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Eilfter Gesang.

So standen flehend sie in tiefster Reue;
Denn von dem Gnadenthrone hatt' Erbarmen
Hernieder sich gelassen und entfernt
Der Herzen Härtigkeit und sie ersetzt
Durch neuerzeugtes Fleisch, das Seufzer ausstieß,
Unsagbare, die des Gebetes Geist
Einflößt' und schnellern Flugs, als Prunk der Rede,
Zum Himmel trug. Auch ihre Haltung war
Nicht die gemeiner Bitter, minder wichtig
Nicht ihr Gebet, als das von jenem Paare
Der alten Sag', und doch in jüngrer Vorzeit,
Deucalion und Pyrrha, die vor Themis'
Altare flehten, wiederherzustellen
Den flutertränkten Menschenstamm. Zum Himmel
Stieg ihr Gebet, das neidische Winde nicht
Verwehn, vereiteln. Durch das Himmelsthor
Eindrang es unbeschränkt; dann, eingehüllt
In Weihrauch von dem goldnen Rauchaltar,
Gelangt' es hin, durch ihren großen Mittler,
Bis vor des Vaters Thron, dem es der Sohn
Freudig darbot und sich verwendend sprach:

»Sieh, Vater, hier die erste Frucht, auf Erden
Entsprungen, deiner Gnad' im Menschen, diese Seufzer,
Dies Flehn, das ich, dein Priester, in dem goldnen
Rauchfaß, gemischt mit Weihrauch vor dich bringe,
Frucht deiner Saat, die ihm in's Herz du sätest
Mit Reue, lieblichern Geschmacks, als jene,
Die seine Hand durch Pflegung aller Bäume
Im Paradies gewann, eh von der Unschuld
Herab er sank. Drum neige jetzt dein Ohr
Dem Flehn, hör an die stummen Seufzer;
Er weiß mit Worten nicht zu beten, laß mich
Für ihn es deuten, mich, der für ihn spricht,
Ihn sühnt; all seine Thaten rechne mir,
Die guten wie die schlimmen, zu; erhöhen
Soll jene mein Verdienst, mein Tod die sühnen.
Nimm mich denn an, empfang' in mir von ihnen
Den Duft des Friedens mit dem Menschen; laß
Versöhnt ihn leben die gezählten Tage,
Wenn trüb auch, bis der Tod, sein Strafgericht,
Das ich zu mildern, nicht zu ändern, flehe,
Zum bessern Sein ihn bringt, wo dann bei mir
In Freud' und Wonn' all die Erlösten wohnen,
Mit mir vereint, wie ich mit dir es bin.«

Worauf der Vater, wolkenlos und heiter:
»Erwählter Sohn, die Bitte für den Menschen
Sei dir gewährt; sie war schon mein Beschluß.
Doch längern Aufenthalt im Paradiese
Verbietet ihm ja mein Naturgesetz.
Die reinen, ew'gen Stoffe, die nicht grobe,
Nicht unharmonische, schlechte Mischung leiden:
Sie stoßen ihn, den nun Befleckten, aus
Als eine Krankheit in gleich dicke Luft,
Zu grober Kost, die ihn am besten eignet
Für Auflösung, durch Sünd' erwirkt, die erst
Alles entstellt und Alles Unverdorbne
Verderbt. Als ich ihn schuf, gab ich zugleich
Zwei schöne Gaben zum Geschenk ihm: Glück,
Unsterblichkeit. Thöricht verlor die ein' er,
Die andre würde nur sein Weh verew'gen,
Rief ich dem Tode nicht. So wird der Tod
Heilmittel ihm zuletzt, und nach dem Leben,
Geprüft durch herbe Trübsal und geläutert
Durch Glauben und sein Thun zum zweiten Leben,
Erweckt zur Auferstehung der Gerechten,
Wird er mit Erd' und Himmel dann erneut.
Doch laß uns all die Seligen versammeln
Im weiten Himmelsraum; ich will nicht bergen
Mein Urtheil, mein Verfahren mit den Menschen,
Wie an den sündigen Engeln jüngst sie's sahn,
Daß sie, zwar fest schon, doch noch fester stehn.«

Er schloß. Der Sohn gab das erhabne Zeichen
Dem lichten Diener, welcher wacht'; er stieß
In die Posaune, die vielleicht auf Horeb
Erklang, als Gott herabstieg, und vielleicht
Am jüngsten Tag ertönt. Des Engels Blasen
Scholl durch die Räum' all. Aus des Glückes Lauben,
Aus Amaranthenschatten, von der Quelle,
Dem Born der Lebenswasser, wo in freud'ger
Genossenschaft sie saßen, eilten nun
Des Lichtes Söhn' auf den Befehl herbei,
Die Sitz' erfüllend, bis vom höchsten Throne
Die Allmacht so kundgab den hehren Willen:

»Der Mensch ward unser Einem gleich ihr Söhne,
Das Gut' und Böse kennend, seit er aß
Von der verbotnen Frucht; er rühme sich
Der Kenntniß nur des Guten und des Bösen;
Doch besser wär's, hätt' ihm des Guten Kenntniß
An sich genügt, des Bösen stets gefehlt.
Er härmt sich nun, bereut und fleht zerknirscht,
Wie ich's in ihn gelegt; doch länger kenn' ich,
Als dieses wirkt, sein Herz, wie eitel, schwankend,
Sich überlassen. Drum, daß kühner nicht,
Er auch vom Lebensbaume pflück' und esse,
Und ewig lebe, mindstens träum', er werde
Stets leben, ist mein Schluß, ihn aus dem Garten
Zu senden, daß den Boden, draus er stammt,
Und der ihm besser ziemet, er bebaue.

Michaël, dies mein Geheiß sei dir befohlen:
Nimm zu dir aus der Schaar der Cherubim
Der Krieger beste, daß der Feind uns nicht,
Sei's zum Behuf des Menschen, sei's Besitz,
Der ledig, einzunehmen, neu befehde.
Sei eilig, und vom Gottesparadiese
Treib' ohne Mitleid aus das sündige Paar,
Aus heiligem Ort Unheilige, und verkünde
Ihnen und ihrem Stamm von dorten ew'ge
Verbannung. Doch damit sie bei dem traur'gen,
So streng vollzognen Urtheil nicht vergehn,
So meide, da ich sie erweicht, mit Thränen
Den Fehl bereuend, seh, jedweden Schrecken.
Wenn sie geduldig dem Befehl gehorchen,
Entlaß sie ungetröstet nicht; enthülle,
Was in Zukunft geschehen soll, dem Adam,
Wozu ich dich erleuchten werd'; erwähne
Des Bunds auch mit des Weibs erneutem Samen.
So schick sie, traurend, doch in Frieden, fort.
Und an des Gartens Morgenseit', allwo sich
Zugang von Eden aus am leichtsten bietet,
Stell eine Cherubshut, das Flammenschwert
Weit schwingend, fern zu scheuchen jedes Nahn,
Zum Lebensbaum den Zutritt zu verwehren;
Damit das Paradies nicht schnöden Geistern
Zur Zuflucht dien' und meine Bäum' als Raub,
Noch mehr den Menschen mit der Frucht zu täuschen.

