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Zehnter Gesang.

Indeß ward die verhaßte, tückische That
Satans, die er beging im Paradiese,
Wie in der Schlang' er Even erst verführt,
Sie dann den Mann, die Unheilsfrucht zu kosten,
Im Himmel kund; denn was entgeht wohl Gottes
Allsehndem Aug', und was täuscht deß allwissend
Herz wohl, der, überall gerecht und weise,
Satan nicht hemmt, des Menschen Sinn zu prüfen,
Der, wohl versehn mit Kraft und freiem Willen,
Gänzlich durchschaun hätt' und abweisen können
Jedweden Feinds und falschen Freundes Trug.
Sie wußten ja und mußten stets sich sagen
Des Höchsten Wort, nicht von der Frucht zu essen.
Wie stark versucht auch; daß, so sie's nicht hielten,
Der Strafe sie verfielen (wie auch anders?)
Und, mannichfach in Schuld, den Sturz verdienten.
Vom Paradies empor zum Himmel eilten
Die Engelwachen, stumm und trauervoll
Des Menschen halb, deß Zustand sie erfuhren,
Erstaunend, wie der schlaue Feind den Eingang
Erschlich. Als nun die unwillkommne Kund'
Am Himmelsthor anlangte, waren Alle
Betrübt, die's hörten; tiefe Traurigkeit
Umzog der Engel Mienen, doch gemildert
Von Mitleid, da's ihr eignes Glück nicht ändert.
Es drängte sich um die neu Angekommnen
Des Himmels Volk, zu hören, zu erkunden,
Wie Alles kam. Doch jene eilten weiter
Zum höchsten Thron, pflichtmäßig darzuthun,
Wie sie sich höchster Wachsamkeit beflissen;
Und leicht spricht man sie frei. Da ließ der hohe,
Der ewige Vater aus verhüllender Wolke
Sich unter Donnerhallen so vernehmen:

»Ihr Engel all und Mächte, von mißlungner
Gesandtschaft rückgekehrt, seid nicht bestürzt,
Noch traurig ob des Vorgangs auf der Erde,
Dem eure treuste Hut nicht wehren konnte,
Da früh vorausgesagt, was folgen würde.
Als der Versucher aus der Höll' entfloh,
Da sagt' ich euch, daß schnell ihm glücken würde
Sein arger Plan; der Mensch, durch Schmeichelei
Betrogen, würd' um Alles, weil der Lüg' er,
Nicht seinem Schöpfer glaubte; kein Beschluß
Von mir aus nöthigt' ihn zu seinem Fall,
Noch zwang er durch den leichtsten Antrieb ihm
Den freien Willen, ihm in gleicher Schale
Die Neigung lassend. Doch er fiel; und nun
Bleibt nur das Todesurtheil zu vollziehn
Für sein Vergehn, ihm auf den Tag verkündigt.
Zwar hält er ihn bereits für leer und eitel,
Weil noch betroffen nicht, wie er befürchtet,
Von einem raschen Schlag; doch er erfährt noch
Vor Tagesschluß, Aufschub sei nicht Erlassen.
Verachtung treffe nicht das Recht, wie Güte.
Doch wen send' ich als Richter? wen, als dich,
Sohn, Mitregent? Dir hab' ich übertragen
Das Richteramt in Himmel, Erd' und Hölle.
Bald werd' erkannt, daß mit Gerechtigkeit
Ich Gnade paaren will, da ich dich sende,
Des Menschen Freund und Mittler, der freiwillig
Zum Opfer und Erlöser sich bestimmte,
Als Mensch zu richten den gefallnen Menschen.«

So sprach der Vater, und zu seiner Rechten
Den Glanz der Herrlichkeit entfaltend, strahlt
Er unumwölkte Gottheit auf den Sohn,
Der, voll den ganzen Vater wiederstrahlend,
Hierauf die göttlich milde Antwort gab:

»Urewiger Vater, dein ist, zu beschließen,
Mein die Vollziehung deines höchsten Willens
In Erd' und Himmel, daß dein Wohlgefallen
Stets ruh' auf deinem Sohn. Ich geh', auf Erden
Die Schuldigen zu richten; doch du weißt,
Daß, wer auch richte, mich das Schlimmste trifft,
Sobald die Zeit naht; denn so übernahm ich's
Von dir; und nicht bereu' ich's, wird mir nur
Als Recht, den Urtheilsspruch, auf mich ihn leitend,
Zu mildern; doch Gerechtigkeit und Gnade
Verbind' ich so, daß ihnen sei vollkommen
Genug gethan, zufrieden du gestellt.
Begleitung ist nicht nöthig da, wo Niemand,
Als die Gerichteten, soll Zeuge sein,
Den Dritten trifft verdient der Spruch im Absein,
Ihn, der das Recht höhnt, den die Flucht verräth;
Für Schlangen ziemt sich nicht die Ueberführung.«

