Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Kriegswesen

Den Krieg verabscheuen die Utopier als etwas ganz Bestialisches mehr als alles andere, und doch gibt sich mit ihm keine Art von Bestien so dauernd ab wie der Mensch. Der Anschauung fast aller Völker zuwider halten die Utopier nichts für so unrühmlich wie den Ruhm, den man im Kriege gewinnt. Mögen sie sich nun auch beständig an dafür festgesetzten Tagen in der Kriegskunst üben, und zwar nicht bloß die Männer, sondern auch die Frauen, um im Bedarfsfalle kriegstüchtig zu sein, so beginnen sie einen Krieg doch nicht ohne weiteres, sondern nur zum Schutze ihrer eigenen Grenzen oder zur Vertreibung der ins Land ihrer Freunde eingedrungenen Feinde oder aus Mitleid mit irgendeinem Volk, das unter dem Drucke der Tyrannei leidet, um es mit ihrer eigenen Macht vom Sklavenjoch des Tyrannen zu befreien, und das tun sie lediglich aus Menschenliebe. Ihren Freunden indessen leisten sie ihre Hilfe nicht immer nur zur Verteidigung, sondern bisweilen auch, damit diese ein Unrecht, das man ihnen zugefügt hat, vergelten und rächen können. Jedoch greifen die Utopier erst dann ein, wenn man sie noch vor Beginn der Feindseligkeiten um Rat fragt, wenn sie den Kriegsgrund billigen, wenn das, worum der Streit geht, zwar zurückgefordert, aber noch nicht zurückgegeben ist, und wenn auf ihre Veranlassung hin der Krieg begonnen wird. Dazu entschließen sie sich nicht nur dann, wenn ihren Freunden bei einem feindlichen Einfall Beute geraubt wird, sondern auch dann, und zwar mit noch weit größerer Erbitterung, wenn sich deren Kaufleute irgendwo in der Welt unter dem Scheine des Rechts eine Rechtsverdrehung gefallen lassen müssen indem man entweder unbillige Gesetze zum Vorwand nimmt oder gute verkehrt auslegt. Und so kam es auch zu dem Kriege, den die Utopier kurz vor unserer Zeit für die Nephelogeten gegen die Alaopoliten führten, aus keinem anderen Grunde, als weil den Kaufleuten der Nephelogeten im Lande der Alaopoliten unter dem Scheine des Rechts Unrecht getan worden war, wenigstens wie es den Utopiern schien. Mochte es sich nun in diesem Falle um Recht oder Unrecht handeln, jedenfalls kam es zu einem Rachekrieg, in dem sich zu den Streitkräften und dem Haß beider Parteien auch noch die Leidenschaften und Hilfsmittel der Nachbarvölker gesellten und der dadurch so blutig wurde, daß die blühendsten Völker zum Teil stark erschüttert, zum Teil schwer heimgesucht wurden und immer ein Übel aus dem anderen entstand. Das Unglück endete schließlich mit der Versklavung und Unterwerfung der Alaopoliten, die so unter die Herrschaft der Nephelogeten kamen – die Utopier kämpften nämlich nicht für ihre eigenen Interessen –, die Nephelogeten aber waren in der Blütezeit der Alaopoliten keineswegs mit diesen zu vergleichen gewesen.

