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2. Bild

Abort im Landtag.

Links für Damen. Rechts für Herren. Man sieht in beiden Abteilen Kabinentüren, und neben den Eingängen die Waschvorrichtung. In der Abteilung für Männer sind die Nischen des Pissoirs so gebaut, daß der Kopf des Benutzers über der Brüstung sichtbar bleibt. Die Trennwand zwischen den Abteilungen reicht bis etwa vier Schritte vor der Rampe. Den Vordergrund nimmt ein korridorartiges Zimmer ein, das als Aufenthaltsraum des Landtagspersonals dient. Dieser Raum wird durch eine die Mitte nur in geringer Breite verdeckende tapezierte und gleichgültig ausgeschmückte Rückwand nur angedeutet. Er ist durch besondere Eingänge links und rechts mit den Abtritten verbunden und kann auch beiderseits von den Kulissen aus erreicht werden. In den Szenen, die hier spielen, wird durch Lichtwirkungen der Eindruck eines vom Hintergrunde getrennten Raumes hervorgerufen. Auch die Möblierung des Zimmers ist nur durch ein paar Sitzgelegenheiten angedeutet.

Links wäscht sich Dr. Tankhafen die Hände. Hinter ihr steht Berta mit Handtuch. Rechts wäscht sich Barde die Hände, hinter ihm steht Steinbott mit Handtuch.

Barde: Seife ...

Steinbott: Liegt keine da?

Barde: Geben Sie ein anderes Stück. Wer weiß, wer das schon benutzt hat.

Steinbott: Nur Abgeordnete. Hier, nehmen Sie.

Tankhafen: Haben Sie Fräulein Jungbleib heute schon hier gesehen?

Berta: Ist die im Landtag?

Tankhafen: Sie nimmt seit einigen Tagen an den Kommissionsberatungen über das Wetteramt teil.

Berta: Ich kenne nur die Damen vom Landtag selber und die Sekretärinnen von den Fraktionen und vom Büro.

Tankhafen: Da muß ihnen doch ein neues Gesicht aufgefallen sein.

Berta: Meinen Sie die blonde Stenotypistin, die sie jetzt bei den Unversöhnlichen eingestellt haben?

Tankhafen: Nein. Fräulein Jungbleib ist rothaarig.

Berta: Ach die! Ich glaubte, die wär von der Kunst und vielleicht die Freundin von jemand.

Tankhafen: Aha, das dachten Sie also. Nein, sie wird als Sachverständige gehört.

Berta: Ists möglich? Und die ist doch so nett, als ob sie zu uns gehörte oder eine vom Theater wär.

Tankhafen: Dacht ich mir doch, daß die sich gleich mit aller Welt gemeinmachen würde ( arbeitet mit dem Lippenstift).

Barde: Sagen Sie mal, Wertgeschätzter, Sie sehen und hören hier in den Gängen und Treppenhäusern wohl auch so allerhand?

Steinbott: Was gerade in mein Fach fällt.

Barde: Na ja, nicht übel. Aber ich meine – na, sozusagen außeramtliche Verständigungen zwischen gewissen Herrn und Damen ... eben – auch unpolitischer Art.

Steinbott: Abgeordnete sind am Ende auch Menschen.

Barde : Können ja mal ein paar Beobachtungen zum Besten geben, was?

Steinbott: Das gehört nicht zu meinem Dienst, Herr Abgeordneter.

Barde: Ich frage Sie nicht aus Neugier, Mensch. Kamm ...

Steinbott: Bitte.

Barde: Gut gereinigt?

Steinbott : Mit Salmiakgeist. Er wird außer von Ihnen auch höchstens von Herrn Regierungsrat Hornbriller verlangt.

Barde: Schon gut. ( kämmt sich)

Tankhafen: Wenn Sie das Fräulein also kennen ... haben Sie vielleicht gesehen, ob sie sich da draußen mal mit Herrn Geheimrat Stechbein getroffen hat?

Berta: Die hab ich noch mit niemandem gesehen. Und das kümmert mich auch gar nicht. Ich meine, das sollten Sie selber wissen.

Tankhafen: Sie sind verschwiegen. Ich weiß. Immerhin – wenn Ihnen einmal etwas auffallen sollte – hier haben Sie fünfzig Pfennig. ( ab)

Barde : Hier haben Sie eine Mark, mein Lieber. Wäre mir lieb, zu erfahren, mit wem die rothaarige Wetterhexe schöntut. Sie haben sie ja doch schon gesehen.

Steinbott: Aber noch mit keinem von den Herren.

Barde : Habe gewisse Brüder von der linken Seite in Verdacht. Können mir ja mal einen Wink geben.

Selters: ( tritt ein, stellt sich in eine Nische) Das Plenum muß doch bald anfangen, Herr Kollege Barde.

Barde: Wenn die Wetterkommission nicht rechtzeitig fertig wird, wird Krampf wohl später ansetzen.

Selters: Zu einer Einigung über die Vorlage wird die Kommission heute wohl kaum noch kommen.

Barde: Ist mir wurscht ... ( zu Steinbott) Da, heben Sie die Seife für mich auf. Wer weiß, was für Genossenpfoten sich sonst noch dran verewigen. ( ab)

Frau Möhre begibt sich zur Linken in eine Kabine.

Widerborst: ( Abgeordneter der Unversöhnlichen stellt sich in eine Nische neben Selters) Mit der Vorlage wird die Regierung kein Glück haben.

Selters: Ob die Kommission noch lange zu tun hat?

Widerborst: Die Herren können sich schwer von der hübschen Sachverständigen trennen.

Selters: Ich habe sie gesehen. Ein reizendes Kerlchen.

Widerborst: Die hat aber Haare auf den Zähnen. Wie die dem General Stiefengrat übers Maul gefahren ist ...

Selters: Was Sie nicht sagen ...

Widerborst: Der möchte ja auch am liebsten aus dem Wetteramt einen Kasernenhof machen. Wo man die Wolken Parademarsch exerzieren läßt.

Selters: Nun, Herr Kollege Widerborst, als Linksliberaler möchte auch ich dem Militär keine übermäßige Machtfülle im Staate geben. Andererseits darf doch der Gesichtspunkt der Landesverteidigung niemals unberücksichtigt bleiben.

Widerborst: Wir Unversöhnlichen bewilligen diesem Wetteramt keinen Mann und keinen Groschen.

Selters: Die Schaffung des Amtes ist ja Dank der Einsicht der Sozialisten und der Arbeiter-Rassenpartei jedenfalls gesichert. Die Schwierigkeit liegt nur noch bei den Verwaltungsfragen.

Widerborst: Ihr Verrat wird diesen sogenannten Arbeiterparteien nichts nützen. Wir verlangen selbstverständlich bei der Verteilung der neuen Ämter die uns nach unserer zahlenmäßigen Stärke zukommende Beteiligung.

Frau Möhre verläßt die Kabine, bleibt aber von Widerborsts kräftiger Stimme gefesselt stehen und horcht.

Selters : So hoch mir der Grundsatz der Verhältnisdemokratie in unserer Republik steht, so scheint mir doch die Einfügung in die Staatsnotwendigkeiten die unerläßliche Bedingung, um sie für die Zulassung für so wichtige Posten anwendbar zu machen.

Widerborst: So! Das ist die Absicht des Finanzkapitals. Uns, den einzigen Vertretern der Werktätigen ... die Beaufsichtigung eurer dunklen Machenschaften zu unterbinden! Nun, wir werden der herrschenden Klasse die Maske vom Gesicht reißen. Unter Führung der Unversöhnlichen Partei – – –

Selters: Aber, verehrter Herr Kollege, an dieser Stätte ist doch Ihre Ereiferung ganz unangebracht.

