Hans Michael Moscherosch
Philanders von Sittenwald wunderliche und wahrhaftige Gesichte – Erster Teil
Hans Michael Moscherosch

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Gesicht

Todtenheer

Wie oben gemeldet, zog ich nach einem Aufenthalt von vierzehn Tagen in Moulins von dort nach Lyon, wo ich eine Zeit lang verblieb. Da geschah es eines Montags als ich neben meinen Reisegefährten Herrn Joachim Friedrich Dürr auf Gabor, Herrn Georg Fick aus Schlesien und Herrn Christian von Hartig aus Zittau in der Lausitz, meinen vertrautesten Freunden und Brüdern vor allen, in der Ruhe lag, daß wir nachts nach zwölf Uhr durch das Läuten eines Moslems auf der Straße erweckt wurden; wir standen auf und wurden eines Mannes mit einer Laterne ansichtig, welcher anfing sehr bewegt, doch mit einer hohlen, gebrochenen Todtenstimme fürchterlich und grausig zu rufen:

Wacht auf, die ihr jetzt schlaft zumal
Und bittet für die Todten all,
Auf daß sie selig werden.

Als ich das hörte, eilte ich so behende zurück in mein Bett, als ob der Teufel bereits hinter mir her gewesen wäre. Und in Wahrheit kam uns alle eine rechte Furcht an, so erbärmlich und katzenjämmerlich war es zu hören und zu sehen, und wir konnten die Nacht über gar nicht mehr oder doch nur wenig schlafen; auch den ganzen folgenden Tag brachte ich einsam mit so traurigen Gedanken zu, daß ich mich nur schwer davon frei machen konnte. Wahr ist es zwar, daß Melancholie und Traurigkeit einem tapfern Manne nicht wohl anstehen, zumal wenn er sich wollte von ihnen überwinden lassen; das wäre das Zeichen eines knechtischen, elenden Verstandes und Wesens, wie ich dergleichen an andern gesehen habe. Doch diesmal wußte ich mich selbst schwerlich davor zu hüten; denn einen reisenden Studenten macht nichts eher melancholisch, als wenn man ihm nicht Geld genug will von Hause schicken.

Um meine Grillen zu verjagen ging ich über die Bücher; sobald ich aber nur ein Buch aufthat und zu meiner Ergötzlichkeit etwas lesen wollte, dann kam mir immer etwas vom Tode zu Gesichte, und der Mann mit dem Glöcklein lag mir ohne Unterlaß im Sinn und in den Ohren. Mit diesen hirnverrückenden Gedanken ging ich auch wieder zu Bett, theils wegen der unruhig verbrachten vorigen Nacht, theils wegen anderer Einfälle, die mir kamen. Da ist mir Folgendes in einem Gesichte erschienen:

Ich sah den Tod mit einer Leier daher schreiten, der spielte zwar auf, aber der Tanz muthete mir nicht an, weil ich merkte, daß alles auf denselben Sprung und der beste Ton auf kling kling klang, klang kling klang ausging. Danach sah ich viele Doctoren der Arzenei und Mediciner auf Maulthieren hin und her reiten, mit schwarzen Tüchern und sammtnen Teppichen bis auf den Boden bekleidet; die waren bald langsam wie die Schnecken, bald geschwind wie der Wind, jenachdem der Mann war, der sie fordern ließ, und jenachdem sie großen Sold und Verehrung zu gewärtigen hatten. Andere gingen zu Fuß und liefen zuweilen je aus derselben Ursache und jenachdem sie wußten, daß man sie belohnen und bekrönen würde. Sie blinzelten mit den Augen und waren runzlich, was, wie ich glaube, das viele Nasenrümpfen vom Harn-besehen und Beckenriechen verursachte. Ihr Gesicht war mit einem großen Backenbart über und über bewachsen, und der Mund mit Haaren so verbollwerkt, daß man ohne große Mühe nicht dazu gelangen noch ohne Fernrohr ihn sehen konnte. In der linken Hand hielten sie den Zaum und die Handschuhe so zusammengedreht wie eine Danziger Bratwurst; in der rechten eine lange Spießruthe grade wie eine Pike, als ob sie damit einen durchstoßen, aber nicht ihre Pferde oder Esel antreiben wollten. Mit den Schenkeln und Füßen mühten sie sich ab zu stopfen und zu stupfen auf beiden Seiten, mit dem Gesäß, dem Kopf und ganzen Leib zu pumpen, zu hotteln, zu lotteln und zu notteln, damit sie vom Flecke kämen. Einige unter ihnen hatten mächtige goldene Ringe an den Daumen stecken, in welche so übergroße Steine gefaßt waren, daß, wenn sie dem Kranken den Puls fühlten und ihm ein solcher Stein zu Gesichte kam, er nicht anders meinen konnte, denn daß er seinen Grabstein vor Augen sähe. Die alten Herren waren überall von jungen Herren Practicanten und Doktoranden umgeben, welche dadurch ihren medicinischen KursusKursus hat hier einmal die Bedeutung: Kreis der Wissenschaften; dann wörtlich: das Laufen. absolvirten und zu Doctoren wurden, wenn sie den alten Herren überall nachliefen. Und diese Weise zu doctoriren ist der rechte, wahrhafte Kursus der Doctoranden; denn da sie stets mit und um die Herren Doctoren oder vielmehr um deren Esel und Pferde herlaufen, so kann es nicht fehlen, daß sie DoctorenIm Text steht: Dok-thoren. werden. Ich dachte aber bei mir selbst: Behüte Gott, wenn man diese (Doc-thoren) aus diesen (Brach-die-kanten) macht, wie kann man sich da wundern, wenn wir Menschen oftmals das Lehrgeld mit unserer Haut und unserem armen Leben bezahlen müssen. Das ist besonders in Italien und Frankreich zu sehen, wo es heißt:

Wir nehmen Geld von einem Thoren
Und machen ihn dann zum Doctoren.
Den Thor, der Geld hat in der Welt,
Die Welt für einen Doctor hält.

Diesen nach folgte eine lange Reihe Apothekergesindels mit Klingelsteinen, Mörsern, Stößern, Untersätzen, Wasserbädern, Löffeln, Spritzen und dergl., die alle mit tödtlichem Geschoß und Pulver geladen waren; auch mit vielen Büchsen und Schachteln, wo die Überschrift zwar die Arzenei, die Büchse aber Gift in sich trug.

Wenn ich diesen Sachen ernstlich nachsinne, so finde ich beim Nachrechnen, daß das ganze Geschrei und Heulen, welches man der Verstorbenen wegen anhebt, ursprünglich in der Apotheke und im großen Klingelstein, als dem rechten Todtengeläute, seinen Anfang hat und in dem kleinen Klingelstein mit dem Requiem-singen: »Nun legen wir ihn hier schlafen«, sein Ende nimmt.

Es sind die Apotheker der Mediciner rechte Konstabler, Zeugmeister und Büchsenmacher, die ihnen Wehr und Waffen in die Hand geben und ihnen solange helfen an uns herum zu ziehen und zu zupfen, bis sie uns aus dem Bett und aus dem Haus in das Grab, und die Seele aus dem Leibe gebracht haben. Denn alles, was in einer Apotheke zu finden ist, hat eine Aehnlichkeit und Gemeinschaft mit Krieg und Waffen; die Büchsen sind die rechten Geschosse und Petarden, womit die Pforten und Thore des menschlichen Lebens zerschmettert werden, woher sie denn ihren Namen »Büchsen« mit Recht tragen. Die Klystierspritzen sind den Pistolen zu vergleichen, die Pillen den Kugeln, die Aerzte selber dem Tod; die reinigenden Arzneimittel sind das wahre Fegefeuer; die Barbiere die Teufel, die Apotheke die Hölle, und der Kranke die arme gemarterte, verlorene und verdammte Seele.

Die Herren Apotheker waren meist mit Zetteln behängt mit wunderlichen chinesischen, stenographischen Schriften, die weder der Vitzliputzli in Mexico, noch der Viracoccha zu Kusko, noch der Tamaraca in Brasilien, noch der Deumus zu Calcutta, noch der Frutzmann der alten Elsässer, noch der Mercurius zu Speier, noch der Silvanus zu Augsburg, noch Irmensäul der Sachsen, noch der Natagai der TartarenSind lauter Namen heidnischer Götzen. errathen können.

Der Anfang dieser Zettel war gemeiniglich also: R,R bedeutet Recipe: nimm. soviel als per decem, weil unter zehn Recepten eins vielleicht helfen wird, der unter zehn Kranken einer davon kommt; daher auch das Anagramm Decimi aus Medici, An decimi aus Medicina, das soviel sagen will: meinst du wohl, daß der zehnte Mann entrinnen wird? Oder es beginnt P   = per crucem, das heißt: der Kranke muß sich kreuzigen, martern und peinigen lassen; daher sie auch Patienten genannt werden, weil sie eben dulden und leiden müssen. Oder das R ist der Buchstabe, den die Lateiner litteram caninam, canis iram nennen, das heißt, man solle sich davor hüten als vor einem bissigen Hunde; der Pfeil daran bedeutet, daß der Kranke damit soll erschossen werden. Sodann kommt Ana, dieses Wort ist eigentlich von den Franzosen hergenommen und ist das bekannte âne Esel, oder vielmehr von Ana,S. 1. Mos. 36, 24. dem Sohne Zibeons, der in der Wüste Maulpferde erfand, da er seines Baters Zibeon Esel hütete: weil man, um einen ehrlichen Mann um seine Gesundheit und sein Leben zu bringen, nicht mehr bedarf als eines einzigen ungeschickten Esels. Darum denke allemal, wenn du einen neuen Doctor in der Medicin machen siehst: Nun, das walte Gott! ein neuer Doctor, ein neuer Kirchhof! Dreißig Mann her! Denn soviel muß ein neuer Doctor haben, ehe er sich in seinem Hirn und Säckel zurecht finden kann. Drum sieh dich vor; denn wenn du willst eine Kuh oder ein Ochs werden, so darfst du keinen Kälber-Doctor brauchen.

Hernach kommen Zeichen von Pfunden, Unzen, Lothen, Quentchen, Skrupeln, Grammen, die alle eine Gestalt haben, als ob es Schlangen, Skorpionen und Blindschleichen wären, oder vielmehr als ob sie deren Gift in sich hätten. Und das alles sind so tröstliche Sachen, die den Kranken erlaben, daß ihm die Seele möchte aus dem Leibe fahren. Zudem geben sie dem einfachen, allbekannten Kräutern so wunderseltsame, wälsche, afrikanische und türkische Namen, daß es fürchterlich anzuhören ist, und mancher nicht unbillig glauben möchte, daß man den Teufel damit beschwören wollte, als da sind: Oppeponach, Tregoricarum, Postomegotum, Petroselinum, Herba Borith. Mugath. Chamaespartion, Diaphoeniconis, Scolopendrion, Diatrion piperion, Ophiostaphylon, Zoophtalmon u. s. w., die alle, wenn man sie beim Sonnenlicht betrachten wollte, nur elende, schlechte Petersilie, Kornblumen, Sanikel, Kreuzwurz, Hauswurz, Hirtenzunge, Tamarisken, Holdermuß, rothe, weiße und gelbe Rüben und tausend andere sein werden. Denn da sie das Sprichwort kennen: wer dich kennt, der kauft dich nicht, so geben sie den Linsen und Bohnen seltsame Namen, damit der Kranke, der sie sonst so theuer nicht bezahlen würde, um so eher kaufe. Auch sind die Arzeneien den Kranken und Patienten wegen ihres Gestanks und üblen Geschmacks oft so zuwider, daß sogar die größten Krankheiten selbst, aus Furcht vor der Marter, den Menschenleib verlassen möchten. Das machen die wunderseltsamen Compositionen, Mixturen und Mischmaschereien; und gleichwohl, – will ein redlicher, gewissenhafter Naturarzt nicht gar zum Spott und Gelächter der andern werden, so muß er jeweilig auch mit einem Zettel in die Apotheke gehen, obschon er es selbst zu Hause besser zubereiten könnte. Diese medicinischen Composita haben ihre richtigen Namen daher: wenn der Doctor einem den Mäusedreck und Pfeffer durcheinander gerieben und sich's gut hat bezahlen lassen und man ihn fragt: esne tui voti compos?Zu deutsch; Hast du, was du willst? (nämlich den Sitz der Krankheit gefunden.) und dieser spricht ja wohl! dann hat er, was er will.

Mir kommt hierbei in den Sinn, was einer von den bösen Juristen sagte: es nehme ihn Wunder, daß, wenn zwei Advocaten sich auf der Straße begegneten und sich ansähen, sie sich des Lachens enthalten könnten. Das sollte mich vielmehr von den Herren Medicinern wundern; ich glaube vielmehr, wer der Mediciner Geheimsprache oder Rothwälsch versteht, der wird hören, daß, wo sich zwei derselben auf der Straße begegnen und der eine statt guten Tag! fragen würde esne compos?Hast du gekriegt? der andere anstatt dank's euch Gott! antworten wird: compos ita!Gekriegt, ja! Und das sind die rechten Compos-ita.

Anfangs hat man mit einfachen Mitteln geheilt, die in unserm Lande wachsen und nicht viel kosten, und – es ist wohl gerathen; hernach mit Compositis und Arzeneien, die aus fremden Ländern kommen und gar viel kosten, und – es ist übel gerathen. Der redliche Deutsche, Herr Bock von Hornbach, giebt deswegen den Fremdsüchtigen manchen harten Stoß. Jetzt nun will man mit Decompositis, mit der chemischen Kunst helfen; Gott segne es und gebe sein Gedeihen dem Arzt und dem Kranken! Denn wir können leider dieser Herren-über-uns nicht entbehren. Und damit ich wieder auf den Weg komme: welche Krankheit sollte nicht erschrecken und aus dem Leibe fahren, wenn sie an die Mumien, an Menschenfleisch, Menschenschmalz, Menschengebein, an das Moos aus eines gehängten Diebes Hirnschale, an Hunde-, Katzen- und Pferdefleisch und Fett und anderes, womit man ihr gar gefährlich nachsetzt, gedenkt?

Zudem, wenn die Herren Mediciner und Apotheker den ihnen sonst unbekannten Zustand eines Kranken wissen wollen, so haben sie ja nichts, als – mit Ehren zu melden – den Harn und Koth des Menschen; auf diese beiden Stücke setzen sie, wie auf die delphischen Orakelsprüche, ihr ganzes Vertrauen und pflegen hieraus meistentheils über Tod und Leben des armen Sünders zu urtheilen. O über die grausame Inquisition, wo man ohne Wissen und Gewissen das menschliche Leben und die menschliche Seele durch unnöthiges Purgieren und Aderlassen aus dem Leibe jagt! O über das schreckliche Purgieren,Im Text steht » purgatorium«, d. i. Purgiermittel und Fegefeuer. wobei auch die unbeseelten Kreaturen, die ohne Sinne und Empfindung, ohne Mangel und Krankheit sich müssen urgieren und purgieren lassen! Ich meine Kisten und Kasten, Säckel und Sack.

Hinterher nach diesem Heer kamen die Wundärzte mit ihren Scheeren, Aderlaßeisen, Scheermessern, Bäuschen, Kolben, Heftnadeln, Beinsägen, Schienen, Kneifzangen, Kugelzangen, Salb-Haften, Zwick-Haften, Mundstücken, Durchzügen, Kugelbohrern, Scharfbohrern, Löffeln, Laucherschlangen, Hirnschrauben, Armschrauben, Meißeln, Lanzetten, Binden und Banden. Und ich hörte eine schreckliche Stimme unter ihnen, die schrie: »Halt', schneid', hau', stich, stoß', zieh', drück', wirk', brenne!« Bei diesen Worten überkam mich eine solche Furcht, daß sich meine Gebeine, wenn es möglich gewesen wäre, selbst in einander nach taschenmesserweise wie ein Stock verschlossen hätten.

Nach diesen kamen einige, die ich für verstellte Teufel ansah, so scheußlich war ihre Gestalt. Um den Hals hatten sie eine große Schnur, voll mit Zähnen besetzt, wie eine goldene Kette herabhängen, gleichwie die Quoniambeko-Weiber in Brasilien, bei den Tupin Ikin und Tupin Imba, ihrer erschlagenen Feinde männliche Glieder als eine besondere Zierde und als ein Zeichen der Tapferkeit ihrer Männer am Halse tragen.

Daraus ersah ich, wer sie wären, und wahrlich, ich erachtete sie für das verdammteste Gesindel, das jemals gelebt hat, die den Mund volk- oder zahnlos machen und dem Menschen das Alter ohne einigen Grund an den Hals bringen! Diese losen Tröpfe dachten, um ihre Tyrannei zu verüben, an nichts anderes, als wie sie einem Menschen die Zähne, wie schön und gut sie auch noch waren, herausreißen und zum Feldzeichen an ihren Hals hängen könnten; dazu wußten sie meisterliche Ursachen zu finden, nur damit die armen Zähne ihrer Verfolgung und ihrem Urtheil untergestellt wurden. Und das Äergste dabei ist, daß sie noch Belohnung dazu fordern, wenn sie einen Zahn ausgerissen haben, grade als wenn sie die Sache gar wohl getroffen und einen eingesetzt hätten. Ich glaube nicht, sprach ich bei mir selbst, daß der Teufel so unverschämt sein kann wie ein Zahnbrecher.

Indessen hörte ich ein Getöne von Zittern und Geigen, auf welchen einige Passamezzos, Passacailles und Sarabanden heruntergefiedelt und gekratzt wurden. Ich will nicht leben, sprach ich alsbald, wenn nicht Barbierer oder Bartscheerer daherkommen; denn diese beiden Saitenspiele sieht man gewöhnlich in ihren Stuben bei den Scheerbecken und Scheerbeuteln hängen. Es war eine Lust zu sehen, wie sie Haare und Bärte auf allerlei monatliche Façons zuzuschneiden und manchem Esel den Kopf so artig zu lausen und zu waschen verstanden.

Gleich nach diesen folgte eine andere große Truppe Lumpenvolks, worunter als die ersten, Schreier und Salbenkrämer mit ihrem Salbenkram ein solches Wesen trieben, daß mir davon die Ohren wehe thaten. Es gab mir aber einer zu verstehen, daß sie, ob sie schon alle große Schwätzer, doch von unterschiedlicher Art und Gattung wären. Denn einige werden Schwimmer genannt, weil sie die Arme hin und her werfen, als ob sie schwimmen wollten; andere werden Affen genannt, weil sie mit Gesicht und Geberden alle diejenigen nachäffen konnten, von denen sie sprachen. Andere wurden Stöcklinge genannt, weil sie ohne Bewegung dastanden wie ein Stock, und doch beim Schreien ihre Augen hin und her in alle Ecken zu wenden wußten, wie Bilder, die also gemacht sind, wodurch sie überall etwas zu schwatzen fanden. Einige wurden Lügner genannt, obwohl sie insgemein alle nicht besser waren, weil sie mit schönen, glatten Worten die Leute an sich zu bringen, ihnen große Verheißungen zu geben, in Wahrheit aber nicht eine Lausesalbe zu machen verstanden.