Mit solchem Nachdruck rächen die Utopier ein ihren Freunden zugefügtes Unrecht, auch wenn es sich dabei nur um Geld handelt; in ihren eigenen Angelegenheiten dagegen zeigen sie nicht den gleichen Eifer. Wenn sie nämlich einmal irgendwo betrogen werden und eine Einbuße an Geld und Gut dabei erleiden, so gehen sie in ihrem Zorn, vorausgesetzt, daß mit dem Verlust kein Schaden an Leib und Seele verbunden ist, nur so weit, daß sie bis zur Leistung von Genugtuung mit dem betreffenden Volke keinen Handel mehr treiben. Dabei liegen ihnen die Interessen ihrer Mitbürger nicht etwa weniger am Herzen als die ihrer Genossen; über deren Geldverlust aber sind sie trotzdem deshalb aufgebrachter, weil die Kaufleute ihrer Freunde unter der Einbuße schwer zu leiden haben, da diese etwas von ihrem Privatbesitz verlieren, ihren Mitbürgern dagegen nur etwas auf Rechnung des Staates verlorengeht, überdies nur von daheim reichlich vorhandenem und in gewissem Sinne überflüssigem Gut – sonst könnte man es ja nicht ins Ausland ausführen –, so daß der einzelne den Verlust gar nicht so empfindet. Deshalb ist es in den Augen der Utopier auch eine zu große Grausamkeit, durch den Tod vieler einen Schaden zu rächen, dessen nachteilige Folgen keiner von ihnen weder am Leben noch am Lebensbedarf deutlich zu spüren bekommt. Wird jedoch einer ihrer Landsleute irgendwo auf ungerechte Weise mißhandelt oder gar getötet, so lassen die Utopier den Tatbestand durch ihre Gesandten ermitteln, ganz gleich, ob der Anschlag vom Staat oder von einer Privatperson ausgegangen ist, und sind nur durch Auslieferung der Schuldigen von einer sofortigen Kriegserklärung abzuhalten. Die Ausgelieferten bestrafen sie für ihr Vergehen entweder mit dem Tode oder mit Sklavenarbeit.

Ein blutiger Sieg bereitet den Utopiern nicht nur Verdruß, sondern sie schämen sich sogar seiner, weil sie sich sagen, es sei eine Torheit, auch noch so kostbare Waren zu teuer zu kaufen. Haben sie aber durch Geschick und List den Sieg errungen und den Feind bezwungen, so prahlen sie laut damit, feiern aus diesem Anlaß von Staats wegen einen Triumph und errichten ein Siegesdenkmal, als hätten sie eine Heldentat vollbracht. Ihrer Mannhaftigkeit und Tapferkeit rühmen sie sich nämlich immer erst dann, wenn sie so gesiegt haben, wie es kein Lebewesen außer dem Menschen vermocht hätte, das heißt mit den Kräften des Geistes. Denn mit den Kräften des Körpers, so sagen sie, führen Bären, Löwen, Eber, Wölfe, Hunde und die übrigen wilden Tiere den Kampf; die meisten von ihnen sind uns zwar an Kraft und Wildheit überlegen, aber alle zusammen übertreffen wir an Geist und Vernunft.

