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I. Die Teufelsbeschwörer

Es war ein wundervoller Maientag; die Sonne, eben erst aufgegangen, hatte die Blüten und das frische Grün des Gartens von Charlottenburg noch nicht gewelkt, sondern nur erquickt zu neuem Blühen und Grünen. Die Vögel sangen lustig in den Bosketts, und wenn der Wind mit leisem Säuseln durch die lange Reihe dieser blühenden Lorbeer- und Orangenbäume fuhr, welche vor dem von Friedrich I. erbauten prachtvollen Gewächshause aufgestellt waren, so trug er eine Wolke süßen, bezaubernden Wohlgeruches über den ganzen Garten hin.

Dieser Garten war heute noch still und menschenleer, und die geschlossenen Fensterläden des Schlosses bewiesen, daß nicht der König allein, sondern auch die ganze Schar seiner Diener, von den Großwürdenträgern und diensttuenden Kammerherren an bis zu dem Küchenjungen und Gärtnerburschen, sich noch der Erquickung der Ruhe und des Schlafes hingaben, plötzlich ward diese Stille durch das Geräusch hastiger Schritte unterbrochen. Ein junger Mann, in einfacher bürgerlicher Tracht, kam eiligst die große Allee herauf, welche von dem großen Eingangstor des Gartens bis zu den Gewächshäusern führte, und näherte sich dann, vorsichtig umherblickend, dem ersten Fenster der untern Etage des diesseitigen Schloßflügels. Dieses Fenster war geschlossen, und von innen mit Fensterläden versehen, wie alle übrigen, aber zwischen der Glasscheibe und dem Fensterladen war ein weißes Stück Papier eingeklebt, das entweder der Zufall oder eine bestimmte Absicht da befestigt hatte.

Der junge Mann indessen schien durchaus nicht an den Zufall zu glauben; für ihn war dieses kleine Stückchen Papier ein verabredetes Zeichen, und er klopfte daher an die Glasscheibe, deren grelles Klingen auf einen Augenblick das tiefe Schweigen ringsumher unterbrach. Dann ward wieder alles still, bis der junge Mann zum zweitenmal dasselbe Geräusch, diesmal aber ein wenig lauter noch, ertönen ließ. Dann stand er wieder still und horchte. – Aber diesmal war sein Klopfen erfolgreich. Der Fensterladen ward langsam und vorsichtig von innen ein wenig geöffnet, und man sah jetzt hinter den Scheiben das bleiche und kranke Gesicht des Geheimkämmerers Fredersdorf, des Lieblings seines königlichen Herrn, erscheinen. Als er den jungen Mann erblickte, nahmen seine schlaffen, kranken Gesichtszüge einen lebhafteren Ausdruck an, und ein schwaches Lächeln umspielte seine schmalen Lippen. Hastig öffnete er das Fenster und reichte dem Jüngling die Hand dar.

Guten Morgen, Joseph, sagte er leise. Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen, so ungeduldig war ich, von dir Nachrichten zu erhalten. Nun, sage schnell! Wie ist es geworden? Hat er sich endlich gezeigt?

Joseph wiegte traurig das Haupt. Er hat sich immer noch nicht gezeigt, sagte er dumpf vor sich hin. Alle unsere Bemühungen sind vergeblich gewesen. Wir haben wiederum unsere Zeit, unser Geld, unsere Kräfte vergeblich geopfert! Er hat sich immer noch nicht gezeigt!

Ach, sollte man wohl denken, daß es so schwer ist, den Teufel zu bewegen, uns in Person zu erscheinen, da er doch täglich und stündlich durch die Taten der Menschen uns seine Nähe und seine Gegenwart verkündet! rief Fredersdorf schmerzlich. Aber ich muß und will ihn sehen, er muß und soll mir das Geheimnis entdecken, er soll mir die Stoffe nennen, aus welchen das Gold zusammengesetzt ist!

Und er wird es tun! sagte Joseph feierlich.

