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Zwölfter Gesang.

So wie ein Wandrer, treibt ihn auch die Eile,
Am Mittag ruht: hält ein der Engel zwischen
Der Welt, die ward vertilgt, und der erneuten,
Ob Adam etwas zu bemerken hätte;
Dann fuhr er fort mit sanftem Uebergang:

»So sahst du einer Welt Anfang und Ende,
Und wie aus zweitem Stamm die Menschen sprießen.
Viel bleibt dir noch zu sehn, doch ich gewahre,
Dein leiblich Aug' versagt dir; Göttliches
Schwächt und erschöpft nothwendig Menschensinne.
Drum werd' ich dir das Kommende berichten,
Und du gieb mir ein aufmerksam Gehör.
Der zweite Stamm, so lang noch klein an Zahl,
Und weil noch das vergangne Strafgericht
Frisch in den Seelen lebt, die Gottheit fürchtend:
Führt nun sein Leben mit Bedacht auf das,
Was Recht und Pflicht, allmählich sich vermehrend,
Den Acker bauend, reiche Ernten ziehend
Von Korn und Wein und Oel, und von den Herden
Oft opfernd einen Stier, ein Lamm und Zicklein
Mit reich ergoßnem Wein und heil'gem Fest.
So leben lang in tadelloser Freude
Sie friedlich, nach Familien und Stämmen,
Beherrscht von Vätern, bis, hochmüth'gen Herzens,
Dann Einer sich erhebt, der nicht zufrieden
Mit schöner Gleichheit, brüderlichem Stande,
Sich ob den Brüdern unverdiente Herrschaft
Anmaßt und Eintracht gänzlich von der Erde
Und der Natur Gesetz' ausrotten will.
Er jagt (und Menschen sind sein Ziel, nicht Thiere)
Mit Krieg und Feindeslist die, so sich weigern,
Sich seiner Tyrannei zu unterwerfen.
Weil trotz des Himmels oder von dem Himmel
Die zweite Oberherrschaft er sich fordert,
Heißt er ein mächtiger Jäger vor dem Herrn;
Und von Empörung stammt sein Name her,
Bezichtigt er auch Andre der Empörung.
Mit einer Schaar, die Ehrgeiz ihm verbündet,
Mit ihm zu herrschen oder unter ihm,
Von Eden westwärts ziehend, findet er
Die Ebne, drauf ein schwarzer Erdpechstrudel
Aufkocht vom Boden, wie der Hölle Schlund.
Aus diesem Stoff und Ziegeln wollen sie
Baun Stadt und Thurm, deß Spitze reicht zum Himmel,
Sich Ruhm zu schaffen, daß sich ihr Gedächtniß
In fernen Landen nicht zerstreut verliere,
Achtlos, ob gut sei oder schlimm ihr Ruf.
Doch Gott, der oft zu Menschen niedersteigt,
Unsichtbar, und durch ihre Wohnung wandelt,
Ihr Thun zu schaun, kam, dies gar bald erblickend,
Herab, zu sehn die Stadt, eh noch der Thurm
Die Himmelsthürm' erreicht, und legt zum Spott
Auf ihre Zungen der Verwirrung Geist,
Der ihre Sprache stümmelt und dafür
Den Kreischlaut unbekannter Wörter sä't.
Sofort erhebt bei denen, die da bauen,
Ein widerlich Geschrei sich; unverstanden
Bleibt jeder Ruf, bis heiser und voll Wuth
Sie, als verspottet, rasen. Groß Gelächter
Und Niederschaun entsteht im Himmel über
Den Wirrwarr und den Lärm; so, lächerlich,
Bleibt stehn der Bau und heißt fortan Verwirrung.«

Drob Adam, väterlich entrüstet also:
»Fluchwürdiger Sohn, der über seine Brüder
Sich so erhebt und angemaßte Macht
Ob ihnen nimmt, von Gott ihm nicht gegeben;
Nur über Thier' und Fisch und Vögel gab er
Die Herrschaft uns; dies Recht erhielten wir
Als sein Geschenk; doch nicht zum Herrn der Menschen
Setzt' er den Menschen, sich dies Recht bewahrend;
Frei ließ er Menschliches von Menschlichem.
Doch dieser Freche bleibt beim Eingriff nicht
In Menschenrecht; es droht sein Thurm ja Gott
Trotz und Belagrung. Mensch, armseliger!
Was will für Nahrung er hinauf denn bringen,
Sich und sein thöricht Heer zu unterhalten,
Wo ob den Wolken dünne Luft und Hunger
Nach Athem schon, geschweige Brod, ihn quält.«

