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XI. Eine Lebensfrage

Es war am Morgen nach dem Benefiz Eckhofs, und die sonst so stille Wohnung des Schauspielers hallte heute wieder von lustigem Gläserklang und fröhlichen Gesängen.

Eckhof gab seinen Kunstgenossen ein Frühstück, er wollte nach den Strapazen des vorigen Abends ein wenig mit ihnen ausruhen und das Leben genießen, er wollte den verhungerten Söhnen der Musen und Grazien eine Stunde des Genusses und der Lebensfreude schaffen, und da seine Börse heute gefüllt war, wollte er den Magen seiner Freunde auch füllen.

Trinkt und seid lustig und guter Dinge, sagte er zu seinen fröhlichen Genossen, lasset uns auf einige Stunden vergessen, daß wir arme, verachtete, deutsche Histrionen sind, und wollen wir uns einbilden, wir gehörten zu diesen hochgeehrten französischen Bühnenkünstlern, denen man in Deutschland so willfährig Gold, Ehre, Ansehen und Liebe spendet! Hebt Eure Gläser und trinkt mit mir auf das Wohl der deutschen Kunst!

Dann also auf das Wohl Eckhofs! rief einer der fröhlichen Genossen, indem er das Glas erhob. Ja, auf das Wohl Eckhofs, des Vaters der deutschen Schauspielkunst. Denn das sind Sie, Freund, und unser Wohltäter dazu, denn Ihnen verdanken wir es, daß wir seit einigen Monaten keinen Hunger und keinen Durst mehr empfinden, daß man anfängt, das deutsche Theater auch der Beachtung wert zu halten, und uns zuweilen sogar nicht mehr wie Bettler, sondern wie Künstler zu behandeln. Darum laßt uns alle anstoßen auf das Wohl unsere Erretters, des großen Eckhof!

Sie hoben ihre Gläser und ließen sie aneinander klingen und jubelten laut. Eckhof allein wurde trübe und still, und sein großes schwärmerisches Auge schaute zuweilen sinnend und träumend in die Weite. Seine Freunde gewahrten es und fragten ihn um den Grund seiner Melancholie.