Widerborst: Sie werden mich im Plenum hören! Wir werden ein Mißtrauensvotum einbringen ... ( wütend ab)

Möhre: Das war doch der unversöhnliche Widerborst. Mit wem sprach er denn?

Berta: Das weiß ich nicht. Ich hab nicht hingehört.

Möhre : Kann man das nicht in Erfahrung bringen?

Berta: Dann müssen Sie sich zu den Herren hinüberbemühen.

Möhre: Der Betreffende ist ja noch da. ( horcht angestrengt)

Speicherer tritt auf, geht an die Wasserleitung.

Speicherer: Ah, Herr Kollege Selters. Was Neues?

Selters: ( kommt vor) Ich bin ja nicht in der Kommission.

Speicherer: Hab mir die Geschichte eben angehört. Die Sozialisten wollen natürlich alle Hauptreferate, Hustenreiz machte die bekannte Rechnung auf: soviel Mandate im Landtag, soviel Posten im Wetteramt.

Selters: Das ist einmal die demokratische Ordnung.

Speicherer: In Ehren! Nur darf die Wirtschaft dabei nicht vor die Hunde gehen. Wollen Sie diese Leute, die doch ihre oppositionelle Vergangenheit immer noch von gewissen Arbeiterströmungen abhängig machen, am Ende gar in den Aufsichtsrat hineinlassen?

Selters : Alles hat natürlich Grenzen. Auf der anderen Seite haben sie ihre sozialistische Lehre in vollkommene Übereinstimmungen mit den Erfordernissen der bestehenden Wirtschaftsordnung gebracht. Sie bewilligen, was wir brauchen. So können wir sie schwerlich von den rein verwaltungstechnischen Ämtern ausschalten.

Speicherer: In privaten Unternehmungen hat das demokratische Verfahren eher einen Sinn. Nehmen wir eine Zeitung: da bestimmt der Mehrbesitz an Aktien ohne weiters die politische Haltung. In einem lebenswichtigen Staatsbetrieb dagegen – – ( zum Steinbott) bitte ein Handtuch!

Paula: ( tritt auf) Tag, Berta. Bin eben abgelöst worden. Ich bleib ein bißchen bei dir.

Berta: Setz dich, Paula.

Möhre : Sind doch das Büfettfräulein? Ist Herr Regierungsassessor Hornbriller im Erfrischungsraum?

Paula: Nur Herr Geheimrat Stechbein. Er sitzt mit Fräulein Ministerialrätin in der Weinabteilung. Herrn Regierungsassessor sah ich in den Saal gehen, wo die Kommission tagt.

Möhre : Ist Fräulein Dr. Tankhafen schon lange da?

Paula: Nein. Herr Geheimrat wollte schon zahlen.

Möhre : Also, von meiner Fraktion der Christlichen Reformpartei niemand. Es ist gut, Fräulein. ( horcht)

Selters: Was hatten Sie übrigens für einen Eindruck von der Person, die der Wetterrat Niedermayer uns da als Vertreterin hergeschickt hat?

Speicherer: Kesses Luder, was? War mir damals beim Turm schon aufgefallen.

Selters : Hat sie wenigstens bessere Manieren als der unmögliche Ingenieur?

Speicherer: Kühl bis ans Herz. Aber der ganze Landtag macht Schielaugen nach ihr.

Krachhahn: ( tritt ein) Natürlich, wo man hinkommt, überall dasselbe Gespräch.

Speicherer: Zum ersten Male Einstimmigkeit im Landtag: sowas Nettes hat es hier noch nicht gegeben!

Krachhahn: Nur die Weiber stimmen dagegen. Die Tankhafen pirscht unverdrossen hinter ihrem Stechbein her.

Speicherer: Und die Möhre hinter ihrem Hornbriller.

Möhre: Gemeinheit!

Selters: Wer hat denn nun das Glück bei der Schönen?

Speicherer: Ich glaube, der große Volkserneuerer Kajetan Teutsch gibt sich mächtige Mühe.

Krachhahn: Das Mädel kommt mir aber nicht so vor, als ob sie in dem Punkt Ähnlichkeit mit unsrer Republik hätte.

Selters : Wie meinen Sie das?

Krachhahn: Na, daß sie jedem die Liebe glaubt, der ihr nicht gerade ins Gesicht spuckt.

Selters: Wo steht sie eigentlich politisch?

Krachhahn: Da sieht sie der Republik schon ähnlicher: schwarze Augen, rotes Haar – und goldenes Gemüt.

Speicherer : Dabei von rührender Ahnungslosigkeit in allen Dingen, auf die es ankommt.

Krachhahn: ( tritt in eine Nische) Sie meinen, wie die da oben den Wetterbetrieb befummeln. So geschickt das kleine Aas ihre Sache verteidigt ... lassen wir die Gesellschaft da noch lange murksen, dann ist die Landwirtschaft zum mindesten beim Satan.

Speicherer : Die gesamte Wirtschaft! Der Schaden ist ja jetzt schon ungeheuer. Dabei könnte der Wetterdienst mit Leichtigkeit zu einem höchst gewinnbringenden Unternehmen gemacht werden.

Selters: Die Hauptsache ist, eine gesunde kaufmännische Leitung einzusetzen.

Speicherer : Das bisherige Verfahren ist einfach kindisch. Man paßt die Wetterlage kurzerhand den Bedürfnissen der im Freien arbeitenden Berufe an. Dabei fragen sie nicht die Unternehmer, die das Risiko mit ihrem Vermögen tragen, sondern die ahnungslosen Arbeitnehmer.

Selters: Das ist freilich mehr als naiv. Immerhin können sie auf glänzende Ernten im ganzen Land verweisen.

Krachhahn: Eben! Das ist der Ruin der Landwirtschaft.

Speicherer : Und vieler anderer Wirtschaftsgebiete. Unsre gesamte Zoll- und Steuerpolitik wird durchkreuzt, und nun muß man ihre wahnsinnigen Menschheitsduseleien hören. Die großen Stürme hat man über breite Zonen zerstäubt und dadurch zu Nutzwinden gemildert. Klingt brav, nicht wahr? Die praktische Wirkung ist, daß es keine Sturmschäden an den Häusern gibt. Folglich Arbeitsausfall im Baugewerbe, schwerste Schädigung gerade des Industriezweiges, von dessen Belebung in der wärmeren Jahreszeit die Leute das größte Aufheben machen. Machen das Wetter zum bauen und zerstören den Anlaß der Bautätigkeit. Das ist die glatte Verhöhnung der Arbeiter, meine Herren!

Krachhahn: Das sind schon gemeingefährliche Narren.

Speicherer: Weiter. Der Hochseefischerei wird während der Fangzeit ein Wetter beschert, das eine Übersättigung des Marktes mit billigen Fischen bewirkt. Folge?

Krachhahn: Die Pleite der Viehzucht. ( kommt wieder vor)

Speicherer: Nicht davon zu reden, daß die Ölmäntelfabrikation durch Absatzstockung zugrunde geht, Oder: das Fräulein legt eine Statistik vor, die beweist, daß die Schiffsunfälle auf einen winzigen Prozentsatz heruntergegangen sind. Sehr edel! Nur an die Versicherungsgesellschaften denkt kein Mensch ...

Selters: Sehr wahr!

Krachhahn: Noch doller: Hagelschläge gibt es überhaupt nicht mehr. Sämtliche Hagelversicherungen sind kaputt.

