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Neuyork

In dem prachtvollen und doch zugleich traulichen Boudoir eines der schönsten Häuser von Neuyork saß eine hohe, stattliche Dame, nach der neuesten Mode und mit feinem Geschmack gekleidet. Sie hatte den Kopf auf die Hand gestützt und bedeckte mit ihr Stirn und Augen, während die Hand selbst und ein Teil des Armes durch eine Flut blonder Locken verborgen wurden. Dieses Haar war von kräftiger Farbe und fast metallischem Glanze. Es glich dem geschmiedeten Golde, jede einzelne schwere Locke schien eine gekrümmte Goldspange zu sein. Diese Frau wäre schon um ihres Haares willen schön zu nennen gewesen.

Als aber jetzt der kleine Tisch, an dem sie saß, ein wenig rückte, und sie, wie aus einem Traum erwachend, auffuhr, sich mit der Hand über die Stirn strich und die Locken zurückwarf, da sah man, daß auch ihr Gesicht schön war, jung, regelmäßig, etwas bleich zwar, aber doch von angenehmer Fülle. Es war eine echt englische Schönheit, und in ihren Zügen lag auch etwas von dem Stolz und der Abgeschlossenheit der englischen Damen der höheren Stände.

Die Dame saß noch einige Minuten, wie es schien, in tiefen Gedanken. Dann klopfte es leise an die Tür und ihre Kammerfrau, in ihrem Aeußeren einer Frau aus den besseren Ständen ähnlich, trat ein.

»Der Kammerdiener Mr. Blackbells wünscht Mylady zu sprechen,« sagte sie leise.

Mylady wurde sie von ihren Dienern und Dienerinnen genannt, obwohl ihr Gatte, der reiche Kaufmann Blackbell, keinen anderen Titel besaß als seinen Namen. Die »Lady« hieß sie auch allgemein in Neuyork, da die Tochter des englischen Baronets keinen Augenblick unter den Republikanern Neuyorks ihre aristokratischen Manieren verleugnet hatte.

»Er mag eintreten,« sagte die Lady.

Als der Diener mit einer tiefen Verneigung im Zimmer erschien, erkannte der Blick der Dame sogleich, daß etwas besonderes vorgegangen sein müsse, denn die Miene des Dieners war bestürzt und traurig.

»Was ist?« sagte Mistreß Blackbell lebhafter als sonst.

»Mylady, – die Unpäßlichkeit des Herrn hat plötzlich einen schlimmen Verlauf genommen. Drei Aerzte haben soeben ihre Beratung gehalten. Mister Blackbell wünscht Mylady zu sehen.«

»Und weshalb erfahre ich jetzt erst von dieser Krankheit?« fragte sie.

»Mister Blackbell wünschte Mylady keine Unruhe zu machen,« antwortete der Diener.

»Ich komme sofort; ich gehe mit Ihnen,« sagte die Lady.

Der Diener öffnete ehrerbietig die Tür und Mistreß Blackbell ging voran. Sie schritt durch eine lange Reihe von kleineren und größeren Zimmern, Antichambres und Sälen dahin, bis zu einem Gemach am Ende des Hauses. Geräuschlos öffnete der Diener die Tür und zog sie hinter sich an, erschien dann aber sogleich wieder, um Mylady zu bitten, einzutreten.

Das Zimmer, in welches sie eintrat, war nicht groß und im Vergleich zu dem palastähnlichen Luxus des Hauses sehr einfach, ja fast ärmlich ausgestattet. Das Mobiliar zeigte veraltete Form. Mr. Blackbell hatte es aus dem kleinen Hause, in welchem er sein Geschäft begonnen, mit herübergenommen und sich nicht von ihm trennen wollen. Es war ihm eine Erinnerung an die Vergangenheit und an den Ursprung seines Glücks, oder wenigstens seines Reichtums. Die Vorhänge an dem Fenster waren herabgelassen; es herrschte Dämmerung in dem Zimmer. Leise, aber hastig trat sie näher, zog einen Stuhl heran und setzte sich dann neben das Bett.

