Jean Baptiste Molière
Tartüff
Jean Baptiste Molière

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Erster Akt

Erster Auftritt

Madame Pernelle. Elmire. Marianne. Cleant. Damis. Dorine. Flipote.

Mad. Pernelle. Jetzt hab' ich's satt! Komm, Flipote; gehen wir!

Elmire. So eilig? Lassen Sie sich doch geleiten.

Mad. Pernelle. Nein, Schwiegertochter, bleiben Sie nur hier;
Ja, bleiben Sie! Wozu die Förmlichkeiten?

Elmire. Wir wissen, was wir Ihnen schuldig sind.
Doch, warum wollen Sie schon gehn?

Mad. Pernelle. Ich kann die Wirtschaft hier nicht länger sehn!
Was ich auch rede – ihr seid taub und blind
Und tut das Gegenteil, mir grad zum Torte;
Ein andrer halte so was aus!
Kein Funke von Respekt, und Worte hört man, Worte,
Als wäre man im Narrenhaus.

Dorine. Ja . . .

Mad. Pernelle.   Sie, mein Kind, sind hier die Magd;
Ein großes Mundwerk! Eine freche Zunge!
Sie sollten warten, bis Sie jemand fragt.

Damis. Indes . . .

Mad. Pernelle.     Du, Enkel, bist ein dummer Junge,
Und sage nur, Großmutter hat's gesagt.
Ich habe deinem Vater deine Gaben
Längst prophezeit: du bist ein Tunichtgut!
Er wird an dir noch viel Vergnügen haben!

Marianne. Mir scheint . . .

Mad. Pernelle.                 Mein Gott, die Schwester! Wie sie tut!
Dies Blümchen Rühre-mich-nicht-an!
Jedoch die tiefsten Wasser sind die stillen,
Und was dahinter steckt, das wittert man.

Elmire. Verzeihn Sie, Mutter . . .

Mad. Pernelle.                           Tochter, grad heraus,
Sie sollten, ging's nach meinem Willen,
Das gute Beispiel sein fürs ganze Haus;
Die sel'ge erste Frau, die war es allen.
Und was soll diese Geldvergeudung nutzen?
Wozu ist's nötig, so sich aufzuputzen?
Die Frau, die nur dem Gatten will gefallen,
Die braucht dazu kein fürstlich Kleid.

Cleant. Nun, wenn auch . . .

Mad. Pernelle.                     Ihnen, Schwager, alle Ehre,
Hochachtung, Liebe und Ergebenheit;
Doch wenn ich Ihrer Schwester Gatte wäre,
Würd' ich sie dringend bitten, fortzubleiben.
Was sie von Lebensweisheit offenbart,
Ist nichts für Leute, die es ehrbar treiben.
Nun wissen Sie's! Sprach ich zu wenig zart?
Frei von der Leber, das ist meine Art!

Damis. Ihr Herr Tartüff wird glücklich sein, zu hören . . .

Mad. Pernelle. Das ist ein Ehrenmann, ein würdig Haupt;
Und muß mich's etwa nicht empören,
Wenn solch ein Schlingel sich erlaubt . . .

Damis. Wie! Soll ich's dem Duckmäuser gönnen,
Daß seine Macht tyrannisch sich erstreckt,
Daß wir uns hier an nichts mehr freuen können,
Worein der Herr nicht seine Nase steckt?

Dorine. Wenn man ihm glauben soll und hört ihn an,
Ist alles, was man tun mag, ein Verbrechen;
Denn allem spürt er nach, der fromme Mann.

Mad. Pernelle. Gut, daß er nachspürt euren Schwächen.
Auf diesem Weg geht ihr zum Himmel ein.
Mein Sohn soll diesen Mann euch lieben lehren.

Damis. Nicht hundert Väter können mich bekehren,
Je dieses Menschen Freund zu sein;
Ich wäre sonst ein Lügner und Verräter.
Seh' ich ihn nur, hält mich der Zorn benommen;
Ich fühl's, ich werde mit dem Leisetreter
Noch eines Tages aneinander kommen.

Dorine. Von so 'nem Fremden ist's ein starkes Ding,
Sich als Gebieter bei uns festzusetzen,
Ein Bettler, der zuerst halb barfuß ging
Und einen Rock anhatte, ganz in Fetzen!
Der ist es, der seitdem den Herrn hier spielte,
Und nichts mehr ist ihm gut genug im Haus.

