Hans Michael Moscherosch
Philanders von Sittenwald wunderliche und wahrhaftige Gesichte – Erster Teil
Hans Michael Moscherosch

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Gesicht

Venusnarren

Nachdem ich mit dem vorigen Gesicht zu Ende gekommen war, in dem ich von dem Alten ohne Zweifel noch mehr hätte erfahren können, da polterte und pochte plötzlich jemand an meine Thür, als ob er Geld brächte, so daß ich wider meinen Willen erwachte und fragte, wer es wäre? Er gab mir zur Antwort, er wäre ein Diener der Busch's und ForembergerDas sind wahrscheinlich Namen von Straßburgern. und brächte mir ein Schreiben, woraus ich vernehmen würde, daß ich meine Reise alsbald nach Angers antreten und daselbst einige Zeit verharren sollte, wie ich in dem Schreiben näher finden würde. Nachdem ich mich nun ermuntert hatte, konnte ich mich nicht genug verwundern, wie wahrhafte Dinge ich in dem Gesicht gesehen hatte. Bei Erwägung dieses Gesichtes und meiner Beobachtungen, die ich seither zu Paris in allen Ständen gemacht hatte, kam ich zu dem Schluß, daß in dieser Stadt, gleichwie in ihr einer ganzen Welt Handel getrieben werde, auch einer ganzen Welt Sünden seien, und gleichwie im Kriege oftmals ein Regiment für zwei kämpft, aber auch für drei stiehlt, ebenso auch oft eine Stadt, ein Mensch für zwei betet, aber für drei flucht und sündigt, für zwei arbeitet und für drei ißt.

Wenn ich nun auch aus Mangel höherer Geschicklichkeit alle meine Erlebnisse nicht zusammenzufassen und niederzuschreiben vermochte, so hatte ich doch von allen Dingen so vielerlei wunderbare Einfälle und Kenntnisse, daß ich einem gelehrten Manne Stoffs genug hätte an die Hand geben können, um ein dickes Buch davon zu schreiben. Das aber will ich bis zu seiner Zeit beruhen lassen.

Zu Folge des Briefes nun fuhr ich mit der Landkutsche nach Orleans, ging dort beim heiligen Nikolaus zu Schiffe und fuhr die Loire hinab über Blois, Amboise, Tours, Saumur, les Ponts de lé bis Angers, wo ich bei Herrn de la Mare Alain, in der Straße Saint Lot, in Gesellschaft obengedachter trefflicher Edelleute, des Herrn Karl von Diskau, Herrn Abraham von Loß und Herrn Paul von Steinwehr den Winter über verblieb. Im kommenden Frühling begab ich mich über la Flèche, in dessen Kirche uns die Priester das Herz Heinrichs IV. zeigten, quer durch das Land über Bourges, Hevers, Moulins, La Palisse, St. Symphorien, Tarare nach Lyon.

Damit aber Vorangegangenes nicht übergangen werde, muß ich hier Folgendes erzählen. Als ich in Moulins angelangt war, wurde Abends beim Essen erzählt, wie sich acht Tage zuvor in der Nachbarschaft ein trauriger Fall begeben hatte. Der verhielt sich also. Es wohnten zwei vom Adel unfern in einem Dorfe; des einen Eltern waren vor wenig Monaten gestorben. Dieser hatte eine Schwester, welche dem andern vor langem versprochen war, und in acht Tagen sollte das Hochzeitsfest sein. Es begab sich aber, daß der Hofmann oder Meier ihres Bruders Schimpfreden über die Jungfrau verbreitete, die sie ihrem Liebsten im Vertrauen überbrachte und um Schutz und Rettung wider den groben Flegel bat, worauf er alsbald, seine Hochzeiterin nach des Landes Brauch am Arme führend, zu dem Hofmann ging und denselben nach geschehenem mündlichen Verweis mit einer Maulschelle abstrafte. Derselbe verfügte sich sogleich zu seinem Herrn, der Hochzeiterin Bruder, klagte diesem die ihm angethane Gewalt mit Einmischung vieler Lügen und rief ihn um seine Vermittlung und Hilfe an. Der Hochzeiter, ohne davon zu wissen, begleitete abends seine Liebste heim; sobald er aber in den innern Hof ihres Bruders trat, kam ihm derselbe mit bloßem Degen entgegen und sprach: er hielte ihn nicht für seinen Schwager, sondern für einen Bärenhäuter und Cujon, wenn er sich nicht seiner Haut wehren würde. Beide fragten nach der Ursache des Zornes und baten um vernünftige und freundliche Erläuterung und Entscheidung; aber alle guten Worte wollten nichts helfen, sondern der zornwüthige Bruder fuhr fort und schwur, daß er die ihm angethane Schande und Spott und die seinem Hofmann ertheilte Maulschelle nicht anders als mit der Klinge rächen würde, und wenn er sich nicht zur Wehr setzte, so würde er dessen ungeachtet ihm einen Stoß versetzen. Alsbald trat er auf ihn zu, und jener endlich griff zur Wehr, in der Absicht sich nur vertheidigen und die Stöße auffangen zu wollen. Der Bruder aber, der sich verschworen hatte, die Versöhnung nicht anders als durch Blut zu Stande zu bringen, war so zornentbrannt und wüthend wie ein Unsinniger, daß er dem andern grade in den Degen lief. Der Hochzeiter zog sein Rapier zurück oder (wie die Duellnarren sagen) reculirte, aber der andere drang jemehr in die Klinge hinein bis ans Kreuz, nur um seinen Gegenpart erreichen zu können. Das geschah auch, und der Hochzeiter wurde ebenfalls durchstochen. So starben Beide eines plötzlichen Todes. Welche Bekümmernis die liebe Jungfrau dabei gehabt hat, als sie ihren Liebsten durch und mit ihrem eigenen Bruder zugleich verlor, ist unschwer zu ermessen.

Ein Grausen und Schauder kam uns alle an, als wir diese schreckliche Geschichte hörten. Ich hatte mich entschlossen, bei einigen Deutschen vom Adel, unter welchen ein Götz von Schlick war, die im Schloß zu Moulins im Quartier lagen, vierzehn Tage zu verbleiben, und dachte eines Morgens vor Tagesgrauen mit Betrübnis dieser Geschichte nach, bis ich darüber vor Unmuth wieder einschlief. Da war mir zu Sinn, als ob der Alte, dessen ich im vorigen Gesicht Erwähnung gethan habe, vor mir stand und mich fragte, was ich abermals über der Welt Thorheit, insonderheit über der Narren Liebe, für eitle Sorge und Gedanken hätte? »Was brauchst du dich über diese Geschichte zu verwundern, sprach er: wenn die Liebe des Hochzeiters nicht thöricht gewesen wäre, der Hofmann hätte die Maulschelle nimmer bekommen, und die Beiden hätten darüber nicht ihr Leben einbüßen brauchen. Narrenliebe will gefochten haben.

Das tolle Lieben ist im steten Tode leben,
Sein außer der Gefahr und doch in Nöthen schweben,
Quitt aller Sklaverei, doch unter Joch und Zwang,
Gesund und gar wohl auf, nichts desto minder krank;
Jetzt groß, bald wieder klein, nicht keifen und nicht zanken,
Beständig, dennoch wohl stets hin und wieder wanken.
Von Sinnen, dennoch klug; ein Mann und doch ein Kind.
Ein Herr und gleichwohl Knecht; mit hellen Augen blind.
Den Feind bezwingen wohl, und nimmermehr doch siegen,
Verspielen, doch allzeit die beste Beute kriegen.
Sein ohne Wunden wund, sein sonder Alter alt,
Jetzt kalt, jetzt wieder heiß, bald heiß, bald wieder kalt.
Entschnüret aller Pein, und sich doch stets beklagen;
Viel schreien, niemals doch ein einz'ges Wörtlein sagen,
Und was für thöricht Ding dem Lieben oft kommt bei.
Das ich und du nicht weiß, wie es zu nennen sei.

