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Buch II
Gung-Sun Tschou

Abschnitt A

1. Die Möglichkeit des Wirkens

Gung-Sun Tschou Gung-Sun Tschou war ein Schüler des Mong aus dem Staate Tsi. In Tong Dschou, Be Gung Tsun, ist sein Grab erhalten. befragte den Mong Dsï und sprach: »Wenn Ihr, Meister, in Tsi die amtliche Laufbahn ergriffet, da wäre wohl eine Wiederholung der Taten eines Guan Dschung Guan Dschung (I-Wu) war der Kanzler des Herzogs Huan von Tsi. Vgl. Lun Yü III, 22; XIV, 10, 17, 18; Liä Dsï V, 7; VI, 3; VII, 1, 7; Yän Dsï (Yän Ping Dschung), Zeitgenosse des Kung, Kanzler unter Herzog Ging von Tsi. Vgl. Lun Yü V, 16. Beides waren sozusagen Nationalhelden von Tsi. und Yän Dsï zu erhoffen?«

Mong Dsï sprach: »Du bist doch ein echter Mann aus Tsi. Kennst Guan Dschung und Yän Dsï und nichts weiter. Es fragte einmal jemand den Dsong Si Dsong Si ist nach den einen Kommentaren der Enkel, nach den anderen der zweite Sohn des Konfuziusschülers Dsong Dsï. Dsï Lu ist der wegen seines Mutes bekannte Konfuziusjünger, der in den »Gesprächen« häufig vorkommt.: ›Wer ist größer: Ihr oder Dsï Lu?‹ Da sprach Dsong Si bestürzt: ›Vor Dsï Lu hatte selbst mein Vater Respekt.‹ Jener fuhr fort: ›Wer ist größer: Ihr oder Guan Dschung?‹ Da stieg dem Dsong Si der Ärger ins Gesicht und er sprach unwillig: ›Wie magst Du mich mit Guan Dschung in eine Linie stellen? Dieser Guan Dschung: so völlig hat er seinen Fürsten in der Hand gehabt, so lange hat er die Staatsregierung geführt, und was er an Leistungen zustandegebracht hat, war so gering. – Wie magst Du mich mit dem in eine Linie stellen?‹ Du siehst nun, daß ein Dsong Si nicht gewillt war, die Rolle eines Guan Dschung zu spielen, und Du denkst, ich trachte darnach?«

Jener sprach: »Guan Dschung verschaffte seinem Fürsten die Vorherrschaft. Yän Dsï verschaffte seinem Fürsten eine bedeutende Stellung. Und dennoch sollte es nicht der Mühe wert sein, es ihnen gleich zu tun?«

Mong Dsï sprach: »Als Herr von Tsi König der Welt zu werden, müßte im Handumdrehen möglich sein.«

Jener sprach: »Wenn es sich also verhält, so mehren sich noch meine Bedenken. Da war König Wen, ein Mann voll Geist und Kraft. Er starb erst mit hundert Jahren. Dennoch gelang es ihm noch nicht, sich durchzusetzen in der Welt. Es bedurfte der Fortführung durch seine Söhne, den König Wu und den Herzog Dschou, ehe der große Wurf gelang. Wenn es aber so etwas Leichtes ist, König der Welt zu werden, so wäre es nicht der Mühe wert, den König Wen zum Vorbild zu nehmen!«

Mong Dsï sprach: »Wer wollte es dem König Wen gleichtun! Von Tang Tang, der Begründer der Schangdynastie, ca. 1766 v. Chr. Wu Ding, der zwanzigste Herrscher der Schangdynastie, die inzwischen (durch Pan Gong 1401) in Yin umgenannt war, kam 1324 v. Chr. auf den Thron. Die Schätzung der »würdigen und heiligen« Herrscher von Tang bis Wu Ding ist von Mong recht hoch gegriffen. Dschou Sin kam 1154, also 150 Jahre nach Wu Ding, auf den Thron. bis auf Wu Ding Tang, der Begründer der Schangdynastie, ca. 1766 v. Chr. Wu Ding, der zwanzigste Herrscher der Schangdynastie, die inzwischen (durch Pan Gong 1401) in Yin umgenannt war, kam 1324 v. Chr. auf den Thron. Die Schätzung der »würdigen und heiligen« Herrscher von Tang bis Wu Ding ist von Mong recht hoch gegriffen. Dschou Sin kam 1154, also 150 Jahre nach Wu Ding, auf den Thron. waren sechs oder sieben würdige und heilige Herrscher an der Arbeit gewesen und die Welt war im Besitz des Hauses Yin seit langem. Lange dauernde Zustände lassen sich nur schwer ändern. Noch Wu Ding hatte die Fürsten an seinem Hof versammelt und besaß die Welt, als drehte sie sich in seiner Hand. Der Tyrann Dschou Sin war von Wu Ding zeitlich noch nicht weit entfernt. Noch waren die alten Familien, die früheren Sitten, die herrschenden Gebräuche, die guten Ordnungen vorhanden; noch gab es einen Grafen We Der »Graf We«, We Dsï Ki, der älteste Sohn des Di Yi, des vorletzten Herrschers der Yindynastie. We Dschung Yän war sein zweiter Sohn. Da aber zur Zeit ihrer Geburt ihre Mutter noch Nebenfrau war, hatten sie kein Erbrecht. Dschou Sin, der dritte Sohn, der nach der Beförderung seiner Mutter zur Kaiserin zur Welt kam, folgte seinem Vater auf den Thron. We Dsï wurde später mit dem Staate Sung belehnt, damit die Opfer für die Ahnen der Yindynastie weitergeführt würden. Er hat dann seinem jüngeren Bruder We Dschung die Erbfolge hinterlassen, was der Erbfolgeordnung der Yin entsprach, im Gegensatz zu der Erbfolge der Erstgeborenen, die unter der Dschoudynastie üblich war. Der Prinz Bi Gan wurde wegen seiner Mahnungen getötet, um zu sehen, ob das Herz eines Heiligen wirklich sieben Öffnungen habe; der Graf von Ki, ein Onkel des Tyrannen, mußte sich wahnsinnig stellen. Giau Go war ein treuer Beamter der Yindynastie. Von den Genannten werden auch in Lun Yü XVIII, 1 We Dsï, Bi Gan und Ki Dsï als die drei Stützen der Yindynastie genannt., einen We Dschung, einen Prinzen Bi Gan, einen Grafen Ki, einen Giau Go, alles würdige Männer, die mit vereinten Kräften jenem zur Seite standen. Darum dauerte es lange, ehe er die Weltherrschaft verlor. Jeder Zoll Erde war in seinem Besitz, jeder Bürger war sein Untertan. Außerdem hat König Wen mit einem Besitz von nur hundert Geviertmeilen angefangen. Darum hatte er so große Schwierigkeiten.