Selters: Das sind in der Tat schlimme Auswüchse.

Krachhahn: Für die Preisbildung ist es eine Katastrophe. Die Scheuern bersten, und wir müssen das Brotgetreide, um es nicht zu Schleuderpreisen herzugeben, einfach verfaulen lassen.

Speicherer: Es ist Zeit, Kraft zu zeigen. Wir drei, meine Herren, als die berufenen Vertreter von Industrie, Landwirtschaft und Handel, müssen die Richtlinien festlegen, durch die ohne Rücksicht auf humane und soziale Redensarten das Wetteramt der Obhut der leitenden Wirtschaftskräfte unterstellt wird.

Selters: Wenn wir Sorge tragen, daß der Aufsichtsrat ausschließlich aus Vertrauenspersonen unserer Parteien zusammengesetzt wird so werden wir die übrigen Posten ruhig paritätisch verteilen können.

Speicherer: Ja, dann haben wir den Betrieb in seiner ökonomischen Auswertbarkeit in der Hand. Kommen Sie, wir können hier hinten den Geheimvertrag entwerfen, den wir unseren Fraktionen vorlegen.

Selters : Die demokratischen Formen müssen natürlich gewahrt bleiben.

Krachhahn: Wenn Sie Wert darauf legen ... ( verschwinden hinter der Wand)

Tankhafen: ( tritt auf) Ach, Sie sind hier, liebste Frau Möhre.

Möhre : Denken Sie – aber pssst – ich war zufällig Zeugin wichtiger politischer Verabredungen.

Tankhafen: Nicht möglich! Erzählen Sie doch –

Möhre : Wollen Sie denn nicht erst ihr wertes Bedürfnis verrichten?

Tankhafen: Nein. Ich war eigentlich schon hier. Ich wollte nur nachsehen – berichten Sie doch, was Sie erlauscht haben.

Möhre : Ob mir aber mein christliches Gewissen es nicht verbieten sollte, es zu verraten?

Tankhafen: Ich bitte Sie, Frau Möhre! Ich kann doch schweigen.

Möhre : Die Unversöhnlichen wollen ein Mißtrauensvotum einbringen.

Tankhafen: Was Sie nicht sagen!

Möhre: Aber das ist noch gar nichts. Die Industriepartei, die Landwirtschaftler und die Liberalen machen da nebenan gerade einen Geheimvertrag, daß sie den Aufsichtsrat im Wetteramt ganz allein besetzen wollen. Ich hab alles ganz deutlich gehört: Krachhahn, Speicherer und Selters setzen den Entwurf gerade auf.

Tankhafen: Da muß man natürlich gleich Gegenminen legen.

Möhre : Ich meine doch auch, daß man die Christliche Reformpartei nicht von dem ganzen Gewinn ausschließen darf.

Tankhafen: Ich werde meine Parteifreunde verständigen lassen. Da ich Beamtin bin, muß ich mich selber natürlich zurückhalten. Aber die Mittelparteien müssen ebenfalls benachrichtigt werden. Die Hausfrauenpartei wird eine solche Übervorteilung ja gewiß nicht gleichmütig hinnehmen.

Möhre : Das meine ich eben. Niemand wird sich doch in seiner Bedrängnis alle Öffnungen zustopfen lassen.

Wachtel: ( kommt eilends herbei) Ich kann und kann die Aufregungen nicht vertragen.

Tankhafen: Das ist es ja gerade, Frau Wachtel von der Hausfrauenpartei.

Möhre : Wissen Sie schon, Frau Kollegin Wachtel –

Wachtel: Ja, es ist ein Skandal. Der Schreck – verzeihen Sie ... ( will weiter)

Tankhafen: Wovon sprechen Sie den da? Was ist geschehen?

Wachtel: Ich denke, Sie wissen? Die Kommissionssitzung ist aufgeflogen.

Tankhafen: Aufgeflogen? Wieso?

Wachtel: Die Rassischen haben sie gesprengt. Ja – doch!

Möhre : Um Gotteswillen! Und das haben wir versäumt. Aber wie ging; es denn zu? Laufen Sie uns doch nicht fort!

Wachtel: Der Abgeordnete Hustenreiz und Herr Barde gegen Herr Teutsch und der Dame vom Wetteramt – –

Tankhafen: Also doch! Und Hustenreiz und Teutsch hat sie in ihre Netze gezogen!

Möhre: Das sind ja furchtbare Verirrungen.

Wachtel: Mein Gott, so ist es ja nicht. Aber, wissen Sie ... die Feier am Wetterturm – Zugluft schlägt mir immer auf den Darm.

( schnell in eine Kabine)

Tankhafen: Von Hustenreiz hätte ich es ja nicht gedacht.

Draußen nähert sich Lärm und Geschrei. Speicherer, Selters und Krachhahn kommen zum Vorschein.

Krachhahn: Was ist denn das für ein mörderisches Getöse?

Steinbott: Da werden die Parteien wohl wieder verschiedener Meinung sein.

Hustenreiz: ( stürzt herein, schmeißt die Tür zu) Das ist Banditentum. Das ist nicht mehr parlamentarisch.

Barde: ( tobt herein mit geschwungenem Lineal) Wo ist der Judenlümmel?

Hustenreiz: Hilfe! Hilfe ... ( duckt sich in einer Nische)

Selters: ( zaghaft) Doch keine Gewalttätigkeit, Kollege Barde!

Speicherer: Ruhe, meine Herrn!

Barde: Weg da! ( Hustenreiz entkommt in eine Kabine) Feiger Halunke!

Krachhahn: ( hält sich den Bauch vor lachen) Das ist ja köstlich. Was hats denn gegeben, lieber Barde?

Barde : Der Scheißkerl will unsern Führer beleidigen! Dieses Stück Mist von Kajetan Teutsch –

Speicherer: Erzählen Sie schon!

Barde: Sagt doch das Arschloch: gewisse Herrn, und meint Kajetan Teutsch – interessierten sich wohl weniger für die Erklärungen des Wetterfräuleins als für ihre weibliche Persönlichkeit – –

Selters: Das ist allerdings stark.

Krachhahn: Hahahaha! Ist wohl dem Häschen zu dicht auf den Pelz gerückt?

Barde: Die hysterische Nutte scheint es mit den Linken zu halten – quietscht plötzlich los, geht hoch wie eine Rakete, erklärt mit keuscher Würde, sie spräche nicht weiter, solange Herr Teutsch sich nicht von ihr weggesetzt hätte. Er hätte mit den Beinen nach ihr geangelt – –

Krachhahn: Ist ja großartig!

Barde : Und der rötliche Oberkellner da ... will gleich den Anstandswauwau spielen und läßt die hanebüchenste Unverschämtheit vom Stapel. Ich hatte ihn sofort bei der Krawatte.

Speicherer: Die Sitzung wurde also gesprengt?

Barde: Klar! Allgemeine Keilerei.

Selters: Ein bedauerlicher Fall. Im Plenum mag so etwas schon einmal vorkommen, aber in der Kommission, wo man unter sich ist?

Tankhafen: Mein Parteifreund Hustenreiz ist demnach unschuldig. Wir müssen aber hören, was nun beschlossen wurde.

Jenny tritt ein.

Tankhafen: Aha, die Fraktionssekretärin meiner Partei. Kommen Sie aus der Kommissionssitzung? Was gibts?

Jenny: Sie hauen sich. Da heißt, jetzt nur noch die Unversöhnlichen mit den Landwirtschaftlern und den Rasseparteilern.

Möhre: Wie unchristlich!

Wachtel: ( kommt aus der Kabine) Ach, Frau Wärterin, haben Sie keine Choleratropfen?