Er schwieg, und der Erzengel schickt sich an
Zur schnellen Niederfahrt mit der Cohorte
Wachsamer Cherubim. Ein Jeder hatte,
Ein Doppel-Janus, vier Antlitz'; die ganze
Gestalt voll Augen, mehr an Zahl, als jene
Des Argus, zu wachsam, um einzuschlafen
Beim Tone des arcadischen Hirtenrohrs,
Vom Zauberstab des Hermes. Mittlerweil'
Erwacht Leucothea, mit heil'gem Licht
Und frischem Balsamthau die Welt zu grüßen,
Als Adam und Eva, das erste Weib,
Da ihr Gebet beendet, Stärke fanden,
Verliehn von oben; Hoffnung, die Verzweiflung
Verdrängt, und Freude, doch mit Furcht gemischt,
Erneuet Even dies willkommne Wort:

»Leicht glaub' ich, Eva, daß uns all das Gute,
Deß wir uns freun, herab vom Himmel kommt.
Doch daß von uns etwas gen Himmel steigt,
So wirksam, daß sich das Gemüth des Höchsten
Drum kümmre, daß es seinen Willen ändre,
Scheint schwer zu glauben; doch Gebet vermag's,
Ein kurzer Seufzer aus der Menschenbrust,
Vor Gottes Thron gebracht. Denn seit ich suchte
Durch Flehn den Zorn der Gottheit zu besänft'gen
Und vor ihr auf den Knie'n mein Herz ihr beugte:
Schien mir's, ich säh versöhnlich sie und gütig
Ihr Ohr mir neigen; in mir wuchs das Zutraun,
Daß man mich gnädig höre; Frieden kehrte
Zurück in meine Brust und des Verheißnen
Gedacht' ich, daß den Feind zertritt dein Same.
Deß dacht' im Schmerz ich nicht, doch jetzt bezeugt mir's:
Des Todes Bitterkeit sei nun vorüber;
Wir sollen leben. Heil drum, Eva, dir,
Mit Recht genannt die Mutter aller Menschen
Und alles Lebenden, da ja durch dich
Der Mensch und für ihn Alles leben soll.«

Drauf Eva so mit sanft betrübter Miene:
»Wie wenig würdig bin ich solchen Namens,
Ich Sünderin, die, zur Gehülfin dir
Bestimmt, dein Fallstrick ward; Vorwürfe eher
Gebühren mir, Mißtraun und höchster Tadel.
Mein Richter ist an Gnade grenzenlos,
Daß mich, die Allen Tod gebracht, man würdigt,
Des Lebens Quell zu sein. Gleich gütig bist
Auch du, giebst du den hohen Namen mir,
Der ein weit andrer ziemt. Doch ruft das Feld
Zur Arbeit uns, mit Schweiß nun auferlegt,
War schlaflos gleich die Nacht; denn sieh, der Morgen,
Achtlos ob unsrer Müdigkeit, beginnt
Den rosigen Gang mit Lächeln. Gehen wir;
Nie weich' ich fürder mehr von deiner Seite,
Wo auch das Tagwerk ist, als mühsam jetzt
Uns auferlegt, bis Abend. Was wär' drückend,
So lang auf dieser schönen Flur wir wohnen?
Hier laß uns als Gefallne friedvoll leben.«

So wünschend sprach demüthig Eva; doch
Das Schicksal stimmt nicht ein; und die Natur
Gab's kund an Vogel, Thier und Luft, die plötzlich
Sich schwärzt nach kurzem Morgenroth. Vor ihnen
Schießt nah der Vogel Jovis aus der Luft
Und jagt zwei Vögel buntesten Gefieders.
Von einer Höh verfolgt der Waldbeherrscher,
Der erste Jäger jetzt, ein edles Paar,
Hindin und Hirsch, das reizendste des Forstes;
Grad nach dem Ostthor hin ging ihre Flucht.
Adam gewahrt's und, mit dem Blicke folgend,
Sprach er nicht ungerührt zu Eva so:

»O Eva, fernrer Wechsel droht uns noch,
Den durch die Zeichen uns der Himmel kündet,
Vorboten seines Zwecks; auch wohl zu warnen,
Daß wir zu sicher nicht auf den Erlaß
Der Strafe baun, da kurze Frist vom Tod
Uns ward. Wie lang und wie dann unser Leben?
Wer weiß denn mehr als das, daß Staub wir sind,
Und dahin kehren, und dann nicht mehr leben?
Wozu dies zwiefache Ereigniß sonst
Verfolgter Flüchtling' in der Luft, am Boden,
Im selben Augenblick? Wozu im Osten
Vor Mittag Finsterniß und Morgenlicht
An jener Wolk' im Westen, die am Blau
Des Himmels dort ein strahlend Weiß hinzieht
Und langsam sinkt, mit Himmlischem befrachtet?«

Er irrte nicht, denn aus des Himmels Jaspis
Ließ sich auf ihr die Himmelsschaar hernieder
In's Paradies und hielt an einem Hügel:
Wohl hehre Schau, hätt' Adam Zweifel nicht
Und Fleischesfurcht für jetzt den Blick verdüstert.
Nicht Hehrers sah Jacob in Mahanaim,
Als er die Engel traf, und das Gefild
Ganz voll erblickte von den lichten Wächtern;
Noch das, was auf dem Flammenberg sich zeigte
In Dothan, ganz erfüllt vom Feuerlager,
Als Syriens König, der, um Einen Mann
Nach Meuchelmörderart zu überraschen,
Unangesagt in's Feld zog. Seine Engel
Ließ dort der Himmelsfürst im Glanz sich reihen,
Den Garten zu besetzen; er allein
Nahm seinen Weg nach Adams Laube hin,
Nicht unbemerkt von diesem, der zu Even,
Indeß der Engel näher kam, so sprach:

»Erwarte wichtige Nachricht, die vielleicht
Bald über uns bestimmt, uns auferlegt,
Welch neu Gesetz zu halten; denn ich sehe
In jener lichten Wolk' am fernen Hügel
Der Himmelsschaaren Einen, nach dem Gange
Nicht der Geringsten, nein, der großen Fürsten,
Vielleicht der Thronen – solche Majestät
Zeigt an sein Kommen; doch erschreckend nicht,
Daß ich mich fürchtete; noch freundlich sanft,
Wie Raphaël, daß mich Vertraun erfüllte,
Nein, hehr und feierlich. Nicht zu beleid'gen,
Muß ich mit Ehrfurcht nahn; geh du beiseit.«

Er sprach's, und der Erzengel kam bald näher;
Nicht in der Himmelsbildung, nein, gekleidet
Als Mensch für Menschen. Ueber seine helle
Rüstung floß hin ein Kriegsgewand von Purpur,
Lebhafter als der Meliböer war
Und Sarras, den in Friedenszeiten Fürsten
Und Helden trugen; Iris schuf die Farbe.
Sein offner Helm zeigt' ihn im Blüthenalter
Der Mannheit, wo die Jugend schließt. Zur Seite
Hing im besternten Gürtel ihm das Schwert,
Satans Schreckniß; es hielt die Hand den Speer.
Tief beugt sich Adam; er, in Königswürde,
Verneigt sich nicht, erklärt nur so sein Kommen:

»Befehl des Höchsten braucht des Vorworts nicht:
Gnug, daß dein Flehn erhört ist, und der Tod,
Dem du durch Spruch verfallen, als du fehltest,
Geht nun des Raubs verlustig viele Tage,
So Huld dir schenkt, worin bereun du magst
Und eine schlimme That mit vielen guten
Bedecken; wohl mag dann dein Herr versöhnt
Dich von des Todes Beutanspruch erlösen.
Doch länger nicht im Paradies zu weilen
Ist dir erlaubt; dich zu entfernen komm' ich,
Und schicke dich aus Eden fort, den Boden,
Woraus du stammst, als passendern zu baun.«

Er schwieg. Denn Adam starrte, herzgetroffen
Vom kalten Griff des Schrecks, der alle Sinn'
Ihm lähmte bei der Kund'. Auch Eva,
Die Alles unsichtbar gehört, verrieth sogleich
Den Ort, der sie verbarg, durch lautes Klagen:

»O ungeahnter Schlag, schwerer als Tod!
Muß ich dich meiden, Paradies, verlassen
Dich Heimat, diese seligen Gäng' und Schatten,
Ein Ort für Götter? wo, wenn auch in Trauer,
Ich ruhig doch die Frist bis zu dem Tage
Von unserm Tode zuzubringen hoffte.
Ihr Blumen, die ihr nirgend sonst gedeiht,
Die ich frühmorgens und zuletzt noch abends
Besucht' und aufzog mit besorgter Hand,
Vom ersten Oeffnen eurer Knosp', und Namen
Euch gab, wer kehrt euch nun zur Sonne, tränkt
Euch mit Ambrosiaflut, reiht euch nach Arten?
Wie endlich, Hochzeitlaube, du, von mir
Geschmückt mit Süßem für Geruch und Auge,
Scheid' ich von dir, und wo hinab nun wandern
Zur niedrern Welt, die gegen diese düster
Und wild? Wie athmen wir in andrer Luft,
Die minder rein, gewöhnt an ew'ge Früchte?«

Drauf so der Engel mild sie unterbrach:
»Klag, Eva, nicht; nein, gieb geduldig auf,
Was du mit Recht verlorst; es hänge nicht
Dein Herz zu sehr an dem, was dein nicht ist.
Du gehst nicht einsam fort; es geht mit dir
Dein Mann; du bist verpflichtet, ihm zu folgen;
Wo er weilt, halte das für Heimatboden.«

Adam, hierdurch sich von dem starren Schreck
Erholend, sprach mit rückgekehrtem Geiste
Das demuthsvolle Wort zu Michaël:

»O Himmlischer, seist du der Thronen Einer,
Vielleicht ihr Höchster, denn als Fürst der Fürsten
Zeigt dich die Bildung: mild hast du die Botschaft
Berichtet, die im Kundthun sonst verwundet
Und im Vollzug uns leicht vernichtet hätte.
Was unsre Schwäche sonst an Leid, Verzweiflung
Und Jammer tragen kann, bringt uns dein Auftrag:
Trennung von diesem sel'gen Sitz, dem süßen
Wohnort, dem einzigen, der unsern Augen
Noch übrig und vertraut; all andre Plätze
Erscheinen uns ungastlich und verödet;
Sie kennen uns, wir sie nicht. Könnt' ich hoffen,
Den Willen deß, der Alles kann, zu ändern
Durch unaufhörliches Gebet, nie hört' ich auf,
Ihn durch inständiges Bitten zu ermüden.
Doch Flehn, das seinem Rathschluß widerspricht,
Vermag nicht mehr, als Athem gegen Wind,
Der ihn zurückbläst gegen den, der haucht;
Drum unterwerf' ich mich dem großen Schlusse.
Am meisten schmerzt mich, wenn von hier ich scheide,
Sein Antlitz nicht zu sehn, beraubt zu sein
Des Segensanblicks. Hier könnt' ich voll Andacht
Besuchen Ort um Ort, wo er sein göttlich
Nahn mir vergönnt', und meinen Söhnen sagen:
Auf diesem Hügel, unter diesem Baume
Stand er sichtbar, bei diesen Tannen hört' ich
Die Stimm' und sprach mit ihm an dieser Quelle.
Wie manchen Altar würd', ihm angenehm,
Aus Rasen ich erbaun und aus dem Bach
Manch Glanzgestein aufschichten, zur Erinnrung,
Als Denkmal künftigen Zeiten, und darauf
Süßduftend Harz und Frücht' und Blumen opfern.
In jener niedern Welt, wo soll ich suchen
Sein licht Erscheinen, seines Fußes Spur?
Denn floh ich seinen Zorn auch, seh' ich nun,
Zu längerm Leben und verheißner Nachkunft
Begnadigt, froh schon seiner Glorie Saum,
Und bete schon von fern an seine Schritte.«

