Jean Baptiste Molière
Tartüff
Jean Baptiste Molière

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Fünfter Akt

Erster Auftritt

Cleant. Orgon.

Cleant. Wohin?

Orgon.               Weiß ich's denn selbst?

Cleant.                                                     Mir scheint es gut,
Daß wir zunächst gemeinsam uns besinnen,
Was wir in diesem Fall beginnen.

Orgon. Ach, dieses Kästchen raubt mir allen Mut
Und läßt das Schlimmste mich besorgen.

Cleant. Ist ein Geheimnis denn darin verborgen?

Orgon. Argas, mein armer Freund, hat mir's gegeben,
Als er vor seiner Flucht sich von mir trennte,
Um's ganz geheim und sicher aufzuheben.
Wie er mir sagte, birgt es Dokumente,
Woran sein Leben und Vermögen hängt.

Cleant. Warum denn gaben Sie's aus Ihrer Hand?

Orgon. Dazu hat mein Gewissen mich gedrängt:
Dem Heuchler hab' ich gleich auch dies bekannt;
Er ruhte nicht mit seinem Redeschwalle,
Als bis ich ihn das Kästchen nehmen hieß,
Damit im Untersuchungsfalle
Ich mir ein Hintertürchen offen ließ,
Um mein Gewissen zu bewahren
Vor falschem Zeugnis und vor falschem Eid.

Cleant. Da sind Sie ja recht tüchtig festgefahren!
Denn Schenkung und Vertrauensseligkeit
Sind – ich bekenn' es, Ihnen ehrlich –
Mißgriffe von dem größten Unverstand,
Und solche Pfänder sind für Sie gefährlich.
Doch da Sie ganz in dieses Menschen Hand,
War's doppelt unklug, seinen Zorn zu wecken;
Der Ausweg war gewiß nicht fein.

Orgon. Wie kann man unter einem Heil'genschein
Ein so verlognes, falsches Herz verstecken!
Ich nahm ihn auf als Bettler, diesen Strolch!
Mit all den Biedermännern bin ich fertig;
Ich meide sie wie Gift und Dolch,
Und jeder Teufelei sind sie von mir gewärtig.

Cleant. Natürlich! Abermals ein kühner Sprung!
Sie können nie die Mittelstraße wandern
Und eilen, ferne jeder Mäßigung,
Von einer Übertriebenheit zur andern.
Sie sehen Ihren Irrtum, Sie begreifen,
Daß Heuchelei Sie hinters Licht geführt,
Und glauben deshalb, daß sich's nun gebührt,
Noch weiter von der Wahrheit abzuschweifen?
Sie halten grad wie über diesen Wicht
Auch über wahre Frömmigkeit Gericht?
Wie? Weil ein frecher Lump Sie prellt,
Weil Sie vor gleisnerischem Pomp erblinden,
Drum gibt es nur noch Schurken auf der Welt,
Und keine Gottesfurcht ist mehr zu finden?
Freigeister mögen diesen Trugschluß lieben;
Sie aber sollten trennen Wert und Schein,
Nicht allzuschnell mit Ihrer Achtung sein,
Nicht allzuleicht der Wahrheit Bild verschieben.
Verschließen Sie dem Lügenwort Ihr Ohr,
Doch lassen Sie's die Tugend nicht entgelten;
Noch lieber soll, wer jedes Maß verlor,
Den Schlechten trauen als die Guten schelten.

 

Zweiter Auftritt

Vorige. Damis.

Damis. Mein Vater, ist es wahr? Der Bursche droht
Und will mit ruchlos frechen Händen,
Was Ihre Großmut überreich ihm bot,
Als Waffe gegen Sie verwenden?

Orgon. Jawohl, mein Sohn; ich leide große Qual.

Damis. Sei'n Sie getrost: ich schneid' ihm ab die Ohren!
Mit solchem Schuft nur nicht viel Zeit verloren!
Von dem befrei' ich Sie mit einem Mal:
Den werd' ich kurzer Hand zu Tode prügeln.

Cleant. So spricht ein junger Mensch; ich aber bitte,
Die wilde Heftigkeit zu zügeln.
In unsrer Zeit der Ordnung und der Sitte
Wird man mit Faustrecht nicht weit kommen.

