Hans Michael Moscherosch
Philanders von Sittenwald wunderliche und wahrhaftige Gesichte – Erster Teil
Hans Michael Moscherosch

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Erstes Gesicht

Schergenteufel

Nachdem ich in meiner Jugend von meinen Eltern im Christentum einfältig unterwiesen und im elften Jahre auf die nächstgelegene hohe SchuleGemeint ist Straßburg. an der Ill, zwei Stunden Wegs von Wilstädt, geschickt war, um Kunst und Tugend allda zu lernen, und etliche Jahre hintereinander dort ausgehalten hatte: da fand ich schließlich, als ich die Schule verließ, daß mir alles, was ich daselbst in den Büchern von der Welt und ihrem Wesen gelesen und aus dem Thun und Leben, dem Handel und Wandel der Menschen abgesehen und gemerkt hatte, dergestalt vorkam, daß ich mich schlechterdings danach nicht richten könnte.

Ich las die Weltgeschichte: aber ich hörte es doch anders, als da geschrieben stand. Ich hörte die Leute in ihrem Wesen reden: aber ich sah es anders, als sie redeten. Ich sah die Leute an: aber ich sah sie anders, als sie schienen und aussahen. Jedem Ding gab man zwar seinen Namen und seine Gestalt: aber es war bloßer Name und Gestalt, denn das Innere war anders; von außen war alles herrlich, aber sobald man danach griff, war es ein Schatten und verlor sich unter den Händen. Es gleißte über die Maßen, aber es war darum kein Gold, sondern gefährliches Operment und Antimon. Ich wußte nimmer, wie ich das verstehen oder mich in die gefärbten und versteckten Dinge schicken sollte; mit einem Worte: es däuchte mir aller Menschen Wesen nur eine angenommene Weise, eine eitle Heuchelei zu sein, und das fast ohne Unterschied bei allen Ständen.

Ich hatte gelesen, daß die Staatsmänner heutiges Tages solche Leute wären, welche durch große Erfahrung, durch Studium, durch Reisen, durch an den Höfen erworbene, sanftmüthige Beredtsamkeit und anmuthige Leutseligkeit alle Städte und Stände in erwünschtem Wohlstande regieren könnten.

Ich fand aber in Wahrheit, daß sie meist heimtückische, falsche, eigensinnige, eigennützige, theils auch unchristliche Leute und Tyrannen waren, die durch erlernte, welsche Künsteleien alles Wasser allein auf ihre Mühle zu leiten wußten, die allen gelehrten, redlichen Leuten spinnefeind, allen gerechten, gottliebenden Menschen gehässig und hinderlich waren; die ihre vertrautesten Freunde und Brüder mit den allerzierlichsten Worten und höflichsten Erbietungen, auch mit besonderen Liebeserweisungen über ein Bein zu Boden warfen; die durch gleißnerische Sanftmuth die Einfältigen zu hintergehen, die Aufrichtigen durch scharfsinnige Arglist umzuwerfen und zu verderben, die Städte und Stände, Herrschaften und Unterthanen mit erdichteten Auflagen in Mißtrauen zu setzen, gegen einander zu hetzen, zu trennen und zu plagen, mit großen Versprechungen zu gewinnen, durch kostspielige Aufzüge in Zerrüttung und gänzlichen Untergang zu stürzen gelehrt waren.

Ich hatte gelesen, daß die Philosophen die weisesten Leute sein sollten: befand aber in Wahrheit, daß sie oft die größten Narren waren. Ich hatte gelesen, daß die Aerzte die Kranken heilen und gesund machen sollten: befand aber in Wahrheit, daß sie, ebenso gut wie andere, an denselben Krankheiten selber sterben mußten.

Ich hatte gelesen, daß die Juristen die Gerechtigkeit lehren und befördern sollten: befand aber in Wahrheit, daß niemand dem Recht mehr hinderlich und schädlich war als eben die Juristen. Ich hatte gelesen, daß die Theologen heilige, unsträfliche Leute sein und das heilige Wort Gottes getreulich lehren sollten: befand aber in Wahrheit, daß grade viele derselben in unversöhnlichem Haß und Neid, in Ehrgeiz und Geldgier und andern Sünden und heimlichen Lastern lebten, ja daß sie das hochheilige Wort Gottes durch selbstausersonnene Beredtsamkeit und durch verdammliche philosophische Erklärungen schändeten und kraftlos machten.

Demnach schloß ich: es ist wahrlich unsere Welt ein lauteres Spiel und all unser Wesen eine Spiegelfechterei.

Und o wehe uns armen Menschen, die wir also weise, also gesund, also gerecht und selig werden sollen! Die wir unser Elend sogar nicht erkennen, noch uns daraus helfen können! Wehe unserm liebwerthen Vaterlande, das durch die Reisen in fremde Länder mit fremden Lastern so angefüllt wird, daß zu besorgen ist, Gott könne diesem Greuel länger nicht zusehen, sondern werde uns wie Israel zu nichte machen. Was das Schicksal will, kann durch keine Rathschläge, keine Künste, keine Mittel der Klugheit gemieden oder gebessert werden.

Zu Gott kommt man durch Frömmigkeit allein,
Gott will in Frömmigkeit nur angebetet sein.

Man stellt sich wohl so, aber es ist doch wenig im Herzen; sie rümpfen die Stirn, zählen Schritt und Tritt, gehen und reden nach dem Takt und der Tabulatur,Tabulatur nannten die Meistersänger die Regeln der Verskunst, welche streng befolgt werden mußten. Es heißt also soviel wie »nach allen Regeln«. schelten auf alles, was nur ein wenig überzwerch geht: das ist der äußerliche Wandel. Wenn man aber den Mantel hinwegzieht und das Herz ansieht, so ist es anders; denn die man für die Besten hält, sind oft die Aergsten: ebenso wie bei den Franzosen viel Complimente wenig Herzlichkeit verrathen. Je mehr Worte, je minder Werk; je mehr Geschrei, je minder Wolle; je mehr Geschwätz, je minder Herz; je mehr Schein, je minder Gold.

