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Einleitung.

Es gab, lieber Leser, eine Zeit, da war ich genau so dumm wie Du, oder vielleicht noch viel dümmer, nämlich in der Vorstellung, die ich von Island hatte, diesem Island, von dem hier ein ganzes Buch erzählen will, ohne doch alles sagen zu können, was des Sagens wert ist. Und es kam eine Zeit, daß ich mich mit diesem Island näher beschäftigen mußte, weil ich nämlich nach ihm auswandern wollte, – wie ich ja dann auch getan. Da las ich, was mir unter die Hände kam über diese weltentlegene Insel, studierte Karten, vertiefte mich in Statistiken. Es läßt sich ja doch denken: will einer das schöne Deutschland mit seinen fruchtbaren Äckern, köstlichen Auen, traulichen Wäldern eintauschen gegen ein Eiland irgendwo hoch im Norden am Polarkreis, dann will er doch ungefähr wissen, was seiner wartet, möchte gerüstet sein auf das, was Natur wie Mensch ihm dort zumuten, möchte beizeiten erfahren, was er wird entbehren müssen. So verschlang ich, soweit mir zugänglich, alles über Island Gedruckte, nahm meine auf naturwissenschaftliche Kenntnisse gegründete Vorstellungskraft zu Hilfe, meine Erfahrungen aus Reisen in manches andere fremde Land. Auf guten Karten ersah ich, daß einerseits die nördliche Baumgrenze über Island hinweggeht, daß andererseits die Südgrenze des Packeises an seine Nordküste heranreicht. Ein kaltes Land also, ein kahles Land! Voller Gletscher und Vulkane; vom Polarkreis geschnitten, daher mit endlosen Nächten im Winter – und im Sommer wohl langen Tagen, doch ohne Wärme.

Dieses Bild glaubte ich allein aus der geographischen Lage der Insel herauslesen zu können; Beschreibungen in Handbüchern der Erdkunde und in Nachschlagewerken besserten an dieser Vorstellung nichts, – im Gegenteil! Zu dem, was ich nach dem Kartenstudium schon zu wissen glaubte, erzählten sie mir noch von Stürmen unerhörter Stärke, von Wetterstürzen schroffster Art, von der Kärglichkeit des Bodens, von Fisch- und Lebertran-Industrie mit den sie begleitenden Gerüchen, von der Weltabgeschiedenheit des Lebens, von der eigenen Sprache, die sich die Isländer – um die Jahrhundertwende knapp achtzigtausend Seelen – seit tausend Jahren erhielten. Alles in allem ein Bild so bar jeder schönen Linie, bar jedes warmen Farbentones, daß einige Abenteuerlust dazu gehörte, just in dieses Land auszuwandern.

Die böse Meinung der Welt über Island soll in diesem Buche zerstört werden – gründlich zerstört! Nicht unter dem Gesichtspunkte des Reisenden, der wie eine Sommerschwalbe hierher kommt, zu Pferde in etlichen Wochen die innere, in ihrer Einsamkeit erhabene Wildnis durchstreift und dann ein dickes Buch darüber schreibt; sondern zerstört auf Grund der Offenbarung, die einem geworden ist, der hier sehend wurde, der dieses Land erlebte – erlebte nicht nur in wenigen schönen Sommertagen, nein, auch in langen Wintermonaten mit all' ihrer bezaubernden Schönheit, ihrer reizvollen Eigenart, wie nur die Polarkreiszone sie aufweist. Doch sei dem Verdacht von vornherein begegnet, es sei hier schöngefärbt! An Tatsachen kann auch dieses Buch nicht rütteln, kann nicht blind an ihnen vorübergehen. Aber dies soll gezeigt werden: es erlebt sich eine dem Anscheine nach von der Natur so stiefmütterlich behandelte Welt anders, als Statistiken über Klima, Fauna, Flora vermuten lassen.


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