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Abschnitt B

1. Falsche Vergleiche Es handelt sich hier bei dem chinesischen Ausdruck Li nicht um moralische oder religiöse Ordnungen, sondern um die äußerlichen Regeln des Anstandes. Es ist sozusagen die äußere empirische Erscheinung der Ordnung. Sowie es sich um die Erscheinung handelt, ist man auf dem Gebiet des Relativen. Mong Dsï verläßt dieses Gebiet nicht, sondern bringt nur die relative Wichtigkeit der Formen gegenüber der Sinnlichkeit durch eine andere Gruppierung der Vergleichspunkte in eine andere Reihenfolge. Dschu Hi bemerkt sehr richtig dazu, daß, wo es sich um die religiösen und moralischen Gesetze in ihren überempirischen Anforderungen handele, die absolute Bedeutung derselben feststehe, so daß man keinen Zoll beugen dürfe, um zehn Fuß gerade zu machen.

Ein Mann aus Jen Jen ist das heutige Tsiningdschou in Südwest-Schantung, Dsou der Heimatsort des Mong Dsï im heutigen Dsou-Hiän in Süd-Schantung. fragte den Schüler Wu-Lu Dsï Wu-Lu Liän ist der unter No. 14 genannte Schüler. Er muß wohl von dem als Taoist bekannten Wu-Lu Dsï unterschieden werden.: »Was ist wichtiger: der Anstand oder die Nahrung?«

Wu-Lu Dsï sagte: »Der Anstand ist wichtiger.«

Jener fuhr fort: »Was ist wichtiger: der Anstand oder die Befriedigung des Geschlechtstriebs?«

Der Jünger sprach: »Der Anstand ist wichtiger.«

Da sprach jener: »Wenn du Hungers sterben müßtest, falls du nur mit Anstand essen wolltest, aber zu essen bekämst, wenn du nicht mit Anstand essen wolltest: würdest du dann auf dem Anstand bestehen?

Wenn du keine Frau bekämst, falls du die Anstandsregel, sie selbst abzuholen, befolgen wolltest, aber eine Frau bekämst, wenn du sie nicht selbst abholen wolltest: würdest du da darauf bestehen, sie selbst abzuholen?«

Wu-Lu Dsï konnte darauf nichts entgegnen.

Am andern Tag ging er nach Dsou, um es Mong Dsï zu erzählen.

Mong Dsï sprach: »O, das ist doch nicht schwer, eine Antwort darauf zu geben! Wenn man zwei Dinge nicht auf denselben Boden stellt und nur die oberen Enden vergleicht, so kann man ein zollgroßes Stückchen Holz einen Dachfirst überragen lassen. Gold ist schwerer als Federn, aber damit ist nicht gesagt, daß eine goldene Gürtelspange schwerer sei als ein ganzer Wagen voll Federn. Wenn man das dringendste Bedürfnis nach Nahrung mit der unwichtigsten Anstandsregel zusammenhält, da ist natürlich die Nahrung weit wichtiger. Wenn man die wichtigste Befriedigung des Geschlechtstriebs mit der unwichtigsten Anstandsregel zusammenhält, da ist natürlich die Befriedigung des Geschlechtstriebs weit wichtiger. Geh hin und entgegne ihm: Wenn du deinem älteren Bruder den Arm verrenken und ihm sein Essen wegreißen müßtest, um essen zu können, aber nichts zu essen hättest, wenn du deinem Bruder den Arm nicht verrenktest: würdest du ihm dann seinen Arm verrenken? Wenn du deinem Nachbar über die Mauer steigen und seine jungfräuliche Tochter wegschleppen müßtest, um ein Weib zu bekommen, aber kein Weib bekämst, wenn du sie nicht wegschlepptest: würdest du sie dann wegschleppen?«

2. Abweisung eines unangenehmen Schülers

Giau von Tsau Giau war nach Dschau Ki ein jüngerer Bruder des (damals mediatisierten) Fürsten von Tsau (im heutigen Tsaudschoufu, Schantung). Daß er von vornehmer Herkunft war, läßt er durchblicken, indem er sein freundschaftliches Verhältnis zu dem Landesfürsten von Dsou, der Heimat des Mong Dsï, nicht ganz unabsichtlich erwähnt. Damit hat er einen fremden Mißton in den Verkehr gebracht, trotz der wohlwollenden Gutmütigkeit, mit der er sich als »langer Kerl, der nichts kann als Hirse essen« bezeichnet. Mong Dsï schickt ihn darum freundlich, aber bestimmt nach Hause. Er ist nicht für bloße interessante Unterhaltungen zu haben. fragte den Mong Dsï und sprach: »Es heißt, alle Menschen können Yaus und Schuns sein. Ist das wahr?«

Mong Dsï sprach: »Ja«.

Jener fuhr fort: »Ich hörte, König Wen sei zehn Fuß hoch gewesen und Tang neun Fuß; ich bin neun Fuß vier Zoll lang, aber ich kann weiter nichts als Hirse essen. Was kann ich tun, um es fertig zu bringen?«

Mong Dsï sprach: »Was hat das für Schwierigkeiten? Die Übersetzung Legges »Was hat die Körpergröße mit der Sache zu tun?« entspricht nicht der idiomatischen Bedeutung des chinesischen Ausdrucks (vgl. Mong Dsï Dschong I). Mong Dsï ignoriert diese Einleitung einfach. (Die alten Fuß hatten übrigens nur sechs Zoll). Das folgende Gleichnis ist nicht besonders deutlich herausgearbeitet. Es bewegt sich in demselben Gedankengang vom Heben des Taischans und der Verbeugung vor den Älteren wie Buch I, A, 7. Sein Zweck ist wohl weiter nichts, als zu zeigen, daß einer, der erst schwach war, allmählich stark werden kann wie der stärkste Riese. (Wu Huo ein zeitgenössischer Athlet aus Tsin, der angeblich dreihundert Zentner heben konnte!) Die beiden anderen Deutungen: »Wenn einer kein Küchlein (nach anderen Entlein) heben kann und sagt: ›Ich kann dreißig Zentner heben‹, so genügt das noch nicht; um ein Wu Huo zu sein, muß man auch Wu Huos Leistungen vollbringen ...« und: »Körperstärke ist nicht allen Menschen eigen, um ein Wu Huo zu sein, bedarf es besonderer Stärke; so aber ist es mit der Nachfolge Yaus und Schuns nicht, die ist so leicht wie ein Entchen zu heben ...« tun dem Text Gewalt an. Es braucht weiter nichts, als auch so zu handeln wie jene. Angenommen, ein Mann sei nicht stark genug, ein Küchlein zu heben, so ist das ein Mann ohne Kraft. Wenn er nun sagt: Ich kann dreißig Zentner heben, so ist er ein kräftiger Mann geworden. Wenn nun also einer ebenso schwere Lasten heben kann wie der starke Wu Huo, so ist er ganz einfach auch zum Wu Huo geworden. Was brauchen sich die Menschen darum zu kümmern, daß sie der Sache nicht gewachsen sind: sie handeln nur nicht! Wenn einer sachte hinter dem Älteren hergeht, so nennt man ihn bescheiden. Wenn einer aber voreilig den Älteren überholt, so nennt man ihn unbescheiden. Sachte zu gehen, das ist doch nicht etwas, das die Menschen nicht können! Sie tun's nur nicht! Die Art von Yau und Schun ist nichts weiter als kindliche Ehrfurcht und Bescheidenheit. Wenn Ihr Euch kleidet wie Yau und Schun, wenn Ihr redet die Worte Yaus und Schuns, wenn Ihr auf Yaus und Schuns Wegen wandelt: dann seid Ihr ja Yau und Schun. Wenn Ihr Euch aber kleidet wie der Tyrann Giä und redet die Worte von Giä und wandelt in den Wegen von Giä, dann seid Ihr Giä, nichts weiter.«