In Tsi gibt es ein Sprichwort: ›Alle Klugheit und Weisheit ist umsonst, wenn man die Lage nicht zu nutzen weiß, gleichwie Pflug und Hacke nichts ausrichten, wenn man die rechte Zeit nicht trifft.‹ In jetziger Zeit ist das alles viel leichter. Die Herrscher der Häuser Hia, Yin und Dschou hatten zur Zeit ihrer größten Blüte nicht über tausend Meilen im Geviert Land. Tsi hat also das nötige Landgebiet. Man hört im ganzen Lande von einem Dorf Ein Zeichen der dichten Bevölkerung. Vgl. Laotse, Taoteking, II, 80. Diese Verhältnisse treffen in Schantung heute noch zu. zum andern den Hahnenruf und das Hundegebell. Tsi hat also auch die nötige Bevölkerung. Der Herr von Tsi bedarf keiner Vergrößerung seines Landes, keiner Vermehrung seines Volkes. Übt er ein mildes Regiment, so wird er König der Welt, und niemand kann ihn hindern. Außerdem gab es noch keine Zeit, in der so selten ein wahrer Herrscher aufgestanden wäre wie in unsrer. Es gab noch keine Zeit, wo das Volk so sehr unter grausamem Regiment zu leiden hatte, wie in unserer. Ein Hungriger ist leicht zu speisen, ein Durstiger ist leicht zu tränken. Meister Kung hat gesagt: ›Geistiger Wert wird rascher bekannt als ein Befehl, der durch Postreiter verbreitet wird.‹ Wenn in heutiger Zeit ein Großstaat mildes Regiment übt, so ist das Volk erleichtert, wie wenn man einen, der mit dem Kopf nach unten aufgehängt Vgl. Dschuang Dsï III, 4: »Lösung der Bande durch Gott«. ist, aus seiner Lage befreit. Darum könnte man im Dienst eines Mannes, der auch nur halbwegs den Alten gleicht, sicher die doppelten Ergebnisse zustandebringen. Es liegt einfach an der Zeit.«

2. Die Ruhe des Gemüts

Gung-Sun Tschou fragte den Mong Dsï: »Wenn Ihr, Meister, ein hohes Amt in Tsi erhieltet, das Euch die Möglichkeit gäbe, Eure Lehren durchzuführen, so wäre es nicht zu verwundern, wenn Ihr das Land aus seinem jetzigen Zustand zur Vorherrschaft oder selbst zum Königtum der Welt führtet. Werdet Ihr durch diese Aussicht in Eurem Gemüt bewegt oder nicht?«

Mong Dsï sprach: »Nein, seit meinem vierzigsten Jahr habe ich die Ruhe des Gemüts erreicht.«

Der Schüler sprach: »Da übertrefft Ihr ja den berühmten Mong Ben Mong Ben war ein Held aus We. Es wird von ihm erzählt, daß er im Wasser vor keinem Drachen, auf dem Lande vor keinem Rhinozeros oder Tiger ausgewichen sei. Er war so stark, daß er einem Ochsen die Hörner ausreißen konnte. noch weit.«

Mong Dsï sprach: »Das ist nicht schwer. Gau Dsï Über den Philosophen Gau Dsï, den Gegner des Mong, vgl. Buch VI, A, 1 ff. hat sogar noch früher als ich die Ruhe des Gemüts erlangt.«

