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Ein verhängnisvoller Ratschlag

Mister Büchting wohnte seinem Reichtum angemessen. Da er jedoch den Aufenthalt in Neuyork stets nur als vorübergehend betrachtete, so war seine Neuyorker Villa nicht ganz so luxuriös ausgestattet, wie sein Landhaus Liberty Plantation. Auch behauptete er, daß ein echter Bürger zu Kriegszeiten sparen und sein Geld stets der Regierung zur Verfügung stellen müsse. Die Wohnung also, obwohl äußerst stattlich und geräumig, unterschied sich in nichts von den Wohnungen weniger begüterter Amerikaner, nur einzelne Kunstwerke ersten Ranges, die Mister Büchting von Liberty Plantation herüber gerettet, Bilder und Statuen machten sie kostbar.

Im Wohnzimmer fand der Kapitän Mister Büchting, dessen Gattin, Eliza, Jeannette Corizon und einige Freunde des Hausherrn, die um den Teetisch saßen. Er ward, wie stets, mit Freundlichkeit empfangen, wenn auch nicht gerade mit Herzlichkeit. Denn seine Stellung zur Familie war noch genau dieselbe, wie an jenem Tage des Ueberfalles der Plantage. Eliza reichte ihm, wie auch ihre Mutter, die Hand, die er artig küßte, und fuhr dann fort, mit Jeannette ein Album zu besehen, das aus Europa gekommen war. Ralph beteiligte sich bei diesem Vergnügen eine Zeit lang und wandte sich dann dem Gespräch der Herren zu, die über die letzten, nicht gerade bedeutenden Vorfälle auf dem Kriegstheater sprachen. Ralph tadelte sehr heftig die Lässigkeit einzelner Generale. Alle Macht müsse man zusammenziehen, meinte er, und direkt auf Richmond losgehen und den Herd der Rebellen vernichten. Man sei viel zu lau, viel zu lässig. Die Neger müßten entfesselt, bewaffnet gegen den Süden geschickt werden; der kleine Anfang, den man gemacht habe, sei viel zu gering. Dieses Gespräch dauerte bis gegen 11 Uhr. Dann entfernte sich Ralph; er wurde mit derselben freundlichen Höflichkeit entlassen, mit der er aufgenommen war.

Jetzt begab sich Ralph nach seiner Wohnung in Mr. Everetts Hause, jedoch nur, um seinen Waffenrock und seine Dienstmütze abzulegen und sie mit einem bürgerlichen Rock und einem Hut zu vertauschen. Dann ging er nach einer nicht sehr weit entfernten Nebenstraße und zog die Klingel an der Tür eines einfach aber solide aussehenden Hauses. Die Tür wurde nicht sofort geöffnet, sondern ein Schiebefenster zurückgeschoben und eine Stimme fragte, wer da sei. Der Kapitän nannte seinen Namen, nun flog die Tür auf und Ralph ging einen schmalen, matt erleuchteten Korridor hinab bis an eine Tür, an der er abermals klingelte. Sobald er hörte, daß innen sich jemand näherte, klopfte er in eigentümlicher Weise, und nun öffnete sich die Tür sofort und es erschien ein junges bildschönes Mädchen, nach der neuesten Mode, aber etwas phantastisch gekleidet, Hals und Schultern weit entblößt.

»Ah, Sie, Kapitän!« sagte sie in einem Englisch, dem man das Fremdartige anhörte. »So spät heute?«

»Ja, mein Kind,« antwortete er nachlässig. »Wer ist heute da?«

Das Mädchen nannte eine Anzahl Namen, unter denen sich auch Bekannte befinden mußten, denn der Kapitän nickte mehrmals mit dem Kopf. Dann trat er ein.

Die Räumlichkeiten – einer jener geheimen Klubs, an denen Neuyork vielleicht reicher ist als irgendeine Stadt der alten Welt – waren mit aller Gemächlichkeit und allem Glanz der Wohnung eines sehr reichen Privatmannes ausgestattet. Sie bestanden, abgesehen von den kleinen Privatgemächern, aus drei größeren Zimmern. Das eine diente den Kartenspielern zum Aufenthalt, im zweiten stand ein Billard, das dritte war das Schenkzimmer.

Aus dem Vorsaal trat Ralph zuerst in das Schenkzimmer. Fünf oder sechs Herren saßen dort auf einem Sofa und auf Stühlen um einen Tisch herum, den Champagner-, Sherry- und andere Weinflaschen, sowie eine Menge Gläser bedeckten. Die Herren mochten bereits stark getrunken haben und plauderten sehr lebhaft mit einer Anzahl junger, sehr hübscher Mädchen, die die Kellnerinnen zu sein schienen.