Jener sprach: »Ich habe Gelegenheit, den Fürsten von Dsou zu sehen. Ich will mir eine Wohnung von ihm anweisen lassen und hier bleiben, um bei Euch Belehrung zu empfangen.«

Mong Dsï sprach: »Der rechte Sinn ist wie eine große Straße, er ist ganz leicht zu finden. Das Übel ist nur, daß die Leute ihn nicht suchen. Kehrt nur heim und suchet ihn: Ihr werdet Lehrer genug und übergenug finden.«

3. Echte Kindesliebe ist nicht gleichgültig, doch bescheiden

Gung-Sun Tschou fragte den Mong Dsï und sprach: »Der Meister Gau Der hier erwähnte »alte« Gau ist weder zu verwechseln mit dem Gau Dsï von VI, A, 1 ff. (das Wort wird im Chinesischen ganz verschieden geschrieben), noch mit dem Schüler Gau, der in II, B, 12 genannt wird. sagt, das Lied Siau Pan Die Siau-Pan-Ode steht Schï Ging II, V, 3. Die vorausgesetzte Situation ist, daß es die Klagen I Kius, des Sohnes des Königs Yu, enthält. Yu hatte ihn zum Thronfolger bestimmt. Dann aber verliebte er sich in die schöne Bau Si. Die rechte Königin ward verstoßen und der Thronfolger I-Kiu in die Verbannung geschickt. In dem Liede beklagt er in beweglichen Tönen sein Los. – in dem ein Sohn sich über ungerechte Behandlung seines Vaters und seiner Stiefmutter beklagt – sei von einem gemeinen Manne gemacht.«

Mong Dsï sprach: »Warum sagt er so?«

Der Schüler sprach: »Weil der Sohn murre.«

Mong Dsï sprach: »Der alte Gau ist wirklich beschränkt in seiner Behandlungsweise der Lieder. Angenommen, hier sei ein Mann Der Sinn des Gleichnisses ist, daß, während man einen Fremden (im Text steht: Mann aus Yüo) mit freundlichen Worten von einem Unrecht abzuhalten sucht, das er einem antun will – da man keinen Anspruch an ihn hat – wird man Verwandten gegenüber, an die man ein Anrecht hat, durch solche Lieblosigkeit zugleich gekränkt und betrübt. Diese zürnende Liebe darf nicht fehlen, sonst würde man sich den Vorwurf der Entfremdung und Gleichgültigkeit mit Recht zuziehen., nach dem ein Fremder seinen Bogen spanne, um ihn zu schießen, so wird er ihn davon abzuhalten suchen mit freundlichen und ruhigen Worten – aus keinem anderen Grund, als weil er ihm ferne steht. Wenn aber sein Bruder nach ihm den Bogen spannte, um ihn zu schießen, so würde er ihn abzuhalten suchen unter Tränen und Klagen – aus keinem andern Grund, als weil er ihm so nahe steht. Aus dem Groll jenes Liedes spricht die Liebe zu den Eltern. Die Liebe zu den Eltern ist reinste Liebe. Er ist beschränkt, dieser alte Gau, wie er mit den Liedern umgeht!«

Der Schüler sprach: »Wie kommt es dann, daß im Kai-Fong-Lied Die Kai-Fong-Ode steht in Schï Ging I, III, 7. Der von Mong Dsï übernommenen Tradition nach ist sie von sieben Söhnen einer Witwe gedichtet, der es keine Ruhe ließ, bis sie eine zweite Heirat geschlossen. Die Söhne drücken ihr Mitleid mit der Ruhelosigkeit der Mutter aus und nehmen alle Schuld auf sich. Die geplante zweite Heirat der Mutter ist der – verhältnismäßig – kleine Fehler, von dem Mong Dsï spricht. Als ungehörig wird eine zweite Ehe einer Witwe noch heute in China empfunden. – wo sieben Söhne die Schuld an dem Verlassen des Witwenstandes durch ihre Mutter sich selbst zuschreiben – kein Groll zum Ausdruck kommt?«

Mong Dsï sprach: »Das Unrecht der Mutter in dem Kai-Fong-Lied war klein. Das Unrecht der Eltern im Siau-Pan-Lied war groß. Wenn der Eltern Unrecht groß ist und man grollt nicht, so ist das Gleichgültigkeit. Ist der Eltern Unrecht klein und man grollt, so ist das Reizbarkeit. Das Wort »Reizbarkeit« entspricht den drei chinesischen Worten: bu ko gi. Die Erklärungen, was diese Worte bedeuten, sind zahlreich. Legge schließt sich der Auffassung an, daß »gi« das Aufspritzen des Wassers ist. Auch diese Auffassung teilt sich wieder in verschiedene Erklärungen. Der Sinn ist so oder so der in unserer Übersetzung wiedergegebene. Die Gleichgültigkeit ist gegen die kindliche Liebe, und Reizbarkeit ist ebenso gegen die kindliche Liebe.