Ich bin gar nicht melancholisch, sagte Eckhof, obwohl ein deutscher Schauspieler allerdings ziemlich viel Grund dazu haben könnte. Aber ich habe meine Gedanken und plane, und um euch allen diese heute mitzuteilen, deshalb lud ich euch hierher. Ihr sagt, daß ich euer Wohltäter sei, und gerade das erfüllt mein Herz mit Wehmut und Sorge, denn wie elend und jammervoll muß es bestellt sein um die deutsche Kunst, wenn ein Anfänger, wie ich es bin, ihr schon förderlich und nützlich sein kann. Ihr alle, meine Freunde, seid Künstler, und wenn ich euch das sage, so tue ich es aus Überzeugung und nicht aus elender Schmeichelei. Künstler seid ihr, und zwar bedeutendere und größere als ich, nur hattet ihr es verschmäht, eure Künstlerschaft in das rechte Licht zu stellen, nur hattet ihr nicht den trotzigen Mut, die Sitte und das Herkommen zu durchbrechen, und von dem Kothurn herabzusteigen, auf welchen man euch gestellt hatte und auf welchem ihr stehen bliebt, weil euere Vorgänger auch darauf gestanden hatten. Daß ich dies getan, daß ich es gewagt die gewohnten Bahnen zu verlassen, das ist das einzige Verdienst, welches ich gehabt. Sie sagten, der Hanswurst solle von der deutschen Bühne verschwinden, und sie merkten nicht, daß er noch immer da war, und daß sie ihm nur andere Gewänder angezogen hatten. Der wie ein Pfau daherstolzierende Liebhaber, der seine Arme steif und starr wie Mühlenflügel abwechselnd zur Linken und zur Rechten warf, und seine pathetischen Phrasen entweder mit unnatürlicher Dumpfheit aus der Kehle hervorstieß, oder sie in widerlicher Affektation durch die Nase trompetete, war er nicht ebensogut und mehr noch ein Hanswurst, als dieses harmlose, heitere und übermütige Kind derber und deutscher Laune, als der privilegierte deutsche Hanswurst? Das war mein Gedanke, als ich es wagte, statt der unnatürlichen Narren natürliche Menschen auf die Bretter zu bringen, und diesem Gaukelspiel der Kunst ein wenig Wahrheit und Wirklichkeit zu verleihen. Ihr, meine Freunde, habt mich in diesem Bestreben getreulich unterstützt und mir beigestanden in dem, was ich wollte und als fernes Ziel vor Augen sah. Wir sind auf dem Wege, das deutsche Drama von dem Mehltau der Geringschätzung und Nichtachtung zu befreien, welcher es bis jetzt fast ertötet hatte; wir sind auf dem Wege, sage ich, aber noch lange nicht am Ziel! Lasset uns also rüstig vorwärts schreiten, mutig und unverzagt, der Beschwerden nicht achtend, die Entbehrungen verlachend, und dem Hunger und Durst das erhebende Gefühl des edlen Wollens entgegensetzend. Ihr sagt, daß ihr euch in Berlin jetzt glücklich und zufrieden fühlt, ich aber sage euch, daß Berlin nicht eine Stätte ist, in welcher ihr verweilen dürft, ich sage euch, daß es der deutschen Mannesehre nicht ziemt, dieses Leben des Geduldetseins, des demütigen Vegetierens weiterzuführen. Wie Cäsar meine ich, daß es besser ist, in einer kleinen Stadt der Erste zu sein, als der Zweite und Dritte in einer großen Stadt. Deshalb, ihr Freunde, laßt uns Berlin verlassen, dieses kalte, stolze, übermütige Berlin, welches doch so wenig den rechten Stolz und das rechte Ehrgefühl hat, das Fremde und Ausländische zu verachten und das Einheimische und Deutsche hochzuachten. Laßt uns dieser Stadt der Ausländerei und des geistreichen Franzosentums den Rücken wenden und als Missionäre des deutschen Dramas umherziehen durch das deutsche Vaterland, wollt ihr das tun? wollt ihr mit mir ziehen auf dieser Pilgerschaft nach Ehre und Glück?

Eine lange Pause folgte auf Eckhofs Frage. Alle Gesichter waren ernst und trübe geworden, jeder schaute verlegen und nachdenkend zur Erde nieder.

Nun, ihr antwortet mir nicht? fragte Eckhof traurig. Ich habe es also nicht vermocht, euch zu überzeugen, ihr wollt nicht mit mir gehen?

Wir sollen Berlin verlassen, sagte der erste Held und Liebhaber, gerade jetzt, wo man anfängt, uns Teilnahme zu beweisen und sich für uns zu enthusiasmieren!

Lieber Freund, der Enthusiasmus der Berliner ist ein elendes Strohfeuer, welches ebenso rasch auflodert als verglimmt. Heute enthusiasmieren sie sich für uns, und morgen vielleicht schon vergessen sie uns, weil irgendein abgerichteter gelehrter Sperling oder Hund, irgendeine französische Tänzerin oder ein italienischer Sänger ihre Bewunderung erregt hat. Es ist keine Treue und keine Ausdauer in dem Enthusiasmus der Berliner, deshalb laßt uns gehen, bevor er verraucht ist.

Aber wir sollten lieber die gute Zeit benutzen, solange sie noch dauert, sagte ein anderer. Wir haben jetzt für den Augenblick keine Sorgen und sind für uns und unsere Familien von der elenden Angst um das tägliche Brot befreit.

Wenn ihr keine Sorge und keine Not mehr auf euch nehmen wollt, so werdet ihr niemals wahre Künstler werden, sagte Eckhof traurig, denn die Sorge und die Not, das werden noch lange die einzigen treuen Gefährtinnen des deutschen Künstlers sein, und wer nicht den Mut hat, ihr Genosse und Geliebter zu sein, der täte besser, ein ehrsamer Schneider oder Schuster zu werden und sich ganz der einträglichen Arbeit und dem ehrsamen Spießbürgertum hinzugeben. Wenn euch das Wohl der Familie höher steht als die Kunst, warum habt ihr euch dann nicht lieber genügen lassen, tugendhafte stille Familienväter zu sein und euch an den Rollwagen eurer Kinder statt an den Thespiskarren des deutschen Dramas anzuschirren. Die Kunst verträgt sich einmal nicht mit der Familie, und wenn ihr euch mit der ersteren vermählen wollt, müßt ihr euch zuvor von der zweiten scheiden lassen!