Hinter dem prächtigen, mit Silber ausgelegten Büffett-Tisch saß eine etwas bleiche Dame mit eigentümlich ernsten Zügen, noch sehr jung, wunderbar schön, aber von einem Ausdruck, der einen seltsamen Gegensatz mit den Glut und Lust atmenden Mienen der Kellnerinnen bildete.

Ralph begrüßte sie mit einer gewissen nachlässigen Artigkeit, und sie erwiderte den Gruß in derselben Weise, nickte dann einzelnen Herren zu und ging ins Billardzimmer. Dort waren nur vier Herren, die Billard spielten. Ralph grüßte die Spieler mit vertraulichem Kopfnicken und trat dann in das letzte Zimmer, in dem ungefähr zehn bis zwölf Herren um einen großen Tisch saßen oder umherstanden. In der einen Ecke befand sich ein kleiner Serviertisch und neben ihm eine Kellnerin, die die Getränke für die Spieler mischte.

Hier wurde Ralphs Eintreten gar nicht beachtet; die Herren waren vollkommen von dem Spiel in Anspruch genommen. Es war eine Art Pharao, dem deutschen »Tempeln« entsprechend, und auf einzelnen Karten standen hohe Summen. Die niedrigsten Einsätze betrugen zwanzig bis dreißig Dollar in Gold.

Ralph trat an den Tisch. Ein junger, blasser, aber sehr schöner Mann hielt die Bank. Es war Wilkes Booth, der Schauspieler. Er blickte leicht zu Ralph auf und nickte ihm zu. Dann stieß er einen furchtbaren Fluch aus, denn er hatte soeben eine Karte, auf der wenigstens zweihundert Dollar standen, rechts abgezogen und mußte sie auszahlen. Noch einige Abzüge, die unglücklich für ihn ausfielen und seine Kasse und mit ihr die Bank waren gesprengt. Er erhob sich wütend.

»Ich hätte heute nicht spielen sollen. Ich wußte es!« rief er. »Das erste Gesicht, das ich heute morgen sah, war ein verfluchtes Niggergesicht! Für heute habe ich genug. Jenny, einen Cock-Tail!«

Das Mädchen bereitete den Trank. Ralph war an dem Tisch stehengeblieben. Ein anderer Herr hatte die Bank übernommen und tausend Dollar eingesetzt. Ralph besetzte einige Karten und gewann. Dann ging er zum Schauspieler, der in einer Ecke neben dem Serviertisch stand und finster vor sich hinschaute.

»Versuche es gegen Portland,« sagte Ralph. »Er scheint Unglück zu haben.«

»Ich habe keinen Cent mehr in der Tasche,« erwiderte Booth wütend.

»Willst Du fünfzig Dollar nehmen?« fragte Ralph.

Booth sah ihn einen Augenblick überrascht an, da Mr. Pettow nicht im Geruch stand, verschwenderisch oder auch nur liberal mit seinem Gelde umzugehen.

»Gewiß!« rief Booth dann. »Aber ich werde sie verlieren.«

»Gut, dann brauchst Du sie mir nicht wiederzugeben,« sagte Ralph. »Wenn Du gewinnst, nun dann versteht sich die Rückzahlung von selbst.«

»Hast Du heute eine Million verdient, daß Du mit dem Gelde so um Dich wirfst?« fragte der Schauspieler etwas spöttisch.

»Im Gegenteil,« antwortete Ralph, »es kommt also auf die Kleinigkeit mehr oder weniger nicht mehr an.«

»Nun, das Geld muß Glück bringen,« rief Booth lachend. »Komm, wir wollen sehen!«

Und er eilte an den Spieltisch. Ralph Pettow ließ sich ein Glas Rum und Wasser mischen, trank es schnell aus und folgte dann Booth. Der Schauspieler schien in der Tat Glück zu haben. Er besetzte fünf Karten mit je zehn Dollar und hatte bald zweihundert Dollar gewonnen. Nun forcierte er das Spiel und gewann in einigen Abzügen fünfhundert Dollar.

»Laß es gut sein!« sagte Ralph leise zu ihm. »Die guten Karten sind heraus. Du kannst jetzt nur noch verlieren.«

»Ist Dir bange um Deine fünfzig Dollar?« fragte Booth.