Wozu dienet denn das Lieben?
Lieben heißt recht närrisch sein.
Der kann wenig Tugend üben,
Der versenkt in Liebespein,
Er muß fort und fort sich plagen,
Brennet in geplagter Hitz
Und beginnet allem Witz,
Aller Tugend abzusagen;
Endlich bringet er zum Lohn
Nur 'ne Hand voll Lust davon.«

Darauf nahm mich der Alte bei der Hand, und ich folgte ihm. Wir kamen so miteinander in eine schöne, grüne Au, die tausendmal schöner sein mochte als die, welche der verlogene Amadis, Marquis d' UrféAmadis ist der berühmte Roman, den 1540-1548 Herberay des Essarts aus dem Spanischen ins Französische übersetzte, und der 1569 nach Deutschland kam. Honoré d' Urfé 1568-1625 ist der Verfasser des sentimentalen Schäferromans »Asträa«. und andere in ihren elyseischen Gefilden erdichtet haben. Dieses mit den allerwohlriechendsten Blumen und Kräutern geschmückte Feld war durch zwei Wässerlein geziert, eins von süßem, das andere von bitterem Geschmack, die am Ende der Au zusammenflossen und durch Gesträuch und Steine hindurch daher gerauscht kamen, daß die Vorübergehenden sich kaum des Schlafes erwehren konnten. Ich wähnte nicht anders als auf Cypern im Venusgarten zu sein, sah mich deswegen um und fragte, ob nicht das Immenhaus irgendwo wäre, wo eine Imme einstmals den Herrn Cupido in den Finger gestochen hatte, was dem Dichter Anakreon Ursache zu dem sinnreichen, lieblichen Gesang gegeben. Ueber diese meine alberne Frage lachten einige, die da gingen; es war mir dabei fast wie jenem Schwaben, der, als er nach Indien zog, beim ersten Sprung aus dem Schiff fragte: »Sagt, ist nicht ein guter G'sell aus Waiblingen hie?«

Beim Weitergehen verlor sich der Alte ohne Zweifel mit Fleiß von mir, und zwei Jungfrauen kamen aus einem Weidengesträuch von hinten auf mich zu, von denen eine mich bei der Hand herumriß und sprach: »Wißt Ihr denn auch, wie es Cupido da ergangen ist?« Und ehe ich darauf antworten konnte, fing die andere an mit heller Stimme zu singen:

Hier auf diesem Liebesplan
Cupido vor langen Tagen
Mit Venus ist kommen an,
Wollt' sein Zelt und Lager schlagen.
Ach Cupido, kleiner Schelm,
Wie machst du so große Wunden!

Als er in das Grüne kam
Hier dies und dort das wollt' sehen,
Venus bei der Hand ihn nahm,
Doch wollt' er nicht mit ihr gehen.
Ach Cupido!

Lief fort vor das Bienenhaus,
Wollt' ein wenig Honig lecken;
Eine kroch zum Korb heraus
Und flog nach dem jungen Gecken.
Ach Cupido!

Cupido bald her, bald hin
Hätt' sich gern vor ihr verkrochen,
Doch die Biene stets auf ihn,
Bis er war von ihr gestochen.
Ach Cupidol

Als er seinen Finger schaut,
Der ihm dick war aufgeloffen.
Fing er an zu schreien laut:
Mutter weh! ich bin getroffen.
Ach Cupido!

Helft! und helft ihr nicht geschwind,
So stürz' ich mich in den Bronnen,
Wie bald ist ein armes Kind
Wie ich, in der Hitz' verronnen.
Ach Cupido!

Nach', o liebste Mutter, Rach'!
Ich werd' noch umfallen müssen,
Helft, ich spring' sonst in den Bach,
Oder will mich selbst erschießen.
Ach Cupido!

Venus sprach vor Zorn kein Wort,
Nahm dann eine Hand voll Ruthen:
Wart', ich will dich bringen fort,
Daß dir soll der Hint're bluten.
Ach Cupido!

Hab' ich's dir nicht gleich gesagt,
Sollst des Reckens müßig gehen,
Wer nicht folgen will, der wagt;
Komm her, laß den Finger sehen.
Ach Cupido!

Ei du ungerathner Sohn,
Dir ist eben recht geschehen,
Das ist dein verdienter Lohn,
Willst nicht mit der Mutter gehen.
Ach Cupido!

Dabei zieht sie ihn herab:
Halt, ich will dich lehren blitzen.
Noch einmal so, klipp und klapp,
Wart' ich will dich besser sitzen!
Ach Cupido!

Cupido fiel auf die Erd',
Ha, wie that ihn das verdrießen,
Und wie ein zaumloses Pferd
Schlug um sich mit Händ' und Füßen.
Ach Cupido!

Nun doch klage nicht so sehr,
Sprach sie, laß nun bald die Possen,
Denk', daß du schon andre mehr
Unverschuldet hast geschossen.
Ha Cupido!

Deine Pfeil' sind voller Gift,
Und gehn richtig in das Herze;
Aber was den Finger trifft.
Das sind doch nur Kinderscherze.
Ha Cupido!

Thut's dir schon ein wenig weh,
Darfst dich drum nicht lassen bangen,
Eh du dreimal steh' und geh'
Sagst, so wird es sein vergangen.
Ach Cupido!

Wen der lose Vorwitz sticht.
Wer solch Leckerei will treiben,
Dem gerath' es anders nicht.
Sollst drum bei der Mutter bleiben.
Ach Cupido, kleiner Schelm,
Wie machst du so große Wunden!

Du Stupfer, du Hauser,
Du Lecker, du Lauser,
Du Schlecker, du Mauser,
So soll es dir gehn,
Recht ist dir geschehn,
So soll es dir gehn!

Als bei Beendigung des Gesanges die beiden Jungfrauen verschwanden, stand neben nur ein Waldengel, wie sie von närrischen Poeten genannt werden, deren in diesem Garten viele herumfliegen, welche das Götzlein Cupido zu seinen Postboten zu gebrauchen pflegt, wenn er irgend welche närrische Sachen zu verüben Willens ist. Dieser Waldengel war von Gestalt wie ein Waldgötze, doch etwas lieblicher anzusehen und hatte Flügel. Er zeigte mir den innern Garten, der jenseit des Wassers lag, nebst vielen herrlichen Palästen und Schlössern und andern wunderlichen Dingen, die ich hin und wider im Gesträuch, in den Hecken, in Palästen und sonst im Schatten sah. Es standen aber die Gebäude dieses Schlaraffenlandes kunstreich und prächtig auf der Höhe und am Berge entlang, in griechischer und wälscher Arbeit zierlich ausgeführt, mit herrlichen Kapitälen, Säulen, Läufen, Schwebe- und Triumphbogen meisterhaft umgeben, mit erhabener Arbeit von Bildern, Grotten, Labyrinthen, Gemälden und Geschichten künstlich geziert. Am Eingang des Gartens waren folgende Reime mit goldenen Buchstaben in schwarzem Marmor zu lesen:

Hier ist das berühmte Haus,
Wo die Venusnarren schweben;
Thorheit ein, der Witz hinaus,
Reu' hernach, halbtodt im Leben.

Die Steine der Gebäude, von allerlei Farben, gaben eine sonderbare Lust sie zu betrachten. Das Thorgestell war nicht sonderlich weit, doch waren hier und da noch viele kleine Thürlein und Schlupflöcher, wo viele Heimtückische ein- und ausschlichen, wie Mäuse in die Löcher. Ein Weibsbild, von Gestalt und Wesen einer Nymphe gleich, versah das Amt einer Thorwärterin; sie war mit einem goldenen Stück, das mit Perlen und Edelgestein kostbar besetzt war, bekleidet. An Leib und Gestalt war sie die tapferste, die ich je gesehen hatte; von Angesicht war sie englisch anzuschauen; kurz, wer sie nur ansah, der wünschte, wie Pythagoras geglaubt hatte, daß seine Seele in ein so edles Geschöpf fahren möchte. Sie hatte den Schlüssel zum Thor in der Hand und rief mir zu, ich möchte einsprechen. –

Ich fragte den Waldengel, wer dieses vortreffliche Bild wäre, und welchen Namen sie trüge? Er sagte mir, daß sie Frau Schönetta heiße. Jedermann ward von ihr willig eingelassen. Auch ich, der ich von Natur etwas vorwitzig bin und gern alles wissen will, folgte ihr nach in den Hof hinein. Beim Fortgehen aber konnte ich mich nicht enthalten, noch einmal nach der schönen Jungfrau zurückzuschauen; da bemerkte ich so von ungefähr, daß nachfolgende Worte auf dem Bande, das sie um ihren Leib hatte, gestickt standen:

Cervam putat esse Minervam,
Ranam putat esse Dianam,
Was einer liebt, das dünkt ihm fein,
Ob es oft wüster als ein Schwein.
Ein mancher meint, er hab' 'nen Schatz
Und 's ist doch nur ein Plundermatz.