Drauf Michaël mit gütigem Blick versetzte:
»Adam, du weißt ja, sein ist Erd' und Himmel,
Nicht dieser Felsen nur; allgegenwärtig,
Erfüllt er Land, Meer, Luft und alles Leben,
Das er durch seine Wirkenskraft erhält.
Die ganze Erd', ein nicht gering Geschenk,
Gab er dir zum Besitz, zur Herrschaft; denke
Drum seine Gegenwart nicht eingeschränkt
Auf's Paradies und Eden. Dieses war
Vielleicht dein Hauptsitz, von wo aus sich alle
Geschlechter breiteten und hieher kamen
Von jedem Strich der Erde, dich zu feiern
Und zu verehren, als den großen Ahn.
Doch dieser Vorzug schwand; auf ebnen Boden
Gebracht, wohnst du mit deinen Söhnen da.
Doch zweifle nicht, daß auch in Thal und Ebne
Gott ist wie hier; er läßt gleich gegenwärtig
Sich finden, und von seiner Gegenwart
Folgt dir manch Merkmal und umgiebt dich stets
Mit Güt' und Vaterlieb' und offenbart
Sein Antlitz und der Schritte hehre Spur.
Damit du dieses glaubst und dies dich stärke,
Noch eh du scheidest, wiß, ich bin gesandt,
Dir, was in Zukunft dir und deinem Stamm
Begegnen wird, zu zeigen; sei gefaßt
Auf Gut und Bös, wie höhre Gnade kämpft
Mit menschlicher Sündhaftigkeit, zu lernen
Wahre Geduld, und Lust durch Furcht zu mildern,
Und fromme Reu, gleich sehr gewöhnt, zu tragen
Durch Mäßigung den guten wie den schlimmen
Zustand des Daseins. So führst du dein Leben
Am sichersten und bestens vorbereitet,
Den Tod zu dulden, wenn er kommt. Besteige
Den Hügel; Eva laß (ich schloß ihr Auge)
Hier unten ruhn, indeß du Zukunft schaust,
Wie du einst schliefst, als sich ihr Leben formte.«

Worauf nun Adam dankbar dies versetzte:
»Steig auf! dem Pfade, sichrer Führer, folg' ich,
Den du mich führst. Ich unterwerfe mich
Der Hand des Himmels, wie sie straft; dem Uebel
Biet' ich die Brust, mich waffnend, selbst durch Leiden
Zu siegen und durch Arbeit Ruh zu ernten,
Wird sie mir so.« – Nun stiegen beid' empor
Zu göttlich hohem Schaun. Es war ein Berg,
Der höchst' im Paradies, von dessen Gipfel
Der Erde Hälft', in klarstem Kreis sich dehnend,
Im weitesten Umfang des Blickes lag.
Nicht höher, weitumschaunder war der Berg,
Drauf der Versucher führt', aus anderm Grunde,
Den zweiten Adam in die Wüst', ihm zeigend
Der Erde Reich' und ihre Herrlichkeiten.
Sein Blick reicht hin, wo jemals eine Stadt
Alten und neuern Ruhmes stand, der Sitz
Machtvollster Reiche, von den künft'gen Mauern
Von Cambalu, dem Sitz des Tartarchans,
Und Samarcand am Oxus, Timur's Thron,
Bis Peking, China's Königen eigen; dann
Bis Agra und Lahor des großen Moguls,
Zum goldnen Chersones hinab, und wo
Saß in Ecbatana der Perser, später
In Ispahan, und wo der Czar der Russen
In Moskau, und der Sultan in Byzanz,
Aus Turkestan entstammt. Sein Aug' erkannte
Des Negus Reich bis hin zum letzten Hafen
Ercoco und die kleinern Küstenreiche,
Mombaza und Quiloa und Melinde,
Und Sofala, für Ophir geltend, bis
Nach Congo und Angola, fernsten Südens;
Vom Nigerfluß dann bis zum Atlasberge
Die Reiche von Almansor, Fez und Suez,
Marocco und Algier und Tremisen;
Europa dann, wo Rom beherrschen sollte
Die Welt. Den Sitz des Montezuma sah
Vielleicht er auch, das reiche Mejico,
Und Cuzco in Peru, den reichern Sitz
Atabalipa's und, noch ungeplündert,
Guiana, dessen Hauptstadt Eldorado
Die Spanier nennen. Doch für edlern Anblick
Nimmt von den Augen Michaël ihm die Hülle,
So jene Frucht erzeugt, die hellern Blick
Versprach; mit Augentrost und Raute reinigt
Er dann den Sehnerv, denn viel gab's zu schaun,
Und flößt darein vom Lebensquell drei Tropfen.
So tief drang ein die Kraft von diesen Stoffen,
Selbst bis zum Sitz des geistigen Gesichts,
Daß er gezwungen war, das Aug' zu schließen,
Und hinsank, ganz verzückt in allen Sinnen.
Doch sanft hob an der Hand ihn auf der Engel
Und mahnt' ihn, aufzumerken solcher Art:

»Thu' auf dein Aug', Adam, und schau zunächst
Die Wirkungen der ersten Sund' in Ein'gen
Von deinem Ursprung, die doch nie den Baum
Berührt, noch mit der Schlange sich verbunden,
Noch deinen Fehl gefehlt, und doch ererbt
Die Ansteckung zu noch weit schlimmern Thaten.«

Er schlug die Augen auf und sah ein Feld,
Zum Theil gepflügt, mit frischer Garben Ernte;
Schafhürden in dem andern Theil und Triften;
Inmitten stand als Grenzstein ein Altar,
Ländlich erhöht aus Rasen. Dorthin brachte
Alsbald voll Schweiß ein Schnitter seiner Frücht'
Erstlinge, grüne Aehren, gelbe Garben,
Wie sie zur Hand ihm kamen. Dann ein Schäfer,
Weit sanfter, kam mit seiner Herd' Erstlingen,
Den ausgewähltesten. Drauf legt' er opfernd
So Eingeweid' als Fett, bestreut mir Weihrauch,
Auf Scheitern, jeglichen Gebrauch verrichtend.
Sein Opfer ward vom Himmel gnädig bald
Verzehrt mit schneller Glut und süßem Rauche;
Des Andern nicht, da's nicht aufrichtig war.
Drauf dieser Rache kocht, und wie sie sprechen,
Traf er in's Zwerchfell ihm mit einem Stein,
Daß leblos er hinsank und todesblaß,
Und stöhnend mit dem Blut die Seel' ausströmte.
Als er dies sah, traf Adam großer Schreck,
Und eilig rief er so dem Engel zu:

»O Lehrer, es befiel ein großes Unglück
Den sanften Mann, der opferte so fromm.
Wird Frömmigkeit und Andacht so belohnt?«

