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Die Reisen der Utopier

Wer das Verlangen haben sollte, seine Freunde in einer anderen Stadt zu besuchen oder sich auch nur den Ort selbst anzusehen, erhält von seinem Syphogranten und Traniboren mit Leichtigkeit die Erlaubnis dazu, wenn er irgendwie abkömmlich ist. Man schickt dann eine gewisse Anzahl Urlauber zusammen ab und gibt ihnen ein Schreiben des Bürgermeisters mit, in dem die Reisegenehmigung bestätigt und der Tag der Rückkehr vorgeschrieben ist. Die Reisenden bekommen einen Wagen mit einem staatlichen Sklaven gestellt, der das Ochsengespann führen und besorgen muß; wenn sie aber nicht gerade Frauen bei sich haben, weisen sie den Wagen als lästig und hinderlich zurück. Obgleich sie auf der ganzen Reise nichts mit sich führen, fehlt es ihnen doch an nichts; sie sind ja überall zu Hause. Sollten sie sich irgendwo länger als einen Tag aufhalten, so übt jeder daselbst sein Gewerbe aus und wird von seinen Handwerksgenossen aufs freundlichste behandelt.

Wenn sich aber jemand außerhalb seines Wohnbezirks eigenmächtig herumtreiben und ohne amtlichen Urlaubsschein aufgegriffen werden sollte, so betrachtet man ihn als Ausreißer, bringt ihn mit Schimpf und Schande in die Stadt zurück und züchtigt ihn streng; im Wiederholungsfalle büßt er mit dem Verlust seiner Freiheit. Wenn aber jemanden die Lust anwandeln sollte, auf seinen heimatlichen Fluren spazierenzugehen, so hindert ihn niemand daran, vorausgesetzt, daß er die Erlaubnis seines Hausvaters und die Einwilligung seiner Frau hat. Wohin er aber auch aufs Land kommt, nirgends gibt man ihm etwas zu essen, ehe er nicht das dort vor dem Mittags- oder Abendessen übliche Arbeitspensum erledigt hat; unter dieser Bedingung kann er ganz nach Belieben innerhalb des Gebietes seiner Stadt spazierengehen. Wird er sich doch auf diese Weise der Stadt ebenso nützlich machen, als wenn er sich in ihr selber aufhielte.

Ihr seht schon, in Utopien gibt es nirgends eine Möglichkeit zum Müßiggang oder einen Vorwand zur Trägheit. Keine Weinschenken, keine Bierhäuser, nirgends ein Bordell, keine Gelegenheit zur Verführung, keine Schlupfwinkel, keine Stätten der Liederlichkeit; jeder ist vielmehr den Blicken der Allgemeinheit ausgesetzt, die ihn entweder zur gewohnten Arbeit zwingt oder ihm nur ein ehrbares Vergnügen gestattet.

Diese Lebensführung des Volkes hat notwendig einen Überfluß an jeglichem Lebensbedarf zur Folge, und da alle gleichmäßig daran teilhaben, ist es ganz natürlich, daß es Arme oder gar Bettler überhaupt nicht geben kann. Im Senat von Mentiranum, wo sich, wie erwähnt, alljährlich drei Abgeordnete aus jeder Stadt einfinden, stellt man zunächst fest, wovon es in den einzelnen Bezirken einen Überschuß gibt und worin irgendwo der Ertrag zu gering gewesen ist. Dann gleicht man alsbald den Mangel der einen Bezirke durch den Überfluß der anderen aus, und zwar geschieht das unentgeltlich, ohne daß die Geber von den Empfängern eine Entschädigung erhalten. Dafür aber, daß eine Stadt irgendeiner anderen aus ihren Beständen ohne Gegenforderung liefert, erhält sie auch wieder, was sie braucht, von einer Stadt, der sie nichts gegeben hat. So bildet die ganze Insel gleichsam eine einzige Familie.

Nachdem aber die Utopier sich selbst zur Genüge mit Vorräten versorgt haben, was nach ihrer Ansicht erst dann der Fall ist, wenn sie wegen der Unsicherheit des Ertrags im darauffolgenden Jahre für einen Zeitraum von zwei Jahren vorgesorgt haben, führen sie aus dem Überschuß eine große Menge Getreide, Honig, Wolle, Leinen, Holz, Scharlach- und Purpurfarben, Felle, Wachs, Seife, Leder sowie außerdem Vieh in andere Länder aus. Von dem allen schenken sie ein Siebentel den Armen des betreffenden Landes, den Rest aber verkaufen sie zu mäßigem Preise. Dieser Handel bringt ihnen nicht nur diejenigen Waren ins Land, an denen es ihnen fehlt – das ist aber fast nichts weiter als Eisen –, sondern außerdem eine große Menge Silber und Gold. Weil sie das schon lange so halten, haben sie an diesen Metallen überall einen unglaublich großen Überfluß. Daher legen sie jetzt auch nicht sonderlich viel Gewicht darauf, ob sie gegen bar oder auf Kredit verkaufen und den bei weitem größten Teil ihrer Forderungen als Außenstände haben. Doch lehnen sie bei der Ausstellung von Schuldscheinen die Bürgschaft von Privatpersonen regelmäßig ab und verlangen immer auf Grund formell ausgestellter Scheine die Bürgschaft der Stadt. Diese zieht dann am Zahltage den Betrag von den Privatschuldnern ein, legt ihn in die Stadtkasse und hat bis zu seiner Anforderung durch die Utopier den Zinsgenuß. Diese verlangen aber niemals den größten Teil zurück; nach ihrer Ansicht ist es nämlich eine Ungerechtigkeit, anderen etwas wegzunehmen, was für sie von Nutzen ist, ihnen selbst aber keinen Nutzen bringt. Wenn sie dagegen erforderlichenfalls einen Teil des betreffenden Geldes einem anderen Volke leihen wollen, so verlangen sie es dann erst zurück oder auch, wenn sie selbst Krieg führen müssen. Für diesen einen Zweck nämlich heben sie jenen gesamten Schatz, den sie im Lande haben, auf, um an ihm in äußerster oder plötzlicher Gefahr einen Rückhalt zu haben, vor allem aber, um damit für unmäßig hohen Sold ausländische Soldaten anzuwerben; denn diese setzen sie lieber der Gefahr aus als ihre eigenen Bürger. Außerdem wissen sie, daß in der Regel die Feinde selber mit viel Geld sich kaufen und gegeneinander hetzen lassen, sei es durch Verrat oder auch durch Entzweiung. Aus diesem Grunde sorgen die Utopier für einen Staatsschatz von unermeßlichem Werte. Er ist aber in ihren Augen kein eigentlicher Schatz; sie halten es damit vielmehr so, daß ich mich in der Tat schäme, es zu erzählen, weil ich fürchten muß, man wird meinen Worten nicht glauben. Und meine Befürchtung ist um so berechtigter, je mehr ich mir bewußt bin, wie schwer man mich selbst dazu hätte bringen können, es einem anderen zu glauben, wenn ich es nicht persönlich erlebt hätte. Es kann ja gar nicht anders sein, als daß etwas um so weniger Glauben findet, je mehr es von den Bräuchen der Zuhörer abweicht. Da freilich auch die übrigen Einrichtungen der Utopier so wesentlich anders als die unsrigen sind, wird sich ein kluger Beurteiler der Dinge vielleicht weniger wundern, wenn sie auch Gold und Silber auf eine Weise benutzen, die mehr ihrem eigenen als unserem Brauche entspricht. Da die Utopier nämlich selber kein Geld verwenden, sondern es nur für einen Fall aufsparen, der ebensogut eintreten wie nicht eintreten kann, so schätzt niemand von ihnen Gold und Silber, woraus das Geld gemacht wird, höher, als es ihrem natürlichen Werte angemessen ist. Wer sieht da nicht, wie weit dort Gold und Silber unter dem Eisen stehen! Und in der Tat ist Eisen für die Menschheit ebenso lebensnotwendig wie Wasser und Feuer, während weder Gold noch Silber von Natur einen Vorzug besitzt, den wir nicht mit Leichtigkeit entbehren könnten; nur halten es die Menschen in ihrer Torheit wegen seines seltenen Vorkommens für so besonders wertvoll. Und dabei hat doch im Gegenteil die Natur, wie eine überaus gütige Mutter, uns gerade ihre besten Gaben offen und frei vor Augen gestellt, wie die Luft, das Wasser und die Erde selbst, das Nichtige und Unnütze dagegen sehr weit entrückt. Würde nun Gold und Silber bei den Utopiern in irgendeinem Turme versteckt, so könnte der törichte Argwohn der großen Masse den Bürgermeister und den Senat verdächtigen, sie wollten das Volk auf hinterlistige Weise betrügen, um selber irgendwelchen Vorteil daraus zu ziehen. Wenn sie ferner Schalen und andere derartige Schmiedearbeiten aus Gold und Silber herstellen ließen, so könnte einmal der Fall eintreten, daß man sie wieder einschmelzen und zur Soldzahlung an die Truppen verwenden müßte, und natürlich würden dann die Besitzer der Gegenstände, das sehen sie ein, sich nur ungern wieder entreißen lassen, woran sie allmählich Freude gefunden haben. Um es zu alledem nicht kommen zu lassen, haben sich die Utopier ein Mittel ausgedacht, das mit ihren übrigen Einrichtungen ebenso übereinstimmt, wie es von den unsrigen stark abweicht, da ja bei uns Gold so hoch geschätzt und so sorgfältig aufbewahrt wird, und das deshalb nur denen, die es aus Erfahrung kennen, glaubhaft erscheint. Während sie nämlich zum Essen und Trinken nur Gefäße aus Ton und Glas benutzen, die zwar sehr hübsch aussehen, aber trotzdem billig sind, fertigen sie aus Gold und Silber nicht bloß für die Gemeinschaftshallen, sondern auch für die Privathäuser allenthalben Nachtgeschirre und sonstige zu ganz gewöhnlichem Gebrauch bestimmte Gefäße an. Außerdem stellen sie aus denselben Metallen Ketten und starke Fußfesseln zur Bestrafung der Sklaven her, und schließlich hängen von den Ohren derer, die durch irgendein Verbrechen ihre Ehre verloren haben, goldene Ringe herab; man steckt ihnen goldene Ringe an die Finger, hängt ihnen eine goldene Halskette um und legt einen goldenen Reif um ihren Kopf. So sorgen die Utopier mit allen Mitteln dafür, daß Gold und Silber bei ihnen in Verruf kommt, und so erklärt es sich auch, daß in Utopien bei einer sich etwa nötig machenden Ablieferung alles Goldes und Silbers, dessen gewaltsame Wegnahme den anderen Völkern fast ebensolche Schmerzen bereitet, als wenn man ihnen die Eingeweide auseinanderrisse, niemand glauben würde, auch nur einen Heller einzubüßen.

