Hans Michael Moscherosch
Philanders von Sittenwald wunderliche und wahrhaftige Gesichte – Erster Teil
Hans Michael Moscherosch

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Einleitung

Wir besitzen in den Gesichten Philanders von Sittewald ein lebensvolles und wahrheitsgetreues Bild von den Zuständen im deutschen Lande während des dreißigjährigen Krieges, jener Zeit des Krieges ohne Ende, wo fremde Kriegshorden ihr Lager in unserem Vaterlande aufgeschlagen hatten, den Wohlstand des Landes bis zur Neige verzehrten und raubten, mordeten, schändeten mit teuflischer Gier: wo Sitte, Gesinnung und Sprache verwelschten, und der Deutsche sich selbst verloren hatte. Neben diesem dauernden culturhrstorischen Werth bieten die Gesichte als humoristische und satirische Lectüre einen unzweifelhaften Genuß, zumal uns überall darin der edle, feste Charakter, die tiefen und vielseitigen Kenntnisse und der gesunde Blick des Verfassers entgegentreten. Es dürfte daher die Wiedergabe eines der wichtigsten Denkmäler deutscher Literatur wohl angemessen sein, sintemalen die alten Ausgaben meistens nur noch in den Bibliotheken vorhanden sind. – Der Verfasser, Hans Michael Moscherosch, stammt aus einer aragonischen Ritterfamilie, deren Ahnherr im Jahre 1520 als kaiserlicher Hauptmann mit Karl V. nach den Niederlanden zog. Nach Karls Rückkehr blieb dieser Marzloff von Musenrosch, wie der ursprüngliche Name der Familie lautete, gefesselt durch die Liebe zur Tochter eines niederländischen Edelmannes in Aachen zurück und folgte später deren Eltern nach Straßburg, wo er die Geliebte heirathete. Sein Sohn nannte sich von Mosenrosh, und dessen Nachkomme veränderte den Namen in Moscherosch und begab sich, weil die Familie durch unglückliche Prozesse herabgekommen war, seiner Adelsvorrechte. Diesem wurde 1578 ein Sohn, Michael Moscherosch, der Vater unseres Philander, geboren; derselbe bekleidete die Amtmannsstelle zu Wilstädt, unweit Straßburg gelegen, und war wegen seiner Redlichkeit ein allgemein geachteter Mann. Aus seiner Ehe mit Veronika Peck, welche aus einer ansehnlichen dänischen Adelsfamilie stammte – ihre Großmutter war die Schwester des berühmten Ritters Sebastian Schärtlin von Burtenbach (1496-1577) – gingen zwölf Kinder hervor, von denen als der älteste Johann Michael am 5. März des Jahres 1601 geboren wurde. Nach einer sorgfältigen Erziehung seitens seiner frommen Eltern wurde der Knabe, der vortreffliche Gaben in sich spüren ließ, im elften Jahre auf die lateinische Schule nach Straßburg geschickt, wo er auch 1620 die Hochschule bezog, um sich dem Rechtsstudium zu widmen. Seine öffentlichen Zeugnisse, sowie der Umstand, daß er 1624, als er sich um die Magisterwürde bewarb, unter 24 gelehrten Magistern »unter beifälliger Zustimmung der ganzen Universität« den ersten Platz erhielt, beweisen, daß er seinen guten Kopf aufs beste angewendet hat.

Darauf zog er mit Bewilligung seiner Eltern nach Frankreich, um die französische Sprache und die Welt kennen zu lernen. Nach seiner Rückkehr nahm er von den vielen Anerbietungen im Jahre 1626 die Hofmeisterstelle bei den Söhnen des Grafen Philippsen von Leinungen-Dagsburg, Herrn zu Appermont, an und versah sie zwei Jahre lang rühmlichst und treulichst. Bald nach seiner im Jahre 1628 erfolgten Verheirathung mit der frommen Esther Ackermann, der Tochter eines Juweliers zu Frankenthal, begab er sich nach Crichingen, wohin ihn der Freiherr Peter Ernst von Crichingen und Püttingen zu seinem Amtmann berufen hatte. Hier lebte er »in einer friedlichen und gesegneten Ehe, in welcher er vier Kinder erzielte«, von denen ihn jedoch nur ein Sohn, Ernst Bogislaus, überlebte. Im Jahre 1634 entriß ihm der Tod seine »fromme Hester« und bald darauf auch seinen Vater; doch ging er noch in demselben Jahre seine zweite Ehe mit Maria Barbara Paniel ein, die er schon im November 1635 wiederum verlor auf der Reise nach Straßburg, wohin er seine Familie vor den Feinden in Sicherheit bringen wollte. In Straßburg hielt er sich bei einem seiner Brüder, der daselbst Arzt war, und bei seiner verwitweten Mutter auf, bis ihn 1636 der Herzog Ernst Bogislav von Croy und Arschot zu seinem Rath und Amtmann in der Herrschaft Vinstingen an der Saar berief. Kurz darauf verheirathete er sich zum dritten Mal mit Anna Maria Kilburger, der Tochter eines reichsgräflichen Amtssekretärs in Biedburg, die ihm zehn Kinder gebar.