Und das wollen wir tun, ja wahrhaftig, das wollen wir, rief Joseph Fredersdorf, welcher soeben unbemerkt von den andern ins Zimmer getreten war und mit fröhlichem Kopfnicken und Lachen ringsum seine Grüße spendete. Ich meinesteils bin euch allen schon mit einem guten Beispiel vorangegangen und habe getan, was der große Eckhof begehrt. Ich habe mich von meiner Familie geschieden, um womöglich der berechtigte Gemahl der Kunst zu werden, deren girrender und seufzender Liebhaber ich schon lange gewesen. Ich habe meinen sogenannten Lebensaussichten und dem ganzen philisterhaften Beamtentum Valet gesagt, meinem ehrsamen, gelehrten und hofmännischen Bruder dazu, und bin ganz bereit, der euere zu werden, wenn anders der edle Eckhof mich nicht verschmäht, sondern mich zu seinem Schüler annehmen will!

Eckhof reichte ihm mit einem sanften Lächeln die Hand dar. Ich nehme Sie an, und zwar mit Freuden, denn in Ihnen glüht das rechte Feuer der Kunst. Ich habe Sie lange genug beobachtet und geprüft, um gewiß zu sein, daß Sie in Wahrheit den rechten Mut haben, welcher dazu gehört, ein deutscher Künstler sein zu wollen in dieser schlimmen Zeit, wo man nur das Fremdländische zu ehren und anzuerkennen weiß. Wenn Sie das Kreuz auf sich nehmen und die Dornenpfade des Künstlertums mit uns wandeln wollen, so sage ich von ganzem Herzen: Sie sind willkommen!

Und ich danke Ihnen von ganzem Herzen für dieses Wort, welches mir die Berechtigung gibt, mitsprechen zu dürfen in dieser würdigen und ehrsamen Versammlung! rief Joseph mit komischem Pathos. Auf also, meine Freunde, auf, lasset uns von hinnen gehen und das Märtyrertum der Kunst beginnen. Der Künstler ist in Deutschland nicht besser daran wie der Jude zu den Zeiten der Römerherrschaft. So lasset uns tun wie es die Juden damals getan, denn auch wir haben unsern Moses gefunden, der uns führen will in das gelobte Land der Verheißungen, wo wir Ehre, Freiheit, Reichtum und Glück finden sollen. Moses, Moses, führe uns, wir ziehen mit dir gen Kanaan! Wir sind hier die Besiegten und Unterdrückten, laßt uns also ausziehen und wandern, wo wir uns eigene Tempel erbauen und eigenen Ruhm erkämpfen können. Sagt, wollt ihr das nicht, meine Freunde? Wollt ihr weniger ehrgeizig, weniger tapfer sein als die Juden? Wollt ihr die Freiheit und den Ruhm nicht suchen, weil sie jenseits der Wüste liegen, die ihr erst durchwandern müßt? Aber erinnert euch doch, daß denen, welche treu und inbrünstig an ihren Gott glauben, auch die Hilfe dieses Gottes niemals mangelt. Den verschmachtenden Juden in der Wüste sandte Gott das Manna, und ihr, wollt ihr so klein sein, zu glauben, daß der Gott der Kunst, daß Apoll euch verschmachten läßt, wenn ihr ausziehet, ihm Tempel und Altäre zu bauen? Verlaßt also getrosten Mutes die Fleischtöpfe Ägyptens, mit euch zieht euer Gott, und er wird uns segnen und behüten!

Ja, wir wollen's tun! Wir wollen Eckhof folgen! Wir wollen als echte Jünger der Kunst unserm Meister gehorchen und ihm anhangen, riefen die begeisterten Freunde. Führe uns, Eckhof, führe uns, denn du hast recht, Berlin ist nicht der Ort, wo die deutsche Schauspielkunst gedeihen kann, man hält uns hier gering, obwohl man uns augenblicklich zu ehren scheint!