»Mein Gott, William, wie sehen Sie aus!« rief sie dann plötzlich.

Das Gesicht, das sie sah, war ruhig, bleich, vollkommen abgespannt. Es trug bereits jenen selten trügenden Ausdruck verschwindenden Lebens. Mr. Blackbell mochte noch nicht sechzig Jahre alt sein; er sah in diesem Augenblick viel, viel älter aus. Ein tiefer, trauriger Ernst lag auf seinem Gesicht und die matten Augen waren mit einem eigentümlichen Ausdruck auf seine Gattin gerichtet.

»So sehen die Sterbenden aus, Georgiana!« sagte er mit leiser, aber ruhiger Stimme. »Es ist schnell gekommen; ich danke Gott dafür. Ich habe mir stets ein kurzes Krankenlager gewünscht. Unterbrechen Sie mich nicht, Georgiana – ich weiß genau, was ich spreche. Ich kann noch heute abend sterben und deshalb muß ich mit Ihnen sprechen. Ich habe etwas auf dem Herzen.«

»Georgiana, ich habe Sie um Verzeihung zu bitten. Sie liebten mich nicht, als Sie mich heirateten. Ich hätte es einsehen sollen, da ich der Aeltere von uns beiden war. Ich folgte den Eingebungen einer spät in mir auflodernden Leidenschaft für Sie; ich habe Sie aufrichtig geliebt, Georgiana. Ich begriff bald genug, daß ich Ihr Herz nicht ausfüllen könne, daß ich eine Unklugheit und ein Unrecht gegen Sie begangen. Deshalb schwieg ich, als ich erfuhr, daß Sie in Mr. Pettow einen Ersatz für das gefunden, was ich Ihnen nicht bieten konnte.«

Ein glühendes Rot schoß über das Gesicht der Lady. Sie schlug die Augen nieder und ihre Hand zitterte in der seinigen.

»Sehen Sie mich ruhig an, Georgiana,« fuhr er fort. »Ich zürne Ihnen nicht. Sie lieben Mr. Pettow, und ich muß wohl annehmen, daß auch er Sie liebt. Sie wußten Ihr Geheimnis vor der Welt zu verbergen; ich danke Ihnen dafür. Sie retteten dadurch meinen Namen vor Beschimpfung. Ich vermute, daß es Ihre Absicht gewesen, sich, wenn mein Tod diese Ehe gelöst, mit Pettow zu verbinden. Gewiß waren Sie sich das selbst und auch mir schuldig, denn Sie hatten nur einen Grund zu Ihrer Rechtfertigung: leidenschaftliche und tiefe Liebe zu einem jüngeren Manne und die Gewißheit, daß diese Liebe von ihm mit derselben Wahrheit und Innigkeit erwidert werde. Ich vermute, daß in der letzten Zeit Ihr Verhältnis zu Mr. Pettow in gewisse Kreise gedrungen ist. Ihre Heirat ist also ein Notwendigkeit für Sie und mich. Geben Sie mir das Versprechen, daß Sie keinen andern als Mr. Pettow heiraten werden. Ich wiederhole Ihnen: es ist eine Notwendigkeit für Ihren Ruf und auch für den meinigen!«

»Ich verspreche es!« sagte die Lady mit kaum hörbarer Stimme.