Meister Kung sprach: ›Schun hat es doch am weitesten gebracht in der Kindesliebe: mit fünfzig Jahren noch hing er an seinen Eltern.‹«

4. Utilitarismus und Idealismus.

Sung Kang Bei Dschuang Dsï wird unter den zeitgenössischen Wanderphilosophen ein gewisser Sung Giän oder Sung Yung Dsï genannt. Vgl. Dschuang Dsï a. a. O., pag. XVIII f. Von seiner Richtung heißt es unter anderem: »Sie verboten den Angriff und wollten Niederlegung der Waffen, um die Menschen vom Krieg zu erlösen. Mit diesen Lehren durchzogen sie die ganze Welt. Sie ermahnten die Fürsten und belehrten die Untertanen ... Es hieß von ihnen, daß hoch und niedrig es vermied, mit ihnen zusammenzukommen, daß sie aber mit Gewalt sich Zutritt verschafften.« Offenbar nimmt Dschu Hi mit Recht an, daß es sich in unserer Stelle um dieselbe Persönlichkeit handelt. Sachlich ist zu vergleichen I, A, 1. Wie dort, so ist auch hier der Utilitarismus (Vorteil) dem moralischen Idealismus (»Liebe und Pflicht«: in der Übersetzung ist aus stilistischen Gründen nur Pflicht gesetzt) gegenübergestellt. Der letztere Standpunkt ist für Mong Dsï der einzige, der eine dauernde Organisation der menschlichen Gesellschaft ermöglicht. war im Begriff, nach Tschu zu gehen, Mong Dsï traf ihn in Steinberg und sprach: »Wo wollt Ihr hin, Herr?«

Jener sprach: »Ich höre, Tsin und Tschu betreiben Rüstungen; ich will vor den König von Tschu treten und ihm zureden, davon abzustehen. Wenn der König von Tschu nicht einverstanden ist, so will ich vor den König von Tsin treten und ihm zureden, davon abzustehen. Unter den beiden Königen werde ich sicher einen treffen, der auf mich hört.«

Mong Dsï sprach: »Darf ich, ohne über das Einzelne zu fragen, etwas über Eure allgemeinen Richtlinien hören? Auf welche Weise wollt Ihr ihnen zureden?

Jener sprach: »Ich werde darüber sprechen, wie unvorteilhaft die Sache ist.«

Mong Dsï sprach: »Euer Ziel, Meister, ist gewißlich edel. Eure Begründung ist nicht zu billigen. Wenn Ihr vom Standpunkt des Vorteils aus den Königen von Tsin und Tschu zuredet, und die Könige von Tsin und Tschu lassen sich aus Lust am Vorteil bestimmen, ihre Heere abzurüsten, so werden alle Soldaten dieser Heere die Abrüstung gerne sehen aus Lust am Vorteil. Die Beamten werden den Vorteil im Sinn haben beim Dienst des Fürsten. Die Söhne werden den Vorteil im Sinn haben beim Dienst der Eltern. Die Jugend wird den Vorteil im Sinn haben beim Dienst des Alters. So werden alle Verhältnisse zwischen Fürst und Untertan, Vater und Sohn, Alter und Jugend des sittlichen Haltes beraubt, und die Rücksicht auf Vorteil beherrscht die gegenseitigen Beziehungen. Daß diese Zustände aber nicht den Zusammenbruch nach sich ziehen sollten, ist ganz undenkbar.

Wenn Ihr aber vom Standpunkt der Liebe und Pflicht aus den Königen von Tsin und Tschu zuredet, und die Könige von Tsin und Tschu werden aus Freude an der Pflicht ihre Heere abrüsten, so werden alle Soldaten dieser Heere die Abrüstung gerne sehen aus Freude an der Pflicht. Die Beamten werden die Pflicht im Sinne haben beim Dienst des Fürsten, die Söhne werden die Pflicht im Sinne haben beim Dienst der Eltern. Die Jugend wird die Pflicht im Sinne haben beim Dienst des Alters. So wird aus allen Verhältnissen zwischen Fürst und Untertan, Vater und Sohn, Alter und Jugend die Rücksicht auf Vorteil entfernt, und die Pflicht beherrscht die gegenseitigen Beziehungen. Daß solche Zustände nicht die Weltherrschaft nach sich ziehen sollten, ist ganz undenkbar. Warum nur durchaus vom Vorteil reden?«

5. Verschiedene Gaben und verschiedener Dank Der Abschnitt ist einer von denen, die die ängstliche Bemühung Mong Dsïs, seine Würde zu wahren, zeigen. Gerade je mehr er äußerlich das Leben eines der vielen Wanderphilosophen führte, die für ihren Lebensunterhalt auf die Gaben der Landesfürsten angewiesen waren, desto sorgsamer wachte er darüber, daß er in seinem Benehmen keine Konzessionen machte (vgl. die entsprechenden Abschnitte V, B, 4 ff). Bei Überreichung einer Gabe an einen geehrten Fremden – und ein solcher war Mong Dsï damals – war es üblich, seine persönliche Aufwartung zu machen; erst dadurch erhielt die Gabe den Ausdruck persönlicher Hochachtung. Beide Gaben kamen durch Boten von auswärts, darum machte auch Mong Dsï seinerseits keinen Dankesbesuch. Die Gaben, auch die des Kanzlers, waren wohl unter Wahrung der Form dargebracht, so daß er keinen Grund hatte zur Zurückweisung, wie er das der Gabe des Königs von Tsi gegenüber tat. Ein Gegenbesuch war unter den vorhandenen Umständen nicht nötig. Als sich Gelegenheit bietet, macht Mong Dsï jedoch bei dem Prinzregenten von Jen einen Dankesbesuch, da es bei diesem nicht ein Mangel an Respekt, sondern Abhaltung durch die Umstände gewesen war, was sein persönliches Erscheinen bei Mong Dsï verhinderte. Da sein Bruder, der Fürst von Jen, zurzeit bei einer Audienz auswärts war, konnte der stellvertretende Regent den Platz nicht verlassen. Zudem war Dsou für Jen Ausland. Dagegen hätte der Kanzler Tschu Dsï von Tsi sehr wohl nach Pinglu, das eine Exklave von Tsi im Süden war (bei Yändschoufu in Schantung), kommen können. Immerhin, es war mehrere Tagereisen weit. Das aber sah Mong Dsï als Mangel an Achtung an, daß der Kanzler sich durch diese Erwägung abhalten ließ; darum macht er ihm keinen Dankesbesuch.

Als Mong Dsï einst in Dsou weilte, hatte ihm der jüngere Bruder des Fürsten von Jen, der für seinen Bruder stellvertretend die Regierung führte, ein Geschenk von Seidenstoffen gemacht. Er hatte es angenommen, ohne es zu erwidern. Ein andermal, als er sich in Ping Lu – einer Grenzstadt von Tsi – aufhielt, hatte ihm Tschu Dsï, der damals Kanzler in Tsi war, auch ein Geschenk von Seidenstoffen gemacht. Auch das hatte er angenommen, ohne es zu erwidern.

Als er später von Dsou nach Jen kam, suchte er den Prinzen von Jen auf; als er dagegen von Ping Lu nach der Hauptstadt von Tsi kam, suchte er den Kanzler nicht auf.