»Nein,« erwiderte Ralph finster. »Aber ich habe mit Dir zu sprechen. Also laß es für heute gut sein. Wir wollen in eines der Nebenzimmer gehen. Bestell zwei Flaschen Veuve Cliquot oder was Du sonst für gut hältst.«

»Du scheinst Dich auf eine lange Sitzung vorzubereiten,« erwiderte Booth, wie es schien, nicht sonderlich erfreut über die Aussicht.

»Nein, ich will nur mit Dir allein sein und mich überhaupt ein wenig ausruhen.«

Booth ging, um den Champagner zu bestellen, und Ralph ließ sich eines der kleinen, sehr elegant ausgestatteten Nebenzimmer öffnen, die für kleinere Gesellschaften von zwei, vier oder mehreren Personen eingerichtet waren. Einige der Kellnerinnen erschienen in der Tür, wahrscheinlich, weil sie hofften, zu einem Souper eingeladen zu werden. Aber der Kapitän, dessen Miene finster und verdrießlich geworden war, wies sie ab. Booth kam zurück und setzte sich Ralph gegenüber. Sie brannten sich neue Zigarren an, der Champagner erschien in versilberten Kühlgefäßen und Pettow verschloß die Tür.

»Nun höre, Booth,« sagte er dann zu dem Schauspieler. »Du kannst mir einen Gefallen tun. Ich habe oft bemerkt, daß Du Dich irgendeiner Geliebten auf gute Manier entledigt hast, ohne daß Haß, Zank, öffentlicher Streit daraus entstanden wäre. Die meisten der zarten Geschöpfe waren allerdings über den Jammer einer solchen Trennung hinaus und wurden nicht zum ersten Male Witwen. Aber es hat doch auch andere unter ihnen gegeben, Mädchen oder Frauen, die Dich wirklich geliebt haben und auf Deinen fortwährenden Besitz, auf Deine dauernde Liebe hofften. Ich habe nicht bemerkt, daß aus Deiner Trennung von ihnen ein öffentlicher Skandal entstanden oder ein Selbstmord oder dergleichen erfolgt wäre. Zum Beispiel steht das Mädel, das Du aus Richmond hierher gebracht hast und dem kein anderer sich nähern darf, jetzt ruhig hier hinter dem Büfett und sieht ruhig zu, wie Du Dich mit anderen amüsierst. Sie schaut allerdings nicht sonderlich freundlich drein, aber die findet sich doch mit guter Manier in ihr Schicksal. Wie machst Du das? Weihe mich in Dein Geheimnis ein und wenn es sich lernen läßt, so will ich Dein Schüler werden.«

»Du hast also irgend jemand, den Du gern loswerden möchtest?« fragte Booth mit zynischem Lächeln.

»Nun ja, doch davon nachher, ich werde mit meinen Bekenntnissen nicht zurückhalten,« antwortete Ralph.

Booth hatte ein Glas Champagner an den Lippen und schlürfte es langsam aus. Sein Gesicht, das vorher beim Spielen sehr blaß gewesen war, hatte wieder etwas Farbe angenommen. Ja, er war ein schöner Mann, aber nur für die, die sich mit der Aeußerlichkeit, mit Form und Farbe begnügen.

»Nun, ich will Dir offen mein Herz ausschütten,« sagte er dann, das Glas hinsetzend. »Ich ahne, daß Du mich brauchst, und mein Beistand soll Dir nicht fehlen. Also fürs erste liegt es in der Natur. Ich verachte die Weiber, und deshalb ist es mir ganz gleichgültig, was sie später über mich denken und was sie tun. Ja, ja, Du siehst mich so ungläubig an – gewiß, man kann sehr leidenschaftlich sein und Kopf und Kragen an den Besitz eines Weibes setzen und sie doch verachten. Glaube mir, Ralph, die Frauen kennen sich selbst am besten, kennen also auch ihre eigene Flatterhaftigkeit und verzeihen dem Manne, der sie verläßt, weil sie fühlen, daß sie es nicht anders gemacht haben würden. Von hundert Weibern, die ich genau gekannt habe, haben neunundneunzig mir gesagt, daß sie nur deshalb Männer sein möchten, um ganz nach ihren Wünschen leben zu können, und daß sie einem Weibe nicht dauernd treu sein würden.«

»Ja, ja, das kenne ich,« sagte Ralph. »Aber das ist doch eben nur eine gewisse Sorte.«