Drauf Michaël so: »Mit Recht verabscheust du
Den Sohn, der in des Menschen ruh'gen Zustand
Die Unruh bringt und unterdrücken will
Vernünftige Freiheit; doch wiss' auch zugleich:
Seit deinem ersten Fall ging wahre Freiheit
Verloren, die mit Recht stets der Vernunft
Gesellt und keines andern Wesens ist.
Trübt sich Vernunft im Menschen, wird ihr nicht
Gehorcht, so nehmen bald unordentliche,
Ausschweifende Begierden der Vernunft
Die Herrschaft, und zur Knechtschaft zwingen sie
Den Menschen, frei bis jetzt. Drum, da in sich
Er über die Vernunft unwürd'gen Mächten
Herrschaft gestattet, unterwirft ihn Gott
Zur Strafe Herren, die gewaltsam handeln,
Die oft, gleich unverdient, der äußern Freiheit
Ihn ganz berauben. Denn Herrschaft muß sein,
Obwohl dies den Tyrannen nicht entschuldigt.
Doch sinken Völker oft von der Vernunft,
Die Freiheit ist, so tief, daß nicht Gewaltthat,
Nein, Recht und ein verhängnißvoller Fluch,
Nach dem Verlust der innern, sie der äußern
Freiheit beraubt. Zeug' ist der freche Sohn
Dess', der die Arche baut', und für die Schmach,
Dem Vater angethan, den Fluch erfuhr,
»Der Knechte Knecht« ob seinem bösen Stamme.
So neigt die spätre, wie die frühre Welt
Sich auch von Schlimm zu Schlimmerm, bis zuletzt
Gott, ihrer Frevelthaten satt, von ihnen
Zurückzieht seine Hand, die heil'gen Augen
Abwendend und beschließend, sie fortan
Dem eignen falschen Weg zu überlassen,
Und ein besondres Volk sich zu erwählen
Aus allen andern, das entspringen soll
Von Einem gläubigen Mann, ihn anzurufen.
Diesseit des Euphrat's noch wohnt dieser Mann,
Im Götzendienst erzogen. O daß Menschen
(Glaubst du es wohl?) so thöricht worden sind,
Als der noch lebte, der der Flut entrann,
Von der Verehrung des lebendigen Gottes
Zu Göttern abzufallen, die sie selbst
Aus Holz und Stein gemacht! Doch würdigt ihn
Der Herr, durch ein Gesicht vom Vaterhaus' ihn,
Nebst der Verwandtschaft und den falschen Göttern,
Zu rufen in ein Land, das er ihm zeigt,
Und schafft ein mächtig Volk aus ihm und gießt
Den Segen so auf ihn, daß alle Völker
Gesegnet sind in seinem Samen. Stracks
Gehorcht er gläubig, kennt er auch das Land nicht.
Ich seh' ihn, doch du nicht, mit welchem Glauben
Er seine Götter läßt und Freund und Heimat,
Ur in Chaldäa, jetzt die Furth durchschreitend
Von Haran; hinter ihm ein langer Zug
Von Schafen, Rindern und zahllosen Knechten.
Nicht zieht er arm, die Habe Gott vertrauend,
Der in ein unbekanntes Land ihn rief.
Canaan hat er erreicht; ich seh die Zelte
Um Sichem stehn und in der nahen Ebne
Moriah. Dort erhält er, nach Verheißung,
Für seinen Samen all das Land zur Gabe
Von Hamath nordwärts bis zur Wüste südlich
(Ich nenne Dinge, die noch ohne Namen)
Von Hermon östlich bis zum großen Westmeer.
Berg Hermon, dort die See (sieh jeden Ort
Dir an, wie ich ihn zeige); an dem Ufer
Berg Carmel; hier den doppelquell'gen Strom,
Jordan, die wahre Grenz' im Ost. Die Söhne
Bewohnen Senir, jene Hügelreihe.
In seinem Samen, merk dir, sind gesegnet
Der Erde Völker all', und dieser Same
Ist der Erlöser, der der Schlange soll
Den Kopf zertreten; was ich näher dir
Sogleich erklären will. Der Patriarch,
Den einst den gläub'gen Abraham man nennt,
Läßt einen Sohn und Sohnes Sohn zurück,
Ihm gleich an Glauben, Weisheit und an Ruhm.
Der Enkel mit zwölf Söhnen zieht hinweg
Aus Canaan in ein Land, nachher geheißen
Aegypten, von dem Flusse Nil getheilt.
Sieh, wo durch sieben Mündungen ins Meer
Er sich ergießt. In diesem Land zu wohnen,
Kommt er, zur Zeit der Theurung eingeladen,
Von einem jüngern Sohn, deß würd'ge Thaten
Ihn zu dem Zweiten in dem Reich erhoben
Des Pharao. Dort stirbt er und sein Stamm
Wächst an zum Volk und wird durch die Vermehrung
Verdächtig einem König, der den Anwachs
Zu hemmen sucht der zu zahlreichen Gäste;
Drum macht ungastlich er aus Gästen sie
Zu Sklaven und läßt ihre Knaben tödten.
Bis durch zwei Brüder (diese hießen Moses
Und Aaron), die Gott sandte, wegzurufen
Sein Volk aus Sklaverei, daß heim es kehre
Mit Ehr' und Beut' in das gelobte Land.
Zuvor jedoch muß der Tyrann, der nicht
Gott anerkennt, noch seiner Botschaft achtet,