Da sprach der Jünger Wu-Lu Dsï Über Wu-Lu Dsï vgl. Abschnitt 1. erfreut: »Da habe ich eine Spalte, durch die ich einen Einblick in des Meisters Art gewinnen kann.«

Er befragte den Mong Dsï und sprach: »Als Ihr nach Jen kamt, Meister, habt Ihr dort den Prinzen von Jen aufgesucht. Als Ihr nach Tsi kamt, da habt Ihr den Kanzler Tschu Dsï nicht aufgesucht. War's, weil er nur ein Kanzler ist?«

Mong Dsï sprach: »Nein. Aber im Buch der Urkunden Vgl. Schu Ging V, 13, 12. steht geschrieben: ›Bei einem Geschenk kommt das meiste auf die Bezeugung der Achtung an. Wenn diese Achtungserweisung bei dem Geschenk fehlt, so ist's als sei es nicht geschenkt, weil die Gesinnung nicht beim Schenken beteiligt war‹. Ich habe jenen nicht besucht – weil er nicht fertig geschenkt hat.«

Wu-Lu Dsï war erfreut. Als ihn jemand über die Sache fragte, da sprach er: »Der Prinz von Jen konnte nicht weg, um selbst nach Dsou zu kommen, wohl aber hätte der Kanzler Tschu Dsï nach Ping Lu kommen können.«

6. Abweisung eines Sophisten

Schun-Yü Kun Schun-Yü Kun ist der Sophist aus dem Staate Tsi, mit dem Mong Dsï schon IV, A, 17 ein Redegefecht gehabt hat. Die Gegner rücken einander hier ziemlich unverblümt zu Leibe. Schun-Yü Kun geht vom Grundsatz aus: »Der Worte sind genug gewechselt, laßt mich auch endlich Taten sehn«, während Mong Dsï ihm zu verstehen gibt, daß ein Banause und Herdenmensch natürlich die eigentlichen Motive eines höheren Menschen nicht verstehen könne, so daß es nicht zu verwundern sei, wenn seinesgleichen keine Weisen »merken«. Der Abschnitt ist nicht ohne Humor. Schon der Anfang, wo Schun-Yü Kun als richtiger Realpolitiker verlangt, daß ein Mann darauf aus sein müsse, sich einen Namen zu machen und etwas zu leisten, um als nützliches Glied der menschlichen Gesellschaft gelten zu können, ist sehr ergötzlich. Die Heiligen, die Mong Dsï zitiert, um nachzuweisen, daß jeder auf seine Façon selig werden könne, sind alle früher schon ausführlicher erwähnt (vgl. V, B, 1). Der Zug, daß I-Yin fünfmal zu Giä und fünfmal zu Tang gegangen sei, ist nur hier erwähnt. Der Sage nach soll Tang den I-Yin so oft zu Giä geschickt haben, um diesen von seinem gottlosen Wandel zu bekehren. Auf die Zitate des Mong Dsï wartet der andere mit anderen Zitaten auf, aus denen hervorgehen soll, daß die sogenannten Weisen für das Staatswohl unnütz seien; denn trotz aller Weisen und Schüler des Kung Dsï, die Fürst Mu von Lu in seinen Dienst gezogen (Gung-I Hiu, ein Mann von Geist und Grundsätzen, war zu jener Zeit Kanzler in Lu; Dsï Liu, der mit dem Siä Liu in II, B, 11 identisch ist, und Dsï Sï, der Enkel Kung Dsïs, waren Beamte), sei Lu immer mehr von habgierigen Nachbarn verkleinert worden. Mong Dsï gibt sich gar nicht die Mühe, diese anfechtbare Behauptung näher zu untersuchen, sondern antwortet mit einer anderen Anekdote von Bai Li Hi, der auch oben schon vorkam, aus der hervorgeht, wieviel schlimmer es einem Lande ohne Weise gehen kann. Die Argumentation des »gesunden Menschenverstandes«, daß jede Ursache an ihren Folgen erkennbar sein müsse, die Schun-Yü Kun nun ins Treffen führt, wird ebenfalls durch verschiedene historische Beispiele belegt. Der Sänger Wang Bau, der die Leute im Westen des (gelben) Flusses so gut singen lehrte, stammt aus We. Die Musik, die er einführte, sind die von Kung Dsï in den Lun Yü so sehr gescholtenen »lasziven Töne von Dschong«. Das chinesische Zeichen, das hier für Gesang steht, bedeutet einen volksliedmäßigen Gesang ohne Instrumentalbegleitung, während das bei Miän Gü genannte Zeichen einen Gesang mit Instrumentalbegleitung meint. Der Gi-Fluß ist westlich vom gelben Fluß in seinem Nordlauf. Gau Tang ist ein noch heute bestehender Platz westlich von Tsinanfu in Schantung. Die beiden Frauen, die genannt sind, beweinten ihre im Kampf gefallenen Gatten so heftig, daß die Stadtmauern der Hauptstadt unter ihren Tränen barsten, weshalb die ganze Bevölkerung es ihnen gleichzutun suchte und die Trauersitten sich verschärften. sprach: »Wer Namen und Leistungen wichtig nimmt, der lebt für andere; wer Namen und Leistungen gleichgültig nimmt, der lebt nur für sich selbst. Ihr wart unter den höchsten Räten – in Tsi –, und ehe Ihr noch für Fürst oder Volk etwas geleistet habt, das Euch einen Namen macht, habt Ihr das Land verlassen. Ist das eigentlich die Art eines sittlichen Mannes?«

Mong Dsï sprach: »Einer lebte in niedriger Stellung, er wollte nicht seine Fähigkeit im Dienst untauglicher Menschen verbrauchen: das war Be I. Ein anderer ging fünfmal zu Tang, dem Befreier, und fünfmal zu Giä, dem Tyrannen: das war I-Yin. Ein anderer verschmähte nicht einen schmutzigen Fürsten, lehnte selbst ein niedriges Amt nicht ab: das war Hui von Liu-Hia. Von den dreien hatte jeder wieder eine andere Art, aber ihr Streben war Eines. Und was war dies eine? Es war die Sittlichkeit. So genügt es auch für den Edlen, sittlich zu sein; was braucht er es immer zu machen wie die andern?«

Der andre sprach: »Zur Zeit des Fürsten Mu von Lu war der Meister Gung-I mit der Leitung des Staates betraut, die Meister Dsï Liu und Dsï Sï waren Beamte, und doch wurde der Gebietsverlust von Lu immer schlimmer. Daran sieht man ja, daß Eure Weisen dem Staat nichts nützen.«