Der Schüler sprach: »Gibt's einen Weg zur Ruhe des Gemüts?«

Mong Dsï sprach: »Ja. Be-Gung Yu Der Doppelname Be-Gung (Nordhausen) kommt sowohl in Tsi als in We vor. (Zum letzteren vgl. Dschuang Dsï XX, 3, Be-Gung Schä.) Der Sinn hier ist, daß dieser Be-Gung Yu so rasch war, empfangene Verletzungen zu vergelten, daß er nicht erst den natürlichen Reflexbewegungen des Schmerzes Raum gab. Vgl. dazu das Verhalten des Odysseus, als er von dem Freier Antinoos mit dem Schemel geworfen wird. handelte also, um seine Tatkraft zu steigern: er rieb sich nicht erst die Haut, wenn er geschlagen ward, und zuckte nicht erst mit der Wimper. Sondern wenn ihm von jemand auch nur ein Haar gekrümmt ward, empfand er es so schimpflich, als wäre er auf offenem Markt geschlagen worden. Er ließ es sich nicht bieten von einem Bauern in härenem Gewand und ließ es sich ebensowenig bieten vom Fürsten eines großen Staates. Es galt ihm ganz gleich, den Fürsten eines großen Staates oder einen Menschen in härenem Gewand zu erstechen. Er hatte keine Scheu vor hohem Stand. Traf ihn ein übles Wort, er erwiderte es sicher.

Mong Schï Schä Mong Schä oder Mong Schï Schä war vermutlich aus Tsi. Während Be-Gung Yu die Tapferkeit in der Überwindung aller äußeren Feinde sieht, sieht sie Mong Schä in der eigenen Furchtlosigkeit, unabhängig vom äußeren Erfolg. Der Vergleich mit den beiden Konfuziusjüngern Dsï Hia und Dsong Schen weist auf dieselbe Linie. Dsï Hia ist der Vertreter des »multa«, Dsong Sehen der des »multum«. In dem Wort des Kung, das Dsong Schen seinem Schüler gegenüber zitiert (nicht in Lun Yü), geht die Innerlichkeit des Mutes noch einen Schritt weiter zu seiner moralischen Berechtigung. steigerte seine Tatkraft auf andere Art: er sprach: ›Siegen oder Nichtsiegen gilt mir gleich. Wollte man erst den Feind abschätzen, ehe man drauf geht; wollte man sich um den Sieg bekümmern, ehe man ins Treffen geht; da müßte man vor einem großen Heer sich scheuen. Ich vermag nicht unter allen Umständen zu siegen. Was ich vermag, ist, keine Furcht zu kennen.‹

Mong Schï Schä war wie Meister Dsong; Be-Gung Yu war wie Dsï Hia. Welcher von diesen beiden Meistern die bessere Tatkraft hätte, wüßte ich nicht. Doch verstand Mong Schï Schä besser die Beschränkung aufs Wichtigste, nämlich die eigene Gesinnung.

Meister Dsong sagte einst zu seinem Schüler Dsï Siang: ›Du liebst die Tatkraft? Ich habe einst vom Meister Kung etwas gehört, wie man zu großer Tatkraft kommt: ›Wenn ich mich prüfe und bin nicht im Recht, könnte ich dann, selbst wenn mein Gegner nur ein Bauer im härenen Gewand ist, ihm furchtlos gegenübertreten? Wenn ich mich prüfe und ich bin im Recht, so trete ich auch Hunderttausenden entgegen.‹‹ Mong Schï Schä wahrte wohl seine Kraft, aber Meister Dsong verstand es noch besser, sich auf das Allerwichtigste – sein Gewissen – zu beschränken.«

Der Schüler sprach: »Darf ich etwas Näheres erfahren über Eure Art der Ruhe des Gemüts und die des Gau Dsï?«

Mong Dsï sprach: »Gau Dsï hatte den Grundsatz: ›Wofür ich keinen Ausdruck in Worten finde, das suche ich nicht im Gemüt zu ergründen. Was mir im Gemüt nicht entgegenkommt, das suche ich nicht durch Aufwand von Lebenskraft zu erreichen.‹ Der Satz: ›Was mir im Gemüt nicht entgegenkommt, das suche ich nicht durch Aufwand von Lebenskraft zu erreichen‹ geht an. Der andere Satz aber: ›Wofür ich keinen Ausdruck in Worten finde, das suche ich nicht im Gemüt zu ergründen‹ ist unzulässig.

Der Wille ist der Leiter der Lebenskraft, die Lebenskraft durchdringt den Leib. Der Wille setze das Ziel, die Lebenskraft folge nach. Darum heißt es: ›Mache deinen Willen fest und schone deine Lebenskraft‹.«

Der Schüler sprach: »Wie sind die beiden Sätze: ›Der Wille setze das Ziel, die Lebenskraft folge nach‹ und ›Mache deinen Willen fest und schone deine Lebenskraft‹ zu vereinigen?«

Mong Dsï sprach: »Ist der Wille gesammelt, so bewegt er die Lebenskraft. Ist die Lebenskraft gesammelt, so bewegt sie ihrerseits den Willen. So ist hastiges Laufen eine Äußerung der Lebenskraft, aber es wirkt zurück und erregt das Gemüt.«

Der Schüler sprach: »Darf ich fragen, worin Ihr jenem überlegen seid, Meister?«

Mong Dsï sprach: »Ich kenne mich aus in den Worten der Menschen, und ich verstehe es, meine flutende Lebenskraft durch das Gute zu steigern.«

Der Schüler sprach: »Darf ich fragen, was mit der flutenden Lebenskraft gemeint ist.«