Da kam mir das Bild hinterher nicht so schön vor als anfangs, oder ich muß mir eingebildet haben:

Fröhlich pflegt Venus zu kommen, traurig zu scheiden.

Was daher obengesetzte lateinische Worte bedeuten, kann der nachgrübelnde Leser ohne mich wohl ergründen.

Im Garten gab es Gesellschaften allerhand: Die Jungfrauen liefen den Männern nach, die Weiber den Junggesellen, die Männer den Jungfrauen, die Junggesellen den Weibern, die Herren den Mägden, die Frauen den Knechten, die Mägde den Herrn, die Knechte den Frauen; hier Spielleute, dort Tänzer; hier Fischer, dort Vogler; hier Hetzen, dort Jagen; hier Spielen, dort Baden; hier Küssen, dort Lecken, und die kleinen Waldvögelein waren mit Botschaften so geschäftig, wie die Braut, wenn sie will ins Bad gehen. Auch sah ich den Berg hinauf viel Haufen Weiber und Männer hin und her spazieren, die ich aber meistentheils schwer erkennen konnte, weil sie in Geberden, Kleidung, Gesicht und Wesen verstellt und wie alberne Leute waren; sie sahen meist traurig, elend, nachsinnend, bleich, gelb, mager und dürr aus. Einer seufzte, der andere kratzte sich, der dritte verwunderte sich, der vierte schämte sich, der fünfte lachte, der sechste weinte und so fort. Da gab es allerlei Gespräch und Antwort; aber von Treu und Glauben, von Furcht und Liebe gegen Gott, von Gehorsam gegen Eltern und Verwandte ward nichts geredet. Die Basen thaten das Beste bei den Vettern, die Vettern bei den Basen; die Mägde bei den Herren, die Knechte bei den Frauen. Die Mägde wurden Weiber, und die Weiber wurden Mägde. Der Herr wurde Knecht, und der Knecht wurde Herr. Die Weiber wurden derer Freunde, welche ihrer Männer Freunde waren; die Männer wurden derer Gesellen, welche ihrer Weiber Gespielen waren. Das alles betrachtete ich mit Verwunderung und sonderbarem, doch schier unergründlichem Nachdenken.

Jetzt sah ich eine Person auf mich zukommen von unerkennbarer Gestalt, denn sie war weder recht ein Mann noch gar ein Weib, sondern von beiderlei Gestalt. Diese ging der Länge und der Breite, kreuzweise und überzwerch bei dem genannten Volk herum. Ihre Kleidung war kunstreich gewebt und gebildet, voller Augen und Ohren, als ob alles natürlich gelebt hätte. Dem Ansehen nach war sie ein Ausbund von einem arglistigen, verschmitzten und mißtrauischen Menschen. Weil ich nun vernahm, daß sie all diesem Volk zu befehlen hätte, sprach ich sie selbst an und fragte sie ohne weiteres, wer sie wäre, und was sie da machte? Auf beide Fragen antwortete sie: »Mein Name ist Jungfrau Traunicht, und da Ihr in diesen Ort gekommen seid, so solltet Ihr mich doch billig kennen lernen; auf daß es Euch aber nicht an wahrem Bericht mangele, so wißt, daß durch meine Veranstaltung diese halbthörichten Leute noch ungehaltener werden. Ich zwar maße mir scheinbar an, als ob ich ihnen in ihrem betrübten Zustande Mittel und Linderung verschaffen wollte, in Wahrheit aber ist doch niemand, bei dem ich nicht das Uebel ärger machte. Mehr könnt Ihr diesmal von mir nicht erfahren; denn ein Wunder ist es, wenn ich die Wahrheit rede, sonst müßte ich selbst darunter erliegen. Mein Thun und Wesen besteht nur in Kunstgriffen, Listen und vielen tausend Ränken, in stetem Wachen und Nachsinnen. Aber der, welcher Euch anfangs hierher geführt hat, wird Euch die Bedeutung dieses Ortes auf Euer Begehren ferner offenbaren können.«

Indem sah ich den Alten wieder gegen mich heran kommen; ich bat ihn, daß er mich in den nächsten Palast führen und mir die Zimmer weisen möchte, weil es nicht fehlen würde, sprach ich, daß ich unter den Narren nicht einen meiner Gesellen antreffen und erkennen könnte, wie ich deren wirklich viel gesehen und erkannt habe, hier aber keinen nennen will, bis daß er selbst zu mir kommt. Darauf sagte mir der Alte, daß die Kur aller dieser Kranken ihm in dieser Woche allein anbefohlen wäre, daher wäre es ihm nicht möglich lange abzukommen; doch wies er mir mit dem Finger die meisten, nach welchen ich geforscht hatte, und erlaubte mir, daß ich mit einem Waldengel selbst hin und her gehen und in den Palästen nach Belieben umher spazieren und alles beschauen könnte.

Das erste Zimmer nun, in das ich kam, war das der Jungfrauen. Dasselbe war vielmehr als die andern mit hohen Mauern und eisernen Gittern verwahrt, weil diese Leutchen wegen an- und eingebornem Vorwitz vor allen Männern am mühsamsten zu hüten sind; daher liegen sie auch an dieser Krankheit am häufigsten und hitzigsten darnieder. Sobald ich hineinkam, war gleich ein Unterhändler da, der fragte, ob ich zu kaufen käme? Und ehe ich antworten konnte, war eine schöne Jungfrau bei ihm, der er das Hemd abzog und sie mir zum Beschauen herbeiführte. Ein Weibsbild, mit einer Krone auf dem Haupt, fragte mich, ob ich nicht Lust hätte? dieweil diese Jungfrau mit den vier Leibeszierden vor andern begabt wäre. Ich aber, wie ein Einfältiger, legte die Finger an die Nase, sah zu Boden und schämte mich, wie ein armer Hund; doch endlich fing ich an ein wenig zu gucken und fragte, welches denn die vier Leibeszierden einer Jungfrau wären? Sie antwortete mir: »Ein lieblich Gesicht, starke Arme, harte Brüste, grade Schenkel«. Da verdeckte ich das Antlitz noch mehr und sah durch die Finger; sie nannte mich deswegen einen Gaffer, der nicht das Herz habe, eine Jungfrau recht anzugreifen.

Eine saß da und weinte bitterlich, wie ich vernahm aus Eifersucht, die sie kürzlich gegen eine junge Wittfrau ergriffen hatte. Eine andere war Tag und Nacht in steter Unruhe ohne zu schlafen, zu essen und zu trinken, weil sie einen lieb hatte, dem sie es doch (ach leider!) nicht offenbaren durfte. Eine andere that nichts weiter als Briefe schreiben, die ihr aber nimmer recht gefielen, sondern wobei sie ebensoviel ausstrich als sie niederschrieb. Eine andere stand vor dem Spiegel und sah, wie sie lachte und im Lachen mit zierlichen Geberden ihren Liebsten einnehmen könnte. Eine andere desgleichen, wie sie ihre Augen regieren, sie bald hin und her kehren, sie funkelnd und brennend machen könnte, als ob Feuer im Ofen wäre, um ihren Liebsten damit anzuzünden oder gar zu verbrennen. Eine andere saß und aß Kohlen, Kreide, Pflaster, spanisches Wachs und dergleichen, um die lebhafte Farbe zu verlieren und ein bleiches Angesicht zu bekommen, und diese war von adligem, hohem Geschlecht und Stamm. Eine andere, grade jener gegenüber, hatte rothe lederne Tücher, mit denen sie die Backen ohne Unterlaß anstrich, vermeinend dadurch eine schöne, lebhafte Farbe im Angesicht zu kriegen, und diese war eine Bürgerstochter. Eine andere bat ihren Buhlen, daß er ihr zu Gefallen abends gehen und Spielleute vor die Fenster bringen möchte, denn, sprach sie um ihn zu bereden, wer recht liebt, der liebt öffentlich, damit es jeder erfahre; falsche, gefährliche Liebe scheuet das Licht und die Menschen. Eine andere sprach zu ihrem Serviteur (denn wer liebt, der ist ein Diener, ein Knecht, ein Sklave), daß sie ihn lieben wollte unter dem Beding, daß er sich mit keiner andern in ein Gespräch einließe, denn das könnte sie nicht leiden; und der thörichte Geselle sprach ja, er wolle es thun, und die närrische Jungfrau glaubte, er würde es thun. Andere gingen, als ob sie tiefergründlichen Sachen nachzusinnen hätten, unter andern diese Worte redend: ich möchte nur gern wissen, ich möchte nur gern wissen! Diese nennt man die Vorwitzigen, welche den meisten Schaden unter den Jungfrauen verursachen. Andere wollten sich verheirathen, damit sie der Liebe desto freier nachgehen könnten. Andere wollten sich verheirathen, aber mit einem jungen Wittmann, der schon abgerichtet wäre, mit dem man besser auskommen könne als mit einem hartnäckigen Junggesellen. Andere warfen ihre Buhlenbriefe zum Fenster hinab, um sie ihren Buhlen durch bestellte Leute überliefern zu lassen; andere steckten ihre Briefe heimlich unter die Thür durch. Und diese alle waren schier unheilsam und so heftig angefochten, daß man sie für ganz unvernünftig und für Bestien halten mußte.