Gebeugt durch Strafgericht und Zeichen werden.
In künstlich Blut verwandeln sich die Flüsse;
Mit eklem Schwalle müssen Frösche, Läuse
Und Fliegen den Palast, das Land ihm füllen;
Sein Vieh muß ihm an Räud' und Seuchen sterben,
Geschwür' und Blattern all sein Fleisch bedecken
Und seines Volks; Aegyptens Luft zerreißen
Muß im Gemische Donner, Hagel, Feuer,
Und, auf dem Boden rollend, Alles tilgen;
Was nicht verzehrt wird, Früchte, Kräuter, Korn,
Muß eine schwarze Wolke schwärmender
Heuschrecken fressen und nichts Grünes lassen.
All sein Gebiet muß Finsterniß beschatten,
Greifbar', und muß hinweg drei Tage löschen;
Zuletzt noch schlägt Ein mitternächt'ger Streich
All' Erstgeburt. So durch zehn Wunden zahm,
Ergiebt der Flußdrach' endlich sich darein,
Die Gäste ziehn zu lassen, und demüthigt
Oft sein hartnäckig Herz, dort härter stets,
Wie Eis, nachdem's gethaut; bis ihn, der rasend
Verfolgt, die er erst jüngst entließ, die See
Zusammt dem Heer verschlingt; jen' aber läßt
Sie trocken durch, wie in krystallnen Mauern,
Die ehrfurchtsvoll vor Mosis Stab sich theilten,
Bis die Geretteten am Ufer waren.
So leiht Gott den Erwählten Wunderkräfte,
Wenn gegenwärtig auch in seinem Engel,
Der Tags vor ihnen her als Wolkensäule,
Allein bei Nacht als Feuersäule schreitet,
Als Führer auf der Reis', und hinten sie
Zu schützen vor dem herzensharten König.
Der folgt die ganze Nacht, jedoch zu nahen
Wehrt ihm das Dunkel bis zur Morgenwache;
Dann durch die Feuer- und die Wolkensäule
Blickt Gott und er verwirrt sein ganzes Heer,
Und bricht der Wagen Räder. Auf Geheiß
Streckt Moses noch einmal hin über's Meer
Den mächtigen Stab; das Meer gehorcht dem Stabe;
Auf ihre Schlachtreihn rollt's zurück die Wogen
Und schwemmt den Krieg hinweg. Nach Canaan schreitet
Vom Strande sicher das erwählte Volk
Hin durch die Wüste, nicht den grädsten Weg,
Daß nicht, gestört, der Canaaniter Krieg
Den Unerfahrnen biet', und Furcht zurück
Sie nach Aegypten treib', unrühmlich Leben
Vorziehend in der Knechtschaft. Denn das Leben
Ist Edlen und Unedlen süßer, wenn sie,
In Waffen ungeübt, nicht Kühnheit treibt.
Auch dies gewinnen sie bei dem Verzug
In weiter Wüste, daß sie dort begründen
Das Wesen ihres Staats und aus zwölf Stämmen
Den Rath sich wählen, der nach Recht regiere.
Vom Berge Sinaï, deß grauer Gipfel
Erbebt, steigt Gott herab, und unter Donner,
Blitz und Posaunenschalle giebt er ihnen
Gesetze, theils für bürgerliche Ordnung,
Theils für des Gottesdienstes Opferbräuche,
Durch Schatten und Sinnbilder sie belehrend
Von jenem Samen, der zertreten soll
Der Schlange Kopf, wodurch bewirkt der Menschen
Erlösung wird. Doch Gottes Stimm' ist furchtbar
Dem Ohr der Sterblichen; sie flehn deshalb,
Daß Moses ihnen seinen Willen sage
Und daß der Schrecken end'; und er gewährt's,
Bedenkend, daß man ohne Mittler nicht
Gott nahen kann. So hohes Amt verrichtet
Nun Moses bildlich, um den Weg zu bahnen
Dem Größern, dessen Kommen er verkündigt,
Wie die Propheten ihrer Zeit auch singen
Vom göttlichen Messias. Als Gesetz
Und Brauch bestimmt, erfreut sich Gott an denen,
Die ihm gehorchen so, daß er sie würdigt,
Sein Zelt in ihrer Mitte zu errichten,
Daß er als »Heiliger« bei den Menschen wohne.
Man baut ein Heiligthum nach seiner Vorschrift
Von Zedern, ausgelegt mit Gold; darinnen
Steht eine Lad'; in dieser liegt sein Zeugniß,
Das Denkmal seines Bunds; darüber steht
Ein Gnadenthron von Gold, geschirmt von Flügeln
Zwei lichter Cherubim, und sieben Lampen,
Den Himmelsfeuern gleich im Sternengürtel,
Brennen davor, und überm Zelt soll schweben
Gewölk bei Tag, bei Nacht ein Feuerschein;
Nur wenn sie fortziehn nicht. Sie kommen endlich,
Geleitet von dem Engel, nach dem Lande,
Verheißen Abraham und seinem Samen.
Zu lang wär's, wie viel Schlachten vor sich gingen
Und Könige fielen und man Reich' ersiegte;
Wie stille stehn im Mittag muß die Sonne,
Und einen Tag und eine Nacht verziehn
Auf das Geheiß: steh', Sonn', in Gibeon,
Und du, o Mond, im Thale Ajalon,
Bis Israël obsiegt; so hieß der dritte
Von Abraham, Sohn Isaak's, und von ihm
Der ganze Stamm, der Canaan erobert.«