»Daß Mr. Pettow auf eine solche Verbindung nicht eingehen könnte, nehme ich nicht an,« fuhr der Kaufmann mit etwas schwächerer Stimme fort. »Er muß Sie ohne Zweifel tief und innig lieben, sonst würden Sie nicht Ihren Pflichten untreu geworden sein. Man sagt zwar, er bewerbe sich um die Hand der reichen Miß Büchting, aber das ist vielleicht nur Schein, um die Menge zu täuschen. Ich bin überzeugt, daß er Sie nach meinem Tode offen um Ihre Hand bitten wird. Sie sind reich. Nach Abzug der zahlreichen Legate verbleiben Ihnen in meinem Testament noch zwei Millionen Dollar. Sie sind jung, schön und vor allem durch die Vergangenheit an Mr. Pettow gekettet. Sie beide müssen ein Paar werden.«

»Ihr Wille soll geschehen!« flüsterte die stolze Dame mit gebeugtem Haupt. »Es war stets unsere Absicht!«

»Ja, ich wiederhole es,« sagte Mr. Blackbell, »die Geliebte Mr. Pettows wird nur dann in den Augen der Welt zu entschuldigen sein, wenn sie Mistreß Pettow geworden ist. Sollte sich jedoch Mister Pettow weigern – so zwingen Sie ihn dazu, daß er Ihnen wenigstens seinen Namen gibt. In jenem Kästchen, das eine Aufschrift für Sie trägt, finden Sie vielleicht Mittel, Ihre Absicht zu erreichen. Leben Sie wohl, Georgiana! Gott beschütze Sie! Verzeihen Sie mir, wie ich Ihnen verzeihe!«

Er griff mit zitternder Hand nach dem Klingelzug neben seinem Bett und zog ihn. Die stolze Dame hatte seine Linke ergriffen. In ihren Augen standen Tränen. Sie beugte sich nieder und küßte die Hand des Kranken. Es war das erste Mal seit ihrem Beisammenleben, daß sie ihm ein solches Zeichen ihrer Achtung und Dankbarkeit erwies. Mr. Blackbell wußte, was das zu bedeuten habe. Ein langer und sanfter Blick seiner Augen traf die stolze und jetzt so weiche Frau.

»Werden Sie glücklich, Georgiana!« sagte er leise. »Und nun gehen Sie. Ich bin besser allein.«

»Sie wollen nicht, daß ich den Platz an Ihrem Bett behalte?« fragte die Lady leise.

»Wenn Sie ihn einzunehmen wünschen – bei Gott, ich weise Sie nicht zurück!« antwortete Mr. Blackbell etwas lebhafter. Dann sank sein Kopf in die Kissen zurück.

Der Diener trat ein. Er war etwas verwundert, die Herrin so demütig am Bett des Kranken zu sehen und hielt sich in ehrerbietiger Entfernung, da er glaubte, sie werde sogleich aufstehen und das Zimmer verlassen. Da sich die Dame aber nicht regte, so mischte der Diener ein kühles Getränk und näherte sich dem Kranken. Lady Georgiana nahm es ihm aus der Hand und hielt es so lange, bis ihr Gatte sich ein wenig erholt hatte. Mit einem sanften Lächeln nahm es der Kranke und führte es mit zitternder Hand an die Lippen.

»Es ist mir lieb, Georgiana, daß Sie mir den letzten Trunk reichen,« sagte er dann leise. »Beten Sie für mich. Ich hätte besser sein können als ich war. Aber ich verstand es nicht.«

Er legte den Kopf zurück und seine Arme streckten sich aus wie bei einem schwer Müden. Die Augen schlossen sich – ein tiefer Seufzer hob die Brust – dann ein heftiges Zucken – der Diener war mit einigen leisen Schritten neben seinem Bett – –

»Er stirbt, Mylady,« sagte er dann leise. »Gott sei meinem guten Herrn gnädig!«

Das Antlitz des Sterbenden war ruhig geworden und überzog sich mit marmorner Blässe. Der Diener hatte sich auf ihn niedergebeugt und lauschte den verschwindenden Atemzügen. Dann drückte er dem Toten die Augen zu.