In Erwägung alles dessen dachte ich, es sei nun Zeit mich von dannen zu begeben, weil mir der Alte im Vorübergehen ins Ohr flüsterte, daß manchmal ein guter Gesell bei solchem Volk viel zu kurz käme, und wenn es auch zum Besten gerathe, er dennoch sein Lebtag ein leibeigner Sklave sein und deswegen in ewiger Reue, ohne Hoffnung auf Erlösung, als allein durch den Tod, gemartet bleiben müsse. Denn unmöglich wäre es, einen Menschen aus den Banden des Ehestandes zu erlösen, so daß er es muß anstehen lassen ewiglich; eine böse Heirath sei ärger als selbst der Türke, von dem man endlich erlöst zu werden noch könne Hoffnung haben. Zur Verhütung nun, daß nicht irgendeine Ursach haben könnte sich einzubilden, daß ich in sie verliebt wäre, wie leider oft geschieht, ging ich aus diesem Zimmer hinaus und gelangte auf einen großen Plan, wie die Fürstenau oder Hunnenau sein mag, woselbst durch zweitausend Werkleute ein runder Traum hundert Schuh dick und vierzehn Stockwerk hoch vor zwanzig Jahren aufgeführt war. Daran standen folgende Verse eingehauen:

Nicht lieben ist nicht leben.

Ein schönes, junges Weib ohne Lieb,
Ein großer Jahrmarkt ohne Dieb,
Ein alter Wuchrer ohne Gut,
Ein junger Mann ohn' Freud' und Muth,
Eine alte Scheuer ohne Mäus',
Ein alter Pelz ohn' Flöh' und Läus',
Ein alter Geißbock ohne Bart:
Ist alles wider seine Art.

In dem untersten Stockwerk sah ich einen Kerl allein in tiefsinnigen Gedanken: was er redete, was er weinte, was er sang, das waren Jungfrauen; was er träumte, das waren Jungfrauen, was er aß, das waren Jungfrauen, was er trank, was er schrieb, was er ansah, das waren Jungfrauen, und es war keine Ziege noch so übel verschleiert, der zu Ehren er nicht den Hut abzog und tiefe Bücklinge machte; und doch durfte er nicht offenbaren, daß er jemals an sie gedacht hätte. Mehr will ich von diesem nicht sagen.

In dem anderen Stockwerk saßen etliche edle Jungfrauen, züchtig und zierlich, daß man an ihnen keinen Tadel wußte, nur daß sie nicht heirathen wollten, es wäre denn ein Geborner von altadligem Ritter- und turniermäßigem Stamme. Diesen rief ein Waldengel ohne Aufhören zu: »Besser ist's beim Bauern die Thür auf-, als beim Adel zu machen; besser ist's Schulze sein bei Bauern, als Büttel bei Junkern.«

Im dritten Stockwerk waren die neuen Modejungfrauen fest eingeschlossen, weil sie die Natur umkehren und verdrehen wollen. Diese haben große Brüste, so daß sie kaum auf die Erde sehen können, und Preß- oder Brustschnüre von dreißig bis fünfzig Ellen; wenn aber die guten, naschhaften Junggesellen nach dem Kern greifen wollten, so waren die Brusttücher mit rundgedrehtem Holz unterstopft, oder mit Hirsespreu ausgefüttert, daß man durch die leeren Flaschen ganz betrogen wurde. Es wird ihnen von ihrem Aufwärter zur Warnung gesagt, sie sollen diese Trügerei bleiben lassen, damit sie jungen Gesellen nicht Ursach geben, hölzerne Hosen zu ersinnen.

Im vierten Stockwerk sollen diejenigen Eheweiber, wie Käfigsvögel, eingesetzt werden, welche noch närrischer sind, als alle Jungfrauen und nur Holz- und Spreubrüste haben, nämlich diejenigen, welche den Männern, wenn sie schlafen, über den Hosensack gehen, den Schlüssel zum Geldkasten, zum Gewölbe, zum Kontor nehmen und den Säckel plündern, um davon närrischen und mannsverderbenden Hausrath zu kaufen, Gimpelweiber zu bezahlen, oder heimliche Auslagen, die auf Meister und Gesellen, auf Briefträger, Gewürzkrämer und Apotheker verwendet werden, zu entrichten. Das sind die rechten Mannsverderberinnen, die man in redlichen Gesellschaften weder leiden noch dulden sollte, da sie ihren Ehemännern die Seele quälen, das Handwerk verstumpeln, das Gewerbe und die Hantierung verderben, und alles, was sie ertappen und erschnappen können, an überflüssigen, nichtswerthigen, lächerlichen, phantastischen, wider die Natur selbst streitenden Hausrath hängen, als da sind: zinnerne Kehrbürsten, zinnerne Kehrwische, zinnerne Kratzen, zinnerne Lichtputzer, Blasebälge, Ofengabeln, Bratspieße, Küchengabeln, Feuerhaken, Herdkessel, kurz zinnerne Herde, zinnernes Holz und zinnernes Feuer; was alles, dem Lauf der Natur und der Eigenschaft eines Dinges selbst zuwider, daliegen und verderben muß, und der arme Mann muß es im Säckel, im Gewerbe und Credit missen und sammt den Kindern darüber scheitern und zu Schanden werden. Und ich hörte eine starke Stimme eines Rufers auf der Straße: »Hausrath wohlfeil, Hausrath wohlfeil auf der Bäckerstube!«

Ich ging den Thurm herab, den Venusberg hinauf und kam zu einer Kapelle, die war auf türkische Manier erbaut; darin saßen dieser Kranken Götze Cupido und seine Frau Mutter auf einem herrlichen Zeltbett beisammen. Sie sahen sehr schläfrig aus. Das Gemach war allenthalben wohl versperrt und mit vielen brennenden Wachslichtern beleuchtet, die aber bald nach meiner Ankunft ausgelöscht wurden, und eine Stimme rief:

Im Dunkeln ist gut munkeln.

Da mir das aber verdächtig vorkam und ich mich allein bei ihnen zu bleiben nicht getraute, kam zu gutem Glück der Alte daher; er ließ, etwas unwillig, die Lichter wieder anzünden und führte mich bei der Hand von dannen, damit ich von dem beutelschneiderischen Gesindel wegkäme. »Ich wollte, sprach der Alte, du wärest schon wieder heraus aus dieser Narrethei, ehe dir auch eine Thorheit ankleben bliebe. Ach hüte dich, mein liebes Kind! Wenn du deine Jugend mit solchem leichtfertigen Leben, wie du es theils hier siehst und hörst, beschweren willst, was für ein böses Gewissen, was für Unheil und Fluch wirst du hernach haben, und der Zorn Gottes wird dir allen Segen wegnehmen, bis du wieder zur Erkenntnis und wirklichen Buße kommst.« O behüte Gott! sprach ich und ging fort in ein anderes Gebäude, darin die Eheweiber beisammen waren. Etliche unter ihnen küßten ihre Männer zwar nicht aus Liebe, sondern um die guten Narren dadurch zu bethören. Etliche wurden von ihren Männern Tag und Nacht behütet und bespäht, damit sie nicht irgend eine Thorheit begingen. Aber der Alte sagte mir: »Es ist vergebens, Flöhe in einem Korbe zu hüten; es ist eine verlorene Arbeit, wenn man muß Wasser in den Brunnen tragen.«