Während seiner Amtmannschaft in Vinstingen hatte er schwer unter den Stürmen des Krieges zu leiden; dreimal wurde er ausgeplündert und schwebte mit den Seinigen wiederholt in Todesgefahr. Einmal wurde plötzlich Lärm geschlagen: der Feind sei vor dem Thor, sei schon in der Stadt! Während Moscherosch, ohne soviel Zeit zu haben, seine Kinder zu segnen, mit seinem Gewehr auf seinen Posten lief, sprang seine Frau aus dem Kindbett und eilte dem Schlosse zu in solcher Hast, daß sie ihr vierzehntägiges Töchterchen in der Wiege zurückließ. »Als ich hernach fragte,« so schreibt er selbst, »wo euer Schwesterlein Ernestin-Amely wäre, da ist eurer Mutter erst eingefallen, daß es unter einem Pack Windeln in dem großen Schrecken und der Angst war verborgen worden. Das muß ja eine Trübsal sein, da auch eine Mutter ihres noch säugenden Kindes vergessen kann!« Doch immer rettete ihn Gottes Hilfe. Zu dem Schrecken der plündernden und mordenden Kriegsknechte, deren Treiben er im »Soldatenleben« so getreu und lebendig geschildert hat, kam noch der Hunger und die grausame Pest, an der er selbst erkrankte. Er half den Armen, soviel er konnte, so daß er selbst darunter Mangel leiden mußte; als es an Leuten gebrach, bebaute er selbst seinen Acker und ließ es sich recht sauer werden, da er daneben noch seine mühseligen Amtsgeschäfte verrichten mußte.

Aber all dieses Unglück hat ihm nicht so weh gethan, als die heimliche Verfolgung derer, die sich ihm als seine Freunde, in der That aber als seine »höhnischen, ungerechten und wüthenden Feinde« erwiesen. Er muß in Wahrheit viel von diesen »Neidhunden und Anstiftern« gelitten haben, die ihn haßten, weil er es mit dem Rechten hielt, weil er dem Nothleidenden half und nicht in ihre Untreue und Falschheit einwilligen wollte.

Endlich jedoch nöthigten ihn die drohenden Gefahren Vinstingen zu verlassen und die Seinen wieder nach Straßburg in Sicherheit zu bringen. Hier blieb er nicht lange, da er nach einiger Zeit von der Krone Schweden zum Staatssekretär und Kriegsrath nach Benfelden berufen wurde. (Benfelden ist eine kleine Stadt und ehemalige Festung im Elsaß, drei Meilen oberhalb Straßburg an der Ill. Die Schweden mußten dem Westfälischen Frieden zufolge die Festungswerke schleifen.) Recht gelegen kam es Moscherosch, da er »mit Kindern ziemlich gesegnet ward und seine Gedanken auf ein ruhigeres Leben richtete, um seine Kinder in der Furcht Gottes besser erziehen zu können«, daß ihm mehrere vorteilhafte Aemter angeboten wurden.

Von den vielen ehrenden Anerbietungen wählte er die Sekretariatsstelle in Straßburg. Von hier aus folgte er dem Rufe des Grafen Kasimir von Hanau und Zweibrücken, der ihn zu seinem geheimen Rath ernannte. In dieser Stelle bewährte er sich so, daß er zum Präsidenten der Kanzlei und Kammer, sowie zum Kriegs- und Kirchenrath erhoben wurde. – Aber Neid und Haß machten ihm auch hier das Leben sauer, so daß er es um seiner Ruhe willen für gut hielt, diese Aemter niederzulegen. Doch gewährte es ihm Trost, daß ihn sein Herr überall empfahl. Dadurch wurde er bald danach vom Kurfürsten Johann Philipp von Mainz »zu einem Rath von Haus« aufgenommen und späterhin von der Landgräfin Hedwig Sophia, regierenden Fürstin in Hessen, 1664 nach Kassel berufen und gleichfalls zu einem »Rath von Haus aus« bestellt. Diese Aemter behielt er bis an sein Ende. Daneben versah er auch noch die Raths- und Oberamtmannsstelle beim Grafen Kratz und dieselben bei dem Rheingrafen zu Dhaun und Kirburg, wo er sich tüchtig bewährte. – Hier sammelte er die Erfahrungen, die er in der »Hofschule« niedergelegt hat.