Drauf, auch bewegt, erwiedert Michaël:
»Die Zwei sind Brüder, Adam, deine Lenden
Erzeugen sie; der Schlimm' erschlug den Guten
Aus Neid, daß seines Bruders Opfer Gnade
Vor Gott gefunden; doch die blut'ge That,
Sie wird gerächt, und der erprobten Treue
Fehlt nicht ihr Lohn; siehst gleich du hier ihn sterben
Von Blut und Staub entstellt.« – Drauf unser Ahn:

»Weh ob der That und ob des Grunds! doch hab' ich
Hier nun den Tod gesehn? Ist dies der Weg
Zurück zum Staub, aus dem ich ward? O Anblick
Des Schreckens, schnöd und gräßlich anzuschaun,
Furchtbar zu denken, schrecklicher zu fühlen!«

Drauf Michaël so: »Du sahst die erste Art
Des Tods am Menschen; doch viel Arten giebt's,
Viel Wege, die zu seiner grausen Höhle
Hinführen, alle schrecklich; doch dem Sinn
Weit schrecklicher am Eingang als im Innern.
Viel sterben, wie du's sahest, durch Gewalt,
Durch Feuer, Hunger, Flut; mehr noch durch Unmaß
In Speis' und Trank, was auf der Welt erzeugt
Furchtbare Uebel, deren jetzt ein Schwarm
Vor dir erscheinen soll, daß du erkennest,
Welch Elend Eva's Unenthaltsamkeit
Bringt auf die Menschheit.« – Plötzlich zeigt ein Raum
Sich seinem Blick, trübselig, ekel, dunkel;
Es schien ein Krankenhaus; darinnen lagen
Unzählige Sieche; alle Krankheiten
Von grimmem Krampf, des Reckens Folter, Pein
Herzkranker Todesangst, der Fieber Rotte,
Zuckungen, Fallsucht, hitzigen Steckflüssen,
Leibgicht, der Eingeweide Stein und Krebs,
Des Wahnsinns Toben, Schwermuth, brütender,
Mondsüchtiger Tollheit, Schwindsucht, die verzehrt,
Ausdörrung, weitverstreuter Pestilenz,
Brustkeuchen, Wassersucht und Gliederreißen.
Arg war das Wälzen, tief das Seufzen; eilig
Von Bett zu Bett ging Wärterin Verzweiflung,
Und jubelnd zückt der Tod den Pfeil ob ihnen,
Doch zögert mit dem Stoß, wie oft man auch
Drum fleht, als höchstes Gut und letzte Hoffnung.
Welch Felsenherz säh wohl den Schreckensanblick
Mit trocknem Aug'? Adam vermocht's nicht, weinte,
Obgleich nicht weibgeboren; Mitleid schmelzte
Der Mannheit Kern in ihm, daß lang er weinte,
Bis festrer Sinn das Uebermaß verwehrt;
Und sich erholend kaum, klagt' er auf's neu:

»Elende Menschheit, welchem Loos verfallen,
Für welchen Unglückszustand aufbewahrt!
Lieber nicht erst entstehn. Wozu das Leben,
Wird's so uns abgerungen? Nein, warum
Wird's aufgedrungen erst? Wer, wenn er wüßte,
Was wir empfahn, lehnt' ab die Gabe nicht,
Oder er bäte bald, sie wegzulegen,
Froh, daß man friedlich ihn entläßt. Kann so
Das Bild von Gott, im Menschen einst erschaffen,
So herrlich, aufrecht, zwar seitdem gefallen,
Zu solchem Leiden denn erniedrigt werden
Durch unmenschliche Qual? Warum denn darf
Der Mensch, zum Theil noch Gottes Bild behaltend,
Nicht frei von solcherlei Entstellung sein,
Schon um des Ebenbilds des Schöpfers willen?«

»Des Schöpfers Ebenbild verließ ihn da«,
Sprach Michaël, »als so er sich entwürdigt,
Zaumloser Lust zu dienen, und das Bildniß
Des groben Lasters annahm, dem er diente,
Was auch der Hauptquell war von Evens Fehl.
Drum ist auch so abschreckend ihre Strafe,
Und schändet Gottes Bild nicht, nur das eigne,
Und wenn auch seins, geschieht es doch durch sie,
Weil der Natur Heilsregeln sich verkehrten
In ekle Krankheit, wie sie es verdienten,
Da Gottes Bildniß sie in sich nicht ehrten.«

»Recht heiß ich's und bescheide mich«, sprach Adam.
»Doch gäb' es außer diesen Schmerzenspfaden
Nicht andre noch, zum Tode zu gelangen
Und uns zum Staub zu mischen, draus wir stammen?«

»So ist's«, sprach Michaël; »beachtest du
Die Regel: nicht zu viel! – die Mäßigkeit
Dich lehrt in Speis' und Trank, darin nur suchend
Die nöthige Nahrung, doch nicht Völlerei,
Bis viele Jahr' ob deinem Haupt entflohen:
So lebst du, bis als reife Frucht du selbst
In deiner Mutter Schooß fällst oder sanft,
Nicht rauh gepflückt, man todesreif dich sammelt.
Das ist das Alter. Doch du überlebst dann
Die Jugend, Stärk' und Schönheit, die sich wandeln
In Welkheit, Schwäch' und Grau; die stumpfen Sinne
Verlieren alle Lust an jeder Freude,
Die dir noch blieb, und statt des Jugendmuthes
Voll heitrer Hoffnung wird im Blut dir herrschen
Ein kalter, trockner, schwermuthsvoller Sinn,
Der niederdrückt den Geist und der zuletzt
Den Lebensbalsam aufzehrt.« – Drauf der Ahn:

»Ich flieh hinfort den Tod nicht, noch verlängr' ich
Das Leben sehr, vielmehr geneigt, aufs beste
Und leichtste dieser Last mich zu entled'gen,
Die bis zum Tag, bestimmt, sie abzulegen,
Ich tragen muß, und will geduldig warten
Der Auflösung.« – Michaël antwortete:

»Dein Leben liebe nicht, noch hass' es; aber
Leb' es nur recht; Gott stell' anheim die Dauer.
Und nun bereite dich für andern Anblick.«