Nur das eine haben die Utopier bei einem Kriege im Auge: das zu erreichen, was sie schon früher hätten erreichen müssen, um sich den Krieg zu ersparen; oder wenn das sachlich unmöglich ist, so nehmen sie an denen, die sie für schuldig halten, eine so grimmige Rache, daß der Schrecken Leute, die dasselbe wagen wollten, in Zukunft davon abhält. Das sind die Ziele, die sie sich für ihr Vorhaben stecken und die sie rasch zu erreichen suchen, aber so, daß sie mehr darauf bedacht sind, die Gefahr zu vermeiden, als Lob und Ruhm zu ernten. Deshalb lassen sie sogleich nach der Kriegserklärung heimlich und zu gleicher Zeit an den Punkten des feindlichen Landes, die am besten zu sehen sind, Proklamationen, die das Siegel ihres Staates tragen, in großer Zahl anschlagen. In ihnen versprechen sie dem, der den gegnerischen Fürsten umbringt, riesige Belohnungen; sodann setzen sie geringere, aber gleichwohl noch recht ansehnliche Preise auf die Köpfe einzelner Personen, die sie in denselben Anschlägen namentlich anführen. Das sind die Männer, die sie nächst dem Fürsten selber für die Urheber des Planes halten, den man gegen sie geschmiedet hat. Welchen Betrag sie aber auch für den Mörder aussetzen, sie zahlen ihn in doppelter Höhe dem, der ihnen einen von den Geächteten lebend bringt, und ebenso suchen sie die Geächteten selbst durch die gleichen Belohnungen und außerdem durch die Zusicherung von Straflosigkeiten gegen ihre Genossen aufzuhetzen. So kommt es schnell dahin, daß jene auch die anderen Menschen mit Argwohn betrachten, sich einander selbst kein rechtes Vertrauen mehr schenken und auch keine rechte Treue mehr halten und daher in größter Furcht und nicht geringerer Gefahr leben. Denn, wie bekannt, ist es schon mehr als einmal vorgekommen, daß die Geächteten zu einem großen Teil und vor allem der Fürst selber von denen verraten wurden, auf die sie die größte Hoffnung setzten. So leicht verleiten Belohnungen zu jedem beliebigen Verbrechen. Für diese Prämien setzen die Utopier auch keine bestimmte Höhe fest. Indem sie vielmehr die Größe der Gefahr bedenken, zu der sie verleiten, bemühen sie sich, sie durch die Höhe der Belohnungen aufzuwiegen, und aus diesem Grunde stellen sie nicht nur eine unermeßliche Menge Gold in Aussicht, sondern auch recht ertragreiche Landgüter an ganz sicheren Orten in den Ländern ihrer Freunde, und zwar als dauernden Besitz, und halten ihr Versprechen mit gewissenhafter Treue. Dieser Brauch, den Feind gegen Gebot zu kaufen, den andere Völker als Beweis einer entarteten Gesinnung und als grausame Untat verwerfen, ist in den Augen der Utopier ein hohes Lob. Ja, sie dünken sich auch klug, weil sie auf diese Weise die größten Kriege ohne jeden Kampf völlig zu Ende bringen, und sogar human und mitleidsvoll, weil sie mit dem Tode einiger weniger Schuldiger das Leben zahlreicher Unschuldiger erkaufen, die sonst im Kampfe gefallen wären, teils aus den Reihen der Ihrigen, teils aus denen der Feinde, deren Menge und Masse sie fast ebenso bedauern wie ihre eigenen Landsleute; wissen sie doch recht wohl, daß jene einen Krieg nicht aus freien Stücken anfangen, sondern weil die blinde Leidenschaft ihrer Fürsten sie dazu treibt. Kommen sie auf diese Weise nicht weiter, so säen und nähren sie Zwietracht, indem sie dem Bruder des Fürsten oder sonst einem aus dem Adel Hoffnung auf den Thron machen. Wenn die Parteien im Inneren versagen, so wiegeln die Utopier die Nachbarvölker des Feindes auf und verwickeln sie in einen Krieg mit ihm, indem sie irgendeinen alten Vorwand hervorsuchen, woran es ja Königen niemals fehlt.

Haben sie diesen Völkern ihren Beistand im Kriege versprochen, so stellen sie ihnen reichlich Geld zur Verfügung, Hilfskräfte aus den Reihen ihrer Bürger jedoch nur ganz spärlich; denn diese sind ihnen so außerordentlich lieb und wert, und sie schätzen sich gegenseitig so hoch, daß sie einen ihrer Landsleute nur ungern gegen den feindlichen Fürsten austauschen würden. Gold und Silber dagegen, dessen gesamte Menge sie einzig und allein für diesen Zweck aufbewahren, geben sie von Herzen gern hin; sie könnten ja ebenso bequem leben, auch wenn sie es vollständig aufbrauchten. Denn außer dem Reichtum im Inland besitzen sie ja noch, wie früher erwähnt, bei den meisten Völkern des Auslands einen unermeßlichen Schatz von Guthaben. So werben sie denn überall Söldner an, vornehmlich aus dem Volk der Zapoleten, und lassen sie in den Krieg ziehen.

