übertroffen hätte. Alle Maler, die nebenbei Musiker waren, Giorgione wie Gainsborough und Corot, haben nun die weichen schmelzenden Töne geliebt. So ist es kein Zufall, daß in dem singenden, klingenden Venedig der Kolorismus seine ersten Triumphe feierte, kein Zufall, daß der Musiker Leonardo der Begründer des eigentlich »malerischen« Stiles ward.

Aber nicht nur Musiker, auch Mathematiker war er. So gehen mit diesen malerischen ebensoviel formale Probleme Hand in Hand. Wie er in seinem Traktat den Draperien einen besonderen Abschnitt widmet und an Thonfiguren mittels gipsgetränkter Tücher seine Draperiemotive ordnet, faßt er hinsichtlich der Komposition alles zusammen, was seine Vorgänger Perugino, Mantegna und Bellini erstrebten. Noch in seiner Grabschrift wird hervorgehoben, die Eurhythmie der Alten sei sein hauptsächlichstes Ziel gewesen. In dieser Vielseitigkeit steht er als ein Centrum, wie eine große leuchtende Sonne an der Grenzscheide zweier Jahrhunderte. Er hat es möglich gemacht, den schmeichelnden Reiz der Form mit zitternder Empfindung, die formale Schönheit der Parthenonskulpturen mit tiefer Durchgeistigung zu vereinen, hat den malerischen Stil begründet und zugleich für Linearkomposition neue Gesetze gegeben – genug Probleme, um eine ganze Malergeneration zu beschäftigen.

Die paar Bilder, die er malte, wenn gerade keine wichtigere Frage seinen Geist beschäftigte, und die er gewöhnlich gar nicht zu Ende führte, sondern in dem Moment stehen ließ, wo er sich selbst über die Lösung des Problems klar war, sind eigentlich nur Paradigmen zu den Lehrsätzen seines Malerbuches, zufällig abgeschnittene Coupons von dem Riesenkapital, das er unveröffentlicht in sich trug. Gleich in dem Engelskopf auf Verrocchios Taufe Christi ist die Grundnote Leonardos gegeben. Zum erstenmal taucht einer jener Köpfe auf mit den träumerisch wehmütigen Augen, dem weich geringelten Haar und dem leisen, rätselvollen Lächeln, womit man so gern den Namen Leonardos verbindet. – In dem Damenporträt der Liechtensteingalerie beschäftigt ihn das Problem des dämonischen Weibes. Man denkt an eine Mörderin, an Lady Macbeth, vor diesem blassen Weib mit den grausamen chinesisch geschlitzten Augen. Die psychologische Charakteristik wird durch die Landschaft ergänzt. Denn es ist nicht zufällig, daß hinter diesem Kopf, der so exotisch, so ostasiatisch anmutet, sich eine ostasiatische Pflanze, ein Bambusstrauch erhebt. – Psychologisches und Kompositionelles klingen in der Berliner Auferstehung zusammen. Während die frühere Kunst drei Wächter um den Sarg Jesu vereinte, knieen hier zwei jugendliche Heilige, den Auferstandenen schwärmerisch verehrend. Der junge Diakon neigt sich leicht vor und erhebt in inbrünstiger Andacht die Hände. Lucia kreuzt die Hände auf der Brust, ganz aufgehend in seliger Verzückung. Die Komposition ist so geordnet, daß die Figuren ein gleichschenkliches hochgestelltes Dreieck bilden, der barocke Christus eine interessante Parallelerscheinung zu den Werken Filippinos, die ebenfalls ein so seltsames Bindeglied zwischen der Dominikanerkunst des 14. und der Jesuitenkunst des 17. Jahrhunderts bilden.