 

Dritter Auftritt

Vorige. Madame Pernelle. Dorine. Elmire. Marianne.

Mad. Pernelle. Ist's wahr? Ich habe Greuliches vernommen!

Orgon. Wahr ist es, ich bezeug' es selbst; ich Tor
Erhielt für meine Wohltat jetzt Belohnung:
Aus tiefstem Elend hol' ich ihn hervor;
Ich nenn' ihn Bruder, biet' ihm eine Wohnung,
Ich überschütt' ihn jeden Tag mit Prunk,
Ich geb' ihm meine Tochter, meine Schätze,
Und währenddessen stellt der Erzhalunk
Der Tugend meines Weibes Netze.
Ja, nicht genug an solcher Schändlichkeit:
Er droht mit meinen eigenen Geschenken
Und will nun gegen mich die Waffen lenken,
Die mein gutherz'ger Leichtsinn ihm verleiht,
Das Haus, in das ich ihn gebracht, mir rauben,
Zur Not mich zwingen, der ich ihn entzog.

Dorine. Der Ärmste!

Mad. Pernelle.           Nein, ich kann durchaus nicht glauben,
Daß er uns alle so gemein betrog.

Organ. Sie zweifeln noch?

Mad. Pernelle.                   Man lästert stets die Frommen.

Orgon. Mir scheint, daß dieser Spruch hier wenig paßt,
Frau Mutter!

Mad. Pernelle.     Es ist weit mit euch gekommen;
Man hat ihn hier von Anfang an gehaßt.

Orgon. Was ändert dies an meinen Worten?

Mad. Pernelle. Oft lehrt' ich dich in deiner Kinderzeit:
Die Tugend wird verdächtigt allerorten;
Die Neider sterben, aber nie der Neid.

Orgon. Worauf soll heute diese Lehre gehn?

Mad. Pernelle. Man hat dir dummen Schnickschnack vorgesungen.

Orgon. Ich sagte ja, daß ich es selbst gesehn.

Mad. Pernelle. Groß ist die Lästersucht der bösen Zungen.

Orgon. Jetzt reißt mir die Geduld; ich sagte klar,
Daß ich's mit Augen sah; der Grund ist triftig.

Mad. Pernelle. Verleumdung bringt die Besten in Gefahr
Und ist wie eine Schlange giftig.

Orgon. Solche Verstocktheit war noch gar nicht da!
Ich sah! Verstehn Sie wohl: Ich selber sah!
Sehn heißt so viel als sehn. Wie vielmal noch
Soll ich das in Ihr Ohr posaunen?

Mad. Pernelle. Oft sieht man etwas, und man irrt sich doch;
Ein falsches Urteil darf uns nicht erstaunen.

Orgon. Ich werde toll!

Mad. Pernelle.             Irrtum ist allgemein;
Wir tadeln oftmals, was wir loben müssen.

Orgon. Wenn er sich anschickt, meine Frau zu küssen,
Das wird wohl eine Andachtsübung sein?

Mad. Pernelle. Eh' man Beweise hat, spricht man nicht schuldig.
Du hättest ruhig darauf warten sollen.

Orgon. Zum Henker! Wirklich hübsch, was Sie da wollen!
Ich sollte warten lammsgeduldig,
Bis er . . . fast hätt' ich was gesagt!

Mad. Pernelle. Er läßt nur Gott in seinem Herzen walten.
Der Taten, deren man ihn hier verklagt,
Werd' ich ihn nie für fähig halten.

Orgon. Potz Blitz! Wär' eine Mutter nicht gefeit,
Dann würd' ich Sie ganz anders jetzt bedienen!

Dorine (zu Orgon).
Das ist die irdische Gerechtigkeit:
Sie glaubten's nicht: nun glaubt es niemand Ihnen.

Cleant. Vertun wir nicht die Zeit mit Nebensachen,
Statt zu beraten mit vereinter Kraft.
Der Schurk' hat uns gedroht, wir müssen wachen.

Damis. Ist seine Frechheit denn so riesenhaft?

Elmire. Ich glaube nicht an diese Möglichkeit,
Sein Undank wäre gar zu leicht ersichtlich.