Er schaut' und sah auf einer großen Ebne
Vielfarbige Zelte. Herden weideten
Bei diesen hier; aus andern kam der Schall
Von Instrumenten mit melodischem Tone,
Von Harf und Orgel, und man sahe den,
Der Griff' und Saiten rührte; schnellen Fingers
Flog er durch alle Töne, hoch und tief,
Der wiederhallnden Fug' im Wenden folgend.
Dort stand ein Mann, der, in der Schmied' arbeitend,
Zwei schwere Klumpen Eisen schmolz und Erz;
(Fand er sie nun, wo ein zufällig Feuer
Den Wald auf Bergen wie im Thal verwüstet
Bis zu der Erde Adern, die nun glühend
In eine Höhlung flossen, oder wusch
Ein Strom sie aus dem Grund). Das flüss'ge Erz
Goß er in fertige Formen, draus er schuf
Sein eigen Werkzeug erst; dann was noch sonst
Sich in Metall ließ gießen oder graben.
Drauf, doch von andrer Seite, stieg ein Volk
Her von den Nachbarhöhen, ihren Sitzen,
Zur Ebne nieder. Ihrem Ansehn nach
Sind sie gerecht, beflissen ganz und gar,
Gott recht zu dienen, seine klaren Werke
Zu kennen, und zumal das, was den Menschen
Freiheit und Frieden wahrt. Nicht lange gingen
Sie auf der Flur, als aus den Zelten – siehe! –
Tritt schöner Frauen Schaar, in reichen, bunten
Gewanden voller Schmuck; zur Harfe sangen
Sie sanftes Liebeslied, von Tanz begleitet.
Die Männer, ernst zwar, weideten die Augen
Nach Lust an ihnen, bis, im Liebesnetz
Gefangen, jeder nimmt, die ihm gefällt.
Von Liebe tönt's nun, bis der Abendstern,
Der Liebe Bot', erscheint. Entflammt wird eifrig
Die Hochzeitfackel, und sie heißen Hymen
Anrufen, jetzt zuerst bei solchem Brauch:
Musik und Festgelag schallt aus den Zelten. –
So fröhlicher Verein und schönes Ende
Von Lieb' und Jugend, Blumen, Sang und Kränzen
Und süßen Klängen lockten Adams Herz,
Dem Hange der Natur nach, bald geneigt,
Der Lust zu fröhnen, was er so bezeugte:

»Der Augen wahrer Oeffner, sel'ger Engel:
Viel besser scheint mir dies Gesicht; mehr Hoffnung
Verspricht's friedvoller Tag', als die zwei andern.
Die zeigten Tod und Haß und schlimmre Pein;
Hier scheint Natur erfüllt in ihren Zwecken.«

Drauf Michaël: »Das Beste schätze nicht
Nach Lust, scheint sie auch der Natur gemäß,
Du, der geschaffen zu weit edlerm Zwecke,
Heilig und rein, ein göttlich Ebenbild.
Die heitern Zelte dort – Ruchlosigkeit
Erfüllte sie; darin wohnt einst der Stamm
Deß, der den Bruder schlug. Sie zeigen eifrig,
Erfindsam sich in Kunst zur Lebenszier,
Vergessend ihres Schöpfers, dessen Geist
Sie lehrte, doch sie leugnen seine Gaben.
Indeß erzeugen sie ein schön Geschlecht.
Du sahst die Schaar der schönen Frauen, ähnlich
Göttinnen, so vergnügt, so sanft, so heiter,
Doch leer an allem Guten, drin des Weibes
Häuslicher Ruhm und Hauptvorzug besteht;
Erzogen nur, gebildet zum Genuß
Der Sinnenlust, zu Tanz, Gesang und Putz,
Zum Zungenwirbeln und zum Augenrollen.
Für sie nun giebt der wackre Stamm von Männern,
So Frömmigkeit zu Söhnen Gottes machte,
Unedel alle Tugend, allen Ruhm,
Für diese schönen Gottesleugnerinnen
Dahin und schwimmt in Freuden jetzt, der bald
Genugsam schwimmen wird, und lacht, wofür
Die Welt bald eine Welt von Thränen weint.«

Drauf Adam sprach, der kurzen Lust beraubt:
»O Leid und Schmach, daß sie, die recht zu leben
So schön begannen, auf unrechte Wege
Zur Seite gehn, theils halben Wegs erliegen!
Doch seh' ich wohl, des Menschen Unglück hält
Stets gleichen Gang ein und entspringt vom Weibe.« –
»Nein, von des Mannes weib'scher Schwäch' entspringt's,«
Sprach Michaël; »denn mehr begabt und weise,
Sollt' er weit besser seinen Platz behaupten.
Doch nun bereite dich für andre Schau.«

Er schaut' und sah ein weites Land vor sich
Gebreitet, Stadt' und Meierei'n dazwischen,
Die Städte hatten hohe Thor' und Thürme;
Tumult der Waffen, kriegrisch drohnde Mienen,
Starkknochige Riesen kühnen Unternehmens.
Die schwingen Waffen, diese lenken Rosse
Voll Schaums, bald einzeln, bald in Schlachtordnung,
Zu Pferd, zu Fuß; kein eitles Mustern war's.
Vom Zug nach Nahrung treibt dort eine Bande
Die Rinderherde, schöne Stier' und Kühe,
Von fetter Trift; dort woll'ge Schaf', als Beute,
Die Mütter sammt den Lämmern, durch die Ebne;
Die Hirten retten kaum durch Fliehn das Leben,
Schrei'n Hülf', und es erhebt sich blutiger Straus.
In furchtbarm Angriff treffen sich die Schaaren;
Wo Vieh jüngst weidete, liegt nun mit Leichen
Bestreut und Waffen das blutvolle Feld,
Verwüstet. Andre halten eine Festung
Belagert; Wurfzeug, Leitern, Minen machen
Den Angriff; andre wehren von der Mauer
Ihn ab mit Pfeil und Speer, mit Stein und Feuer;
Von jedem Theil Gemetzel, Riesenthaten.
Wo anders rufen Herolde, besceptert,
Zum Rath im Thor der Stadt. Sogleich versammeln
Grauhäuptige, ernste Männer sich, nebst Kriegern,
Und Reden hört man, aber bald im Sinne
Des Kampfes der Parteien, bis zuletzt
Ein Mann von mittlerm Alter sich erhebend,
In weiser Haltung, viel von Recht und Unrecht,
Gerechtigkeit, Frommsein, Wahrheit und Frieden
Und göttlichem Gerichte spricht; doch höhnt
Ihn Alt und Jung und hätte Hand an ihn
Gelegt, hätt' eine Wolk' ihn aus der Menge
Nicht ungesehn entführt. So stieg Gewalt
Und Unterdrückung und das Recht des Schwerts
Dort auf der Ebn' und nirgends gab es Zuflucht.
Adam zerfloß in Thränen, und zum Führer
Wandt' er sich traurig klagend: »Wer sind diese?
Des Todes Schergen, Menschen nicht, die so
Entmenscht mit Menschen umgehn und vermehren
Zehntausendfach die Sünde deß, der schlug
Den Bruder. Denn an wem begehn den Mord sie,
Als an den Brüdern, Menschen an den Menschen?
Doch wer war der gerechte Mann, der dort
Verloren war, entrückt' ihn nicht der Himmel?«