Es giebt Leute, die man für die Frömmsten und Heiligsten hält: die dem Glauben sehr ergeben, die nicht straucheln auf der Bahn des Rechts, tief erfahren in der Heilkunst, voll wissenschaftlichen Ernstes, von gradem Lebenswandel, kurz, reich an mannichfachen Titeln. Aber wenn ich das Herz recht auskundschaftete, so kam ich allemal zu dem unwidersprechlichen Schluß: diese Leute sind wahrhaftig nicht so, wie sie sich stellen; es ist Schminke, Falschheit und Heuchelei dahinter. Es stellen sich viele, als wollten sie etwas sein und sind es doch nicht; viele stellen sich nicht also, sind es aber doch. Daher sagt der Spanier: der Spanier stellt sich weise und ist närrisch; der Franzmann stellt sich weise und ist närrisch; der Italiener stellt sich närrisch und ist weise; der Deutsche stellt sich närrisch und ist weise.

Viele wissen sich mit Worten vor den Leuten nicht gering genug zu machen und zu demüthigen, nur damit sie mehr vorgezogen, mit großen Namen geehrt, geziert und gelobt werden, während sie anderswo ihre Pfauenfedern gewaltig hervorthun, die sie doch in christlicher Demuth sinken oder gar ausreißen lassen sollten. Solche scheinbare Sanftmuth ist der ärgste Stolz und die ärgste Ehrsucht: es ist Heuchelei, Schmeichelei, Liebkosen, heimliche Bosheit, heimliche Arglist, heimlicher Geiz, heimlicher Neid, heimliche Mißgunst, heimliches Irgendwas. Bei dem gemeinen Manne findet es einigen Schein, von verständigen Leuten wird es gemerkt und endlich verlacht; der gemeine Mann läßt sich überreden, wenn man sich nur nach seiner Noth und seinem Anliegen zu stellen weiß, er denkt nicht daran, was für Geschmink und Falschheit dahinter steckt. Nimmermehr aber kann es da etwas Redliches sein, wo man so sehr hinter dem Berge hält, wenn man Brei im Munde hat und dem Kinde nicht will den rechten Namen geben.

Viele können schwerlich leiden, daß von ihrem Nächsten irgendetwas Löbliches geredet und gerühmt werde, es verdrießt sie das im Herzen, als ob ihnen dadurch etwas an ihren Ehren genommen würde; sie schmälern auch selbst, wo nicht durch öffentliches Afterreden, so doch durch heimliches Einhauen, heimliches Ohrenblasen, wie sie ihrem Nächsten möchten eins auswischen, ihm möchten eine Klette anhängen, ihn durch die Hechel ziehen, an seinem Glück und seiner Wohlfahrt hindern, insonderheit mit dem verkleinernden Aber. Sie stellen sich mitleidig, thun als wollten sie dich loben: jedoch mit einem schändlichen Aber stoßen sie alles, auch dich selbst, wieder zu Boden, bringen dich von Ehren, von Hab und Gut und mit Weib und Kind unbarmherzig in Elend und Verderben.

Das ist der Welt Sitte: wir spiegeln uns und kitzeln uns mit fremder Thorheit und bedürfen doch selbst alle wohl, daß uns einer die Hand reicht.

In solchem Welthandel dachte ich: nun helf dir Gott, Philander! Mußt du dich in diese Weltköpfe alle schicken, was wird es dann noch für Angst und Arbeit kosten! Welche Drangsal und Verfolgung wirst du noch von Schelmen, von Dieben, von Zauberern leiden müssen? Heuchelst du nicht mit, sondern wirst wie ein redlicher deutscher Michel frei durchgehen und aus gutem Herzen alles meinen, reden und thun wollen? Dann wird man deiner wenig achten. Heuchelst du aber und thust also, welche Gefahr dann deiner Seele! weil Gott keine falschen Leute, die aus Furcht oder Heuchelei ein Ding thun oder lassen, sondern nur redliche Leute will im Himmel haben. Ich beschloß also, obschon durch böse Zungen gar oft ein frommer Mann, der alles dulden kann, aus seinem Ort gedrängt ist, doch lieber zu leiden als zu lügen, lieber Esel zu sein als ein falscher Hund: Offenheit ist besser als List. Dabei dachte ich aber, es möchte vielleicht nur in meinem Vaterlande so beschaffen sein, anderswo aber redlichere Arbeit und bessere Belohnung geben. Um das recht eigentlich zu erforschen, nahm ich mir alsbald in unschuldiger Einfalt vor, über den blauen Berg in ein anderes Land und Reich zu ziehen und zu sehen, ob daselbst Treu und Glauben, Religion und Redlichkeit auch so vermummt wären, oder besser zu finden, ehrlicher gehalten und belohnt würden.

Zu diesem Ende zog ich im Frühling in Gottes Namen davon und nahm meinen Weg über Nancy in Lothringen auf Paris zu ... Als ich Abends daselbst ankam und in der Herberge zum heiligen Nicolaus einkehrte, begab es sich, daß zwei Priester mit zu Tische saßen, Namens Louis von Ainuille und Karl Foussat von Alsdorf; dieselben sagten mir, daß man morgenden Tags einen Besessenen unfern von da in Notre Dame de Bon-secours, vor St. Nicolaus Pforte, beschwören wollte; wenn ich nun Willens wäre, selbiges mit anzusehen, so wollten sie mir dabei behilflich sein. Ich nahm ihr Anerbieten mit Dank an; dann schlief ich nach geschehenem Nachtwunsch in Gottes Namen ein. Früh Morgens fand ich mich mit meinem Wirth an dem bestimmten Orte ein; da trieb mich denn mein Vorwitz, wie auch die andern, so daß ich gar sehr ins Gedränge gerieth, dem einen hier, dem andern da einen Stoß versetzte, weil jeder der Vorderste sein wollte.