Außerdem sammeln die Utopier an den Küsten Perlen, in gewissen Felsen sogar Diamanten und Karfunkel. Doch suchen sie nicht danach, sondern nur, was sie zufällig finden, schleifen sie. Damit putzen sie ihre kleinen Kinder. In ihren ersten Lebensjahren prahlen diese gern mit solchem Schmuck und sind stolz darauf; sobald sie aber ein wenig älter werden und merken, daß sich nur Kinder mit derartigem Tand abgeben, legen sie diesen Schmuck ab, und zwar ohne besondere Ermahnung von seiten ihrer Eltern, sondern einfach, weil sie sich seiner schämen, genau so wie bei uns die Kinder, wenn sie erst größer werden, von ihren Nüssen, Knöpfen und Puppen nichts mehr wissen wollen.

Wie stark aber diese Lebensgewohnheiten der Utopier, die von denen der übrigen Völker so sehr abweichen, ihr ganzes Empfinden verändern, ist mir niemals so klar zum Bewußtsein gekommen wie bei einer Gesandtschaft der Anemolier. Diese kam nach Amaurotum, als ich gerade dort war, und da wichtige Fragen zur Verhandlung standen, waren schon vor ihr jene früher erwähnten drei Abgeordneten aus jeder Stadt eingetroffen. Nun waren allen Gesandten der Nachbarvölker, die schon früher dorthin gekommen waren, die Sitten der Utopier bekannt. Sie wußten, daß prunkvolle Kleidung dort durchaus nicht angesehen war, daß man Seide geradezu verachtete und daß Goldschmuck sogar in üblen Ruf brachte. Deshalb hatten sie sich daran gewöhnt, in möglichst bescheidener Kleidung zu erscheinen. Die Anemolier aber wohnten weiter entfernt von den Utopiern und hatten deshalb weniger Verkehr mit ihnen unterhalten. Als sie nun hörten, die Utopier trügen alle die gleiche grobe Tracht, waren sie überzeugt, sie trieben deshalb keinen Aufwand, weil es ihnen an den nötigen Mitteln dazu fehle, und beschlossen daher, mehr eitel als klug, prächtig wie Götter herausgeputzt aufzutreten und die Augen der armseligen Utopier durch den Glanz ihrer prunkvollen Kleidung zu blenden. So zogen denn die drei Gesandten an der Spitze eines Gefolges von dreihundert Mann in die Stadt ein, alle in bunter, die meisten in seidener Kleidung, die Gesandten selbst – sie gehörten nämlich daheim zum Adel – in golddurchwirkten Gewändern, mit großen Halsketten und Ohrringen aus Gold, an den Fingern goldene Ringe, die Filzkappen mit Bändern geschmückt, die von Perlen und Edelsteinen funkelten, kurz, mit all den Dingen geputzt, die bei den Utopiern Strafen für Sklaven oder Schandmale Ehrloser oder Spielzeug kleiner Kinder sind. Und so lohnte es sich der Mühe zu sehen, wie den Anemoliern der Kamm schwoll, als sie ihren Prunk mit der Kleidung der Utopier verglichen; die Bevölkerung war nämlich in Menge auf die Straßen geströmt. Anderseits aber machte es nicht weniger Spaß zu beobachten, wie gründlich sie sich in ihrer Hoffnung und Erwartung getäuscht sahen und wie wenig sie den Eindruck machten, mit dem sie gerechnet hatten. Denn in den Augen aller Utopier, nur einige ganz wenige ausgenommen, die bei irgendeiner passenden Gelegenheit ins Ausland gekommen waren, war jener ganze glänzende Aufwand eine Schmach. Sie grüßten gerade die Niedrigsten an Stelle ihrer Herren mit Ehrerbietung, die Gesandten selbst aber hielten sie wegen ihrer goldenen Ketten für Sklaven und ließen sie vorübergehen, ohne ihnen überhaupt eine Ehrenbezeigung zu erweisen. Ja, auch die Knaben hättest du sehen sollen, die ihre Edelsteine und Perlen schon längst weggeworfen hatten. Beim Anblick der Edelsteine an den Filzkappen der Gesandten riefen und stießen sie ihre Mütter an und sagten: »Sieh doch, Mutter, was für ein großer Schelm da noch die Perlen und Edelsteinchen trägt, als wenn er ein kleines Kind wäre!« Und die Mutter erwiderte gleichfalls ganz ernsthaft: »Sei still, mein Junge! Das wird einer von den Narren der Gesandten sein.« Andere wieder bemängelten die goldenen Ketten: sie seien zu nichts zu brauchen, weil sie so dünn seien, daß der Sklave sie mit Leichtigkeit zerbrechen könne; anderseits wieder seien sie so locker, daß er sie, wenn er Lust habe, abschütteln und ungehindert und frei ausreißen könne, wohin er wolle.

