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II. Der alte Hofmann

Dort zeigte sich abermals eine männliche Gestalt, welche näher und näher kam, aber minder leichten und beflügelten Schrittes, als der junge Fredersdorf. Indessen, wie sie sich näherte, drückten Fredersdorfs Züge das größte Erstaunen, die größte Überraschung aus, und als dieselbe jetzt dicht vor seinem Fenster stand, brach er in ein lautes Lachen aus.

Herr von Pöllnitz! Wirklich und wahrhaftig, ich täusche mich nicht, es ist der Herr von Pöllnitz! rief Fredersdorf, die Hände ineinander schlagend und alsdann wieder in ein Gelächter ausbrechend, in welches der andere fröhlich mit einstimmte.

Dann plötzlich eine ernsthafte Miene annehmend, verneigte sich Fredersdorf ehrerbietig. Verzeihung, Herr Baron, sagte er mit dem Ton anscheinender Demut, Verzeihung, daß ich es wagte, Sie auf eine so unehrerbietige Weise willkommen zu heißen. Aber die Überraschung, Sie wiederzusehen, nachdem Sie für immer von unserem Hofe Abschied genommen und wir uns aus Ihrem Andenken schon einen Tränenkrug gemacht hatten, über dem wir Sie beweinten, die Überraschung hatte mich überwältigt.

Spotten und lachen Sie immerhin, teuerster Fredersdorf, sagte Herr von Pöllnitz, ich werde in Ihren Spott und Ihr Gelächter fröhlich mit einstimmen, sobald ich mich nur erst ein wenig ausgeruht habe von diesem holprigen Wagen, der mich hieher geführt hat. Öffnen Sie mir also gefälligst das Fenster ein wenig mehr, und setzen Sie einen Stuhl hier draußen unter dasselbe, damit ich zu Ihnen einsteigen kann wie ein brünstig Liebender zu seiner Geliebten, und nicht erst nötig habe den weiten Umweg bis zum Schloßtor zu machen.

Fredersdorf tat schweigend, was der Baron von ihm forderte, und wenige Minuten später lag Herr von Pöllnitz behaglich ausgestreckt in dem Zimmer des Geheimkämmerers auf dem seidenen Diwan.

Fragen Sie mich jetzt nichts, Fredersdorf, sagte er hochaufatmend, lassen Sie mich erst ungestört ein wenig die glückliche Behaglichkeit hier auf Ihrem Sofa genießen, und tun Sie mir den einzigen Liebesdienst, zuvörderst mir auf einige Fragen zu antworten, bevor ich Ihnen ein gleiches tue.

Fragen Sie, Herr Baron, ich werde Ihnen antworten, sagte Fredersdorf, indem er sich auf einen Stuhl neben dem Sofa niedersetzte.

Zuvörderst also! Wer ist König von Preußen? Sie oder Jordan oder General von Rothenburg oder Chazot oder – mein Gott, so helfen Sie mir doch und sagen Sie mir, wer ist König von Preußen?

Das ist Friedrich II., und Er ganz allein, und Er so sehr, daß selbst seine Minister nichts weiter sind als die Schreiber, welche seinen Willen aufschreiben, und die Generäle sind die Unteringenieure, welche die Schlachtpläne aufzeichnen, die Er sich ersonnen, und seine Komponisten, sind die Notenstecher seiner Melodien und musikalischen Gedanken, und die Architekten sind die Zimmermeister, welche nichts weiter zu tun haben als den Bauplan auszuführen, den er entworfen oder wenigstens nach alten, griechischen Vorbildern ausgewählt hat, und alle Beamte sind nur einzelne Stifte in dieser großen Maschine des Staates, die Sein Wille allein zu lenken und zu regieren versteht!

Hm, das ist übel, sehr übel, sagte Pöllnitz. Indessen finde ich, daß Sie zwei Sorten von Menschen nicht angeführt haben in diesem Register von Stiften, welche Friedrichs Hand lenkt und regiert. Sie haben nichts gesagt über seine Köche und nichts über seine Kammerdiener, und doch sind diese sehr wichtig, denn Sie wissen wohl, daß für diese beiden Sorten von Menschen jeder König aufhört ein König zu sein und ein ganz gewöhnliches Menschenkind wird, welches essen, trinken, schlafen und sich kleiden und seine körperlichen Schwächen und Gebrechen verstecken und übermalen muß, wie jeder andere Mensch!