Diese wohnen 500 Meilen östlich von Utopien. Unkultiviert, roh und wild, wie sie sind, lassen sie deutlich merken, daß sie inmitten von Wäldern und rauhen Bergen aufgewachsen sind. Sie sind ein kräftiger Volksstamm, unempfindlich gegen Hitze, Kälte und Anstrengung, unbekannt mit allen Annehmlichkeiten des Lebens, nicht begeistert für den Ackerbau, nachlässig in Wohnung und Kleidung und nur für die Viehzucht interessiert. Zu einem großen Teile leben sie von Jagd und Raub. Einzig und allein zum Krieg geboren, suchen die Zapoleten eifrig nach einer Gelegenheit zur Teilnahme an einem solchen, und finden sie eine, so ergreifen sie sie mit Leidenschaft, ziehen in großer Zahl außer Landes und bieten sich für wenig Geld dem ersten besten an, der Soldaten sucht. Dies Handwerk, den Tod zu suchen, ist das einzige ihres Lebens, das sie verstehen. Für ihren Dienstherrn schlagen sie sich mit Hingebung und unbestechlicher Treue. Doch verpflichten sie sich nicht bis zu einem bestimmten Termin, sondern wenn sie Partei ergreifen, so tun sie das nur unter der Bedingung, daß sie am nächsten Tage auf seiten des Feindes stehen dürfen, falls dieser ihnen höheren Sold bietet; ebenso kehren sie dann am übernächsten Tage, durch eine Kleinigkeit Geld mehr verlockt, wieder zurück. Nur selten kommt es zu einem Kriege, in dem sie nicht zu einem großen Teile auf beiden Seiten kämpfen. So werden täglich Blutsverwandte, bisher Söldner der gleichen Partei und einander die besten Kameraden, bald darauf auseinandergerissen, geraten in feindliche Heere, treffen als Gegner aufeinander und metzeln sich gegenseitig nieder wie erbitterte Feinde, die ihre Abstammung vergessen haben und nicht mehr an ihre frühere Freundschaft denken. Dabei veranlaßt sie kein anderer Grund zur gegenseitigen Vernichtung, als daß zwei feindliche Fürsten sie für ein paar lumpige Geldstücke gemietet haben. Dieses Geld berechnen sie sich so genau, daß sie sich durch die Erhöhung des täglichen Soldes um nur einen Heller zu einem Wechsel der Partei verleiten lassen. So hat sich in ihren Herzen rasch die Habgier eingenistet, von der sie jedoch keinen Vorteil haben; was sie nämlich mit ihrem Blute gewinnen, verbrauchen sie alsbald wieder mit einer Verschwendung, die gleichwohl armselig ist.

Dieses Volk kämpft für die Utopier gegen alle Welt, weil niemand anderswo seine Dienstleistung so gut bezahlt wie diese. Wie sich nämlich die Utopier nach guten Menschen umsehen, um sie in ihrem Dienst nützlich zu verwenden, so werben sie auch diese Schurken an, um sie zu mißbrauchen. Nötigenfalls machen sie ihnen lockende Versprechungen und setzen sie an den gefährlichsten Punkten ein. Meist kommt dann ein großer Teil von ihnen niemals wieder zurück und kann die versprochenen Belohnungen gar nicht anfordern. Den Überlebenden aber zahlen die Utopier gewissenhaft aus, was sie versprochen haben, um sie zu ähnlichen Wagnissen anzuspornen. Sie fragen nämlich nicht danach, wie viele von ihnen durch ihre Schuld ums Leben kommen, weil sie sich, wie sie meinen, das größte Verdienst um die Menschheit erwerben würden, wenn sie den Erdkreis von jenem Abschaum eines so greulichen und ruchlosen Volkes gründlich säubern könnten.