Gerade weil man uns zu ehren scheint, laßt uns klug sein und gehen, damit uns ihr Bedauern folge, damit man wünsche, uns wiederzusehen! Laßt uns fliehen vor den Ausländern und eine Stadt suchen, wo man die einheimische Kunst vielleicht zu ehren weiß!

Diese Stadt ist schon gefunden, sagte Eckhof lächelnd, laßt uns nach Halle ziehen, nach der Stadt der Wissenschaft und Gelehrsamkeit, tiefer Bildung und edelsten Verständnisses. Die Männer, welche den Wissenschaften ihr ganzes Leben geweiht, werden am besten geeignet sein, das Streben des Künstlers zu schätzen und anzuerkennen, und in vereintem Streben mit ihnen werden wir Halle zu einem deutschen Athen erheben, in welchem die Wissenschaften und die Künste Hand in Hand gehen in edelster Geschwisterliebe!

Wohlan denn, nach Halle! rief Joseph, den Hut schwenkend, aber seine Stimme war weniger fröhlich und sein Auge blitzte minder feurig als zuvor.

Und wird der Direktor Schönemann einwilligen, uns gehen zu lassen? fragte einer der Bedächtigeren, Schwerfälligeren aus der Versammlung.

Schönemann ist entschlossen, mit uns zu gehen, sagte Eckhof, vorausgesetzt, daß wir keine Ansprüche auf Gage machen, sondern mit ihm auf Gewinn und Verlust diese Unternehmung teilen.

So daß wir also verhungern können, sagte einer, wenn das Unternehmen mißlingt und wir in Halle keine Geschäfte machen?

Eckhof schleuderte auf ihn einen Blick der Verachtung und des Zorns, aber er erwiderte nichts, sondern durchmaß schweigend das Zimmer, um nach dem Schreibtisch zu gehen, der dort drüben in der Nische des Fensters stand. Er öffnete ihn und nahm eine gefüllte Börse hervor, mit der er wieder an den Tisch trat, um welchen die Kunstgenossen saßen.

Ich habe nicht gesagt, daß wir in Halle Geschäfte machen wollen, sagte er traurig, nicht Geschäfte und Schacher, wie es die Juden und die Kaufleute tun, sondern ich habe gemeint, daß wir dahin gehen wollen als rechte und echte Missionäre der Kunst, welche weder Hunger noch Durst, noch Entbehrung und Not und Todesgefahr scheuen im Dienst ihrer Kunst und ihres Glaubens. Aber ich will, daß ihr durch mich nicht hungern und Not leiden sollt, solange ich es vermeiden kann. Da, nehmt, was mein ist. Dieser Beutel enthält die Gage der letzten zwei Monate und das, was mir von der Einnahme des gestrigen Benefizes noch übrig geblieben. Es ist alles, was ich habe. Nehmt und teilt es untereinander, ich denke, es wird ausreichen, jedem von euch wenigstens für einen Monat Sicherheit zu gewähren!

Wollt ihr das annehmen, ihr Freunde? fragte Joseph mit glühenden Augen.

Nein, wir wollen es nicht annehmen! riefen alle, wie aus einem Munde. Was wir tun, wollen wir freudig und frei tun und niemand soll uns die Hände binden mit seiner Großmut und Hochherzigkeit, selbst Eckhof nicht!

Eckhofs Antlitz strahlte vor Freude. Wahrlich, ihr seid echte Jünger der Kunst und wohl berechtigt, ihr zu dienen, sagte er. Nun hört einen andern Vorschlag, den ich euch machen will. Ihr habt mein Anerbieten für euere Person ausgeschlagen, aber ihr dürft das nicht tun für euere Weiber und Kinder. Zählt also euere Kinder und euere Weiber zusammen und teilt unter sie zu gleichen Teilen das Geld, denn ihr könnt nicht wollen, daß ich den Mammon behalte, während ihr nichts habt. Mit diesem Gelde sollt ihr euch einstweilen loskaufen von der Familie, weil die Kunst euerer bedarf und euch zu sich ruft.

Erst nach langem Widerstreben und stürmischem Zureden Eckhofs nahmen die Freunde seinen Vorschlag an und teilten das Geld für ihre Frauen und Kinder.