Mong Dsï sprach: »Darüber läßt sich schwer reden. Was man unter Lebenskraft versteht, das ist etwas höchst Großes, höchst Starkes. Wird sie durch das Rechte genährt und nicht geschädigt, so bildet sie die Vermittlung zwischen unsichtbarer und sichtbarer Welt. Was man unter Lebenskraft versteht, gehört zusammen mit der Pflicht und mit dem Sinn des Lebens. Ohne diese beiden muß sie verkümmern. Sie ist etwas, das durch dauernde Pflichtübung erzeugt wird, nicht etwas, das man durch eine einzelne Pflichthandlung an sich reißen könnte. Wenn man bei seinen Handlungen sich nicht innerlich wohlfühlen kann, so muß jene Kraft verkümmern. Darum sage ich, daß Gau Dsï das Wesen der Pflicht nicht versteht, weil er sie für etwas Äußerliches hält. Sicherlich bedarf es – zur Pflege der Lebenskraft – der Arbeit, aber man soll dabei nicht nach dem Erfolg schielen. Das Gemüt soll das Ziel nicht vergessen, aber dem Wachstum nicht künstlich nachhelfen wollen. Man darf es nicht machen wie jener Mann aus Sung. Es war einmal ein Mann in Sung, der war traurig darüber, daß sein Korn nicht wuchs, und zog es in die Höhe. Ahnungslos kam er nach Hause und sagte zu den Seinigen: Heute bin ich müde geworden, ich habe dem Korn beim Wachsen geholfen. Sein Sohn lief schnell hinaus, um nachzusehen, da waren die Pflänzchen alle welk.

Es gibt wenige Leute auf der Welt, die nicht dem Korn beim Wachsen helfen wollen. Es gibt Leute, die denken, es komme nichts dabei heraus, und sich gar nicht um die ganze Sache kümmern. Die gleichen denen, die das Korn nicht von Unkraut säubern wollten. Die aber, die dem Korn beim Wachstum helfen wollten, nützen ihm nicht nur nichts, sondern schädigen es sogar Die Kommentatoren sind unter sich uneins, in welchem Sinne die Aussprüche des Gau Dsï gemeint sind. Die älteren fassen sie mit Beziehung auf die anderen: »Wenn ich Worte höre, die mir nicht angenehm sind, so frage ich nicht, wie sie gemeint sind; wenn ich einer Gesinnung begegne, die mir nicht freundlich ist, so frage ich nicht darnach, mit welcher Kraft sie sich äußert.« Die späteren Kommentare fassen es subjektiv: »Wofür ich keinen Ausdruck finde, danach suche ich nicht in meinem Herzen (ich lege es einfach beiseite). Was ich in meinem Herzen nicht erreiche, an dessen Erreichung setze ich nicht meine animalische Kraft.« Für die zweite Auffassung spricht die Art, wie Gau Dsï in VI, A die Sätze, die er dem Mong Dsï gegenüber nicht durchbehaupten kann, einfach fallen läßt. Die ganze Abhandlung ist wohl ein Versuch des Mong Dsï, sich über das taoistische Problem der Pflege des Lebens von seinem Standpunkt aus zu äußern. Auf die Taoisten mit ihrem »Nichthandeln« geht die Bemerkung über die Leute, die bei der Pflege der Lebenskraft gar nichts tun, wie die, die das Unkraut wachsen lassen. Andererseits bringt er gegen Leute wie Gau Dsï die Geschichte von dem Mann aus Sung – dem Land der Parabeln (vgl. Liä Dsï und Dschuang Dsï) – der dem Getreide beim Wachsen helfen will. Das Problem, über das zu reden dem Mong Dsï nicht besonders leicht gefallen zu sein scheint, ist das Verhältnis von Geist und psychischer Energie. Die Pflege dieser Kraft geschieht durch moralisches Leben und zwar nicht durch einzelne Handlungen, sondern einen gewohnheitsmäßigen, zum Charakter sich entwickelnden Habitus. Dieses gewohnheitsmäßige pflichtmäßige Handeln entspricht aber eben der inneren guten Anlage, ist dem Menschen naturgemäß. Es ist nicht, wie Gau Dsï das auffaßt, etwas Willkürliches..

Der Schüler sprach: »Was heißt, sich auskennen in den Worten der Menschen?«

Mong Dsï sprach: »Höre ich einseitige Reden, so merke ich, was sie verdecken. Höre ich ausschweifende Reden, so merke ich, welche Fallen sie stellen. Höre ich falsche Reden, so merke ich, wovon sie abweichen. Höre ich ausweichende Reden, so merke ich, aus welcher Verlegenheit sie kommen ... Der Text ist hier offenbar etwas verderbt, wie die aus III, B, 9 in den Zusammenhang versprengten Worte zeigen. Außer diesen Worten findet sich noch folgender Passus: »Dsai Wo und Dsï Gung waren geschickt im Reden; Jan Niu, Min Dsï und Yän Yüan sprachen gut und handelten tugendhaft. Meister Kung vereinigte die Eigenschaften der Schüler, und dennoch sagte er: ›Im Reden bin ich nicht geschickt‹.« Die genannten Namen sind die der bekanntesten Konfuziusjünger, die in Lun Yü häufig vorkommen. Die Kommentatoren sind sich darüber uneinig, ob diese Worte von Mong Dsï oder, was besser in den Zusammenhang paßt, von Gung-Sun Tschou gesprochen werden. Übrigens bergen sie auch textliche Unklarheiten, weshalb wir es vorgezogen haben, sie aus dem Zusammenhang zu streichen.«