Nächst den Zapoleten verwenden die Utopier auch die Streitkräfte desjenigen Volkes, für das sie zu den Waffen greifen, und die Hilfsscharen ihrer anderen Freunde; an letzter Stelle erst ziehen sie ihre Mitbürger heran. Aus deren Mitte nehmen sie einen Mann von erprobter Tapferkeit und stellen ihn an die Spitze des gesamten Heeres. Ihm ordnen sie zwei Mann unter in der Art, daß beide nur als Privatleute gelten, solange der Oberbefehlshaber dienstfähig ist; wird er jedoch gefangengenommen oder fällt er, so tritt der eine von jenen beiden gleichsam sein Erbe an, und ihn ersetzt gegebenenfalls der andere, damit nicht in den bunten Wechselfällen der Kriege infolge einer Gefährdung des Führers das ganze Heer in Unordnung gerät. In jeder Stadt hebt man Freiwillige aus; man preßt nämlich niemanden wider seinen Willen zum Kriegsdienst außerhalb der Grenzen seiner Heimat, weil man der Überzeugung ist, daß einer, der von Natur etwas furchtsam ist, nicht nur selbst sich nicht tapfer zeigen, sondern auch seine Kameraden mit seiner Angst anstecken wird. Bricht aber der Feind ins Land ein, so steckt man die Feiglinge dieser Art im Falle körperlicher Tauglichkeit auf die Schiffe unter bessere Soldaten oder verteilt sie auf die einzelnen Festungen, von wo sie nicht ausreißen können. Sie müssen sich vor ihren Kameraden schämen, haben den Feind unmittelbar vor sich und sehen keine Möglichkeit zur Flucht: so vergessen sie ihre Furcht und werden oft durch höchste Not zu mutigen Männern. So wenig aber einerseits ein Utopier wider seinen Willen zu einem auswärtigen Kriege fortgeschleppt wird, so wenig hindert man anderseits die Frauen, mit ihren Männern ins Feld zu ziehen; ja, man fordert sie dazu noch auf und spornt sie dazu an, indem man sie lobt. Die Frauen, die mitausrücken, stellt man an der Front mit ihren Männern in eine Reihe; außerdem hat ein jeder Kämpfer seine Kinder, Verwandten und Angehörigen um sich, damit sich diejenigen einander aus nächster Nähe beistehen können, die die Natur am stärksten zu gegenseitiger Hilfe anspornt. Die höchste Schmach ist es für einen Gatten, ohne den anderen heimzukommen, oder für einen Sohn, seinen Vater zu überleben. Infolgedessen kämpft man, wenn es zum Handgemenge kommt und die Feinde standhalten, in einem langen und unheilvollen Ringen bis zur Vernichtung. Zwar suchen die Utopier mit allen Mitteln zu verhüten, in eigener Person kämpfen zu müssen, wofern sie nur den Krieg mit Hilfe einer Schar gemieteter Stellvertreter zu Ende bringen können; wenn es sich jedoch nicht vermeiden läßt, daß sie selber mitkämpfen, so nehmen sie den Kampf ebenso unerschrocken auf, wie sie sich vorher klug zurückgehalten haben, solange es möglich war. Und beim ersten Angriff gehen sie nicht mit wildem Ungestüm vor; vielmehr wächst ihre Stärke langsam und allmählich und je länger der Kampf dauert. Dabei sind sie so unbeugsamen Sinnes, daß sie sich eher niedermetzeln als in die Flucht schlagen lassen; denn das beruhigende Bewußtsein, daß ein jeder daheim zu leben hat, sowie die Befreiung von der quälenden Sorge um das Los ihrer Nachkommen – eine Besorgnis, die sonst überall einen tapferen Sinn lähmt, – machen die Kämpfer hochgemut, so daß sie den Gedanken, sich besiegen zu lassen, als unwürdig von sich weisen. Außerdem flößt ihnen ihre militärische Erfahrung Zuversicht ein, und schließlich spornt sie die gute Erziehung, die sie in der Schule und durch die trefflichen Einrichtungen ihres Staates von Kind auf genossen haben, noch mehr zur Tapferkeit an. Infolgedessen ist in ihren Augen das Leben weder so wertlos, daß sie es blindlings vergeuden, noch so übertrieben wertvoll, daß sie damit geizen und sich in schimpflicher Weise daran klammern, wenn die Ehre dazu rät, es hinzugeben. Wenn der Kampf allerorten am wildesten tobt, nehmen sich die auserlesensten Jünglinge, die sich dazu verschworen und geweiht haben, den feindlichen Führer zum Gegner; auf ihn dringen sie offen ein, ihn greifen sie aus dem Hinterhalt an, und aus der Ferne wie aus der Nähe gehen sie auf ihn los, und in einem langen und lückenlosen Keil – denn die wegen Ermüdung ausfallenden Kämpfer werden beständig durch frische ersetzt – stürmen sie gegen ihn an. Nur selten kommt es vor, daß er nicht niedergestochen wird oder daß er nicht lebendig in die Gewalt seiner Feinde gerät, es sei denn, daß er sich durch die Flucht rettet.