Mad. Pernelle. Ja, weiß der Himmel, besser säh's hier aus,
Wenn seine fromme Mahnung Recht behielte!

Dorine. Fromm ist er nur in Ihrer Phantasie;
In Wirklichkeit ist's pure Heuchelei.

Mad. Pernelle. Schweig' sie!

Dorine.                                   Er und sein Diener, alle zwei –
Den beiden traue ich im Leben nie.

Mad. Pernelle. Den Diener kenn' ich nicht genauer;
Der Herr jedoch, das ist ein Ehrenmann,
Der euch nur deshalb nicht behagt,
Weil er euch allen blank die Wahrheit sagt.
Denn eure Sünden setzen ihn in Trauer,
Und nur der Eifer Gottes treibt ihn an.

Dorine. Nun schön; doch ist's vielleicht vor Gott ein Makel,
Wenn uns besucht ein ehrenhafter Gast?
Ihm aber wird hier jedermann zur Last;
Bei jedem macht er einen Mordspektakel.
Und im Vertraun gesagt, was ist der Grund?
    (Zeigt auf Elmire)
Der gute Mann ist eifersüchtig.

Mad. Pernelle. Still! Halten Sie den schnöden Lästermund! –
All' die Besuche hass' ich auch – und tüchtig!
Fortwährend wird treppauf, treppab gesprungen!
Die Tür mit Kutschen stets verschanzt,
Ringsum Lakaien aufgepflanzt –
Das gibt Gerede bei den bösen Zungen.
Und wenn ihr weiter auch nichts Schlimmes tut,
Man spricht darüber – und das ist nicht gut.

Cleant. Man spricht! Verhindern Sie die Welt zu sprechen,
Das wäre mir ein sauberes Gesetz,
Wenn ich aus Angst vor törichtem Geschwätz
Mit meinen besten Freunden müßte brechen.
Und wenn ich's täte, würd' es etwas nützen?
Wär' das ein sichres Mittel gegen Klatsch?
Vor der Verleumdung kann man sich nicht schützen! –
Drum kümmre sich wer mag um dies Getratsch.
So viel wir können, tun wir recht;
Die andern mögen ihre Zungen üben!

Dorine. Frau Daphne und ihr Mann im Haus da drüben,
Die machen uns besonders schlecht.
Am schnellsten wird die andern schmähn,
Wer selbst was hat auf seinem Kerbholz stehn.
Wo die nur irgend etwas aufgegabelt,
Das eines Zweifels Schein erlaubt,
Da wird's mit Freude ringsherum gefabelt,
Daß alle Welt wer weiß was glaubt.
Die Taten andrer werden bloßgestellt,
Damit man ihre eigenen verzeiht
Und irrgeführt durch falsche Ähnlichkeit
Sie selbst für nicht viel schlimmer hält.
Wenn dann gerechter Tadel sie ereilt,
So haben sie ihn wenigstens verteilt.

Mad. Pernelle. Nun, das mag unerörtert bleiben.
Orante jedoch lebt musterhaft gewiß;
Sie lebt dem Himmel. Trotzdem ist das Treiben
In diesem Haus auch ihr ein Ärgernis.

Dorine. Das ist 'ne Frau! Ich weiß, wie hoch die steht!
Von der ist nur das Beste zu erfahren!
Doch wurde sie so fromm erst mit den Jahren,
Und sie ist tugendhaft, weil's nicht mehr anders geht.
Solang die Herzen ihr Tribut entrichtet,
So lange griff sie zu mit frischer Hand;
Erst seit der Glanz aus ihren Augen schwand,
Verzichtet sie, weil man auf sie verzichtet,
Und läßt nur noch im frommen keuschen Schleier
Die abgeblaßten Reize sehn.
Wenn sich empfohlen hat der letzte Freier,
Dann müssen die Koketten in sich gehn.
Verlassen sind sie, und die schwere Bürde
Erleichtern sie durch Ehrenhaftigkeit,
Und sie entwickeln eine Würde
Und eine Strenge, welche nichts verzeiht.
Natürlich, daß die andern Frau'n nichts taugen!
Doch nicht aus Tugend, nur aus Neid
Ist ihnen andrer Glück ein Dorn in Augen,
Ein Glück, das ihrem Alter nicht mehr blüht.