Die Gesandten hatten sich erst ein paar Tage in Amaurotum aufgehalten und schon eine Unmenge Gold in niedrigster Verwendung gesehen; auch hatten sie gemerkt, daß das Gold hier ebenso gering wie bei ihnen daheim hochgeschätzt wurde; außerdem sahen sie in den Ketten und Fußfesseln eines einzigen Sklaven, der flüchtig geworden war, mehr Gold und Silber zusammen verarbeitet, als die gesamte Ausstattung der drei Gesandten wert war. Da ließen sie die Flügel hängen und legten beschämt jenen ganzen Aufputz ab, mit dem sie sich in so anmaßender Weise gebrüstet hatten, vor allem aber, nachdem sie durch vertrautere Unterhaltung mit den Utopiern ihre Sitten und Anschauungen kennengelernt hatten. Sind doch diese ganz verwundert darüber, wie einem Menschen das unsichere Gefunkel eines dürftigen Juwels oder Edelsteinchens überhaupt Freude machen kann, während er irgendeinen Stern und schließlich die Sonne selbst anschauen darf, und wie jemand so albern sein kann, daß er sich selber wegen eines Gewebes aus feinerer Wolle vornehmer dünkt, wenn diese Wolle selbst, mag der Faden auch noch so fein sein, früher einmal auf dem Rücken eines Schafes gesessen hat und inzwischen doch auch nichts anderes als Wolle gewesen ist. Ebenso wundern sich die Utopier darüber, daß das Gold, das seiner Natur nach so unnütz ist, jetzt überall in der Welt so hoch geschätzt wird, daß der Mensch selbst, durch den und vor allem zu dessen Nutzen es diesen Wert erlangt hat, viel weniger gilt als das Gold selber, und zwar so viel weniger, daß irgendein Dämlack, geistlos wie ein Holzklotz und ebenso schlecht wie dumm, trotzdem eine Menge kluger und braver Diener hat, allein deshalb, weil er zufällig einen großen Haufen Goldstücke sein eigen nennt. Wenn nun irgendeine Fügung des Geschicks oder ein Trick der Gesetze, der, ebenso wie das Schicksal, das Unterste zu oberst kehrt, dieses Gold dem Herrn des Hauses nimmt und es dem allerschlimmsten Taugenichts seines Gesindes zukommen läßt, so würde jener ohne Zweifel bald darauf wie ein Anhängsel und eine Zugabe seiner Münzen unter die Dienerschaft seines ehemaligen Dieners geraten. Und noch mehr ist man erstaunt, ja geradezu empört über das unsinnige Gebaren der Leute, die jene Reichen, denen sie nichts schuldig und denen sie nicht verpflichtet sind, aus keinem anderen Grunde, als weil sie reich sind, wie Götter anbeten, und zwar auch dann, wenn sie ihren schmutzigen Geiz zu genau kennen, um nicht mit tödlicher Sicherheit zu wissen, daß sie bei deren Lebzeiten von dem großen Geldhaufen auch nicht einen roten Heller bekommen.

Diese und andere derartige Ansichten der Utopier sind das Ergebnis teils ihrer Erziehung in einem Staate, dessen Einrichtungen von den Torheiten der geschilderten Art weit entfernt sind, teils ihrer Beschäftigung mit Wissenschaft und Literatur. Allerdings sind in jeder Stadt nur wenige von den anderen Arbeiten befreit, um sich ausschließlich der Ausbildung ihres Geistes zu widmen, nämlich diejenigen, bei denen man von Kind auf hervorragende Anlagen, ausgezeichnete Begabung und Neigung zu wissenschaftlicher Beschäftigung beobachtet hat. Trotzdem aber genießen alle Kinder Unterricht, und ein guter Teil des Volkes, Männer und Frauen, beschäftigt sich das ganze Leben hindurch in den erwähnten arbeitsfreien Stunden mit den Wissenschaften.

Der Unterricht wird in der Landessprache erteilt; sie verfügt nämlich über einen reichen Wortschatz, zeichnet sich durch Wohllaut aus und ist wie keine andere zur Wiedergabe von Gedanken geeignet. In annähernd derselben Art, jedoch überall auf verschiedene Weise etwas zu ihrem Nachteil verändert, ist sie über einen großen Strich jenes Erdteils verbreitet.

Von allen unseren Philosophen, deren Namen in dieser uns bekannten Welt berühmt sind, war den Utopiern vor unserer Ankunft auch nicht ein einziger, nicht einmal gerüchtweise, bekannt geworden; und doch haben sie in Musik, Dialektik, Arithmetik und Geometrie etwa dieselben Entdeckungen gemacht wie unsere alten Meister. Wenn sie aber auch die Alten beinahe in allem erreicht haben, so sind sie allerdings hinter den Erfindungen der modernen Dialektiker weit zurückgeblieben; sie haben nämlich auch nicht eine einzige der in der »Kleinen Logik« so scharfsinnig ausgedachten Regeln über Restriktion, Amplifikation und Supposition erfunden, die hierzulande allenthalben schon die Kinder auswendig lernen. Wie sie ferner keineswegs den »zweiten Intentionen« nachzuforschen vermochten, so war auch nicht einer von ihnen imstande, den sogenannten »Menschen überhaupt« zu sehen, der doch, wie ihr wißt, ein wahrer Koloß und größer als jeder Riese ist und auf den wir damals auch noch mit den Fingern gezeigt haben.

Dagegen kennen sie ganz genau den Lauf der Gestirne und die Bewegung der Himmelskreise. Ja, sie haben sich auch Instrumente von verschiedener Gestalt mit Kunst und Geschick ausgedacht, mit deren Hilfe sie die Bewegungen und Stellungen der Sonne, des Mondes und ebenso der übrigen bei ihnen sichtbaren Gestirne aufs genaueste erfaßt haben. Aber von Gunst und Mißgunst der Planeten und von jenem ganzen Schwindel der Prophezeiung aus den Sternen lassen sie sich nicht einmal etwas träumen. Regen, Wind und die übrigen Wetterveränderungen sagen sie aus gewissen Anzeichen voraus, die sie aus langer Erfahrung kennen. Über die Ursachen all dieser Erscheinungen aber, über Ebbe und Flut sowie über den Salzgehalt des Meeres und schließlich über den Ursprung und die Natur des Himmels und der Erde lehren sie zum Teil dasselbe wie unsere alten Philosophen. Wie diese aber schon untereinander verschiedener Meinung sind, so stimmen auch die Utopier mit ihren neuen Erklärungen für die Naturerscheinungen mit ihnen allen zum Teil nicht überein, sind aber auch untereinander nicht in jeder Beziehung derselben Ansicht.