Der Schüler sprach: »Da seid Ihr ja wohl ein Heiliger, Meister?«

Mong Dsï sprach: »Ach, was sind das für Worte! Dsï Gung Dieses Gespräch findet sich in dieser Form nicht in den Lun Yü. Doch vergleiche man Lun Yü VII, 2 und 33, wo vielleicht nur eine andere Version desselben Überlieferungsstoffes vorliegt. Solche Vergleiche sind übrigens sehr interessant, weil sie einen Blick eröffnen in den Zustand der konfuzianischen Schultradition vor der schriftlichen Fixierung. fragte einst den Meister Kung: ›Seid Ihr ein Heiliger, Meister?‹ Da erwiderte Meister Kung: ›Ein Heiliger zu sein, geht über meine Kraft. Ich strebe ohne Überdruß und lehre ohne zu ermüden.‹ Dsï Gung sagte darauf: ›Streben ohne Überdruß ist Weisheit, Lehren ohne zu ermüden ist Güte. Ihr vereinigt Weisheit und Güte, da seid Ihr wirklich ein Heiliger, Meister.‹

Also nicht einmal Meister Kung verweilte bei dem Gedanken, ein Heiliger zu sein! Was sind das für Worte!«

Der Schüler fuhr fort: »Ich habe einst sagen hören, Dsï Hia, Dsï Yu und Dsï Dschang Über die hier genannten Jünger Kungs vgl. Lun Yü XI, 2. hätten jeder ein Stück von einem Heiligen besessen, Jan Niu, Min Dsï und Yän Yüan hätten jeder alle Stücke eines Heiligen gehabt, aber in kleinem Maßstäbe. Darf ich fragen, zu welchen Ihr Euch rechnet, Meister?«

Mong Dsï sprach: »Lassen wir das!«

Der Schüler fragte: »Was ist von Be-I und I-Yin zu halten?«

Mong Dsï sprach: »Sie gingen verschiedene Wege. Be-I Be I und Schu Tsi, die beiden Prinzen von Gu Dschu aus dem Ende der Yindynastie, starben Hungers auf dem Schou-Yang-Berge 1122 v. Chr. I Yin, der Minister des Vollenders Tang, des Begründers der Yindynastie, und seines Enkels und Nachfolgers Tai Gia starb 1720 v. Chr. hatte den Grundsatz: Wer nicht sein Fürst war, dem diente er nicht; wer nicht sein Untertan war, von dem wollte er nichts. War Ordnung, so stellte er sich ein. War Verwirrung, so zog er sich zurück.

I-Yin hatte den Grundsatz: Wem ich diene Wörtlich: »Wie sollte der, dem ich diene, nicht mein Fürst sein?«, der ist mein Fürst; wen ich brauche, der ist mein Untertan. War Ordnung, so stellte er sich ein. War Verwirrung, so stellte er sich gleichfalls ein.

Meister Kung hatte den Grundsatz: Wenn es recht war, ein Amt zu haben, so übernahm er das Amt. Wenn es recht war, aufzuhören, so hörte er auf. Wenn es recht war, zu warten, so wartete er. Wenn es recht war, zu eilen, so eilte er.

Sie alle waren Heilige der alten Zeit. Und ich fühle mich nicht imstande, es ihnen gleichzutun. Aber was ich möchte, das ist, von Meister Kung lernen.«

Der Schüler sprach: »Sind also Be-I und I-Yiri dem Meister Kung gleichzustellen?«

Mong Dsï sprach: »Nein, seit Menschen auf Erden leben, hat es noch nie einen gegeben wie Meister Kung.«

Der Schüler sprach: »Hatten sie dann wenigstens mit ihm gemeinsame Züge?«

Mong Dsï sprach: »Ja. Sie alle wären imstande gewesen, wenn sie auch nur ein kleines Land von hundert Meilen im Geviert zu beherrschen gehabt hätten, die Fürsten des Reiches um sich zu versammeln und die Weltherrschaft zu erlangen. Aber die Erlangung der Weltherrschaft durch eine einzige ungerechte Tat, durch Tötung eines einzigen Unschuldigen zu erkaufen, das würden sie alle verschmäht haben. Darin stimmen sie mit ihm überein.«

Der Schüler sprach: »Darf ich fragen, wodurch er sich von ihnen unterschied?«

Mong Dsï sprach: »Die Jünger Dsai Wo, Dsï Gung und Yu Jo besaßen genügende Weisheit, um einen Heiligen zu erkennen. So hoch sie ihn auch schätzen mochten, sie würden sich nie dazu herbeigelassen haben, ihm aus persönlicher Vorliebe Schmeichelhaftes nachzusagen.