Cleant (zu Orgon).
Sei'n Sie darauf gefaßt, daß er gerichtlich
All seinen Forderungen Nachdruck leiht;
Ein Ränkeschmied braucht nicht einmal so viel,
Um uns zu fangen in verworrnen Netzen.
Ich wiederhol's, das war ein kühnes Spiel,
Ihn erst zu wappnen und dann aufzuhetzen.

Orgon. Ach, freilich! Doch bei seinem Schurkenstreich
Vermocht' ich meine Wut nicht mehr zu zähmen.

Cleant. Ich würde wünschen, daß Sie durch Vergleich
Zu einer Art von Waffenstillstand kämen.

Elmire. Hätt' ich geahnt, daß er uns schaden kann,
Ich hätte mich doch mehr in acht genommen
Und . . .

Orgon (der Loyal eintreten sieht, zu Dorine).
            Sehn Sie, wer das ist! Was will der Mann?
Das fehlt mir grad noch, daß Besuche kommen.

 

Vierter Auftritt

Vorige. Loyal.

Loyal zu Dorine im Hintergrund).
Mein schönes Kind, vermelden Sie dem Herrn,
Ich möcht' ihn sprechen.

Dorine.                                   Er ist nicht allein
Und sieht Besuche heut nicht gern.

Loyal. Ich werd' ihm ganz gewiß nicht lästig sein.
Mein Kommen wird ihm viel Vergnügen machen,
Und meine Botschaft freut ihn sehr.

Dorine. Ihr Name?

Loyal.                     Sagen Sie, ich käme her
Im Auftrag Herrn Tartüffs und in Vermögenssachen.

Dorine (zu Orgon).
Der Mann beträgt sich ganz gesetzt und still;
Er kommt im Auftrag Herrn Tartüffs, in Dingen,
Die, wie er annimmt, Ihnen Freude bringen.

Cleant (zu Orgon).
So hören Sie, was er von Ihnen will.

Orgon (zu Cleant).
Der sucht gewiß Versöhnung anzubahnen;
Wie meinen Sie, daß ich mich dazu stelle?

Cleant (zu Orgon).
Nur ruhig Blut! Wird er zum Frieden mahnen,
So geben Sie Gehör auf alle Fälle.

Loyal (zu Orgon).
Mein' Reverenz dem Herrn! Des Himmels Hand
Beschütz' Ihr Haupt und sei ihm gnadenreich!

Orgon (leise zu Cleant).
Sein Gruß bekräftigt, was ich schon erkannt:
Er rät ganz sicher zum Vergleich.

Loyal. Bei Ihrem Vater dient' ich einst im Haus
Und schätz' es drum noch heute überaus.

Orgon. Mein Herr, ich bin beschämt; verzeihen Sie:
Doch ich erinnre mich an nichts.

Loyal. Ich heiß' Loyal, bin aus der Normandie
Und wohlbestallter Diener des Gerichts.
Seit unberufen vierzig Jahren
Wußt' ich den Posten ehrenvoll zu wahren,
Und meines Hierseins einzige Bezweckung
Ist untertänigst ein Gerichtsbeschluß . . .

Orgon. Was! Sie sind hier . . .

Loyal.                                     Macht Ihnen das Verdruß?
Es ist nur eine kleine Zwangsvollstreckung:
Sie räumen dieses Haus mitsamt den Ihren,
Mit allem, was es hier an Kist' und Kasten gibt,
Und Rechtens, ohne Sperren oder Zieren.

Orgon. Ich aus dem Hause gehn!

Loyal.                                             Ja, wenn's beliebt.
Wie dero Gnaden sattsam ist bekannt,
Gehört dies Haus, die Schenkung anbeträchtlich,
Dem guten Herrn Tartüff vermögensrechtlich,
Wes dies Papier ein gültig Unterpfand,
Gebrieft und unterzeichnet eigenhändig.

Damis (auf Loyal eindringend).
Fürwahr, die Unverschämtheit ist nicht klein!

Loyal (zu Damis).
Mein Herr, mit Ihnen hab' ich nichts gemein.
    (Zeigt auf Orgon)
Doch dieser Herr ist fügsam und verständig
Und wird als guter Bürger jederzeit
Gehorchen dem Befehl der Obrigkeit.

Orgon. Indessen . . .

Loyal.                         Nicht um eine Million
Wird er des Trotzes Strafen auf sich heften,
Wird mich in meinen Amtsgeschäften
Durchaus behandeln als Respektsperson.