Ist der Sieg auf seiten der Utopier, so metzeln sie nicht wild darauf los; statt die Geschlagenen umzubringen, nehmen sie sie lieber gefangen. Auch verfolgen sie die Fliehenden niemals so blindlings, daß sie bei alledem nicht wenigstens noch eine geordnete und kampfbereite Schar zurückbehielten. Wenn daher ihre übrigen Verbände geschlagen sind und sie erst mit dem letzten den Sieg errungen haben, so lassen sie die Feinde lieber ganz und gar entfliehen, als daß sie sich dazu entschließen, die Fliehenden mit ungeordneten Verbänden ihrer Truppen zu verfolgen. Sie vergessen nämlich nicht, was ihnen selbst mehr als einmal widerfahren ist. Die Masse ihres gesamten Heeres war völlig besiegt; die Feinde jubelten über ihren Sieg und zerstreuten sich hier und da auf der Verfolgung. Die Utopier dagegen hatten einige wenige ihrer Leute im Hinterhalt aufgestellt, die auf günstige Gelegenheiten lauerten. Sie griffen die Feinde, die vereinzelt umherschwärmten und es in voreiliger Sorglosigkeit an der nötigen Vorsicht fehlen ließen, plötzlich an und veränderten das Ergebnis der ganzen Schlacht. Sie wanden den Feinden den Sieg, der ihnen schon sicher war und an dem sie nicht mehr gezweifelt hatten, aus den Händen und besiegten als Besiegte wiederum die Sieger.

Es ist schwer zu sagen, ob die Utopier einen Hinterhalt mit größerer Schlauheit zu legen oder mit größerer Vorsicht zu vermeiden wissen. Man könnte meinen, sie träfen Vorbereitungen zur Flucht, wenn sie alles andere eher im Sinne haben, und umgekehrt, wenn sie die Absicht haben zu fliehen, könnte man meinen, sie dächten an nichts weniger. Fühlen sie sich nämlich hinsichtlich ihrer Zahl oder Stellung zu sehr im Nachteil, so ziehen sie bei Nacht in aller Stille ab oder täuschen den Feind durch irgendeine Kriegslist, oder sie gehen bei Tage so allmählich und in so guter Ordnung zurück, daß es ebenso gefährlich ist, sie während des Abrückens anzugreifen wie während des Anstürmens. Ihr Lager befestigen sie überaus sorgfältig mit einem sehr tiefen und breiten Graben, wobei sie die ausgehobene Erde nach innen werfen. Dazu verwenden sie keine Tagelöhner, sondern die Soldaten selbst besorgen die Arbeit, und das gesamte Heer hilft dabei mit, ausgenommen die Posten, die bewaffnet vor dem Wall Wache halten, um plötzliche Überfälle abzuwehren. Und so legen die Utopier bei so zahlreicher Mitarbeit starke und weitausgedehnte Befestigungen wider alles Erwarten in kurzer Zeit an.