Drauf Michaël: »Sie sind die Frucht von jenen
So schlecht geschloßnen Ehen, die du sahst.
Wo Gut und Bös sich paart – scheu'n sie sich auch,
Sich zu verbinden – und vereint sie Thorheit:
Entstehen Ungeheu'r an Leib und Geist.
So diese Riesen, hochberühmte Menschen;
Denn in der Zeit bewundert Macht man nur
Und nennt sie Tapferkeit und Heldentugend.
Im Schlachtensieg, in Völkerunterjochung,
Im Beutemachen, nach unendlichem
Menschengemetzel, wird der höchste Gipfel
Des Ruhms gesucht, für des Triumphes Ehre
Als mächtige Eroberer zu gelten,
Der Menschen Schützer, Götter, Göttersöhne –
Wohl richtiger Plag' und Pest genannt der Menschen.
So macht man Namen sich und Ruf auf Erden,
Und Schweigen deckt, was wahren Ruhm verdient.
Doch den du sahst, der Siebente nach dir,
Der einzige Gerecht' in arger Welt
Und drum gehaßt, und drum von Feinden rings
Bedroht, weil er allein gerecht sein wollte
Und bittre Wahrheit sprach: Gott würde kommen
Mit seinen Heiligen, sie zu richten! – hob
In einer Wolke mit beschwingten Rossen,
Der Höchst' ihn, wie du sahst – mit ihm zu wandeln –
In jener Glücksgefilde sel'gen Höhen,
Befreit vom Tod, um dir den Lohn zu zeigen
Des Guten. Welche Strafe Andrer harrt –
Lenk hin den Blick und bald wirst du es sehen.«

Er schaut' und sah die Dinge ganz verändert.
Der eh'rne Schlund des Krieges brüllt nicht mehr;
Zu Scherz und Spiel hatt' Alles sich gewandelt,
Zu üppigem Feste, Schwelgerei und Tanz,
Zu Hochzeit oder Buhlerei, wie's traf,
Ehbruch, Entführung – wie ein schönes Weib
Sie lockt; vom Becher kam's zu Bürgerfehden.
Zuletzt trat ein ehrwürdiger Greis zu ihnen,
Erklärt an ihrem Thun ein groß Mißfallen
Und zeuget wider sie. Gar oft besucht' er
Sie in Versammlungen, wohin sie kamen,
Bei Festen und Triumphen, und ermahnte
Zu Reu und Beßrung sie, als deren Seelen
Im Kerker drohenden Gerichtes lägen.
Doch ganz umsonst. Hiernach hört' er nun auf
Zu warnen und zog fort mit seinen Zelten.
Dann fällt' er auf dem Berg sich Zimmerholz
Und baut' ein Schiff von ungeheurer Größe,
Die Länge, Breit' und Höh nach Ellenmaß,
Betheert's rings um und an der Seite bringt er
Ein Thor an und versieht's mit großem Vorrath
Für Thier' und Menschen, als – o Wunder! – jetzt
Von allen Thieren, Vögeln und Gewürmen
Je sieben drin einziehn, paarweis geordnet;
Zuletzt mit dreien Söhnen und vier Weibern
Der Greis; und Gott verschließet fest das Thor.
Indeß erhebt der Südwind sich; weit schwebend
Mit dunklem Fittig, treibt die Wolken er
Herbei; die Hügel senden zur Verstärkung
Neblige Dünst' und feuchten Dampf mit Macht
Empor; und die verdickte Luft stand da
Gleich dunklem Täfelwerk. Der Regen stürzte
Jählings herab und währte, bis kein Land
Gesehn mehr ward. Gehoben schwimmt das Fahrzeug,
Und sicher mit des Vordertheiles Schnabel
Schwankt's ob den Wogen. Jede Wohnung sonst
Schwemmt weg die Flut; tief unter Wasser rollt
Mit allem Prunk sie; Meer bedeckt das Meer
Ohn' alles Ufer, und in den Palästen,
Wo jüngst Pracht herrschte, hausen Seeunthiere
Und werfen Junge. Vom Geschlecht der Menschen,
So zahlreich, schwimmt, was blieb, in kleinem Schiff.

Wie härmtest du dich, Adam, zu erblicken
Das Ende deines Stamms, solch traurig Ende –
Entvölkerung! Und eine andre Flut
Ertränkt auch dich, die Flut der Schmerzensthränen,
Dich, wie die Söhne, bis du, sanft erhoben
Vom Engel, endlich auf den Füßen standst,
Ob trostlos auch, wie wenn ein Vater trauert,
Der plötzlich alle Kinder sterben sieht.
Und kaum konnt' er dem Engel also klagen:

»Unselige Voraussicht! Besser, wär' mir
Nicht kund die Zukunft, dann trüg' ich allein
Mein Leidenstheil, jedweden Tages Loos;
Schon Last genug. Nun fällt auf mich mit einmal
Die Bürde, die, vertheilt auf viele Zeiten,
Zur Frühgeburt durch mein Vorwissen wird,
Und mich, noch eh sie ist, mit dem Gedanken
Quält, daß dies einst sein soll. Verlange Niemand
Fortan vorauszuwissen, was geschehen
Ihm und den Kindern wird; gewiß ist's Unglück,
Das sein Vorwissen nicht verhindern kann,
Und minder nicht wird ihm zukünft'ges Uebel
In der Befürchtung wie in Wirklichkeit,
Zu tragen drückend. Doch vergebne Sorge:
Kein Mensch zu warnen mehr! Die paar Entkommnen
Wird endlich Hunger noch und Angst verzehren
In dieser Wasserwüst'. Ich hoffte schon,
Als die Gewalt aufhört' und Krieg auf Erden,
Jetzt wär' es gut, der Friede würde segnen
Die Menschen nun mit langen Glückestagen;
Allein ich täuschte mich, denn ich gewahre:
Daß Friede minder nicht als Krieg vernichte.
Wie kömmt nun dies? erklär mir's, Himmelsbote,
Und ob hiemit der Menschenstamm erlischt?«