Damis. Ausklopfen möcht' ich Ihren schwarzen Rock,
Herr Diener des Gerichts, mit meinem Stock!

Loyal (zu Orgon).
Gebieten Sie nun Ihrem Sohn zu schweigen,
Mein Herr. Sonst bleibt mir leider keine Wahl,
Als in dem Protokoll ihn anzuzeigen.

Dorine (beiseite).
Der Herr Loyal benimmt sich unloyal.

Loyal. Weil ich als braven Mann Sie hochverehre,
Drum unternahm ich selber den Vollzug,
Und darin lag Gefälligkeit genug,
Da sonst ein anderer gekommen wäre,
Der Sie behandelt hätte schroff und kühl
Und ohne mein berühmtes Zartgefühl.

Orgon. Welch Zartgefühl, daß man mit Weib und Kind
Mich auf die Straße setzt!

Loyal.                                       Weil Sie es sind,
Deshalb vollstreck' ich des Gerichtes Willen
Erst morgen früh; das will doch was bedeuten!
Ich werd' hier übernachten ganz im stillen
Und ohne Lärm mit zehn von meinen Leuten.
Pro forma nur bitt' ich mir aus
Vorm Schlafengehn die Schlüssel Ihrer Türen;
Sanft schlummern Sie noch einmal hier im Haus,
Und alles bleibt in Ordnung nach Gebühren.
Doch morgen früh erheben Sie sich bald,
Und meine Leute helfen Ihnen räumen;
Ich wählte sie von kräftiger Gestalt,
Damit es hurtig geht und ohne Säumen.
Das heißt doch sicher mild zu Werk gegangen,
Und eine Rücksicht ist der andern wert;
Drum darf ich wohl erwarten und verlangen,
Daß niemand mir mein Amt erschwert.

Orgon (beiseite).
Wenn ich auch alles fast verlor,
Ich zahlte freudig ohne Widerstreben
Von dem, was bleibt, noch hundert Louisdors,
Dürft' ich dem Kerl eins auf die Schnauze geben.

Cleant (leise zu Orgon).
Nur nichts verschlimmert!

Damis.                                     Soll man's noch ertragen?
Ich habe Lust, ihn braun und blau zu schlagen.

Dorine. Mein Herr Loyal, Ihr Buckel ist hübsch breit;
Da hätten ein paar Prügel trefflich Platz.

Loyal. Das sind Injurien, mein lieber Schatz;
Auch gegen Weiber gibt's Gerechtigkeit.

Cleant (zu Loyal).
Genug, mein Herr, wozu soll das noch nützen?
Ich bitt' um dieses Blatt und – Gott befohlen!

Loyal. Auf Wiedersehn! Der Himmel mag Sie schützen!

Orgon. Dich und Tartüff, euch mag der Teufel holen.

 

Fünfter Auftritt

Vorige ohne Loyal

Orgon. Was nun, Frau Mutter? Wer ist hier der Narr?
Sie können's jetzt in der Verordnung lesen,
Ob seine Schändlichkeit nur Schein gewesen!

Mad. Pernelle. Ich falle aus den Wolken, ich bin starr!

Dorine (zu Orgon).
Sie tun ihm unrecht, klagen falsch ihn an:
Grad jetzt bewährt er sich als frommen Mann.
Die Nächstenliebe heißt sein höchst Gebot:
Weil Reichtum oft das Herz des Menschen schädigt,
Drum hat er Sie aus Christenpflicht entledigt
Von allem, was Ihr Seelenheil bedroht.

Orgon. Still! Muß ich das den ganzen Tag befehlen?

Cleant (zu Orgon).
Jetzt heißt es irgendeinen Ausweg wählen.

Elmire. Verkünden Sie den frechen Undank laut;
Sein Schurkenstreich hat den Vertrag zerrissen!
Wenn das Gericht den schwarzen Plan durchschaut,
Dann wird es ihn zu kreuzen wissen.

 

Sechster Auftritt

Vorige. Valer.