Die andern, welche nach diesen kamen, wurden Schlichter genannt, die sich in alle Händel mischen, alle Heimlichkeiten ausforschen, alles schlichten und richten wollen, – ein hochmüthiges Volk, welche herkommen, wo alle Ehre ein Ende hat, rechte Fuchsschwänzer, die bei allem ein Auge auf ihren Vortheil haben. Diese drängten sich unter die andern ein, mochte es diesen lieb oder leid sein. Ich fragte, warum diese so weit hinten gingen und, wie es den Anschein hatte, die letzten wären? Darauf sprachen die Schwätzer und Schreier (die ich doch gar nicht angesprochen hatte): wir halten diese Schlichter und Streitrichter für die rechte Grundsippe aller unverschämten Lumpen; und wie die Schlangen das Gift in dem Schwanz tragen, so ist diese giftige Sippe hier zuletzt aufgespart worden.

Als nun all das Geschlepp vorüber war, da dachte ich bei mir, was doch das zu bedeuten habe? Indem, siehe, kam eine Person, an der ich, weil sie keinen Bart hatte, nicht unterscheiden konnte, ob sie ein Mannsbild oder ein Weibsbild war; sie war schlank von Leib, von Gestalt sehr leicht und flink, beladen wie ein Mülleresel mit Kronen, Sensen, Sceptern, Sicheln, Hirtenstäben, Schaufeln, Aexten, Baretten, Hüten, Hauben, – aus Muscheln, Perlen, Blei, Wolle, Gold, Silber, Edelgestein und anderem mehr gestickt, genäht und geflickt; sie hatte das eine Auge zu, das andere auf. Ihre Kleidung bestand aus allerhand Farben wie des Hanswurst; auf der einen Seite war sie jung, auf der andern sehr alt anzusehen; bald ging sie langsam, bald hurtig und geschwind; wenn ich meinte, sie wäre sehr weit, so war sie ganz nahe bei und an mir. Ich konnte mir nicht einbilden noch errathen, was ein so wunderlicher Aufzug bedeuten sollte, konnte mich auch schwerlich des Lachens enthalten: es war, mit einem Worte, alles phantastisch und possierlich anzuschauen. Endlich, als ich mich nicht länger enthalten konnte, fragte ich sein sittiglich: Ach mein Lieber, sagt doch, wer seid Ihr? »Ich bin der Tod,« sprach sie. – Wie, wie, was? so seid Ihr der Tod? rief ich mit zitterndem Munde, Herzen und Händen. Und nachdem ich wieder ein wenig Athem geschnappt hatte: O gnädiger Herr Tod, was wollt Ihr da machen? »Ich will dich holen!« antwortete er. Was! holen? O weh, so muß ich denn sterben? »Nein, sprach er; aber du mußt lebendig mit mir zu den Todten in mein Reich gehen; denn da der Tod je und zu allen Zeiten auf allerlei Weise und Wege zu den lebendigen Menschen gekommen ist und noch täglich kommt, so ist es billig, daß einmal einer von den Lebendigen so höflich ist, und auch uns in unserm Reiche heimsucht. Drum säume nicht lange; hier hast du einen strengen Vollziehungsbefehl ohne Klausel, und es wird dir unverborgen sein, daß meine Befehle ohne irgendwelche Ein- und Widerrede, ohne Provocation und Appellation müssen vollzogen werden, wovon der Kaiser und der Papst selbst nicht befreit werden können.«

Ich aber mit erschrockener und geängstigter Seele trachtete gleichwohl diesem Menschenfeinde zu entrinnen, that daher einen Sprung zurück und was hast du, was kannst du davon. Aber der Tod, viel geschwinder als ich, war in einem Hui vor mir und mit einem Schritt weiter, als ich mit tausend hätte sein können; und zu allem Unglück war ich noch im Laufen gestolpert und zu Boden gefallen.

Mancher will dem Tod entlaufen
Und fällt allererst zu Haufen.

Um nun meine Sache vortheilhafter anzugreifen, sprach ich: Ach gnädiger Herr Tod, verzieht nur ein wenig; ich habe ja nicht begehrt auszureißen, ich schäme mich nur ein bißchen, will nur gehen, meine Kleider anzulegen oder wenigstens einen Umschlag umzuthun, daß man mich nicht so ansehe, da ich so nackt und bloß einherziehe. »Es ist nicht von Nöthen, versetzte der Tod: denn in meinem Reiche bedarf man nichts; alles was du auf Erden hast, würde dich auf der Reise nur beschweren und verhindern. Du siehst ja, wie ich den Menschen das Ihrige abnehme und auf mich lade, damit sie desto fertiger nachkommen können.

Zur Welt du nackend bist geboren
Und scheid'st auch bloß von ihr:
Ein linnen Tuch für deine Scham
Und andres nicht
Giebt sie zum Lohne dir!«

Wernher.Der Minnesänger Wernher von Tegernsee gest. 1197, Verfasser von »Leben der heiligen Jungfrau Maria«.

Also mußte ich es geschehen lassen; und es ist mir diesmal wohl ärger ergangen, als da ich aus Mutterleibe kam und geboren wurde: denn jedermann kam herbeigelaufen und wollte sehen, was Philander für ein Held wäre und mir zu essen, zu trinken, Kleidung und Windeln geben; aber die mich kannten, kehrten mir den Rücken, als ob sie mich nicht kennten und gingen davon. O Elend, wenn ein Mensch in unvermeidliche Noth kömmt, wie verlieren sich die guten Freunde! Wie bald ist dessen vergessen, den man hinausträgt.

Hier zu erzählen, wodurch und wohin ich geführt wurde, das ist mir unmöglich, denn alle meine Sinne waren dermaßen eingenommen, daß ich nicht mehr wußte, ob ich ein Mädel oder ein Bube, ob ich todt oder lebendig wäre. Beim Fortgehen sah ich die Gestalt vielmals an und einmal sprach ich: Gnädiger Herr Tod! ei, ist's denn immer möglich? Es dünkt mich wahrlich nicht, daß Ihr der Herr Tod seid, Ihr seht nicht so aus, wie man Euch bei uns lebendigen Menschen malt: mit dürren Beinen, daran gar kein Fleisch ist und nur eine Sense in der Hand.

»Die Kupferstecher, erwiderte der Tod, die Maler und Dichter sind recht unverständige Tröpfe und Esel; denn die Beine, die sie mir anmalen, sind die Todten selbst oder zum wenigsten das, was von den Lebendigen im Grabe eine zeitlang übrig bleibt. Ihr Menschen kennt den Tod nicht recht: ihr selbst seid der Tod selbst. Der Tod hat eine Gestalt wie du und jeder, der lebt; so viele eurer sind, ein jeder ist sein selbst Tod, euer ganzes Leben ist der Tod, und was ihr sterben nennt, das ist aufhören zu leben; geboren werden ist anfangen zu sterben, leben aber ist sterben, indem man lebt. Wenn ihr Menschen dies und dergleichen oft betrachten wolltet, so würde ein jeder alle Tage sich in dem Tode, wie in einem Spiegel, selbst sehen und erkennen lernen und zugleich vernehmen, daß all eure Wohnungen voller Todten sind, so viel Todte als Personen. Aber keiner ist, der den Tod möchte erwarten, den doch jedermann im Busen trägt und mit sich herumschleppt, wohin er sich auch wende. Meinst du, der Tod sei so ein dürrer Körper, ein Skelett, wie man ihn malt, so mager, daß er kaum könnte das engste Kleid tragen? O weh, nein! Ihr betrügt euch sehr, denn ihr seid der dürre Körper, das Aas und der Tod selbst und wohl dir, wenn du es begreifst!«

Als ich nun des Todes einigermaßen gewohnt geworden und mit ihm in Gespräch gekommen war, da fragte ich weiter: Ach gnädiger Herr Tod! Ich möchte doch wissen, was das für ein Volk ist, das vor euch herzieht, weil Ihr ja der gnädige Herr Tod seid; wie kommt es denn, daß die Schreier und Händelschlichter näher vor Euch gehen als die Herren Aerzte? »Darum, sprach er, weil viel mehr Leute von dem Unheil solcher Schwätzer als von den allerbösesten Krankheiten sterben, – ›ein arges Volk, dem Frieden und der stillen Ruhe feind‹ (Mart. 1, 4.) – und weil viel mehr durch Ansichten und Verdruß der Händelschlichter und Vermittler umkommen, als durch die Aerzte selbst; wiewohl die Herren Aerzte auch nicht feiern, so daß die Menschen es für ein böses Zeichen halten, sobald sie einen Medicus sehen, und oftmals, wie vor einem Basilisken, der auch durch bloßes Ansehen vergiften und tödten kann, zu Boden fallen und sterben. So ist es kürzlich dem armen Andragoras geschehen, der Abends mit seiner Gesellschaft gesund und frisch zu Tisch gesessen und fröhlich gewesen war, Morgens aber todt im Bette gefunden wurde aus der einzigen Ursache, weil er den Doctor Hermokrates im Traume gesehen und vor ihm erschrocken war.Ist der Inhalt eines daneben stehenden Epigramms von Martial. Und da ich grade auch von den Krankheiten geredet habe, so wisse, daß die Mehrzahl der Menschen allein durch Unordnung, Unmäßigkeit und Schwelgerei in Krankheiten fallen und sterben, wie euch Deutschen dies vor langem aus euren eigenen Werken prophezeit worden ist, indem einerAm Rande steht: Melanchthon. zu euch gesagt hat: ›ihr Deutsche fresset und saufet euch krank, todt und in die Hölle‹.

Es ist bekannt, Unmäßigkeit
Bringt manchen um das Leben,
Und der lebt nicht halb seine Zeit,
Der sich ihr hat ergeben.
Drum was du immer denkst und thust,
So hüte dich gar eben;
Denn sonst wird dir die lange Lust
Verkürzen Leib und Leben.

Was aber das Sterben an sich selbst betrifft, so wisse, daß die Menschen alle vermittelst und durch Fleiß der Aerzte, welche zu ihnen gehen, zum Tode befördert werden. Der Poet Martial kann davon hinreichend Zeugnis geben, wie es ihm mit dem Symmachus ergangen ist, dem er verweislich schreibt: er wäre etwas unpaß gewesen, da wäre der Dock-thor Sie-mach-aus mit seinen jungen Brach-die-Kanden zu ihm gekommen, die ihm nacheinander den Puls begriffen und ihm von dem bloßen Antasten das kalte Fieber in den Leib gejagt hätten (Mart. 5, 9). Also wenn man fragt, woran ist dieser oder jener gestorben? so sollt ihr nicht sagen: an einem Fieber, am Schlag, an der Pest oder dergleichen, sondern: er ist durch dieses oder jenes Arztes Hilfe und Hand gestorben, der aber wohl und redlich bezahlt ist. Denn es ist ja billig, daß ein jeder sich von seiner Kunst und seinem Handwerk nähre, und ein Arbeiter ist seines Lohnes werth.

Das wird denn in Spanien und Welschland frisch gewagt, und dabei der Kranke oft mit der Krankheit ausgejagt nach des Poeten Meinung, der auf den Arzt Cinna sagt: »wer den Doctor Cinna braucht, der darf nicht sorgen, daß er lange krank liege, denn er wird ihm mit der Krankheit bald forthelfen« (Owen 1, 86). Kürzlich war Diaulus Arzt, jetzt ist er Todtengräber: was er als Todtengräber thut, hatte er auch als Arzt gethan (nach Mart. 1, 31). Denn wo ein Jurist und ein Medicus sich allemal ein Gewissen über etwas machen wollte, dann würde es oft schlecht mit seinem Hauswesen und Säckel stehen:

Ein Rechtsgelehrter ohne List,
Ein Arzt, der ohne Frevel ist,
Ein' Hur', die scheuet bös Gericht –
Zu großem Reichthum kommen nicht.

Daher haben auch die spanischen und welschen Aerzte, bei denen es immer in hundert Pistolen hergehen muß, vor kurzen Jahren den Titel ›Don‹ angenommen, der doch sonst allein den vornehmsten Ständen gebührte; jetzt aber verbleibt er nicht nur bei den Herren Aerzten, sondern auch mancher Pfeffersack, arme Teufel und Bärenhäuter, sobald er in ein fremdes Land kommt, eine wohlgelöste Zunge hat, sauer sehen, gravitätisch gehen, höflich stehen, einen sammtnen Rock bezahlen kann, will mit ›Don‹ und ›Sennor‹ tractirt werden. Zwar, was die Herren Medici anlangt, so ist es billig; nämlich sie haben das rechte ›Don‹: le don de tuer, donum necandi, donum mortificandi (das Privilegium umzubringen), und haben viel lieber le don (das Honorar) gleich anfangs, wenn man sie zum Kranken ruft, als sonst. So haben auch die französischen Dock-thoren das subtile Wort ordonner aufgebracht, das bei ihnen heißt ›Arznei geben‹, aber bei den armen Patienten heißt es ›Geld geben‹.

Giebt dir der Dock-thor einen Trank,
Dublonen mußt ihm geben.
Und fängst du drum an einen Zank,
So kostet's dich dein Leben.

Kyrie Eleison.

Ordonner medicos, aegros or donner oportet (der Arzt muß Mittel eingeben, der Kranke Gold ausgeben), Owen 1, 53; diese einträglichen Wörter lehren sie auch den gröbsten Thalbauern in einer Stunde sein artig zu unterscheiden.«

Ich muß bekennen, als der Tod so mit Versen um sich warf, daß ich mich bald gar nicht mehr vor ihm fürchtete, sondern ganz gern um ihn war.

Unterdessen kamen wir im Gespräch in eine weite Höhle, wo es weder Tag noch Nacht war. Im Eingang auf einer Seite sah ich drei Dinge, die wie Menschen gestaltet und bewappnet waren; was aber das eine oder das andere wäre, konnte ich nicht wissen. Gegenüber auf der andern Seite sah ich eine scheußliche Wundergestalt, wider die jene drei ohne Unterlaß stritten und kämpften, eins wider drei und drei wider eins. Der Tod stand da still und wandte sich gegen mich fragend, ob ich diese vier Dinge kennte? – Ach Gott, nein! sprach ich, ich kenne sie nicht, begehre auch nicht zu wissen, was und wer es sei. – »Und gleichwohl hast du in deinem Leben keine andere Gesellschaft als eben diese. Sieh', wie du selber gar nicht weißt, wer und was du bist und was du thust! Es sind die drei Hauptfeinde deiner Seele: jener dort ist die Welt; dieser ist dein Fleisch; der dabei ist der Teufel. Besieh sie nur genau, wie gleich und ähnlich sie einander sind, so daß es schwer ist den Unterschied zu finden; wo der eine einkehrt, da folgen die andern zwei gewiß nach. Denn wenn ein hochmüthiger Mensch meint, er habe die ganze Welt, so giebt er seinem Fleische nach und hat den Teufel. Ein Schwelger und Unkeuscher, der da meint, er habe genug an seiner Fleisches- und Augenlust, der hat auch den Teufel.« – Wer ist aber, fragte ich, der gegenüber, wider den diese drei so streiten? »Es ist Plutus, sprach der Tod, der Geldteufel; er streitet wider die drei andern und will allein Herr und Meister sein; darum will er auch haben, daß ihm die drei andern folgen und unterthan sein sollen. Wo Plutus ist, da sind die andern drei alle, und bei der Geldsucht ist Welt, Fleisch und der Teufel selbst. Zuerst streitet Plutus wider die Welt, denn ihr lebendigen Menschen meint, daß:

Geld regieret alle Welt.
Der Menschen Wohlfahrt in der Welt
Besteht allein auf Gut und Geld.
Nur aus der Welt,
Wer nicht hat Geld!
Denn ohne Geld
Schafft man nichts in der Welt.

Kommt Kunst gegangen vor ein Haus,
Sagt man, der Wirth sei gangen aus.
Kommt Weisheit auch gegangen für,
So ist verschlossen ihr die Thür.
Kommt Zucht, Lieb', Treu' und wär' gern ein,
So will niemand der Pförtner sein,
Kommt dann Wahrheit und klopfet an,
Man läßt sie vor dem Fenster stahn;
Kommt Gerechtigkeit an das Thor,
So schiebt man Schloß und Riegel vor:
Kommt aber Pfennig hergeloffen,
Sind Thür und Thor ihm allzeit offen,

Zweitens streitet der Geldteufel wider das Fleisch, wie zu Hofe zu sehen ist, wo Fleischeslust, Augenlust und Hoffährtiges Leben ihren natürlichen Sitz haben:

Denn ob dir schon ein' Dirn' gefällt.
So schweig nur still, hast du kein Geld!

Gnädiger Herr, die Hure wär' da, wo Geld wäre! sprach ein Narr an einem gräflichen Hofe, als ihn sein Herr mit seiner Gemahlin vexiren, foppen und anführen wollte.

Drittens streitet der Geldteufel auch wider den Teufel selbst: denn wenn man in allen Geschäften und Händeln will glücklichen Fortgang haben, so muß der Teufel, das Geld, das Beste thun.

Ist denn der Teufel in dem Geld,
Daß ohne Geld man nichts erhält? Die Liebe thut viele und große Dinge, aber das Geld thut alles: l'argent fait tout; vor Zeiten war es: Amor vincit omnia. (die Liebe überwindet alles). Aber jetzt:

Du lügst! spricht Pecunia (das Geld):
Wo ich Pecunia nicht bin,
Da kommst du, Amor, selten hin.

Geld wird Alles überwinden:
Keine Festung ist zu finden,
Die da widerstehen kann.
Wenn nur kam' ein Esel an
Mit Gold, ohn' Verstand und Sinnen,
Er könnt' Raab und Pest gewinnen.Es folgt nun aus Horaz. L. III. Od. 16. Vers 1 – 16.

Es muß etwas daran sein, sprach ich zu dem Tod, weil sich Plutus seiner Haut so rittterlich wehrt und sich herum tummelt. Als wir fürder gingen, wies mir der Tod auf einer Seite das Gericht, auf der andern die Hölle. Ich stand da still und sah die Hölle mit Verwunderung an; der Tod fragte, was ich so genau an der Hölle besichtigte? Es däucht mir, sprach ich, ich habe sie zuvor schon gesehen. – »Wo denn?« – Ich weiß nicht. – »Im Neid, sprach der Tod, im Geiz und Hochmuth der Geistlichen. Sobald ein Geistlicher die eigenen Lüste und die Rachgier für christlichen Eifer, den Eigennutz für Verdienst, den Hochmuth für Ernsthaftigkeit ausgiebt, – so wird aus dem christlichen Eifer ein Gespött, aus dem Verdienst Verachtung und aus der Ernsthaftigkeit eine Hölle.

Si non esset I, A, S, quilibet esset Christi vas.

(Wenn nicht wäre Invidia, Neid, Avaritia, Geiz, Superbia, Hochmuth, so wäre jeder Geistliche ein Gefäß des Herren.)

So aber gehet es her: wenn du Lust hast am Mammon und schmutzigen Gewinn, so ziehe dir einen Amtsrock an, damit dir das Betrügen besser gelingt (Martial 8, 47), wiewohl wir dies ungern hören.