Zu einem großen psychologischen Drama gestaltet sich das Abendmahl. Die Früheren schilderten entweder, wie die Jünger ruhig bei Tische sitzen oder wie der Heiland ihnen die Hostie reicht. Kein gemeinsamer Gedanke vereint sie. Jeder handelt und denkt für sich allein. Leonardo, um Einheitlichkeit in die Handlung zu bringen, um eine Bewegung zu erzielen, die wie ein elektrischer Strom das Ganze durchzuckt, nimmt das Wort Jesu »Wahrlich ich sage euch, einer unter euch wird mich verraten« zum Ausgangspunkt und zeigt nun, wie jeder einzelne Jünger auf dieses Wort reagiert. Bangigkeit, stille Wehmut, Trauer, Entsetzen, auflodernder Zorn, Lauschen, Fragen, Schrecken, Entrüstung, Wißbegierde, Schmerz spiegeln in zwölf Köpfen und vierundzwanzig Händen sich in immer neuer Erregung. Denn Leonardo beschränkt sich nicht auf die Mimik des Gesichts. Die Hände müssen beitragen der dramatischen Scene die denkbar höchste Lebendigkeit zu geben. Nicht weil es im Wesen des Südländers liegt »mit den Händen zu sprechen«. Denn alle früheren Werke bis auf Ghirlandajo kannten kein Gebärdenspiel. Ruhig wie bei nordischen Meistern sitzen die Gestalten da. Wenn sie bei Leonardo gestikulieren, wenn man, wie Goethe sagt, schon aus den Händen die Worte ablesen kann, die jeder Einzelne spricht, so geht das nicht auf den italienischen Volkscharakter, sondern darauf zurück, daß jede Epoche ein Problem einseitig hervorhebt und damals Mimik und Gebärdensprache das wichtigste Studienfeld geworden war. Weiter lassen die Zeichnungen verfolgen, wie allmählich sich die Komposition in Leonardos Geist gestaltete, wie immer mehr es ihm gelang, alle Einzelgestalten dem architektonischen Gefüge einzuordnen, Kontraste zu schaffen und aufzulösen, die Bewegung der Linien wechseln, verweilen und wieder forteilen zu lassen, alles durch beispiellose Rhythmik zu Harmonisieren. Daß auch malerisch – in der Art wie die Gestalten weich vom Raume sich lösten und durch die Fenster das Licht in den halbdunklen Saal hereinströmte – das Abendmahl eine Offenbarung gewesen sein muß, läßt sich heute nicht mehr sehen, nur fühlen.

Die Felsgrottenmadonna giebt noch heute von Leonardos Kolorismus eine Ahnung. Hier klingen alle Ziele des Meisters zu vollem Accord zusammen. Man sieht wieder jene holden Köpfe, die so wonnig selig uns anblicken: diese Madonna, die so traumverloren sich zum Kinde neigt, diesen Schutzengel, der so weltentrückt ist, als ob er einem fernen zarten Geigenspiel lausche. Man verfolgt, wie Leonardo zunächst das Ganze streng geometrisch in Form des gleichschenkligen Dreiecks aufbaut und diese Linienpyramide sofort durch eine Lichtkomposition zersetzt. Das Licht, von links oben einfallend, durchrieselt wie ein weicher Accord die zauberische Dämmerung der Grotte, macht dies plastisch deutlich, jenes malerisch nebelhaft. Alle scharfen Linien verschwimmen; duftig weich geht Einzelheit in Einzelheit über.

Von den späteren florentinischen Bildern ist die heilige Anna wohl dasjenige, worin er seine Kompositionsprincipien am weitesten trieb. Um die Figuren streng in die Pyramidenform einschreiben zu können, setzt er Maria auf den Schoß Annas und läßt sie zum Christkind sich herniederbeugen, das auf der anderen Seite die Basis der Pyramide bildet. Damit ist ein neues Lichtproblem verbunden. Während er in der Felsgrottenmadonna die dunkle Dolomitenlandschaft dazu verwandte, bleiche Gesichter und bleiche Hände sich in mildem Glanz von zartem Helldunkel lösen zu lassen, heben hier die Köpfe luftig und weich von zitternd heller Atmosphäre sich ab. – Pulverdampf, Rauch und Staub mag die Atmosphäre der Anghiarischlacht gewesen sein. Die Nachzeichnung läßt nur erkennen, welche psychologischen und kompositionellen Probleme er sich stellte. Derselbe Meister, der die höchste Schönheit sah, die seit Phidias sich einem Künstlerauge enthüllte, ist hier der Maler tobender Raserei und schnaubender Wut. Heiseres Gebrüll ertönt, Menschen hauen und stoßen, Pferde bäumen sich, wiehern, verbeißen sich – ein unentwirrbarer Knäuel. Und so ungestüm alles durcheinanderwogt, der Kompositionskünstler Leonardo hält die Massen fest in der Hand. Die gekreuzten Vorderbeine der sich bäumenden Pferde bilden die Spitze eines Dreiecks, dem alle übrigen Gestalten sich einordnen. – Fast noch komplizierter in der Anordnung, beinahe barock im Empfinden ist die Anbetung der Könige. Alle Früheren hatten Maria an das eine Ende des Bildes gesetzt, die Könige von der anderen Seite ruhig auf sie zuschreiten lassen. Bei Leonardo ist alles in Bewegung. Neugierig drängen sich die Menschen heran, sehen, fragen, staunen, beten an, lenken andere auf den Vorgang hin. Hände erheben sich, Köpfe recken sich empor. Zugleich hat er die reliefartige Profilkomposition, die früher üblich war, in ihr gerades Gegenteil verkehrt. Maria bildet wieder die Spitze einer Pyramide, deren untere Masse durch die anbetenden Könige bezeichnet wird. Rings Kontraste, die sich in Harmonien lösen, eine Wellenbewegung, die von Maria ausgeht und zu ihr zurückströmt.