Hier fiel Adam ins Wort: »O Gottgesandter,
Erleuchter meines Dunkels: Angenehmes
Hast du enthüllt vom frommen Abraham
Und seinem Samen. Nun erst find' ich wahrhaft
Den Blick geöffnet und das Herz erleichtert,
Vordem voll Kümmerniß, was werden sollt'
Aus mir und allen Menschen. Doch nun seh' ich,
Deß Tag, in dem gesegnet Alle werden,
Gunst, die ich nicht verdient, da ich gesucht
Verbotne Kenntniß auf verbotnen Wegen.
Doch das begreif ich nicht, warum Gott denen,
Bei denen er auf Erden wohnen will,
So viel Gesetze gab und so verschiedne;
So viel Gesetze setzen so viel Sünden
Voraus bei ihnen, wie kann Gott da wohnen?«

Drauf Michaël so: »Nicht zweifle, daß die Sünde
Bei ihnen herrscht, da sie von dir ja stammen;
Drum soll sie das Gesetz auch überzeugen,
Wie sie von Grund verderbt, da sie die Sünde
Reizt gegen das Gesetz; daß, wenn sie sehen,
Gesetz kann Sünd' enthüllen, nicht entfernen,
Es sei denn durch die Schatten von Versöhnung,
Durch Stier- und Ziegenblut, sie schließen können:
Für Menschen brauch' es ein kostbarer Blut –
Das des Gerechten für die Ungerechten.
Daß sie dadurch, im Glauben angerechnet,
Rechtfertigung bei Gott, und im Gewissen
Ruh' finden, die nicht das Gesetz der Bräuche
Gewähren kann, noch das der Sittlichkeit;
Und gnügt der Mensch ihm nicht, kann er nicht leben.
So zeigt denn das Gesetz sich unvollkommen,
Und nur gegeben, wenn die Zeit erfüllt,
Dem bessern Bund die Menschheit abzutreten,
Von Schattenbildern hingeführt zur Wahrheit,
Vom Fleisch zum Geist, vom Zwang der Pflicht zur freien
Annahme reicher Huld, von knecht'scher Furcht
Zur kindlichen, und des Gesetzes Werken
Zu Glaubenswerken. Drum soll Moses auch,
Obgleich von Gott geliebt, weil er nur Diener
Ist des Gesetzes, nicht sein Volk geleiten
Nach Canaan, sondern Josua, welchen Jesus
Die Heiden nennen, der so Amt als Namen
Von dem führt, der den Feind, die Schlange, tödtet,
Und lang Verirrte durch die wüste Welt
Zum ewigen Paradies der Ruhe bringt. –
Nun wohnen sie im ird'schen Canaan
Geraume Zeit und blühn, wenn angestammte
Vergehn nicht ihren Frieden unterbrechen,
Darob gereizt, Gott ihnen Feind' erweckt,
Wovon er oft, wenn sie bereun, sie rettet,
Durch Richter erst, durch Könige dann; von denen
Dem zweiten, wegen Frömmigkeit berühmt
Und mächtiger Thaten, die Verheißung wird,
Unwiderruflich, daß sein Königsthron
Für ewig dauern soll. Desgleichen singen
Auch die Propheten, daß vom Königstamm
Des David (wie der König heißt) ein Sohn
Entsproßt, des Weibes dir verheißner Same;
Verheißen Abraham, und aller Völker
Hoffnung; verheißen Königen, als letzter
Der Könige, denn sein Reich ist sonder Ende.
Doch erst geht eine lange Reih' vorher;
Und Jenes Sohn, berühmt als reich und weise,
Verwahrt die Lade Gottes, die bis jetzt
Im Zelt umzog, in einem prächt'gen Tempel.
Ihm folgen, die als gut bald, bald als böse
Verzeichnet werden, doch der Bösen mehr.
Ihr Götzendienst, zur Summe der Verschuldung
Des Volks gehäuft, regt Gottes Zorn so sehr,
Daß er sie aufgiebt und aussetzt ihr Land,
Die Stadt, den Tempel und die heil'ge Lade
Mit allem Heiligen drin, dem Spott und Raube
Der stolzen Stadt, von der du in Zerstörung
Die Mauern sahst, drob Babylon sie heißt.
Dort läßt er in Gefangenschaft sie weilen
Durch siebzig Jahre; bringt sie dann zurück,
Der Gnade denkend und des Bunds, den er
Dem David schwur, fest wie des Himmels Tage.
Als sie die Herrn, die Könige Babylons,
Die Gott gelenkt, frei ließen, bauen sie
Den Tempel wieder auf, und leben mäßig,
Bescheiden einige Zeit, bis sie an Reichthum
Und Zahl gewachsen in Partei'n zerfallen.
Zuerst entsteht die Zwietracht bei den Priestern,
Den Dienern des Altars, die Frieden sollten
Am ersten hegen; durch den Zwist entweihn sie
Den Tempel selbst. Zuletzt bemächt'gen sie
Des Scepters sich, achtlos der Söhne Davids.
Dann kommt's in fremde Hand, auf daß der wahre
Messias-König, seines Rechts entsetzt,
Geboren werd'. Allein bei der Geburt
Verkündigt ihn ein niegeseh'ner Stern
Und führt die Weisen aus dem Morgenlande,
Die ihm Gold, Weihrauch, Myrrhen bringen wollen.
Wo er geboren, sagt ein Festes-Engel
Einfachen Hirten, hütend in der Nacht;
Sie eilen freudig hin und Festgesang
Ertönt von einem Chor von Engelschaaren.
Jungfrau ist seine Mutter, doch sein Vater
Die Kraft des Höchsten; sich erheben soll er
Zum Erbthron und sein Reich umfahn die Grenzen
Der weiten Erde, wie sein Ruhm den Himmel.«