Als mir aber die Zeit zu lang wurde, und ich eben wieder zur Stadt zurückkehren wollte, da begegneten mir zu gutem Glück die obengedachten Priester und redeten mir zu, wieder mit umzukehren und mich weder Zeit noch Mühe deswegen verdrießen zu lassen, und führten mich durch eine kleine Thür hinein zum Altar. Alsbald sah ich einen Menschen von scheußlichem, schrecklichem Angesicht, mit zerrissenen Kleidern, dem standen die Haare auf dein Haupte wie Igelstacheln, seine Stirn war gefalten wie ein Rock, die Augenbrauen gekrümmt wie ein Bogen, die Augen glänzend wie eine Fackel, mit schäumendem Maule wie ein Roß; der fing an jämmerlich zu schreien und greulich zu zittern: er zischte wie eine Schlange, knirschte mit den Zähnen wie ein Eber, blähte den Mund auf wie ein Blasebalg, sperrte die Kehle auf wie ein Schlauch, zerkratzte mit den Händen sein Angesicht und zerschlug sich die Brust und zuletzt, als ob er gestorben wäre, sank er zu Boden und gaffte mit wüsten Gebärden gen Himmel. – O Gott! sprach ich und schlug ein Kreuz, was ist das! und ein Geistlicher, der bei ihm stand und ihn beschwören wollte, sagte zu mir: »Da seht Ihr den elenden Menschen, der vom bösen Geiste besessen ist.« Alsbald hob der böse Geist an in ihm zu reden und rief: »Du Pfaff' hast's erlogen, denn nicht ein Mensch ist von einem bösen Geiste besessen, sondern ein böser Geist ist von einem Menschen geplagt. So wisset nun, daß wir Geister, wider unsern Willen gezwungen, bisweilen in den Menschen, insonderheit in den Schergen wohnen. Darum, wenn ihr mir meinen rechten Namen geben wollt, so sagt nicht, dieser ist ein besessener Mensch, sondern es ist ein verteufelter Scherge, ein verschergter Teufel, ein Teufelsscherge, ein beschergter Teufel; denn die Menschen können sich insgemein viel besser vor dem Teufel durch das heilige Kreuz segnen und hüten, als vor einem Schergen, daher sie auch Allerwelthaß genannt werden. Auch wenn man unser Wesen und der Schergen Thun gegen einander stellt, so ist es gleichförmig in allen Stücken; denn gleich wie sich die Teufel abarbeiten und geschäftig umherlaufen, damit die Menschen gestraft und verdammt werden möchten, so thun es auch die Schergen und warten mit Verlangen, wo der Richter ihnen einen Angriff zu machen befiehlt. Die Teufel wünschen, daß die Welt nur voll böser Buben wäre; dasselbe wünschen auch die Schergen, damit sie immer zu jagen, zu klagen und zu nagen haben, und sie thun es viel eifriger noch, weil sie ihres Lebens Nahrung in dieser Gestalt suchen und erhalten. Darin sind denn die Schergen noch ärger als die Teufel, denn sie thun demjenigen Böses an, der doch ein Mensch ihres Wesens und Geschlechts ist und ihnen oftmals Gutes erwiesen hat; das thun die Teufel, obschon sie aller Gnaden beraubte Engel sind, aber nicht. Darum höre auf, Pater, denn es ist alles vergebens mit deinen Gaukeleien und Beschwörungen; wenn der Teufel einen Menschen einmal in seine Schlinge bekommen hat, so ist er, wenn ihn Gott nicht erlösen wird, nicht wieder zu retten.

So war es besonders mit diesem Schergen, dieweil ja die Schergen und Teufel eines Handwerks sind, nur darin unterschieden, daß jene verkleidete und vermummte Teufel sind, diese aber unbeleibte, unsichtbare Teufel und ein verdammtes Leben in der Hölle führen, grade wie die Schergen auf Erden.«

Während ich nun den verdammten Geist mit Verwunderung also reden hörte, fuhr indessen der Pater mit seinen Beschwörungen fort, und um den Teufel vermeintlich stumm zu machen, besprengte er den Menschen oftmals mit Weihwasser, worüber der Besessene heftig tobte, mit den Zähnen ein solches Klappern und mit den Augen eine so scheußliche Gestalt hervorbrachte, daß den Umstehenden recht angst und bange wurde und die Wände davon zitterten. »Meinet nicht,« sprach der Geist, »daß solche Kraft dem Weihwasser zuzuschreiben ist, daß ich so tobe und wüthe; das geschieht allein wegen der Natur des bloßen, puren Wassers; denn nichts fliehen die Schergen ihrer Gewohnheit nach mehr als das Wasser, so daß, wenn uns die Schergen in der Hölle nütze wären, wir sie mit Darreichung eines einzigen Glases Wein im Sprunge zu uns bringen würden. Und damit ihr ja sehet, wie die Schergen so gar nichts nach heiligen und geistlichen Dingen fragen, so wisset, daß man sie vor Jahren Gerichtsknechte genannt hat, welchen Namen sie nach ihrem Handwerk in Häscher verwandelt haben, weil sie die Leute haschen, schieren und scheeren, daß sie oft verzweifeln müssen.«

Als der Pater, sich bekreuzigend, das hörte, sagte er zu mir, daß ich mich durch des Bösewichts Spottreden nicht beirren lassen möchte, da er tausend Schelt- und Schmähworte wider die heilsame Gerichtsbarkeit und deren Diener ausstieß, weil sie die Gottlosen straft und sie dadurch auf den rechten Weg und zu ihrer Bekehrung leiten wollte, so daß viele Seelen aus des Feindes Banden, darin sie gefangen lägen, könnten erlöst werden.

»Untersteht euch nicht, euch mit mir in Disputationen einzulassen!« rief der Teufel; »ich habe mehr erfahren und gelernt als ein Pater. Machet nur, daß ich von diesem Schergen erlöst werde, ich bitte darum; denn so ein stattlicher Teufel, wie ich bin, sollte sich billig schämen, in eines Schergen Leibe länger zu wohnen.« »Das soll, sprach der Pater, so Gott will, bald geschehen, damit der arme Mensch von dir befreit werde. Warum, möchte ich wissen, plagst du den armen Leib so?« »Darum, sprach der Geist, weil seine Seele und ich miteinander in Streit gerathen sind, wer der ärgste Teufel von uns beiden sei, der Scherge oder ich.«

Das Geschwätz wurde dem Pater überdrüssig; ich aber bat ihn, mir zu erlauben, daß ich den Besessenen etwas fragen dürfte, vielleicht könnte es mir, dachte ich, nützlich sein, ob es schon des Teufels Meinung nicht war. Er erlaubte es mir. Indem fuhr der Böse immer fort und sagte: »Bei Fürsten und an großer Herren Höfen haben wir auch viele Freunde und Bekanntschaften; niemand aber leistet uns dort größere Dienste als eben das Schergengesindel, die Schelme, Diebe, Zauberer und Fuchsschwänzer; die ersteren, weil sie ihre Bosheit durch freundliche Gesichter und Gebärden verbergen, diese, weil sie ihre Herren bestehlen und verlassen.«

Hat es auch Poeten in der Hölle? fragte ich.