Eckhof schaute ihnen mit vergnügtem Gesicht und heiterem Lächeln zu. Nun bin ich wieder, wie ich vor zwei Jahren war, sagte er, vor zwei Jahren, als ich mich zuerst ganz und gar der Kunst weihte. Damals war ich ein ehrsamer Schreiber, der von einem Tag zum andern so hinvegetierte und Gott dankte, wenn er nach achtstündiger Schreibarbeit ein wenig Luft und ein wenig Abendsonne genießen und den Feldern und Wäldern die erhabensten Stellen seiner Lieblingsdichter vordeklamieren durste. Und vielleicht wäre ich wohl so ein armer Schreiber und Schwärmer geblieben, wenn mein Genius mir nicht beigestanden und mir einen tüchtigen Stoß mit dem Ellenbogen gegeben hätte, damit ich aus meiner Träumerei zum tatkräftigen Leben erwachte. Als der übermütige Justizrat, dessen Schreiber ich war, von mir verlangte, daß ich als Bedienter hinten auf seinem Wagen stände, da erwachte das Gefühl meiner Ehre und meiner Würde in mir, und ich lief davon, fest entschlossen lieber zu verhungern, als solche Demütigung und Schmach länger zu ertragen. Aber mein Genius war mit mir, er flößte mir den Mut ein, die große und ewige Sehnsucht meines Lebens zu verwirklichen, ein Schauspieler zu werden und der Kunst zu dienen, nachdem ich so lange nur der Notdurft des Lebens gedient hatte. Seht, so ist es gekommen, daß ich ein Schauspieler geworden; weil man mich als Bedienten hinten auf den Wagen stellen wollte, bin ich ein Künstler geworden. Und will man uns jetzt nicht wieder so demütigen und erniedrigen? Will man uns nicht zwingen, als arme Bediente fein still und leise hintenaufzustehen auf diesem Triumphwagen der Schauspielkunst, in welchem die Ausländer und die Fremden ihre Plätze eingenommen haben? Nein, nein, ihr Freunde, wir wollen nicht in Berlin Bediente sein, wenn wir in Halle die Herren, die freien Männer sein können, nicht Abschreiber der Franzosen, wenn wir Mut und Talent genug besitzen, selbstschaffende und denkende Künstler zu sein! Wer Großes will, hat auch die Kraft, das Große zu erreichen, also laßt uns unverzagt sein und mutig und uns rasch und schnell vorbereiten zu unserm großen Unternehmen!

Er reichte den Freunden, welche jetzt mit der Teilung der Gelder fertig waren, seine Hände dar, und verabschiedete sie, nachdem er die nötigen Verabredungen wegen ihrer nahe bevorstehenden Abreise getroffen.

Sie sind also fest entschlossen, nach Halle und nicht in irgendeine andere Stadt zu gehen? fragte Joseph Fredersdorf, als er, nachdem die andern sie schon verlassen, Eckhof zum Abschied die Hand reichte.

Ja, wir gehen nach Halle, sagte Eckhof. Halle ist ein Musensitz, also gehören wir dorthin.

Joseph schüttelte traurig lächelnd das Haupt. Ich kenne Halle, sagte er. Sie nennen es einen Musensitz, ich meine aber, daß es mehr der Sitz des gelehrten Pedantismus ist. Sie werden das bald inne werden und erkennen müssen, daß es nichts Engherzigeres, Beschränkteres und Aufgeblaseneres gibt als einen Hallenser Professor, der nichts anders anerkennt als nur eben sich selber, oder irgendeinen alten bestaubten und verschimmelten Griechen oder Römer, der eigentlich für ihn dadurch nur erst groß und bedeutsam wird, daß der Herr Professor ihm die Ehre erzeigt, ihn zu erläutern und zu erklären. Aber immerhin, Sie haben einmal beschlossen, nach Halle zu gehen, und ich folge Ihnen als treuer Knappe in Not und Tod und, was schlimmer ist, nach Halle sogar!