Auch hast du die Hölle in der Bosheit und Schinderei, weltlicher Obrigkeit gesehen. Sobald die Obrigkeit ihre Absicht oder ihre Gedanken auf einigen Gewinn und Vortheil gerichtet hat, so wird aus dem Gericht eine Verdammnis und aus dem Urtheil eine Hölle.

Auch hast du die Hölle gesehen in der Seele derer, die einem ehrlichen Manne das Seinige mit Gewalt vorenthalten, – in bösen Anschlägen,, in der Rachgier, in der Lustseuche, in der Eitelkeit der Fürsten und Herren, in dem armseligen Hofleben. Doch wenn man die ganze Hölle beisammen in einem Bündel sehen will, so kann man es bei einem Gleißner und Heuchler, der sich engelrein stellt und doch voll teuflischen Trugs im Herzen ist.«

Auch sah ich mit Befremden das Gericht an, wie es an sich selbst ist. Darin hatte ich mich denn bisher, wie andere Menschen, sehr getäuscht; denn das Urtheil und Gericht, wie es in der Welt gehandhabt wird, ist nur Fopperei, wenn man es gegen dieses hält. Und in Wahrheit glaube ich nicht, daß ein Mensch auf Erden einen rechten, gesunden Verstand habe: denn wenn nur das Geringste, nur ein Schatten von diesem Verstande auf der Welt wäre, es würde das Gericht viel anders sein und nicht so im Mährentragen, Mährensagen, unzeitigem Argwöhnen und Urtheilen darniederliegen. Wenn auch die Richter auf Erden von diesem Rechtsurtheil haben sollen und müssen, so kann ich wohl sagen, es ist kein Wunder, daß es in der Welt so krumm und dumm, so ungleich und ärgerlich hergeht. Es würde mir nicht mit Unrecht angst sein wieder dahin zurückzukehren: weil es besser ist mit Verstand sterben als mit Unverstand leben.

Währenddessen kamen wir in ein großes, weites Feld, das trotzdem mit überaus hohen und unbesteiglichen Mauern umgeben war. Der Tod sprach zu mir, es wäre nun Zeit allhier zu rasten, weil wir in seinem Gerichtsbezirk angelangt seien. Die Mauern waren mit Ach und Wehe, mit Unlust, Seufzen, Ungunst, Bösem, unverhofften und unglaublichen Geschichten behängt und bedeckt. Da war der Weiber Weinen für Trügerei, für Ueberfluß, Halsstarrigkeit und Narrendinge geachtet; da waren Schmerzen und Leid ohne Freude, Angst und Neue alle Augenblicke neu und gleichsam in einen nagenden Herzwurm verwandelt, welcher der Könige und Potentaten Herzen wegen der teuflischen, unnöthigen ReputationskriegeKriege, die wegen vermeintlich beleidigter Ehre eines Fürsten geführt werden. ewig nagte und plagte und sich so von ihrer Seelen Untergang und Verzweiflung ernährte. – Dazwischen waren unzählbar viele Aerzte anstatt der Tapezereien aufgehängt wie vorhin von den Geigen und Zittern der Barbierer gesagt wurde. Und als ich fragte warum? sprach der Tod: es wären die ältesten unter den Medicinern, welche den Hippokrates,Hippokrates, der Vater der wissenschaftlichen Medicin bei den Griechen, ist geb. 460 v. Chr. auf der Insel Kos, gestorben um 376 zu Larissa in Thessalien. Galenus,Ueber Galenus s. S. 39, Anm. 1. Averrhoes,Averrhoes, gest. 1225, ein Araber von Geburt, geb. zu Cordova in Spanien, in allen Wissenschaften hoch berühmt; der Kaiser von Marocco ernannte ihn zum Richter über ganz Mauritanien. Seine Erklärungen zu Aristoteles hatte auf die Scholastik den größten Einfluß. AvicennaAvicenna geb 980, gest. 1038, ein arabischer Arzt, Philosoph und Staatsmann von außerordentlichem Geist und wundersamen Gedächtnis. Seine medicinischen Methoden waren durch das ganze Mittelalter hindurch herrschend. und andere an den Nägeln weg auswendig hersagen könnten, und die auch nicht eines Härleins breit von deren Meinungen, Recepten, An- und Einschlägen abweichen, auch aus und mit denselben alle Gewissensfälle, alle theologischen, juristischen, historischen, ethischen und politischen Streitfragen: in Summa, alle hohen Sachen und Fragen wie mit Hanswursts Hut ›Kehr' um, so ists eine Mütze‹! richten und schlichten wollten – ja, was doch unglaublich ist, den deutschen Krieg selbst! Das sind diejenigen Mediciner, welche in ihrer höchsteigenen Arzneikunst noch heutiges Tages alle ihre Vorschriften und Kuren, alle ihre Kunst und Geschicklichkeit aus diesen allein hernehmen, ungeachtet dessen, daß nunmehr die Verhältnisse, Zu- und Umstände und Einflüsse viel anders beschaffen sind, daher auch der Zustand der heutigen Krankheiten und deren Heilung ganz andere Vorschriften und Behandlungen erfordern als zu Hippokrates und Galenus Zeiten. Diese alten Mediciner vor vier-, drei- oder zweitausend Jahren haben sich ihrer Einfalt und schlechten Erfahrung gemäß nach dem Zustand ihrer Zeiten, nach den Verhältnissen ihrer Welt und ihres Alters mit allem Fleiß und Ernst gerichtet; und ihre Bücher bezeugen das. Sie haben ihre Arzneien bereitet, je nachdem die Krankheiten bei ihren Lebzeiten beschaffen waren; je nachdem der Leib des Menschen geartet war, haben sie nach Mitteln und Wegen getrachtet, die Gesundheit zu erhalten oder doch wiederzubringen. Die menschliche Natur, des Leibes Zustände und Krankheiten sind viel anders beschaffen gewesen zur Zeit des Hippokrates als zur Zeit des Galenus; was zu Hippokrates Zeiten wahr gewesen, ist zu Galenus Zeiten für falsch gehalten worden, und Galenus würde die Krankheiten seiner Zeit mit des Hippokrates Arzneien gar nicht haben wegnehmen und heilen können. Wenn wir zu dieser unserer Zeit nach der Lehre des Hippokrates und Galenus allein den Krankheiten wehren wollten, so würden wir eben das ausrichten, was die kleinen Zwerge gegen die großen Riesen im Kampfe ausrichten. Denn da eine so merkliche, ansehnliche Veränderung in den Kräften des Menschen und in den Krankheiten des menschlichen Leibes in den 550 Jahren zwischen Hippokrates und Galenus eingetreten ist, lieber Gott! was meinst du dann, was für eine Veränderung aller menschlichen Kräfte und Zunahme aller Krankheiten seit der Zeit des Galenus bis auf dieses Jahr 1640 geschehen sei? Denn es sind keine 550 Jahre seit der Zeit des Galenus bis auf dieses jetzige Jahr verlaufen, sondern an die 1500. Es wollten aber die alten Mediciner keinen andern neben sich leiden, ob er schon in einfachen und zusammengesetzten Mitteln, in Kräutern und SchäuternBedeutet wahrscheinlich soviel als Sträucher. noch einmal so gut geübt, erprobt und erfahren war, – es wäre denn, daß er nach der Lehre des Hippokrates und Galenus examinirt, gefragt, gehört, gelehrt, graduirt, geehrt und für gut erkannt worden wäre, auf deren Wort und auf die sie schworen, es gerathe wie es wolle. Und trotzdem würden sie, wenn sie heutiges Tages nur ein einfaches viertägiges Fieber vertreiben sollten, aus Hippokrates und Galenus nichts finden und wissen. Deswegen werden sie allhier in meinem Reiche als eine besondere Antiquität, als Altmuster aufbewahrt und verehrt. Es thun die alten Mediciner hierin, als ob sie nur erschaffen wären den heidnischen Irrthümern zu glauben, und als ob sie nach den Dingen nicht weiter trachten sollten, als wie ihnen ihr alter Galenus, Avicenna, Averrhoes und andere vorgeschrieben haben, – gleichwie die lässigen und faulen Knechte, die ihr Pfund vergraben und nicht denken, daß der Herr Rechnung von ihnen fordern werde. Indem sie also auf dieser alten Vorschrift fortfahren und beharren, findet es sich zu öfteren Malen, daß in vielen einfachen Stücken nicht allein die vorgenannten Aerzte sondern Aristoteles selbst – den sie gar für einen Abgott halten, ja seine Lehre viel höher als die Gebote Gottes achten und dem sie folgen, als ob Heil und Seligkeit daran gelegen wäre, – fehlt und gefehlt hat. Ferner sah ich auch dort die Mißgunst, die als eine Wittib gekleidet, oder besser gesagt, wie eine alte Frauenzimmerhofmeisterin anzusehen war. Sie hielt ewige Fasten und verzehrte sich also selbst, daher war sie auch so dürr und mager. Bei ihr standen diese Worte geschrieben:

Wer neidet, der leidet.
Meines Nächsten Glück – mein Leid,
Sein Unglück – meine Freud!
Kein' Ruh' bei Tag und Nacht,
Mein Herz gar selten lacht,
Geh' traurig und bin unmuthsvoll,
Im Herzen ist mir nimmer wohl.

Wiewohl sie eine ewige Fasten hielt, so unterließ sie doch nicht bissig zu sein; denn was sie Gutes oder Böses fand, das nagte und plagte sie, und konnte es doch nicht genießen.

Unter ihr befand sich die Uneinigkeit, die ihren Ursprung von der Mißgunst hatte. Diese war erst neulich von der Welt gekommen und hatte bei den Eheleuten ihre Wohnung gehabt; weil diese aber ohnehin schon genug von ihr haben, so ist sie von dort ausgezogen und hat sich zu größeren Gesellschaften begeben und sich in Versammlungen und Gemeinschaften eingeflochten. Weil aber auch da ohne sie genug Zanks war, zog sie fort in Fürsten- und Herrenhöfe, wo sie noch jetzt dem Teufel als Stab- und Statthalter den Dienst redlich versieht.

Zwei Hunde an einem Bein
Kommen selten überein.

Bei der Uneinigkeit war Frau Undankbarkeit, die ihr Leben mit einer gewissen Speise, aus Hochmuth und Neid zusammengebacken, bisher erhalten hatte. Ich war froh, daß ich das alles sah: denn vorher hatte ich ganz und gar geglaubt, die Undankbarkeit wäre der Teufel selbst, weil die Engel, welche von Gott abgewichen und zu Teufeln geworden sind, allein durch Undankbarkeit dahin geriethen. Behüte Gott! sprach ich, was ist das alles! Ich glaube, es ist hier nichts als Unglück und Fluch zu sehen! – Und ein Tod, der nur nachfolgte, sprach: »Ja! und wie sollte es wohl anders sein, da dies der Kuppler, der Hochzeitstifter, der Advokaten, der Anstifter Quartier ist, welche ja die unglücklichsten, verfluchtesten Leute sind, die auf Erden wohnen. Ihr wisset wohl, daß es unter euch auf der Welt eine gemeine Klage ist: daß der verflucht werde, der mir zu dieser Heirath verholfen und mir dazu gerathen hat! Unglück müsse den Anstifter, den Advokaten treffen, der mir zu diesem Proceß Rath und That gewährt, denn dadurch bin ich in das Verderben gekommen!« – Was haben sie aber hier bei den Todten zu thun? fragte ich. »O du Unverständiger! antwortete der Tod: wenn diese Kuppler und Aufwiegler nicht wären, meinst du, daß soviel Todte, soviel verzweifelte Kerls hier sein würden? Es giebt nichts, was den Menschen mehr und eher um Leben und Gesundheit bringt, als die Hochzeitmacher und Proceßstifter mit ihren Lügen, Kunstgriffen, Schmähschriften, Stichelreden, Hintertreibungen einer guten Sache, Hinterlist, Trügerei, Schinderei, – was alles einen Menschen in Kleinmuth, Ungeduld und Verzweiflung zu verleiten genügend sein dürfte.«

Als ich darüber inniglich seufzte und die Augen aufhob, siehe, da sah ich den alten Tod auf seinem Throne sitzen und um ihn her viel andere kleine Tödlein, als: den Tod der Liebe, den Tod des Hungers, den Tod der Furcht, den Tod des Verdrusses, den Tod der Scham, den Tod des Verlangens, den Tod des Lachens und andere. Der Tod der Liebe hatte kein Hirn im Kopfe; damit er aber deswegen nicht zu Boden fiele, so waren um ihn herum Pyramus und ThisbeDas tragische Ende dieser beiden Liebenden von Babylon erzählt Ovid, Metam. IV. 55–166. Leander und Hero,S. Ovids Epist. heroid. und Schillers Ballade: Hero und Leander. welche ihn aufrecht hielten. Sie waren balsamirt mit den allerbesten Amadissen und den herrlichsten, wohlriechenden Schäfereien. Auch waren noch viele andere zugegen, die mit Pyramus und Thisbe gern auch Hand an sich gelegt hätten, wenn sie die Furcht des Todes nicht davon abgehalten haben würde.

Der Tod des Hungers war inmitten vieler Geizhälse, welche alle ihre Kisten zuschlossen, ihre Kasten vernagelten, ihre Fenster versperrten, ihre Speicher verriegelten, ihre Keller versiegelten, ganze Krüge voll Kronenthaler vergruben und dabei sehr erschraken, wenn sie nur ein Laub oder Gräslein rauschen hörten. Ihre Augen waren voll Schlafs wegen des steten Wachens; das Maul und der Bauch beklagten sich gegen die Hände, die Hände gegen das Herz: ihre Seele war ihr Gott und ihr Gott von Gold so hart als Eisen. ›Um dir dein Geld zu bewahren, ist deine Kiste von Eisen, deine Thür von Eisen, dein ganzes Haus von Eisen und du selbst bist von Eisen‹. (Owen. 2, 111.)

Bei ihnen stand einer in Gestalt eines Engels, der ihnen mit starker, mächtiger Donnerstimme folgende Worte durch das linke Ohr gleichsam in das Herz schrie: ›O Mensch, der du Staub bist, begräbst aus Geiz dein Geld? Warum hängst du am Gelde? Morgen schon bist du nicht mehr deines Geldes Herr!‹ und in das rechte Ohr schrie er diese Worte (die ich meines Wissens zuvor an dem großen Portal zu Tours auch gelesen hatte): ›Der heilige Martin theilte seinen Mantel mit einem Armen und hat euch ein Beispiel gegeben, daß ihr das Gleiche thut.‹

Diese Leute müssen schlecht hören, sagte ich, weil ihnen der Engel so stark zuschreit. Aber mir wurde geantwortet, daß ich mich dessen nicht wundern sollte, weil sie thun, als hätten sie keine Ohren, weswegen sie auch niemand erhören; ja als ob sie kein Herz im Leibe hätten, und die sich darum auch gegen keinen Armen erbarmen wollen. »Und du Menschenkind, sprach der Engel zu mir: für das, was du um Christi willen dürftigen Armen schenkst, erhältst du einen ewigen Schatz im Himmel. Zähle nicht die Gaben, die du den Armen gegeben: im Himmel zählt und belohnt sie Gott.« (Owen.)

Der Tod der Furcht war am reichsten und herrlichsten anzusehen, dem die vortrefflichsten, berühmtesten und mächtigsten Potentaten der Erde aufwarten, insonderheit aber die Tyrannen, von welchen geschrieben steht: ›Der Gottlose fliehet, und Niemand jagt ihn.‹ (Spr. Sal. 28,1.) Diese geben nichts auf den ersten Tod, sondern sie warten auf den andern; ihre eigenen Gewissen sind ihre Henker. Und gleichwie sie vor Furcht, aus dem geringsten Argwohn oder Mißtrauen, einen unschuldigen Mann heimlich hinrichten lassen, daß es niemand sehen soll: so müssen sie auch nachher fliehen, auch wenn sie niemand sehen. ›Wen viele fürchten müssen, der muß. wiederum viele fürchten; denn er kann nicht sicher und fröhlich sein bei andern, die nicht Lust noch Liebe zu ihm haben.‹ (Luther.)

Wer will, daß man ihn fürcht' durch Pein,
Der muß in steten Aengsten sein.

Strenge Herren regieren nicht lange. Wer sich zu stark schneuzt, zwingt Blut heraus, und eine grausame Strafe macht nur schlechter; aber Züchtigung mit Maß und Ziel erzeugt Liebe.

Bei dem Tode des Verdrusses waren viele Doctoren und Magister. Die Doctoren gaben vor, sie hätten zu obrigkeitlichen und Regimentsehren gelangen und dem Vaterlande viel Nutzen stiften können, wenn sie die Eitelkeit der Titelehre nicht gestochen hätte; es verdrieße sie demnach zu Tode, daß sie Doctoren und nicht blos LicentiatenLicentiat ist geringer als Doctor. geworden wären. – Die Magister gaben vor, wie sie zu Hofe die höchsten Stellen hätten erhalten können, wenn nur der Titel Herr Magister ihnen zum Schimpf nicht wäre vorgebracht worden: es verdrieße sie also zu Tode, daß sie jemals das Barettlein gesehen und Magister geworden.

Hinter diesen standen etliche mürrische, unwillige Kerls, die klagten, wie sie leiden müßten, daß andere Männer ihre Weiber, und ihre Weiber andere Männer lieb hätten; sie könnten dem zwar nicht abhelfen, aber doch möchte solch Schimpf sie zu Tode verdrießen. Denn: ›warum ich mich ärgere, daß meine Frau heimlich es mit andern hält? Nennt mich doch jedermann auf der Straße einen Hahnrei und zeigt mit Fingern auf mich; denn was ich nicht selbst gemacht (sondern ihr dort, ich weiß nicht wer), das halte ich nicht für das Meine.‹ (Owen 5, 53).

Was für ein Schauspiel war zu sehen bei dem Tod der Scham! Ueber seinem Thron standen diese drei Worte mit schwarzen Buchstaben eingeschrieben: 1) Non putarem, ich hab' nicht gemeint! 2) Pudet stultitiae, ich schäme mich meiner Thorheit; 3) Piget facti, ich ärgere mich, daß ich es gethan habe. Um ihn her sah ich alle die, welche ich bei meinen Lebzeiten jemals von Standespersonen gekannt hatte und die seit dem böhmischen UnwesenD. i. seit dem Anfang des 30jährigen Krieges, der bekanntlich in Böhmen seine Wiege hatte. bekannt geworden waren.

Der erste Haufe sprach: ich hab' nicht gemeint, daß allzu hart macht schartig, daß allzu streng nicht gut thut; ich hab' nicht gemeint, wenn Pfaffen zu weltlichen Dingen rathen, daß es so übel sollt' gerathen; ich hab' nicht gemeint, daß Schafe auch bellen könnten! – Ein anderer sprach: ich hab' nicht gemeint, daß mit seinem Herren nicht gut sei Kirschen essen; ich hab' nicht gemeint, daß es besser sei Frieden machen, als Krieg im Sinne haben; ich hab' nicht gemeint, daß, den ich zu Gast geladen, mich sollte von der Tafel stoßen! – Der dritte sprach: ich hab' nicht gemeint, daß zwei Widersacher würden in ein Horn blasen; ich Hab' nicht gemeint, daß zu viel schnäuzen macht die Nase bluten; ich hab' nicht gemeint, daß ein Fuchs so schwer sei aus seiner Höhle zu treiben! – Und einer, der in Gestalt eines Engels dabeistand, sprach: genug für den, der es versteht; sattsam werden es die Todten und Lebendigen verstehen!Es sind diese Aussprüche lauter Anspielungen auf Ereignisse des 30jährigen Krieges.