Die Waffen, die die Utopier verwenden, sind stark genug zur Abwehr von Angriffen, ohne jedoch jede Art von Bewegung oder Haltung zu hindern; ja nicht einmal beim Schwimmen empfindet man sie als lästig. Denn in voller Ausrüstung schwimmen zu lernen, gehört zu den Anfangsgründen der militärischen Ausbildung der Utopier. Im Kampf aus der Ferne benutzen sie Pfeile, die sie mit großer Kraft und zugleich mit bester Treffsicherheit abschießen, und zwar nicht bloß zu Fuß, sondern sogar vom Pferde aus. Im Nahkampf aber führen sie keine Schwerter, sondern Äxte, die durch ihre Schärfe oder Schwere tödlich verwunden, je nachdem man sie zum Hieb oder Stich verwendet. In der Erfindung von Kriegsmaschinen beweisen die Utopier ganz besonderen Scharfsinn; die fertigen Maschinen halten sie mit größter Sorgfalt geheim, damit sie nicht bekannt werden, ehe man sie braucht, und nicht mehr Spott und Hohn erregen als Nutzen stiften. Bei ihrer Herstellung achtet man besonders darauf, daß sie leicht zu fahren und bequem zu lenken sind. Einen Waffenstillstand, den die Utopier mit dem Feind abschließen, halten sie so gewissenhaft, daß sie ihn nicht einmal dann verletzen, wenn sie gereizt werden. Im Feindesland richten sie keine Verwüstungen an; auch brennen sie die Saaten nicht nieder. Ja, sie sorgen sogar dafür, daß nach Möglichkeit weder Menschen noch Pferde die Saaten zertreten, weil sie der Ansicht sind, daß sie zu ihrem eigenen Vorteil wachsen. Einem Wehrlosen tun sie nichts zuleide, wenn er nicht gerade ein Spion ist. Städte, die sich ihnen ergeben, schonen sie; aber auch solche, die sie erst erobern müssen, plündern sie nicht; wohl aber lassen sie diejenigen Bürger, die die Übergabe zu verhindern gesucht haben, erwürgen, während sie die anderen Verteidiger zu Sklaven machen. Der gesamten Bevölkerung, die nicht mitgekämpft hat, wird kein Haar gekrümmt. Wenn die Utopier erfahren, daß einige Bürger zur Übergabe geraten haben, so machen sie ihnen einen Teil von dem Hab und Gut der Verurteilten zum Geschenk; den Rest geben sie ihren Hilfstruppen: denn von ihnen selbst begehrt niemand einen Anteil an der Beute. Nach Beendigung des Krieges aber legen sie die Kosten nicht ihren Freunden auf, für die sie sie aufgewendet haben, sondern den Besiegten und fordern auf Grund dessen zum Teil bares Geld, das sie dann für ähnliche Kriegszwecke aufsparen, zum Teil Grund und Boden, der ihnen im Lande der Besiegten dauernd gehört und einen nicht geringen Ertrag bringt.

Derartige Einkünfte haben die Utopier jetzt bei vielen Völkern; sie sind aus verschiedenen Ursachen im Laufe der Zeit entstanden und bis auf mehr als 700 000 Dukaten im Jahr angewachsen. Zu ihrer Erhebung entsenden sie einige von ihren Mitbürgern als sogenannte Quästoren, die in dem fremden Lande prächtig leben und in der Art großer Herren auftreten. Aber trotzdem bleibt noch viel Geld übrig, das in die Staatskasse fließt, soweit es die Quästoren nicht lieber dem betreffenden Volke leihen wollen, was sie häufig so lange tun, bis sie es notwendig brauchen. Und kaum jemals kommt es vor, daß sie den ganzen Betrag zurückverlangen. Von dem erwähnten Grund und Boden übereignen die Utopier einen Teil denjenigen, die sich auf ihre Veranlassung einer so großen Gefahr aussetzten, wie ich sie weiter oben geschildert habe.

Greift irgendein Fürst zu den Waffen gegen die Utopier und schickt er sich an, in ihr Gebiet einzufallen, so treten sie ihm sogleich mit starken Kräften außerhalb ihres Landes entgegen; denn weder führen sie ohne Not im eigenen Lande Krieg, noch ist irgendeine Not jemals so schlimm, daß sie die Utopier zwingen könnte, fremde Hilfstruppen auf ihre Insel zu lassen.


 << zurück weiter >>