»Ja freilich, antwortete der Teufel, es wimmelt und wibbelt darin; darum hat man vor einigen Jahren ihr Quartier erweitern müssen. Allda ist zu sehen, wie, wenn ein neuer Schwärmer von ihnen ankommt, er seine Begrüßungsschreiben einhändigt in der Hoffnung, die erhabenen Gottheiten, die die Dichter begeistern, wie Charon, Cerberus, Minos, Pasiphan, Megära, Medusa, Proserpina, Pluto, Aeolus, Rhamnusia, Neptun, Bacchus, Juno, Venus, Kupido, Mercur, Jupiter, Apollo, Diana und andere zu finden und zu begrüßen.« Weil mich das ein wenig verdroß, fragte ich, was denn die Poeten in der Hölle zu gewärtigen hätten? Da antwortete der Geist: »Was darfst du viel fragen, wie es in der Hölle zugeht? Du wirst es schon erfahren, wenn du hineinkommst.« Darauf sagte ich, davor wird mich mein Herr und Heiland Jesus Christus, der den Teufel überwunden hat, wohl behüten. Darüber tobte der Geist und sprach: »Ich meinte, ihr Menschen hättet bei und an euch selbst Hölle genug, denn ihr lebt so auf der Welt, als ob kein Gott im Himmel wäre und ihr mit aller Macht in unsere Hölle wolltet. Ich will dir eure höllischen Handlungen, die ihr auf Erden verübt, sein nacheinander herzählen. Du hörst die Poeten so gern loben, weil du auch einmal einer hast sein sollen: ist es nicht so, daß ein Poet soviel Pein und Marter in seinem Herzen leidet, sovielerlei Einfälle er im Kopfe hat? Etliche werden in der Hölle zur Belohnung gepeinigt, wenn sie ihrer Mitmeister und Mitgesellen Werke und Gedichte, Grillen und Possen lesen hören: und so geschieht es auch bei den Musikanten. Etliche haben ihre Belohnung darin, daß sie nach vielen hundert und tausend Jahren nicht aushören können, ihre Verse zu revidiren und zu corrigiren. Einer giebt sich mit der Faust einen Stoß vor die Stirne; ein anderer kratzt sich hinter den Ohren; einer krabbelt sich in der Nase; ein anderer läuft neun Meilen Wegs in seinen Pantoffeln und weiß nicht, daß er aus seiner Studierstube gekommen ist; ein anderer hat keine Ader (das heißt, die Grillen wollen ihm nicht steigen), er habe denn getrunken. Ein anderer seufzt; ein anderer summt und brummt wie eine Hummel in der Trommel; ein anderer verkehrt die Augen wie eine Geiß, die geschlagen oder gestochen wird, und dennoch können sie noch heut zu Tage nicht finden und errathen, ob man sagen solle vultus oder facies, scripsit oder scribsit, sumptus oder sumtus, optimé oder óptime, sollicitus oder solicitus, und ob diese oder jene Silbe lang oder kurz ist. Einige, um ja nicht neben die Schnur zu hauen, gehen, rennen auf und ab, nagen sich die Nägel an den Fingern ab bis aufs Blut, wie Unsinnige, und bei diesem tiefen Nachsinnen fallen sie in verdeckte Gruben, daraus man sie nur mit großer Mühe bekommen kann. Die komischen Dichter aber sind die ärgsten und haben gerechte Strafe zu erwarten, weil sie so manche Königin, Prinzessin und Göttin ihrer Ehre beraubt, so viele ungleiche Heirathen gekuppelt und so viele rechtschaffene Cavaliere – bei diesem Worte forschte ich von dem Geist, ob es einen Edelmann, einen Soldaten, einen Junker oder Knecht benamsete? Worauf er antwortete: »Wir haben in der Hölle schon manchmal deswegen Rath gehalten, aber kein Teufel hat noch das Richtige finden können« – ihrem Vorgeben nach so schimpflich und treulos angeführt haben, wie es im Amadis, den Schäferspielen, der Diana des Monte Major, im Löwenritter, Tristram, Peter mit den silbernen SchlüsselnEs sind aus dem Französischen stammende Romane, die im 16. und 17. Jahrhundert die Lieblingslectüre ausmachten. Peter mit den silbernen Schlüsseln ist auch unter dem Titel »Die schöne Magellone« bekannt. und andern gleichen Geschichten zu sehen ist. Und diese Poeten sind ärger als die andern, weil sie so viel List und Ränke, so viele Künste und Schelmenstückchen erdacht haben, weswegen man ihnen in der Hölle ihr Quartier bei den gewissenlosen Procuratoren und Prozeßmachern angewiesen hat, als Leuten, die in diesen Stücken vor andern wohl erfahren sind.

Ihr Menschen sollt wissen, sprach der Geist weiter, daß es in der Hölle unvergleichlich besser hergeht und eine viel richtigere Regierung und Ordnung herrscht, als bei euch auf der Welt; denn da ist weder Vetter noch Base, weder Schwieger noch Tante, weder Vorzug noch Vorschub, weder Gunst noch Ansehn der Person. Das ist daraus zu ersehen, daß, als neulich ein großer Trupp fremder Gäste anlangte, darunter der erste ein armer Nadler war, und man diesen den Schlossern zugesellen wollte, einer unter uns den Rath gab, ihn zu den gewissenlosen Notaren und Schreibern zu bringen, als zu Leuten, welche können die Feder spitzen und durch spitzfindige Worte manchen ehrlichen Mann um das Seine bringen.

Ein anderer, der da sagte, er wäre ein Schneider, wurde gefragt, ob Bruchschneider oder Wappenschneider? Worauf er antwortete, er wäre ein Kleiderschneider. Denselben hat man zu den Fuchsschwänzern, Lügnern und Suppenfressern gelegt, als Leuten, die einem ehrlichen Manne seinen guten Namen, seine Ehre und Leumund beschneiden, wie jener die Kleider.

Ein Blinder, welcher nach dem Beispiel des Homer meinte, bei den Poeten herbergen zu können, wurde zu den Buhlern gewiesen, wegen der Eigenschaft, die sie mit einander gemein haben.

Ein Todtengräber, ein Marketender und Garküchenbesitzer, welche Katzen für Hasen, Pferdefleisch für Wildpret und Mücken für Rosinen verkauft hatten, sind bei den Pastetenbäckern einquartiert.