Fredersdorf schüttelte schwermütig das Haupt. Es scheint, sagte er, daß Friedrich II. unantastbar ist, denn selbst seinem Koch und seinem Kammerdiener gegenüber bleibt er immer noch König. Seine Köche mögen ihm die kostbarsten und herrlichsten Gerichte bereiten, er ist leider nicht damit zu bestechen. Ein schlecht gelungenes Gericht macht ihn zornig, aber die auserlesensten Speisen haben durchaus seinen Einfluß auf seine Stimmung; er ist nach der Tafel niemals anders gestimmt als vor der Tafel, und was er vor dem Essen und dem Champagner ausgeschlagen, das bewilligt er auch nachher nicht!

Den Teufel auch, das ist schlimm, murmelte Herr von Pöllnitz. Und der Kammerdiener, auch dem gegenüber bleibt der König König?

So sehr, daß er seinen Kammerdienern kaum gestattet, seinen Körper zu berühren, und sich selber frisiert, rasiert und ankleidet.

Aber mein Gott, wer hat denn Einfluß auf ihn? An wen muß man sich wenden, um eine Fürbitte einzulegen?

An seine Hunde, teuerster Baron! Das sind jetzt noch die einzigen Personen von Einfluß.

Züchten Sie im Ernst die vierbeinigen Hunde, oder –

Die vierbeinigen, Teuerster, denen der König in der Tat mehr vertraut als den zweibeinigen Geschöpfen. Sie wissen, daß der König viel auf den Instinkt seiner Hunde gibt; nun, er ist jetzt dahin gekommen zu glauben, daß die Hunde eine instinktmäßige Aversion gegen alle falschen, boshaften und schlechtgearteten Menschen haben, und es ist daher für jeden neuen Ankömmling sehr wichtig, wie er von seinen Hunden empfangen wird, denn darnach richtet sich auch der Empfang des Königs.

Ist Biche noch bei dem König?

Sie ist noch immer Lieblingshündin!

Ah, das ist mir lieb, denn ich stand immer in großer Gunst bei Signora Biche, und sie pflegte immer meine Tasche zu beschnüffeln, ob feine Chokolade darin sei. Ich bitte Sie also, lieber Freund, geben Sie mir ein Stückchen Chokolade für die Biche, damit ich ihr edles Herz rühre und sie mir den König geneigt mache.

Ich werde Ihnen ein halbes Pfund in jede Tasche stecken, und wenn Biche dann noch bellt, so ist das ein Zeichen, daß sie allerdings weit besser wie die Menschen, daß sie nämlich unbestechlich ist! Sind Sie jetzt zu Ende mit Ihren Fragen und darf ich die meinen beginnen?

Nicht doch, mein Teuerster, mein Kopf ist noch ganz angefüllt mit Fragen, die darin herum krabbeln, wie die in einem Sack zusammengesteckten Regenwürmer, mit deren Hilfe man Fische angeln will. Seien Sie also barmherzig und lassen Sie mich noch einige dieser Fragen an dem Angelhaken meiner Zukunft befestigen!

Nun denn, immerhin! Fragen Sie weiter!

Interessiert sich der König für keine einzige Primadonna seiner Oper, seines Ballets oder Schauspiels?

Für keine einzige!

Nun, er ist also jetzt ganz herzversteinert?

Ganz und gar!

Und die Königin Mutter? Auch sie hat keinen Einfluß?

Mein Gott, Herr Baron, wie lange waren Sie denn fort von hier, daß Sie Fragen an mich richten, als wären Sie eben unmittelbar vom Monde heruntergefallen und wüßten gar nicht mehr, wie es an unserm Hofe aussieht!