Berta: Ich habe nur Abführmittel hier.

Wachtel: Um alles in der Welt – nein!

Paula: Am Büffet gibt es einen sehr guten Magenbitter, Frau Abgeordnete. Der hilft Herrn Minister Blödel immer.

Hornbriller: ( tritt auf) Sich so zu echauffiern. Eine blamable Affaire, Ich recherchiere nach Herrn Hustenreiz.

Barde: Der erleichtert sein Herz. Sonst fällt es ihm in die Hosen.

Hornbriller: Ist er blessiert?

Krachhahn: Ach wo! Blaß aber munter.

Hornbriller: Nur vom Choke derangiert, tant mieux. Hallo – ( klopft an)

Hustenreiz: ( von innen) Herr Regierungsassesser?

Hornbriller: Ein Journalist wünscht Sie über die Attacke zu interviewen. Wollen Sie ihn informieren?

Hustenreiz: Solange diese Bedrohung andauert, bleibe ich, wo ich bin.

Krachhahn: Wehren Sie sich doch, Mensch!

Barde: Er soll bloß rauskommen, der Schlappschwanz! Ich werde ihm die Chuzpe schon austreiben – –

Speicherer: Es lohnt sich nicht, Kollege Barde.

Selters: Lassen Sie es nun auf sich beruhen.

Hornbriller: Durch kollegiale Intervention ließe sich gewiß eine honorige Satisfaktion entrieren.

Barde: Ich hau ihm in die Fresse! Dann kann er laufen – –

Hustenreiz: Hilfe! Hilfe – –

Hornbriller: Er appelliert an Sukkurs. Ich werde den Interviewer selbst instruieren. ( ab)

Speicherer: Ich habe auch keine Lust, mich in eine Prügelei verwickeln zu lassen. ( ab)

Selters: Ich schließe mich an. ( ab)

Krachhahn: Viel Glück, Kollege Barde! ( ab)

Barde: So, Brüderchen – jetzt sind wir unter uns. Ich spucke mal in die Hände – –

Steinbott: Nun sag ich ihnen was, Herr: Wenn Sie sich prügeln wollen, dann tun Sie das im Sitzungssaal. Auf meinem Abort hat jede Partei gleiches Recht. Wenn hier Sitzung ist, gibts keinen Krach, der nicht dazugehört, und wer sich nicht so benimmt, wie sich das auf dem Abort schickt, den schmeiß ich raus!

Barde: Mischen Sie sich nicht in Dinge ein, die Sie nichts angehen.

Steinbott: Hier bin ich Präsident, und hier mach ich die Geschäftsordnung. Verstanden? Kommen Sie ruhig raus, Herr Abgeordneter. Im Abort ist reine Luft.

Hustenreiz kommt schlotternd zum Vorschein.

Barde: Jammerkerl!

Steinbott: ( stellt sich zwischen beide) Jetzt setzen Sie sich da man in die Ecke. Da sieht Sie keiner, und da faßt Sie keiner an. Und Sie, Herr Barde, wenn Sie hier noch was zu besorgen haben, tun Sie es gleich. Für andere Geschäfte ist dieser Ort nicht da.

Barde: Das will ein deutscher Mann sein! ( ab)

Otti: ( tritt auf) Guten Morgen.

Tankhafen: Jetzt können wir das Fräulein ja selber fragen. Ihretwegen hat also die Kommissionssitzung einen so jähen Abschluß gefunden?

Otti: Ich mußte mir unangenehme Annäherungen vom Leibe halten. Das ist alles.

Tankhafen: In der Regel haben die Herren ein Gefühl dafür, wo sie Annäherungen wagen können.

Möhre: So heißt es.

Otti: Dann will ich ihren Erfahrungen nicht widersprechen.

Tankhafen: Das ist derselbe Ton, den man schon in Wetterborn beliebte.

Wachtel: Dort habe ich mir die Magenerkältung zugezogen. Ich gehe jetzt und lasse mir einen Bittern geben.

Möhre: Wir gehen wohl lieber gleich mit ... ( alle drei ab)

Otti: Die parlamentarischen Gebräuche sind nicht so leicht zu lernen.

Berta: Wir haben da nicht hineinzureden.

Paula: Wir tun unsre Arbeit und halten den Mund, Fräulein.

Otti: Achso ... ( wäscht sich die Hände, singt)

So ists bei den Menschen bestellt – ja, ja.
Dem Reichen gehört die Welt – aha.
Der Arme muß sich beackern,
muß sich für den Reichen rackern.
Der Arme verbringt sein Leben – soso,
füllt dem Reichen die Truhen und Fässer.
Der Reiche, der steht daneben – oho!
Tut nichts, kann nichts und weiß alles besser.
Das dauert, solang sich der Arme nicht wehrt.
Und hört auf, sobald er sein Recht begehrt.
Und wenn das geschieht, dann ists so bestellt:
Wer die Arbeit tut – dem gehört die Welt!
Jaja, aha, soso, oho ...
Wer heut seufzt, der ist morgen froh!

Paula: Haben Sie aber eine hübsche Stimme.

Otti: Beim Wetterturm singe und tanze ich mit einem ganzen Jugendchor.

Berta: Gibt es da so viele bessere Leute?

Otti: Da gibt es nur die allerbesten Leute. Lauter Arbeiter und Bauern – –

Jenny: Ach, Sie halten es mit denen?

Otti: Das müßten Sie doch aus meinem Lied gemerkt haben.

Berta: Sind Sie Kommunistin?

Otti: Sowas Ähnliches werde ich wohl sein. Nur mit dem Parteikram habe ich nichts im Sinn.

Paula: Wir alle nicht. Aber hier im Hause kann man auch ein Lied davon singen.

Jenny: Wenn wir auch keine solche Stimme haben wie Sie.

Paula: Ich bediene nämlich im Erfrischungsraum. Da müßten Sie mal hören, was das für Menschen sind, die Wähler ausschmieren, ohne daß die es merken – das ist die ganze Regierungskunst.

Otti: Ich habe einen Vorgeschmack davon bekommen: wenn man das Wetter bestimmen soll, kommt es doch darauf an, daß wir die Feldbestellung und die Ernte, die Schiffahrt und die Arbeit überall unter guten Bedingungen schaffen können. Ich habe ihnen unsere Berechnungen erklären wollen – von all dem wollten sie gar nichts hören. Gefragt haben sie nach der Geschäftsaufsicht, ob man nicht Arbeiter einsparen, Rücklagen machen, die Arbeitszeit verlängern, gestaffelte Löhne einführen könnte. Die meisten hörten überhaupt nicht hin. Aber alle wollten mal in meine Notizen sehen. In Wirklichkeit schielten sie in meinen Blusenausschnitt.

Jenny: Das kennen wir hier zur Genüge.

Paula: Hier bei Berta ist der einzige Ort im Landtag, wo man vor ihnen seine Ruhe hat. ( langgezogenes Klingelzeichen)

Otti: Was soll das?

Jenny: Das erste Glockenzeichen zehn Minuten vor Beginn der Vollsitzung.

Berta: Müssen die da auch wieder dabei sein?

Jenny: Aber Berta, das müßtest Du doch wissen, daß bei den Beschlüssen des ganzen Parlaments kein Sachverständiger mehr was zu suchen hat.

Hustenreiz: ( kommt zum Vorschein) Es hat schon geläutet. Der Mensch wird mir doch nicht vor der Tür auflauern – –

Steinbott: Man keine Angst. Das war doch bloß, damit ihn sein Kajetan in der Parteischule eins raufsetzt. Aber bleiben Sie man lieber noch ein bißchen hier.