Es ist nöthig, daß man nicht allein mit Gewalt regiere, wie es jetzt geschieht, sondern auch mit Vernunft: denn eitel Gewalt kann nicht bestehen und hält die Unterthanen in ewigem Haß wider die Obrigkeit. So merkt's nun, ihr Könige auf Erden und wisset: es ist unmöglich, ein Monarch werden und die Gewissen zwingen wollen. Der fromme Kaiser Maximilian II. sagte sehr gut zu Heinrich III., König in Frankreich, als derselbe wieder heim aus Polen nach Frankreich zog: nimmermehr wird ein Fürst sein Land in Frieden behalten können, wenn er der Unterthanen Gewissen wird zwingen wollen, dieweil das Reich, in welchem man die Gewissen zum Glauben zwingen will, endlich in fremde Hände kommt. Und wer ein Monarch werden und den Glauben zwingen will, der verliert seine eigenen Reiche noch dazu; wer aber die Gewissen den Unterthanen frei läßt, der wird sein Reich in Frieden erhalten und auf seine Kinder bringen. Das Gewissen des Menschen läßt sich wohl mit gottseliger Lehre und gottseligem Leben, nicht aber mit Gewalt des Schwertes gewinnen. Wer Vögel fangen will, darf nicht mit Steinen darunter werfen. Denn es ist nichts gefährlicher in einem Reiche, als wenn die Unterthanen wider ihren Willen glauben müssen.

Die beim andern Haufen, Pudet stultitiae, sprachen, der eine: ich schäme mich zu Tode der so närrischen, vergeblichen Hoffnung und Einbildung, die ich vom Ausgang des deutschen Krieges gehabt habe! – Der andere: ich möchte mich zu Tode schämen, daß ich mich an fremder Untreu so vernarrt habe! – Ein anderer: ich schäme mich zu Tode, daß ich den hochscheinenden Verheißungen so geglaubt habe! – Ein anderer: ich schäme mich zu Tode, daß wir Deutsche so gute Narren sind, daß wir unsere Haut für andere gerben lassen!

Die beim dritten Haufen, Piget facti, sprachen, der eine: es verdrießt mich in das Herz hinein, daß ich meines eigenen Vaterlandes, meines eigenen Landesfürsten Verräther, meiner eigenen Freunde Mörder, meiner eigenen Kinder Henker geworden bin. Andere: uns verdrießt's zu Tode und in das Herz hinein, die wir so schöne Herrschaften und Länder, so getreue Unterthanen und Bürger in so gutem Frieden und Ruhe besessen haben, uns aber ohne wahrhafte Ursache, allein aus Trieb unserer Begierden derselben begeben, unsere Unterthanen verlassen, unser Vermögen, unsere Kleinodien bei fremden Wirthen verzehrt, unser armes Land, unsere schönen Schlösser in Einöden und Wüsten verwandelt haben – mit einem Wort: daß fremde Vögel in unser Nest gezogen, davon ist die Ursache, weil wir ohne Noth daraus weg geflogen sind!

Hinter diesen stand der Tod des Verlangens, von vielem Weibsvolk, deren etliche hochschwanger waren, umgeben. Eine sprach: ich sehne mich zu Tode, bis ich höre, was ich für einen Mann bekommen werde! Ich sehne mich zu Tode, bis ich einen guten Hammelschlägel und StraubenEine Art Gebäck. esse! Ich sehne mich zu Tode, bis ich einen Schweinebraten esse! Ich sehne mich zu Tode, bis mein Mann einmal verreist! Ich möchte nicht so gern leben, als einmal spazieren fahren! Ich möchte so gern mit meinem Liebsten reden, wonach ich mich zu Tode sehne! Ich sehne mich zu Tode, zu wissen, was doch dieser Krieg für ein Ende nehmen wird!

Indem sah ich dort auf einem Narrenbänkchen einen Poeten sitzen, den ich bald an seinen Gebärden erkannte: es war Philemon.Philemon, um 320 v. Chr., war ein griechischer Komödiendichter aus Soli. Ich fragte ihn, wie er dahin gerathen wäre? Er erzählte mir, daß er einstmals seinen Esel hätte Feigen essen sehen; da sei der Knecht von ohngefähr dazugekommen und habe dem Esel zugerufen: Friß Esel, friß! ich will dir einen Trunk Wein drauf schenken, daß dir die Feigen nichts schaden! Ihm aber wäre dies so lächerlich vorgekommen, daß er sich darüber zu Tode gelacht habe. – Als ich nun weiter fragte, wo er sein Quartier hätte, wies er mit dem Kopfe zurück, und siehe – der Tod des Lachens saß auf seinem Stuhl und um ihn her eine große Menge Volks, die zwar jedes Ding glauben und doch nicht wollen witzig werden; denen ein Ding nicht eher leid wird, als bis es geschehen ist; welche leben, als ob keine Gerechtigkeit wäre und sterben, als ob keine Barmherzigkeit zu hoffen. Und es sind diejenigen, welche, wenn man ihnen sagt: Gieb das wieder, was diesem oder jenem gehört! antworten: ich möchte mich zu Tode lachen! – Bedenkt: ihr seid nun alt und betagt, die Sünde wird einmal aufwachen! Meiner Treu! geht doch des Weibes, dieser Hure müßig! Der Teufel kann nicht immer borgen, bald greift er um sich, ehe man es meint. – Ich möchte mich zu Tode lachen! – Was sagt ihr da? Bittet Gott um Verzeihung und bekehrt euch zu ihm; ihr seht, daß der eine Fuß schon auf der Grube geht! – Ich möchte mich zu Tode lachen! meint ihr denn, daß ich ans Sterben denke? Bin ich mein Lebtag je so frisch gewesen als jetzt? – Jungfrau, schickt Euch dazu: Ihr seid eine gute Haushälterin, Ihr müßt wahrlich einen Mann haben! – O höret auf, Herr! wie redet Ihr gar so wunderlich! Ich möchte mich zu Tode lachen! – Guter Freund, Euer Zustand ist gefährlich: richtet Eure Gedanken zu Gott, bestellt Euer Haus, macht Eure Sache richtig! – Jawohl! Ich möchte mich zu Tode lachen! ich bin schon mehrmals in solchem Zustande gewesen und bin gleichwohl noch hier. – Alle diese Leute sterben gemeiniglich, ehe sie abscheiden. Dies Gesicht gab mir wieder Ursach', ein wenig zurückzudenken an die Eitelkeit und Unachtsamkeit der Menschen, zu seufzen und zu sprechen: O Gott! wir haben ja nur ein Leben und so unzählig, viele Weisen des Todes! Alle Welt wird auf einerlei Weise geboren, und man stirbt auf Hunderttausenderlei Weise! Ich betheure hiermit, wenn ich wieder zur Welt kommen sollte, den Menschen treulich zu

rathen, daß sie umkehren und anfangen, ein gottseliger Leben zu führen, damit sie dermaleinst desto seliger sterben mögen.

Da hörte ich eine Stimme, welche dreimal überlaut rief: Ihr Todte! Ihr Todte! Ihr Todte! Und in einem Augenblick, in einem Hui bewegte sich die Erde, und ich sah einen Arm hervorkommen, hier einen Kopf, da einen Fuß, dort einen Mann, ein Weib – sie alle krochen in ihrer Gestalt in großer Stille aus ihren Gräbern hervor. Und der General-Tod sprach: ein jedes rede, wenn es an seine Stelle kommt! Alsbald kam einer von den Todteu mit seinen langen Beinen auf mich zugestakt, als ob er zornig wäre. Da wußte ich nicht, wo hinaus, sondern mußte still halten und mich trösten mit der Geduld, wie jener, der die Fischlebern allein aß. »Hat mich St. Velten mit euch Weltnarren genarrt? sprach der Todte. Was habt ihr immer mit mir zu schaffen, daß ihr mich hin und wieder so ausschreit und beschimpft, als ob kein Narr je gewesen wäre als ich? Es heißt sonst doch: des Gedächtnisses der Todten ist vergessen, daß man sie nicht mehr liebt, noch haßt, noch neidet. (Pred. Sal. 9, 5).

So lang der Mensch lebt in der Welt,
Wird ihm von Leuten nachgestellt
Mit Haß und Neid; und stirbt er dann,
So läßt ihn bleiben jedermann.

Aber der Poet irrt: denn obschon ich vor etlichen hundert Jahren gestorben und todt bin, so könnt ihr mich doch nicht unvexirt lassen.« Guter Freund! sprach ich, wer seid Ihr? Ich kenne Euch nicht, ich weiß auch nicht, warum Ihr mit mir schimpft. »Ich bin, sprach er, der arme Eulenspiegel. Wenn einer unter euch eine grobe Zote und einen stinkenden Possen vorbringt, so heißt es doch, obwohl ich nichts dafür kann, es sind des Eulenspiegels Possen; er ist in Eulenspiegels Schule gegangen; siehe da, was für ein Eulenspiegel! was macht der Eulenspiegel? Aber wisset, daß ihr untereinander selbst größere Eulenspiegel und Narren seid, als ich jemals gewesen bin. Denn ist der nicht ein großer Narr und Eulenspiegel, der die gute Zeit verscherzt und meint, er thue Doctorarbeit, wenn er Glossen

und Noten, Lehre und Trost über und aus dem Eulenspiegel schreibt? wenn er den Eulenspiegel in Reime und Gesang setzt? Ich habe ja m meinem Testament solche Thorheit nie begangen wie Don Hidalgo StassinEin spanischer Edelmann à la Don Quichot. und Consorten, welche andern befohlen haben, für ihrer Seelen Wohlfahrt nach ihrem Tode zu bitten, – was sie doch selbst in ihrem Leben unterlassen. Bin ich je ein Aufrührer gegen meine Landesfürsten gewesen? Hab' ich je witziger sein wollen, als ich von Natur geboren war? Hab' ich je mein Gesicht, meinen Bart, meine Haare bemalt und jünger sein wollen, als ich gewesen? Bin ich je meines Geldes nicht mächtig gewesen oder hab' ich dasselbe wie einen Abgott verehrt? Hab' ich jemals mein Gut auf einem Sitz verspielt oder versoffen? Hab' ich mein Geld den Huren gegeben? Hab' ich jemals mein Weib den Meisterspielen oder in Amts- und obrigkeitlichen Geschäften ihr zu Gefallen Fünf grade sein lassen? Hab' ich jemals einem Kerl, der seinen Freund verrathen, getraut? Hab' ich je einige Hoffnung auf das unbeständige Glück gesetzt? Hab' ich jemals den für glücklich geachtet, der um eines guten Wortes oder lieblichen Anblicks oder Zutrinkens willen allein an Fürsten- und Herrenhöfen sich aufgehalten hat? Hab' ich jemals solche spitzfindigen, verdammlichen Fragen in der Religion vorgebracht, daß es besser gewesen wäre, ich hätte geschwiegen? Hab' ich jemals einer fremden, ausländischen Herrschaft wider mein eigen Vaterland und wider meinen Glauben gott- und ehrvergessener Weise Rath und That geliehen? Hab' ich mich je hochmüthig und trotzig gestellt gegen den, der höher geschoren war als ich? Hab' ich jemals bei einer alten Hexe, bei einer Wahrsagerin, Zeichendeuterin oder bei einem Kalendermacher um Rath gefragt? Wenn nun der arme Eulenspiegel dergleichen Erzpossen niemals begangen hat, was habt ihr denn über ihn zu klagen? O ich armer Eulenspiegel und o ihr groben, unhöflichen Gesellen! Warum müßt ihr meinen unschuldigen Namen so mißbrauchen? Bin ich's, der das Kalb ins Auge geschlagen hat? Muß ich der Katze überall die Schelle anhängen? Habe ich denn den Brei sogar bei jedermann allein versalzen?« –

Es kam aber ein anderer Tod – nicht mit einem indischen Rohrstab, sondern mit einem deutschen Stecken, einem spitzen Hut, halbgefütterten Wolfspelz wie ein alter Herr, mit einem Gürtel voll Schellen, auf uralte deutsche Tracht und Pracht behängt und umgürtet – dahergegangen, der uns weiter zu sprechen verhinderte und, mich ernstlich ansehend, sprach: »Siehst du mich nicht, du lebendiger Kerl? Du meinst vielleicht, du hättest noch mit dem Eulenspiegel zu schaffen?« – Wer ist denn Euer Gnaden, sprach ich, der Ihr besser sein wollt als ein anderer, da ich meine, der Tod mache alle Menschen gleich, ihm gilt der Arme wie der Reiche? »Ich bin, antwortete er, eurer deutschen Nation getreuer Mitahnherr und erster König der alten Franken. Wenn du mich auch von Gestalt nicht kennst, so muß ich doch viel euretwegen hören und leiden: denn ihr lebendigen Menschen seid so sehr überbösert, daß ihr auch die Todten in den Gräbern nicht könnt unverstichelt, unverachtet und unverfolgt lassen, so wenig wie eure Nachbarn und eigenen Blutsverwandten selbst. Ist etwa ein altes Haus, ein alter Hut, ein alter Mann, ein armes altes Weib, etwas, was sich nach eurem Vorwitz und gespitztem Hirn nicht schicken will, – alsbald sagt ihr: das sei altfränkisch, sei nicht alamodisch, gehöre nicht mehr in diese Welt, sei nicht mehr zu brauchen! Aber ihr seid thörichte Leute und bedenkt nicht, daß meine Weise tausendmal besser gewesen ist als die eurige; und du wirst, nachdem du den Bericht gehört hast, selbst genug Zeugnis geben können, daß nur viel zu viel Ungutes geschieht. Denn ist's nicht wahr? wenn heutiges Tages eine Mutter ihre Tochter zur Zucht und Ehrbarkeit ermahnen will mit den Worten: ein ehrlich Mädchen soll nicht so frech über und um sich sehen oder die Augen hin und her werfen wie ein Vogler, sondern unter sich wie ein Einsiedler, wenn sie bei einem Mannesbild vorüber geht; dann wird die Tochter antworten: Ach das ist gar altfränkisch! Die Männer nur sollen auf die Erde sehen, von der sie herkommen; ein Weibsbild aber soll die Mannsleute anschauen, von deren Rippen sie genommen ist. Sollte ein armes Mädchen immer also unter sich sehen, es würde wohl sein Lebtag keinen Mann bekommen! – Wenn ein Vater zu seinem Sohne sagt: Mein Sohn, fürchte Gott, halte seine Gebote, rufe ihn an, wenn du aufstehst und dich niederlegst, gehe nicht zu Tisch, du bittest ihn denn um seinen Segen: gehe nicht vom Tisch, du habest ihm denn zuvor für seine Güte Lob und Dank gesagt. Fliehe das Spielen als ein Gift, hüte dich vor Fluchen und Schwören, meide Müßiggang und Unzucht, so wird der Sohn antworten: Ha Vater, das ist altfränkisch zu hören! Ich hab' es zuvor schon gewußt, ich muß mich aber der Welt eben auch etwas gleich stellen. – Eure jetzige Zeit ist also so verderbt, daß, wenn ein ehrlicher Biedermann sich nach seinem Vermögen und Stand ehrbar und untadelig halten will, er als ein altfränkischer Kerl, der keine Mode, keine Possen versteht, nur verachtet und verlacht wird. Und wie man in den redlichen alten Zeiten einen rechtschaffenen Mann am Gemüth und am Bart erkannte, so muß man hingegen heutiges Tages einen Mann nur am Fluchen und Gotteslästern, am Poltern und Pochen, an unzüchtigen, garstigen Zoten und Aufschneidereien, einen Franzosen aber am Gottverläugnen erkennen.« – Als er dies gesagt hatte, ging er wieder an seinen Ort.

Als ich nun weiter wollte, sah ich auf einer Seite einen überaus großen gläsernen Kolben oder Brennhelm, und es ward mir gesagt, daß ein berühmter Philosoph oder welscher Schwarzkünstler befohlen hätte, ihn in kleine Stücke zu zerhacken und ihn da hinein zu werfen, damit er auf diese Weise die Quintessenz, den Balsam der Unsterblichkeit erwerben könnte. Das Glas stand in lichter Lohe und auf dem höchsten Grade, es sott in der größten Hitze; allmählich kam ein Stück Fleisch wieder zu dem andern, also daß es bald einen Arm, bald einen Schenkel, bald eine Hüfte gab, bis endlich im Kochen ein ganz formirter menschlicher Leib daraus wurde, der sich in seinem Grabe, oder in dem Glase, aufrichtete und um sich sah. Ich war darüber vor Schrecken so erblaßt, daß, wer mich gesehen, mich leicht für einen Todten gehalten hätte. O Gott! sprach

ich vielmals, was ist das für ein Mensch? was für eine wunderliche Geburt, daß ein Mensch ohne einen Menschen und in dem Bauche eines Glases soll geboren werden! – Darauf hörte ich eine Stimme in dem Glase, die fragte: »In welchem Jahre sind wir jetzt?« Ich war behend und sagte: In dem 1640sten Jahr. »O des erwünschten Jahres! o des seligen Jahres! sprach er hinwiederum; o des lang erhofften Jahres! Mit welch unglaublicher Begierde habe ich auf dieses Jahr gewartet! Warum? Darum, weil in diesem Jahre die Adler, Löwen und Bären sollen anfangen den Schafen zur Speise zu dienen, und viel Verhungerte sich satt essen sollen an wohlgemästeten welschen Hähnen: alsdann wird folgen die Zeit derer, die auf das Gebratene und den rheinischen Wein warten!«

Ich muß bekennen, diese Weisheit kam mir nicht vor wie die Einfälle des alten Lug-in's-LandEr meint den Sternseher und Kalendermacher. von dem es hier unten heißt:

Du Geld hast – du reich bist;
Du lang lebst – du alt wirst, –

was mau auch ohne Brille und Augenglas erkennen kann. Wer seid ihr aber? fragte ich. »Kennest du mich denn nicht? antwortete der im Glase. Ich bin Schickot,Mit diesem Namen bezeichnet M. die Schwarzkünstler, Ein Mann, Namens Chicot, war Arzt des Königs von Frankreich. der größte Künstler, der jemals in der Welt gewesen ist. Hast du nicht gehört, was für übernatürliche, geheime Künste ich habe, und warum ich mich habe so zerhacken und in diesem Brennhelm reinigen und wieder schaffen lassen? Um »eilends in's neue Leben zu kommen und zwar durch Zauberkunst wieder geschaffen.« – Ja, sagte ich; ich habe wohl in meiner Jugend öfter von euch erzählen hören, es aber allezeit für ein Fabelwerk und Weibermährlein gehalten. So seid ihr denn derselbe? Beim ersten Anblick zwar hatte ich gedacht, ob dieses Glas nicht ein fürstlicher Trinkbecher wäre und ob sich dieser Kerl nicht darin zu Tode gesoffen hätte, insonderheit weil man sagt, daß solche Trinkbecher anfänglich aus der Hölle hervorgebracht sind, und sie der Teufel, um die Menschen durch so unfröhliche Wollust leichter zu Falle zu bringen, erfunden habe.