Er schwieg, da ganz erfüllt er Adam sah
Von Freude, die in Thränen sich ergossen,
Hätt' er sie nicht in Worten ausgeströmt:

»Prophet von froher Kunde, mir Vollender
Der höchsten Hoffnung! Nun versteh' ich klar,
Was oft umsonst mein tiefstes Sinnen suchte:
Warum die hoh' Erwartung heißen sollte
Des Weibes Same. Jungfrau Mutter, Heil!
Geliebt vom Himmel, sollst aus meinen Lenden
Du doch hervorgehn, und aus deinem Schooß
Des Höchsten Sohn: so eint sich Gott dem Menschen.
Mit Todesangst muß nun die Schlang' erwarten
Des Haupts Zertreter. Wo und wann der Kampf?
Und welcher Stich verletzt des Siegers Ferse?«

Drauf Michaël: »Träume nicht von ihrem Kampf
Als einem Zweikampf oder Körperwunden
An Fers' und Kopf; nicht deshalb eint der Sohn
Menschheit mit Gottheit, um mit größrer Kraft
Den Feind zu fällen; denn nicht so besiegt
Wird Satan, dessen tödtlicherer Sturz
Ihn nicht gehemmt, Todwunden dir zu geben,
Die heilen wird, der als dein Retter kommt;
Nicht durch Vernichtung Satans, seines Werks nur
In dir und deinem Stamm, und dies nicht anders
Als in Erfüllung deß, worin du fehltest:
Gehorsam gegen das Gesetz von Gott,
Bei Todesstraf' erheischt, und durch Erleiden
Des Todes, deiner Uebertretung Strafe
Und deren, die der deinigen entspringen:
So nur wird der Gerechtigkeit genügt.
Er wird genau erfüllen Gottes Satzung
Durch Lieb' und durch Gehorsam, wenngleich Liebe
Allein schon das Gesetz erfüllt; er leidet
Dein Strafurtheil, indem ins Fleisch er kommt
Zum Leben voller Schmach, zum Fluch des Todes,
Verkündend Leben allen, welche glauben,
Daß er sie rettet; daß auch sein Gehorsam
Ihr eigner wird durch Glauben, sein Verdienst.
Der Rettung auch, nicht ihrs, sei's auch gesetzlich.
Drum wird im Leben er gehaßt, verhöhnt,
Gefangen und gerichtet und zum Tode
Verdammt, schmachvollem, und ans Kreuz genagelt
Vom eignen Volk, weil Leben er ihm bringt.
Doch deine Feinde heftet er ans Kreuz,
Die Satzung, dir entgegen, und die Sünden
Der Menschheit, mit ihm dort gekreuzigt,
Nie mehr zu schaden denen, die vertrauen
Auf seine Gnugthuung. Er stirbt, doch lebt er
Bald wieder auf; der Tod hat über ihn
Nicht lange Macht; vorm dritten Dämmerschein
Sehn ihn die Morgensterne sich erheben
Aus seinem Grab, frisch wie das Morgenlicht:
Das Lösegeld vom Tod' ist nun bezahlt,
Sein für des Menschen Tod, für alle, die
Das Leben nicht verschmähn und durch den Glauben,
Nicht leer an Werken gern empfahn die Wohlthat.
Die Gottesthat loscht aus dein Urtheil: Tod,