»Glaube nicht, es paßt so ziemlich auf alle,« antwortete Booth. »Von den Ausnahmen später. Fürs erste hat jede, wenn sie Dir ganz unschuldig in die Arme geflogen ist, das Gefühl ihres unerlaubten Verhältnisses und ihrer Schwäche. Ein Mädchen, das sich Dir ergibt, ohne mit Dir verheiratet zu sein, weiß, daß es einen Fehltritt begeht und hat die Macht Dir gegenüber verloren. Also wenn Du einem solchen Mädchen den Rücken kehrst, so wird sie allerdings schreien und jammern, aber im Grunde sagt sie doch, sie hätte es wahrscheinlich nicht anders gemacht, wenn ihr ein schönerer, liebenswürdigerer, reicherer Mann in den Weg gekommen wäre. Ja, manche halten es noch für männliche Stärke, wenn man sie vor den Kopf stößt; eine gute Anzahl will malträtiert, verlassen und verraten sein.«

»Gut, zugegeben,« sagte Ralph; »aber alle diese meine ich nicht, ich meine starke, entschlossene, willensfeste Frauen.«

»Wieviele gibt es denn?« fragte Booth mit einem Achselzucken. »Wenn Du einer solchen den Rücken kehrst, so wird sie Dich hassen, vielleicht auch verachten. Aber was liegt denn daran, wenn Du frei bist. Nun wollte ich jedoch von denen sprechen, die wir aus irgendwelchen Gründen feiner zu behandeln haben, entweder, weil sie uns schaden können, oder weil wir fürchten, sie könnten irgendeinen uns unangenehmen Skandal erregen, vielleicht ihre Männer um unseretwillen verlassen, oder sich töten. Vor den letzteren ängstigen wir uns freilich oft viel zu sehr. Ich habe noch nie gehört, daß eine Frau deshalb einen Mann erhört habe oder ihm treu geblieben wäre, weil er gedroht, sich eine Kugel durch den Kopf zu schießen. Weshalb also sollen wir den Frauen gegenüber besorgter sein? Wir haben doch für gewöhnlich nicht mit Kindern zu tun. Haben wir also irgendwelche Besorgnisse vor den Folgen eines Bruches, so muß man eine bestimmte Rolle spielen.«

»Nun, darauf bin ich eben neugierig,« sagte Ralph ungeduldig.

»Gut, das erste ist, der betreffenden Schwärmerin einen heilsamen Ueberdruß einzuflößen,« fuhr Booth fort. »Die meisten Frauen lieben uns nur dann leidenschaftlich, wenn sie unserer nicht ganz sicher sind. Glauben sie aber, eine unbedingte Herrschaft über uns zu besitzen, so verliert das Verhältnis an Reiz für sie. Man muß sie also mit Liebe überschütten, unter der Last der Leidenschaft erdrücken. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß die meisten leidenschaftlichen Frauen in dem Maße kühler werden, als wir rasender verliebt zu werden scheinen. Man muß sie mit Eifersucht plagen, muß sie keine Stunde aus den Augen lassen, muß sie, wenn sie verheiratet sind, beschwören, ihre Männer zu vergiften, muß ihnen drohen, sie zu ermorden, wenn sie einen anderen freundlich ansehen würden. Eine Zeit lang amüsiert eine solch wahnsinnige Liebe die Frauen, aber bald wird sie ihnen langweilig. Da sie glauben, unserer ganz sicher zu sein, so fangen sie bald an, mit anderen zu liebäugeln. Nun, und dann benutzt man den günstigen Moment, stellt sich verletzt, rasend, schreit über Betrug und schickt sie zum Teufel.«

»Nicht übel!« sagte Ralph. »Aber das ist nicht mein Fall!«

»Nun gibt es eine zweite Art,« fuhr der Schauspieler fort. »Wenn auch hin und wieder einmal eine unschuldige Taube uns in die Arme fliegt, so ist das doch sehr selten der Fall. Gewöhnlich liegt bereits eine Vergangenheit hinter denen, die uns von ihrer Unschuld vorschwatzen. In den Fällen, wo ich das vermutete, schrieb ich gewöhnlich an die Dulcinea: »Ich weiß Alles!« – und sah sie nicht mehr an. In den meisten Fällen hatte ich das Richtige getroffen.«

»Pfiffig!« sagte der Kapitän lachend. »Aber das ist auch nicht mein Fall.«

»Ferner gibt es ein vortreffliches Mittel für die, die uns wirklich lieben und ein gutes Herz haben. Wir stellen uns schlechter als wir sind oder zeigen uns so wie wir wirklich sind. Wir machen anderen den Hof, z.B. dem Kammermädchen, lassen erraten, daß wir Spieler sind, daß wir bei einem Haar dem Galgen entronnen wären, kommen sinnlos betrunken zu ihnen, behandeln sie in Gesellschaft anderer brutal oder wenigstens allzu vertraulich. Rechne sicher darauf, daß die Leidenschaft dann erkaltet und daß die schöne Dame uns dann sicher aus freiem Antrieb aus ihren Netzen entläßt.«

»Das läßt sich hören und unter Umständen mit Feinheit anwenden,« bemerkte Ralph.