Was sagst du da? Er wird es tun? Es ist also nicht alle Hoffnung verloren?

Es ist noch nicht alle Hoffnung verloren, und der Planetarier hörte diese Nacht wenigstens in seiner Verzückung die Stimme des Teufels, und sah auf einen Moment schon den Blitz seines Auges, wenn er auch seine Gestalt noch nicht sah.

Er sah den Blitz seines Auges! wiederholte Fredersdorf freudig. Oh, wir werden ihn dennoch zwingen, sich uns zu zeigen! Er wird uns lehren müssen, Gold zu machen! Und was sprach die Stimme des Teufels zu unserm Planetarier?

Sie sprach zu ihm: Wollt Ihr mein Antlitz sehen, und Worte der goldenen Weisheit von meinen Lippen hören, so opfert mir, wenn wieder der Mond in seiner Vollheit wie flüssiges Gold am Himmel steht, einen schwarzen Ziegenbock. Und wenn Ihr für mich sein Blut vergießt, und wenn er so schwarz ist, daß selbst die Nacht kein weißes Haar an ihm entdecken kann, dann werde ich Euch erscheinen, und Euch dienstbar sein.

Also wieder vier Wochen des Harrens, der Ungeduld und Qual! murmelte Fredersdorf.

Vier Wochen des Suchens nach diesem schwarzen Ziegenbock, der nicht ein weißes Haar haben darf! Es wird sehr schwer sein, einen solchen zu finden!

Oh, die Welt ist groß, und wir werden überallhin unsere Boten aussenden! Wir werden ihn finden, denn dem wahrhaft Suchenden ergibt sich endlich das Gesuchte!

Aber es wird dazu viel Geld bedürfen, an dem wir unglücklicherweise schon Mangel leiden!

Wir? Welche wir? fragte Fredersdorf mit verächtlichem Achselzucken.

Wir! Das heißt zu allererst meine eigene Person, denn du begreifst, mein Bruder, daß ein Student, wie ich es doch noch bin, niemals Geld übrig hat, um dafür andere Ziegenböcke als höchstens von Zeit zu Zeit den Schneider zu bezahlen! Wir, das heißt ferner, der Hauptmann von Kleist, in dessen Hause heute nacht die Versammlung stattfand, und der dem Teufel schon mehr als einen schwarzen Ziegenbock, der ihm seine Gesundheit, seine Ruhe und sein häusliches Glück geopfert hat, denn seine Frau findet es seltsam, daß er jede Nacht fast den Teufel anderswo sucht, als in ihren schönen Armen.

Ja, ich begreife das! sagte Fredersdorf lächelnd. Die schöne Frau von Kleist will noch immer die übermütige, liebeselige Luise von Schwerin sein, welche sie einst gewesen. Die Ehe hat kein Wasser in ihr heißes Blut gegossen!

Nein, sondern nur ganze Ströme Weins in das Blut ihres Gemahls, und in diesen Strömen ist ihre Liebe und ihr Glück ertrunken. Wir haben da eine Leiche, welche sehr nach Verwesung riecht, und die wir sehr bald werden beerdigen müssen!

Mögt Ihr das tun! Der König hat ja die Scheidungen leicht gemacht!

Leichter als das Heiraten, nicht wahr, mein Bruder! Ah, du errötest, denn du findest, daß dein leichtfertiger Bruder aufmerksamere Augen hat, als du dachtest, und mehr sieht, als man ihn sehen lassen will? Ja, ja, ich habe wirklich gesehen, daß du von Gott Amors Pfeil getroffen bist, und daß dein Herz blutet, weil dein edler König seinem Geheimkämmerer nicht gestatten will, sich zu vermählen.

Oh, wenn ich erst das heilige Geheimnis kenne, wenn ich erst Gold zu machen verstehe, dann werde ich keinen König mehr zu fragen haben, dann werde ich selber König meines Willens sein.