Andere thaten, als ob sie eine Bittfahrt nach einem Orte unternehmen, etwas um Gottes willen geben, in die Kirche gehen, nach dem Sauerbrunnen reisen, einen Kranken besuchen, eine Kindbetterin ansprechen wollten. »Ach mein herzlieber Mann, da und dort muß ich Ehren und Gewissens oder meiner Gesundheit halber hin, indessen bleibe du daheim, habe gute Sorge auf das Haus, gucke auch nach dem Kind.« Aber in Wahrheit war es auf andere Dinge abgesehen: dem heimlichen Buhlen einen Narrengang zum Gefallen zu thun, auf den Schießrain, in die Ruprechts-Au, nach St. Arbogast, nach Keyl, nach Illkirch, nach Schilkheim, nach Bischheim, nach Hönheim, nach Kronenburg, nach Höchst, nach Bockenheim, nach Nied, nach Börnheim, nach Aschaburg, nach Oberrod, nach SchwanheimDie angeführten Ortschaften sind Vergnügungsorte in der Nähe von Straßburg. zu spazieren, im grünen Schiff die Ill hinauf in das grüne Gras und nach St. Oswald, auch im Marktschiff den Main hinab nach Mainz zu fahren. Währenddem muß der arme Mann mit beiden Händen arbeiten, muß hacken und roden, daß ihm der bittere Schweiß über das Gesicht rinnt. Andere gingen in das Bad; warum? Darum, daß sie sich wollten schröpfen lassen. Aber zu ihrem höchsten Mißfallen hat man vor kurzem löblich verordnet, daß die Mannsleute, denen zu Ehren oft das Badegeld spendirt worden ist, in besonderen Zimmern baden sollen;Wie frei es damals in den Bädern herging, erfährt man aus Dav. Heß, Badenfahrt, Zürich 1818. Heinr. Pantaleon, Beschreibung der uralten Stadt Baden (im Aargau), Basel 1578. und deswegen ist es nicht ohne Ursach, daß diese armen Weiber jetzt so maulhängerig in Gedanken da liegen und so traurig da sitzen, als wollten sie die Bänke durchschwitzen.

Andere sah ich oft und fleißig zur Beichte gehen, damit sie in guten Werken umsomehr unterwiesen würden, sie waren aber gleichwohl nicht gut katholisch, sondern kamen mir etwas ketzerisch vor, als die auf den Ablaß nicht viel halten.

Etliche, die selbst nicht viel zu essen hatten, hielten ihren Kindern Erzieher zu Hause; warum? Damit sie gelehrter und informirter würden. Etliche waren darauf aus, Krüge zu zerbrechen, weil ihre Männer Häfen brächen. Einige trachteten danach sich an ihren Männern zu rächen, nach dem Sprichworte: es hat ein Weib keine größere Freude, als wenn sie sich an ihrem Manne rächen kann. Einige unter ihnen waren närrisch, weil der Mann nicht zu gebührender Zeit daheim war; andere ebendarum, weil er zu gebührender Zeit zu Hause war. Etliche waren, wenn der Mann sie erzürnt oder ihrem zimperlichen Willen und Wohlgefallen zuwider gehandelt hatte, so ungehalten, daß er dieselbe Nacht nicht zu ihr in das Bett durfte, wie liebevoll er sich auch in Worten und Werken gegen sie zeigte. Der arme Narr mußte auf der Bank schlafen, mußte die ganze Nacht hindurch das Kind wiegen, der gnädigen Frau das Trinkgeschirr darbieten, demüthig und tiefseufzend in Gehorsam aufwarten, mit großer Ehrerbietung das Trinkgeschirr wieder empfangen, die Haube in den Händen halten und warten, welch anderer Befehl ihm noch aufgetragen würde. Gleichwohl waren unter allen diesen Weibern nicht diejenigen zu finden, deren Männer im Kriege, auf Reisen, in der Messe, auf Jahrmärkten und sonst wo aufgehalten werden, oder die Tag und Nacht, Jahr und Tag herum laufen müssen, um die Ihrigen zu ernähren. Diese Weiber verhalten sich die Zeit über wie Jungfrauen, bis die Männer wieder nach Hause kommen; trotzdem fanden sie alle dreiviertel Jahr ohne Fehl ihr Kind in der Wiege und mußten das Geschrei ohne Wolle hören.

In einem anderen Zimmer, nahe bei diesem, waren die ehrsamen, ehrbaren, betagten Männer und Wittfrauen, die an Witz und Erfahrung den andern weit vorzusetzen sind; sie stellten sich alle gar gravitätisch, züchtig und still, konnten nicht leiden, daß junge Leutchen ein Wort redeten oder gar lachten, und wo sie nur sahen, daß zwei miteinander sprachen oder einander ansahen, so war es bei ihnen ein gewisser Schluß, daß die beiden mit einander mußten gehurt haben: denn keiner sucht den andern hinter dem Ofen, der nicht zuvor daselbst gewesen ist. Auch sie hatten bei ihrem Alter noch mancherlei Einfälle und Anfechtungen, so daß man ihre Thorheit unschwer merken konnte und ihre Gravität nicht lange Stand hielt.

Eine sah ich, die weinte mit ihrem rechten Auge um ihren verstorbenen Mann, und mit dem linken gab sie ihrem Buhlen einen freundlichen Herzensblick: ebenso wie die Franzosen, wenn sie einem die linke Hand geben, sagen, c'est la main du coeur, es ist die Hand vom Herzen, und die Liebe auf der linken Seite ist viel stärker als auf der rechten. Eine andere sah ich in tiefer Trauer gehen nicht aus Herzeleid, sondern aus Gewohnheit und wegen der Zeit. Viele andere, ohne äußerliche Trauer und ohne Schleier, gingen in dem Gemach auf und ab, die dem Aussehen nach fromme, aufrichtige Matronen waren; wie ich aber hernach vernahm, waren es Mameluckinnen, die keinen Glauben hatten und niemandem ihr Wort hielten. Andere wetteten miteinander, welcher der Schleier, Sturz, Flor und Trauer besser stehen würde; diese, welche in Trauerkleidern Leid tragen sollten, trugen sich so zierlich, so zimperlich, so pimplich, so musterhaft, daß man ihre hochzeitlichen Gedanken leicht errathen konnte.

In einem andern Zimmer sah ich einige Haufen Weibsvolk ohne Unterschied des Alters und Standes unter einander umher gehen. Unter diesen waren einige verlebte Mütter, die sich doch in Kleidung, in Geberden und in ihrem ganzen Wesen den jungen Mädchen gleich hielten, damit sie gleichwohl den Männern die Gedanken verunruhigen möchten. Hinwiederum sah ich einige junge Mädchen sich tapfer tummeln, Zeit und Gelegenheit frisch benutzen und sich beeilen, damit sie nicht zu spät kämen, weil sie doch im Alter darben müßten.

Viele waren unter ihnen, die trugen schöne, vergoldete Bücher, andere ganz schwarze mit Corduan überzogene, die ich dem Aussehen nach für ein Gebetbuch, Rosengärtlein, Katechismus, Jesus Sirach, Psalter, Habermann, Paradiesgärtlein, Andachten, Wasserquelle, wahres Christenthum, Uebung der Gottseligkeit, SelbstbetrugZu jener Zeit gebrauchte Andachts- und Gebetbücher. Paradiesgärtlein und wahres Christenthum haben den wackeren Theologen Joh. Arnd (geb. 1555 zu Ballenstädt, gest. 1621) zum Verfasser. Sie sind auch in dem ersten Viertel unseres Jahrhunderts wieder hervorgesucht und herausgegeben. und andere hielt. Aber als ich sie ein wenig aufthat und das Innere besah, da waren es Amadis Schäferei, Rollwagen, GartengesellschaftVerfaßt von Jacob Frey. Schimpf und Ernst,Nr. 945 u. 946 der Universal-Bibliothek. – Es ist also der Katalog einer Bibliothek für die Frauenwelt des 17. Jahrhunderts. Eulenspiegel, König Leu, Melusina, Ritter Pontus, Herr Tristram, Peter mit den silbernen Schlüsseln, Albertus Magnus, Hebammenbuch, Traumbuch, Zirkelbuch, Loosbüchlein, Räthselbuch und viele dergleichen mehr.

Andere, um schamhaft zu erscheinen, verpflasterten das Gesicht hier und da mit schwarzen Taftschandflecken, und schämten sich dessen nicht. Kurz, tausenderlei Phantastereien wären zu erzählen, die der hirnbesitzende Leser zur rechten Zeit ohne meine Anweisung wird merken und von selbst verstehen können.