In der Moralphilosophie behandeln die Utopier dieselben Fragen wie wir. Sie stellen Erörterungen an über die Güter des Geistes und des Körpers sowie über die äußeren Güter, ferner ob diese alle oder nur die Gaben des Geistes als Güter bezeichnet werden dürfen; auch untersuchen sie das Wesen der Tugend und der Lust. Aber die erste und wichtigste aller Streitfragen ist die, worin wohl die Glückseligkeit des Menschen besteht, ob in einem Dinge oder in mehreren. In diesem Punkte aber neigen sie, wie es scheint, mehr als billig zu der Ansicht derer, die für das Vergnügen eintreten, worin sie entweder das menschliche Glück überhaupt oder doch wenigstens seinen wesentlichsten Bestandteil erblicken. Und worüber man sich noch mehr wundern muß, sie stützen ihre so sinnenfreudige Ansicht auch mit Beweisgründen, die sie ihrer Religion entnehmen, einer ernsten und strengen, ja fast düsteren und harten Lehre. Wenn sie nämlich über die Glückseligkeit verhandeln, so verbinden sie stets gewisse Grundsätze ihrer Religion mit der Philosophie, die mit Vernunftgründen arbeitet; denn ohne diese Grundsätze ist die Vernunft nach Ansicht der Utopier zu ungenügend und zu schwach, um für sich allein die wahre Glückseligkeit zu erforschen.

Diese Grundsätze sind folgende: Die Seele ist unsterblich und durch die Güte Gottes zur Glückseligkeit geschaffen; für unsere Tugenden und guten Werke erwarten uns nach diesem Leben Belohnungen, für unsere Missetaten aber Strafen. Diese Anschauungen sind zwar religiöser Natur, aber nach Ansicht der Utopier führt schon die Vernunft dazu, an sie zu glauben und sie zu billigen. Nach Beseitigung dieser Grundsätze, so erklären sie ohne jedes Bedenken, wird niemand so töricht sein zu meinen, er dürfe dem Vergnügen nicht auf jede Weise, auf rechte und unrechte, nachjagen. Nur müsse man sich, so erklären sie weiter, davor hüten, ein größeres Vergnügen durch ein kleineres beeinträchtigen zu lassen oder einem Vergnügen mit schmerzhaften Rückwirkungen nachzugehen. Denn den dornenvollen und beschwerlichen Pfad der Tugend zu wandeln und dabei nicht bloß auf des Lebens Annehmlichkeiten zu verzichten, sondern auch den Schmerz freiwillig zu ertragen, und zwar ohne Aussicht auf irgendwelchen Gewinn – was könnte nämlich wohl auch der Gewinn sein, wenn man nach dem Tode nichts erreichen soll, nachdem man dieses ganze Leben freudlos, also jämmerlich, zugebracht hat? – das ist in den Augen der Utopier das Sinnloseste, was es geben kann. Nun liegt aber nach ihrer Meinung das Glück nicht in jeder Art von Vergnügen, sondern nur in einem rechtschaffenen und ehrbaren; zu diesem nämlich, als zu dem höchsten Gut, zieht, so sagen sie, die Tugend selbst unsere Natur hin, während nach Ansicht der Gegenpartei einzig und allein die Tugend unser Glück bedingt. Die Tugend besteht nämlich, wie die Utopier meinen, in einem naturgemäßen Leben, sofern uns Gott dazu geschaffen hat; naturgemäß aber lebt der, der in allem, was er begehrt und meidet, den Geboten der Vernunft gehorcht. Die Vernunft entfacht ferner im Menschen vor allem anderen die ehrfurchtsvolle Liebe zur göttlichen Majestät, und dieser verdanken wir es ja, daß wir sind und an der Glückseligkeit teilnehmen dürfen. Sodann mahnt uns die Tugend und regt uns dazu an, ein möglichst sorgenfreies und frohes Leben zu führen und allen unseren Mitmenschen, entsprechend unserer natürlichen Gemeinschaft mit ihnen, zur Erreichung des gleichen Zieles zu verhelfen. Denn noch nie ist jemand ein so finsterer und strenger Anhänger der Tugend und entschiedener Feind des Vergnügens gewesen, daß er von dir Anstrengungen, Nachtwachen und Kasteiungen verlangte, ohne nicht gleichzeitig dir aufzugeben, die Not und das Ungemach anderer nach Kräften zu lindern, und ohne es nicht im Namen der Menschlichkeit für lobenswert zu halten, daß ein Mensch dem anderen Heil und Trost spendet. Wenn nun die höchste Menschlichkeit darin besteht – und keine Tugend ist dem Menschen eigentümlicher –, den Kummer der Mitmenschen zu lindern, ihre Traurigkeit zu beheben und in ihr Leben wieder die Freude, das heißt das Vergnügen, zu bringen, wie sollte da nicht die Natur einen jeden anspornen, die gleiche Wohltat auch sich selber zuteil werden zu lassen? Denn entweder ist ein angenehmes, das heißt dem Vergnügen gewidmetes Leben verwerflich, dann darfst du nicht bloß niemandem zu einem Vergnügen verhelfen, sondern mußt es sogar von allen nach Möglichkeit fernhalten, da es ihnen ja schädlich ist und den Tod bringt. Oder aber, wenn du anderen ein Vergnügen als etwas Gutes nicht bloß verschaffen darfst, sondern sogar verschaffen sollst, warum dann nicht vor allem dir selbst, dem du doch nicht weniger als anderen gewogen sein solltest? Denn wenn die Natur dich zur Güte gegen andere mahnt, verlangt sie doch nicht gleichzeitig von dir schonungslose Strenge gegen dich selbst.

Ein angenehmes Leben also, das heißt eben das Vergnügen, sagen die Utopier, stellt uns die Natur selbst gleichsam als Ziel aller unserer Handlungen hin, und ein Leben nach ihrer Vorschrift ist in ihren Augen Tugend. Die Natur aber ruft auch die Menschen auf, sich gegenseitig zu einem Leben in größter Fröhlichkeit zu verhelfen. Und das tut sie sicherlich mit Fug und Recht; denn keiner ist so erhaben über das allgemeine Menschenschicksal, daß die Natur für ihn allein sorgen müßte, sie, die alle, die sie durch die Gleichheit der Gestalt zu einer Gemeinschaft zusammenfaßt, in gleicher Weise hegt und pflegt. Und eben darum heißt sie dich auch immer wieder darauf achten, auf deinen eigenen Vorteil nicht so bedacht zu sein, daß du anderen dabei schadest.

Deshalb dürfen auch nach Ansicht der Utopier nicht bloß die Verträge zwischen Privatpersonen nicht verletzt werden, sondern auch die öffentlichen Bestimmungen über die Teilung der Lebensgüter, das heißt der materiellen Grundlage des Vergnügens, Bestimmungen, die entweder ein guter Fürst auf gesetzlichem Wege erlassen oder die ein Volk auf Grund einer allgemeinen Übereinkunft getroffen hat, ohne durch Tyrannei in seiner Willensäußerung beschränkt oder durch Betrug umgarnt zu sein. Ohne Verletzung dieser Gesetze für dein persönliches Wohlergehen zu sorgen, erfordert die Klugheit, außerdem das allgemeine Wohl im Auge zu haben, das Pflichtgefühl; aber darauf auszugehen, einem anderen sein Vergnügen zu rauben, wofern man nur sein eigenes erjagt, das ist in der Tat Unrecht. Sich selber dagegen etwas zu nehmen, um es anderen zu dem, was sie haben, noch dazuzugeben, das eben ist eine Pflicht der Menschlichkeit und Güte und bringt einem stets mehr Glück wieder ein, als es einem nimmt. Denn die Wohltaten anderer vergelten als Gegenleistung das gute Werk, und das bloße Bewußtsein, etwas Gutes getan zu haben, sowie die Erinnerung an die wohlwollende Liebe derer, denen man Gutes getan hat, bereiten dem Herzen eine Freude, die größer ist, als es jenes Vergnügen des Körpers gewesen wäre, auf das man verzichtet hat. Und endlich vergilt Gott, wovon sich ein gläubiges Gemüt mit Leichtigkeit aus der Religion überzeugt, ein kurzes und geringes Vergnügen dereinst mit unermeßlicher und ewig währender Freude. So sind denn die Utopier nach sorgfältiger Untersuchung und genauer Erwägung der Sache zu der Ansicht gekommen, daß alle unsere Handlungen, und darunter auch die tugendhaften selbst, letzten Endes auf das Vergnügen und damit auf die Glückseligkeit abzielen.