Hustenreiz: Mir ist noch ganz schlecht von der Aufregung.

Steinbott: Für solche Fälle habe ich einen Cognac da. Wenn Sie einen Lütten mögen?

Hustenreiz: Ganz gern. Aber schenken Sie sich selber auch einen ein.

Steinbott: Allemal! ( gießt ein)

Wolff und Brunner, beide in Livree, treten ein.

Wolff: Hier kommen wir ja grade zur rechten Zeit.

Brunner: Schnaps! Du, Steinbott – bei dir hat es noch nie so gut gerochen.

Steinbott: Dem Herrn Abgeordneten ist nicht recht wohl. Geht man so lang ins Botenzimmer. Ich bring euch einen hin.

Brunner: Brauchst kein Licht zu machen, die innere Beleuchtung genügt. ( mit Wolff in den halbdunklen Vorraum)

Steinbott: Trinken Sie man noch einen. ( trinkt selbst zweimal, Hustenreiz setzt sich wieder)

Biederhold: ( Aktendeckel unter dem Arm tritt ein) Alles frei, guter Mann?

Steinbott: Wo Herr Pfarrer belieben. Papier? Was zu lesen?

Biederhold: Ich bin mit allem ausgerüstet. ( verschwindet in einer Kabine)

Steinbott: ( bringt die Flasche und zwei Gläser nach vorn) Aber Maul halten!

Wolff: Das ist Unterhaltung genug ...

Annie: ( tritt links auf) Gottseidank, jetzt hab ich Zeit! Ist hier die Luft rein? ( erblickt Otti) Ach, entschuldigen Sie.

Otti: Meinetwegen brauchen Sie doch nicht verlegen zu sein. Ich bin hier auch nur der Gesellschaft wegen.

Berta: Denk dir, Annie, das Fräulein hat uns schon was vorgesungen.

Otti: Sah ich Sie nicht schon im Postraum?

Annie: Ja, ich bin die Telefonistin. Ich weiß auch, wer Sie sind: Fräulein Jungbleib von Wetterborn.

Otti: Wetterborn sagt bei uns kein Mensch. Den Namen haben sie uns aufgezwungen. Bei uns spricht man bloß vom Turm und mich nennen sie alle die rote Otti.

Annie: Wißt ihr schon, daß Stechbein Staatssekretär werden soll? Das Wetteramt soll ja eine eigene Behörde werden.

Paula: Darum hat er auch mit der Tankhafen Wein getrunken.

Jenny: Sieh mal an! Gestern hat er mich auf dem Gang angehalten und gefragt, ob ich mich nicht verbessern möchte. Er könnte mir vielleicht zu einem schönen Gehalt verhelfen. Ich hab ihm gesagt, ich wäre für die Arbeit, die er wohl meinte, nicht zu bezahlen.

Berta: Ja, hinter den Blonden ist er ganz besonders her.

Otti: Diese Dinge scheinen beim Regieren eine große Rolle zu spielen.

Paula: Davon machen Sie sich gar keine Vorstellung. Im allgemeinen haben die Republikaner die Blondinen lieber und die Nationalen die Brünetten.

Otti: Ich dachte, die politische Farbe entscheidet. Die Haarfarbe ist also wichtiger?

Jenny: Bei manchen Mädchen kommt die politische Farbe von selbst nach. Aber der Stechbein täuscht sich, wenn er meint, er könnte sich bei mir von seiner Ministerialrätin erholen.

Biederhold: ( aus der Kabine) Dies alles berücksichtigt, meine Damen und Herren – –

Hustenreiz: ( stellt sich vor das Klosett und zieht Notizbuch und Bleistift hervor)

Biederhold: – kann ich die weittragenden Besorgnisse nicht verhehlen, welche meine Partei erfüllen. Verkennen wir auch nicht die Bedeutung einer so wertvollen Erfindung – vielmehr – einer Einrichtung – nein ...

Otti: Wer predigt denn da?

Berta: Das ist der Pfarrer Biederhold von der Kirchenpartei. Der übt seine Reden immer dort ein.

Biederhold: – eines Verfahrens, das die Gestaltung des Wetters dem Willen der Menschen unterstellt, so liegen doch hierin auch ernstliche Gefahren für die Seele des Volkes. Meine Herren und Damen: die Vorsehung hat sich von Anbeginn das Recht vorbehalten, durch weise Verwendung der Himmelsgewalten den Wandel der Menschen zu belohnen und zu bestrafen – will sagen –

Stechbein: ( tritt ein, stutzt) Ah!

Hustenreiz: ( macht ihm ein Zeichen)

Stechbein: ( ruft zur Tür hinaus): Saaldiener!

Hantke, in Livree, wird sichtbar.

Hantke: Herr Geheimrat?

Stechbein: Einen Augenblick – –

Biederhold: Die heiligen Bande der Familie – besser: wenn wir uns vermessen, den Maßnahmen des Allerhöchsten vorzugreifen ... verdammt – – ( blättert)

Stechbein: Benachrichtigen Sie schnellsten die Fraktionsführer.

Hantke: Alle?

Hustenreiz: ( flüsternd) Für die Sozialisten bin ich schon zur Stelle.

Stechbein: Also alle übrigen – außer den Unversöhnlichen. Auch Fräulein Dr. Tankhafen.

Hantke ab.

Biederhold: – der Familie zufällt. Unzucht und Völlerei erheben schamlos ihr Haupt. Der Unglaube bemächtigt sich der unverständigen Massen – –

Paula: Paßt auf, jetzt kommen wir Mädel dran.

Biederhold: – Frauen und Mädchen, bar aller frommen Scheu –

Jenny: Es ist jedesmal dasselbe.

Biederhold: – tragen ohne Erröten Haare und Kleider so kurz, daß Lüsternheit und Sünde geradezu herausgefordert werden. Schimpfliche Mittel, um die gerechten Folgen –

Wolff: Das muß schwer auszudrücken sein.

Links und rechts füllt sich der Abort mit Zuhörern. Darunter Barde, Widerborst, Krachhahn, Speicherer, Selters. Bei den Damen Tankhafen, Wachtel, Möhre.

Biederhold: – die gerechten Folgen frevelhafter Begierden – oder gleich: sündiger Handlungen zu verhüten, welche leider zur Fortpflanzung des Menschengeschlechtes unerläßlich sind –, finden reißenden Absatz. Selbst in diesem Hohen Hause mehren sich die Stimmen, die das schändliche Laster der gleichgeschlechtlichen Liebe – nein ... Liebe geht da nicht –, na, wie hab ichs denn das letzte Mal genannt? ( die Papiere rascheln)

Paula, Jenny, Annie und Hantke gehen leise ins Botenzimmer.

Stechbein: ( zu Widerborst) Hat der Saaldiener auch Ihnen mitgeteilt, daß der Herr Pfarrer memoriert?

Widerborst: War unnötig. Das riecht unsereiner.

Krachhahn: Locus a non locendi!

Biederhold: – das war also die Päderastie ... dem rächenden Arm der Gerechtigkeit entziehen wollen! Entmenschte Weiber, die sich ruchlos der gottgewollten Frucht ihres Leibes entledigen, will man gar ihres Frevels froh werden lassen. Sie rufen mir zu, Herr Kollege – ein geborenes Kind müssen auch zu essen haben –

Jenny: Jetzt bestellt er sich den Zwischenruf.