Lieber Freund, ich war ein ganzes Jahr von hier entfernt, das heißt, eine Ewigkeit! Denn der Hof ist ein sehr schlüpfriger Boden, und wenn man nicht zu jeder Stunde auf dieser parkettierten Spiegelglätte gegangen ist, so kann man sehr leicht fallen, das ist gewiß. Auch ist nichts veränderlicher wie das Hofleben, und was heute wahr gewesen, das ist morgen oftmals schon eine große Lüge, und was man gestern schön fand, wird heute als abschreckend häßlich beiseite geschoben, und was man heute verachtete, das preist man morgen als ein erhabenes Kleinod. Oh, ich habe darüber meine Erfahrungen! Ich entsinne mich, daß während meines Aufenthaltes am sächsischen Hof ich einmal ein Gedicht, eine Hymne an Aurora von Königsmark dichtete, und zwar auf besonderen Befehl des Königs, der diese Hymne von Hasse wollte komponieren und von seinen italienischen Sängern am Geburtsfeste der Aurora wollte singen lassen. Nun, meine Hymne war noch nicht ganz beendigt, da war die Gräfin Aurora schon verstoßen und die schöne Gräfin Kosel hatte ihre Stelle eingenommen. Ich vollendete indessen meine Hymne, nur daß ich statt der Aurora eine Amalia besang; Hasse komponierte die Hymne, und als die italienischen Sänger sie dann zum Namenstag der Gräfin Kosel sangen, ahnte niemand, daß diese Festkantate eigentlich für die Gräfin Königsmark bestimmt gewesen! – Am Hofe der Kaiserin Elisabeth von Rußland traf ich einst einen Soldaten, der vor der Tür der Kaiserin auf Wache stand und sein Gewehr präsentierte, als ich am Arme des Obersten Tscherbatow, ihres damaligen Lieblings, zur Kaiserin ging. Nun denn, acht Wochen später war dieser Soldat General und Fürst, und Tscherbatow mußte ihm die militärischen Ehren erzeigen. – In Venedig sah ich ein Gemälde von Tintoretto, das jüngste Gericht oder das Paradies und die Hölle darstellend. Im Paradies bemerkte ich ein wunderschönes, von Schönheit, Jugend und Üppigkeit strahlendes, von Engeln umflattertes Weib, das in seliger Verzückung auf einem Blumenlager ruhte. Aber da drunten auf der untern Hälfte des Bildes in der Hölle sah ich dieselbe Frau noch einmal, nur daß sie nicht auf Rosen, sondern auf einem glühenden Rost lag, und daß keine Engel sie umgaben, sondern grinsende, verzerrte Teufel, welche mit glühenden Zangen ihren schönen Leib zerfleischten. Papst Adrian VI. hatte dies Gemälde bei Tintoretto bestellt und dabei ausdrücklich befohlen, daß der schönen Cinnia im Paradiese ein Denkmal gesetzt und sie darin verherrlicht werde. Cinnia nämlich war eine sehr liebe Freundin Adrians, welcher Stunden hatte, wo er nicht bloß Papst, sondern außerdem noch Mann war, und zwar ein Mann, welcher an der Schönheit Wohlgefallen fand. Cinnia war sehr schön und es war daher Tintorettos erstes Geschäft, Cinnias Bild zu malen und sie zum Mittelpunkte des Paradieses zu machen. Aber sehen Sie, zum Unglück war das jüngste Gericht Tintorettos ein sehr großes Gemälde, so groß, daß man heutigestags, um die Köpfe auf demselben zu zählen, sich eines Cannevas bedient, und die in jedem Viereck enthaltenen Köpfe aufzeichnet, um dann das Ganze zu addieren. Ein solches Bild zu malen, bedurfte es einiger Jahre, und als Tintoretto bei der Hölle angelangt war, da hatte sich vieles geändert, sogar das Herz der schönen Cinnia, welche den Papst Adrian um einen Fürsten Colonna verlassen hatte. Der heilige Vater, welcher, wie gesagt, nicht bloß Papst sondern auch Mann war, haßte natürlich die Ungetreue und wollte Rache an ihr nehmen. Er befahl daher dem Tintoretto, die Cinnia noch einmal auf seinem Gemälde anzubringen, aber diesmal in der Hölle als verdammte und verurteilte Sünderin Historisch.. – Ah, an dieses Bild denke ich immer, wenn ich die Favoriten oder Favoritinnen der Fürsten betrachte und mich an ihrem Hochmut und Stolz ergötze, Wenn ich sie im Paradiese ihrer Macht und Gunst sehe, so sage ich zu mir selber: ich werde euch bald auf dem glühenden Rost der Ungnade braten sehen und die Teufel der Schadenfreude und des Neides werden euren Leib zerfleischen! – Sehen Sie da, Fredersdorf, das ist meine Antwort auf Ihre verwunderte Anfrage, ob ich in einem Jahr das Hofleben verlernt habe!

Und bei Gott, eine sehr gründliche Antwort, welche wenigstens zeigt, daß der Herr Baron von Pöllnitz sich in einem Jahr durchaus nicht verändert hat, sondern immer noch der erfahrene Weltmann, der weise Kavalier geblieben ist!