Valer. Mein Herr, als Unglücksbote muß ich kommen,
Damit Sie drohender Gefahr entgehn.
Ein treuer Freund, der oft von mir vernommen,
Wie nah Sie meinem Herzen stehn,
Und deshalb zu gewagtem Dienst erbötig,
Hat mir ein Staatsgeheimnis offenbart,
Und diese Nachricht ist von solcher Art,
Daß Ihre Flucht noch heute dringend nötig.
Der Schurk, dem Sie vertrauend sich geneigt,
Hat bei dem König selbst Sie angezeigt
Und ihm ein wichtig Kästchen zugetragen,
Durch das ein Staatsverbrechen kam ans Licht;
Sie hätten's gegen Untertanenpflicht,
So sagt er aus, versteckt und unterschlagen.
Sonst weiß ich nichts! ich füge nur noch bei:
Der Haftbefehl ist schon erlassen;
Er selbst hat Vollmacht, Sie hier abzufassen,
Und wird erscheinen mit der Polizei.

Cleant. Mit solchen Waffen rückt er jetzt ins Feuer,
Um Ihrer ganzen Habe Herr zu werden!

Orgon. Der Mensch ist in der Tat ein Ungeheuer!

Valer. Die kleinste Säumnis würde Sie gefährden.
Vor Ihrer Türe hält mein Wagen,
Und tausend Louisdors sind hier bereit!
Drum fliehen Sie! Noch ist es Zeit;
Noch hat der Blitz nicht zündend eingeschlagen.
Ich selber bringe Sie zur Grenze hin
Und will nicht ruhn, bis ich Sie ganz geborgen.

Orgon. Mein teurer Freund, wie brav Sie für mich sorgen!
Die Zeit wird kommen, wo ich dankbar bin.
Der Himmel wird mir eines Tages gönnen,
Daß solche Großmut ihren Lohn gewinnt.
Lebt alle wohl und sorgt . . .

Cleant.                                       Nur fort, geschwind!
Wir andern werden uns schon helfen können.

 

Siebenter Auftritt

Vorige. Tartüff. Ein Polizeibeamter.

Tartüff (tritt Orgon in den Weg).
Nur sacht, mein Herr! Wer eilt, wird schnell erlahmen;
Sie finden früh genug ihr Nachtquartier:
Sie sind verhaftet in des Königs Namen.

Orgon. Unmensch, mit solchem Streich vergiltst du mir!
Ja, Teufel, ja, das ist dein Meisterstück;
Damit hast du dich selber übertroffen.

Tartüff. Ihr lautes Schmähen weis' ich kalt zurück;
Ich dulde still; dem Himmel gilt mein Hoffen.

Cleant. Welch eine Selbstbeherrschung ohnegleichen!

Damis. Wie dieser Gauner mit dem Himmel spielt!

Tartüff. All euer Ungestüm wird nichts erreichen;
Ich tue nur, was mir die Pflicht befiehlt.

Marianne. Der Auftrag paßt für Sie besonders gut
Und wird Sie sicherlich mit Ruhm bedecken.

Tartüff. Ja, rühmlich ist's, den Auftrag zu vollstrecken,
Den allerhöchst zu geben man geruht.

Orgon. Aus tiefstem Elend zog ich dich empor!
Nichtswürdiger, hast du das ganz vergessen?

Tartüff. Ich denke dran, soweit es angemessen;
Jedoch des Königs Wohl geht allem vor.
Drum muß ich meine Dankbarkeit bezwingen;
Auf solcher Pflichten heiligem Altar
Würd ich bedingungslos zum Opfer bringen
Freund, Eltern, Gattin, ja mich selbst sogar.

Elmire. Der Schändliche!

Dorine.                             Aus allen heil'gen Sachen
Versteht er sich ein Mäntelchen zu machen.

Cleant. Ist wirklich Ihre Tugend gar so rauh,
So stürmisch, dann gestatten Sie die Frage,
Warum sie denn erst heute trat zutage,
Nachdem er Sie ertappt bei seiner Frau?
Warum Sie ihn mit Klagen erst belasten,
Nachdem er, schwer beleidigt, Sie vertrieb?
Und – ohne jene Schenkung anzutasten,
Durch die er Ihnen all sein Gut verschrieb –
Was konnte Sie bestimmen zuzugreifen,
Wenn er schon damals Ihnen schuldig schien?

Tartüff (zu dem Beamten).
Erlösen Sie mich, Herr, von diesem Keifen!
Zeit wird es, Ihren Auftrag zu vollziehn.