Mong Dsï sprach: »Der Staat Yü wußte den Bai-Li Hi nicht zu verwenden und ging deshalb zugrunde, der Herzog Mu von Tsin verstand ihn zu verwenden und erreichte deshalb die Vorherrschaft. Weil jener Staat also einen Weisen nicht zu verwenden wußte, so ging er zugrunde; von bloßem Gebietsverlust konnte da schon gar nicht mehr die Rede sein.«

Jener fuhr fort: »Einst weilte der Sänger Wang Bau am Ki-Fluß, und bis zum heutigen Tag sind die Leute westlich vom Fluß gute Sänger. Der Musiker Miän Gü weilte in Gau Tang, daher sind die Leute im Westen von Tsi so gute Musikanten. Die Frauen von Hua Dschou und Ki Liang beweinten ihre Gatten auf so schöne Art, daß die Frauensitten im ganzen Land sich von da ab änderten. Was im Inneren vorhanden ist, verschafft sich sicher einen äußeren Ausdruck. Ich habe es noch nie gesehen, daß eine Arbeit nicht den entsprechenden Erfolg gehabt hätte. Darum sage ich: es gibt gar keine solchen Weisen. Gäbe es welche, so würde ich es sicher merken.«

Mong Dsï sprach: »Meister Kung war Justizminister in Lu Die Geschichte vom Weggang Kungs aus Lu ist auch in Lun Yü erzählt. Bei Mong Dsï sind ausführlichere Darstellungen gegeben. Kung merkte, daß seines Bleibens in Lu nicht sein werde, nachdem das Geschenk an Musikantinnen aus Tsi, dem auf Kungs Verdienste eifersüchtigen Nachbarstaat, in Lu eingetroffen war und der Meister erkennen mußte, daß er gegen diese Konkurrenz nicht aufkommen konnte. Dennoch geht er nicht gleich, um nicht durch sein Gehen den Fürsten ins Unrecht zu setzen. Vielmehr wartet er einen anderen, geringfügigeren Anlaß ab. Beim Herbstopfer wurden von dem gebratenen Opferfleisch an die höheren Beamten Portionen verteilt. Die Zusendung dieser Gabe war unterblieben. Deshalb geht Kung Dsï abrupt weg, ohne sich Zeit zu nehmen, die Opfermütze abzunehmen. So war ein äußerlicher Anlaß für sein Gehen vorhanden, der nicht ohne weiteres den Fürsten als Vorwurf berühren mußte. Es war ja in erster Linie Nachlässigkeit der beim Opfer beteiligten Angestellten. Durch die abrupte Art seines Wegganges nimmt der Meister außerdem einen Teil der Schuld auf sich, so daß selbst die Wissenden nicht den wahren Grund durchschauten. Es liegt hier eine zarte Rücksicht auf den Landesfürsten bei dem Meister vor, die sich auch sonst bei ihm beobachten läßt.. Der Fürst hörte nicht auf ihn. Kurz darauf war ein Opferfest, und das – ihm zustehende – Opferfleisch ward ihm nicht gesandt. Da ging er weg, ohne erst seine Festmütze abzunehmen. Unwissende meinten, es sei um des Fleisches willen gewesen. Die es besser wußten, dachten, es sei wegen der Verletzung der Form gewesen. Aber Meister Kung, der wollte aus einem geringfügigen Anlaß gehen. Er wollte nicht durch seinen Weggang den wahren Sachverhalt ans Licht bringen. Was ein Edler tut, das können die Herdenmenschen natürlich nicht merken.«

7. Stufen des Verfalls

Mong Dsï sprach: »Die fünf Bundeshäupter Die fünf Bundeshäupter, die zur Zeit der Frühlings- und Herbstannalen die Hegemonie im Reich hatten, sind: Huan von Tsi 684-642, Siang von Sung 650-636, Wen von Dsin 635-627, Mu von Tsin 659-620, Dschuang von Tschu 613-590. Diese Bundeshäupter entsprachen ungefähr den japanischen Schogunen, die auch »im Namen des Kaisers« die Regierung führten. Die drei Königsgeschlechter sind: die Hia-, Schang- und Dschoudynastie. Der Abschnitt gibt einen Einblick in die Verhältnisse der alten Zeit. In der Dschouzeit war das Lehenswesen bis in die Details geordnet. Alle fünf Jahre fand eine Kaiserliche Inspektionsreise statt, je in eine der vier Himmelsrichtungen. In den übrigen vier Jahren mußten die Fürsten zur Audienz am Kaiserhof erscheinen und zwar im ersten Jahr die des Nordens, im zweiten Jahr die des Ostens usw., so daß, die Inspektionsjahre eingerechnet, jeder Fürst alle fünf Jahre bei Hofe erscheinen mußte. Außer dem verteilten Land gab es noch große Ödländereien, die an Fürsten mit guter Regierung überwiesen wurden. Die bestehenden Lehen wurden nach Möglichkeit erhalten und nach Erlöschen des regierenden Hauses neu vergeben. Sie wurden nicht zur Belohnung anderer Fürsten verwendet. Das Nichterscheinen bei Hofe war ein Zeichen von Insubordination und wurde daher im Wiederholungsfalle mit Absetzung bestraft, und zwar wurden vom Kaiser jeweils die Nachbarfürsten mit Vollziehung der Exekution beauftragt. Der Kaiser erließ nur die Verfügung, er selbst griff nicht ein. Übrigens waren diese Ordnungen nicht sehr lange in Kraft. Von dem Zeitpunkte an, als die Dschoudynastie ihre Hauptstadt nach Loyang im Osten des Reiches verlegte, erlosch ihre Macht zur Durchführung dieser Ordnungen. In die daraus entspringende Unordnung brachten die Bundeshäupter wenigstens einigermaßen gewisse völkerrechtliche Beziehungen. Zeitweise hatten sie die Regierung des Reiches fast vollständig in der Hand. Doch hing die Sache immer an der Person eines Einzelnen, der gerade zufällig die tüchtigsten Kräfte zur Verfügung hatte. Der hervorragendste unter diesen Schogunen war Fürst Huan von Tsi, der im Jahre 650 einen großen Reichstag in Kuikiu (Malvenberg), vermutlich im heutigen Honan – es gab mehrere Orte dieses Namens – zusammenbrachte und im Namen des Kaisers eine Art Gottesfrieden durchsetzte. Bei solchen Bundeseiden war es Sitte, daß eine quadratische Grube (für die chthonischen Gottheiten) gegraben wurde, über der das Opferrind geschlachtet wurde. Das linke Ohr ward abgeschnitten (der Bundespräsident heißt daher auch der Ochsenohrhalter, ein Ausdruck, der heutzutage in den Zeitungen auf den König von Preußen in seiner Eigenschaft als deutscher Bundespräsident angewandt wird). Das Blut wurde in einer Schale aufgefangen. Sämtliche Eidgenossen mußten sich zur Befestigung ihres Schwures die Lippen mit dem Blut bestreichen, dann ward das Opfertier in die Grube versenkt, das Bundesbuch daraufgelegt, und das ganze mit Erde bedeckt. Fürst Huan sah von dem Blutstreichen ab als unnötig für die Wahrhaftigkeit der Bundesgenossen. Die Zeit war offenbar über die archaische Sitte schon hinweggeschritten. waren Verbrecher an den drei Königsgeschlechtern, die heutigen Landesfürsten sind Verbrecher an den fünf Bundeshäuptern, die heutigen herrschenden Familien sind Verbrecher an den heutigen Landesfürsten.