Herr Baron von Pöllnitz! Warum geben Sie mir nicht meinen Titel? Warum nennen Sie mich nicht Oberkammerherr?

Nun, weil Sie nicht mehr im Dienst des Königs sind, sondern Ihre Entlassung genommen haben!

Gott gebe, daß Biche mir gnädig ist; dann wird der König, hoffe ich, diese genommene Entlassung vergessen. Aber noch einige Fragen, teuerster Fredersdorf! Sie sagen, die Königin Mutter habe keinen Einfluß. Wie aber ist es mit der Gemahlin des Königs, mit Elisabeth Christine? Ist Sie vielleicht jetzt die regierende Königin?

Wann sind Sie von Ihrer Reise zurückgekehrt?

Nun, diese Nacht, und kaum vom Wagen gestiegen eilte ich hierher.

Das ist freilich eine Entschuldigung für Ihre Frage, denn wenn Sie erst diese Nacht angekommen sind, konnten Sie freilich noch nicht wissen, was heute für ein wichtiges Ereignis bei Hofe stattfindet! Der König wird heute seinem Hofe seinen Bruder August Wilhelm als den Prinzen von Preußen, seinen Thronfolger, vorstellen. Ich denke, das ist eine genügende Antwort auf Ihre Frage nach der Königin. Sie lebt in Schönhausen und ist die Witwe ihres Gemahls, des Königs, welcher niemals das Wort an sie richtet, selbst dann nicht, wenn er an den großen Galatagen bei Tafel neben ihr sitzt.

Nun noch eine letzte Frage, teuerster Freund? Wie steht es mit Ihnen? Sind Sie noch einflußreich? Liebt der König Sie noch immer so sehr, wie vor einem Jahr? Haben Sie Hoffnung, das Ziel Ihres Ehrgeizes zu erreichen und Einfluß zu gewinnen?

Ich bin nicht mehr ehrgeizig, sagte Fredersdorf seufzend. Nein, ich habe keine Sehnsucht mehr darnach, der König eines Königs zu sein, sondern mein einziges Sehnen ist, unabhängig von allen Königen der Welt, kurz, mein eigener König und Herr zu sein. Vielleicht gelingt mir dies bald! Wo nicht, nun, so wird es mir ergehen wie so vielen andern: da ich meine Sklavenketten nicht zerreißen kann, so werde ich von ihnen erdrückt werden. Was aber meinen Einfluß auf den König anbetrifft, so wird es Ihnen genügen, wenn ich Ihnen sage, daß ich seit einem halben Jahre eine Frau glühend liebe, von welcher auch ich geliebt werde, daß ich sie aber nicht heiraten kann, weil der König mir trotz meines Flehens nicht seine Einwilligung zu dieser Heirat geben will!

Und er hat recht, rief Herr von Pöllnitz lebhaft, indem er sich behaglich im Sofa ausstreckte. Ein Tor ist derjenige, welcher daran denkt, seine edle Freiheit hinzugeben an ein Weib!

Das sagen Sie, Herr Baron? Sie, welcher doch den Hof und den König aufgegeben hatte, um nach Nürnberg zu gehen und sich dort zu vermählen?

Ah, wie geschickt Sie mir das Messer aus den Händen gespielt haben und aus einem Gefragten ein Frager geworden sind! Nun, es ist billig, daß auch Ihre Neugierde befriedigt werde. Fragen Sie also immerhin, ich werde Ihnen antworten!

Sie sind also nicht verheiratet, Baron?

Durchaus nicht, und ich habe geschworen, daß Fortuna allein noch meine Geliebte sein soll, nicht aber ein sterbliches Weib!

Demnach ist also auch das Gerücht falsch, welches besagte, daß Sie abermals Ihre Religion gewechselt und jetzt protestantisch geworden wären?

Nicht doch, dieses Gerücht hat die Wahrheit gesagt. Diese Nürnberger Patrizierin wollte keine Hand annehmen, welche ihr von einem Nichtprotestanten geboten wurde! Ich zog also den Handschuh meines Katholizismus aus und zog dafür den Protestantismus an. Mein Gott, für einen Mann von Welt darf der äußere Glaube doch nichts weiter sein, als ein Toilettengegenstand! Wie es zum guten Ton gehört, daß die Fürsten, wenn sie die befreundeten Höfe besuchen, jedesmal die Orden und die Uniformen des Landes, in welchem sie eben verweilen und des Fürsten, den sie eben besuchen, anlegen, so ist es auch mir Regel der Etikette, immer die Religion anzulegen, welche gerade der Situation, in welcher ich mich befinde, angemessen ist. Meine Situation in Nürnberg erforderte, daß ich Protestant wurde, also ward ich es.