Der Beamte. Jawohl, wir zögerten zu lange schon;
Sie mahnen mich mit Recht an Ihr Verhängnis:
Sie werden drum in eigener Person
Mir auf der Stelle folgen ins Gefängnis.

Tartüff. Wer? Ich?

Der Beamte.         Ja, Sie!

Tartüff.                               Was? Ins Gefängnis, ich!

Der Beamte. Nicht Ihnen werd' ich Rede stehn.
    (Zu Orgon)
Mein Herr, beruhigen Sie sich!
Denn unser wahrheitsliebender Regent,
Der weise richtet und die Menschen kennt,
Läßt sich von keinem Lügner hintergehn.
Sein feiner Unterscheidungssinn
Weiß alles in das rechte Licht zu setzen;
Nie wird er etwas Schlechtes überschätzen,
Nie reißt ihn Übertreibung hin.
Glorreich belohnt er jeden frommen Mann;
Doch wird er nie sich blenden lassen,
Und Liebe für die Guten treibt ihn an,
Die Bösen schonungslos zu hassen. –
    (Zeigt auf Tartüff)
Der hier verwirrte seinen Scharfsinn nicht;
So plumpe Fallen läßt er sich nicht stellen.
Rasch wußte seiner Seele klares Licht
Die Ränke des Betrügers aufzuhellen.
Gott hat gefügt, daß er sich uns entdeckte,
Indem er Sie verklagen ging,
Und daß man endlich einen Schwindler fing,
Der unter falschem Namen sich versteckte.
Kein Foliant wär' dick genug
Für die Geschichte seiner Übeltaten,
Und kurz, der Fürst verabscheut den Betrug,
Durch den er Sie mißhandelt und verraten.
Zu seiner Schuld kommt dies als neue Bürde:
Ich ließ ihn hier so lang sich überheben,
Um anzusehn, wie weit er's treiben würde,
Und Ihnen vor ihm selbst Ihr Recht zu geben.
Was er sich von Papieren zugesprochen,
Ich liefr' es Ihren Händen wieder aus;
Des Königs Machtwort schützt Ihr Haus
Und hat die Fessel des Vertrags zerbrochen.
Sodann vergibt er, daß ein Freund zu weit
In sein Vergehn Sie hat hineingezogen;
Sie haben ja den Fehl zu andrer Zeit
Durch treue Dienste reichlich aufgewogen.
Sein dankbar Herz, das niemals ruhte,
Bevor es wackrer Tat den Lohn beschert
Und edle Männer nach Verdienst geehrt,
Vergißt das Schlechte leicht, doch nie das Gute.

Dorine. Der Himmel sei gelobt!

Mad. Pernelle.                           Ich atme wieder!

Elmire. Welch unerwartet Glück!

Marianne.                                     Wie bin ich froh!

Orgon (zu Tartüff, den der Beamte fortführt).
Da hast du's nun, du Spitzbub' . . .

(Tartüff und der Beamte rechts ab)

 

Achter Auftritt

 Nach dem Original würde dieser Schlußauftritt lauten:

Cleant.                                                 Nein, nicht so!
Durch Schelten steigen Sie zu ihm hernieder.
Sein Los ist ohnedies schon schwer
Und macht ihn mürbe! Drum verschwenden
Sie keinen Vorwurf. Hoffen wir vielmehr,
Daß sich sein Herz noch mag zum Guten wenden,
Daß er in Reue geht auf beßrem Pfade
Und sich erwirbt des edlen Fürsten Gnade,
Die heut so große Wohltat uns verliehn,
Daß wir fußfällig ihn verehren sollten.
Orgon. Ja, danken wir ihm auf den Knien,
Und wenn wir seine reiche Huld vergolten,
Wenn wir ihm Preis und Ehre zuerkannt,
Dann folgt der alten Pflicht noch eine neue:
Dann lohnen wir durch ein geweihtes Band
Valers erprobte Lieb' und echte Treue.

Vorige ohne Tartüff und Beamten.

Cleant.                                                 Nein, nicht so!
Durch Schelten steigen Sie zu ihm hernieder. –
Wenn Sie dem güt'gen Himmel Dank bekannt,
Dann folge dieser Pflicht noch eine neue:
Dann lohnen Sie durch ein geweihtes Band
Valers erprobte Lieb' und echte Treue.

 


 


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