Die stolze Frau saß mit gefalteten Händen und schaute mit tränenlosen Blicken auf das Gesicht des toten Gemahls. Welche Qualen mochte sie erdulden! Endlich erhob sie sich. Der Diener, ein bereits bejahrter Mann, trat auf sie zu. Sie schien ihn nicht zu beachten. Noch einmal wandte sie sich dem Toten zu, beugte sich zu ihm nieder, schien die kalte Stirn mit ihren Lippen zu berühren. Dann erhob sie sich schnell. Hastig schritt sie durch die Reihen der Zimmer und Säle. Im Vorzimmer sagte sie zu der Kammerfrau:

»Mister Blackbell ist gestorben. Sorgen Sie für einen Traueranzug.«

Dann verschloß sie die Tür ihres Boudoirs hinter sich, warf sich auf ein kleines Sofa und weinte lange, lange vor sich hin.

Beweinte sie den toten Gatten, den sie nie geliebt? Nein, sie tat es nicht, obwohl sie jenen Schauer empfand, der jedes Menschenherz beim Anblick des Todes ergreift. Sie hatte den Dahingeschiedenen in den letzten Minuten seines Lebens achten gelernt, aber sie liebte ihn nicht. Nein, sie empfand jenen Schmerz, der auch das verstockteste Frauenherz plötzlich ergreift: den Schmerz darüber, daß es ihr nicht vergönnt gewesen, die Bahn des Herkommens und der Sitte zu wandeln, daß sie durch ihre Leidenschaft für einen anderen gezwungen worden, eine Untreue zu begehen.

Von wem hatte Mr. Blackbell ihre Untreue erfahren? Wie lange kannte er sie? Sie wußte nichts darüber. Bis zu jenem Augenblick hatte Mister Blackbell durch nichts angedeutet, daß er ihr Verhältnis zu Mister Pettow kenne. Er hatte sich an ihrer Seite im Theater, in Gesellschaften gezeigt; in der letzten Zeit war er wegen seiner Kränklichkeit nicht mehr ausgegangen – genug, ihre Ehe hatte in Neuyork für eine jener leidlich erträglichen Konvenienzehen gegolten, wie man sie so häufig findet, und Mister Blackbell war dieser allgemein geltenden Auffassung in keiner Weise entgegengetreten, hatte seiner Gattin weder durch Blick, noch durch Wort verraten, daß er mehr wisse als andere. Er war besser, sanfter, milder, ja selbst liebevoller gewesen als sie gedacht. Aber erst die letzte Stunde hatte es ihr offenbart!

Sie ging im Geiste die Worte wieder durch, die er an sie gerichtet. Ja, er hatte Recht: nur darin lag Versöhnung, wenn sie Pettows Gattin wurde. Wenn Mister Blackbell das Geheimnis gekannt, so mußten auch andere es kennen. Einer – Booth, hatte ja zu ihr davon gesprochen. Solange Mister Blackbell lebte, hatte man darüber geschwiegen; jetzt würde es ruchbar werden. Verließ sie Pettow jetzt, so war sie nichts als ein untreues Weib, das ein junger Lebemann für seine Zwecke mißbraucht. Nur in der Ehe lag die Rechtfertigung des Geschehenen. Nun, sie zweifelte nicht an dieser Ehe. Sie hatte ja zu Ralph selbst davon gesprochen, daß man ihr erzählt, er mache Miß Eliza Büchting auffällig den Hof. Aber er hatte gelacht und ihr die Versicherung gegeben, die Leute, die solches Zeug schwatzen, seien Narren. Er erwartete nichts sehnlicher als die Verbindung mit Georgiana.

Ihr Weinen ließ nach. Mister Blackbell hatte ihr verziehen – das war eine Beruhigung für sie. Sie verbrachte den Abend still für sich allein. Ralph hatte zu ihr kommen wollen, schrieb aber gegen Abend ab. So konnte sie ungestört sich hineindenken in ihre jetzige Lage. Unbeschränkte Gebieterin eines Vermögens von zwei Millionen Dollars, geliebt von einem Manne, der ihr alles war, – wie hätten sich da nicht zuweilen auch hellere Momente in ihre einsamen Betrachtungen hineindrängen sollen! Sie war noch immer jung, schön, geliebt – das Leben lag vor ihr.