In einem kleinen Gärtchen, nächst diesem Gebäude, sah ich einige in einem Pferch eingeschlossen: gewesene Jungfrauen und Junggesellen, die sich gleichwohl nicht dünkten Säue zu sein. Mir wurde gesagt, diese Junggesellen wollten nicht heirathen, sie könnten denn ein gebornes Fräulein, oder eine geborene vom Adel haben; diese gewesenen Jungfrauen aber wollten nicht heirathen, sie könnten denn einen geborenen Herrn oder einen vom Adel bekommen. Der Alte sprach zu mir: »Ach der thörichten Leute, die aus ihrem Stand und über ihr Herkommen und Vermögen heirathen wollen! Meinen die närrischen Junggesellen, wenn sie irgend eine ungerathene vom Adel ertappen, darum unter den wahren Adel gezählt und mit ihm verschwägert zu werden? Ach wie manchen Thoren hat solche Heirath sein Leben gekostet. Und meinen die thörichten Jungfrauen, weil ihnen ein geborener Herr oder ein Junker seine Liebe und Dienste angeboten hat, daß ihm darum Ernst sei? Es ist nicht des Heirathens wegen, daß dergleichen Sachen vorgehen.

Manche hat ihr Ehrenkränzlein verloren
durch einen, der höher war geboren;
aber warum sind die Mägdlein solche Thoren?
Warum verstopfen sie nicht ihre Ohren?
Dann blieben sie unvexirt, und das Kränzlein bliebe unverloren.

Gewiß ist es:

Liebst du jemand von höhrem Stand,
So hast du wahrlich keinen Verstand.«

Weil mir nun unter diesem thörichten Gesindel die Zeit sehr lang wurde, begab ich mich von dannen in ein anderes Zimmer, darin die geistlichen Weibsleute wohnten, die sonst ein stilles, eingezogenes Leben führten; ich fand aber beim Hinausgehen, daß sie von dieser thörichten Krankheit nicht minder angefochten waren und daran niederlagen, als die vorigen alle. Und wenn sie auch ihre tägliche, häusliche Arbeit wohl verrichten, so kommt doch bisweilen eine unvermerkte Stunde, in der sie eine ziemliche Thorheit begehen. Im übrigen sind sie allen denen feind, die dem Buhlenwerk nachhängen, reden tröstlich von Gottes Wort und der lieben Ehrbarkeit; werden deshalb auch nicht so eng gehalten wie die andern, sondern haben Erlaubnis zu spazieren, wohin sie wollen. Ueber der Ausgangsthür inwendig standen diese Worte: »Die freilich ist keusch, welche von niemand begehrt wird.«

In diesem Zimmer fragte ich den Alten abermals, woher doch eigentlich die Hauptursache dieser Krankheit und die schweren Fälle aller herrühren möchten? »Mein Sohn, sprach er:

Allein der Müßiggang
Ist des Buhlens Anfang.

Wo Ceres nicht sitzet,
Wo Bachus nicht hitzet,
Da Venus nicht schwitzet.

Wo Herr Müßiggang ist, da ist auch Frau Kitzel gern. Wenn Diana spazieren geht, so ist es um ihre Ehre geschehen.«

Als nun der Alte weiter ging, sah ich noch in diesem Zimmer etliche Niederländische oder Holländische, die sich aus Flandern stammend nannten, weil sie einen um den andern gaben. Diese thaten nichts weiter, als Wechselbriefe hin und her schicken, und ihr Gewerbe war so groß, als das der Fugger zu Augsburg und der höfischen Gesellschaft, oder das des Hans Ochs und der Neufville'sEs sind theils bekannte theils unbekannte Handelshäuser jener Zeit. zu Frankfurt immer sein mögen.

Einige liebten nur diejenigen, von welchen sie nicht geliebt wurden, und von welchen sie geliebt wurden, die liebten sie nicht. In Summa: es waren so viele und so gefährliche Zustände, daß der Arzt an der Hilfe und Heilung schier verzweifeln wollte.

Aus diesem Zimmer kam ich wiederum in ein anderes, darin diejenigen Weiber waren, welche den ledigen Stand gelobt hatten; sie waren nicht so toll wie die vorigen, weil sie an allen Orten Mittel fanden, sich für ihre Krankheit Linderung zu verschaffen. Einige unter ihnen waren den Schnapphähnen gleich, die da manchem ehrlichen Mann das Seinige abnahmen und es einem Bettler gaben. Zwar ist es ein Werk der Barmherzigkeit die Nackenden zu kleiden, aber es ist auch ein Werk der Unbarmherzigkeit einen Bekleideten auszuziehen. »Da siehst du,« sprach der Alte, die böse Gewohnheit untreuer Weiber, die von nichts weiter als von Treue zu reden wissen und doch gar wenig Treu und Glauben halten, die lose Lust und das Gelüste leichtfertiger Weiber, die sich oft eher in einen schmutzigen Karrenzieher, Kornwerfer, Bäckerknecht, Metzger, Schiffer oder einen andern groben Bengel, sogar in den Bettelmann vergaffen als in ihre eigenen Ehemänner, denen sie lieber alles wegschleppen, ehe sie einen Gespan Mangel leiden ließen; und das muß wahr sein, weil: Der Arme kann allenthalben liegen. Jener arme Poet, der von der Königin Elisabeth ein Geschenk erbat und dem sie aus Erbarmen sagte: Der Arme kann allenthalben liegen, gab ihr alsbald diese vernünftige Antwort:

»Nun jetzt, Gott Lob, bin ich aufs Höchst' gestiegen,
Und wie ich hör', aus aller Noth errett't:
Denn wenn der Arme überall kann liegen,
So schlaf ich heut in meiner Kön'gin Bett.«

Einige waren über die Maßen thöricht, wußten aber nicht warum; vielleicht allein deswegen, daß ein Poet in seinen Reimen ihre Schönheit gelobt, ihre Haare in goldene Fäden oder Sonnenstrahlen, ihre Zähne in Elfenbein und Perlen, ihren Mund und ihre Lippen in Korallen, ihren ganzen Leib in Edelstein und Bisam verwandelt hatte.

Eine sah ich mit einem Sterngucker reden, daß er ihr möchte ein Thema, ihre Genesis, ihr Horoskop, ihre Nativität (das die Weiber Antivität nennen, – jene meinte, es wäre das erste Buch Mosis) stellen und zeigen, in welchem Hause sie geboren wäre, welches Glück sie in der Welt, was für einen Mann, wieviel Kinder sie zu hoffen hätte und wie bald? Eine andere sah ich mit einer Zigeunerin oder Zauberin sprechen, der sie die Hände und den Hintern zeigen mußte; diese war so mitleidig und barmherzig, daß, wenn sie einem die Liebe hätte zu fressen geben können, sie keine Kosten würde gespart haben.

Wie viele von denen sah ich, welchen es, wenn sie ihre entlehnten Haare, ihre geflickte Schönheit, ihre gekaufte Gestalt wieder hätten weggeben sollen, viel lächerlicher als des Aesopus Krähen mit den entlehnten Federn würde ergangen sein.

Ich schüttelte den Kopf und mit lächelndem Mund über alle diese Thorheit ging ich von dannen und kam in ein anderes großes Gebäude, das von dem vorigen durch einen kleinen Durchgang geschieden war, in dem hatten die Mannspersonen Wohnung und Aufenthalt. Die Ersten wurden Weibernarren genannt, deren Krankheit kam einzig und allein daher, daß sie stets hinten und vorn, um und an den Weibern sein wollten, und wer ihnen von der Kur nur redete, der war bei ihnen angefeindet und gehaßt. Die guten Männer meinten also, es wäre ein seligmachendes Verdienst, wenn sie in solcher Thorheit das Leben ließen; und obschon sie die Ursache und den Ursprung ihres Uebels, wie jener gute Bruder, merkten und wußten, so wollten sie doch nicht geholfen sein; daher hatten sie auch die Erlaubnis, ihrer vortrefflichen Dienste willen, die Kappe mit vier Schellen zu zieren, während andere nur zwei tragen durften. O wie manchen guten Schlucker habe ich allda gefunden, der, wenn eine neue Narrentracht aufkam, seinem Schatz, seiner Dame, seinem Engelchen zu gefallen, alles dazu aufwendete, während er zu Hause trotz guter Zähne schlecht essen oder aus Andacht gar fasten mußte.