Mad. Pernelle (zu Elmire).
So dumm Geplapper freut wohl Ihr Gemüt?
Ich komme gar nicht mehr zu Wort;
Denn die Person hier schwatzt in einem fort.
Doch endlich möcht' auch ich zum Reden kommen;
Mein Sohn bewies den äußersten Verstand,
Als er den frommen Mann hier aufgenommen;
Der Himmel selber hat ihn hergesandt
Zur Rettung eurer arg verführten Seelen;
Ihm zu willfahren möcht' ich euch empfehlen;
Mit vollem Rechte nennt er euch betört.
Besuche, Bälle, Unterhaltungsstunden,
Das alles hat der böse Geist erfunden.
Wann wird hier je ein christlich Wort gehört?
Gottlose Reden, Gassenhauer, Possen
Und über euren Nächsten Spott und Hohn;
Denn nichts ist heilig euren Glossen.
Kopfweh bekommt ein kluger Mensch davon;
So toll geht's zu auf jedem eurer Feste,
Wirr durcheinander bappeln alle Gäste.
Ein Doktor machte jüngst den guten Witz:
»Es ist der reine Turm von Babylon;
Denn jeder bappelt, als bekäm' er Lohn.«
Die Sache, die war nämlich so . . .
    (Sieht Cleant lachen)
Mir scheint, der Herr dort kichert. Ei der Blitz!
Wo anders suchen Sie sich Ihre Narren!
    (zu Elmire)
Adieu! Ich schweig' und denke mir mein Teil.
Mit diesem Haus hab' ich nichts mehr zu schaffen,
Und bis ich wiederkomme, könnt ihr harren!
    (Zu Flipote)
Was stehst du hier und hältst Maulaffen feil!
Du Gans (gibt ihr eine Ohrfeige), ich will dich lehren gaffen.
Marsch! Vorwärts!

(Sie treibt Flipote voraus und geht ab rechts, gefolgt von Elmire, Marianne, Damis)

 

Zweiter Auftritt

Cleant. Dorine.

Cleant.                         Nein, ich folg' ihr lieber nicht;
Von neuem sonst begänn' sie ihre Suade,
Die gute alte Frau . . .

Dorine.                               Wie jammerschade,
Daß sie's nicht anhört, wie man von ihr spricht.
Sie würde finden, daß Sie sehr galant,
Und daß sie noch nicht in dem Alter steht . . .

Cleant. Wie ist sie doch um nichts in Zorn entbrannt!
Ihr Herr Tartüff hat ihr den Kopf verdreht.

Dorine. Das ist noch gar nichts gegen ihren Sohn;
Sehn Sie erst den! Der ist bei weitem schlimmer!
Vom Weltmann grad bekam er einen Schimmer,
Hoffähig war er beinah schon.
Jetzt aber steht's mit seinem Geiste flau,
Seitdem er sich in den Tartüff verschossen;
Er hat ihn in sein Herz geschlossen
Weit mehr als Mutter, Tochter, Sohn und Frau,
Sein Rat erscheint ihm unentbehrlich;
Er weiht nur ihn in jed' Geheimnis ein
Und hätschelt ihn – mit der Geliebten schwerlich
Vermöchte man viel zärtlicher zu sein.
Den Ehrenplatz weist er ihm an bei Tisch,
Ist froh, wenn er sich vollstopft bis zur Rundheit,
Gibt ihm das beste Stück von Fleisch und Fisch,
Und wenn ihm aufstößt, ruft er: Zur Gesundheit!
Kurz, er ist völlig toll mit seinem Helden,
Weiß neue Wunder stets von ihm zu melden,
Ein groß Mirakel scheint ihm, was er tut,
Und was er spricht, ist eine Offenbarung.
Der kennt natürlich seinen Gimpel gut
Und gibt mit schlauer Kunst ihm neue Nahrung.
Indes der Heuchler seinen Raub gewinnt,
Bekrittelt er uns alle, wie wir sind.
Sogar sein lump'ger Diener stimmt mit ein
Und maßt sich an, uns zu bekehren
Und uns scheinheilig zu verwehren
Die Bänder, Schminken, Schönheitspflästerlein.
Der Schurk' zerriß mit eigner Hand
Ein Schnupftuch, das er im Gebetbuch fand,
Und sagte, daß es schwerer Frevel sei,
Wenn Teufelskram ein Heiligtum berühre.