»Es ist mir in einigen Fällen geglückt, wo ich gar kein anderes Mittel sah, um einen Eclat zu vermeiden,« sagte Booth belehrend und selbstgefällig. »Sind unsere Geliebten arm, so gibt es auch noch ein gutes, aber etwas gewöhnliches Mittel. Wir stellen uns arm, knickrig, ruiniert, verlangen Geld von ihnen. Meist lieben die Frauen Glanz und Gold. Laß sie glauben, Du seiest ein armer Wicht und die Anbetung, die sie Dir zollen, wird sich in Gleichgiltigkeit verwandeln. Wie gesagt, in allen diesen Fällen kommt man mit guter Manier durch, und von den Hunderten, die mich geliebt haben, stehen die meisten heute noch auf einem ganz guten Fuß mit mir. Alle Männer glauben, wir hätten uns in Güte getrennt, oder ich sei verlassen worden, und alle Weiber glauben, ich hätte die Schöne mit Recht verlassen und sie hätte mich zu fürchten und müßte deshalb freundlich gegen mich sein.«

»Eine vollkommen ausgebildete Taktik,« sagte Ralph nachdenklich. »Ich hielt Dich immer für einen Naturburschen, aber ich sehe wohl, Du hast die Sache in ein System gebracht.«

»Ich weiß nicht,« antwortete Booth, »ich glaube, es ist wirklich nur Natur bei mir. Meist handele ich nach einer augenblicklichen Eingebung und ohne lange vorherige Ueberlegung. Doch halt, beinahe hätte ich noch eines vergessen, das unter manchen Verhältnissen die einzige Rettung ist. Wenn Du nichts weißt, um einen Rückzug zu bemänteln, und wenn Du triftige Gründe hast, Rache für Deine Untreue zu befürchten, so suche irgendein körperliches Gebrechen, irgendeinen kleinen Fehler an der Geliebten zu entdecken – und lasse sie –, aber nur ganz zufällig und scheinbar gegen Deinen Willen –, bemerken, daß es Dir widerwärtig oder unangenehm ist. Die Frauen lieben uns meist um körperlicher Zufälligkeiten willen und sind enttäuscht, wenn sie, statt einen Inbegriff aller Vollkommenheiten in uns zu finden, irgendeinen kleinen Fehler an uns entdecken. Hast Du selbst einen solchen Fehler nicht aufzuweisen, oder sieht die Geliebte in ihrer Leidenschaft darüber fort, so entdecke an ihr selbst etwas Dir Unangenehmes. In den allermeisten Fällen wirst Du es finden. Laß sie bemerken, ihr Haar habe einen eigentümlichen Geruch, der Dir zuwider sei oder ihr Knöchel sei zu stark, oder stelle Dich, als hättest Du früher keine Ahnung davon gehabt, daß ihr ein Seitenzahn fehle, und sieh sie nur immer aufmerksam an, sobald sie den Mund öffnet – oder tu, als sei ihre Stimme zu stark, wundere Dich, daß sie entweder nicht malt oder nicht singt, oder daß ihre Haut nicht glatt genug sei, oder daß ihre Handfläche transpiriere – nun, Du wirst mich schon verstehen. Man kann tun, als entdecke man das ganz zufällig, in irgendeinem Augenblick und muß dann ahnen lassen, daß unsere Bewunderung nun verraucht sei. In allen Fällen wird das Weib sich vor ihrem Schicksal beugen, wird sich in die Notwendigkeit fügen, denn sie hätte ja einen Mann um ähnlicher Gründe ebenfalls verlassen und wenn Du Dich von ihr trennen willst, wird sie Dir dafür noch Dank wissen, daß Du sie nicht verrätst und ihre Fehler entdeckst.«

»Nicht übel, nicht übel!« sagte der Kapitän, der den Kopf in die Hand gestützt hatte und in sein volles Glas blickte, in dem die Champagnerperlen leicht in die Höhe stiegen. »Aber es will sich doch alles nicht für meinen Fall eignen. Erzähle es mir doch, wie Du es angefangen hast, Dich in Güte von dieser Miß Schwartz zu trennen, die mir eine ungewöhnliche Person zu sein scheint.«