Was sind das für Narrenspossen –
Sprach zu mir ein Edelmann,
Den ich noch wohl nennen kann –
Wenn ich trüg' verbrämte Hosen
Und ich sollt' nicht haben Brot;
Besser wär' es, morgen todt.
Lieber halt' ich's mit den Bauern,
Die sich fressen voll die Haut
Mit dürrem Fleisch und Sauerkraut,
Wissen nichts von Noth noch Trauern,
Essen zu dem Kalb die Kuh,
Tragen doch geflickte Schuh.
Summa: wenn nur hat der Magen,
Soll man nicht über Mangel klagen.

Wie manchen großen Herrn habe ich allda gefunden, der ehemals Spielleuten, Kupplerinnen und Zuckerbäckern Hunderte baar bezahlt hat, damit er seinem liebsten Engel ein Ständchen, einen Tanz, einen Abendtrunk bestellen und auftragen könnte, der jetzt gern um ein Mittagessen die Hosen versetzen möchte. Wie viele waren da, die nicht das Brot im Hause hatten, und die dennoch die Versuchung und der Kitzel vexirte.

Allein in einer Ecke dieses Saales bemerkte ich einige schwarze, wüste Tröpfe mit langen, schmutzigen Haaren, von denen ein Theil große Knebelbärte hatte, womit sie einem Kinde die Augen hätten ausstechen können; daneben aber auch andere ganz ohne Bart, wie die alten Wollüstlinge. Diese insgesammt bildeten sich ein, daß sie die schönsten, wohlgestaltetsten, lieblichsten, freundlichsten Kerls auf Erden wären; der eine trug eine große, gekräuselte Perrücke oder einen Zopf oder Locken; der andere strich den Knebelbart; der dritte drillte den Bart, wie jener Kapitän seine drei Soldaten; der vierte hatte gar keinen Bart, darum wischte er nur das Maul; jener prunkte mit seinen weißen, weichen Händen, dieser mit seinen kleinen Füßen. Und bei all ihrer Einbildung war in Wahrheit ein jeder häßlicher, gräßlicher und ungeschlachter als der wüste, unflätige Thersites bei dem blinden Homer, oder wie sie der edle EngländerM. meint Owen. S. Einleitung. beschreibt: mit Froschgesichtern. Diese wüsten Tröpfe sollen sich ja hüten, ihre eingebildete Schönheit vor Frauenzimmern zu rühmen, die von Natur nicht leiden können, daß irgend jemand schöner sein wolle als sie selbst.

Dort gab sich einer für einen Kriegshelden, für einen Raufer, Krieger und Fechter aus, der über die Maßen mit dem großen Messer aufschnitt, von nichts anderem, als von großen Streichen, tiefen Wunden, von Festungen-einnehmen und Mauern-besteigen redete; und der arme Hund sollte doch wissen, daß das weibliche Geschlecht von Natur furchtsam ist, erzittert und sich verkriecht, sobald es eines Degens ansichtig wird.

Da ging einer zur Nachtzeit um seiner Liebsten Haus die Ronde machen und kam als viereckigter Narr wieder nach Hause. Andere, die nur einige Beispiele der tollen Liebe erzählen hörten, wurden bald so große Narren wie die vorigen alle. Dieser lief den ganzen Sonntag durch alle Straßen, ob er irgend eine Küchenmagd anträfe, denn bei ihm heißt es, wie bei Aubelin, dem Maler zu Hartenberg:Eine unbekannte Persönlichkeit, die Seite 257 nochmals erwähnt wird. ein Matz sein Schatz. Jener klagte, daß er mit all seiner Freundlichkeit und Beständigkeit keine Jungfrau, kein Weib erwerben könne; dieser hingegen, daß er, seines Weibes müde, sie doch nicht los werden könne.

Jener lief von Haus zu Haus, von Eck zu Eck, wie ein Stein auf dem Brettspiel und konnte doch mit aller Mühe und Arbeit keine Dame bewegen. Dieser beklagte sich, was für Ungemach er ausstehen müßte, und war doch gar nichts daran; ein anderer, der unzähligen Kummer ausstand, wollte oder durfte es gleichwohl niemand klagen. Mit denen hatte ich insonderheit großes Mitleiden und rieth ihnen oft, daß sie von solcher Thorheit ablassen möchten. Aber der Alte sprach zu mir: »Laß sie gehen, Narren ist weder zu rathen noch zu helfen, es sei denn, daß man sie mit Kolben lause.«

Es waren auch hochtrabende Gesellen da zu finden, welche manch ehrbares Mädchen, von nicht geringerem Stande als sie selbst, gleichwohl verachteten und höher hinaus wollten, als sie fliegen konnten oder als ihnen die Federn gewachsen waren. Wie ich denn in den vorigen Zimmern unter dem Weibsvolk auch dergleichen Fälle gesehen habe, indem sie oft einen guten, ehrlichen Gesellen, der ihrem Stande gemäß oder noch besser sein mochte, verachtet, abgeschlagen und verlacht haben, ohne dessen Hilfe sie doch nimmer eheselig werden können.

Auch sah ich etliche ganz eselgrauhaarige Junggesellen, von welchen gesagt wurde, daß sie sich selbst nicht recht trauten. Dieselben leben ohne Eheweiber aus Furcht, daß sie bei ihrem Vermögen nicht bestehen könnten; deswegen behelfen sie sich in ihrem Hauswesen mit Küchen- und Stallmägden und mit Mädchen für Keller, Speicher, Tische, Stühle, Bänke, Stiegen und Kammer, denen sie Lohn geben. Solche jungen Gesellen habe ich immer mit den schlechten Schuldnern verglichen, deren Weise es ist, an manchen Orten, wo es nicht nöthig ist, zu spendiren, wenn sie aber ihre eigenen Leute bezahlen sollen, kein Geld mehr im Säckel haben.

So mancher Tropf
Kratzt sich im Kopf;
Wenn er nur hört von Weibern sagen,
Will er an sich und Got': verzagen.
Ein Mann ohn' Weib
Ist halb ohn' Leib.
Ein schlechter Spatz allein herum zu stutzen!
Was will der Mann,
Der sich nicht kann
Selbst rathen recht, dem Vaterland doch nutzen?

Die Ehemänner sah ich da mit Ketten und Banden umgeben, in denen sie oftmals unsinniger waren, als die Narren alle; denn etliche verachteten ihre eigenen Weiber und liebten und lobten allein, was andere Weiber thaten. Andere meinten, daß sie durch Sauersehen und stetiges Balgen ihre Weiber zum Gehorsam bringen könnten. Aber diese sah ich auch sehr betrogen, denn schließlich wurden sie aus wilden Löwen und reißenden Wölfen geduldige Schäflein und Lämmermätzchen.

Andere liebten ihrer Weiber Gespielen; andere spielten mit andern Weibern. Witwer, als erfahrene Leute, waren schwer zu betrügen, und doch sah man deren, die mit allen Vieren in den Dreck fielen, wiewohl sie mit sonderlichem Bedacht und Vorbedacht die Sache anzugreifen vermeinten. Sie waren allenthalben, wie Hans Ueberall, zu Hause; wo sie liebten, da waren sie willkommen, und die Hinterthür stand ihnen offen; von welchen sie aber geliebt wurden, deren achteten sie nicht so sehr; sie waren, was zu verwundern ist, rechte Narren, wiewohl sie vor der Welt die witzigsten sein wollten.

Einiger sehr alter, verlebter Herrn wurde ich gewahr, denen die Weiber nicht einen guten Blick gönnten, wiewohl sie sich freundlich stellten; aber sie verdienten wenig Dank damit und wurden eben übel empfangen, sie mochten herkommen, von wo und wann sie wollten. Als ich im Vorübergehen von dem Alten die Ursache dessen erforschen wollte, gab er mir zur Antwort:

»Wenn ein alter Mann will freien.
Der in Gliedern schwach und matt,
Der erwachsne Kinder hat
Und sich helfen durch Arzneien,
So wird ihn die Thorheit reuen,
Muß nur hören, sehen, schweigen.

Wenn ein alter Mann will freien
Sollen alle Freunde schreien.
Daß der alte schwache Mann
Sich nicht besser hüten kann.
Sein Weib das wird seiner lachen
Und ihn ganz zum Narren machen.