In alter Zeit ging der Großkönig in die Gebiete der Landesfürsten zur Inspektion, die Fürsten kamen an den Hof des Großkönigs zum Bericht über ihre Amtsführung. Im Frühling wurde das Pflügen kontrolliert, und wem es an Samen fehlte, der wurde unterstützt. Im Herbst wurde die Ernte kontrolliert, und wer zu wenig geerntet hatte, dem wurde geholfen. Wenn der Großkönig in ein Gebiet kam, wo Neuland in Angriff genommen wurde, die Felder und Wiesen gut bestellt, die Alten gepflegt, die Weisen geehrt wurden und hervorragende Männer auf den wichtigen Posten saßen, so ward der Fürst belohnt. Der Lohn bestand in einer Erweiterung seines Gebiets. Wenn der Großkönig dagegen in ein Land kam, wo das Feld brach und mit Unkraut bedeckt lag, die Alten verlassen, die Weisen verloren waren und harte und habgierige Leute auf den wichtigen Posten saßen, so ward der Fürst gerügt. Wenn ein Fürst einmal versäumte, zu Hof zu gehen, so ward er im Rang erniedrigt; wenn er es zweimal unterließ, so wurde sein Gebiet beschnitten; wenn er das dritte Mal nicht erschien, so entfernten ihn die Heere des Reiches aus seinem Lehen. Darum verfügte der Großkönig die Strafe, aber er griff nicht selber an. Die Nachbarfürsten griffen – den Schuldigen – an, aber sie verfügten nicht seine Bestrafung.

Die fünf Bundeshäupter dagegen schleppten die Landesfürsten mit sich, um andere Landesfürsten anzugreifen. Darum sage ich, daß die fünf Bundeshäupter Verbrecher waren an den drei Königsgeschlechtern.

Unter den fünf Bundeshäuptern nun war der Fürst Huan von Tsi der bedeutendste. Er versammelte die Fürsten um sich auf dem Reichstag von Malvenberg. Er ließ das Opfertier binden und legte ihm die Worte des Bundes auf das Haupt, ohne jedoch zu verlangen, daß die Fürsten sich den Mund mit dem Blut bestrichen. Das erste Gebot dieses Bundes hieß: Die widerspenstigen Söhne sollen ausgerottet werden. Kein rechtmäßiger Erbe soll beiseite gesetzt werden, keine Nebenfrau die Hauptfrau verdrängen dürfen. Das zweite Gebot lautete: Die Weisen sollen geehrt, die Begabungen gepflegt und so geistiger Wert ausgezeichnet werden. Das dritte Gebot lautete: Das Alter soll man ehren, die Jugend lieben, und Fremdlinge und Gäste soll man nicht vergessen. Das vierte Gebot lautete: Der niedrige Adel soll keine erblichen Ämter haben, es sollen nicht mehrere Ämter in einer Hand vereinigt sein, bei der Auswahl der Leute suche man die geeignetsten zu finden, ein Mann aus einem herrschenden Geschlecht soll nicht eigenmächtig getötet werden. Das fünfte Gebot lautet: Es sollen keine Flußdämme zum Schaden des Nachbars angelegt, es soll der Verkauf von Korn nicht behindert werden, es sollen keine Afterlehen ohne Anzeige errichtet werden.

Dann sprachen sie: ›Wir Eidgenossen alle wollen, nachdem wir diesen Eid geschworen, ausdrücklich in Fried und Freundschaft leben.‹

Die Landesfürsten nun von heute übertreten alle diese fünf Gebote; darum sage ich: die heutigen Landesfürsten sind Verbrecher an den fünf Bundeshäuptern.

Wer das Böse eines Fürsten fördert, dessen Verbrechen ist noch klein; wer aber dem Bösen seines Fürsten entgegenkommt, dessen Verbrechen ist groß. Die herrschenden Familien nun von heute kommen alle dem Bösen ihrer Fürsten entgegen; darum sage ich: die heutigen herrschenden Geschlechter sind Verbrecher an den heutigen Landesfürsten.«

8. Warnung vor dem Krieg

Der Fürst von Lu wollte den Schen Gu Li Schen Gu Li, der offenbar ein tüchtiger Soldat war, ist nicht weiter bekannt. Er ist weder identisch mit dem Schüler des Mo Di, Kin Gu Li, noch mit dem bei Dschuang Dsï pag. XIX f. genannten Skeptiker und Quietisten Schen Dau. als Feldherrn anstellen. Mong Dsï sprach zu ihm: Ein Volk ununterwiesen in den Krieg führen, heißt das Volk verderben. Ein Volksverderber wäre nicht geduldet worden zur Zeit des Yau und Schun. Wenn man in einer Schlacht Tsi besiegen könnte und das Südland Das »Südland«, Nan Yang, ist das Gebiet südlich vom Taischan, das ursprünglich zu Lu gehört hatte, aber von Tsi annektiert worden war. Es war das Gebiet, wo sich die Lichthalle fand (vgl. I, B, 5). Fürst Ping von Lu will offenbar die Verlegenheit, in die Tsi durch seine Händel mit Yän gekommen war, benutzen, um das strittige Land zurückzugewinnen. Mong Dsï hält aber nichts von Revanchekriegen. wiedergewinnen, so wäre es noch immer nicht recht.«