Ihrer fünf oder sechs, die sich für Narren ausgaben, sind zu den Astrologen und Alchimisten, Kalenderschreibern und Goldmachern geführt worden. Einer, der gestand, er hätte einige Todtschläge begangen, wurde zu den ungelehrten Herren Aerzten geführt. Eine Wäscherin wurde zu den Wirthen gewiesen, weil diese den Wein so gut waschen können. Ja, Lucifer selbst hat, wenn er zur Tafel sitzt, jedesmal dergleichen Weinschenken vor allen andern bei sich sitzen, die ihm Bescheid thun müssen, weil sie nämlich des Schwefels im Wein besser als jemand anders gewohnt sind; denn die Wirthe und Säufer gewöhnen sich durch das gepichte Bier und den geschwefelten Wein an das Feuer, das Pech und den Schwefel in der Hölle.

Ein Ziegelbrenner wurde zu den Gewürzkrämern gewiesen, weil er vordem mit gebranntem Lehm und Ziegelmehl bei ihnen Handel getrieben hatte. Ein Seiler, der bei den Kauf- und Handelsleuten unterzukommen meinte, ist zu den Werkheiligen gewiesen, die durch ihre eigenen Werke (doch nicht ohne Hanf) reich und gerecht werden wollen.

Eine Nähterin und Sängerin kamen in Gesellschaft daher und ließen sich bei etlichen Hofdamen anmelden; aber sie wurden den Franzosen überwiesen, welche sie bei denen einquartierten, die sie enfans perdus oder verlorene Schildwachen nennen.

Eine Gärtnerin hat man auch zu den Wirthen gewiesen, weil sie ebensogut das Wasser unter der Milch, als jene unter dem Wein, wohl und theuer verkaufen könnte.

In Summa: es ist auf Erden keine Stätte und kein Land sowohl bestellt als es in der Hölle ist, wo es einem jeden so widerfährt, wie er es Ehren halber verdient, was auf Erden immermehr wird gerathen und ins Werk gesetzt werden können.

Und damit ich dir die allergrößten Heimlichkeiten, die ihr mit höllischem Wesen auf der Welt übt, vollends aufzähle, so muß ich von der unseligen Schandliebe sprechen; denn die Liebe ist wie ein großer Fleck oder ein Maß Oel, das ein ganzes Kleid schändet. Einige sind verliebt in sich selbst, einige in ihr Geld, einige in ihre Schriften, wie die Poeten, die mehr Liebe zu einem ihrer ungeschickten Verse tragen, als mancher Vater zu seinen wohlgestalteten Kindern. Ja, wie wüste, garstige Kinder ihre Mutter belustigen, so fuchsschwänzen und liebkosen die Poeten ihre häßlichen Verse, und einen jeden Schreiber betrügen seine eigenen Schriften und täuschen ihn vor den Ohren. Einige sind verliebt in ihre Weiber; deren sind aber am wenigsten zu finden, weil die Weiber entweder durch ihre halsstarrigen Köpfe, oder aber durch ihren Ungehorsam, durch Unfreundlichkeit, Unsauberkeit und andere Untugenden ihren Männern vielmals Ursach geben, die Hochzeit zu bereuen; insonderheit die schwatz- und waschhaften, die den armen Männern am meisten Mühe und Sorge machen.

Andere närrische Verliebte sind wunderlich anzuschauen, und mancher möchte meinen, er sähe in einen Kram- oder Paternosterladen, da sie mit mancherlei Farben von Nesteln, Bändern, Binden, Schleifen und anderen Sachen, die sie Zierrathen nennen, an Haut und Haaren, an Hosen und Wamms, an Leib und Seele verkleidet, entstellt, behängt, beschlenkt, beknöpft und beladen sind. Andere haben so dicke Zöpfe und Haarlocken an und um sich hängen, wie die Mähnen junger Pferde. Andere, die man für Postboten halten möchte, sind dermaßen mit Briefen überladen, wie ein Mülleresel mit Säcken. Andere wieder sind vor Liebe todtkrank und können ihrer Meinung nach nicht eher genesen, bis sie die Arzenei von ihrer Liebsten selbst erhalten haben, wie es neulich erst Herrn Sejus, einem euch wohlbekannten Studiosus, ergangen ist.

Andere nennt man unter uns Esel, ihr nennt sie gewöhnlich Gäuche; dieselben können am meisten ertragen, sie sind die geduldigsten und frömmsten; sie sehen alles, hören alles, riechen alles, greifen alles und sind daher sinnhafter als alle andern; ja sie leiden alles, sie dulden alles, und dennoch hat die Liebe bei ihnen kein Ende: Leute ohne Galle und Zorn, gleich wie die Lakaien und Beiläufer ohne Milz.

Andere giebt es, die ohngeachtet ihres Alters, ihrer Natur, Neigung und Lust sich in Liebe alter Hadermatzen und Kupplerinnen annehmen; und diese sind am stärksten gefesselt aus Besorgnis, daß sie sich an den Teufeln selbst vergreisen könnten; denn so häßlich, schwarz und unfläthig wir auch aussehen, so dünkt es sie doch bisweilen, als ob wir Adonisse, Arethusen, Venusse, Narcissen und die allerschönsten, zierlichsten Bilder wären.

Ueber niemand aber sind wir in der Hölle mehr erzürnt als über die Maler, weil sie mit uns umgehen, als ob wir ihre Narren, ihre Verdammten, sie aber unsere Herren und Teufel wären, indem sie uns herunterreißen und malen nach ihrem Gefallen bald mit Klauen und Griffen, während wir doch weder Adler noch Greife sind; bald mit Hörnern und Habichtsnasen, obwohl wir weder Böcke noch Vögel sind; bald mit langen Kuhschwänzen, als ob wir die Mücken abwehren sollten, welche Ehre und Würde unter uns niemandem gebührt als dem Beelzebub, dem Obersten und seinen nächsten Untergebenen allein; bald malen sie uns mit Barten wie indische Hähne.

Der unter euch Menschen bekannte Maler Michel Angelo Buonarotti ward einstmals gefragt, warum er in seinem jüngsten Gericht uns unter sovielerlei Gestalten so gräßlich, so abscheulich, so wunderlich, so höhnisch und so fürchterlich gemalt habe? Da gab er zu seiner Entschuldigung diese kahle Antwort: er hätte sein Lebtag keinen Teufel gesehen, auch (wie die meisten Maler, Künstler, Hofleute und Hochgelehrte pflegen) viel weniger geglaubt, daß es eine Hölle und Teufel gäbe; dieses Verbrechen wäre also nicht seinem bösen Willen, sondern allein dem bloßen Wahn zuzuschreiben. Aber er hat nicht daran gedacht, daß Unkenntnis den Fehler nicht entschuldigt; hat er es nicht gewußt, so hätte er es wissen sollen. Es sind also die in gleichem Werth, welche wissen, was sie nicht wissen sollen, und welche nicht wissen, was sie wissen sollen.