Das Willkommensaufen hat der Teufel
Zu Hof erdacht, darum ich zweifel',
Ob solche Leut' auch Christen sei'n,
Dieweil sie saufen, wie die Schwein'.

Als ich aber näher herzugekommen bin, habe ich gedacht, es würde irgend ein Alchimist oder Goldmacher wegen seiner Thorheit und seines närrischen Irrthums dann büßen müssen. »Mache das Glas oben auf!« sprach Schickot zu mir. – Indem ich an dem Mundloch herumging und den Lehm, Leim, Mergel, Schmirgel, Riegel, Siegel, wie es die Vergolder nennen, abmachen wollte, sprach er: »Gemach, gemächlich mein Herr! Verzieh' noch ein wenig! Sag' mir erst, ist viel Gold in Spanien angekommenNämlich die Silberflotte, welche sonst alljährlich aus dem spanischen Amerika die Ergebnisse der Bergwerke nach Spanien brachte. In welchem Werthe ist es jetzt? Welches Gehalts ist es? Hat es auch noch einen starken Zusatz von Kupfer?« Ich berichtete ihm jedoch, daß es mit den indianischen Flotten noch so weiter gegangen wäre, wenn nicht seit wenigen Jahren die Holländer durch Her mit und Peter HeinHiermit ist ein Befehlshaber der holländischen Flotte gemeint; er entdeckte 1621 die Inselgruppe im S. O. des Kap Horn, die nach ihm Hermiten genannt wurden. Peter Hein, geb. 1577 zu Delvshafen, arbeitete sich vom Schiffsjungen zum Admiral hinauf, befehligte mehrmals die holländische Flotte und war siegreich gegen die Spanier; er fiel in einem Seetreffen mit den Dünkirchern 1629. ihnen einen häßlichen Abbruch in Brasilien, in Pernambuco, in der Allerheiligenbai, in Rio de la Plata, auch in Ostindien gethan hätten, so daß der Patagon-GeneralDarunter ist der spanische Zahlmeister zu verstehen; Patagon war eine spanische Silbermünze. und andere Negocianten sich bald verwünschten, weil man gar nicht zur Besoldung der Armeen und zu Bestechgeldern mehr gelangen könnte. »Gewiß ist es, sprach Schickot: so lange der katholische König in Spanien mit den Holländern Krieg führt, wird er auch in den beiden Indien und, aus vorhergenannter Ursache, in seinen Reichen Verluste haben und es wird ihm unmöglich werden, zur fünften MonarchieDie vier andern sind: die persische, macedonische, römische und fränkische. zu gelangen.« – »Wie hoch, fragte er weiter, gehen denn die Münzen jetzt? Giebt es denn noch der verdammten Kipper und Wipper,So hießen im dreißigjährigen Kriege die Leute, welche die besten Münzsorten aussuchten und aus dem Handel entfernten. ›Kippen‹ vom Aufkippen der Waage, auf der die Münzen gewogen wurden; was niederkippte, behielten sie und gaben geringeres dafür. wie in dem Mansfeldischen Kriege 1621 und 1622? Besitzen diese Leute auch das Regiment in Städten, oder hält man sie für unehrlich und für Landdiebe?« Davon, antwortete ich, darf man nicht reden außer in der Beichte, weil es heutiges Tages so Brauch ist, daß man auch die Laster etlicher Obrigkeiten muß für herrliche Dinge halten; und wer sich nicht dahinein schicken, ihnen beistimmen, sie in allem, auch wider besser Wissen und Gewissen, hoch rühmen und loben kann, der wird nicht angesehen noch befördert werden. ›Denn für den, der emporkommen will, ist das der kürzeste Weg: den Mächtigen nachgehen, sie sich mit jedmöglichem Fleiß geneigt machen, seine Sitten nach ihrem Vorbild modeln, ihren Meinungen beistimmen, an nichts zweifeln, ihnen alles glauben, alles an ihnen bewundern. Denn alles, was wir nach dem Ausspruch des heiligen Geistes für Sünde halten, hat die Gewohnheit, der vornehme Stand und das Glück der Sünder zu Ehren gebracht.‹Am Rands ist citirt: Summi ingenii incorruptissimique judicii heros Joh. Balth. Schuppius de opinione p. 41 u. 49. Er war 1610 in Gießen geboren, später Pastor in Hamburg, starb 1661. Seine »lehrreiche Schriften« sind frei von pedantischer Gelehrsamkeit und enthalten eine treue Schilderung damaliger Zustände. Es geht, – es geht aber her, daß es Gott erbarm'! Zudem ist mit täglicher Steigerung der Münzen kein Ende zu finden: ein jeder erhöht und erniedrigt dieselben nach seinem Gefallen. Wer Geld ausgiebt, der steigert es; wer einnimmt, der verringert es. Heut' ist eine Münze gut, morgen ist sie verrufen, übermorgen ist sie besser, als sie das erstemal je gewesen, und so fort.

»Zu verwundern ist's, sprach Schickot, daß in so wenig Jahren die Münzen und Sorten sich so verändern und verlaufen.« Meines Erachtens, sagte ich, geschieht es wegen des stetswährenden Krieges, der in einem Orte mehr Gebrechen und Mangel des Geldes verursacht, denn am andern: wie uns dies in nun baldverwichener Frankfurter Ostermeß-Relation Fol. 16 mit einer höflichen Wahrheit ist angezeigt worden. Und bei all diesen großen Gebrechen will gleichwohl nichts mehr mit Hellern und Pfennigen, mit Groschen und Batzen, mit Schillingen und Dickpfennigen, mit Franken und Realen, mit Gulden und Thalern, auch nichts mehr mit Pfunden und Dukaten, sondern insgemein mit Pistolen und Dublonen gezahlt, gekauft und verrechnet werden; und es ist schier kein Käsekrämer oder Lumpenhändler so gering, der nicht mit Pistolen zuwürfe, und es wird wohl noch dahin kommen, daß man mit Portugalesern zählt und rechnet. Darum hat der tapfere Markgraf von RocellaDarunter ist gemeint François de la Noue, genannt Bras de fer (Eisen-Arm), weil er, wie Götz von Berlichingen, seinen abgeschossenen linken Arm durch einen eisernen ersetzen ließ. Er war geboren 1531, war ein tapferer Feldherr unter Karl IX., vertheidigte die Stadt Rochelle, kämpfte in den Niederlanden, wurde von den Spaniern gefangen, später gegen Graf Egmont ausgetauscht und siel bei der Belagerung der Stadt Lamballe 1591. mit Recht gesagt: Je mehr in der Welt Geld und Gold steigt, je mehr wird die Tugend verachtet und abwärts gehen.

»Aber ich bitte dich, erzähle mir, was gilt die Ehre auf Erden?« Davon, sprach ich, wäre viel zu reden; das hieße, das Eisen recht gerührt! Ein jeder ist ein Ehrenmann, ein jeder hat Ehre vollauf im Mund und im Herzen, ein jeder ist geehrt, und aus allen Sachen kann man Ehren halber eine Entschuldigung machen – in Summa, es ist Ehre und Reputation genug und über genug und nur zu viel bei allen Menschen und bei allen Ständen, obwohl sie in Wahrheit deren doch nimmermehr genug haben. Ein Straßenräuber und Dieb sagt: es sei zur Erhaltung seiner Ehre, daß er bettle, es sei ja besser betteln als stehlen. Ein Ehrsüchtiger, Hochtrabender redet mit keinem gemeinen Manne, sieht ihn über die Achsel an: es ist zur Erhaltung seiner Reputation und Ehre, damit er seinen Stand nicht verkleinere, dessen Vater doch, wenn es wohl gerathen, selbst nur ein Hacker oder Hammerer gewesen ist. Ebenso wird ein Meineidiger, ein Stadtverräther, ein Mörder Ehre und Reputation vorwenden. Die ärgsten sind diejenigen, welche vorgeben, eher sollte sich einer zwischen vier Mauern verfaulen lassen, bevor er zur Verkleinerung seiner Reputation einem andern etwas nachgäbe; eher sollte sich ein Bartscheerer in tausend Stücke hauen lassen, als daß er seinem Gegentheil, den er beleidigt, die Hand biete, ob es auch der Obrigkeit ernstlich Gebot und Befehl wäre. Diese Halunken aber und ehrvergessenen Gesellen sollten wissen und beachten, daß allein durch dergleichen losen Vorwand die Ehre und Reputation eines Biedermannes, ja sein Heil und Seligkeit müssen zu Boden fallen und erliegen – mit einem Wort, alles was einem Menschen in den Kram und Säckel dient, und wovon er meint etwas Vortheil und Genuß zu haben, das muß Ehren- und Amtshalber gesagt, gethan und geschehen sein. Und weil ein jeder dafür hält, er sei ein ehrlicher Mann – wenn schon sonst keiner in der Welt wäre – so wird die Welt also verkehrt und alles geht zu unterst zu oberst. Lügen heißt höflich sein im Reden; Verständig sein ein Ding auf Schrauben stellen: und diese beiden sind heutiges Tages die vornehmsten Tugenden eines Cavaliers; denn ungestüm und unverschämt sein ist edelmännisch.

O cur tua te
B bis bia abit .D. i. O superbe cur superabis? tua superbia te superabit! O Uebermüthiger, warum bist du so übermüthig? dein Uebermuth wird dich zu Falle bringen! Nämlich O steht über (super) b und giebt o superbe, cur über (super), bis giebt superabis u. s. w.

Drum lasset ab von solchen Untugenden und übet künftig dieses:

missos
Juppi Juppi Juppi as locabit tra.D. i. Juppiter submissos locabit inter astra: Gott wird die Demüthigen unter die Sterne versetzen. Nämlich Juppi dreimal (ter) steht unter (sub) missos, locabit zwischen (inter) as tra.

Die Franzosen wollen auch für die freundlichsten, höflichsten Leute der Welt gehalten, für die ehrlichsten, redlichsten Leute der Welt angesehen werden, wie sie sich denn dessen gegen den Fremden in aller Welt mit hochfliegenden Worten rühmen. Aber man höre die armen belegten, bedrängten, gemarterten deutschen Nachbarn davon reden, so wird gewiß der feste Schluß folgen, daß bei den gröbsten Barbaren mehr Freundlichkeit und bei den Kroaten mehr Ehre und Redlichkeit zu hoffen sei. Ich könnte Beispiele erzählen, aber sie gehören nicht hierher. Ein alter falscher Wahn ist es, daß man vermeint, die Franzosen seien so nüchtern und mäßig. Man gehe nur und sehe, wie sie die armen Bürger und Bauern drillen und drücken, wie sie am fremden Tische das Dreifache fressen, saufen und singen, wie sie ehrlichen Weibern und Jungfrauen nach der Ehre stellen und, wenn sie können, sie ohne Bestrafung zu Falle bringen. In Summa, die Erfahrung lehrt's, daß sie (ich rede nicht von allen, sondern von denen, die Gewalt vor Verstand gehen lassen) im Saufen den redlichen Deutschen, in Unreinigkeit den hitzigen Italienern, in Unbarmherzigkeit den strengen Spaniern, in Gotteslästern und Gottverläugnen aller Welt weit, weit überlegen sind. Und dennoch sind wir Deutsche insgemein so albern, daß wir solche Völker als Wunder in Kleidung und Wesen nachahmen und nachäffen. Auch wenn sie einen Rock mit Schellen trügen, so bilden wir uns doch ein, es könne nichts Zierlicheres erdacht und erfunden werden.

»Sind aber auch noch Juristen und Advocaten auf der Welt?« fragte Schickot weiter. – Ja freilich, sprach ich, es wibbelt und wimmelt so voll wie von Ameisen und Mauereseln und es wäre besser, daß die Welt mit egyptischen Heuschrecken als mit diesem Ungeziefer überzogen wäre. – »Geht es also her auf der Welt, sprach Schickot, so komme ich nicht aus meinem Kolben, denn ich merke wohl, daß man von den Juristen allen nicht viel hält.« O weh, mein Schickot, antwortete ich ihm; also ist es nicht gemeint. In Deutschland geht es noch ein wenig besser, denn da sind noch Gewissenhafte und Reine zu finden, aber doch auch nicht alle. – »Mich wundert zwar nicht, sprach Schickot, was bei den Welschen geschieht, die solche Aemter und Stände mit vielem Gelde erkaufen müssen; – selten verrichtet der Richter sein Amt, ohne daß er sich schmieren läßt; warum? weil er selbst sich sein Amt durch's Schmiergeld erkauft hat. Owen 1, 16. – aber mich wundert, daß auch bei den Deutschen dergleichen vorgehen soll. Das ist es aber, sprach er weiter; vor Jahren hat die Gerechtigkeit nicht soviel Anstöße erleiden brauchen als jetzt – Ursach: es gab noch nicht soviel Juristen. Darum geht es heutiges Tages der Gerechtigkeit wie den Kranken, die ihrer Krankheit wegen um Rath fragen lassen; denn jemehr Doctoren man zu einem Kranken ruft, je ärger wird es mit ihm und jemehr kostet es ihn. Viel' Hunde sind des Hasen Tod.

Wenn die Aerzte sind die Hund',
Die uns jagen in den Grund,
So sind wir ja rechte Hasen,
Daß wir sie so lassen rasen.

Es heißt: die Menge der Aerzte hat den Kaiser ums Leben gebracht; ebenso auch: die vielen Juristen haben das weltliche, ja das göttliche Recht verpfuscht; je mehr Rechtsgelehrte man zu einer Sache fordert, je weniger wird sie ausgemacht werden. Das erfahren wir, die wir um so viele Jahre auf den edeln deutschen Frieden gehofft haben. Diesen Frieden, den die jetzige und künftige Zeit nicht wird zu Stande bringen, wirst du wohl erst, gütiger Herr Jesu Christ, bei deiner Wiederkunft verleihen!«

Vor Zeiten, sprach ich, war nur Ein Corpus juris, ein einziges Rechtsbuch, vermittelst dessen die Gerechtigkeit einem jeden, dem Armen wie dem Reichen, dem Fremden wie dem Einheimischen, dem Vater wie der Tochter, dem Vetter wie der Base, dem Bürger wie der Obrigkeit, dem Narren wie dem Doctor heilig widerfahren und gegönnt ist. Es war da eine liebliche Einigkeit, ein freundlicher Friede, ein recht seliges Leben. Aber jetzt, zu unsern Zeiten, da viel tausend Rechtsbücher, Codices, Digesta Pandectae, Paralitla, Institutiones, Consilia, Responsa vorhanden sind, stecken die Juristen hinten und vorn so voller List und Ränke, Aufzüge und Umtriebe, Auslegungen und Deutelungen, daß Gott möchte d'rein schlagen! Seit dreißig Jahren sind mehr Rechtsbücher geschrieben und gedruckt worden als früher in tausend Jahren, und doch ist keines noch recht, denn ein jeder will es noch rechter machen; wiewohl der vortreffliche VigeliusDr. Nikolaus Vigelius, Rechtsgelehrter zu Marburg, starb 1600. Seine zahlreichen juristischen Schriften sind von nicht geringem Werth. ihnen ein Ziel gesteckt hat, welches schwerlich einer wird überschreiten. Alle Tage kommt ein neuer Doctor, ein neues Buch hervor, das bald größer ist als das Corpus selbst, das sie ungeachtet des heiligen Verbotes des Kaisers Justinian Glossen, Erläuterungen, mancherlei Einfälle, Entscheidungen, Zertheilungen, Auslegungen, Drangsalirungen nennen. Denn es ist ein rechter Eifer unter ihnen, welcher die meisten und großen Bücher und Corpora schreiben könne – Leiber ohne Geist und Seele. Es sind also die meisten Juristen – verstehe: die Rasenden, Schriftenschmiede, Federspitzer, Fretter,Von fretten: abreiben, wund machen, quälen. Anhetzer, Aufwiegler, die auf einer Partei bloßes Anbringen, ungehört des Beklagten, gleich ein Urtheil fällen, ihrem Eid zuwider eine böse Sache unsinnig annehmen, überbieten, abbitten und verwarnen, mit Gewalt, wider Gott und Billigkeit durchtreiben (denn gewissenhafte, bedachtsamere Rechtsgelehrte haben heiligere Gedanken) – Zerstörer des gemeinen Stadt- und Landfriedens, wider die, als Urheber alles Unglückes, dieser Schluß geht:

Wären keine Advocaten,
so wären keine Processe;
keine Processe – keine Procuratoren,
keine Procuratoren – keine Aufhetzer,
keine Aufhetzer – keine Trügerei,
keine Trügerei – kein Unrecht,
kein Unrecht – kein Kläger,
kein Kläger – kein Richter,
kein Richter – kein Scherge,
kein Scherge – kein Henker.

Seht ihr wohl, was für Unheil in der Welt kann durch einen einzigen Fretter und Anstifter angerichtet werden! Gehst du vielleicht zu einem solchen, ihn um Rath in deiner Sache anzusprechen, dann wird er, wenn er dich kaum halb angehört, viel weniger aber recht verstanden hat, dir gleich mit seinem vermeinten Witz in die Rede fallen und sagen: Herr, das ist ein stattlicher Casus! da ist manche schöne, herrliche Quaestion anzubringen, welche meritiret, daß man sie mit höchstmöglichem Fleiß tractire! Ich besinne mich jetzt gar wohl auf die Legem, die expresse davon redet. – Darauf geht er über einen Haufen großer, tübingischer Bücher, wenn's hoch kommt, an Gesetzbücherauszüge; denn das ist der gemeinste Modus das Recht zu studiren bei den Rechtsverdrehern. Das ist der meisten Practicanten und Rechtsverdreher Arbeit, daß sie so obenhin in den Bücherauszügen studiren; und gar wenige sind vorhanden, die nach dein rechten Kern und Mark forschen, daher es denn nicht unbillig heißt, wie jener hochgelehrte fromme Jurist sagt: In den Institutionen seid ihr stummer wie das liebe Vieh, im Codex habt ihr nur mittelmäßig studirt; in den Novellen seid ihr den Eseln gleich; in den Digesten könnt ihr nichts – und doch seid ihr Rechtsgelehrte! Durchlauft diese Bücher mit Händen und Füßen, durchblättert sie mit Fingern und Augen, grummt und brummt leise fort, als ob's gar Ernst wäre, gleichwie die Katzen, wenn man sie streichelt, schnurren; aber hüte dich: Katzen kratzen! – Darnach giebt er dem guten unschuldigen Buch einen Schlag, legt es aufgeklappt auf den Tisch oder die Tafel mit diesen Worten: Sehet da, Herr! Da haben wir unsern Mann gefunden, dies sind die rechten Karten, hiermit können wir einzig und allein unsere Sache gewinnen. Der Rechtsgelehrte hier redet so klar von unserer Streitfrage, als ob er den Stand der Dinge selbst gesehen und den Rechtsfall, wie wir ihn haben, selbst formirt hätte. Gelt! die Sache ist richtig! Gelt! es kann uns nicht fehlen! Gelt! ich kann den Zweck finden! Gelt! ich bin unserer Partei gewachsen! Gelt! ich hab's euch vorher gesagt! Gelt! meine Bücher können helfen! Lasset mir nur indessen eure Beweisschriften, Briefe, Urkunden und Documente bei der Hand! Das nur nichts vergessen werde! Gelt! ich meine, wir haben eine herrliche Sache! Habt nur ein gut Herz! Kommt morgen gegen Abend wieder hierher, denn jetzt habe ich etliche Anmerkungen aus dem Bartolus und Baldus zu verfertigen (während er doch aus Geiz, wie vorhin gesagt, nicht einen Aufzug aufschlägt); aber um euretwillen will ich alle anderen Arbeiten und Geschäfte fahren lassen. Gelt! gelt! ich hab' es euch gesagt! – Wenn es dann zum Abschied kommt, und du ihm die Hände nicht mit Pistolen oder Dukaten schmierst (denn Reichsthaler gelten nichts mehr, Dukaten aber sind noch gut; die Franzosen nennen's un ducat, qoud inducat in tentationem, weil derselbe in Versuchung führt), damit er deiner Sache gedenke, so ist es wahrlich darum geschehen!