Schen Dsï wurde ärgerlich und sagte mißvergnügt: »Das verstehe ich nicht.«

Mong Dsï sprach: »Ich will es Euch klar heraussagen. Das Gebiet des Großkönigs beträgt tausend Meilen im Geviert. Wenn es nicht tausend Meilen betrüge, so wären seine Einkünfte nicht genug zur Bewirtung der Bundesfürsten. Das Gebiet der Lehnsfürsten betrug hundert Meilen im Geviert. Wenn es nicht hundert Meilen betrüge, so wären seine Einkünfte nicht genug zur Aufrechterhaltung der im Ahnentempel niedergelegten Sitten und Bräuche. Die Ordnungen der Opfer und Feste waren im Ahnentempel des fürstlichen Hauses aufbewahrt, der zugleich eine Art Archiv bildete. Vgl. den Tempel in Jerusalem! Der Fürst von Dschou wurde mit Lu belehnt. Das Gebiet betrug hundert Meilen im Geviert. Es war vollkommen ausreichend, aber es waren nicht mehr als hundert Meilen. Der große Herzog wurde belehnt mit Tsi. Sein Gebiet betrug ebenfalls hundert Meilen im Geviert. Es war vollkommen ausreichend, aber es waren nicht mehr als hundert Meilen. Heute nun hat Lu von hundert Meilen im Geviert das Fünffache. Wenn heute wieder ein wahrer Beherrscher der Welt aufkäme, was denkt Ihr, daß er tun würde: würde er Lu verkleinern oder würde er es vergrößern? – Wenn man ganz ohne Widerstand dem einen ein Stück Land nehmen könnte, um es dem andern zu geben, so ließe ein gütiger Mann sich dennoch nicht dazu herbei; wieviel weniger, wenn man Menschen morden muß, um es zu erreichen! Der Edle dient seinem Fürsten dadurch, daß er sich allein bemüht, ihn auf den rechten Weg zu bringen und seinen Willen auf das Gute zu richten.«

9. Verkehrter Fürstendienst

Mong Dsï sprach: »Die Fürstendiener Auch dieser Abschnitt ist einer von denen, in denen sich Mong Dsï mit einer gewissen Erregtheit über die Fürsten seiner Zeit ausspricht. Dieser Ton der Rede unterscheidet ihn von Kung Dsï. Mehr als gegen die Fürsten sind die Worte jedoch gegen die herumziehenden Abenteurer unter Mong Dsïs Zeitgenossen gerichtet, die eine wahre Landplage gewesen sein müssen und wohl der vornehmlichste Anlaß waren für die bitteren Worte, die auch ein Dschuang Dsï »Wider die Kultur« gefunden hat. von heute sprechen: ›Ich kann für meinen Fürsten Land gewinnen, ich kann ihm seine Kammern und Schatzhäuser füllen.‹ Was man heute ehrliche Diener nennt, nannte man in alten Zeiten Verbrecher am Volk. Einem Fürsten, der nicht auf rechtem Wege wandelt und seinen Willen nicht auf Güte richtet, einen solchen dennoch zu bereichern streben: das heißt das Scheusal Giä bereichern. – ›Ich kann für meinen Fürsten Bündnisse schließen mit anderen Staaten, so daß wir im Kriege sicher sind.‹ Was man heute ehrliche Diener nennt, nannte man in alten Zeiten Verbrecher am Volk. Einen Fürsten, der nicht auf rechtem Wege wandelt und seinen Willen nicht auf Güte richtet, einen solchen dennoch kriegstüchtig machen: das heißt das Scheusal Giä unterstützen. Wenn man einem, der auf dem Weg von heute wandelt, ohne die Sitten von heute zu ändern, selbst den ganzen Erdkreis gäbe: er könnte ihn nicht einen Morgen lang behaupten.«

10. Kultur und Staatseinkünfte

Bai Gui Bai Gui, mit Vornamen Dau, war ein Mann aus Dschou, der den üblichen Zehnten in den Zwanzigsten umwandeln wollte. Er scheint seiner ganzen Art nach dem Mo Di nahe gestanden zu haben und größte Einfachheit und Beschränkung der Ausgaben betont zu haben. Mong Dsï tritt ihm im Namen der Kultur entgegen, deren Ende die beabsichtigte Einfachheit bedeuten würde. sprach: »Ich möchte nur den Zwanzigsten erheben. Wie wäre das?«

Mong Dsï sprach: »Eure Art ist die Art der mongolischen Nomaden. Wenn eine Stadt von zehntausend Häusern nur einen Töpfer hätte, ginge das an?«

Jener sprach: »Nein, das Geschirr würde da nicht ausreichen.«

Mong Dsï sprach: »In der Mongolei wachsen nicht die fünf Kornarten; nur Hirse gedeiht dort. Es gibt dort keine ummauerten Städte, keine Gebäude und Tempel, nicht die Bräuche der Opfer; es gibt keine Fürsten, keine Geschenke an Seide, keine Hoffeste; es gibt keine Beamten und Angestellten: darum kommt man dort mit dem Zwanzigsten aus.

Nun leben wir aber im Reich der Mitte: wie ließe es sich machen, auf alle gesellschaftlichen Rücksichten zu verzichten, alle höher gebildeten Männer zu entbehren? Wenn zu wenig Töpfer in einem Lande sind, kann man nicht auskommen; wie erst, wenn es keine Gebildeten gibt! Wer die Abgaben leichter machen will, als es Yaus und Schuns Art war, der kommt schließlich auf eine größere oder kleinere Mongolei hinaus, wie der, der sie schwerer machen will, schließlich auf eine größere oder kleinere Tyrannei hinauskommt.«

11. Ordnung der Wasser einst und jetzt

Bai Gui sprach: »Ich verstehe mich noch besser darauf, die Wasserläufe ordnen, als der große Yü (denn ich war rascher fertig als er) Die praktische Art, wie Bai Gui mit den Wasserläufen fertig wurde, scheint darin bestanden zu haben, daß er Dämme bauen ließ, durch die die Überschwemmungen in benachbarte Staaten abgeleitet wurden, eine Praxis, die übrigens noch heute vielfach üblich ist. Nicht ohne Humor weist Mong Dsï darauf hin, daß er, weit entfernt, dem großen Yü in seinen Taten überlegen zu sein, vielmehr gerade das herbeiführe, was jener beseitigt habe: die große Flut.

Mong Dsï sprach: »Ihr seid im Irrtum, Freund! Der große Yü ordnete die Wasser entsprechend den Gesetzen des Wasserlaufs. Darum machte er die Meere zum Aufnahmebecken. Ihr, lieber Freund, machtet die Nachbarländer zum Aufnahmebecken. Wasser, das man in andere als die natürlichen Wege zwingt, macht eine Überschwemmung. Überschwemmungen sind ja aber eben jener Zustand der Sintflut (den Yü beseitigt hat); der aber ist einem gütigen Manne verhaßt. Mein Freund, Ihr seid im Irrtum!«

12. Zuverlässigkeit

Mong Dsï sprach: »Einem Edlen, der nicht zuverlässig ist, ist nicht beizukommen Vgl. dazu die Bemerkung Kungs über die Wahrhaftigkeit in Lun Yü.