Drauf Michaël: »Jene, die du im Triumph
Und schwelgerischem Reichthum sahst, sind die,
So du zuerst gesehn in Heldenthaten
Und groß an Muth, doch leer an wahrer Tugend.
Wenn sie viel Blut vergossen, viel verwüstet,
Und Völker unterjocht, und in der Welt
Ansehn und Ruhm und reiche Beut' erlangt:
Ergeben sie sich träger Ruh, der Wollust,
Der Völlerei, dem Prunk, bis Ueppigkeit
Und Stolz aus Freundschaft Feindschaft zeugt im Frieden.
Auch die Besiegten, Sklaven durch den Krieg,
Verlieren mit der Freiheit alle Tugend
Und Furcht vor Gott, der ihrer Heuchelei
Im scharfen Schlachtenkampf nicht Hülf' erwiesen
Gegen die Feinde. Drum, erkühlt im Eifer,
Sehn sie hinfort nur, wie sie sicher leben,
Weltlich und zügellos, von dem, was ihnen
Die Herrn vergönnen; denn die Erde trägt
Mehr als genug, die Mäßigkeit zu prüfen.
So nun entartet Alles: Mäßigung,
Gerechtigkeit, Wahrheit und Treu vergißt man;
Ein Mann nur nicht, der einz'ge Sohn des Lichts
In dunkler Zeit, der trotz des Beispiels gut ist,
Trotz Lockung und Gewohnheit eine Welt
Angreift. Verachtung, Tadel und Gewalt
Nicht fürchtend, warnt er sie vor ihrem
Ruchlosen Thun und stellt vor ihre Augen
Den Pfad der Redlichkeit, um wie viel sichrer
Und friedlicher, den künftigen Zorn verkündend
Ob ihrer Unbußfertigkeit; und geht,
Verhöhnt von ihnen, doch von Gott bemerkt
Als einziger gerechter Mann, der lebt.
Auf sein Geheiß baut' er die mächtige Arche,
Die du gesehn, sich und sein Haus zu retten
Aus einer Welt, geweiht dem Untergang.
Sobald er mit den Menschen und den Thieren,
Zu leben auserwählt, geschützt das Schiff
Bewohnt, eröffnen alle Schleusen sich
Des Himmels, Regen Tag und Nacht auf Erden
Herabzuströmen; alle Brunnen öffnen
Der Tiefe sich, den Ocean zu schwellen
Ob allen Schranken, bis die Ueberschwemmung
Die höchsten Berge deckt. Dann weicht der Berg
Des Paradieses durch die Macht der Wellen
Vom Platz, verdrängt durch die gekrümmte Flut,
Beraubt des Grüns, und seine Bäume treiben
Hinab den großen Strom zur offnen Bucht,
Und bilden dort ein unfruchtbares Eiland,
Wo Robben, Möven und Wallfische hausen.
Dies lehre dich: Gott knüpfet Heiligkeit
An keinen Ort, wenn nicht dahin gebracht
Von Menschen, die ihn suchen, die dort wohnen.
Und nun betrachte, was noch weiter folgt.«

Er schaut' und sah die Arche auf der Flut,
Die nun schon abnimmt; denn es flohn die Wolken,
Verjagt vom Nordwind, welcher trocken wehend,
Der Fluten Fläche kräuselt, wie sie fallen;
Auf ihren weiten Wasserspiegel blickt
Die Sonne hell und heiß, und saugt, wie durstig,
Der frischen Wogen viel, so daß ihr Fließen
Vom steh'nden See zur seichten Ebbe schrumpft,
Die leise sich zur Tiefe stiehlt, die Schleusen
Nun schließend, wie der Himmel seine Fenster.
Die Arche schwimmt nicht mehr; sie scheint zu ruhn
Fest auf dem Gipfel eines hohen Berges.
Bergspitzen zeigen jetzt sich, Felsen gleichend;
Mit Rauschen stürzen Ström' in jäher Flut
Von dorther in die See, die sich zurückzieht.
Sofort fliegt von der Arch' ein Rabe aus;
Nach ihm, ein zuverlässigerer Bote,
Fliegt zweimal eine Taub' aus, zu versuchen,
Ob nicht ihr Fuß auf Baum und Boden ruhe.
Zum zweitenmal rückkehrend, bringt im Schnabel
Sie ein Olivenblatt – ein friedlich Zeichen.
Und fester Grund erscheint, und aus der Arche
Steigt nieder mit dem ganzen Zug der Greis.
Dann, mit erhabnen Händen frommen Blickes
Dem Himmel dankend, sieht er über'm Haupte,
In einer thauigen Wolke, einen Bogen,
Der, in drei heitern Farbenstreifen prangend,
Friede mit Gott und neuen Bund bezeichnet.
Darob sich Adams Herz, zuvor so traurig,
Höchlich erfreut und so die Freude kündet:

»Göttlicher Lehrer, der du Künftiges
Als Gegenwärt'ges zeigst, der Blick belebt mich
Aufs neu, versichert, daß der Mensch soll leben
Mit den Geschöpfen, und ihr Same bleiben.
Nun schmerzt mich minder eine ganze Welt
Verlorner böser Söhn', als ich mich freue
Ob Einen, so gerecht und so vollkommen,
Daß Gott von ihm läßt eine neue Welt
Abstammen, und all seinen Zorn vergißt.
Doch sag, was meinen diese farb'gen Streifen,
Gewölbt wie der versöhnten Gottheit Braue?
Wie, oder dienen sie als Blumenbinde,
Die Säume jener Wolke zu befest'gen,
Daß sie, gelöst, sich nicht aufs neu entlade?«

Drauf der Erzengel: »Recht vermuthest du.
So willig läßt Gott nach in seinem Zorne,
Schmerzt' ihn auch jüngst der Menschen frevles Thun,
Gekränkt im Herzen, als die Erd' erfüllt
Er von Gewaltthat sah, und alles Fleisch
Auf bösem Weg. Doch da dies nun vertilgt,
Erzeigt er solche Huld Einem Gerechten,
Nicht auszurotten das Geschlecht der Menschen,
Und schließet einen Bund, nie mehr die Erde
Durch Flut vernichten, noch auch übertreten
Das Meer zu lassen, noch die Welt durch Regen
Mit Mensch und Thier zu tilgen. Zeigen aber
Am Himmel Wolken sich, will drein er setzen
Den dreifachfarbigen Bogen, ihn zu schauen
Und seines Bunds zu denken. Tag und Nacht,
Saatzeit und Ernte, Frost und Hitze sollen
Gehn ihren Gang, bis Feuer Alles läutert,
Himmel und Erd', als Wohnung der Gerechten.«

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