Und dennoch zerschlug sich die Heirat?

Sie zerschlug sich an dem harten Eigensinn meiner Braut, welche durchaus nicht in Gütergemeinschaft mit mir leben und mir nicht den Nießbrauch ihres Vermögens gönnen wollte. Begreifen Sie einen solchen Unsinn? Zu denken, daß ich sie bloß heiraten würde, um aus einem mittelmäßig hübschen Bürgermädchen eine Baronin, eine Reichsbaronin von Pöllnitz zu machen, ohne dafür einen andern Lohn, als eine Frau zu haben! Sie wollte meinen Rang heiraten und fand es beleidigend, daß ich nicht sie, sondern ihre Million heiraten wollte! An diesem Zwiespalt scheiterte unsere Ehe, und ich bin dessen jetzt recht froh und schäme mich meines Heiratsrausches von ganzer Seele! Der König hat also Grund mit mir zufrieden zu sein!

Sie denken also alles Ernstes daran, wieder hier zu bleiben?

Finden Sie das nicht ganz natürlich, Teuerster? Ich habe ein halbes Jahrhundert an diesem Hofe gelebt, und mich an seine Langweiligkeit, Nüchternheit und Steifheit so sehr gewöhnt, wie man sich an ein altes hartes Feldbett gewöhnt, das einem durch die Gewohnheit zuletzt weicher erscheint, als das schwellendste Lager von Eiderdaunen. Außerdem, mein Lieber, habe ich soeben in Nürnberg eine Million eingebüßt, und ich muß daher auf Ersatz sinnen, um mein Leben eines Kavaliers würdig beschließen zu können. Ich muß also wieder meinen freien Nacken beugen und dienstbar werden. Sie müssen mir dazu behilflich sein, indem Sie mir heute, gleich jetzt, eine Audienz beim Könige erwirken, und so weit, denke ich, wird Ihr Einfluß doch noch reichen. Das übrige sei dann meine Sorge.

Wir wollen sehen, sagte Fredersdorf, ich habe dem König heute eine frohe Nachricht zu bringen, vielleicht macht diese ihn heiter und willfährig, und er bewilligt Ihnen die Audienz.

Und diese Nachricht, welche Sie ihm zu bringen haben?

Die Barbarina ist angekommen!

Ach, die berühmte Tänzerin?

Dieselbe! Wir haben sie der Republik Venedig und ihrem Liebhaber, dem Lord Mackenzie, entrissen, und der Baron von Sweerts hat sie als Gefangene nach Berlin geführt.

Pöllnitz richtete sich halb vom Sofa empor, und hastig seine Hand auf den Arm des Geheimkämmerers legend, sah er ihn mit freudestrahlenden Augen an.

Ich habe da eben einen Plan gemacht, einen himmlischen Plan, sagte er. Mein Freund, die Tage der Macht und des Glanzes werden jetzt doch für uns aufgehen, und Ihr Ehrgeiz, welcher krank lag und darniedergebeugt, wird jetzt genesen und sein Haupt stolz empor richten. Was ich lange suchte, ist endlich gefunden! Der König ist noch zu jung, zu feurig und endlich zu sehr Dichter und Genie, um unempfindlich zu sein. Selbst Achill hatte seine Ferse, wo er verwundbar war. Auch Friedrich hat seine verwundbare Stelle, und wissen Sie, wer ihn da treffen und den Pfeil auf ihn abschießen wird?

Nun?

Die Signora Barbarina! Ah, Sie lächeln, Sie schütteln ungläubig das Haupt? Sie sind also kein guter Psycholog? Sie wissen also nicht, daß man das am meisten zu begehren pflegt, was sich einem am heftigsten zu entziehen scheint, und daß man das am höchsten schätzt, was man sich durch Kampf erworben hat. Urteilen Sie also, wie hoch der König die Barbarina schätzen muß, um derentwillen er eine monatelange diplomatische Fehde mit der Republik Venedig führte und die er endlich dem Lord Stuart Mackenzie gewissermaßen abgekämpft hat.