Dsai Wo nun sagte: ›Meiner Ansicht nach ist unser Meister weit würdiger als Yau und Schun.‹

Dsï Gung sprach: ›An den Lebensordnungen, die einer geschaffen, erkennt man seine Regierungsart, aus der Musik, die einer geschaffen, hört man sein geistiges Wesen heraus. Wenn man nach Hunderten von Geschlechtern unter diesem Gesichtspunkt die Könige der Vorzeit vergleichend nebeneinanderstellt, wird keiner diesem Maßstab entgehen: Seit Menschen auf Erden leben, hat es niemand gegeben wie unsern Meister.‹

Yu Jo sprach: ›Er sollte nur ein gewöhnlicher Mensch sein? Wenn das Kilin mit den Tieren, der Phönix mit den Vögeln, der Große Berg mit Hügeln und Ameisenhaufen, wenn der Gelbe Fluß und das Meer mit Straßengräben von derselben Art sind, so ist auch der Heilige mit den gewöhnlichen Menschen von derselben Art. Unter allen, die ihre Artgenossen übertrafen und hervorragten über die allgemeine Oberfläche, war keiner so groß wie Meister Kung‹ Zu der Verehrung des Meisters Kung vgl. Maß und Mitte (Dschung Yung) 30-32; Lun Yü XIX, 23-25. Um diese Hochschätzung zu verstehen, muß man die Stellung Kungs im Mittel- und Wendepunkt der chinesischen Kultur in Betracht ziehen. Diese Aussprüche des Mong Dsï zeigen aber auch, wie verkehrt die neuerdings hervortretenden Bestrebungen sind, den Mong Dsï auf Kosten Kung Dsïs zum Nationalheiligen zu stempeln.«

3. Herrschaft der Gewalt und des Geistes

Mong Dsï sprach: »Wer sich auf Gewalt stützt und äußerlich Milde heuchelt, wird Führer der Fürsten. Er muß aber ein großes Reich besitzen. Wer sich auf Geisteskräfte stützt und Milde übt, wird König der Welt. Ein König hängt nicht ab von der Größe seines Reichs. Tang hatte siebzig Meilen im Geviert, der König Wen hatte hundert. Wer durch Gewalt die Menschen unterwirft, der unterwirft sie nicht in ihren Herzen, sondern nur weil sie ihm nicht an Gewalt gewachsen sind. Wer durch Geisteskräfte sich die Menschen unterwirft, dem jubeln sie im Herzen zu und sind ihm wirklich untertan, wie die 70 Jünger Siebenzig ist die traditionelle Zahl der Jünger Kungs. dem Meister Kung untertan waren. Das ist gemeint, wenn es im Buch der Lieder heißt:

›Von Aufgang und von Niedergang,
Von Mittag und von Mitternacht
Ward nur auf Huldigung gedacht Vgl. Schï Ging III, I, 9 v. 6 bezieht sich dort auf die Könige Wen und Wu.‹.«

4. Die Quelle von Glück und Unglück

Mong Dsï sprach: »Milde bringt Ehre, Härte bringt Schmach. Wer nun die Schmach haßt und dennoch bei der Härte verweilt, der gleicht dem Menschen, der Feuchtigkeit haßt und dennoch in den Niederungen weilt. Wenn man die Schmach haßt, so gibt's nichts Besseres, als Geisteskraft schätzen und die Gebildeten ehren. Wenn die Würdigen auf dem Platze sind und die Fähigen im Amt, bekommt Staat und Familie Muße. Wer unter diesen Verhältnissen Verwaltung und Gesetz in Klarheit bringt, den werden auch Großmächte scheuen. Das ist gemeint, wenn es im Buch der Lieder heißt Vgl. Schï Ging I, XV, 2 v. 2, mit leichter Abweichung im Text. Dort von einem kleinen Vogel gesagt, der vorsorglich sein Nest instand setzt.:

›Bevor am Himmel schwarz die Regenwolken hingen,
Sah man mich Maulbeerfasern bringen
Und fest um Tür und Fenster schlingen.
Und jetzt, du niedriges Geschlecht,
Wagt Einer Schmach auf mich zu bringen?‹

Meister Kung sprach: ›Der dies Lied gemacht, der weiß den rechten Weg. Wer Land und Haus in Ordnung bringen kann, wer wird auf den Schmach zu bringen wagen?‹ Wenn nun aber Staat und Familie Muße haben und man benützt diese Zeit, um sich dem Vergnügen und der Untätigkeit hinzugeben, so heißt das, selbst das Unglück herbeiziehen. Glück und Unglück wird alles von den Menschen selber herbeigezogen.

Das ist damit gemeint, wenn es im Buch der Lieder heißt Vgl. Schï Ging III, I, 1 v. 6. Leider war hier die Übersetzung von Strauß unbrauchbar.:

Und in dem Abschnitt Tai Gia im Buch der Urkunden Schu Ging IV, V, II, 3. Tai Gia ist der Enkel und Nachfolger Tangs., wo es heißt:

›Schickt der Himmel Unheil, das läßt sich abwenden. Bringt man selbst Unheil über sich, so kommt man nicht mit dem Leben davon.‹«