Die Achs' am Wagen muß man schmieren.
Damit das Rad mach' kein Geschrei:
Auf daß ein Doctor schwatzhaft sei,
So muß man ihm mit Geld hofieren.

Denn das Geld ist das Gelenk, ohne das ein Jurist lahm ist in seinem Hirn und an seiner Zunge, der Geist, ohne den er nicht leben kann, das Licht seines Verstandes, ohne welches er nichts Rechtes gut sehen kann. Wirst du ihn aber die Schmieralien hören und sehen lassen, wohlan! so wird er dich bis an die Hausthür begleiten und hunderterlei Complimente machen. Wenn du ihm dann schließlich das Schmiergeld darreichst: Ei ja wohl, Herr! Ei, mein Herr! Es schickt sich nicht, Herr! Es kommt wohl noch! wird er sagen, doch inzwischen die Arme ausstrecken, mit seinen Klauen die Dukaten ergreifen und die Hände fester halten als einer, der die fallende Sucht hat. ›Wie flink auch seine Worte sind, seine Hand ist doch hurtiger: noch ist seine Zunge nicht fertig, so ist es schon seine Hand‹ (Mart. 14, 206); und dann: Ich bin des Herren Diener! – ja des Teufels! Der Arzt wird nur von unsern Krankheiten, der Jurist nur von unsern Thorheiten fett. –

Als mich nun Schickot so alles, wie es hergeht, erzählen hörte, sprach er: »Hoho! das ist zu grob! Hurtig und stopfe mir den Kolben wieder zu, damit keine so giftige Luft zu mir hereinkomme und mein Wesen und Genesen verhindere. Denn ich will nicht von hinnen, bis die Welt von solchen Blutsaugern gereinigt ist, oder aufs

wenigste das Sprichwort wahr gemacht werde, das da sagt: wer nicht Processe haben will, muß den Sachwalter des Widerparts bestechen, dieweil

Geld, das stumm ist,
Macht richt, was krumm ist;

denn wie du deinen Anwalt durch das Geld kannst gewinnen, daß er schwatze und sich deiner Sache mit Leib und Seele annehme, wie lose sie auch sei, so kannst du auch deines Gegentheils Anwalt gewinnen, daß er schweige. Und das ist wahr bei den meisten, so wahr als Gott lebt! Ach

Je mehr Geld, je mehr Recht;
Je mehr Lohn, je mehr Knecht;

daher muß der Advocat reich werden. ›Wenn du aber klug bist, so bezahle, ehe der Richter und der Advocat dein Geld begehren, es lieber gleich deinem Gläubiger‹ (Mart. 2, 13); denn besser ein magerer Vertrag, als ein fettes Urtheil. Drum wer nicht bezahlen will, was er mit Recht schuldig ist, der muß hernach mit Recht bezahlen, was er nicht schuldig ist. Und freilich ist das wahr:

›Wenn wir nach der Natur fein lebten und stets thäten,
So hätten wir den Arzt gewiß niemals vonnöthen;
Und wenn wir wären klug, wir haßten Zänkerei
Und hätten Abscheu vor der Zungendrescherei:
Dann würde Bartolus im Bücherschranke stecken.
Und den Hippokrates die Maus voll Junge hecken.‹
              (Owen, 3, 123).

»Aber sage mir, sprach der Schwarzkünstler weiter, hat es auch noch Meutmacher und Rebellen in den Städten hin und wieder?« – Das ist, sagte ich, eine allgemeine Krankheit, so daß jetzt nicht leicht eine Stadt oder ein Reich davon befreit ist. »So begehre ich, sprach er, nicht von hinnen zu scheiden. Doch es ist mein Begehren, du mögest solchen Hans-Gerngroßen ansagen, daß ihnen ihr Hochmuth und ihre Thorheit böse soll vergolten werden, wie dem Fettmilch zu Frankfurt.Im Jahre 1616 den 28. Febr. wurden auf Befehl Kaisers Mathias in Frankfurt der Lebküchner Fettmilch, der Schneider Schoppe und der Schreiner Gerngroß hingerichtet, weil sie wiederholt Aufruhr erregt hatten zu dem Zwecke neue Privilegien zu erlangen. S. Gebhard Florians Chronik der Stadt Frankfurt. Frkf. 1706, Bd. l. Sie mögen bedenken, daß die großen Herren lange Hände haben. Große Herren sind geartet wie das Quecksilber: denn so man dieses drücken und festhalten will, flieht es unter den Händen und verschwindet. So geht's auch denen, die sich an großen Herren reiben wollen mehr als Billigkeit und Standesgebühr erlaubt. Das Quecksilber kann nimmer still stehen. Also auch Könige und Herren: wenn man meint, sie seien weit, so sind sie am nächsten. Die stetigen unmäßigen Geschäfte, mit welchen sie für ein ganzes Land beladen sind, machen, daß sie bald hier bald dort zu finden sind. Die mit Quecksilber arbeiten und umgehen, zittern gemeiniglich an ihren Gliedern: also sollen auch die beschaffen sein, welche mit großen Herren umgehen: sie sollen allezeit mit gebührender Ehrerweisung und Furcht erzittern, sonst wird es geschehen, daß sie endlich in Ermangelung jenes nicht nur erzittern müssen, sondern gar zu Boden fallen und verderben.«

Als ich mein Gespräch weiter führen wollte, kam einer mit einem aufgeschlagenen Buch in der rechten Hand daher geschlürft; dessen Gesicht war ganz mit Haaren umwachsen, so daß man zwei Polsterkissen davon hätte ausfüllen können, und ich ihn für einen wilden Mann hielt, wie sie in den Landen der Maler noch heutiges Tages gefunden und auf den pommerschen und lüneburgischen Thalern gesehen werden. Da ich ihn nun halb mit Furcht, halb mit Verwunderung angesehen hatte, trat er grade gegen mich zu und sprach: »Meine Kunst und Weisheit giebt mir so viel zu erkennen, und ich sehe, daß ihr gern wissen möchtet, wer ich bin. Ich bin Herr Lug-in's-Land, der gewisseste Sterngucker, der je geguckt und heutiges Tages mag gefunden werden.« – Ist's möglich, sagte ich, daß die erlogenen Weissagungen, die man hin und wieder in Deutschland unter eurem Namen findet, eures Gespinnstes und Gedichtes sind? – »Du unverständiger Tropf, sprach er im Zorn, wie kannst du so frevelhaft sein, daß du sie erlogene Weissagungen nennst und meine Person so verlachst, der ich doch als Schicksalsdeuter des Himmels Heimlichkeiten allein weiß und offenbare. Ihr tollen Weltkinder seid es so gewohnt, daß, wenn ein Ding über die

Elle eures Verstandes und über das Gewicht eures Hirns ist, ihr es alsbald verachtet und thörichter Weise verlacht. Ich bin ja so närrisch nicht in meinen Weissagungen wie jener Bruder, daß ich neben tausend anderen offenbar lächerlichen Phantastereien dasjenige für eine hohe Heimlichkeit ausschreie und ausschreibe, was man auch in den Scheer- und Spinnstuben weiß, und die Fuhrleute alle selbst wohl verstehen. So: wer jetzt gut schmiert, der wird gut fahren. Venuskinder leiden viel Anstöße. Was hört man Neues? Viel unvorhergesehene Geschichten, viel Geld, aber geringe Zahlung; o des Plunders! Große Herren bedürfen Raths. Etwas Neues. Hab' gut Sorg'. Den Weibern einträglich u. s. w.; dieser hochheimlichen Reden Deutung auszulegen, ist einem Bauern nicht unmöglich und könnte ein Kind errathen. Wie großen Mangel haben dieses Jahr die unsternigen Stern-Messer an Hirn und Verstand, so daß man sagt: wie soll uns dieser weisen, was gut ist? Aber meine wahrhaftigen, nachdenklichen Worte haben ein ganz anderes Geheimnis in sich, und es wird keiner so viehisch geartet sein, daß er mein Werk ein erlogenes Gespinnst und Gedicht sollte nennen. Zum Wahrzeichen:

Wenn ich heut' und alle Tag'
Kreuzweis thät die Welt durchgehen,
So befind ich doch, es mag
Nichts, als was Gott will, geschehen.

Ihr Gottesverächter, die ihr seid: wie könnte eine Weissagung wahrhaftiger sein? Aber ihr seid in der Welt den Lastern und Sünden so ergeben, daß ihr bald weder an Gott noch an seine Regierung mehr glauben wollt. Wenn ich euch von Thalern predigte, das wäre nach eurer Meinung! Denn das Geld ist heut' einzig und allein der Welt Augenmaß und Zweck, wohin alle menschlichen Sinne und Gedanken gehen, zielen und zusammenkommen. Es ist der Welt höchstes Gut und Meister, welches die ganze Welt meistert, regiert und verführt. Viele lassen sich mit Geld bestechen und es bewegt auch wohl der Könige Herzen. Alles gehorcht dem Gelde.

Wie viel ein jeder hat Silber und Gold,
So viel ist ihm auch jetzt die Welt hold.

Wäre Salomon noch am Leben,
Dem Gott viele Weisheit gegeben,
Und hätte er kein Geld oder Gold,
Die Welt wäre ihm nimmer hold.Aus dem »Reineke Fuchs« in niedersächsischer Sprache aus der letzten Hälfte des 15. Jahrhunderts.

Das ist das erste. Nun noch ein anderes Wahrzeichen:

Nach dem uralten Brauch auf Erden
Viel' Weiber werden Mütter werden –
Und die Kinder insgemein
Ihrer Väter Kinder sein.

Ist das nicht eine wahrhaftige Weissagung? Vielleicht möchtest du denken, sie sei lächerlich, weil man sie auch vorher gewußt hat. Aber gut! Ich höre eben, daß die lautere und bekannte Wahrheit euch zum Gespött und Gelächter dient. Wie aber sollte man euch dies Gericht anders kochen? Denn wahrlich! es sind viele Männer, denen es sich oft ereignen würde, wenn sie eine genaue Nachforschung oder Nachrechnung und Gegenbuch halten wollten, daß ihnen ein Kind Vater zuruft, welches doch nimmer von ihrem Leibe hergekommen ist! Es ist gefährlich ein Urtheil zu fällen über ein Ding, das im Finstern geschieht und wobei man keine Zeugen herzufordert, sondern wo alles blindlings hergeht. Es muß ein guter frommer Mann seinem listigen Weibe, dieser Anfechtung wegen, in diesem heiklen Punkte unbedingt und blos obenhin glauben. ›Keiner, als Adam, ist seiner Frau, keine, als Eva, ist ihres Mannes gewiß. Was bleibt Eheleuten, besonders dem armen Manne, in diesem Punkte für ein anderer Trost übrig, als nur der gute Glaube?‹ (Owen 5, 211.) Ein Weib hüten, wenn sie nicht selbst fromm sein will, ist unmöglich.

Ein Sauhirt, der hütet bei dem Korn,
Der muß hüten hinten und vorn;
Ein Roßhirt bei einem Haferacker
Muß allzeit munter sein und wacker;
Ein Kuhhirt unten und oben wehrt,
Wenn er bei einer Matte fährt;
Ein Geißhirt bei einem Krautgarten
Auf jeden Sprung muß fleißig warten.

Wer aber hütet ein junges Weib,
Der seh', daß er bei Sinnen bleib':
Fürchtet sie nicht Gott und Mannes Zorn,
So ist all' Hut und Wacht verlor'n.

Sie zwar, die Mütter, sind ihrer Sache gewiß, daher kommt es auch, daß sie ihre Kinder inbrünstiger lieben als ihre Männer. Gleichwohl aber muß ein ehrlicher Mann bescheiden sein und von seinem ehrlichen Weibe nichts, als was ehrlich ist, halten, damit es ihm nicht ergehe wie jenem, welcher, als er sein Kind einstmals fleißig an- und ernstlich beschaute und sein Weib fragte, warum? sprach: mein liebes Weib, ich möchte doch wahrhaftig wissen, ob dieses Kind mein rechtes, natürliches, eigenes Kind wäre? – Das Weib, listig und doch entrüstet wegen der unnöthigen Frage, sprach zu ihm: mein lieber Mann, zweifelt ihr, daß dies euer Kind sei? Nun so werdet ihr doch nicht daran zweifeln, daß es mein Kind sei? – Das weiß ich sehr wohl, sprach der Mann. – Wohlan, sprach das Weib sodann, weil ihr es nun für gewiß glaubt, daß es mein Kind sei, wie es denn auch ist, so schenke ich es euch hiermit von Grund meines Herzens. Jetzt könnt ihr gewiß sagen, daß es euer eigen Kind sei! – Der gute Mann, dem der unnütze Vorwitz hiermit redlich vergolten war, wurde durch solche Antwort viel mehr bestürzt und wünschte, daß er sein Lebtag nicht gezweifelt oder gefragt hätte.

Gleichwohl geht es je zuweilen auch 'rüber und 'nüber, drunter und drüber, drum und dran, und es wird sich noch im folgenden Gesicht offenbar zeigen, daß mancher große Herr in der Welt irgend einen Edelknaben, einen Aufwärter, einen Hof- und Leibarzt, einen Lautenisten, einen Kammerdiener, einen Küfer, einen Kellermeister, ja sogar einen Müller, Bäcker oder sonst einen starken Bengel für seinen Vater wird erkennen und annehmen müssen. Wie mancher große Herr wird alsdann sehen und in der That erfahren, daß sein Geschlecht und seine Linie aufgehört haben, und die Länder wider sein Meinen und Wissen vielleicht von einem Beichtvater, Hofmeister oder einem andern fortregiert werden. Denn da wird die Wahrheit an und für sich selbst heller leuchten als die klare Sonne mit ihren Strahlen.«

Ich muß gestehen, sagte ich, daß eure Weissagungen um so höher zu preisen sind, weil sie nüchtern und ohne Prophetenrausch geschehen, mit Augen zu sehen, mit Händen zu greifen, ja oftmals zu riechen und zu schmecken sind, und gleichwohl solche Geheimnisse in sich haben, die der Witzigste bisweilen nicht verstehen, aber doch ein Alberner unschwer merken kann. – Unter diesen Worten verschwand der gute Lug-in's-Land vor meinen Augen.

Bald darauf hörte ich einen, der mich mit Namen rief; und als ich der Stimme folgte, sah ich einen dürren, elenden Tod mit traurigem Angesicht, ganz bleich und erschrocken. »Ach! sprach er, bist du je ein Christenmensch, so bitte ich dich, habe Erbarmen mit mir, daß ich künftig von den losen Schwätzern, Mährensagern, Zahnschreiern, verlogenen Weibern und Gesellen unvexirt bleibe, ich möchte lieber alles leiden und ausstehen, was ein elender Tropf sonst auszustehen hat;« und dabei weinte der arme Tod wie ein Kind. – Wer seid ihr denn, fragte ich, daß es euch so hinderlich geht? »Ach, sprach er, ich bin sonst ein guter, ehrlicher Gesell von sehr altem Herkommen, außer daß lose Leute je zu Zeiten meinen Namen zu tausenderlei unehrlichen, ungebührlichen Händeln und Geschichten gebrauchen, wodurch ich denn in so elenden Stand gerathen bin. Ich bin der arme »Jener-dort«, der »Einer« – bei den Franzosen l'autre auch un quidam genannt. Es ist nicht gut möglich, daß du nicht solltest von mir haben erzählen hören: denn es giebt ja nichts, was jener nicht sagt oder thut. Wenn ihr Menschen etwas mit gutem Gewissen und mit Manier nicht behaupten könnt, so sagt ihr nur ›wie Jener spricht‹, ›wie einmal Einer sagte‹ – während ich doch meinen Mund nicht aufthue, sondern stillschweige wie ein Schaf. Die Lateiner nennen mich Quidam und bedienen sich meines Namens, nur um das Geschwätz desto größer zu machen, und daß der Zeilen desto mehr werden möchten. Bitte also, wenn du wieder auf die Welt kommst, mir den Dienst zu erweisen und öffentlich zu sagen, daß du den Quidam selbst gesehen hast: er sei der unschuldigste Kerl, den man finden kann, er habe niemals etwas geschrieben, er sage nichts, er habe niemals etwas gesagt, er wolle auch nimmer etwas sagen, und daß alle die, welche mich als ihren Mann und Anbringer citiren, es erlogen hätten, damit in das Künftige solcher Lug und Trug gemäßigt und mancher leichtgläubige Mensch nicht so bald betrogen werde. Es geschieht auch, daß sie mich oft nennen ›ein gewisser, guter Gesell‹, ›ein guter Kerl‹, ›ein guter Freund‹, bisweilen ›Einer – er will mir jetzt nicht einfallen‹, ›ich weiß nicht wer‹ u.s.w. Die Herren Gelehrten nennen mich in ihren Sprüchen und Schriften ›certum aliquem auctorem, einen gewissen Mann‹ – alles nur zu dem Ende, damit der arme Jener desto mehr gemartert werde und alle Schuld auf ihn komme.« Darauf habe ich versprochen, das Beste seinetwegen vorzubringen, wie ich denn dieses den Actis zu inseriren hiermit vor Notar und Zeugen will referirt haben.