Biederhold: Oh, verschmähte das Volk die himmlische Speise nicht, es sollte auch der irdischen Nahrung nicht zu entraten brauchen! Aber wohin ist die Ehrfurcht geflüchtet? In den Zeitungen und auf öffentlichen Märkten wird des Erhabenen gespottet. Das Theater, selbst gedacht als Stätte der Erbauung und sittlichen Stärkung, ist zum Tummelplatz radikaler Lästerer geworden. Lachen Sie nicht, meine Herren auf der äußersten Linken! Schon wendet sich der Ungeist der Verhetzung gegen dieses Hohe Haus selbst. Eines dieser Machwerke, das man sich nicht scheut, allabendlich dem Publikum vorzuspielen, verhöhnt, wie mir berichtet wird, unbekümmert sogar die demokratischen Einrichtungen des Staates selber und liefert uns alle alle, auch Sie, meine Verehrten ganz rechts und ganz links, der Skandalsucht der Menge aus.

Widerborst:: Man kann doch uns nicht anhängen, was sich da irgendein Anarchist zusammengeschmiert hat.

Biederhold: Wenn es soweit gekommen ist, liegt da nicht der Gedanke nahe, die ewige Gerechtigkeit werde in diesem Pfuhl des Lasters und der Verwahrlosung mit allen Wettern, vielleicht gar mit einer neuen Sintflut hineinfahren wollen? Dürfen wir armen Sterblichen, frage ich, mit unserem Aberwitz der göttlichen Allmacht in den Arm fallen?

Möhre: Das ist nur allzu wahr.

Tankhafen: Er will doch nicht gegen die Vorlage sprechen?

Biederhold: Nichts liegt uns ferner, als uns dem gesunden Fortschritt der Zivilisation entgegenstemmen zu wollen –

Selters : Die Ablehnung ist also nicht mehr zu befürchten.

Biederhold: – immerhin müssen wir unsere Zustimmung zur Regierungsvorlage von gewissen Sicherungen abhängig machen, durch welche jedem Mißbrauch der Witterungsanlagen im Hinblick auf die göttliche Weltordnung vorgebeugt wird. Als Gewähr dafür verlangen wir weitgehenden Einfluß der Kirche beziehungsweise der Wortführer christlicher Staatsgesinnung – auf die Leitung des Wetteramtes.

Otti: Was soll daraus werden?

Biederhold: Die bis jetzt in Wetterborn maßgebenden Persönlichkeiten haben, wie wir aus den Darlegungen der Bevollmächtigten in der Kommission erfuhren, die göttlichen Belange völlig vernachlässigt. Sie haben ihrem Wetterkalender die Berichte und Gutachten jeder staatlichen Aufsicht entzogen, lediglich Arbeitnehmerwünschen willfähriger Stellen zugrunde gelegt. Die strengste Beaufsichtigung dieser Leute von staatlicher und kirchlicher Seite ist umsomehr eine unabweisbare Pflicht der Gesetzgebung, als ihr völlig verantwortungsloses Schalten mit dem in ihre Hand gelegten Gut ja schon bei der regierungsseitig angeordneten Gedenkfeier zutage trat, die der Herr Wetterrat Niedermayer selbstherrlich verregnen ließ. Wir fordern eine Regelung der Dinge, durch die die Wetterbestimmung ein für allemal der Unfähigkeit, der Weltfremdheit und der sittlichen Unreife aus der Hand genommen wird.

( Stille, Papierknistern)

Speicherer: Das ist ja sehr schön, aber was für Anträge will den nun die Kirchenpartei stellen?

Stechbein: Der Regierung sind die Anträge bekannt. Sie sind durchaus annehmbar.

Möhre: Nun, wertes Fräulein, so denken verantwortungsbewußte Menschen über Ihr Gebaren. Was sagen Sie jetzt?

Otti: Ich sehe nicht ab, was nach der Ansicht des Herrn aus unserer Genossenschaft werden soll.

Tankhafen: Eine Genossenschaft, die der Zentralmacht des Staates selber Platz machen darf, hat damit ihren Wert erwiesen und ihren Zweck erfüllt, Fräulein Jungbleib. Lassen Sie sich das von einer überzeugten Sozialistin gesagt sein.

Jenny: Der läßt sie lange zappeln. Dabei müssen sie alle bei der Kirchenpartei um gut Wetter bitten.

Brunner: Da werden sie es wieder mit den Schirmhändlern verderben.

Annie: Die rote Otti tut mir leid. Die meint, sie ist unter die Räuber geraten.

Hantke: In der Kommission war sie die einzige, der es um die Sache ging. Allen anderen gings um Parteireklame und Geschäftsaufträge.

Paula : Die werden eine nette Wetterpolitik betreiben.

Wolff: Die werden mit Wolken schieben wie mit Grundstücken und Theaterkonzessionen.

Jenny: Was sich die rote Otti von dem ganzen Umtrieb nur denken mag?

Hantke: Wieso nennt ihr sie eigentlich die rote Otti?

Paula: Beim Wetterturm heißt sie so. Sie hat es uns erzählt.

Annie: Oh, die ist lieb. Die hält es mit den Armen.

Hantke: Still jetzt! Hochwürden räuspert sich wieder.

Biederhold hüstelt sonor und spuckt mit Getöse aus. Links und rechts werden wieder die Notizbücher bereitgehalten.

Biederhold: Ich eile zum Schluß. Mit den in den vorgetragenen Anträgen enthaltenen Einschränkungen und Ergänzungen ist meine Partei also bereit, der Vorlage zuzustimmen.

Krachhahn: Jetzt sind wir so gescheit wie vorher.

Stiefengrat tritt auf. Geht in eine Nische.

Biederhold: Die Summe von rund vierzehn Millionen Mark an laufenden Verwaltungskosten werden wir bewilligen, ebenso die verlangten 4,8 Millionen für den Bau des Wetteramtshauptgebäudes und der erforderlichen Beamtenwohnungen in Wetterborn. Dem einmaligen Zuschuß für Instrumentenanschaffungen und die Vervollständigung der technischen Hilfsmittel des Institutes vermögen wir nur zuzustimmen, wenn die Kosten dafür die Summe von 1800 Mark nicht überschreiten.

Hustenreiz: Dann wird eine Einigung möglich sein.

Biederhold: Unser letztes Wort hängt jedoch davon ab, daß die Loslösung des Ortes Wetterborn von der Nachbargemeinde ihren sichtbaren Ausdruck durch die Errichtung eines dem Institut unmittelbar angegliederten würdigen Gotteshauses findet.

Möhre: Sehr vernünftig.

Otti: Wer soll denn da hineingehen?

Möhre: Es wird dafür gesorgt werden, daß das Wetterwerk von einer gläubigen Beamtenschaft betreut wird.

Biederhold: Dieses Gotteshaus soll eine Mahnung sein, daß die Herrschaft über Wind und Wetter im Beistand des Höchsten geübt werden muß. Das Bewußtsein, den Schlüssel zu Donner und Blitz zu verwalten, darf der Hoffart und der Begehrlichkeit des niederen Volkes keinen Raum geben. Wer Knecht ist, soll Knecht bleiben!

Barde: Ausgezeichnet!

Biederhold: Einverstanden sind wir mit der Forderung der Rechten, daß die vaterländischen Gedenktage von heiterem Sonnenschein verschönt werden sollen.

Stiefengrat: Bravo!

Biederhold: Wir fordern dasselbe auch für die christlichen Feiertage.

Widerborst: Auch der erste Mai muß gesetzlicher Schönwettertag werden.