5. Fünf Wege zum Frieden und zur Weltherrschaft

Mong Dsï sprach: »Wenn einer die Würdigen ehrt und die Fähigen anstellt, so daß die Besten und Weisesten im Amte sind, so sind alle Ritter Die »Ritter« (Schï), lat. Equites, sind die Beamtenklasse. Es sind Leute, die sich nie von Leier und Schwert trennen, die gentlemen des alten China. auf Erden froh und wünschen an seinem Hofe Dienst zu tun. Wenn einer die Märkte zwar beaufsichtigen läßt Hier scheint der Text nicht in Ordnung zu sein, da zwei einander entgegengesetzte Besteuerungsarten vorgeschlagen sind, 1. Gebäudesteuer (tschen) ohne Warensteuer (dschang), 2. Platzsteuer (fa) ohne Gebäudesteuer (tschen). Vgl. I, B, 5, und I, A, 7., aber keine Grundsteuer erhebt, so sind alle Kaufleute auf Erden froh und wünschen auf seinen Märkten ihre Güter zu stapeln. Wenn einer an den Pässen die Durchreisenden Nach Dschou Li XV, 11, wurde die Abgabe an den Pässen nur in schlechten Jahren erlassen. Möglicherweise ist hier der Text in Dschou Li korrupt. zwar aufschreiben läßt, aber keine Abgaben von ihnen erhebt, so sind alle Wanderer auf Erden froh und wünschen auf seinen Straßen zu wandern. Wenn einer die Bauern zu gegenseitiger Hilfe Nämlich bei der Bestellung des für den Fürsten ausgesonderten öffentlichen Landes. Es handelt sich hier um die Fron, die die Bauern von acht benachbarten Feldern auf dem neunten, königlichen, zu leisten hatten. anhält, aber keine Steuern von ihnen erhebt, so sind alle Bauern auf Erden froh und wünschen auf seinen Fluren zu pflügen. Wenn einer von denen, die Gebäudesteuer Der Sinn ist dunkel. Es handelt sich wohl darum, daß die Kaufleute, welche Gebäudesteuern (tschen) bezahlten und nicht das Feld bebauen konnten, nicht auch noch zu den Strafsteuern für nachlässige Bauern herangezogen werden sollten. zahlen, nicht auch noch Kopfsteuer und Fronleistungen verlangt, so ist alles Volk auf Erden froh und wünscht sein Volk zu werden.

Wenn einer wirklich diese fünf Stücke durchführt, so blickt das Volk der Nachbarstaaten zu ihm empor wie zu Vater und Mutter. Vater und Mutter aber angreifen zu lassen durch ihre Kinder, das ist etwas, das, seit es Menschen gibt auf Erden, noch niemand fertig gebracht hat. Darum hat er keinen Feind auf Erden. Wer keinen Feind auf Erden hat, ist Gottes Knecht Wörtlich: »Des Himmels Diener (tiän li).«. Daß ein solcher nicht König der Welt würde, ist noch niemals vorgekommen«.

6. Das Mitleid

Mong Dsï sprach: »Jeder Mensch hat ein Herz, das anderer Leiden nicht mit ansehen kann Vgl. I, A, 7. Dieses Mitleid ist nach Mong die natürliche Grundlage aller Tugenden, die angeborene Güte menschlicher Natur.. Die Könige der alten Zeit zeigten ihre Barmherzigkeit darin, daß sie barmherzig waren in ihrem Walten. Wer barmherzigen Gemüts barmherzig waltet, der mag die beherrschte Welt auf seiner Hand sich drehen lassen. Daß jeder Mensch barmherzig ist, meine ich also: Wenn Menschen zum erstenmal ein Kind erblicken, das im Begriff ist, auf einen Brunnen zuzugehen, so regt sich in aller Herzen Furcht und Mitleid. Nicht weil sie mit den Eltern des Kindes in Verkehr kommen wollten, nicht weil sie Lob von Nachbarn und Freunden ernten wollten, nicht weil sie üble Nachrede fürchteten, zeigen sie sich so.

Von hier aus gesehen, zeigt es sich: ohne Mitleid im Herzen ist kein Mensch Die Übersetzung: »Wer kein Mitleid im Herzen hat, der ist kein Mensch (sondern ein Tier)«, nach der es sich um eine Beschimpfung anders Gearteter handelte, ist nicht dem Text bei Mong entsprechend., ohne Schamgefühl im Herzen ist kein Mensch, ohne Bescheidenheit im Herzen ist kein Mensch, ohne Recht und Unrecht im Herzen ist kein Mensch, Mitleid ist der Anfang »duan« Anfang, hier soviel wie »die Möglichkeit«, das »potentielle« Vorhandensein. der Liebe, Schamgefühl ist der Anfang des Pflichtbewußtseins, Bescheidenheit ist der Anfang der Sitte, Recht und Unrecht unterscheiden ist der Anfang der Weisheit. Diese vier Anlagen besitzen alle Menschen, ebenso wie sie ihre vier Glieder besitzen. Wer diese vier Anlagen besitzt und von sich behauptet, er sei unfähig, sie zu üben, ist Räuber an sich selbst. Wer von seinem Fürsten behauptet, er könne sie nicht üben, ist ein Räuber an seinem Fürsten.

Wer diese vier Anlagen in seinem Ich besitzt und sie alle zu entfalten und zu erfüllen weiß, der ist wie das Feuer, das angefangen hat zu brennen, wie die Quelle, die angefangen hat zu fließen. Wer diese Anlagen erfüllt, der vermag die Welt zu schirmen, wer sie nicht erfüllt, vermag nicht einmal seinen Eltern zu dienen.«

7. Wichtigkeit des Berufs

Mong Dsï sprach: »Warum sollte ein Pfeilmacher an sich weniger Liebe haben als ein Panzerschmied? Aber der Pfeilmacher muß darauf bedacht sein, die Menschen zu verletzen, ein Panzerschmied muß darauf bedacht sein, die Menschen vor Verletzungen zu schützen. Ebenso steht es mit dem Gesundbeter und dem Sargmacher Das chinesische Wort »dslang« bedeutet an sich nur Handwerker, hier nach Dschau Ki prägnant gemeint.. Darum ist die Wahl des Berufes etwas, das wohl beachtet werden muß.