Da sündenvoll du ewig schiedst vom Leben;
Sie tritt Satan aufs Haupt, bricht seine Stärke,
Vernichtend Sünd' und Tod, die zwei Hauptwaffen,
Und heftet tiefer in sein Haupt den Stachel,
Als zeitlich Sterben; trifft des Siegers Ferse
Und derer, die er löst – ein Tod wie Schlaf,
Ein sanftes Gleiten hin zum ew'gen Leben.
Und länger weilt er nach der Auferstehung
Auf Erden nicht, als mehrmals zu erscheinen
Den Jüngern, Männern, die bei seinem Leben
Ihm stets gefolgt. Als Amt verläßt er ihnen,
Zu predigen allen Völkern seine Lehre
Und seine Rettung, die, so an ihn glaubten,
Im nahen Flusse taufend, als ein Zeichen,
Daß sie von Sündenschuld zu reinem Leben
Gewaschen und bereit im Geist, wird es erfordert,
Zum Tode sei'n, den ihr Erlöser starb.
Sie lehren alle Völker; denn von da an
Wird nicht den Söhnen Abrahams allein
Das Heil gepredigt, nein, den Söhnen auch
Von seinem Glauben, wo auch in der Welt:
So sind gesegnet all' in seinem Samen.
Dann fährt er auf zum Himmel aller Himmel
Mit Siegsruhm, in der Luft ob seinen Feinden
Und deinen triumphirend; dort ergreift er
Die Schlange, Herrn der Luft, und schleppt in Ketten
Sie durch sein Reich und läßt sie dort vernichtet;
Zieht dann zur Herrlichkeit und nimmt den Sitz
Zur Rechten Gottes wieder ein, erhöht
Hoch über alle Namen in den Himmeln;
Kommt dann, ist reif die Welt zum Untergange,
Zu richten die Lebendigen und die Todten,
Die Todten, die ungläubig; doch zu lohnen
Die Gläubigen mit Seligkeit, sei's nun
In Himmel oder Erde, denn die Erde
Ist ganz dann Paradies, ein schönrer Ort,
Als dieses Eden, und voll schönrer Tage.«

So sprach der Engel und dann hielt er inne
Als an dem großen Zeitabschnitt der Welt;
Und unser Ahn sprach dann voll Freud' und Staunen:

»O Gnad', unendlich, unermeßlich groß!
Daß all dies Heil aus Ueblem soll hervorgehn,
Böses zu Gutem werden; wundervoller,
Als die im Anfang, schaffend, Licht erzeugte
Aus Finsterniß! Ich stehe voller Zweifel,
Ob ich bereun die Sünde soll, die ich
Gethan, bewirkt; ob mehr mich drüber freuen,
Daß viel mehr Gutes draus entspringen wird:
Für Gott mehr Ruhm, für Menschen mehr der Huld
Von Gott, weit mehr der Gnade als des Zornes.
Doch sprich, wenn der Erlöser wiederum
Zum Himmel steigt, was wird dann aus dem Häuflein
Der Gläub'gen unter der ungläub'gen Herde,
Der Wahrheit Feinden? Wer soll leiten dann
Sein Volk, wer schützen? Werden sie nicht schlimmer
Mit seinen Treuen als ihm selbst verfahren?«