Am anderen Morgen kamen Gerichtsbeamte, Leichenbesteller, Testaments-Exekutoren, Modistinnen für die Traueranzüge. Lady Georgiana fühlte sich allem gegenüber weich genug und hatte nicht nötig zu heucheln. Sie machte den Eindruck einer wirklich betrübten Frau und gewann dadurch vielleicht manches strenge Herz. Man sprach mit großer Achtung von ihr. Ralph zu benachrichtigen hielt sie für unnötig. Er mußte die Nachricht längst aus den Morgenblättern gelesen haben. Um die Mittagszeit erhielt sie einen Brief von ihm, in welchem er ihr anzeigte, daß er wahrscheinlich auf einige Tage nach Washington reisen müsse, um dort über seine Verpflichtung zu längerem Militärdienst zu verhandeln. Er hatte in einem Augenblick sein Wort verpfändet, weiter zu dienen und wolle sehen, ob er, ohne dadurch in seiner Ehre gekränkt zu werden, loskommen könne. »Es ist auch vielleicht am besten, wenn uns die Welt in diesen Tagen nicht zusammen sieht« – so schloß der Brief und dies war die einzige Andeutung der stattgehabten Ereignisse.

Georgiana war nicht ganz zufrieden mit diesem Brief, und doch mußte sie sich sagen, daß er das Richtige getroffen. Sie fühlte den bitteren Stachel, der in ihrem bisherigen Verhältnisse zu Ralph lag. Georgiana fragte sich überhaupt, ob es nicht besser sei, wenn sie mit Ralph später Amerika verlasse und eine Gegend aufsuchte, in der man ihre Vergangenheit nicht kennt.

Die Leichenfeier war vorüber. Lady Georgiana waltete als unbeschränkte Herrin in dem großen Hause, ein Teil der Diener war mit reichen Geschenken und Legaten entlassen. – Alle fanden, daß Lady Georgiana nach dem Tode ihres Gatten einen großen Teil ihres früher sehr peinlichen Stolzes abgelegt hatte und lobten ihr sanfteres Wesen. Der Disponent des ausgedehnten Geschäfts Mister Blackbells fand williges Gehör, als er sich erbot, gegen eine bedeutende Abfindungssumme die Handlung seines bisherigen Prinzipals zu übernehmen, und er machte sicherlich ein gutes Geschäft. Mistreß Blackbell hatte den Kaufmannsstand nie geliebt, und vielleicht dachte sie daran, daß es ihr leichter sein werde, mit Ralph Amerika zu verlassen, wenn sie kein Geschäft, keine Sorge für ein großes Handlungshaus an die neue Welt fessele.

Mit Ralph hatte sie gar nicht darüber sprechen können, da er sich noch immer in Washington befand, um seine Militärangelegenheiten zu regeln. Er hatte von dort aus nur einmal kurz geschrieben. Georgiana billigte das. Die Achtung, die man ihr überall zollte, tat ihr um so wohler, da ihr Gewissen nicht ganz rein war, und sie dankte Ralph innerlich für die Zurückhaltung.

Sie dachte viel darüber nach, wohin sie sich später mit Ralph zurückziehen werde. Sie wußte, daß er ein fanatischer Anhänger des Südens sei, ja, sie hatte eine Ahnung von seiner Verräterei. Er hatte dadurch nie in ihrer Achtung verloren, denn auch sie, die englische Baronets-Tochter, empfand Sympathie mit dem aristokratischen Süden und wünschte ihm den Sieg. Doch darüber sollte Ralph selbst entscheiden. Er mußte das besser wissen und sie wollte sich ihm in jeder Beziehung unterordnen. Glänzende Bilder eines angenehmen Lebens stiegen vor ihr auf – ihre Ehe mit Mister Blackbell war nicht mit Kindern gesegnet gewesen –, sie sah sich umringt von blühenden kleinen Wesen, an der Seite eines liebenden und geliebten Gatten.