Biederhold: Gegen Regen, Hagel oder Nebel an den schmerzlichen Erinnerungstagen bestehen keine Bedenken. Für diese und andere religiös-sittliche Festsetzungen wird beim Wetteramt eine besondere, der Rundfunk- und Filmprüfungsstelle ähnliche, Abteilung geschaffen werden müssen, auf deren unumschränkte Leitung die Kirchenpartei Anspruch erhebt.

Hustenreiz: Das wird zu Schwierigkeiten führen –

Biederhold: Dies ist nur selbstverständlich. Gottesleugnung und Freidenkertum dürfen bei der Mitwirkung menschlicher Werke an den himmlischen Entschließungen weder Sitz noch Stimme haben.

Tankhafen: Die Kirchenpartei will die Krise!

Hustenreiz: Das bedeutet das Ende der Koalition!

Selters: Aber nicht doch! Sie werden mit sich reden lassen.

Krachhahn: Zum Kuhhandel muß man Kühe haben.

Biederhold: So möge denn – –

Paula: Aha, er ist schon bei möge – –

Biederhold: – reicher Segen –( heftiges Papierknistern) im Geiste der Demut – –

Rauschen der Wasserspülung, das die weiteren Worte übertönt. Die Aborte werden fluchtartig verlassen. Links bleiben zurück: Berta, Tankhafen, Möhre und Otti, rechts Steinbott und Stiefengrat.

Stiefengrat: ( an der Waschgelegenheit) Amen.

Jenny: Ob sie die Sozialisten wirklich kaltstellen wollen?

Hantke: Er hat bloß von Freidenkern gesprochen.

Wolff: Regieren lehrt beten.

Paula: Sie reden von Freiheit, und wenn du mit ihnen gehst, machen sie bei der Kirche Halt.

Brunner: Wer weitergeht, wird erschossen.

Biederhold: ( kommt aus der Kabine) Ah, der Herr General.

Stiefengrat: Höre, Hochwürden, Sie werden die Stellung ihrer Partei begründen?

Biederhold: Gewissen Koalitionspartner ein bißchen einheizen.

Stiefengrat: Kann nur ersprießlich sein.

Otti: ( zu Berta) Wird die hohe Politik immer hier hinten gemacht?

Berta: Es ist der einzige Platz im Haus, wo sie manchmal ehrlich sind.

Tankhafen: Still doch! Man muß doch hören, wie das Militär sich einstellt.

Otti: Gehn Sie da hinein, Fräulein Otti. ( öffnet ihr die Tür zum Botenzimmer)

Stiefengrat: Die Regierung will es wohl mal ohne die Rosaroten versuchen?

Biederhold: Sie müssen Bescheidenheit lernen.

Stiefengrat: Sollen sie nicht abgehalftert werden?

Biederhold: Daran können wir im Augenblick nicht denken.

Stiefengrat: Nicht? Mir schiene gerade –

Biederhold: In der Opposition würden sie sofort alles madig machen, was wir unternehmen.

Stiefengrat: Wäre das so arg?

Biederhold: Exzellenz, es ist ein unschätzbarer Vorteil, wenn man jemanden hat, der die Massen bei dem Glauben erhält, es geschähe alles zu ihrem Nutzen. Sehen Sie, unsere Tätigkeit ist ja nicht überall dem Geschmack des Pöbels auf den Leib geschnitten.

Stiefengrat: Da haben Sie Recht, Hochwürden.

Biederhold: Lassen wir die Sozialisten unter gehöriger Beaufsichtigung mittun, dann sind sie die besten Zuggäule vor unserm Wagen.

Stiefengrat: Na ja, da haben sie Stellungen zu verlieren.

Biederhold: Richtig. In ruhigeren Zeiten mögen sie berufeneren Persönlichkeiten Platz machen, da können sie getrost gegen uns stänkern. Aber wenn etwas brenzlich ist – ins Geschirr mit ihnen! Ohne sie wären wir der Revolution niemals Herr geworden.

Stiefengrat: Freilich. Hätten auch die Freikorps und nationalen Formationen nicht auf die Beine stellen können. Ich verstehe jetzt: damals haben wir uns auf den Boden der Tatsachen gestellt, jetzt müssen sie es tun.

Biederhold: So ist es. Sehen Sie, der Aufbau des Wetteramtes ist wieder eine heikle Geschichte. Der Erfinder der Sache, der ehren-er-werte Herr Niedermayer, muß selbstredend unschädlich gemacht werden.

Stiefengrat: Rücksichtslos rausschmeißen!

Biederhold: Das geht eben nicht. Es ist schwer genug, ihn von der Leitung zu entfernen. In den unteren Volksschichten wird er vergöttert.

Stiefengrat: Allerdings. Seine Tätigkeit hat bereits eine höchst bedenkliche Zufriedenheit im Volke hervorgerufen.

Biederhold: Darum brauchen wir die Sozialisten. Wir geben darin nach, daß Niedermayer die Bedienung des technischen Apparates unter sich behält, und die Herren Hustenreiz und Genossen beruhigen die brodelnde Volksseele, indem sie ihr bedeuten, damit bliebe er im Grunde, was er ist und ihre eigene Beteiligung an der Regierungskoalition als Sicherung für die Wahrung der demokratischen Freiheiten und was weiß ich – –

Krampf: ( tritt auf) Die Sitzung wird gleich eröffnet. Hochwürden. Sie erhalten als erster Redner das Wort. ( geht in eine Nische)

Biederhold: Immerzu, Herr Präsident. Steht außer dem Wetteramt noch etwas auf der Tagesordnung?

Krampf: Wenn noch Zeit bleibt, erledigen wir in dritter Lesung das Gesetz zum Schutze der Zufriedenheit.

Langgezogenes, wiederholtes Klingelzeichen.

Stiefengrat: Der Herr Abgeordnete Biederhold hat mir eben klargemacht, warum die Regierung die geschätzte Mitwirkung der Rötlichen nicht entbehren möchte.

Krampf: Allerdings – solange das Wetteramt nicht eingearbeitet ist, sind sie ohne Zweifel unersetzlich. Ich habe in meiner Eigenschaft als Landtagspräsident gestern auch mit dem Herrn Staatspräsidenten Wimmerzahn gesprochen, dem besonders die Ernennung des Geheimrats Stechbein am Herzen liegt, da er die Berufung der Ministerialrätin Tankhafen als Leiterin der Personalabteilung wünscht –

Stiefengrat: Sie wird als seine Gouvernante mit wollen –

Biederhold: Als Vogelscheuche für die Tippfräuleins! ( die drei lachen)

Tankhafen: Erbärmliche Schwätzer!

Möhre: Machen Sie sich nichts daraus, Fräulein Doktor. Wir schutzlosen Frauen müssen uns sehr in Acht nehmen, daß wir nicht ins Gerede kommen.

Tankhafen: Ich wollte Ihnen längst nahelegen, dem Gerede über Sie und Herrn Regierungsassessor Hornbriller aus dem Wege zu gehen.

Möhre: Auf diese empörende Insinuation antworte ich nicht!

Tankhafen: Schweigen wird für Sie auch ratsam sein.

Möhre: Sie haben ja gehört, wie christliche Politiker von ihrer Partei sprechen.

Tankhafen: Jesuiten sind wir noch lange nicht. ( beide keifend ab)

Hornbriller: ( tritt ein) Herr Präsident? Immer noch die Devise: festina lente? Es pressiert! Die Minister plazieren sich schon auf der Estrade.

Stiefengrat: Alles kampffertig zum Sturm auf die Festung Niedermayer!

Biederhold: Ein Teil der Streitkräfte ist allerdings schon vor dem hübschen Außenfort schwach geworden.