Und jetzt, da ich endlich allein bin, rief Eckhof, als Joseph ihn verlassen, jetzt an das Studium meiner neuen Rolle. Nun steht mir bei, ihr Götter, nun begeistert mich mit eurer Kraft und gebt mir die rechten Töne, die rechte Ausdrucksweise, die rechte Mimik zu dieser wundervollen Gestalt des Hippolyt, mit der ich mir zuerst das Herz der strengen Professoren in Halle gewinnen will.

Und im Zimmer auf und nieder gehend, begann Eckhof mit lauter Stimme die stolzen und beredten Verse Corneilles zu rezitieren. So vertieft war er in sein Studium, daß er das öfter wiederholte Klopfen an seiner Tür ganz überhörte, daß er gar nicht sah, wie endlich die Tür leise geöffnet ward und der junge Lupinus mit schüchternem und errötendem Antlitz auf der Schwelle erschien.

Staunend und verwundert hörte er den pathetischen Worten des Schauspielers zu, und als dieser jetzt die flammende und zugleich so unschuldsvolle Liebeserklärung Hippolyts sprach, überzog ein glühendes Rot des Jünglings Wangen, und seine Augen füllten sich mit Tränen. Aber er bekämpfte diese Rührung bald und trat fest und entschlossen auf Eckhof zu, der eben seine Rede beendet hatte und vor dem Spiegel stand, um mit prüfendem Auge die Attitüde zu betrachten, mit welcher er seine glänzende Liebeserklärung schließen wollte.

Mein Herr, sagte er mit leiser, schüchterner Stimme, verzeihen Sie mir, wenn ich Sie störe. Aber man hatte mir gesagt, daß ich hier den Herrn Eckhof finden würde, und da es sehr wichtig und für meine ganze Zukunft entscheidend ist, daß ich diesen großen und weisen Mann spreche, so werden Sie schon Nachsicht üben müssen, wenn ich Sie da in Ihren köstlichen Studien unterbrochen habe. Ich bitte Sie, mir zu sagen, ob ich Herrn Eckhof wohl zu Hause treffe, denn daß ich mich richtig in seiner Wohnung befinde, las ich da draußen an der Tür.

Allerdings, hier wohnt Eckhof, sagte der Schauspieler, indem er den jungen Lupinus mit so durchdringenden und glänzenden Blicken ansah, daß dieser errötete und mit mädchenhafter Verwirrung die Augen zu Boden schlug. Ja, hier wohnt Eckhof, aber nicht wie Sie sagen, der große und weise Mann, sondern einfach nur Eckhof, der Schauspieler.

Ich habe Sie nicht um Ihr Urteil gefragt über den großen Künstler, welchen ich verehre, sagte Lupinus fast beleidigt, ich wollte von Ihnen nur erfahren, wo ich ihn finden könnte.

Wenn ich Ihnen das sagen soll, so müssen Sie mir zuvor sagen, was Sie von Eckhof wollen.

Was ich von ihm will? fragte der junge Mann sinnend und errötend zugleich. Weiß ich das selber, mein Herr? Es liegt da ein Geheimnis in meiner Seele, welches ich selber nicht ergründen kann, und das er, welcher Lebenserfahrung, Weisheit und Alter besitzt, mir erklären soll. Ich habe Vertrauen zu seinen Augen, zu seinem weißen Bart, und was ich niemand sonst zu sagen wagen könnte, das werde ich ihm sagen.

Eckhof lachte. Was Eckhofs weißen Bart anbetrifft, sagte er, so werden Sie den in der Garderobe suchen müssen, wie seine Weisheit in den Büchern der Dichter, deren Worte er gesprochen. Eckhof ist weder alt, noch weise, noch welterfahren, denn, um es Ihnen kurz zu sagen, ich selber bin Eckhof.

Sie, Sie sind Eckhof? fragte Lupinus erbleichend, indem er wie entsetzt einige Schritte zurückwich und mit weit aufgerissenen Augen auf Eckhof hinstarrte, dessen edles, jugendfrisches, von Lebenskraft und Geist strahlendes Angesicht ihm mit lächelndem Ausdruck zugewandt war.

Sie sind Eckhof? wiederholte er noch einmal, und es flog wie ein Schauder durch seine ganze Gestalt.