 

Dritter Auftritt

Vorige. Elmire, Marianne, Damis (kommen zurück)

Elmire (zu Cleant).
Sie Glücklicher, Sie waren nicht dabei!
Sie hielt noch hübsche Reden vor der Türe.
Mein Mann ist da, ich hab' ihn kommen sehn
Und will mich in mein Zimmer jetzt begeben.

Cleant. Ich warte hier – nicht zum Vergnügen eben;
Ich will ihn nur begrüßen und dann gehn.

 

Vierter Auftritt

Cleant. Damis. Dorine.

Damis. Vergessen Sie nicht meiner Schwester Ehe!
Den Vater hat, wenn richtig mein Verdacht,
Tartüff auch darin schon herumgebracht.
Davon hängt ab mein eigen Wohl und Wehe.
Denn meine Schwester liebt Valer,
So wie ich seine Schwester gerne mag.
Und wenn . . .

Dorine.                 Da kommt er.

 

Fünfter Auftritt

Cleant. Dorine. Orgon.

Orgon.                                       Schwager, guten Tag!

Cleant. Ich grüße Sie bei Ihrer Wiederkehr.
Da draußen auf dem Land ist's wohl noch kahl?

Orgon. Dorine . . . (zu Cleant) Schwager, wenn's beliebt . . .
Ich bin besorgt und will nur schnell einmal
Vernehmen, was es Neues gibt.
    (Zu Dorine)
Wie ist's gegangen hier in den zwei Tagen?
Wie geht's? Wie steht's? Hat sich was zugetragen?

Dorine. Vorgestern fieberte Madame recht heftig
Und legte wegen Kopfschmerz sich zu Bett.

Orgon. Und Herr Tartüff?

Dorine.                             Der ist gesund und kräftig,
Mit roten Backen, dick und fett.

Orgon. Der Ärmste!

Dorine.                     Abends aß sie keinen Bissen;
Ich tischte auf; doch ihr war's einerlei,
So schrecklich hat es sie im Kopf gerissen.

Orgon. Und Herr Tartüff?

Dorine.                             Der aß allein für zwei
Und ließ gar fromm ein Rebhuhn nach dem andern
Nebst Hammelbraten in den Magen wandern.

Orgon. Der Ärmste!

Dorine.                     So verstrich die ganze Nacht;
Die Schmerzen blieben ungelindert,
Und weil das Fieber sie am Schlaf gehindert,
Hab' ich am Bett bis morgens früh gewacht.

Orgon. Und Herr Tartüff?

Dorine.                             Ging, als er schläfrig war,
In seine Kammer mit gemeßnem Schritte;
Drauf legt' er sich in seines Bettes Mitte
Und schlief die Nacht ganz wunderbar.

Orgon. Der Ärmste!

Dorine.                     Endlich schickte sie zum Bader.
Der kam und ließ ihr gleich zur Ader,
Und darauf trat die Beßrung ein.

Orgon. Und Herr Tartüff?

Dorine.                             Stand auf wie neugeboren,
Und teils zur Stillung seiner Seelenpein,
Teils weil Madame so sehr viel Blut verloren,
Trank er zum Frühstück eine Flasche Wein.

Orgon. Der Ärmste!

Dorine.                     Beiden geht's vortrefflich heut,
Und jetzt will ich doch gleich Madame vermelden,
Wie riesig ihre Heilung Sie erfreut.

 

Sechster Auftritt

Orgon. Cleant.

Cleant. Die lacht Sie aus – und Ihren Helden,
Und – bitte, hören Sie mich an in Ruh' –
Sie hat weiß Gott ein Recht dazu.
Ist so was denn schon dagewesen!
Kann Sie ein Mensch mit Netzen so umziehn,
Daß Sie an nichts mehr denken als an ihn,
Ein Mensch, den Sie vom Pflaster aufgelesen,
Und den Sie . . .

Orgon.                     Halt, urteilen Sie nicht blind!
Sie kennen nicht den Mann, den Sie verklagen.

Cleant. Ich kenn' ihn nicht; allein, was will das sagen?
Denn um zu wissen, welchen Geistes Kind . . .

Orgon. Herr Schwager, kennen Sie ihn erst, und dann . . .
Sie sind entzückt, begeistert, hingerissen!
Das ist ein Mann . . . ein Mann . . . kurzum, ein Mann!
Wer willig ihm Gehör verleiht,
Wird nie den Seelenfrieden missen
Und hält die Welt für einen Haufen Dünger;
Ja, als sein aufmerksamer Jünger
Lern' ich, wie albern Lieb' und Zärtlichkeit.
Ich bin erlöst von allen Erdenscherben
Und sähe jetzt mit größter Herzenskühle
Frau, Mutter, Kinder, Bruder sterben.