Es ist wahr, sagte Fredersdorf nachdenklich, seit acht Tagen erwartet der König mit wahrer Ungeduld die Ankunft der schönen Tänzerin und er hat befohlen, daß wenn sie in Berlin eintrifft, sofort ihm davon Anzeige gemacht werde.

Der König wird diese Signora Barbarina lieben, sage ich Ihnen, rief Pöllnitz, indem er sich wieder langsam in die Sofakissen zurücklehnte. Ich werde ihr daher heute noch einen Besuch machen und mit der Signora das Nötige verabreden. Ach, jetzt bin ich zufrieden, jetzt sehe ich Land, eine kleine Insel der Glückseligkeit, welche mich, den armen Schiffbrüchigen, wieder aufnimmt und mir Schutz und Obdach gewährt! Ich werde mich zu dem unentbehrlichen Ratgeber der Signora Barbarina machen, und ich werde sie lehren, wie sie den Starrsinn des Königs bezwingen und ihn zu ihrem Sklaven machen kann!

Träume, Träume! sagte Fredersdorf achselzuckend.

Träume, welche ich zur Wirklichkeit machen werde, sobald Sie mir nur erst eine Audienz beim König verschafft haben!

Wir werden sehen, was sich tun läßt, und ob – Aber hören Sie, der König ist schon wach, er hat seine Fenster geöffnet und spielt auf der Flöte, wie er das alle Morgen zu tun pflegt. Dieses morgendliche Flötenspiel ist für mich immer der Barometer seiner Stimmung und ich weiß daran immer zu beurteilen, was für Wetter wir heute haben werden und ob es heiter oder stürmisch sein wird! Treten wir also an's Fenster und horchen wir ein wenig!

Tun wir das! sagte Pöllnitz, indem er sich mit jugendlicher Elastizität von dem Diwan erhob und Fredersdorf zu dem offenen Fenster folgte, horchen wir!

Und beide an die Brüstung des Fensters gelehnt, horchten sie mit angehaltenem Atem dieser Musik, welche von den obern Fenstern zu ihnen hernieder säuselte, und zugleich mit dem Duft der Orangen und der erquickenden Sommerluft in dieses Gemach eindrang, in welchem die beiden Höflinge sich befanden und jeden Ton belauerten, wie etwa die Katze jedes frohe Aufjauchzen des unschuldigen Vogels belauert und bewacht, um den Moment zu erspähen, wo sie ihn verschlingen kann.

Es war ein Adagio, welches der König auf seiner Flöte spielte, und in dessen Vortrag er bekanntlich Meister war. Leise zitternd wie in unendlicher Wehmut, bald schluchzend und klagend, bald aufjauchzend in schmerzlicher Seligkeit, dann wieder seufzend und weinend, rieselten diese Töne wie kostbare Perlen oder wie durchsichtige Tränen durch die balsamische Sommerluft, und selbst die Vögel in den duftigen Gebüschen und der Wind, welcher in den Bäumen gerauscht, und die Wogen des Flusses, die mit leisem Gemurmel an das Ufer geplätschert kamen, die ganze Natur schien einen Augenblick ihren Atem anzuhalten, um dieser sanften schönen Musik zu lauschen, deren Urheber nicht nur ein König, sondern auch ein Künstler war.

Auch Fredersdorf fühlte die Macht und die bewältigende Kraft dieser Musik wieder wie sonst auf sich wirken. Die alte Liebe durchströmte wieder sein Herz und füllte es mit neuen Gluten, indem es seine Augen mit Tränen netzte.

Er ist doch der edelsten Geister einer, und man kann ihm niemals zürnen, weil man immer wieder gezwungen ist ihn anzubeten! sagte er leise vor sich hin, als des Königs Flöte eben schwieg.

Nun? fragte Pöllnitz, dessen Antlitz nicht einen Moment den Ausdruck listiger Schlauheit und kalter Aufmerksamkeit verloren hatte, nun, wie steht das Barometer heute? werden wir einen sonnenhellen Tag haben?

Ja! Der König ist heute in seiner klaren, sanften Stimmung. Wahrscheinlich ist er schon einige Stunden wach und hat an irgendeinen seiner Freunde geschrieben, an Voltaire oder Algarotti, das macht ihn immer still, heiter und sonnenklar.

Ich werde also meine Audienz haben?

Sie werden sie haben!

Dann, teuerster Freund, habe ich Sie nur noch zu bitten um die Chokolade für die edle, seelenausforschende Hündin, die Signora Biche!


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