Vergnügen nennen die Utopier jede Bewegung und jeden Zustand des Körpers und des Geistes, worin wir unter Anleitung der Natur mit Behagen verweilen. Nicht ohne Grund fügen sie hinzu, daß die Natur es so haben will. Denn von Natur bereitet alles das Wohlbehagen, was man nicht auf dem Wege des Unrechts begehrt oder wodurch nichts anderes Angenehmeres verlorengeht oder was keine Mühe und Arbeit im Gefolge hat; und danach verlangt nicht bloß das sinnliche Begehren, sondern auch die gesunde Vernunft. Anderseits aber gibt es Dinge, die die Menschen gegen die Ordnung der Natur fälschlich als angenehm bezeichnen, und zwar auf Grund eines ganz törichten Sprachgebrauchs, gerade als ob wir es in der Hand hätten, mit den Worten auch die Dinge zu ändern. Alle diese Dinge sind nach Ansicht der Utopier wertlos für die Glückseligkeit, ja sogar ihr im höchsten Grade hinderlich, und zwar deshalb, weil sie die ganze Seele des Menschen, in der sie sich einmal festgesetzt haben, mit einer verkehrten Meinung über das Vergnügen im voraus erfüllen, um für wahre und reine Freuden nirgends Platz zu lassen. Es gibt nämlich sehr viele Dinge, die zwar ihrer eigentlichen Natur nach durchaus nicht anziehend, sondern im Gegenteil sogar meist recht unangenehm sind, die aber trotzdem infolge der törichten Lockung ruchloser Begierden nicht bloß für die höchsten Genüsse gehalten, sondern auch sogar zu den wichtigsten Angelegenheiten des Lebens gerechnet werden.

Zu denen, die den falschen Vergnügen dieser Art nachgehen, zählen die Utopier diejenigen, die sich selber, wie früher erwähnt, um so besser dünken, je besser sie angezogen sind; dabei irren sie sich in diesem einen Punkte zweifach. Denn sie sind nicht weniger im Irrtum, wenn sie ihren Anzug, als wenn sie sich selbst für etwas Besseres halten. Warum sollte nämlich im Hinblick auf die Brauchbarkeit der Kleidung ein Tuch aus feinerem Gewebe besser sein als eins aus gröberem? Und doch ist jenen Leuten der Kamm geschwollen, als ob sie von Natur und nicht durch einen bloßen Irrtum etwas Besseres wären, und sie meinen, sie gewännen auch dadurch etwas an Wert. Deshalb beanspruchen sie auch, gleich als sei das ihr gutes Recht, für ihren eleganteren Anzug eine Ehrenbezeigung, auf die sie in einfacherer Kleidung gar nicht wagen würden zu hoffen, und sind unwillig, wenn sie beim Vorübergehen nicht weiter beachtet werden. Aber ist nicht gerade auch dieses Verlangen nach eitlen und nutzlosen Ehrenbezeigungen ebenso unvernünftig? Denn wie kann wohl der entblößte Scheitel oder das gebeugte Knie eines anderen ein natürliches und wahres Vergnügen bereiten? Wird das vielleicht einen Schmerz in deinen eigenen Knien heilen? Oder wird es das hitzige Fieber in deinem eigenen Kopfe lindern? In der Vorstellung eines solchen Scheinvergnügens schmeicheln sie sich und klatschen sie sich Beifall, weil sie zufällig von Vorfahren abstammen, von denen eine lange Reihe für reich gegolten hat – einen anderen Adel gibt es ja heutzutage nicht –, für reich besonders an Landgütern, und sie dünken sich nicht um ein Haar weniger vornehm, wenn ihnen auch ihre Vorfahren von ihrem Reichtum nichts hinterlassen oder wenn sie ihr Erbe selber verpraßt haben.

Zu den Leuten dieser Art rechnen die Utopier auch die schon erwähnten Liebhaber von Gemmen und Edelsteinen, und sie kommen sich gewissermaßen wie Götter vor, wenn sie einmal einen ausnehmend wertvollen Stein erwerben, zumal wenn er von der zu ihrer Zeit und in ihrem Lande besonders geschätzten Art ist; denn nicht überall und nicht zu jeder Zeit behalten die gleichen Arten ihren Wert. Sie kaufen aber einen Edelstein nur ohne Goldfassung und Umhüllung, und auch dann nur, wenn der Verkäufer einen Eid und Bürgschaft dafür leistet, daß die Gemme und der Juwel echt sind; solche Angst haben sie, daß der Augenschein sie täuschen könnte. Warum aber sollte dir, der du den Edelstein nur betrachten willst, ein künstlicher weniger Vergnügen machen, den dein Auge von einem echten nicht zu unterscheiden vermag? Beide müßten eigentlich den gleichen Wert haben, für dich, bei Gott, genau so wie für einen Blinden.

Was soll man ferner von denen sagen, die überflüssige Schätze aufbewahren, nicht um sich über die Verwendung des Haufens Geld, sondern nur über seinen Anblick zu freuen? Genießen sie etwa eine echte Freude, oder narrt sie nicht vielmehr nur ein Scheinvergnügen? Oder wie steht es mit denen, die den entgegengesetzten Fehler begehen und das Gold, das sie niemals verwenden, ja vielleicht auch niemals wieder zu Gesicht bekommen werden, vergraben und aus Angst vor seinem Verlust es wirklich verlieren? Denn verlierst du dein Gold nicht, wenn du es der Verwendung durch dich selbst und vielleicht durch die Menschen überhaupt entziehst und der Erde zurückgibst? Und doch bist du ausgelassen froh darüber, daß du deinen Schatz versteckt hast, als brauchtest du nun keine Sorge mehr zu haben. Sollte dir aber jemand den Schatz stehlen, ohne daß du etwas von diesem Diebstahl merkst, und solltest du zehn Jahre danach sterben, was macht es dir da in dem ganzen Zeitraum von zehn Jahren, um den du den Verlust deines Geldes überlebt hast, aus, ob es gestohlen oder noch vorhanden war? Sicherlich hast du in beiden Fällen den gleichen Nutzen davon gehabt.