13. Die Liebe zum Guten

In Lu wollte man den Yo-Dschong Dsï Yo-Dschong Dsï war in Lu angestellt, vermutlich zur Zeit, als Mong Dsï zur Trauer für seine Mutter dort weilte, und Mong Dsï hatte offenbar große Hoffnungen auf seinen Einfluß gesetzt. Über die Art, wie diese Hoffnungen enttäuscht wurden, vgl. I, B, 16. mit der Verwaltung betrauen. Mong Dsï sprach: »Als ich das hörte, konnte ich vor Freude nicht schlafen.«

Gung-Sun Tschou sprach: »Ist denn Yo-Dschong Dsï besonders tatkräftig?«

Mong Dsï verneinte.

»Ist er weise im Rat?«

Mong Dsï verneinte.

»Hat er vielseitige Erfahrung?«

Mong Dsï verneinte.

»Ja, warum freutet Ihr Euch dann so, daß Ihr nicht schlafen konntet?«

Mong Dsï sprach: »Er ist ein Mensch, der das Gute liebt.«

Gung-Sun Tschou sprach: »Ist die Liebe zum Guten schon genug?«

Mong Dsï sprach: »Die Liebe zum Guten ist mehr als genug für die Regierung der ganzen Welt, geschweige des Staates Lu. Wenn einer wirklich das Gute liebt, so sind allen Leuten innerhalb der vier Weltmeere auch Tausende von Meilen nicht zu weit; sie kommen herbei, ihm zu sagen, was gut ist. Wenn einer nicht das Gute liebt, so reden die Leute über ihn: Das ist einer von den Selbstgewissen, die da sprechen: ›Ich weiß es schon‹. Selbstgewißheit in Wort und Mienen hält die Leute tausend Meilen weit entfernt. Wenn die Gebildeten tausend Meilen weit wegbleiben, so kommen die Speichellecker und Liebediener herbei. Wer unter Speichelleckern und Liebedienern wohnt und möchte sein Land in Ordnung bringen, kann es ihm denn gelingen?«

14. Gründe für amtliche Tätigkeit Diese Auseinandersetzung erinnert an die ähnlichen in Buch V, B, 3-5. Bei der letzten Art, eine Bezahlung des Fürsten anzunehmen – infolge von äußerer Not –, fügt Mong Dsï nicht bei, unter welchen Umständen man auf diesen Lebensunterhalt wieder zu verzichten habe. Diese letzte Möglichkeit, daß ein Gelehrter in die bare Not des Verhungerns kommen konnte, war erst eine Folge der Verhältnisse zur Zeit der streitenden Reiche. Zu Konfuzius' Zeit war diese Not noch nicht zu fürchten. Die Gelehrten hatten damals noch ihr gesichertes Auskommen.

Tschen Dsï Tschen Dsï ist der II, B, 3 genannte Tschen Dschen. sprach: »Unter welchen Bedingungen nahmen die Edlen der alten Zeit ein Amt an?«

Mong Dsï sprach: »Aus drei Gründen nahmen sie ein Amt an, aus drei Gründen gaben sie es auf. Wenn ein Fürst sie mit Achtung und höflichen Formen empfing, und es hieß, er werde nach ihren Worten tun, so nahten sie sich ihm. Wenn dann später die Höflichkeit noch immer nichts zu wünschen übrig ließ, aber ihre Worte nicht befolgt wurden, so verließen sie ihn. Die nächste Stufe war, daß, obwohl von vorneherein es sich nicht darum handeln konnte, daß ihre Worte befolgt würden, sie doch empfangen wurden mit Achtung und höflichen Formen. Wenn dann später die Höflichkeit zu wünschen übrig ließ, so verließen sie ihn. Die letzte Auskunft war, wenn einer morgens nichts zu essen hatte und abends nichts zu essen hatte und vor Hunger nicht mehr zur Tür hinauskonnte, und ein Fürst hört davon und sagt: ›Für mich ist's zu groß. Ich kann seine Grundsätze nicht durchführen und kann auch seinen Worten nicht folgen; aber daß er in meinem Lande verhungern sollte, das wäre mir eine Schande. Ich will ihm helfen.‹ Das mag man auch annehmen, aber nur, um dem Hungertod zu entgehen.«

15. Die Schule der Trübsal

Mong Dsï sprach Eine der kräftigsten Stellen in Mong Dsï. Von den genannten historischen Beispielen ist Schun schon häufig genannt. Fu Yüo ist im Schu Ging IV, 7 genannt. Der Herrscher Gau Dsung hatte ihn im Traum erblickt und so lange suchen lassen, bis er in der Wildnis von Fu Yän gefunden wurde. Giau Go ist in II, A, 1 erwähnt. Er war Verkäufer von Salz und Fischen, als ihn König Wu entdeckte und empfahl. Er war eine der stärksten Säulen der sinkenden Yindynastie. Guan I-Wu ist Guan Dschung, der bekannte und mehrfach genannte Kanzler des Fürsten Huan von Tsi, des ersten der fünf Bundeshäupter. Sun Schu Hu war Kanzler des letzten der fünf Bundeshäupter, Dschuang von Tschu. Vgl. über ihn und seine Bescheidenheit Liä Dsï VIII, 17. Bai-Li Hi ist ebenfalls schon ausführlich besprochen.: »Schun war Bauer, ehe er emporstieg. Fu Yüo ward berufen von seinen Brettern und Balken weg. Giau Go ward berufen von den Fischen und der Salzgewinnung weg. Guan I-Wu ward berufen vom Kerker weg. Sun-Schu Au ward berufen vom Meeresstrand weg. Bai-Li Hi ward berufen vom Marktplatz weg. Also, wem Gott ein großes Amt anvertrauen will, dem schafft er sicher erst Bitternis in Herz und Willen, er schafft Mühsal seinen Nerven und Knochen, er läßt durch Hunger seinen Leib leiden und bringt sein Leben in äußerste Not. Er verwirrt und stört ihm seine Werke. So erregt er seinen Geist und macht duldsam sein Wesen und legt ihm zu, was ihm an Fähigkeit gebricht. Stets müssen die Menschen irren, ehe sie klug werden. Sie müssen verzweifeln in ihrem Herzen und ratlos werden in ihren Gedanken, ehe sie sich erheben zu kraftvoller Tat. Die Wahrheit muß ihnen entgegentreten in dem, was vor Äugen ist; sie muß ihnen ertönen in dem, was sie hören, ehe sie sie verstehen können.

Ein Volk, das im Innern keine mächtigen Geschlechter und aufrechten Männer hat und draußen keine feindlichen Nachbarn und äußeren Kämpfe, das wird stets zugrunde gehen. Daran erkennt man, daß das Leben geboren wird in Trauer und Schmerzen und der Tod geboren wird in Wohlsein und Lust.«

16. Verschiedene Belehrung

Mong Dsï sprach: »Die Belehrung hat vielerlei Mittel. Wenn ich mich nicht hergebe, einen zu belehren, so gebe ich ihm eben dadurch auch eine Lehre.«


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