»Ja – wenn ich Dir die Wahrheit sagen soll, so bin ich selbst erstaunt, daß sie es so ruhig hingenommen hat,« antwortete Booth. »Du weißt also, wie ich sie in Richmond traf und wie ich sie sozusagen überrumpelte; ich habe es Dir erzählt. Sie warf sich mir in die Arme, als sei ich ein Gott vom Himmel herabgestiegen, um gerade sie glücklich zu machen. Außerdem ist sie eine Deutsche, und die haben alle etwas Schwärmerisches, Hingebendes, das zu Anfang sehr angenehm ist, später aber sehr lästig wird. Ich führte sie nach Neuyork in das Hotel der Mistreß Peaton. Sie merkte jedoch bald, daß dort nicht alles in Ordnung sei und verlangte eine reelle Lebensstellung. Nun wußte sie aber, daß sie mich nie heiraten kann, denn sie ist Frau! Unmittelbar nach der kirchlichen Trauung ist sie ihrem hochgräflichen Gemahl davongelaufen – Du machst ein ungläubiges Gesicht? Nein, nein, sie ist Gräfin und ich weiß auch ihren Namen. Du kannst ihr jedes Wort glauben, sie sagt nie eine Lüge. Ich merkte, daß sie nach ihrer Heimat schrieb, vermutlich, um eine Scheidung zu beantragen, und deshalb unterschlug ich die Briefe. Denn für mich war der Hauptgrund, die Ehe abzulehnen, eben der, daß sie verheiratet sei.

Sie ergab sich auch endlich in ihr Schicksal und schien sich mit meiner Liebe begnügen zu wollen. Aber ich bemerkte doch sehr bald, daß sie sich über meine wahren Gesinnungen und über meine Schwächen nicht täusche. Sie erriet, daß ich ihr untreu sei. Seltsamerweise nahm sie alles ruhiger hin, als ich es je erwartet hatte, und schlug mir selbst vor, unser Verhältnis zu lösen. Da ich nun kein Geld besaß, um für ihren Unterhalt zu sorgen, so schlug ich ihr vor, diese Stellung zu übernehmen, die sie leidlich ernährt. Und auch das nahm sie an. Eine deutsche Gräfin Büfettdame in unserem geheimen Klub – ist das nicht eines der Naturwunder, wie sie nur Amerika darbietet? Sonderbar kommt sie mir freilich zuweilen vor, und ich glaube, ich darf ihr nicht unbedingt trauen. Sie hat sich nach meiner Ansicht zu schnell in ihr Los gefunden. Doch was geht das mich an! Ich sehe niemals hinter mich!«

»Es ist ein hübsches Mädchen,« sagte Ralph Pettow. »Ist es wahr, daß sie keinen Liebhaber hat?«

»Man sagt es im allgemeinen,« antwortete Booth.

»Wunderbar genug. Doch kommen wir auf unser Thema zurück. Ich dachte, ich würde mehr von Dir lernen. Aber ich sehe wohl, daß mein Fall von besonderer Art ist, und daß ich ihn Dir wie ein Kranker dem Arzt vorlegen muß. Daß Du reinen Mund hältst, nehme ich als selbstverständlich an.«

»Du wirst mir vermutlich nichts zu sagen haben, was ich nicht schon wüßte,« sagte Booth lächelnd.

»Oho? Nun, und das wäre?« rief der Kapitän verwundert. »Sage, was Du vermutest.«

»Du hast Mistreß Blackbell, einem der schönsten Weiber, das je die Sonne beschienen, ewige Treue und nach dem Tode ihres Gatten die Heirat zugeschworen,« antwortete Booth. »Damals glaubtest Du vielleicht, was Du schwurst. Jetzt steht die Sache anders. Du möchtest die »Millionenbraut«, Miß Büchting, heiraten und weißt nicht recht, wie Du von Mistreß Blackbell loskommen sollst, die ein leidlich energisches Weib zu sein scheint.«

»In der Tat,« sagte Pettow, etwas bleich geworden, »ich leugne es nicht, Du sagst die Wahrheit. Aber woher weißt Du das alles?«

»Goddam – es wissen einige, wenn auch nicht viele, um Dein Verhältnis zur Lady,« antwortete der Schauspieler. »Das übrige habe ich erraten.«

»Wirklich?« fragte der Kapitän.