Cleant. Das ist der Gipfel menschlicher Gefühle.

Orgon. O, hätten Sie gesehn, wie ich ihn fand,
Sie liebten ihn wie ich und noch darüber.
Zur Kirche kam er unverwandt
Und kniete mir alltäglich gegenüber.
Er flehte mit so brünstiger Gebärde,
Daß aller Augen auf ihm ruhten,
Mit so viel Seufzern, so viel Seelengluten,
Und dabei küßt' er jedesmal die Erde!
Ging ich hinaus, so war er schnell am Orte,
Weihwasser mir zu bieten an der Pforte.
Sein Diener, ganz ihm gleich in frommem Leben,
Erzählte mir, wie schlecht's dem Armen ging,
Und als er Gaben nun von mir empfing,
Wollt' er mir stets die Hälfte wiedergeben.
»Zu viel!« sagt' er. »Sie schenken viel zu reich;
Ich bin nicht wert, daß Sie sich mein erbarmen.«
Und wenn ich es nicht wiedernahm sogleich,
Vor meinen Augen gab er es den Armen.
Endlich bestimmt' ich ihn, bei mir zu wohnen,
Und dafür will mich Gott belohnen:
Um aller Seelenheil bemüht er sich,
Und höchst besorgt um meine Ehre,
Behütet er mein Weib vor zärtlichem Verkehre
Viel eifersüchtiger als ich.
Im Dienst des Herrn sich täglich anzuschärfen,
Beim kleinsten Fehl sich Sünden vorzuwerfen
Und sie zu büßen, wird er niemals matt;
In Selbstanklagen hat er jüngst sich noch ergangen,
Weil er beim Beten einen Floh gefangen
Und allzu zornig ihn getötet hat.

Cleant. Weiß Gott, Sie haben einen Sparren,
Herr Schwager, oder halten mich zum Narren!
Sie denken wohl, mit solchen Faseleien . . .

Orgon. Freigeisterei hat Sie umgarnt,
Herr Schwager! – Ja, so reden diese Freien!
Ich habe Sie nun oft genug gewarnt:
Das könnte schlimme Folgen nach sich ziehen.

Cleant. Man kennt die Logik, welche euch gefällt:
Als Freigeist wird von euch verschrieen,
Wer seine beiden Augen offen hält,
Und wen der eitle Schein nicht schon erbaut,
Der hört auch nicht der heil'gen Wahrheit Stimme.
Ich habe weder Furcht vor eurem Grimme
Noch vor dem Himmel, der ins Herz mir schaut.
Kein Flausenmacher soll mich je bekommen!
Ja, falsche Helden gibt's und falsche Frommen.
Denn geht es nicht zum Handeln und zum Streiche,
Dann sind die echten Helden stumm,
Und mit den echten Frommen ist's das gleiche:
Die machen nicht so viel Brimborium.
Wie? Ziemt sich's über einen Kamm zu scheren
Die Gottesfurcht und Heuchelei,
Als ob es ganz dasselbe sei,
Statt des Gesichts die Larve zu verehren?
Das heißt, den Kunstgriff als Natur betrachten,
Die Wahrheit mit dem Widerschein,
Ein leer Phantom mit dem lebend'gen Sein
Und falsches Geld mit echtem gleich erachten.
Die Menschen sind ein sonderbar Geschlecht:
Natur ist ihnen niemals recht,
Nie wird die Grenze der Vernunft gewahrt;
Sie müssen stets darüber huschen
Und selbst das Edelste verpfuschen
Durch Übertreibung jeder Art.
Beiläufig wollt' ich Ihnen das bemerken.

Orgon. Jawohl, Herr Doktor hochgelahrt,
Bewundert und verehrt in Wort und Werken,
Sie ganz allein sind weise von uns allen,
Ein Cato, ein Prophet für dies Jahrhundert!
Wir andern, wir sind auf den Kopf gefallen.