So träumte sie auch in diesem Augenblick auf dem kleinen Sofa ihres Boudoirs ruhend, als die Kammerfrau die Tür leise öffnete und mit gedämpfter Stimme meldete:

»Kapitän Pettow!«

Unmittelbar nach der Meldung der Kammerfrau trat der Kapitän ein. Dann öffnete er die Arme und zog die Geliebte ans Herz.

Der Kapitän war in der Uniform seines Kavallerieregiments, die ihm sehr gut stand. Er trug das schwarze Haar ziemlich lang, da die amerikanischen Offiziere in bezug auf die Haartracht keine Vorschriften kennen, und zu seinem schmalen, blassen Gesicht stand die dunkle Einrahmung und der feine schwarze Bart auf der Oberlippe im wohlgefälligen Kontrast. Die dunklen großen Augen schienen vor Liebe und Hingebung zu strahlen. Kuß auf Kuß drückte er auf die bebenden Lippen Georgianas, dann küßte er ihr die Tränen aus den Augen, von den Wangen, bis sich die Erregung Georgianas in ein Lächeln umwandelte und sie aus tiefstem Herzen rief:

»Gott sei gedankt, daß Du hier bist! Ich habe mich sehr nach Dir gesehnt. Nun trennt uns nichts mehr!«

»Auch mich trieb es gewaltig zu Dir,« sagte er, sie auf den Divan niederziehend. »Ja, ich hätte früher aus Washington zurückkehren können, aber ich wollte es nicht. Ich ahnte, daß die Leute sprechen würden. Jetzt, nach zehn Tagen, ist ihnen jeder Vorwand genommen. Dennoch müssen wir vorsichtig sein, niemand darf die Vergangenheit ahnen. Diejenigen, welche unser Geheimnis kennen gelernt, werden schweigen.«

»Es freut mich, daß Du ganz meine Ansicht teilst,« sagte die Lady. »Es würde unseren beiderseitigen Stolz kränken, wenn man Andeutungen über uns machte. Es wird Dich überraschen, zu erfahren, daß auch Mister Blackbell mehr wußte, als wir jemals glaubten.«

Ralph schien in der Tat überrascht und Georgiana berichtete ihm nun fast Wort für Wort, was der Sterbende zu ihr gesprochen.

»Ich hätte ihn kaum für so edelmütig gehalten,« sagte Ralph dann nachdenklich. »Um so besser. Er sah selbst ein, daß er ein Unrecht an Dir begangen und das muß Dich beruhigen. Was er von Miß Eliza Büchting sagte, ist natürlich, wie alles, was darüber gesprochen wird, ein Unsinn. Es scheint mir, daß ihre Eltern nicht abgeneigt sein würden, mich zu ihrem Schwiegersohn zu machen – ob Miß Eliza mehr für mich fühlt als für andere, weiß ich nicht – auch ist sie ein schönes und enorm reiches Mädchen, vielleicht das reichste in ganz Amerika – aber ich werde meiner Georgiana niemals mein Wort brechen – niemals!«

Eine neue Reihe von Küssen besiegelte dieses Versprechen.

»Du wirst Dein Wort nicht brechen,« flüsterte Georgiana unter seinen Küssen, »wenn Du mich immer liebst. Und Du mußt mich immer lieben, denn Du bist meine einzige Stütze, mein einziger Hoffnungsanker. Wenn ich Dich verlöre, hätte ich die Achtung vor mir selbst verloren und zugleich den Glauben an die Menschen. Mir würde das Herz brechen!«

Nicht zu jedem Manne darf ein liebendes Weib so offen sprechen. Georgiana liebte diesen Mann und er war in der Tat ihr Alles auf der Welt. Weshalb es ihm nicht sagen? Mußte er nicht um so mehr durch das Bewußtsein an sie gekettet werden, daß sie ihm alles geopfert und ihm gegenüber nur schwach wie ein Kind sei?