Zu diesen so unpassenden Freuden rechnen die Utopier auch die der Glücksspieler, deren unsinniges Gebaren ihnen nur vom Hörensagen, nicht aus Erfahrung bekannt ist, und außerdem die der Jäger und Vogelsteller. Denn was ist das für ein Vergnügen, so sagen sie, die Würfel auf das Spielbrett zu werfen? Und dabei tut man das so oft, daß schon aus der häufigen Wiederholung ein Überdruß entstehen könnte, wenn wirklich ein Vergnügen damit verbunden wäre. Oder wie könnte es angenehm sein und nicht vielmehr Widerwillen erregen, das Gebell und Geheul der Hunde zu hören? Oder inwiefern macht es mehr Vergnügen, wenn ein Hund einem Hasen als wenn er einem anderen Hunde nachjagt? Denn in beiden Fällen handelt es sich doch um den gleichen Vorgang: es wird gelaufen – wenn dir das Laufen Freude machen sollte. Wenn dich aber die Aussicht auf Mord fesselt oder wenn du auf die Zerfleischung wartest, die sich vor deinen Augen abspielen soll, so müßte es doch eher dein Mitleid erregen, wenn du mit ansehen mußt, wie das arme Häslein von dem Hunde zerrissen wird, der Schwache von dem Stärkeren, der Scheue und Furchtsame von dem Wilden, der Harmlose schließlich von dem Grausamen. Die Utopier haben deshalb dieses ganze Geschäft des Jagens als eine der Freien unwürdige Beschäftigung den Metzgern zugewiesen, deren Handwerk sie, wie oben erwähnt, von Sklaven ausüben lassen. Ihrer Anschauung nach ist nämlich die Jagd die niedrigste Verrichtung dieses Handwerks, die übrigen sind in ihren Augen nützlicher und ehrbarer, weil sie die Tiere weit mehr schonen und nur aus Notwendigkeit töten, während der Jäger einzig und allein im Morden und Zerfleischen des armen Tieres sein Vergnügen sucht. Dieses Lustgefühl beim Anblick des Mordens hat nach Ansicht der Utopier sogar beim Morden der Tiere seinen Ursprung in einer grausamen Gemütsstimmung oder artet schließlich infolge ständiger Wiederholung des so rohen Vergnügens in Grausamkeit aus. Diese und alle sonstigen Genüsse derart – es gibt nämlich deren unzählige – hält zwar die große Masse der Menschen für Vergnügen, die Utopier dagegen erklären rund heraus, mit dem wahren Vergnügen habe das alles gar nichts zu tun, da ihm von Natur alles Erfreuliche fehle. Denn wenn es auch für gewöhnlich den Sinn mit Wohlbehagen erfüllt, was ja die Aufgabe des Vergnügens zu sein scheint, so gehen die Utopier doch nicht von ihrer Meinung ab. Der Grund dafür ist nämlich nicht die Natur der Sache selbst, sondern die üble Gewohnheit der Menschen. Sie ist schuld daran, daß man Bitteres als süß hinnimmt, genau so wie schwangere Frauen, deren Geschmack gestört ist, Pech und Talg für süßer als Honig halten. Aber das Urteil eines einzelnen, das durch Krankheit oder Gewöhnung getrübt ist, kann die Natur nicht ändern, die des Vergnügens ebensowenig wie die anderer Dinge.

Von den nach ihrer Ansicht echten Vergnügen unterscheiden die Utopier verschiedene Arten, und zwar weisen sie die einen der Seele und die anderen dem Leibe zu. Zu den Vergnügen der Seele zählen sie die geistige Betätigung sowie das Wohlbehagen, das die Betrachtung der Wahrheit hervorruft. Dazu kommt das angenehme Bewußtsein eines untadeligen Lebenswandels und die sichere Hoffnung auf die Glückseligkeit nach dem Tode. Die körperliche Lust zerfällt in zwei Arten. Die erste ist die, die unsere Sinne mit einem deutlichen Wohlbehagen erfüllt. Das geschieht zum Teil durch die Erneuerung derjenigen Bestandteile unseres Körpers, die durch die Wärmeerzeugung in unserem Inneren verbraucht sind – diese führt uns nämlich Essen und Trinken wieder zu –, zum Teil auch durch Ausscheidung der in unserem Körper überflüssigen Stoffe. Das wird erreicht durch Reinigung der Eingeweide von den Exkrementen oder durch Zeugung von Kindern oder wenn das Jucken eines Körperteils durch Reiben oder Kratzen gelindert wird. Bisweilen aber entsteht auch ein Vergnügen, das unserem Körper weder etwas zuführt, wonach die Organe verlangen, noch diese von etwas Lästigem befreit. Es ist aber eine Lustempfindung, die unsere Sinne trotzdem mit einer Art geheimer Gewalt, aber in einer deutlich sichtbaren Erregung zu kitzeln, anzuregen und an sich zu ziehen vermag; ein solches Vergnügen bereitet die Musik. Die zweite Art des körperlichen Vergnügens erblicken die Utopier in einem ruhigen und gleichmäßigen Zustand des Körpers, das heißt also in der durch keinerlei Unbehagen gestörten Gesundheit des einzelnen. Diese ruft ja, falls kein Schmerz sie beeinträchtigt, schon an und für sich Wohlbehagen hervor, selbst wenn keine von außen kommende Lust auf den Körper einwirken sollte. Zwar tritt sie weniger hervor und reizt die Sinne weniger als jene ungestüme Lust an Essen und Trinken; nichtsdestoweniger jedoch gilt sie vielen in Utopien als das größte, fast allen aber als ein großes Vergnügen und gleichsam als die Grundlage und der Grundstein aller Vergnügen. Denn sie allein macht unser Leben ruhig und lebenswert, und ohne sie ist bei keinem und nirgends noch Raum für irgendein Vergnügen. Denn auch wenn man gar keine Schmerzen hat, dabei aber nicht gesund ist, so ist doch dieser Zustand in den Augen der Utopier kein Vergnügen, sondern Stumpfheit. Schon längst gilt bei ihnen die Lehre der Philosophen nicht mehr, die da meinten, man dürfe eine beständige und ungestörte Gesundheit deshalb nicht für ein Vergnügen halten, weil das Vorhandensein eines solchen nur infolge einer Erregung von außen her zu merken sei; auch diese Frage ist nämlich eifrig bei den Utopiern erörtert worden. Vielmehr sind sie jetzt im Gegenteil fast alle darin einig, daß die Gesundheit sogar ganz besonders als ein Vergnügen anzusehen ist. Da nämlich mit der Krankheit, so sagen sie, der Schmerz verbunden ist, der der unversöhnliche Feind des Vergnügens ist, ebenso wie die Krankheit der Feind der Gesundheit, warum sollte dann nicht anderseits mit einer ungestörten Gesundheit das Vergnügen verbunden sein? Dabei ist es nach ihrer Ansicht ohne Belang, ob man die Krankheit selber als Schmerz oder den Schmerz nur als Begleiterscheinung der Krankheit bezeichnet; die Wirkung sei ja in beiden Fällen gleich stark. Mag nun die Gesundheit entweder ein Vergnügen an und für sich oder nur seine notwendige Ursache sein, wie das Feuer die Ursache der Hitze ist, ohne Zweifel ist die Wirkung in beiden Fällen die, daß ein Mensch, der sich einer eisernen Gesundheit erfreut, ein Vergnügen empfinden muß. Außerdem, so sagen sie, wenn wir essen, was geschieht da anderes, als daß die Gesundheit, die allmählich erschüttert worden war, im Bunde mit der Speise gegen den Hunger ankämpft? Während der betreffende Mensch selbst dabei wieder erstarkt und seine gewohnte Kraft wiedererlangt, bereitet ihm die Gesundheit jenes Vergnügen, das uns so erquickt. Wird nun aber die Gesundheit, die sich schon während des Kampfes freut, nicht erst recht froh sein, wenn sie den Sieg errungen hat? Ist sie endlich wieder glücklich im Besitze ihrer alten Stärke, um die allein sie den ganzen Kampf geführt hat, wird sie dann etwa gefühllos werden und ihr Glück nicht erkennen und keinen großen Wert darauf legen? Daß man nämlich sagt, man könne die Gesundheit nicht empfinden, ist nach Meinung der Utopier ganz falsch. Wer empfindet denn nicht, so sagen sie, wenn er nicht gerade schläft, daß er gesund ist, außer dem, der es eben nicht ist? Wer liegt in so festen Banden des Stumpfsinns oder der Lethargie, daß er nicht zugeben sollte, die Gesundheit bereite ihm Freude und Genuß? Was ist aber Genuß anderes als eine andere Bezeichnung für Vergnügen?