Hornbriller: Exquisites Bonmot! Hat mir übrigens imponiert, die grazile Kanaille. Eine Apologetin ihres Chefs par exellence. Das parlamentarische Debüt in der Kommission war brillant.

Krampf: Es hat aber geschäftsordnungswidrige Auftritte gesetzt, sagt man ...

Hornbriller: ( im Abgehen) Ein mehr burleskes Intermezzo. Eine Sottise des Herrn Hustenreiz an die Adresse des Diktaturaspiranten Teutsch gab das Signal, zu einem Rencontre.

( alle vier ab)

Steinbott: ( geht ins Botenzimmer) So, jetzt gehn sie erst richtig auf den Dreckkübel – –

Sieht Otti. Es wird unmerklich heller im vorderen Teil der Bühne.

Steinbott: Entschuldigen Sie man, Fräulein.

Otti: Bitte. Ich glaube, Sie haben ganz Recht.

Steinbott: Berta, komm doch! Oder wird bei dir noch »regiert«?

Berta: ( kommt vor) Nein. Wenn die Tribünen im Sitzungssaal voll sind, ist bei uns stille Zeit. Na, Fräulein Otti, so haben Sie sich den Landtag hinter den Kulissen wohl auch nicht vorgestellt?

Otti: Wahrhaftig nicht. Was wird nur aus unserem Turm werden? Der arme Niedermayer! Solange die Menschen den Sternenlauf verfolgen, denken sie darüber nach, wie man es regnen lassen kann. Jetzt können wir es – da möchten sie auch damit an der Börse schachern.

Wolff: Wundert Sie das noch? Das Fliegen ist doch auch bloß erfunden worden, damit sie von oben runter morden können, wenn sie ihre Kriege machen.

Brunner: Oder die Arbeiter ihre Bonzen zum Teufel jagen wollen!

Otti: Wenn man vorher noch keine Bonzen gekannt hat – in diesem Haus ist Gelegenheit, sie zu studieren.

Hantke: Wißt ihr was? Wollen wir mal dem Fräulein unser Hauslied vorsingen?

Annie: Fein. Wollen Sie es hören?

Otti: Natürlich. Gern –

Paula: Also los! Aber Sie müssen nachher auch noch was singen.

Alle außer Otti fassen einander unter und singen im Schaukeltanz:

Sei dankbar Volk, den Edlen, die dich leiten,
der Obrigkeit, die stets dein Heil bedenkt.
Willst du dir selber dein Geschick bereiten,
bald wär die Karre in den Sumpf gelenkt.
Was weißt denn du, was für dein Wohlsein nötig ist?
Das Volk gehorche, weil es brägenklötig ist.
Der höhern Einsicht füge dich beizeiten,
und frag nicht lang, warum der Staat dich henkt.

Vertraue, Volk, den Bonzen der Parteien,
geborgen ist dein Glück in ihrem Schoß.
Wenn du sie wählst, wolln alle dich befreien.
Wenn sie gewählt sind, melken sie doch bloß.
Stell dir doch vor, wenn niemand dich regieren soll,
wovon dein Bonze dann noch existieren soll?
Der ganze Landtag müßt vor Hunger schreien.
Selbst die Abortfrau wäre arbeitslos.

Steinbott: Das ist Berta ihre Extrawurst.

Wolff: Hat sie sich auch verdient.

Otti: Ist denn das Lied von Ihnen selber?

Brunner: Alles hausgemacht.

Paula: Das war, als sie sich die Diäten erhöhten, aber für das Personal keinen Pfennig Lohnzulage bewilligten. Da mußte Berta hin und für den Betriebsrat verhandeln. Nur die Unversöhnlichen standen auf unserer Seite.

Hantke: Die hätten aber auch nichts ausrichten können, wenn wir nicht allesamt mit Streik gedroht hätten.

Steinbott: Die Berta hätten sie am liebsten abgebaut.

Berta: Ist ja schon gut. Und jetzt den dritten Vers.

Gesang:

Sie haben nichts im Kopf als Paragraphen.
Die Bonzen sind, oh Volk, die Jungs im Skat,
verhängen Steuern über dich und Strafen –
und wenn du aufmuckst, dann ists Hochverrat.
Sie merken nie, wenn alles auf der Kippe steht.
Doch du, oh Volk, du kannst geruhsam schlafen:
Die Bonzen wachen ja, es wacht der Staat.

Otti: Das ist famos! Euch möchte ich alle mitnehmen für meinen Chor.

Annie: Wenn das ginge ...

Otti: Vielleicht stellt die Tankhafen euch beim Wetteramt an.

Steinbott: Beschäftigung gäbs sicher für uns.

Brunner: Wo die Windfabrik ist, findest Du und Berta genug zu tun.

Paula: Und eine Wirtschaft wird doch bestimmt hinkommen.

Wolff: Mit der – und der Kirche – fängt es überhaupt an.

Jenny: Und ich nehm beim Stechbein an.

Hantke: Lassen Sie uns aber erst hören, was für Lieder wir bei ihnen lernen sollen.

Annie: Ja, jetzt müssen Sie singen. Sie haben es uns versprochen.

Otti: Also gut. Unser Bauernlied ...

Otti singt, Tanz andeutend:

Wenn zur Ernte reift das Korn,
kommt der Bauer mit der Sense,
und am Wegrand schnattern die Gänse,
wackeln und schnackeln voll Zorn.
Schreit nicht so, ihr Gansgevattern,
wer nur lärmt und keift, ist dumm!
Euer Zetermordio-Schnattern
stürzt die Macht der Welt nicht um.

Wenn der Bauer fleißig mäht,
kommt der Gutsherr angeritten,
prüft, ob alles gut geschnitten,
erntet, was andre gesät.
Jagt vom Acker den Besitzer –
Bauer, duck dich nicht vorm Geld.
Peitschenknall und Goldgeglitzer
macht kein Saatkorn reif im Feld.

Wenn zum Strome schwillt der Bach
und der Funke wächst zum Feuer,
laß ihn betteln: rette die Scheuer!
Rett dir dein eigenes Dach –
Parlamenteln laß die Gänse.
Willst du frei sein, reg die Hand.
Der den Pflug führt und die Sense –
Bauer, dir gehört das Land.

Während der letzten Sätze ist Minister Blödel im Abort zur Rechten eingetreten. Sieht sich suchend um, horcht und tritt zögernd ein. Bleibt betroffen stehen. Nachdem das Händeklatschen sich gelegt hat, hüstelt er.

Jenny: ( umarmt Otti) Otti!

Annie: Liebe, liebe Otti!

Otti: Da steht ein Herr. Vielleicht hat er sich verlaufen.

Blödel: Ich bin der Minister für Ruhe, Ordnung und Sicherheit. Das ist doch sehr sonderbar – sind Sie nicht die Sachverständige aus Wetterborn?

Otti: Die bin ich. Haben Sie mich gesucht, Herr Minister?

Blödel: Keineswegs. Ich finde es nur recht unpassend, daß Sie sich in ihrer Stellung und noch dazu in solcher Stellung in der Lakaienstube antreffen lassen.

Hantke: Hier ist Freistatt für das Personal, Herr Minister. Hier hat niemand anderer Hausrecht als wir.

Blödel: Nebenan fand ich niemanden. Aber der Anblick hier hat mich allerdings erschüttert.

Brunner: Ach so, der Herr Minister hat sich den Magen verdorben.

Steinbott: Na, was das Volk denkt und tut, ist ja auch nicht für jedermann. Kommen Sie man, Herr Minister. Ihr Platz ist dahinten.

Mit Blödel zum Abort

Vorhang


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