Indem vernahm ich ein Geschrei eines Vogels: Duhu! Puhu! Uhu! Huruh! woraus ich merken konnte, daß es eine Nachteule oder ein Uhu sein mußte, wie denn auch alsbald eine in vierschrötiger Gestalt dahergeflogen kam. – Wie? fragte ich, giebt es auch Vögel bei und unter den todten Menschen? Was mag das für eine Bedeutung haben? »Wenn dir, sprach ein Tod, dieses Vogels Natur und Eigenschaft bekannt ist, so kannst du seine Bedeutung unschwer selbst errathen. Zuvörderst aber magst du wissen, daß es ebenfalls eines Menschen Tod ist: denn wie die Menschen sich in ihrem Leben verhalten und sündigen, so wird ihnen im Tode gelohnt; wie die Sünde, so der Lohn. Tyrannen, Verfolger, Räuber, Mörder, weil sie sich in ihrem Leben als Löwen, Bären, Wölfe gezeigt haben, werden nach ihrem Leben mit denselben Teufelsgestalten wiederum gepeinigt. Ein Schindhund, ein Geizhals muß sich da als ein Hund wiederum quälen; ein Dieb wird mit Raben, ein Gotteslästerer mit Teufelszungen geplagt werden; zwar nicht auf heidnische, pythagoräische Weise, als ob eines Menschen Seele nach dem Tode in dergleichen Thiere führe und umherschwärme, sondern indem die bösen Geister in eben solchen Gestalten ihnen die verdiente Pein und Plage anthun. Also ist auch dieser Vogel eines Menschen Tod, der sich in seinem Leben wie ein Uhu oder eine Eule verhalten hat, weshalb er denn noch den Ueberlebenden allhier zum Spiegel dienen und umherfliegen muß. Denn er war in der Zeit seines Lebens ein Verleumder, ein falscher Freund, ein Lügenschmied, ein Verräther, ein Afterreder, der jedermann gute Worte versprach, dagegen alles übel auslegte, alles deutelte und drehte wie er wollte, damit er jedem könnte eins auswischen und ein Bein vor das Glück schlagen. Darum, gleichwie die Römer den Rathsbeschluß gegeben haben: falsche Angeber zu den Löwen! so heißt es hier bei den Todten: Verleumder zu den Nachteulen! Denn erstlich: wo dieser ungeheure, schreckliche, verhaßte, feindselige, leidige, höllische Vogel wohnt, da ist nichts als Unheil und Fluch zu hoffen. Als daher eine Eule zu Rom in das Capitolium geflogen war, unter dem Consulat des Papellius Ister und L. Pedianus, hat man eine allgemeine Haussuchung thun lassen um zu sehen, ob keine Verrätherei vorhanden wäre. So hat auch dieser Todte sich in seinem Leben gegen alle Menschen dermaßen verhalten, daß, wer seiner ansichtig geworden ist, sich wie vor einem feindseligen, heilstörenden Manne gesegnet hat. Zweitens: die Eule ist ein Trauervogel, traurig bei Tag, lustig bei Nacht, also ein Verleumder; wenn es dem Nächsten wohl geht, so ist er traurig, ist verschlossen und trachtet nach Rache und Hinterlist; wenn es jenem übel geht, so ist sein Herz fröhlich – ein Schadenfroher, der sich hervor thut, wie das Unreine im Wurfsieb. Drittens: die Eule hat weder Gesang noch Klang, sondern ein fürchterliches Geheul. Also schwatzt ein Verleumder, was ihm in das Maul kommt; man sage ihm recht oder unrecht, er bleibt auf seinen fünf Augen; alles wird getadelt und gescholten, obwohl er weiß, daß er unrecht daran thut; alles muß herausgeplaudert sein, es sei für oder wider den Mann, es sei für oder wider die Sache; – und doch meint der Esel, der Vogel, sein Geschrei allein gehe über vier Stimmen, und es sei alles Heilthum, was er vorbringe und rede. Viertens: die Eule ist ein wüster, unflätiger Vogel, welcher die Orte, wo er sich aufhält, mit seinem Koth beschmeißt und beschmutzt. Also beschmeißt ein Verleumder eines jeden guten Namen und Leumund, in der Hoffnung des ›Calumniareaudacter, semper aliquid haeret‹, er werde so grob nicht aufgeschnitten und gelogen haben, man werde doch jemand finden, der etwas daran glaube. Und je aufrichtiger und redlicher ein Mensch ist in seinem Wandel, je eher wird ein Verleumder etwas an ihm zu tadeln finden. Aber den halte ich für unglücklich, dem niemand gefällt. Fünftens: die Eule macht fast ein menschlich Gesicht. Ein Verleumder stellt sich ähnlich mitleidig und als ginge ihm seines Nächsten Unfall zu Herzen; aber es ist nur eine Larve, eine Verstellung, denn das Innere ist voller Falschheit und Trug. Sechstens: die Eule ist ein Nacht- und Nebelvogel. Also scheut ein Verleumder das Licht der Wahrheit, verachtet und verkleinert seine nächsten Freunde hinterwärts, giebt gute Worte ins Angesicht und Striemen in den Rücken, vorn: Gehorsamer Diener! hinten: Nimm dich in Acht! redet, was man gern hört, aber heuchelt und geht auf Hohn, Schimpf, Lügen und Betrügen aus, leckt mit der Zunge, und beißt mit dem Herzen. Siebentes: die Eule sieht man auf Thürmen, Kirchen und Häusern sitzen. Ein Verleumder tritt das Regiment mit Füßen, geht mit Gericht und Gerechtigkeit um wie die Sau mit einem Bettelsack, kann von nichts weiter als von Recht reden und klagen, dem er doch selbst vor dem Lichte steht und es verhindert, dreht und lenkt, je nachdem er es für sich am nützlichsten und vorteilhaftesten findet. Er verspottet, verachtet und verlacht Gottes Wort und die Geistlichen in ihrem Amt und Wesen, feindet dieselben an wie ein Epicuräer, verfolgt sie heimlich und öffentlich, bringt sie um Dienst und Wohlfahrt, dräut ihnen auf Leib und Leben, und will doch um solcher Untugenden willen nimmer gestraft werden. Er sitzt auf Häusern, wo er kann, wirft unter Eheleute und Verwandte in manchem Hauswesen einen Zankapfel, hetzt alle an einander, erbittert jeden gegen den andern, damit sie in stetigem Streit und Hader leben, während er seine Schelmenlust und seinen Diebsvortheil an jedem sucht. Achtens: die Eule wird gleichsam ›Eile‹ genannt. Also ist ein Verleumder, der über jedwedes ehrliche Handlungen urtheilt, ehe sie recht angefangen haben. Aber wie man einem Narren kein ungemachtes Werk weisen soll, so ist Urtheilen, ehe man dazu aufgefordert wird, das Thun eines Narren.«

Als der Todte dieses Lehrgespräch von dem ungehobelten und ungeheuern Vogel und Verleumder zu Ende gebracht hatte, dachte ich bei mir: O du unseliger, gottvergessener Vogel! solltest du ein Mensch gewesen sein und menschliche Ehre und Ehrbarkeit so sehr verachtet haben? Nun hast du erfahren, daß ein so falscher Mann, ein Verleumder, ein Spötter eben so viel seinem Nächsten schaden kann, als er sich und seinen Erben eine ewige Last, ewige Unruhe, Feindschaft, Verspottung und Verachtung auf den Hals ladet. Wie stehen dergleichen leichtsinnige Stücke einem Manne, insonderheit wenn er in einem Amte sitzt, so übel an. Wer ein halbes Herz und zwei Zungen hat, der ist wohl ein recht ungeheurer Vogel, ein rechtes Wunderthier; aber der Schade wird ihm allein sein.

Nun so sag' ich sonder Lügen,
Daß ein Esel lerne fliegen,
Weil ein so ungehobelter Mann
Zum leichten Vogel werden kann.

Da kam ein anderer Tod auf mich zu. Doch kann ich eigentlich nicht wissen, ob er todt oder lebendig gewesen ist, denn er war anzusehen wie Beides und doch keins: er war köstlich bekleidet und hatte eine große goldene Kette vom Halse herabhängen. Als ich nun einen Tod, der bei mir stand, fragte, wer dieser wäre? gab er mir zur Antwort: wie es möglich sein könnte, daß ich den nicht kennen sollte, von dem ich doch selbst auf der Welt bereits so viel gehört und geredet hätte. Er wäre, sprach er weiter, die berühmteste Person auf Erden, die in allen Ständen und Aemtern, in allen Spielen und Händeln den Vor- und Nachzug hätte.Er meint den Zeitgeist. Es wäre derjenige, welcher das verderbliche böhmische Unwesen angezettelt, der auch einen allgemeinen deutschen, redlichen, beständigen Frieden zu befördern, sich unlängst aus dem Tage zu Nürnberg, auch hernach zu Osnabrück und MünstersUm den verheerenden Krieg zu beenden, waren mehrmals Friedenseinleitungen versucht worden, die aber an dem Eigennutz und Uebermuth der Parteien scheiterten. So waren 1641 die beiden Städte Münster und Osnabrück zu Friedensunterhandlungen ausersehen. Doch kam der Friede erst 1648 zu Stande. ohne List und Lust, ohne Falsch und Schein, ohne Dein und Mein, ohne eigen Nieß und Nutz habe angelegen sein lassen. Er wäre vordem ein Land- und Stadtrichter gewesen, habe aber von keinem Menschen je Geschenke genommen; könne sich wegen seiner allbekannten Aufrichtigkeit wohl selbst das Recht sprechen, zugleich Richter und Zeuge in einer Sache sein; dürfe für sich selbst Zeugnis ablegen, könne sich selbst Gewalt geben in allen Dingen, dürfe beim Rechten die Wahrheit aus Staatsgründen zu seinem Vortheil läugnen und verschweigen ohne Verletzung seines Gewissens; er sage seine eigenen Fehler und Mängel selbst, könne sich auch selbst helfen in allen vorfallenden Sachen; er wäre ohne Sünde gestorben und gleichwohl lebe er noch nach seinem Tode; hätte niemals seine eigenen Blutsfreunde verfuchsschwänzt oder verrathen, hätte diesen auch nimmermehr nach ihrem Glück und ihren Aemtern getrachtet, noch es heimlich wider sie gehalten, wenn er seinen Nutzen dabei hätte suchen können; sondern er lasse sich ihre Noth angelegen sein, wie seine eigene; er sei schneller als Ahasael2. Samuel 2, 18. und sei dem Tode selbst einige Male entlaufen; er wisse alle Dinge, daher könne er wegen seiner großen Geschicklichkeit auch zwei Herren dienen; er könne die Welt regieren ohne Tadel und jedwedem Recht schaffen, insonderheit zu Hofe, und könne einem andern geben, was er selbst nicht habe; er habe auch, als er lebendig gestorben sei, all sein Gut mit sich hierher genommen.

Indem mir der Tod dieses so erzählte, sah ich viele Todte dahergelaufen kommen mit langen, grob leinenen Kitteln angethan, die hoben an zu jammern und zu

schreien: Ist denn niemand da, ist denn niemand da, der sich unserer Noth von Herzen erbarmen und annehmen und die undeutschen, fremden Völker mit ihren fremden Lastern, ihren Gewalttaten, Schindereien, Markaussaugen und Gotteslästern aus unserm Vaterlande wegtreiben wolle?

Sie hatten kaum diese Worte geredet, siehe, da lief mein Wundermann mit großer Eile und sonderlichem Eifer und Ernst davon und an den Ort, wo der Mangel oder vielmehr die Noth am größten war. Und als ich den umstehenden Todtenhaufen eingehend fragte, wer doch dieser Wundermann wäre, den sie mir bisher so höchlich herausgestrichen hätten, der auch eben wieder den Westreicher KothschänzenEs sind die Franzosen oder Pariser gemeint; Paris heißt Lutetia d. i. Kothstadt; Schänze sind Körbe, Säcke. gegen die Feinde so geschwind und treulich zu Hilfe gelaufen wäre – sprachen sie: er wäre ja ein rechter Wundermann, der jedem, ja dem Teufel selbst, aus der Hölle helfen könne; sein Name aber sei Niemand. – Als ich das hörte, sprach ich: Mir ist genug gesagt! Verständigen ist gut predigen: denn ich hatte in der That selbst erfahren, daß dieses Alles wahrhaftig wahr sei.

Als ich eben weiter gehen wollte, begegnete mir ein altes Weib, einer ehrbaren Matrone sich gleichstellend, die da etliche Worte in sich hinein murmelte, doch mehr mit dem Kinn und den Lippen, als mit der Zunge sie formirend. Ich sah das alte Wetter mit Furcht und Schrecken an, denn sie war ein abscheuliches Bild. Die Augen standen ihr im Kopf wie zwei feuerrothe Büchsen, triefend und rinnend wie ein Gießfaßhahn. Ihr ganzes Angesicht war von Farbe wie die Fußsohlen eines Menschen; blaue Lippen, über welche ein langer, ungeheurer Destillirschnabel hing, der ohne Unterlaß rotzzapfiger Weise herabtropfte. Sie hatte einen Knebelbart, wie die federfüßigen jungen Tauben mit Stoppeln ausstaffirt, und nicht mehr Zähne im Munde wie eine Lamprete;Ist ironisch zu nehmen; denn die Lamprete, ein Seefisch, hat mehrere Reihen spitziger Zähne. ihre Wangen waren gleich eines Affen Backen, worin sie oft einen ganzen Hausrath verbergen können; ihr Kopf tanzte einher wie eine Schafschelle. Ihre Sprache lautete, als ob sie über Steine stolperte; der Leib stak in einem langen schwarzen Weibermantel, den sie von dem Kopf herabhängen hatte. Sie hielt einen großen Hebel in der Hand, auf den sie das alte, wackelnde Gebäu stützte, daß es nicht zu Haufen fiele. Unter dem Reden hustete sie zu jedem Wort und warf dabei solchen Unflat und Koth aus, daß ich in Furcht stand, sie möchte mich damit an einem Schenkel lähmen. Ihre ganze Gestalt war, als ob zwei Schindelbretter zusammengeheftet worden seien. Ihr Athem roch von ferne wie ein Aas in den Hundstagen. – O des armen Mannes, dachte ich, der einen so wüsten Wust zum Weibe hat und behalten muß!

Wer ein Pferd hat, das hinkt,
Ein Weib, dem der Athem stinkt.
Ein Ofen, der stets raucht,
Ein Bett, das voll Wanzen kreucht,
Einen löcherichten BruchDer ›Bruch‹ bedeutet, besonders in der Schweiz, eine Art weiter Beinkleider.
Und zwei bodenlose Schuh,
Auf seinem Haus ein schlechtes Dach –
Der Mann hat großes Ungemach.

Als ich nun ernstlich dieses alte Muster, diesen Inbegriff des vorigen Jahrhunderts, betrachtet hatte und meinte, daß sie nach der Weise der alten Leute nicht gut würde hören können, fing ich an ihr überlaut zuzurufen: Altmutterl Holla! he! Altmutter! He! Altmutter! Hört ihr wohl? – Da hob sie das alte Gesicht auf und setzte eine hundertjährige Brille auf die Nase, damit sie mich desto besser ansehen oder vielmehr durchsehen möchte (denn sie war zornig, daß ich sie Altmutter betitelt hatte) und sagte: »Was! ich bin nicht taub; auch bin ich keine Altmutter, wie du junger Lecker meinst. Ich habe meinen ehrlichen Namen und bin allezeit als eine ehrliche Matrone respectirt worden!« – und sie kam aus mich zu mit ihrem Bengel. Ich aber, halb erschrocken wie vor einem wiedererwachten Todten, sprach: Ehrliebende Frau Matrone! ich bitte, ihr wollet mir diese begangene Unhöflichkeit zu gut halten und mich eures rechten Namens würdigen, damit ich die gebührende Schuldigkeit bei euch ablegen kann. »Ich heiße, sprach sie, Papel-Ann', und bin an einem vornehmen Herrenhofe lange Zeit Verwalterin oder Haushofmeisterin und Aufseherin gewesen.« – Als ich das hörte – wie? fragte ich (wegen des zu Hofe erlittenen vielen Verdrusses und Aergers): hat der Teufel auch solche Leute hierher gemacht? Ich habe vermeint, der Erdboden sei allein mit solchen Unthieren vergiftet! Dann haben wahrlich die armen Todten wohl Ursach', aus der Litanei zu sprechen: erlöse uns, Herr! und mögen sie ruhen in Frieden! Wahrlich, so lange ihr hier seid, ist es unmöglich, daß auch die Todten ruhig in Frieden leben können. Ihr habt vorher leider nicht geglaubt, daß die Aufseherinnen auch sterblich seien, aber nun müßt ihr es glauben, weil ihr spürt, daß all' eure Macht und Gewalt, die ihr vordem wider unschuldige, ehrliche Leute unchristlicher Weise verübt habt, nun endlich darnieder liegt, und weil eure verübte Heuchelei, Falschheit, Dieberei, Betrügerei, Hurerei, Zauberei und andere lose Stücke an das helle Tageslicht werden gekommen sein, wie ich dein selbst einen guten Theil derselben der Welt noch werde kund thun. – Da fuhr sie mit ungestümen Worten auf: »Daß dich Sankt Veltens KrisamDas ist: die fallende Sucht. anstoß'! Daß dich das Fieber schüttle! Du Bösewicht, du Dieb! Daß dich Veitstanz ankomme! Weißt du mir sonst nichts mehr zu Leide zu thun, als mir die alten Stücke vorzurücken, worüber ich mich ohnehin schon genug beklagen muß? Ist denn keine Aufseherin mehr auf der Welt, die es ebenso arg als ich oder wohl ärger macht? Warum reibst du dich nicht an diesen und lassest mich passiren? Komm' her zu mir, daß ich dich antasten kann?« – Ich dachte aber, nein, der Teufel traue einem bösen Weibe und sprach: Nun, nun, Frau Hofmeisterin! seid nicht so zornig! Es soll forthin eurer in Ehren nicht mehr gedacht werden.