Cleant. Ich bin kein Doktor, den die Welt bewundert,
Und maße mir nicht große Weisheit an;
Doch was ich weiß und was ich kann,
Ist Falsch von Wahr zu unterscheiden.
Und weil an Wert nichts höher steht
Als eines frommen Mannes Gottergebung,
Nichts mehr zu preisen, zu beneiden
Als wahre Religiosität,
Kann ich die Heuchler auf den Tod nicht leiden
In ihrer angeschminkten Überhebung,
Die sauberen Quacksalber, die Zeloten
Mit ihrem lästerlichen Fratzenkram,
Die Mißbrauch treiben straflos, ohne Scham
Mit allen heiligen Geboten;
Die Leute, die von Eigennutz gebläht
Die Frömmigkeit erniedern zum Gewerbe,
Mit falschem Augenaufschlag und Gebet
Ein Amt erschleichen und ein fettes Erbe,
Die Leute, die den Himmelsweg da droben
Als Weg zu irdischem Genuß gewählt
Und jeden Tag, von Demut ganz beseelt,
Enthaltsamkeit bei vollen Schüsseln loben,
Die fromm im Arm des Lasters ruhn,
Rachsüchtig, treulos, heftig, voll von Ränken,
Und wenn sie jemand zu vernichten denken,
Dies nur in Gottes Namen tun,
Dreifach gefährlich, wenn sie grollen,
Weil dieses Volk mit heil'gen Waffen ficht
Und seine Gier, durch Nachsicht angeschwollen,
Uns mit geweihtem Schwerts niedersticht.
Von dieser Sorte lebt ein ganzer Schwarm. –
Des Glaubens Reinheit zeigt sich rasch den Kennern,
Und unsre Zeit ist wahrlich nicht so arm
An höchst nachahmenswerten Gottesmännern.
Den Ehrentitel führen lange schon
Bei aller Welt Ariston, Periander,
Oront, Alcidamas, Clitander
Und machen doch kein groß Geschrei davon.
Vor solchem Dünkel sind sie auf der Hut;
Sie denken menschlich, auch in ihrem Glauben,
Und alles zu bekritteln, was man tut,
Die Hoffart würden sie sich nie erlauben.
Sie brauchen nicht der Worte hohen Flug
Und wollen nur durch Taten uns beschämen;
Von andern gleich das Schlimmste anzunehmen,
Dazu sind sie nicht streng genug.
Da gibt es Kniffe nicht und Sonderbünde;
Ein edles Leben ist ihr einzig Ziel,
Sie sind nicht grausam, wenn ein Schwacher fiel,
Und hassen nicht den Sünder, nur die Sünde;
Sie werden nie des Übereifers Beute,
Sie greifen nie dem Himmel vor im Groll:
Das sind die rechten, das sind meine Leute,
Das ist das Beispiel, dem man folgen soll.
Ihr Herr Tartüff kommt diesem Bild nicht nah,
Und wenn Sie Ihr Vertraun an ihn verschwendet,
So wurden Sie durch falschen Glanz geblendet.

Orgon. Sind Sie nun fertig, lieber Schwager?

Cleant.                                                             Ja!

Orgon (will gehen).
Empfehle mich!

Cleant.                     Nein, von was andrem jetzt!
Ich bitte drum! Valer, Sie wissen, hatte
Ihr Wort als Ihrer Tochter künft'ger Gatte.

Orgon. Jawohl.

Cleant.             Der Hochzeitstag war festgesetzt.

Orgon. Gewiß.

Cleant.             Warum verschiebt man's immerfort?

Orgon. Ich weiß nicht.

Cleant.                         Sollten Sie's etwa bereuen?

Orgon. Vielleicht.

Cleant.                 Das heißt, Sie halten nicht Ihr Wort?

Orgon. Sagt' ich so was?

Cleant.                             Sie werden sich wohl scheuen,
Nicht zu erfüllen, was Sie zugesagt.

Orgon. Je nun . . .

Cleant.                   Wozu dies dunkele Gebaren?
Valer verlangt Bestimmtes zu erfahren.

Orgon. Gelobt sei Gott!

Cleant.                           Und wenn er mich nun fragt?

Orgon. Was kümmert's mich?

Cleant.                                     Ich muß darauf bestehn,
Dem, was Sie planen, auf den Grund zu sehn.

Orgon. Was Gott gefällt.

Cleant.                             So reden Sie doch klar,
Ob Sie gesonnen sind, Ihr Wort zu brechen?

Orgon. Ihr Diener. (Ab)

Cleant (allein).         Seiner Liebe droht Gefahr.
Ich muß noch heute mit ihm sprechen.

 


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