Ich bin es, und ich denke, Sie werden es mir verzeihen, daß ich ein wenig jünger, ein wenig brauner und auch weniger weise bin wie der weise Cato, als welchen Sie mich ohne Zweifel gestern gesehen haben, hoffentlich wird das Ihrem Vertrauen zu mir keinen Abbruch tun, und ich bitte Sie von ganzem Herzen, mir zu sagen, worin ich Ihnen nützen kann und welches Geheimnis ich Ihnen ergründen helfen soll.

Nein, nein, Sie können mir dieses Geheimnis nicht ergründen, Sie nicht, rief der Jüngling mit vor Aufregung bebender Stimme. Verzeihen Sie, wenn ich Sie vergeblich störte, denn Ihnen habe ich nichts zu sagen, nichts zu gestehen.

Und ganz verwirrt und schamvoll entfloh der junge Mann aus dem Zimmer des Schauspielers, der ihm staunend und ganz überzeugt, daß er es mit einem Wahnsinnigen zu tun gehabt, nachblickte.

Mit keuchender Brust, zitternden Herzens, kaum wissend was er tat, was er dachte, rannte Lupinus durch die Straßen seiner Wohnung zu, und wie er endlich sein Zimmer erreicht, wie er hinter sich die Türe geschlossen hatte, welche ihn abtrennte von der Welt und den neugierigen Menschen, da sank er ganz zerbrochen auf seine Knie nieder und rief mit herzzerreißendem Ton: Ich habe Eckhof gesehen! Oh, er ist jung, er ist schön. Unglückselig bin ich, daß ich ihn gesehen habe!

Dann versank er tiefer in sich selbst, und immer noch auf seinen Knien liegend, die Hände gefaltet, starrte er träumend und sinnend vor sich hin. Das dauerte eine lange Zeit, dann sprang er plötzlich empor, und mit von Energie und Glut flammenden Augen rief er: Ich will fort! Ich muß fort: Ich will zurück nach Halle zu meinen Büchern, meinen Studien, zu meiner stillen Kammer, welche friedlich ist und einsam, und wohin das Geräusch der Welt und die Stimme Eckhofs nicht dringen kann. Dort werde ich dieses kurze Erwachen meiner Jugend vergessen, dort wird mein Herz wieder einschlafen und träumen und unter dem Staub der Bücher begraben liegen. So muß es sein, so soll es sein, denn es darf nicht anders sein. Unselig bin ich, daß ich hierher kommen mußte, denn ich fühle doch, daß ich hier am Scheidewege meiner Vergangenheit stehe, am Anfang eines neuen Daseins. Aber ich will fort! Vielleicht ist es noch Zeit, vielleicht kann ich dem Unheil noch entgehen und das verderben noch beschwören, das mir droht. Oh, oh, bei meinen Büchern und Studien werde ich alles andere vergessen, werde ich diese Stimme nicht mehr hören, welche hier ewig vor meinen Ohren klingt, und diese Augen nicht mehr sehen, diese fürchterlichen, ach, diese wundervollen Augen! Ich muß also fort, heute, auf der Stelle.

Und mit fieberischer Hast und zitternden Händen packte er seine Effekten zusammen und verschloß sie in dem kleinen Reisekoffer.

Einige Stunden später fuhr die Post nach Halle mit lustigem Geschmetter die Straße hinunter. Als sie an der Wohnung Eckhofs vorüber kam, lehnte ein bleicher junger Mann sich aus dem Schlag hervor und blickte mit roten verweinten Augen zu den Fenstern des Schauspielers empor.

Lebe wohl, Eckhof, murmelte er. Ich fliehe vor dir, aber Gott segne dich! Fort, fort nach Halle, wo meine Augen sicher sind, Eckhof nicht zu sehen, wo mein Herz seine Stimme nicht mehr hören wird!

Der Postwagen rollte weiter gen Halle zu; der junge Lupinus lehnte sich traurig und seufzend in die Ecke des Wagens zurück, überzeugt, sein Verhängnis beschworen und der Gefahr sich entzogen zu haben. Aber das Verhängnis war über ihm, wie die mit Blitzen angefüllte Wetterwolke, und die Gefahr, welcher er entfliehen wollte, folgte ihm nach.


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