»Ja, ich glaube sogar, es wissen nur Wenige,« erwiderte Booth. »Das Kammermädchen, das sie entlassen hat, hatte geschwatzt, war aber bald darauf nach Kalifornien gegangen und so ist das Geheimnis nur unter den Wenigen geblieben.«

»Nun gut,« sagte Pettow. »Du sagst die Wahrheit. Meine Absichten auf Miß Büchting wollen wir fürs erste dahingestellt sein lassen; das gehört nicht hierher. Aber daß ich Georgiana nicht heiraten möchte, wenn ich es vermeiden kann, steht fest. Nun ist das Dümmste geschehen, was geschehen konnte. Blackbell selbst hat von meinem Verhältnis zu Georgiana gewußt und ihr in der Todesstunde gesagt, sie müsse mich heiraten; ihr Ruf, ihre Ehre verlangen das. Wie soll ich mich dazu stellen? Alle die Wege, die Du mir vorhin angegeben hast, sind für mich nicht vorhanden. Es ist ein jahrelanges Verhältnis; sie kennt mich genau. Ich kann keinen Fehler mehr bei ihr entdecken und sie würde erraten, daß ich mich verstelle, wenn ich mich änderte.«

»Teufel, ich sehe wirklich nicht ein, warum Du sie nicht heiraten willst!« rief Booth übermütig und mit etwas Spott. »Sie ist prachtvoll und Vermögen muß auch da sein – über eine Million –«

»Zwei Millionen,« sagte Ralph kurz.

»Wetter – ein verführerischer Bissen!« rief Booth. »Als ich in Richmond einmal mit Staunton von der Geschichte sprach, sagte er, er würde sich alle zehn Finger lecken, wenn er die Lady bekäme.«

»Der Lump!« rief Pettow. »Wie kannst Du den und die Lady zusammen erwähnen! Weißt Du übrigens, daß er tot ist?«

Der Schauspieler wußte es nicht, und Ralph erzählte ihm, ohne genauer auf die Sache einzugehen, daß Staunton in Louisiana ermordet worden sei. Booth trank ein Glas zum andern zum Andenken an den tollen, aber »sonst guten Burschen«. Dann wandten sie sich dem früheren Gegenstande wieder zu.

»Ich weiß mir nicht zu raten,« sagte Pettow finster. »Rundweg kann ich ihr nicht erklären, daß ich sie nicht heiraten will. Ich weiß nicht, was sie tun würde, aber etwas sicher, das mich in das Gerede der Leute brächte. Und das muß ich vermeiden. Meine einzige Rettung wäre, sie verliebte sich in einen andern. Ich habe daran gedacht, Dich mit ihr bekannt zu machen.«

»Sehr dankbar! Diese Trösterrolle würde mir schon behagen!« rief der Schauspieler. »Aber es geht nicht. Ich bin schon einmal von ihr zurückgewiesen.«

Er erzählte von seinem früheren mißlungenen Versuch, wobei er seine Verwunderung darüber aussprach, daß Lady Georgiana nicht darüber zu Ralph gesprochen habe.

»Aus diesem Schweigen siehst Du, welch ein Charakter sie ist!« sagte der Kapitän. »Ich fürchte mich vor Gott und dem Teufel nicht, aber vor Georgiana habe ich Respekt. Hilf mir, Wilkes. Ich werde es Dir reich lohnen!«

»Der Fall ist schwierig,« antwortete Booth nachdenklich. »Beim Jupiter – ich würde Dir gern helfen! Was soll sie denn am Ende tun? Sich das Leben nehmen?«

Ralph erschrak nicht über diese Wendung, sondern zeigte dem trotz des Trinkens noch ziemlich nüchternen Booth nur ein eigentümliches, verächtliches Lächeln, das zu sagen schien: »Daran läge mir wenig!«

»Oder bring ihr selbst ein Pülverchen bei,« sagte Booth leiser.

Jetzt richtete sich Pettow auf, sammelte schnell seine Gedanken und warf einen finsteren Blick auf den Genossen.

»Was redest Du da?« sagte er scharf. »Wenn ich zu solchen Mitteln greifen wollte, brauchte ich Dich nicht erst zu fragen. Oder hast Du in einem ähnlichen Fall zu Gift gegriffen?«

»Nein,« antwortete Booth ruhig. »Ich würde es auch nicht tun, wenn ich mein eigenes Leben damit für bedroht hielte. – Indessen – wenn ich etwas Ungeheures damit erreichen könnte – wer weiß? – –!«

Ralphs Augen bohrten sich in das Gesicht des Schauspielers.