Als nun das Alter mit Gewalt hereinbrach, begab er sich zur Ruhe, wollte aber vorher seinen Kindern das Ihrige ordnen. Daher unternahm er von Dhaun aus mit Frau und Kindern eine Reise nach Frankfurt zu seinem Sohn Ernst Bogislaus, der dort Lehrer am Gymnasium war.

Unterwegs in Worms befiel ihn eine »hitzige Schwachheit«, welche zunahm und ihn nöthigte zu bleiben. Er fühlte sein nahes Ende, wählte noch selbst seinen Leichentext, Hosea 14, 4 »Laß die Waisen bei dir Gnade finden,« und starb den 4. April 1669 im 69. Lebensjahre.

Moscherosch hatte schon früher, weil er in steter Lebensgefahr darauf bedacht sein mußte, für seine Kinder zu sorgen, im Jahre 1641 in der Zeit vom 22. bis 29. September ein »Christliches Vermächtnis oder schuldige Fürsorge eines treuen Vaters« verfaßt. Dieses Büchlein bespricht aus innerstem Drange des Herzens mit kunstloser Einfalt die wichtigsten Angelegenheiten des Lebens, und hat lange nachher noch Segen gestiftet.

Moscherosch besaß einen edlen, redlichen Charakter und eine unerschütterliche Wahrheitsliebe. »Gott weiß,« schreibt der damalige mecklenburgische Kirchenrath Johann Rist (1607-1667), »wie ich den Mann liebe, in welches Leibe ich nicht glaube, daß ein einziger Tropfen Heuchelbluts zu finden.« Dabei hatte er einen klaren Blick, praktische Erfahrung, gründliche Kenntnisse und war stets auf Reinheit der Sitte und der Sprache bedacht. Daher wurde er auch im Jahre 1645 Mitglied der fruchtbringenden Gesellschaft. Der Zweck derselben, auch Palmenorden genannt, bestand darin, die Sprache zu reinigen, von dem fremden Sprachjoche zu befreien und sie durch alte und neue Kunstwörter zu befestigen. Sie wurde 1617 zu Weimar von Kaspar von Teutleben und den drei Herzögen von Weimar Johann Ernst, Friedrich und Wilhelm, von den Herzögen von Anhalt Ludwig und Kasimir und drei andern von Adel gestiftet. Jedes Mitglied wählte sich ein Sinnbild und einen Gesellschaftsnamen, der freilich oft sehr geschmacklos war. Moscherosch erhielt den Beinamen »der Träumende«, in Folge seiner Gesichte.

Die Gesichte waren zuerst in vierzehn einzelnen Flugschriften erschienen, die er unter dem Namen Philander (»Manhold«) von Sittewald – ein Anagramm aus Wilstädt – nacheinander erscheinen ließ. Sie sollten ein kräftiges Heilmittel sein gegen die Verderbnis der Sitten, der Trachten und der Sprache durch fremde Völker; mit der Geißel der Satire durchgeht er alle Stände, Klassen und Alter. Nach einiger Zeit erschienen sie zusammen in Straßburg.

In der Form folgte er dem Spanier Don Francisco de Quevedo Villegas, geb. zu Madrid 1570, gest. 1647, nächst Cervantes, der wichtigste Schriftsteller Spaniens; unter seinen prosaischen Schriften sind seine Sueños, Träume, in denen er die Verirrungen seiner Zeit mit kecken Strichen geißelt, hervorragend. Doch entlieh Moscherosch dem spanischen Werke nur die Form; außerdem sind die sieben Gesichte des zweiten Theils ganz von ihm.

Dem Geschmacke der Zeit nach ist das Werk voll von Citaten aus alten und neuen Dichtern. Am häufigsten citirt er aus Joannes Owenus Audoenus, einem englischen Dichter, der 1623 starb, dessen Epigramme in lateinischer Sprache wegen ihres sinnreichen Scherzes und beißenden Witzes weit berühmt und oftmals gedruckt waren. Da Moscherosch meistens auch den Sinn der Citate deutsch daneben giebt, und da ferner der Geschmack unserer Zeit darin ein anderer geworden ist, so sind in der vorliegenden Uebertragung der Gesichte nur die zum Verständnis unbedingt nothwendigen aufgenommen worden.

Berlin, den 5. Februar 1883.

K. M.


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