Ha! Und daß du das werdest, dazu bedarf es, wie gesagt, weiter nichts als eines schwarzen Ziegenbockes. Schaffe uns also den Ziegenbock, mein mächtiger und vielvermögender Bruder, und alles wird getan sein!

Und zu denken, daß ich nicht fort kann, daß ich die Hände in den Schoß legen und ruhig abwarten muß! rief Fredersdorf verzweiflungsvoll. Oh, welche Sklaverei ist dies! Aber Ihr, Ihr seid nicht gefesselt, Euch gehört die ganze Welt, und Ihr könnt sie durchstreifen, dieses Opfer zu suchen, welches der Teufel begehrt!

Gib uns Geld, mein Bruder, und wir werden es tun! Ohne Geld keinen Ziegenbock, und ohne Ziegenbock keinen Teufel!

Fredersdorf verschwand einige Minuten vom Fenster und kehrte dann mit einer gefüllten Börse zurück, die er seinem Bruder darreichte.

Da hast du Geld, sende überallhin deine Boten aus, gehe selber und suche. Schaffen mußt du ihn, denn ich sage dir, wenn du es nicht tust, ziehe ich meine Hand von dir ab, und du wirst nichts mehr sein als ein armer Student, der sich vom Unterrichten ernähren kann.

Das möchte eine sehr dürftige Art der Ernährung sein, rief sein Bruder lachend. Ich bin überhaupt willens, einen andern Lebenspfad einzuschlagen und statt eines Gelehrten ein Künstler zu werden.

Ein Künstler! rief sein Bruder achselzuckend. Hast du eine künstlerische Ader an dir aufgefunden?

Ja, mein Bruder, ich habe eine solche aufgefunden! Oder vielmehr, Eckhof hat sie in mir erweckt!

Eckhof! Wer ist Eckhof?

Wie, du fragst, wer Eckhof ist? Du kennst ihn also nicht, diesen großen, diesen erhabenen Künstler, welcher seit einigen Wochen hier angelangt ist, und jeden, welcher ein deutsches Herz in seiner Brust trägt, entzückt durch sein herrliches Spiel! Ich sah ihn vor einigen Tagen in Gottscheds Tato! Ach, mein Bruder, an jenem Abend ward es mir klar, daß auch ich zu etwas Höherem und Schönerem berufen bin, als nur im Studierzimmer zu sitzen, und aus bestäubten Büchern mir ein wenig vermodertes Wissen zusammenzusuchen! Nein, ich will mir die Welt nicht mit Bücherstaub verdüstern, ich will sie mir verklären durch die edelste und schönste Kunst! Ich will ein Schauspieler werden!

Alberner Tor! sagte sein Bruder lächelnd. Ein deutscher Schauspieler, das heißt ein armer Bettler und Vagabund, der von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf zieht mit seinem Thespiskarren, und den man überall verlacht, wie man den Affen verlacht, welcher auf dem Rücken eines Kamels seine lustigen Kapriolen macht! Ja, wenn du noch ein Tänzer oder zum mindesten ein französischer Schauspieler wärst!

Es ist wahr, noch ist das deutsche Schauspiel das verstoßene Kind, das Aschenbrödel, welches man beiseite schiebt, und mit einem Sack bekleidet, während man das verhätschelte Stiefkind in goldgestickte Kleider hüllt. Oh, oh, es ist bitter zu denken, daß die französischen Schauspieler vom Könige berufen sind, auf der Bühne im königlichen Schloß zu spielen, während Schönemann, der deutsche Schauspieldirektor, für schweres Geld sich den Rathaussaal mieten und außerdem noch harte Steuer zahlen muß, für die Erlaubnis, dem deutschen Publikum hier ein deutsches Theater zu geben! Aber warte nur, mein Bruder, das alles wird anders kommen, wenn wir erst das Geheimnis wissen, wenn wir erst den schwarzen Ziegenbock haben! Ach, ich segne den Zufall, welcher mich zu einem Mitwisser eures geheimen Bundes machte, so daß ihr mich in denselben aufnehmen mußtet, um meines Schweigens gewiß zu sein! Ich werde jetzt reich, mächtig und einflußreich sein, wie ihr alle, und dann werde ich ein großes Schauspielhaus bauen, und darin werde ich euch als erster Liebhaber entzücken und zur Bewunderung hinreißen!