Mona Lisa, deren Bildnis zur selben Zeit ihn beschäftigte, ist so wenig schön, wie die Dame in Wien. Sie ist unheimlich mit ihren fehlenden Augenbrauen und dem hexenhaft meertiefen Schimmern ihrer unerforschlichen Rätselaugen, die bald wollüstig, bald ironisch, bald katzenartig falsch zu blicken scheinen, bald uns zublinzeln, bald kalt und tot ins Unendliche starren – seelenlos wie das Meer, das gestern Menschen verschlang und heute daliegt, verführerisch schön, spottend der Unthaten, die es verübte. Wie in dem Wiener Porträt den perversen Zauber der Mörderin, hat er hier das Sphinxrätsel der Frauennatur gemalt. Vasari erzählt weiter, daß Leonardo, wenn er an dem Porträt malte, stets Sänger und Musiker zugegen sein ließ, damit die junge Frau durch deren Spiel erheitert und ihr »das starre Aussehen benommen würde, das oft von der Malerkunst Bildnissen aufgeprägt wird.« Damit ist angegeben, weshalb auf die Künstler damals das Bild wie ein Evangelium wirkte. So still und zart Botticellis Mädchen träumen, es blieb ein Rest metallischer Starrheit. Mehr kostbaren kunstgewerblichen Bijoux gleichen seine Bildnisse als lebenatmenden Menschen. Hier war mit einem Schlag die Wärme und Rundung des Lebens, der Reiz des Momentanen erreicht. Die Maler bewunderten, wie weich und duftig die Gestalt sich vom Hintergrund abhob, bewunderten diese Nase, die zu vibrieren, diese Augen, die zu blinzeln, diesen Mund, der zu lächeln, diese Büste, die zu atmen schien. Bleiche, zitternde, nervöse Hände bilden den Kommentar zum Kopf und dienen gleichzeitig kompositionellen Zwecken. Indem Leonardo sie breit auf der Taille ruhen läßt, ergiebt sich ein einfacher Dreiecksumriß, dessen Spitze durch den Kopf und dessen untere Ecken durch die Ellbogen bezeichnet werden. In der Landschaft des Hintergrundes klingt die Märchenstimmung des Ganzen aus. Nachdem anfangs auf italienischen Bildnissen die Köpfe auf festem Medaillengrund geruht, dann Piero della Francesca und Piero di Cosimo ihre Figuren in realistische Landschaften gestellt, ist bei Leonardo auch die Landschaft psychischer Kommentar geworden. Denn diese phantastische blauschwarze Welt, die gewitterschwül und dunkel das bleiche Weib umfließt – sie ist geheimnisvoll, märchenhaft unergründlich wie das Wesen, das durch diese Fluren wallt. Man möchte sagen, Leonardo habe in dem Bild sich selbst, seine eigene unergründliche Faustnatur gemalt. Wie die Sphinx Mona Lisa in undurchdringlichem Schweigen verharrt, liegt etwas Sphinxartiges, Dämonisches, menschlich Unnahbares im Wesen dieses Mannes, der illegitim geboren und ohne Kinder zu zeugen, einsam wie ein wunderbarer Zauberer durchs Leben geht, groß als Forscher und noch größer als Verführer in den Körper der italienischen Kunst das süße Gift der Wollust träufelt und nach Jahrhunderten noch jedem, der mit kritischer Sonde ihm naht, das zermalmende Wort des Erdgeistes entgegenschleudert: »Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir.«


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