»Sie werden's,« sprach der Engel; »doch vom Himmel
Wird er den Seinen einen Tröster senden,
Vom Vater ihm verheißen: seinen Geist.
Der wohnt daselbst, und das Gesetz des Glaubens,
Durch Liebe wirkend, schreibt ins Herz er ihnen:
In alle Wahrheit führ' er sie und waffne
Mit geistiger Rüstung sie, zu widerstehen
Dem Angriff Satans, seine Pfeile löschend.
Was Menschen ihnen anthun, schreckt sie nicht,
(Sei's auch der Tod), für solche Grausamkeiten,
Durch innerliche Tröstungen belohnt,
Und oft ertragend, was erstaunen macht
Die stolzesten Verfolger. Denn der Geist
Ergießt sich auf die Jünger erst und schickt sie,
Der Welt das Heil zu predigen; dann auf alle
Getauften, ihnen Wundergaben leihend,
Zu sprechen alle Sprachen, Wunder übend,
Wie's that der Herr vor ihnen. So gewinnen
Sie Viele jedes Volkes, aufzunehmen
Freudvoll des Himmels frohe Botschaft. Endlich,
Als wohl ihr Amt sie und den Lauf vollbracht,
Lehr' und Geschichte schriftlich hinterlassen:
Da sterben sie. Statt ihrer, wie sie warnten,
Erheben gierige Wölfe sich zu Lehrern,
Die all die himmlischen Geheimnisse
Zum eignen schnöden Vortheil der Gewinnsucht
Und Ehrsucht kehren, und die Wahrheit schänden
Durch Aberglauben und ererbtes Meinen,
Sie, die nur rein in jenen Schriften blieb,
Doch durch den Geist allein Erklärung findet.
Dann trachten sie nach Namen, Ehrenstellen
Und Titeln und dazu nach weltlicher
Gewalt, obgleich sich stellend, stets zu wirken
Durch geistige, sich selber Gottes Geist
Beilegend, der versprochen und verliehn
Ist allen Gläub'gen. Unter diesem Vorwand
Zwingt geistig Recht durch leibliche Gewalt
Jedwed Gewissen; Recht, das nicht in Schrift
Zurückgelassen ist, noch das der Geist
Ins Herz gegraben. Was denn wollen sie?
Der Gnade Geist, nebst deß Gefährtin Freiheit
Zwang anthun; was, als abzubrechen seine
Lebendigen Tempel, die der Glaube baut,
Ihr Glaube, keines Andern. Denn wer darf sich
Auf Erden, wider Glauben und Gewissen,
Untrüglich nennen? Dennoch thun es Viele.
Draus schreckliche Verfolgung wird entstehn
Ob allen, die im Geist und in der Wahrheit
Gott treulich dienen; doch dem größern Theil
Scheint der Religion durch Außenwesen
Und Prunk genügt; die Wahrheit flieht, besä't
Mit Lästerpfeilen, und des Glaubens Werke
Gewahrt man selten. Also geht die Welt,
Den Guten ungeneigt, den Schlechten günstig,
Von eigner Bürde seufzend, bis der Tag
Des Aufathmens erscheint für den Gerechten,
Dem Frevler der der Rache, bei der Rückkehr
Deß, der dir jüngst verheißen ward als Helfer,
Des Weibes Same, dunkel dir geweissagt,
Nun klarer dir bekannt als Herr und Heiland,
Zuletzt in Wolken kommend aus dem Himmel,
In Herrlichkeit des Vaters, zu vernichten
Satan nebst der verkehrten Welt; dann neu
Aus dem verbrannten Stoff, gereint, geläutert,
Zu schaffen Erd' und Himmel, ew'ge Zeiten,
Gebaut auf Sinn für Recht, auf Lieb' und Frieden,
Die zeugen Wonn' und ewige Seligkeit.«

Er schwieg und Adam sprach zum letzten Male:
»Wie bald durchmaß dein Wort, glücksel'ger Seher,
Die flüchtige Welt, den Lauf der Zeit, bis diese
Befestigt steht! Jenseits ist lauter Abgrund –
Die Ewigkeit, die nie ein Aug' ermißt.
Belehrt aufs beste scheid' ich nun von hier;
Beruhigt im Gedanken, da des Wissens
So viel mir ward, als dies Gefäß kann fassen;
Und thöricht wär's, nach Mehrerem zu streben.
Ich weiß hinfort: Das Beste ist gehorchen;
Ehrfurcht, voll Liebe gegen Gott; zu wandeln,
Als wär' er gegenwärtig; stets zu hoffen
Auf seine Vorsicht, ihm allein vertrauen,
Der aller seiner Werke sich erbarmt;
Durch Gutes Böses dämpft und durch Geringes
Großes ausrichtet; durch vermeintlich Schwaches
Das weltlich Starke stürzt und weltlich Weises
Durch einfach Mildes; daß, für Wahrheit dulden,
Sei Tapferkeit, zum höchsten Siege führend,
Und Tod für Gläubige des Lebens Pforte.
Dies lehrt deß Beispiel mich, den ich für meinen
Ewig gesegneten Heiland erkenne.«