Meister Kung sprach: ›Gute Menschen machen die Schönheit eines Platzes aus. Wer die Wahl hat und nicht unter guten Menschen weilt, wie kann der wirklich weise genannt werden Vgl. Lun Yü IV, 1. Wie in der Anmerkung dort bereits bemerkt, hat Mong Dsï eine andere Auffassung. Er faßt li (sonst = Platz, Wohnort) = gü verweilen. Der Sinn des Ganzen wäre demnach: »Bei einer Lebensstellung ist die Möglichkeit zur Betätigung der Liebe das Schönste. Wer die Wahl hat und nicht einen Beruf wählt, in dem er Liebe üben kann, wie kann der weise genannt werden?« Vgl. die folgende Erklärung.?‹

Liebe ist der höchste göttliche Adel und der Menschen friedliches Heim. Unbehindert von außen nicht die Liebe erstreben, das ist Mangel an Weisheit. Ohne Liebe, ohne Weisheit, ohne Sitte, ohne Pflichtgefühl – so sind die Sklaven. Sklave sein und sich der Sklaverei schämen, ist, wie wenn ein Bogenmacher sich des Bogenmachens schämte, oder ein Pfeilmacher sich des Pfeilmachens schämte. Wer Scham empfindet, tut am besten, Liebe zu üben. Der gütige Mensch macht's wie der Schütze Vgl. die Bemerkungen Kungs über das Bogenschießen in Lun Yü III, 7, 16.. Der Schütze nimmt sich erst zusammen, dann schießt er los. Hat er geschossen und nicht getroffen, so grollt er nicht dem Sieger, sondern sucht die Schuld allein bei sich.«

8. Gemeinschaft im Guten

Mong Dsï sprach: »Dsï Lu freute sich, wenn man ihm seine Fehler sagte. Yü verneigte sich, wenn er gute Worte hörte. Der Große Schun war noch größer als diese: er verstand es, mit andern sich zusammenzuschließen im Gutestun Die grammatikalische Struktur ist ziemlich diffizil. Der Sinn ist unzweifelhaft der, daß der Konfuziusjünger Dsï Lu zwar dem Guten nachstrebte, aber dabei noch die eigene Person im Auge hatte, der Große Yü die der anderen, und daß für Schun sozusagen das Gute die Lebensluft war, in der er mit den anderen gemeinsam lebte. Der Unterschied von Mein und Dein fiel hierin für ihn weg. Er trat mit seiner Person zurück und förderte dadurch die Aktivität der anderen im Guten. Die Sage berichtet von seiner Anziehungskraft auf die Menschen, daß, wo er sich niederließ, sei es auf dem Li-Berge zum Pflügen, sei es am Gelben Fluß als Töpfer, sei es am Donnersee zum Fischen, in seiner Umgebung immer Städte entstanden.. Er verleugnete sich selbst und richtete sich nach den andern. Freudig anerkannte er, was sich bei andern an Gutem fand. Von den Zeiten an, da er noch hinter dem Pfluge ging, da er Gefäße formte und Fischfang trieb, bis zu der Zeit, da er Herrscher ward: immer hat er die andern anerkannt. Wer anerkennt, was er bei andern an Gutem findet, der fördert sie im Guten. Darum kennt der Edle nichts Größeres als andere zu fördern im Guten.«

9. Verschiedene Heiligkeit: Be-I und Liu Hia Hui

Mong Dsï sprach: »Be-I diente niemand, der nicht sein Fürst war; wer nicht sein Freund war, mit dem verkehrte er nicht. Er ging nicht an den Hof eines schlechten Fürsten und redete nicht mit schlechten Menschen. An eines schlechten Fürsten Hof zu kommen, mit einem schlechten Menschen zu reden, wäre ihm ebenso arg gewesen, als mit Feierkleidung angetan in Kot und Asche zu sitzen. So weit ging er in seinem Hasse des Gemeinen, daß, wenn er mit einem Bauern auf der Straße reden wollte und er sah, daß dessen Hut nicht richtig saß, er ihn stehen ließ, ohne ihn zu beachten – gleich als würde er dadurch befleckt. Wenn ihm Fürsten auch die schönsten Anerbietungen machten: er nahm sie nicht an. Der Grund, warum er sie nicht annahm, war auch, daß es ihm nicht reinlich dünkte, hinzugehen.

Liu Hia Hui Über Liu Hia Hui vgl. Lun Yü XV, 13; XVIII, 2, 8. schämte sich nicht eines unreinen Fürsten; ein niedriges Amt schien ihm nicht zu gemein. Wurde er befördert, so verdunkelte er nicht verdienstvolle Männer und ließ nicht ab von seinem Wege. Wurde er vernachlässigt und abgesetzt, so murrte er nicht, kam er in Gefahr und Mißerfolg, so regte er sich nicht auf. So sprach er: ›Du bist du, ich bin ich. Wenn du auch nackt und bloß an meiner Seite stehst, wie kannst du mich beflecken?‹ Darum verkehrte er ganz harmlos mit solchen Menschen, ohne sich selbst zu verlieren. Hielt man ihn zurück, so blieb er. Der Grund, warum er blieb, wenn man ihn zurückhielt, war, daß er es nicht für Pflicht der Reinlichkeit hielt, zu gehen.«

Mong Dsï sprach: »Be-I war zu beschränkt, Liu Hia Hui war zu gleichgültig. Beschränktheit und Gleichgültigkeit ist, was der Edle meidet.«


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