Es war nicht schwer für Ralph, die hingebenden Worte der Geliebten mit Worten gleicher Leidenschaft zu erwidern. Diese Augen, diese Lippen, diese ihn umschließenden Arme mußten auch den Kältesten in einen Rausch versetzen und ihm Beteuerungen auf die Lippen zaubern, von denen sein Herz wenig wußte.

Als sie beide ruhiger geworden, besprachen sie beide, was sie zu tun hätten, um ihren eigenen Wünschen zu genügen und in den Augen der Welt keinen Anstoß zu erregen. Ralph sagte, es sei unumgänglich notwendig, das Trauerjahr abzuwarten.

»Was verlieren wir denn?« sagte er lächelnd. »Wir entbehren nichts. Wir fügen uns nur in die Vorurteile der Welt und unser Opfer ist leicht, da wir uns ja täglich sehen können. Täglich? – Freilich, das wird nicht möglich sein, denn meine leidige Militärangelegenheit nimmt keine günstige Wendung. Ich werde noch ein Jahr diese alberne Uniform tragen müssen. Aber ich werde es einrichten, daß ich eine Stelle hier in Neuyork erhalte. Denn die Anwesenheit einiger entschlossener Leute ist hier in der Stadt notwendig. Ich denke, wir machen bald einmal eine Demonstration zugunsten des Südens, um die Sympathien, die er im Norden zu verlieren anfängt, von neuem zu beleben.«

»Wie steht es denn eigentlich mit dem Kampfe?« fragte Georgiana. »Aus den vielen Berichten in den Zeitungen kann ich mir kein Bild entwerfen und in der letzten Zeit las ich keine.«

»Wir rücken nicht vorwärts,« sagte Pettow, und sein Gesicht verdüsterte sich. »Wenn ich wir sage, dann weißt Du, daß ich nicht die verdammten Yankees meine, deren Uniform ich trage, sondern die Freunde meiner Seele, die Rebellen. Woran es liegt? – Der Teufel mag es wissen! Aber die Yankees entwickeln eine Zähigkeit, die wir nicht im Sturm überwältigen können. Auch ist eine unserer Hoffnungen fehlgeschlagen. Wir rechneten sicher darauf, der Norden würde den Krieg bald satt haben. Gerade umgekehrt! Der Krieg wird in den Nordstaaten mit jeder Niederlage der Unionstruppen populärer, und daran sind zum großen Teil die verdammten Deutschen schuld, die mit ihrem albernen Ehrgefühl und ihrer ledernen Zähigkeit darauf bestehen, daß die Union erhalten bleibe, und die Waffen nicht aus der Hand legen. Im Süden wird das Geld bereits knapp. Die Blockade wird strenger gehalten, die Baumwolle kann nicht mehr hinüber nach England. Ich muß nächstens wieder einen heimlichen Ritt nach Richmond machen, um an der Quelle, bei Jefferson Davis, Erkundigungen einzuziehen. Doch, da fällt mir ein, was erzähltest Du mir von den Beweisen, die Mister Blackbell gegen mich habe, von Verrätereien?«

Georgiana in ihrem Vertrauen hatte ihm alles mitgeteilt, auch die Andeutungen ihres sterbenden Gatten. Lächelnd holte sie das Kästchen, das sie bis dahin noch gar nicht geöffnet hatte und schloß es auf, während Ralph neben ihr saß. Eine Menge edlen Geschmeides blitzte ihr entgegen, Diamanten und Perlen, – es mochten Geschenke sein, die Mister Blackbell ihr zu Weihnachten oder zu ihrem Geburtstage bestimmt. Daneben lag ein Kuvert mit der Aufschrift: »Briefe Mr. R. Pettow betreffend.«

»Darf ist das lesen?« fragte Ralph, seine Besorgnis unter einer fast spöttischen Ruhe verbergend.