Was wir aus denjenigen Malern machen, die einem Hofschranzen und dergleichen Leuten zu Gefallen allerlei Stellungen und Abbildungen der menschlichen Gestalt und Leiber malen, vor welche uns die unvorsichtige Jugend heimlich führt, das ist nach ihren treuen Diensten leicht zu erachten. Durch die Bilder von nackten Leibern reizen sie Männer wie Weiber zur Wollust. Dies geht euch an, ihr Herren Maler, denn ›auch der gemalte Amor weiß zu reizen‹. Aber ›auch der geschriebene Amor weiß zu reizen‹, das ist euch gesagt, ihr Herren Poeten!

Ein Ding ist, was uns über die Maßen verdrießt, das euch Menschen, insonderheit den Dienstboten, in euren höllischen Welthändeln ein gar gewöhnliches ist. Während vordem alles, was widersinnig herging, dem ›Niemand‹ zugeschrieben wurde, schiebt man jetzt alles auf die armen Teufel. Was sonst niemand will gethan haben, das hat der Teufel gethan: das thu' der Teufel! Alles dem Teufel zu! Das wolle der Teufel! Was zum Teufel ist das? Welcher Teufel hat das gethan? Welcher Teufel hat das gesagt? Welcher Teufel hat mich verrathen? Der Teufel hole den Schneider, wie hat er mir das Kleid verdorben! Wie hat er mich solange hingehalten! Wie hat er mir das zu kurz, das zu eng gemacht und mich bestohlen! Und es ist uns niemals mehr Unglück gewünscht, als der Schneider wegen; weswegen sie denn auch als Erben und liebe Kinder bei uns sein möchten.

Die armen Teufel also werden eben schlecht behandelt und schändlich verehrt, obschon wir doch nicht so hungrig sind, daß wir alles, was man uns anwünscht, annehmen würden.

Hat ein Lakai etwas Uebles gethan, ei, daß ihn der Teufel hole! sprecht ihr dann. Aber wisset, der Teufel begehrt deren keinen; denn der größte Theil unter ihnen ist viel ärger als die Teufel, sie sind uns ein sehr unnützes Gesindel in der Hölle, die weder zum Sieden noch zum Braten taugen.

Der Teufel hole diesen Italiener! Aber wisset, er bedankt sich für diese Ehre; denn ein Italiener dürfte einem unvermerkt einen Dolch in den Buckel stoßen.

Der Teufel hole diesen Spanier! Aber weil der Spanier Herrschsucht schon so bekannt ist, dürften sie sich wohl gar der Hölle unterfangen wollen. Zu den Türken mit all diesem Gesindel, denn er bedarf der Mauren, um die Heere der Janitscharen und Beschnittenen damit zu stärken!« –

Unterdessen begab es sich, daß unter den Zuschauenden zwei mit Worten hart und bis zu Schlägen an einander geriethen; als ich danach sah, bemerkte ich, daß es ein Commissarius und sein Controleur oder Gegenschreiber waren, und der Teufel sprach: »Das sind die größten Diebe auf Erden.« Diese beiden verwiesen einander ihre Schelmenstücke. Da sie mir aber nach ihrem Gesicht und ihrem Thun sehr wohl bekannt waren, denn sie waren die Ursache an meines betrübten Vaterlandes Verderben und Untergang, sprach ich: Wenn der Teufel diese beiden Schindhunde und Marksauger, diese Klatscher und Anbringer, diese Urheber neuer Beschwerden, Auflagen und Leibes- und Seelendiensten nach Verdienst belohnen sollte, wie wunderlich würde es denen ergehen! »Ihr versteht leider nicht viel, sprach der Teufel alsbald aus dem Besessenen, daß ihr uns auch dergleichen loses Gesindel noch zuwünscht; denn ihr wißt doch, daß sie des Teufels ärgste Kinder sind, und wenn ihnen die Hölle nicht schon von Rechtswegen zugehörte, sie durch andere Mittel nimmermehr dahin gelangen könnten. Es ist jetzt an dem, daß wir sie womöglich ganz abschaffen, denn es ist ein recht undankbares Volk und so zur Bosheit abgerichtet, daß sie sich auch unterstehn, uns und unser Reich ins Verderben zu bringen, indem sie eine neue Auflage oder einen Zoll auf unserem Wege errichten wollen: wie neulich in den Niederlanden der hundertste Pfennig von allem Vermögen, der zwanzigste von jeder Wagenladung und der zehnte bei jedem Kauf den Reichen und Armen, Herren und Knechten ewig zu geben streng geboten ist, wie ferner neulich von jedem Fenster auf der Gasse, von jedem Schornstein im Hause, von jeder Stufe auf der Stiege. Da dergleichen Lasten sich von Tag zu Tag vergrößern und mehren, so ist zu befürchten, daß mit der Zeit durch unbillige Steigerungen der Preis dermaßen erhöht wird, daß schließlich Handel und Gewerbe, welche die Welt bisher mit uns gepflegt haben, in Rückschritt gerathen, was unseres Reiches endlicher Untergang und Verödung sein müßte. Wenn sie aber nicht bald von ihrem Beginnen abstehen und aus unserm Reiche verbannt werden, so sind sie ja noch ärmer als die andern Verdammten alle, weil, wie bekannt und offenbar, ihnen der Himmel ohnehin schon verschlossen ist.«

Der Pater, der des langen Geschwätzes müde wurde, sprach endlich: »Wenn der Teufel wünscht, daß es keine Gerechtigkeit oder Gerichtsdiener auf Erden gäbe, so meint er auch, man müsse all diesem Geschwätz wider Gericht und Gerechtigkeit auch beipflichten.« »Ich meine ja,« sprach der Teufel: »es giebt keine Gerechtigkeit mehr auf Erden, und wenn du, Pater, die Geschichte nicht kennst, so will ich sie dir erzählen, wie

Wahrheit übers Meer gezogen,
Gerechtigkeit gen Himmel geflogen,
Lüge und Gewalt auf Erden geblieben;

und du Wirst daraus verspüren, daß ich ein wahrhafter Teufel bin:

Es geschah, daß Wahrheit und Gerechtigkeit eines Tages sich entschlossen, miteinander zu reisen und beisammen zu wohnen; aber niemand wollte sie aufnehmen, denn Wahrheit war ganz nackt und bloß und hatte nicht viel Schmuck am Leibe; Gerechtigkeit sah sauer aus und achtete keines Menschen. Endlich als sie ohne Hilfreichung herum geirrt waren und niemand sich ihrer hatte annehmen wollen, wurde Wahrheit gezwungen bei einem Stummen einzukehren. Als Gerechtigkeit sah, daß allein ihr bloßer Name bei den Menschen geblieben und gebraucht würde, nur um alle Ungerechtigkeit, Tyrannei und Schinderei zu bemänteln und zu verbergen, bedachte sie sich kurz und kehrte wieder um nach dem Himmel, wo sie hergekommen war. Sie verließ daher eilends die Höfe großer Fürsten und Herzöge, wo ihr viel Schimpf von den Hofschranzen und Fuchsschwänzern widerfuhr. Sie verließ alsbald auch alle herrlichen Gewerbe und die großen Städte (wo man auf Gunst und Vetterschaft mehr sieht als auf Recht), und kam in ein kleines, elendes Dorf, wo sie bei einem schlichten Bauernschulzen einzog Namens Armuth, dessen Weib hieß Einfalt. Weil ihr aber etliche vornehme Herren aus den Städten Bosheit und Frevel gewaltsam nachsetzten, kam sie in ein anderes Dorf und ging dort von Haus zu Haus, ob sich jemand ihrer erbarmen und sie heimlich einlassen wollte. Weil nun Gerechtigkeit nicht lügen noch trügen kann und sie auf die Frage: wer sie wäre? rundweg sagte, ihr Name wäre Gerechtigkeit, da schlug ihr ein jeder die Thüre vor der Nase zu mit dem Bemerken, sie wüßten nichts von ihr, sie sollte anderswo Herberge suchen. Nachdem sie denn überall dermaßen abgewiesen worden war, ist sie endlich davon geflohen und gen Himmel geflogen, daß man seither nichts mehr von ihr hat sehen und erfahren können, als einige kleine Wortzeichen und unmerkliche Anzeichen, die doch so viel Zeugnis geben, daß sie vorzeiten auf der Welt war. Die Menschen, die noch ihres Namens gedenken, eignen ihr einen Stab oder ein Scepter zu, das oben eine Hand hat und das man Gerechtigkeit zu nennen pflegt. Aber es ist ein bloßer Schein, unter dem das arme Volk nur herum gezogen, gefesselt, betrogen und beraubt wird, ärger als von öffentlichen Räubern auf der Straße. –

Diesergestalt also ist das menschliche Wesen in eine solche Verwirrung und Ueppigkeit gerathen, daß alle Leibes- und Seelenkräfte, alle Sinne und Verstand nur zum Uebervortheilen, Betrügen, Stehlen und Rauben gebraucht werden. Denn ein Buhler, stiehlt er nicht mit Wissen und Willen die Ehre einer Jungfrau? Stiehlt ein Vorspiegler nicht einem andern sein Gut ab durch seinen Verstand? Stiehlt nicht ein Gaukler einem andern sein Geld und seine gute Zeit ab, wenn er mit seinen Possen und Gaukeleien sich sehen läßt? Die Liebe stiehlt mit den Augen, die Wohlrederei mit dem Munde, der Musikant mit der Stimme und den Fingern, Herz, Sinne oder Ohren. Der beste Arzt stiehlt den Tod mit dem Leben, der Apotheker die Krankheit mit der Arzenei, der Wundarzt den Wehetag durch Schmerzen, der Kalendermacher den Himmel mit seiner Brille. Und dieserIn dem vorliegenden alten Text ist ein Mann mit einem dornigen Glase in der Hand abgebildet. versoffene Kunz, stiehlt er nicht den Durst hinweg mit seinem knorrichten Glas voll Wassers? In Summa: sie sind alle Diebe und Diebsgenossen. ›Ich bin auch ein Dieb,‹ sprach jener arme Bauer, dem die Soldaten ein Pferd ausspannten. Damit er es sich erhalten möchte, sagte er: ›Ach, ihr Herren, laßt mir doch mein Pferd, ich bin auch ein Dieb.‹ Keiner ist so reich oder arm, so jung oder alt, so groß oder klein, der sich nicht etwas mit diesem Laster unter dem Schein großer Heiligkeit, großer Freundschaft und Wohlgewogenheit tugendsam befaßt hätte. Insonderheit aber die Schergen, die so geartet sind, daß ihr Menschen billig dasjenige wider sie sprechen solltet, was ihr wider uns zu beten gelehrt habt und gewohnt seid: ›Befrei' uns Herr.‹«

Mich wunderte aber, daß er nichts von den Weibern gesagt hatte, da sie doch grade rechte Diebe sind und billig unter diese Zunft ihres Handwerks wegen müßten gezählt werden. Darauf fuhr der Besessene fort: »Sagt mir nichts von den Weibern, laßt sie, wo sie sind; wir haben ihrer in der Hölle übergenug, wir sind ihrer so überdrüssig und müde, daß einem davor angst werden möchte. Es ist eine sehr schlechte Lust, stets mit Weibern zusammen zu wohnen.

O, was gäben die armen Teufel darum, wenn sie keine Weiber hätten! Seitdem Medusa, die alte Zauberin, gestorben, ist kein Stern mehr in der Hölle; und bei euch auf Erden erdenken die Weiber täglich soviele neue Trachten, soviele neue Spitzfindigkeiten und Listen, daß sie zu nichts nutze sind, als um steten Zank und Unfug anzustiften, und es steht zu befürchten, daß sie sich zuletzt auch an uns wagen, das Regiment an sich bringen und uns gar zu SiemännernScherzhafte Benennung für einen Ehemann, der unter dem Pantoffel steht. Siemann und Erweib sagt man, wenn beide Gatten die Rollen tauschen. machen, wenn sie alle in die Hölle kommen. Das Beste an ihnen ist, daß sie uns nie um etwas ansprechen; auch haben sie, als verdächtige Personen, schlechte Freundschaft von uns zu erwarten, insonderheit die alten, häßlichen Vetteln, deren es sechsmal mehr in der Hölle giebt als schöne Weiber.«