Nach alledem schätzen die Utopier besonders die geistigen Vergnügen; sie halten sie nämlich für die ersten und wesentlichsten von allen, und in der Hauptsache entstehen sie nach ihrer Meinung aus der Übung der Tugend und dem Bewußtsein eines rechtschaffenen Lebenswandels. Unter den körperlichen Vergnügen stellen sie die Gesundheit an erste Stelle; denn die Annehmlichkeit des Essens und Trinkens und alle anderen Ergötzlichkeiten der Art betrachten sie zwar als erstrebenswert, aber nur um der Gesundheit willen. Solcherlei nämlich sei nicht an und für sich erfreulich, sondern nur insofern, als es einer sich heimlich einschleichenden Krankheit entgegenwirke. Wie deshalb der Verständige eher Krankheiten vorbeugen als nach Arznei verlangen und lieber die Schmerzen beseitigen als zu Trostmitteln greifen müsse, so sei es besser, man habe diese Art Vergnügen gar nicht nötig, als daß man darin ein Linderungsmittel erblicke. Sollte wirklich jemand in dieser Art Vergnügen sein Glück sehen, so müsse er notwendig zugeben, er werde dann erst am glücklichsten sein, wenn ihm ein Leben in beständigem Hunger, Durst, Jucken, Essen, Trinken, Kratzen und Reiben beschieden sei. Daß ein solches Leben aber nicht bloß häßlich, sondern auch jämmerlich wäre, sieht jeder ein. Diese Genüsse sind in der Tat die niedrigsten, weil sie keineswegs reiner Natur sind; denn immer sind sie von den entgegengesetzten Schmerzen begleitet. So ist mit dem Genuß des Essens der Hunger verbunden, und zwar in einem recht ungleichen Verhältnis. Denn der Schmerz ist nicht nur heftiger, sondern hält auch länger an, da er ja eher als das Vergnügen entsteht und erst zusammen mit ihm vergeht.

Vergnügen dieser Art also sind nach Ansicht der Utopier nicht zu schätzen, soweit sie nicht zum Leben notwendig sind. Doch haben sie auch an ihnen ihre Freude und erkennen dankbar die Liebe der Mutter Natur an, die ihre Kinder mit den verlockendsten Lustgefühlen zu den für sie immer wieder lebensnotwendigen Verrichtungen anspornt. Wie würde uns nämlich unser Leben anekeln, wenn wir ebenso wie die übrigen Krankheiten, die uns seltener befallen, auch diese täglichen Erkrankungen an Hunger und Durst durch Gifte und bittere Arzneien bekämpfen müßten! Was dagegen Schönheit, Stärke und Gewandtheit anlangt, so hegen und pflegen die Utopier sie mit Vorliebe als eigentliche und willkommene Gaben der Natur. Als eine Art angenehme Würze des Lebens schätzen sie auch diejenigen Genüsse, die uns Auge, Ohr und Nase vermitteln und die die Natur ausschließlich für den Menschen, und zwar in besonderer Weise, geschaffen hat; denn keine andere Gattung von Lebewesen hat ein Auge für die Schönheit des Weltgebäudes oder wird irgendwie von Wohlgerüchen angenehm berührt, soweit sie nicht ihre Nahrung danach unterscheiden, oder hat ein Gehör für die verschiedenen Abstände harmonischer und dissonierender Töne. Bei allen diesen Genüssen aber sehen die Utopier darauf, daß nicht ein kleinerer einem größeren im Wege ist und daß niemals ein Vergnügen den Schmerz im Gefolge hat, was, wie sie meinen, notwendig bei einem nicht ehrbaren Vergnügen der Fall ist. Den Reiz der Schönheit dagegen zu verachten, die Kräfte zu schwächen, die Beweglichkeit zu Trägheit werden zu lassen, seinen Körper durch Fasten zu erschöpfen, seiner Gesundheit Gewalt anzutun und auch sonst von den Lockungen der Natur nichts wissen zu wollen, es sei denn, daß man sein Glück nur deshalb nicht wahrnimmt, um desto eifriger für das Wohl seiner Mitmenschen oder für das des Staates besorgt zu sein – eine Mühe, für die man als Entschädigung eine größere Freude von Gott erwartet –, aber sich zu kasteien, ohne jemandem zu nützen, sondern lediglich um eines nichtigen Schattens von Tugend willen oder um Mißgeschick, das einem aber vielleicht niemals widerfährt, leichter zu ertragen: das ist, so meinen die Utopier, ganz widersinnig, eine Grausamkeit gegen sich selbst und der bitterste Undank gegen die Natur; denn dadurch verzichtet man auf alle ihre Wohltaten, gleich als ob man es verschmähte, ihr irgendwie zu Dank verpflichtet zu sein.

Das ist die Ansicht der Utopier über die Tugend und das Vergnügen, und, wie sie glauben, kann man keine finden, mit der menschliche Vernunft der Wahrheit näher kommt, es müßte denn sein, daß eine vom Himmel gesandte Religion einem Menschen noch frömmere Gedanken eingibt. Ob sie damit recht oder unrecht haben, können wir aus Mangel an Zeit nicht genau untersuchen, auch ist das gar nicht nötig; denn wir haben es ja nur unternommen, von ihren Einrichtungen zu erzählen, nicht aber diese in Schutz zu nehmen. Wie es sich aber auch mit den angeführten Grundsätzen der Utopier verhalten mag, davon bin ich fest überzeugt: nirgends ist das Volk tüchtiger, und nirgends ist der Staat glücklicher als in Utopien.

Die Utopier sind körperlich gewandt und rüstig; auch besitzen sie mehr Kräfte, als ihre Statur erwarten läßt; doch ist diese nicht unansehnlich. Der Boden ist zwar nicht überall fruchtbar und das Klima nicht besonders gesund, aber sie härten sich gegen die Witterung durch eine mäßige Lebensweise so sehr ab und verbessern die Beschaffenheit des zu bestellenden Landes mit solchem Eifer, daß nirgends in der Welt der Ertrag an Feldfrucht und Vieh reicher ist und nirgends die Menschen langlebiger und widerstandsfähiger gegen Krankheiten sind. Deshalb kann man in Utopien die Landleute nicht nur die üblichen Arbeiten verrichten sehen, wie sie die von Natur geringere Fruchtbarkeit des Bodens durch Kunst und Fleiß steigern, sondern man kann auch beobachten, wie irgendwo ein Wald vollständig ausgerodet und anderswo wieder angepflanzt wird. Dabei gibt nicht die Rücksicht auf den Ertrag, sondern auf den Transport den Ausschlag; das Holz soll sich nämlich in größerer Nähe des Meeres oder der Flüsse oder der Städte selbst befinden, weil sein Transport von weither auf dem Landwege beschwerlicher ist als der des Getreides. Die Utopier sind ein gewandtes, witziges und kunstfertiges Volk. Es genießt gern seine Muße, besitzt aber auch nötigenfalls genügend Ausdauer in körperlicher Arbeit. Sonst ist es in der Tat keineswegs arbeitswütig, doch kennt es keine Ermüdung, wenn es sich um geistige Interessen handelt.