»Gewiß,« antwortete Georgiana. »Ich will hinausgehen, lies die Briefe.«

»Nein, bleibe hier!« rief Pettow. »Ich habe Dir nichts zu verbergen.«

Er öffnete das Kuvert. Es enthielt drei Briefe, geschrieben von einem Kaufmann in Richmond, der seit vielen Jahren mit Mister Blackbell in Geschäftsverbindung gestanden hatte und trotz seines Aufenthalts im Süden ein Anhänger des Nordens und der Sache der Union zu sein schien. Der Kaufmann meldete in den Briefen Mister Blackbell, daß er in sichere Erfahrung gebracht habe, eine Anzahl sogenannter Unionspatrioten und unter ihnen auch Offiziere der Union, z.B. Kapitän Pettow, ständen in verräterischem Verkehr mit den Rebellenhäuptern. Er überlasse es Mister Blackbell, die Angelegenheit weiter zu verfolgen. Der letzte der Briefe enthielt die Nachricht, daß durch Kapitän Pettow der Plan Mac Clellans, Richmond von der See her anzugreifen, verraten worden sei. Zugleich zeigt der Schreiber an, daß er Richmond verlasse.

Mister Blackbell hatte ein Papier beigefügt, auf welchem die Worte standen: »Mistreß Georgiana Blackbell mag später über diese Briefe entscheiden.« Sein Ehrgefühl hatte ihn abgehalten, diese Mitteilungen zu benutzen, um den Schänder seiner Ehre zu bestrafen.

Ralph teilte der Lady unbefangen mit, wovon die Briefe handelten.

»Willst Du ihren Inhalt irgend einmal gegen mich gebrauchen?« fragte er dann ruhig.

»Aber Ralph, wovon sprichst Du! Ich kenne Deine Geheimnisse. Werde ich sie je verraten?« rief Georgiana.

»So erlaubst Du mir, die Briefe ins Feuer zu werfen, damit sie nicht einmal ein anderer findet?«

»Gewiß, mein Herz.«

Es brannte, obwohl es draußen ziemlich mild war, im Kamin ein Feuer. Ralph warf die Briefe hinein mit einem leichten, triumphierenden Ausdruck.

»Also das ist alles, was Mr. Blackbell Dir als Waffe gegen mich in die Hand geben wollte?« fragte er dann lächelnd, aber die Miene Georgianas scharf prüfend.

»Alles, mein Lieber, und auch diese Waffen habe ich Dir ausgeliefert. Ich baue nur auf Dein Herz und dessen Treue. Ohne das wäre ich mit allen Waffen ohnmächtig.«

»Du sollst nicht betrogen werden, herrliches Weib!« rief Ralph, auf sie zueilend, sich ihr zu Füßen werfend und ihre Hände leidenschaftlich küssend. Sie zog ihn zu sich hinauf und bald war dieser Zwischenfall im Rausche glühender Küsse, im Taumel der Sinne vergessen.

Es war ungefähr zehn Uhr abends, als Ralph die stolze Baronetstochter, die er beherrschte wie ein Kind, nach einem zärtlichen Abschied verließ. Sobald sich die Tür hinter ihm schloß, verwandelte sich jedoch sein erregtes Gesicht mit den glänzenden beredten Augen in ein düsteres, fast zorniges. Die Wege, die er so oft gegangen, genau kennend, stieg er die kleine Treppe hinab, die nach einer Tür in die Nebenstraße führte. Ein alter Neger öffnete sie ihm, und er trat auf die Straße, die noch von Menschen erfüllt und von den zahlreichen Gaslampen hell erleuchtet war. Ralph rief einen Kutscher an und fuhr nach einem nicht sehr entfernten Hause in einer der besten Straßen. Auf seine Frage, ob Mr. Büchting und Familie noch zu sprechen seien, wurde ihm von einem Diener bejahend geantwortet, und sein Haar, sowie den kleinen Schnurrbart ordnend, stieg er die breite bequeme Treppe hinauf nach dem ersten Stockwerk.


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