Als ich fragte, ob auch Arme in der Hölle zu finden seien? und der Teufel erwiderte, was ich denn unter dem Wort Arme verstünde, und ich antwortete: Ich meine denjenigen, welcher nichts hat noch besitzt von dem, was die Welt hat und hoch hält, – da rief der Geist: »O du ungelehrter Tropf, hast du denn niemals gelesen, was eurer vornehmsten Väter einer sagt: die Armuth ist ein Wegweiser auf der Straße, die zum Himmel führt? Und wenn er schon etwas zuweit greift, so heißt es doch: wer in der Noth sündigt, ist weniger schuldig. Es wäre auch unbillig, daß die Armen sollten verdammt werden, die doch nichts haben von alledem, das den Reichen die Verdammnis bringt. Daher sind die Armen nicht in unserm Staatenbuch eingeschrieben, und laß dich das nicht Wunder nehmen. Denn meiner Treu! wie könnte ein Teufel ärger sein als ein Ohrenbläser und Neidhund? Als ein falscher, untreuer Freund, den du aus Noth und Tod erlöst hast und der dich unterdrückt, wie ein gleißnerischer, scheinheiliger Schelm im Herzen? Als ein treuloser Lügner, der der einen Partei dient, damit er der andern dienen möchte? Was ist ärger, als böse, verführerische Gesellschaft, als ein ungerathenes Kind, Bruder oder Verwandter, der nichts anderes wünscht, als daß du todt seist und er dein Gut besitze, der sich stellt, deine Krankheit sei ihm leid, und dabei im Herzen wünscht, der Teufel hätte dich schon geholt? Das Alles ficht einen armen Mann nicht an; er hat keine Ohrenbläser oder Schmeichler, keinen, der ihm könnte etwas mißgönnen; er hat keine Freunde, weder böse noch gute, keine Fürsprecher, denn bei den Armen redet ein jeder für sich selbst, weil er kein Geld hat, nach dem Waidspruch der Armen: wer nichts hat, kann nichts geben. Er hat auch keine Gesellschaft; seine Kinder und Freunde haben seinen Tod weder zu wünschen noch haben sie davon zu reden: es sind Leute, die wohl leben und noch besser sterben. Einige sind in ihrem Stand so genügsam, daß sie ihr Leben, Handel und Wandel nicht gegen ein Königreich austauschen möchten, denn sie sind ein freies Volk, betteln, wo sie wollen, gehen hin, wo sie wollen zu Kriegs- und Friedenszeiten; sind frei von allen Auflagen und Zöllen, keiner Gerichtsbarkeit und Botmäßigkeit unterworfen, ohne Zank und Prozeß, kurz unangreiflich und unergreifbar. Sie sorgen nicht für den morgenden Tag und folgen darin den Geboten Gottes, wissen sich in die zukünftige Zeit zu schicken und von ihr alles zu erhoffen, die gegenwärtige gebrauchen sie, die vergangene haben sie vergessen. Wahr zwar ist es, daß die Armen ihre Hölle genugsam auf Erden haben; denn es ist so bei euch Menschen, jeder ist des andern Teufel oft mehr als der Teufel selbst.

Damit ihr nun nicht zu befürchten habt, was das Sprichwort sagt: wenn der Teufel predigen muß, so wird gewiß die Welt untergehen, so bitte ich, Herr Pater, erlöset mich von dem Schergen, in dem ich geplagt werde; dafür sollt Ihr Dank haben.«

Darauf wandte sich der Pater zu uns und sprach: »Nun kann man wohl sagen, daß auch Gott hierin seine Macht erweist; denn du böser Geist bist von Anfang ein Vater der Lüge und alles Betrugs, und nichtsdestoweniger hast du jetzt solche wahrhaften Dinge erzählt, daß wohl ein steinern Herz sich davon bewegen, erweichen und bekehren sollte.«

»O, meinet nicht, daß das zu eurem Besten und Heil geschehen ist, sprach der Teufel nochmals; sondern es ist nur zu dem Zwecke geschehen, daß, wenn es zum Treffen kommen soll, sich eure Strafen umsomehr häufen: denn nun könnt ihr euch nicht mehr durch Unwissenheit entschuldigen, als ob es euch niemand gesagt hätte; eher müßten euch die Steine predigen, ja die Teufel selbst. Denn der Knecht, der des Herren Willen weiß, ihn aber nicht thut, der ist doppelter Streiche werth. Ihr alle aber, die ihr Zuseher und Hörer seid, seid rechte Heuchler; da stehet ihr, die meisten mit weinenden Augen, nicht weil ihr durch eure Sünde Gott erzürnt habt, sondern weil es euch Leid erweckt, daß ihr einmal aus der Welt hinweg müßt; und wenn es bisweilen auch geschieht, daß euch eure Sünden gereuen, so geschieht dies einzig und allein deswegen, weil ihr aus Mangel an Leibeskraft und in Folge des durch viele Jahre verbrauchten Leibes nicht mehr sündigen könnt oder mögt; es fehlt euch deswegen nicht an bösem Willen, den wir ebenfalls nicht ungestraft lassen, insonderheit an denen, die andere lehren und unterweisen sollten.«

»Du bist ein Betrüger! rief der Pater; zweifle nicht, es werden sich hier viele fromme Seelen an deinen Reden und deinem Thun spiegeln und sich vor dir durch den Beistand Gottes zu hüten wissen. Aber ich sehe wohl, du meinst durch dein Geschwätz Zeit zu gewinnen, um den armen Menschen desto länger zu plagen. Darum beschwöre ich dich durch die Kraft und Allmacht Gottes und durch den heiligen Namen Jesus, daß du verstummest und diesen armseligen Menschen verlassest.«

Da fuhr der Böse mit einem großen Brausen aus, und darauf wandte sich der Pater um und sagte zu uns:

»Ihr Herren Freunde und Christen, wenn es auch das Ansehen hat, als habe der Teufel durch diesen armselig geplagten Menschen wie durch ein Werkzeug zu unserm Besten geredet, so ist doch gewiß, daß aus seinem Gespräch ein nachsinnender Christ vielen und merklichen Nutzen haben kann. Darum bitte ich euch Umstehende alle, daß ihr aus gerechtem Haß wider den bösen Geist und seine Wohnung diese Rede darum nicht verachten noch in den Wind schlagen wollt. Bedenket, daß ein gottloser König einstmals die Wahrheit geredet und prophezeiet hat: denn auch Speise genug ging von dem Fresser und Süßigkeit von dem Starken.

Nun bewahre euch alle Gott, in dessen Namen ich euch segne, demüthig seine Allmacht bittend, daß diese traurige, schreckliche Geschichte zu eurer Besserung und Bekehrung gereichen möge!« –


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