Als wir den Utopiern von der griechischen Literatur und Wissenschaft erzählten – über die Lateiner sprachen wir nicht, weil von ihnen, wie wir meinten, höchstens die Historiker und Dichter ihren lebhaften Beifall finden würden –, staunten wir, mit welchem Eifer sie darauf bestanden, unter unserer Anleitung Griechisch gründlich lernen zu dürfen. So begannen wir denn mit dem Unterricht, anfangs mehr deshalb, um nicht den Anschein zu erwecken, als wollten wir uns nicht der Mühe unterziehen, als weil wir mit irgendeinem Erfolg gerechnet hätten. Sobald wir aber ein kleines Stück vorangekommen waren, ließ uns ihr Fleiß erkennen, daß wir unseren Eifer nicht umsonst aufwenden würden; denn die Utopier begannen, die Buchstaben so mühelos nachzuschreiben, die Worte so geläufig auszusprechen, so schnell sich einzuprägen und so getreu zu wiederholen, daß es uns wie ein Wunder vorkam. Allerdings gehörten die Leute, die nicht bloß aus freien Stücken und aus Begeisterung, sondern auch auf Grund einer Verfügung des Senats das Studium des Griechischen begannen, zu den erlesensten Geistern der Gebildeten und standen in reifem Alter. Und so hatten sie denn noch vor Ablauf von drei Jahren in ihrer sprachlichen Ausbildung keine Lücken mehr und konnten gute Schriftsteller, abgesehen von Schwierigkeiten infolge einer fehlerhaften Textstelle, ohne Anstoß lesen und verstehen. Wie ich wenigstens vermute, eigneten sie sich die Kenntnis der griechischen Sprache auch wegen ihrer teilweisen Verwandtschaft mit der Landessprache leichter an. Ich nehme nämlich an, die Utopier stammen von den Griechen ab; denn in ihrer fast persisch klingenden Sprache haben sich noch in den Orts- und Amtsnamen Spuren des Griechischen erhalten.

Im Begriff, meine vierte Seereise nach Utopien anzutreten, nahm ich an Stelle von Waren einen ziemlich großen Packen Bücher mit an Bord, weil ich fest entschlossen war, lieber gar nicht statt nach kurzer Zeit schon heimzukehren. So besitzen denn die Utopier folgendes von mir: die meisten Werke Platos, mehrere Schriften des Aristoteles, sodann Theophrasts Buch über die Pflanzen, das aber leider an mehreren Stellen lückenhaft ist. Während der Seefahrt hatte ich nämlich auf das Buch weniger Obacht gegeben, und so hatte sich eine Meerkatze seiner bemächtigt und, ausgelassen und spielig, hier und da ein paar Blätter herausgerissen und zerfetzt. Von den Grammatikern haben sie nur den Lascaris; den Theodorus habe ich nämlich gar nicht mitgenommen, ebenso kein Wörterbuch, außer Hesych und Dioscorides. Plutarchs kleine Schriften haben sie sehr gern, und auch Lucians Witz und Anmut fesseln sie. Von den Dichtern besitzen sie Aristophanes, Homer und Euripides, ferner Sophocles in den kleinen Typen des Aldus, von den Historikern Thucydides, Herodot sowie Herodian. Sogar aus dem Gebiet der Medizin hatte mein Reisegefährte Tricius Apinatus etwas mitgebracht, nämlich einige kleine Schriften des Hippocrates und die Mikrotechne Galens. Gerade auf diese beiden Bücher legen die Utopier großen Wert; denn wenn sie die Heilkunde auch wohl weniger als alle anderen Völker brauchen, so steht sie doch nirgends in größerer Achtung, und zwar schon deshalb, weil man in Utopien ihre Kenntnis zu den schönsten und nützlichsten Teilen der Philosophie rechnet. Mit ihrer Hilfe erforscht man nämlich die Geheimnisse der Natur, und man glaubt, nicht bloß einen wunderbaren Genuß davon zu haben, sondern auch die höchste Gunst des Schöpfers und Werkmeisters der Natur zu gewinnen. Man ist ja der Meinung, er habe nach Art der übrigen Künstler den sehenswerten Mechanismus dieser Welt für den Menschen zur Betrachtung ausgestellt und ihn allein in seinem Inneren für eine so gewaltige Schöpfung aufnahmefähig gemacht, und deshalb sei ihm ein wißbegieriger und achtsamer Betrachter und Bewunderer seines Werkes lieber als einer, der ein so erhabenes und wundervolles Schauspiel stumpf und unerschüttert nicht beachtet.

So sind denn die Utopier infolge ihrer wissenschaftlichen Ausbildung erstaunlich begabt für technische Erfindungen, die etwas dazu beitragen, das Leben angenehm und bequem zu machen. Zwei Erfindungen jedoch verdanken sie uns, die Buchdruckerkunst und die Herstellung des Papiers, aber doch nicht uns allein, sondern zu einem guten Teile auch sich selber. Als wir ihnen nämlich die Bücher zeigten, die Aldus auf Papier gedruckt hatte, und ihnen von dem zur Papierfabrikation notwendigen Material und von den Druckverfahren mehr bloß etwas erzählten, statt ihnen die Sache zu erklären – keiner von uns besaß nämlich in einer der beiden Künste praktische Erfahrung –, errieten sie sogleich äußerst scharfsinnig das Verfahren, und, während sie bis dahin nur auf Häuten, Rinde und Papyrusbast schrieben, versuchten sie nunmehr sofort, Papier herzustellen und zu drucken. Im Anfang wollte es ihnen nicht so recht gelingen, aber durch häufigere Versuche kamen sie bald dahinter und brachten es dann in beiden Künsten so weit, daß es keinen Mangel an Exemplaren griechischer Autoren geben könnte, wenn anders Handschriften vorhanden wären. Zur Zeit aber steht den Utopiern nichts weiter zur Verfügung, als was ich erwähnt habe; das aber haben sie bereits in vielen tausend Exemplaren durch den Druck vervielfältigt.

Wer aus Schaulust nach Utopien kommt, wird mit offenen Armen aufgenommen, wenn er sich durch eine besondere Begabung oder durch Kenntnis vieler Länder auszeichnet, die er sich auf langen Reisen im Ausland erworben hat, und wenn sich seine Aufnahme dadurch empfiehlt. Aus diesem Grunde war den Utopiern auch unsere Landung willkommen; denn sie hören gern von dem Geschehen überall in der Welt. Zu Handelszwecken dagegen kommen Fremde nicht gerade häufig hin. Was sollte man denn auch dort einführen außer Eisen oder Gold und Silber, das aber jeder doch lieber mit heimbringen möchte? Was sie aber aus ihrem eigenen Lande auszuführen haben, das verschiffen sie auf Grund reiflicher Überlegung lieber selber, als daß sie es von anderen holen lassen, einmal, um die Völker des Auslands ringsum genauer kennenzulernen, und sodann, um nicht ihrer nautischen Übung und Erfahrung verlustig zu gehen.


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