»Ist das Dein Ernst?« fragte er kaum hörbar.

»Nun ja, warum nicht?« rief Booth, wieder auflachend und ein Glas Champagner hinabstürzend. »Wenn ich z.B. dächte, Lincoln wäre es, der den Süden am Siege hinderte, und mit diesem einen Manne schwände der ganze Widerstand des Nordens – ich würde nicht zaudern, glaube ich.«

»Sprich leiser!« flüsterte Ralph. »Ueberhaupt, lassen wir das Gespräch! Es handelt sich ja auch hier nicht um Politik – das ist ein anderer Fall – ein Weib – –«

»Bei Männern wärest Du weniger skrupellos?« fragte Booth leichthin.

»Was soll das heißen?« fuhr Ralph auf. »Wie kommst Du überhaupt auf solche Fragen? Sprich! Dahinter steckt etwas. Ich sehe es Dir an der gottverdammten spitzen Miene an!«

»Oho – nicht so heftig!« antwortete Booth düster. »Man spricht so manches – –«

»Wer spricht so manches?« rief der Kapitän erbleichend. Er sprang auf und zog einen Revolver aus der Tasche.

»Ah – willst Du mich niederschießen wie den Richard?« höhnte Booth, sich ebenfalls erhebend.

»Wie wen?« schrie Ralph fast außer sich vor Zorn. »Was soll das heißen? Sprich! – Bekenne – oder ich schieße Dich nieder, so wahr –«

»Nur still, mein lieber Freund!« sagte Booth, jetzt ebenfalls bleich und mit fast heiserer Stimme. »Das ist nicht der Ton, in dem ich mit mir reden lasse. Staunton sprach die Vermutung aus – –«

»Staunton, der Schuft!« rief Pettow und sank mit einem verächtlichen Lachen auf das Sofa zurück. »Es war stets mein innerster Gedanke, daß er es gewesen sein könne! Jetzt möcht ich's behaupten! Er hat die Schuld auf mich werfen wollen.«

»Goddam, ich weiß nicht, warum Du Dich so alterierst,« sagte Booth mürrisch. »Wenn es nicht wahr ist – nun gut!«

»Aber meinen besten Freund morden – Richard! – Das ist stark in der Tat!« rief Pettow.

»Deinen besten Freund?« erwiderte Booth. »Nun, das mußt Du am besten wissen; früher habe ich nicht viel davon bemerkt. Doch lassen wir die Sache ruhen. Staunton war ein Schwätzer, das gebe ich zu.«

»Leider kann ich ihn nicht mehr zur Rechenschaft ziehen,« sagte Ralph düster. »Doch – um auf den Ausgangspunkt unserer Unterredung zurückzukommen – überlege, was ich Dir gesagt habe. Kannst Du mir einen Weg angeben, meine Verbindung mit Lady Georgiana zu brechen, so will ich Dir stets einen offenen Kredit erhalten und Du kannst ihn stark in Anspruch nehmen.«

»Will's überlegen,« sagte Booth. »Und nun laß uns zu den anderen gehen. Mir ist von dem süßen Zeug ganz flau geworden. Ich muß einen Grog oder einen Mint-Julap drauf setzen.«

»Du – die Unterredung bleibt unter uns!« sagte Ralph.

»Sieh mich doch nicht immer so drohend an!« antwortete Booth. »Das versteht sich ja unter anständigen Leuten von selbst. Ich will mir's überlegen, und daß ich gern Deine Erbschaft bei der Lady übernähme, das kannst Du mir glauben, ohne Schwüre und sonstige Beteuerungen.«

»Nun denn gute Nacht!« rief Pettow und schüttelte ihm die Hand. »Die Zeche bezahle ich vorn. Es ist spät, – ich muß nach Hause. Morgen ist ein harter Arbeitstag!«

Sie nahmen Abschied mit dem Versprechen, sich bald wieder an demselben Orte zu treffen.

»Eitler, hochmütiger, falscher Bursch!« murrte Booth dem Kapitän nach. »Ich wünschte, ich könnte Dir einen Stein in den Weg werfen. Aber wir brauchen Dich leider noch!«

Damit ging er zu den wenigen Gästen, die sich noch im Klub befanden und bestellte sich ein warmes Getränk. Auf seine Frage, wo sich Mistreß Schwartz befinde, antwortete ihm eine lallende Kellnerin, »Missis Skwartz« sei schon vor zwei Stunden zu Bett gegangen.


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