Oh, laß uns erst diese Kunst verstehen, Gold zu machen, und wir werden uns aus der ganzen Welt ein Schauspielhaus bauen, in dem uns alle Menschen als gehorsame Marionetten etwas vorspielen werden. Eile dich also, mein Bruder, eile dich! Beim nächsten Vollmond werden wir die allmächtigen Könige der Erde werden.

Vorausgesetzt, daß wir bis dahin einen schwarzen Ziegenbock gefunden haben!

Wir werden ihn finden, denn wir werden ihn nötigenfalls mit Gold aufwiegen, und es gibt nichts, was man nicht mit Gold erlangen kann. Ehre, Liebe, Macht, Ansehen und Ruhm, alles das gibt uns das Gold! Laß uns also eilen, reich zu werden, denn reich sein heißt unabhängig, frei und selbstregierend sein! Geh, mein Bruder, geh, und mögest du bald mit Erfolg gekrönt zu uns zurückkehren.

Aber zuvor noch einige wichtige Fragen, Bruder. Vor allen Dingen, wohin soll ich gehen?

Den Ziegenbock zu suchen gleichviel wohin!

Ach, gleichviel wohin! Du denkst also nicht daran, daß die Zeit der Ferien vorüber ist und daß der Senat der Universität Halle mir angedroht hat, mich zu relegieren, wenn ich nach wie vor so unregelmäßig die Collegia besuche. Ich werde also heute noch nach Halle zurückkehren müssen, oder –

Heute noch! rief Fredersdorf erschrocken. Das ist unmöglich. Du kannst nicht nach Halle reisen, es müßte denn sein, daß du heute schon gefunden hättest, was wir bedürfen!

Und da dies nicht der Fall ist, so werde ich nicht nach Halle zurückkehren, man wird mich also relegieren, und ich höre auf, Hallenser Student zu sein. Somit willigst du also ein, daß ich Schauspieler werde und den großen Eckhof zu meinem alleinigen Professor erhebe?

Ich willige in alles, vorausgesetzt, daß du erst die Befehle des Planetariers erfüllst!

Und wenn der Planetarier nun unglücklicherweise trotz des schwarzen Ziegenbocks doch nicht imstande wäre, den Teufel zu zitieren?

Auf den bleichen Wangen Fredersdorfs zeigte sich bei dieser Frage eine krankhafte fieberische Röte, die dann einer noch krankhafteren Blässe wich.

Wenn dem so wäre, so würde ich entweder wahnsinnig werden oder sterben! murmelte er leise vor sich hin.

Und alsdann würdest du vielleicht den Teufel von Angesicht zu Angesicht schauen! rief sein Bruder mit heiterm Lachen. Aber vielleicht fände sich für dich eine Euridice, die dich der Unterwelt wieder entrisse. Nun, wir werden sehen! Bis dahin Lebewohl, mein Bruder, Lebewohl!

Seinem Bruder einen Abschiedsgruß zunickend, eilte Joseph leichten Schrittes von dannen. Fredersdorf schaute mit einem schwermütigen Lächeln seiner schlanken, hohen Gestalt nach, welche eben zwischen den Bäumen am Ende der Allee verschwand.

Er besitzt etwas, welches am Ende noch mehr wert ist als Gold und Macht, sagte er. Er ist gesund, jung und voll Hoffnung und Zuversicht! Ihm gehört also die Welt, während ich –

Das Geräusch herannahender Schritte machte ihn verstummen, und mit gespannter Aufmerksamkeit schaute Fredersdorf wieder die Allee hinunter.


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