Drauf der Erzengel so, auch endend, sprach:
»Dies wissend, hast der Weisheit Summe du
Erreicht; nichts Höhres hoff', ob du bei Namen
Auch alle Sterne kenntest, alle Kräfte
Des Aethers, die Geheimnisse der Tiefe,
Natur- und Gotteswerk', in Himmel, Luft
Und Erd' und Meer; dich freutest aller Schätze
Und aller Macht zusammt. Doch füg dem Wissen
Entsprechend Thaten bei, als Glauben, Tugend,
Geduld und Mäßigkeit und Lieb' – in Zukunft
Bezeichnet: Menschenliebe, sie, die Seele
Von allem Andern: dann wirst du nicht ungern
Das Parahies verlassen, wirst vielmehr
Ein seliger Paradies in dir besitzen.

Laß uns vom Gipfel der Beschauung nun
Heruntersteigen; die gesetzte Stunde
Mahnt uns, von hier zu scheiden. Sieh die Wachen,
Von mir auf jene Höh gelagert, harren
Des Aufbruchs, und das Flammenschwert vor ihnen,
Des Scheidens Zeichen, wogt in wilden Kreisen.
Nicht länger zögern wir; geh, wecke Eva.
Mit Träumen guter Vorbedeutung hab' ich
Auch sie gestillt und ihren Geist gestimmt
Zu sanfter Unterwerfung; theile du
Zu rechter Zeit ihr mit, was du vernommen,
Zumal, was nöthig ist zu ihrem Glauben
An die Erlösung, die der Menschheit soll
In Zukunft durch des Weibes Samen werden.
So lebt denn beid' – und zwar noch viele Tage –
Einträchtig Eines Glaubens, wenn auch traurig
Ob frühern Uebels; doch noch mehr erfreut
Durch den Gedanken an den seligen Ausgang.«

Er schloß. Und beide steigen von der Höhe.
Nun unten, eilt Adam voraus zur Laube,
Wo Eva schlief, doch fand er sie erwacht,
Ihn so mit ungetrübter Red' empfangend:

»Wohin du gingst, woher du kommst, ich weiß es;
Denn Gott wirkt auch im Schlaf und Träume mahnen.
Er sandte günstige mir, ein großes Heil
Weissagend, als von Sorg' und Herzensangst
Erschöpft, in Schlaf ich fiel. Nun führe mich;
Nicht Säumen fürchte; mit dir gehen heißt
Hier bleiben; ohne dich hier weilen heißt
Ungern weggehn von hier; du bist mir Alles,
Was unterm Himmel; jeder Ort bist du,
Den mein bewußt Vergehn von hier vertreibt.
Auch nehm' ich diesen sichern Trost von hier
Noch mit: mir, der Unwürdigen, die Alles
Verscherzte, widerfährt die Gunst, daß alles
Heil kommt durch mich in dem versprochnen Samen.«

So sprach die Mutter Eva. Wohlgefällig
Hört's Adam, doch er schweigt; denn schon zu nah
Steht der Erzengel, und vom andern Hügel
Zu ihrem Standort ziehn, Luftwesen gleich
Hingleitend auf dem Grund, in lichten Reihen
Die Cherubim, wie aufsteigt Abendnebel
Von einem Fluß und auf dem Moor hingleitet
Und dicht sich an des Landmanns Fersen hängt,
Der heimwärts geht. An ihrer Spitze schwebt
Das hochgeschwungne Gottesschwert vor ihnen,
Kometengleich, das nun mit glühnder Hitze,
Mit Dünsten, heiß wie Lybiens Luft, begann
Die milde Region zu sengen; drauf
Der Engel eilig das Urelternpaar,
Das zaudert, bei der Hand nahm und es stracks
Zum Ostthor hinführt, dann den Fels hinab
Zur Ebne drunter, und darnach verschwand.
Rückblickend, schaun die ganze Morgenseite
Vom Paradies, noch jüngst ihr Wonnesitz,
Sie, überwogt vom Flammenschwert, das Thor
Voll schrecklicher Gestalten, feur'ger Waffen.
Sie weinen ein Paar Thränen – bald sie trocknend;
Vor ihnen lag die Welt, sich drin zu wählen
Den Ruheplatz; die Vorsicht leitet sie.
So gehn sie, Hand in Hand, langsamen Schrittes
Durch Eden den einsamen Pfad dahin.

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Druck vom Bibliographischen Institut in Leipzig.


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