Die Weiber haben, sprach er, auch philosophirt, aber auf die Philologie, das unselige Kritisiren, Grübeln in Worten, geben sie nicht ein Titelchen: Werke werden von ihnen erfordert.«

Etliche Musikanten und Lautenschläger sah man, deren Vorsatz es war, die Jungfrauen mit ihrem Trireliren zu gewinnen und zu bethören, wie sich denn auch viele bethören ließen. Die Poeten vermeinten durch Versemachen ein nicht Geringeres zu verdienen. Aber wenn sie hofften, ihre Ader hätte das Beste geleistet, so sprach die Jungfrau: ach Herr, es ist nichts. Mancher erzählte dem andern seine Heimlichkeiten, der hernach von Herzen darüber lachte und es sich zu Nutze machte. Mancher machte eine Aeneide über ein Küchenfenster, aus dem seine Liebste, eine Viehmagd, herausgesehen hatte, und sonst wohl nicht ein Hund 'raus guckte. Einer wollte mit seinen Reimen die Nacht beschwören, daß sie ihm mit dem Gestirn der Liebsten Thür und Kammer weisen möchte. Ein anderer trug den Sack voll Briefen mit allerhand farbenen, seidenen, silbernen und goldenen Fäden umbunden und mit Pfeilen, Köchern, Herzen und Flammen versiegelt. Andere trugen Armbänder, Hutschnüre und Zöpfe, vermeinend aus den Haaren ihrer Geliebten, die vielleicht von einer Aussätzigen oder gar von einem Kuhschwanz herrührten, wie jener Barbier zu Ansbach.

In einem besonders dazu gemachten Häuschen, gleich einem Zuchthaus, saßen zwei ansehnliche Kerls, ebenfalls mit Ketten angeschmiedet wie Unsinnige. Als ich herzu kam zu hören, was ihnen gebräche, da war es nichts als Seufzen, Klagen und Wünschen: »O daß ich! O wenn ich! O hätte ich! O wenn ich so selig wäre, daß ich in einen Floh verwandelt würde, und aufs wenigste nur in meiner Liebsten Kammer herumhüpfen könnte! Wie ein viel seligeres Geschöpf ist doch der Floh als ich, der soviel und so große Gewalt hat, und ich darf nicht dahin gucken!« Ei so gucke, sprach ich, damit du deine Ehre verguckst! Der muß wahrhaftig ein Grillenfänger sein, der sich solche Thorheit anwünscht! – Der andere, noch närrischer, wünschte sich so glückselig zu sein, daß er das Brett auf dem heimlichen Gemach wäre, damit er seiner Liebsten je zu Zeiten könnte einen Kuß geben. Mit diesem Tropf hatte ich besonders Mitleid und wünschte ihm aus größerer Freundschaft, daß er nicht nur das Brett, sondern auch das heimliche Gemach selbst wäre, und daß ihm seiner Liebsten Thränen aus dem Hinteren zur Bezeugung recht innerlicher Leibesliebe gar in das Maul fallen möchten. Und ich glaube, der Narr hätte es als einen besonderen Leckerbissen mit großer Ehrerbietung gern angenommen.

Einige gaben um einen armen Kuß sich willig in eine sklavische Dienstbarkeit; andere wollten sich nicht küssen lassen, trotz aller Affection und Liebe, die man ihnen schwur. Einer liebte heimlich und in dem Sinne, wie die armen Juden wuchern; ein anderer öffentlich und ohne Scheu. Mancher liebte umsonst, mancher um Lohn; mancher gab noch Lohn dazu, und diese waren die liebsten, weil ja durch spanische Dublonen eine Festung eher kann gewonnen werden als durch die Kronen der Franzosen.Der Sinn der Stelle ist klar, wenn man weiß, daß eine spanische Dublone 65,20 Mark, ein französische Krone 6 Francs beträgt Mancher verliebte sich um nichts; mancher ums Geld, wie dieses unbärtige Herrchen, getrieben von der Göttin Dublona oder Diabolona, ein wüstes, altes WeibIm Text ist ein Holzschnitt, der eine häßliche Alte vorstellt, welche einen großen Geldsack trägt, nach dem ein junger Gesell greift; im Hintergrunde grast ein Esel um einen Sack voll Dublonen zur Ehe nahm, von der er aber hernach für einen Esel geachtet und gehalten wurde. Das ist aller derer verdienter Lohn, die es mehr auf unerlaubtes Leid als auf erlaubte Fröhlichkeit abgesehen haben, die da glauben alte Weiber zu beerben, und müssen hernach vor ihnen sterben. Mancher verliebte sich gar um Leib und Seele.

Als ich nun diese letzteren Thoren genugsam besehen hatte, und in das obere Schloß, der Venus Kunstkammer genannt, gehen wollte, sprach der Alte zu mir, ich könnte jetzt da nicht eingelassen werden, sondern müßte es auf ein ander Mal versparen, denn ich hätte der Narrheit schon zuviel gesehen. Darum führte er mich zurück in den ersten Hof, durch den ich eingegangen war; darin sah ich nochmals mein Wunder. Ich bemerkte, wie sich die Zahl der Narren alle Augenblicke mehrte. Ich sah die Zeit, durch deren Hilfe etliche genesen waren; ich sah die Eifersucht gegen diejenigen, welche es bisweilen am wenigsten verdienten. Ich sah das Gedächtnis der alten Liebe und Wunden. Ich sah den Verstand in einem finstern Käfig eingeschlossen und gefangen; ich sah die Vernunft mit blinden Augen, und vieles andere, worüber mir das Gesicht verging.

Endlich bemerkte ich eine kleine Thür so eng, daß schwer hinauszukommen war, vor allem weil dort Frau Undank und Frau Untreu den Paß gaben; ich beeilte mich denn auch sehr und machte mich davon. In dem zog mir einer meiner obengenannten Freunde, bei denen etliche Tage zu verbleiben ich mich entschlossen hatte, den Vorhang vom Bett, worüber ich erwachte und merkte, daß es heller Tag war.

Als ich mich nun ermuntert hatte und wieder zu mir selbst kam (denn wer in solchen Orten und Händeln begriffen ist, der ist nimmer bei sich selbst), mich umsah und mich in meinem Bette befand, da verdroß es mich nicht wenig, daß ich mich in diesem Narrenhaus zu meinem großen Schaden mit Leibes- und Seelengefahr so lange aufgehalten hatte. Doch war ich zufrieden, da ich nun wußte und gesehen hatte, daß auch andere und größere Narren als ich dagewesen waren, und daß ich in diesem Ort auch Fürsten, Grafen und Herren zu Brüdern bekommen hatte, die mir alle betheuerten, sie hätten beim Herausgehen erfahren, daß Menschenliebe nichts anderes sei, als eine liebliche, pure Narrethei.

Was ist Liebe?

Ein Feuer sonder Glut, ein lebendiger Tod,
Ein Zorn, doch ohne Gall', eine angenehme Noth,
Ein Klagen ohne Angst, ein überwundner Sieg,
Ein unbeherzter Muth, ein freudenvoller Krieg,
Ein federleichtes Joch, ein nimmerkrankes Leid,
Ein zweifelhafter Trost und süße Bitterkeit,
Ein unverhofftes Gift und kluge Phantasei,
Ja kurzum: Liebe ist nur bloße Narrethei.
                   Homburg.G. Chr. Homburg geb. zu Mühla bei Eisenach, gest. 1681, war Mitglied der fruchtbringenden Gesellschaft und zeichnete sich als lyrischer und epigrammatischer Dichter durch Anmuth und Leichtigkeit aus.

  Was ist lieben?
  Sich betrüben,
Sich stets widmen kranker Pein.
  O wie weise,
  Der da leise
Gehet und mag sicher sein!

  Lieb erwecket
  Lust und schmecket
Anfangs einem jeden gut;
  Bald sich's wendet,
  Kurzweil endet.
Martert, daß es wehe thut.

  Amor, Spötter
  Aller Götter,
Amor aller Schalkheit voll,
  Ohne Wunden
  Geht verbunden,
Nur daß man ihn klagen soll.

  Liebesfeuer
  Hat noch heuer,
Sonst auch, thränend' Aug' gebracht,
  Bald gegeben
  Dem das Leben,
Diesen trank und todt gemacht.

  Drum ist lieben
  Nur betrüben,
Götter-Menschen Phantasei;
  Man muß lachen
  Ob der Sachen,
Ob der klugen Narrethei.
                         Homburg.


 << zurück weiter >>