Sagt aber an, was schafft ihr Gutes hier? »Es ist acht Jahre her, sprach sie, daß ich mit meiner Lehrmutter, der Alten von Niederwiesen, in der Hölle gewesen bin und beim Lucifer angefragt habe, ob man nicht ein Stift oder einen Orden von unsern Schwestern, den Aufseherinnen, Schließerinnen, Wärterinnen errichten und erhalten könnte; aber die gnädigen Herren Teufel haben sich darüber noch nicht erklären wollen, geben vor, daß wir ihnen den Handel in der Hölle verderben würden und man sie alsdann nicht mehr brauchen möchte, um die Menschen zu peinigen, weil wir soviel Unheil auf der Welt, insonderheit zu Hofe, anzustiften vermögen, so daß man der Teufel bald gar nicht mehr wird bedürfen. Es haben sich die Teufel aus Furcht, daß wir sie in ihrer hergebrachten, alten Berechtigung hindern möchten, vor uns gesegnet und verkrochen. Was den Himmel anlangt, so haben wir ohnehin nichts zu beanspruchen, wohl wissend, daß die Aufseherinnen, Anstifterinnen, Fuchsschwänzerinnen, Zankeisen, Haderkatzen keinen Zugang allda haben. Auch die Todten allhier sind gar nicht mit uns zufrieden, indem sie sagen, warum wir sie nicht in Ruhe und todt lassen und ihrer, nach dem Leben, schonen? So haben wir nun Grund, uns wieder auf die Erde zu begeben zu den lebendigen Menschen und dort in aller Teufel Namen zu bleiben von Ewigkeit zu Ewigkeit. Aber wir haben uns hierauf noch nicht erklärt, sondern bei uns fest beschlossen nicht von hinnen zu weichen, weil wir uns, während wir auf der Welt waren, elendig mußten plagen und peinigen lassen. Denn sobald nur etwas zu Haus oder zu Hofe geschah oder vorging, so war gleich der gemeine Argwohn und die Rede: ›Ha! die Haushofmeisterin hat's gethan! Die Fuchsschwänzerin hat es angestiftet: sie hat sich so gut gehalten! Die Schließerin hat sich so wohl bemacht! Das alte Wetter hat das Fleisch, das Wildpret, die Häringe, die Pasteten verdorben und lieber die Würmer drin wachsen oder es vor Fäulnis ins Wasser werfen lassen, ehe sie einen armen Menschen damit gelabt hätte! Und gleichwohl, wer, ungeachtet ihrer großen Untreue, es nicht mit ihr und sie in Ehren hält, der hat verloren!‹ Kurz, was auch immer bei Hofe geschehen mag, das nicht recht ist, wir armen Leute müssen, weil wir der Herrschaft Nutzen so treulich suchen, dasselbe alles gethan haben. Wird etwa ein alter Strumpf, ein altes Schnupftuch verloren, so fehlt es nicht, sondern man wird alsbald sagen: ›Ha! daß man nur bei der Aufseherin oder Wärterin suche, wer sollte es sonst haben!‹ Ist etwa ein armes Stückchen Tuch, Taffet, Borte oder sonst etwas verloren gegangen: ›Ha! die Wärterin ist soeben dagewesen, wer wollt' es sonst gethan haben!‹ So hat man uns aus der Welt nur für Narren gehalten und wir sollten billig lieber unter den Teufeln wohnen als unter so mißtrauischen Menschen. Die Diener und das Gesinde zu Hof und Haus sagen, wir seien Fuchsschwänzerinnen, Ohrenbläserinnen, Mährenträgerinnen, Lügensagerinnen; und sie würden kaum von einer Base oder einem Vetter besucht, gleich wären sie ausgespäht und verrathen. Und sie haben dessen Ursach: denn wir haben uns nicht gescheut, auch das Geringste, wenn es auch nicht wahr war, und wir einer Person nicht günstig waren, anzubringen und mit Teufelholen und Eiden zu betheuern. Die Herren im Hause selbst sagen, daß wir zu nichts nützen, als nur das Hauswesen zu beunruhigen, Zank und Hader zu stiften und das Gesinde an einander zu hetzen. Aber daran sind unsere gnädigen Frauen meist selber schuld, die da meinen, wenn die Diener und das Gesinde zu Hofe einig seien, so gehe es über die Herrschaft her, die leide alsdann den Schaden. Darum also ist unser Name und Wesen bei männiglich mehr verhaßt als der Galgen, ja der Teufel selbst.

Als neulich einer von Adel, ein Deutscher, durch Metz auf Paris reisen wollte und unterwegs vier Meilen von Metz bei Wahlen fragte, wo er einkehren und Nachtlager haben könnte? ihm aber einer sagte, es wäre eine gute Herberge unfern in einem Dorfe, wo die Wirthin zuvor Haushofmeisterin im Schlosse gewesen wäre, die aber die Gäste vortrefflich zu bewirthen verstünde: da fragte er weiter, ob denn kein anderer Ort und keine andere Gelegenheit zu Herbergen in der Nähe wäre? Und als jener ihm wieder antwortete: nein, es sei keine andere Gelegenheit da herum, als nur ein Gutleut-Häuslein,Gutleut-Häuslein nannte man die einsam stehenden Wohnungen für die Miselsüchtigen, Aussätzigen, die ›gute Leute‹ hießen. bei dem ein Hochgericht oder Galgen stände, da sprach er: »Wohlan! so will ich allda mein Nachtlager nehmen und tausendmal lieber unter dem hellen, lichten Galgen schlafen als in einem Hause, wo dergleichen Teufelsgezücht anzutreffen ist!« – Dies alles müssen wir verschmerzen und es geschehen lassen. Doch ich schwöre beim Kistenfeger,Kistenfeger sind Leute, welche plündern (die Kisten leer machen). wenn ich noch auf der Welt und an selbigem Orte wäre, ich wollte soviel Unglück anstiften, daß alle Häuser müßten verkehrt und zerstört werden!«

Ich wurde aber bald müde der Vettel Geschwätz anzuhören; auch hatte ich von ihr soviel Unheil erdulden müssen, daß ich sah, als sie die Brille abgezogen hatte, wie ich mich mit Ehren davon machen könnte, während sie noch immerzu murmelte in der Meinung, daß ich gar ernsthaft ihrem Gespräch zuhörte. Ich wollte aber sehen, ob ich etwa einen Gefährten oder Wegweiser finden könnte, der mich wieder auf die Welt zu den lebendigen Menschen brächte, da mir in diesem Todtenreiche die Zeit schon lang und verdrießlich wurde. In diesen meinen Gedanken kam ein Todter quer durch auf mich los geschritten, zwar nicht von ungehobelter Gestalt und Ansehen, aber mit einem Widdergehörn auf der Stirn; daher meinte ich anfangs nicht anders, als daß es der Monsieur Bock Symbol, das erste von den zwölf Kalenderzeichen, sei. Aber er kam stracks mit den Fäusten auf mich zu und brummte etliche zornige Worte, die ich, weil ich meines Wissens nie Hörner gehabt habe, nicht verstehen, doch soviel daraus abnehmen konnte, daß er mir gern an die Haut gewesen wäre; ich meinte deswegen, er müsse ein Menschenfresser oder todter Teufel sein; aber ein anderer sagte mir beiseits, er wäre in seiner Jugend ein Mensch gewesen. – So muß gleichwohl, sprach ich, dieser sauersehende Gesell nicht wohl bei Sinnen und ein rechter Narr sein, daß er mich da mit Fäusten angreifen will, da der Flegel doch an mir weder Fug noch Recht hat. – Als ich nun sah, daß er von mir nicht abstehen wollte, stellte ich mich mit meinen Fäusten zur Gegenwehr, so gut ich konnte. Er aber sprach: er müßte sich jetzt an mir rächen, weil ich vormals auf der Welt so schimpflich und stimpflich in einem Gedicht von ihm geschrieben und ihn als einen Prahler und Aufschneider, der sich in der Welt für einen großen erfahrenen Gesandten, Helden und gelehrten Mann ausgegeben, während er doch in Wahrheit nichts war, geschildert habe, nämlich: als einen kleinen Gerngroß, fuchsigen Rothkopf, Schrauben-Schnauzbart, Sammtwamms und Bauernbuben, als eine Plaudertasche, einen Gecken, Maulmacher, Holzhacker, der sich bei großen Herren durch Complimente einzuschmeicheln sucht; als frechen Narren, der nur darauf ausgeht, mit seiner Falschspieler-Sprache die Welt zu betrügen und der, weil er in und an sich nichts Angenehmes und Gescheidtes hat, mit seinem dummen Geschwätz jedermann langweilt; einen Laffen, einen Prahlhans, einen Gliedermann, einen Harlequin, der ebensosehr mit dem Fuß wie mit der Achsel hüpft und springt: einen Schurken, der hundertmal Treu und Glauben gebrochen; einen Falschmünzer, Einfaltspinsel, unverschämten Kerl, der sich besser auf die Holzhacke als auf ein rechtschaffen Leben versteht; der voller Schandflecken ist, und der macht, daß man über ihn lacht, während er denkt, er lache über andere. Indem ich ihn nun sah in die Fäuste speien, rief ich im Zorn: Nur her, nur her, wer das Herz hat! Vielleicht bist du noch nicht recht todt; komm' her! komm'! ich will dich noch besser todt schlagen, damit du mich ein andermal unvexirt lassest! Hat mich Sanct Velten mit diesem Horn-Affen angeführt! – Ich hatte das Wort kaum ausgesprochen, da waren wir auch schon einander in die Haare, wiewohl ich einen Vortheil hatte, nachdem ich ihm sein Haar zerzaust und ihm, wie ich anfangs meinte, den Kopf abgerissen hatte (denn er trug eine Perrücke), da ich bei dem kahlen Tropf keins mehr auf dem Kopfe fand. Als ihm die Perrücke abgerissen war, glänzte sein Kopf, als ob er ganz von Elfenbein sei (Mart. 12, 84). Da verstand ich erst, was der Poet sagt: ›nichts ist häßlicher als ein Kahlkopf mit falschem Haar‹ (Mart). Nun ward mit Nägeln und Zähnen ritterlich gefochten, und es verdrießt mich noch, daß ich ihm das Geweih oder Narrengehörn nicht ganz abgerissen habe. In einem Hui war es voll Todter um uns her, welche sich heftig abarbeiteten unter uns Frieden zu machen, uns auch endlich von einander brachten, sonst wäre ich zweifelsohne auch zu kurz gekommen, da mir mein Gegner mit seiner Gabel, die er in der Hand hatte, und mit seinen Hörnern heftig zugesetzt hatte. Kurz, was hilft es viel ein Ding läugnen zu wollen, das jedermann bekannt ist: ›ich unterlag endlich den Angriffen des gehörnten Hitzkopfes‹ (Mart); er gab mir einen so ungeheuren Stoß, daß ich zu Boden fallen mußte und mit Koth gesalbt dalag wie Dryselmatz. Nun hoben die Todten, die herum standen, an Mord zu schreien und sprachen auf mich zugehend: »Was des Todes hat der lebendige Kerl hier zu machen! Meint ihr, ihr wollt uns da tribuliren? Er muß ja ein frevler Gesell sein, daß er den Herrn Don Sennor Ruffo BarbavisoVielleicht spielt M. auf eine bestimmte Person an, oder er schildert den Zeitgeist hier von seiner niedrig-sinnlichen Seite, wie er ihn oben von seiner schändlich-politischen geschildert hat. einen Hornaffen und Gauchmatzen darf tituliren?« – Wie? sprach ich, ist dieser da der Don Sennor Ruffo Barbaviso? Ha! der lose Tropf! Nun höre ich, du hast mich ungerechter Weise verleumdet, als ob ich ehrlichen Leuten Schimpf angethan hätte! – Ihr Herren, sagte ich ferner zu den umstehenden Todten, habt wahrlich geringe Ehre zu erwarten, daß ihr diesen Großsprecher, diesen Fratzhans und Aufschneider unter euch leidet, der doch in Wahrheit nichts anders ist, als ich von ihm geschrieben habe – ein rechter Hornaffe und Gauchmatz!

»Und dies ist eben die Ursache, daß ich mich an dir rächen will, sprach Sennor Ruffo Barbaviso. Ihr Herren todte Gesellen! ich ließ mir den Namen noch gefallen, weil wohl größere Hansen, als ich gewesen bin, in diesem Spital krank liegen, die häßlichere Titel tragen, wie der weise Lug-in's-Land davon geweissagt hat; aber er hätte ja eben sowohl von diesen als von mir schreiben können. Denn was hab' ich mehr gethan oder geschehen lassen, als andere? Aber so machen es die Gelehrten, daß sie einem nur zum Verdruß leben. Da ist kein Stern, wo die Gelehrten hin kommen, und es wird kein Glück mehr zu hoffen sein, wenn man die Gelehrten nicht aus der Welt schafft.« – Holla! holla! Sennor Cornutor! das ist zu hart gestoßen! Es wird viel anders hergehen; man sollte billiger dich und deinesgleichen Esel fort und aus der Welt schaffen. Es werden die Gelehrten noch erleben, daß man zehn deinesgleichen Esel wird um einen Pfennig geben und einen Gelehrten um hundert Gulden verkaufen. Es werden den Gelehrten die Jungfrauen nachlaufen und dir, Hornaffen, die Eselsohren ausraufen! – »Wird denn niemand mehr Hörner tragen als ich? sprach er. Hab' ich denn jemals einem andern mit meinen Hörnern Schaden gethan? Sind denn etwa um meiner armen Hörner willen die Laternen, Posthörnchen, Strählen und Kämme theurer geworden? Hat es denn bisher an Messerheften, Schuhlöffeln und hörnern Löffeln gemangelt? Warum hat er mich denn so auszuschreien vor allen Menschen, da doch nimmermehr ein guter Gesell zu finden ist, der in seinem Leben und in seinem Leiden friedsamer und geduldiger gewesen, als ich? Nimmer sah ich sauer, ich blähte mich nicht, ich schalt nicht, ich eiferte nicht, ich stellte mich nicht ungeberdig, sondern wenn die Zeit kam und einer mit meinem Weibe um einen Meßkram trumpfen wollte, so ging ich aus dem Hause, damit ich nur niemand hinderlich oder verdrießlich würde. Alles, was an mir zu schelten, ist dieses, daß ich die christliche Liebe nicht eben an den Armen, sondern an den Reichen habe sehen lassen: denn auf die Armen hatte ich ein wachendes Auge; wenn aber ein Reicher kam, der mein Weib zu sprechen hatte, so war ich schläfriger als die Siebenschläfer, schläfriger als ein fauler Hund. Sonst waren mein Weib und ich friedlich beisammen, eines Sinnes und Verstandes; darum pflegte sie oft zu seufzen: O Gott, wolle meinen guten frommen Sennor Ruffo lange leben lassen! Was ich will, das will er auch; er ist der beste, geduldigste Mann, den man auf Erden finden mag; es gehe daheim zu, wie es wolle, er sagt immer: was machst du? Das ist recht oder das ist unrecht. – Aber das lose Lügenfätschel›Fätscheln‹ (bairisch) hin- und herplaudern. hat hierein etwas zu mild gelogen, und ich war eben so ein einfältiger Narr nicht, daß ich nicht bisweilen den Possen hätte merken können. Ich hab' tausendmal gesagt, das ist nicht recht, oder das ist recht. Denn wenn ich sah Poeten, Maler, Musikanten oder Adlige in mein Haus gehen, sprach ich alsbald: Au weh! das ist nicht recht! Wenn ich aber einen Kaufmann oder Advocaten sah kommen, sprach ich alsbald: So! so! das ist recht! Wenn ich einen vom Hofe (deren Beutel meistentheils so voller Luft als ihr Hirn voll Eitelkeiten steckt), einen Franzosen, einen langen Degen, einen großen Knebelbart sah, sprach ich alsbald mit Unlust: Hoho! das ist gar nicht recht! Wenn ich aber einen Schaffner, einen Rentmeister, einen Commissarius im Hof oder in der Stube sah, sprach ich: Das ist recht! Denn weil das Geld zu gewinnen solchen Leuten nicht so schwer ankommt, so achten sie auch nicht soviel darauf, dasselbe wiederum redlich durchzutreiben. – Was hat mir denn ein anderer vorzuwerfen, als ob ich mein Weib unfreundlich und unfriedlich gepflegt hätte? Auch war ich der Baum, unter dessen Schatten mein Weib sich gegen die hitzigen Strahlen der Justiz schützte, sie war der Topf und ich der Deckel, daß niemand sehen noch riechen konnte, was wir gekocht hatten. Aber wie dem allen sei, es geschieht mir gleichwohl unrecht, daß ich nicht um meiner eigenen Verbrechen, sondern um meines Weibes Schulden willen nun soll und muß diese Hörner tragen. Das däucht mir unbillig zu sein. Hierher! ihr Herren Todfreunde alle! Wer ist, der sich auf die Hahnreilogik, auf die Hornsalbe, versteht? Der wolle mir diesen Zweifel doch entscheiden helfen, ›wenn die Frau das heilige Gesetz des Ehebettes verletzt hat, warum trägt der schuldlose Mann die Hörner?‹ (Owen.) – Er ist das Haupt, erwiderte ich ihm, und wohl dem, der sich in deinem Unheil spiegelt. Du bist nicht nur ein schlechter Hornaffe, sondern ein Gauch sieben Schuh lang, ein fünffacher Gauch, nach der Lehre, die ich mehrmals in Welschland zu Florenz gelesen habe: wer nicht weiß, daß seine Frau die Ehe bricht, der hat ein Horn am Schädel; wer thut, als wisse er's nicht, hat zwei Hörner; wer sie ertappt und läßt sich's gefallen, der trägt drei; wer die galanten Liebhaber in sein Haus zieht, hat vier, und wer weiß, daß er in den Orden der Hahnreie komme, und verläßt sich auf seine Frau, der trägt fünf Hörner. Und was wollte es schaden, wenn ich dir zum Ehr-Verdruß auch noch dieses hersetzte? –: wer seine keusche Frau so rasend liebt, trägt für seine Liebesraserei sechs Hörner. – »Wie? wie? sprach er wiederum: sollte ich das leiden? Sollte ich mich nicht an diesem Schwätzer rächen? Warum schweigt er denn nicht, wenn er was weiß? Muß er mich darum auf der Gasse und bei allen Gesellschaften herumtragen? Als ob ich allein ein Esel wäre und nie merkte, was daheim vorginge?« – Hoho! sprach ich, damit bist du noch nicht durch! Es wird inskünftige noch besser werden; ›und weil man durch ein Gedicht bei der Nachwelt einen ewigen Namen erlangt, und weil von der Kunst der Dichter unser Ruhm abhängt, so will ich mit lebendigen Farben und scharfen Worten deine heimlichsten Stücklein an die helle Sonne bringen. Und wenn du Hornaffe, du Gauchmatz, noch am Leben wärest, so wollte ich dich mit Kuppelversen und Gauchliedern so vexiren, so zerdrillen, daß du dich vor Leid erhängen solltest! Dich, dich, der du Tag und Nacht hinter den Schürzen her bist und den die ganze Welt darin kennt, dich, du pomadisirter, geschmückter, geputzter, süß plaudernder, geschnürter, glattbeiniger Fant!‹ (Mart. 12, 38).

Indem ich dieses sagte, kam er nochmals mit seiner Gabel auf mich zugelaufen. Wie ich mich nun in diesem Streit ferner bemühte und herum arbeitete, geschah es, daß ich zu gutem Glück erwachte; und ich befand mich in meinem Bett. Das Herz klopfte mir über die Maßen, und ich war so müde und matt, als ob ich wahrhaftig an dem Ort und in dem Todtenstreit gewesen wäre. Ich erinnerte mich nun alles dessen, was mir von Anfang dieses Gesichts an vorgekommen war und dachte bei mir selbst: es ist wahrlich mit den Todten nicht zu scherzen: denn solche Leute, die außer der Welt und Gesellschaft der Menschen sind, sollen uns mehr zum Ernst als zum Spott dienen. Der hochgelehrte und lobwürdige Herr Doctor ZinkgrefJul. Wilh. Zinkgref, geb. 1591 zu Heidelberg, Doctor der Rechte, hatte viel im Kriege zu leiden und starb 1635 an der Pest. Von ihm: der Deutschen scharfsinnige kluge Sprüche, Apophthegmata genannt, 1628. schrieb mir oftmals, als ich an der Verfertigung seiner deutschen Apophthegmata arbeitete: ›Der dir schaden kann, den sollst du nicht reizen; der dich fressen kann, den sollst du nicht beißen.‹


 << zurück weiter >>