So sprechend stand vom Strahlensitz er auf
An Gottes Seit'; ihm folgten Thronen, Mächte,
Herrschaften, dienende, und Fürstentümer
Zum Himmelsthor, von wo man vor dem Blicke
Die ganze Küst' und Eden liegen sah.
Stracks stieg er dort hinab; der Götter Eile
Kennt Zeit nicht, selbst minutenschnellsten Fluges.
Vom Mittag neigte schon sich tief nach Westen
Die Sonn', und sanfte Lüft' erwachten jetzt,
Der Erde zuzuwehn und ihr zu bringen
Die Abendkühl', als mit gelinderm Zorne
Der milde Richter und Vermittler kam
Zum Urtheilsspruch. Die Stimme Gottes hörten
Sie, die im Garten wandelten. Es brachten
Sie sanfte Winde her bei Tagesneigen.
Sie hörten sie und bargen beide sich
Vor ihm im dichtesten Gebüsch, bis Gott,
Sich nahend, laut zu Adam also sprach:

»Wo bist du, Adam, der mir sonst mit Freude
Von fern entgegenkam? Ungern vermiß' ich
Und seh' ich dich in solcher Einsamkeit,
Wo schuldige Pflicht sonst ungesucht sich zeigte.
Komm' ich denn minder glanzvoll? Welcher Wechsel,
Was für ein Zufall bannt dich? Komm hervor.«

Er kam; noch träger Ev', obgleich zum Sünd'gen
Zuerst bereit; bestürzt, entmuthigt beide.
Ihr Blick sprach nicht von Liebe, nicht zu Gott,
Noch für einander; sondern klare Schuld
Und Scham, Verwirrung und verzweifelt Wesen,
Zorn, Widersetzlichkeit und Haß und Arglist.
Lang stockend gab dann Adam kurz zur Antwort:

»Im Garten hört' ich dich und von der Stimm'
Erschreckt, verbarg ich mich, dieweil ich nackend.«
Drauf, ohne Schelten, mild der Richter sprach:

»Oft hörtest du die Stimme sonder Scheu,
Vielmehr erfreut. Wie denn erscheint sie nun
So schrecklich dir? Wer hat dir denn gesagt,
Daß nackt du bist? Hast du vom Baum gegessen,
Wovon zu essen ich dir streng verbot?«

Drauf sehr betreten Adam dies versetzte:
»O Himmel, wie bedrängt steh' heut ich da
Vor meinem Richter, sei's, mich selbst zu zeihen
Der ganzen Schuld, sei's, anzuklagen sonst
Mein andres Selbst, den Partner meines Lebens;
Denn was sie fehlt', indeß sie treu mir blieb,
Sollt' ich verbergen, nicht durch Anklag' ihr
Verweis zuziehn; doch harte Nöthigung
Und unglückseliger Zwang besiegen mich,
Damit nicht auf mein Haupt so Sünd' als Strafe,
Wie unerträglich auch, sich gänzlich wälzen;
Und wollt' ich schweigen auch, so würdest du
Doch leicht entdecken, was ich dir verbärge.
Dies Weib, das du mir als Gehülfin schufst,
Und als dein best Geschenk verliehst, so gut,
So passend, so erwünscht, so göttlich ganz,
Daß ich von ihr kein Schlimmes je vermuthet
– Und was sie that, was es an sich auch war,
Stets schien die That Rechtfertigung des Thuns –
Gab mir vom Baum zu essen, und ich aß.«

Drauf der Allgegenwärtige also sprach:
»War sie dein Gott denn, daß du ihr gehorchtest
Vor dessen Stimme? war sie denn dein Führer,
Ein höh'rer, oder gleich nur, daß du ihrethalb
Entsagtest deiner Mannheit und dem Orte,
Drein Gott dich setzt' ob ihr, aus dir gebildet
Für dich, der an Vollkommenheit sie weit
Besiegt durch jeden Vorzug? Traun, sie war
Geschmückt und liebenswürdig, zu gewinnen
Die Liebe wohl, nicht deine Unterwerfung;
Beherrscht zu werden, ziemte ihren Gaben,
Doch nicht zu herrschen, welches dein Amt war,
Dein Vorrecht, hättest du dich recht erkannt.«

So sprach er und zu Eva dann kurz also:
»Sprich, Weib, was ist's, was du begangen hast?«

Drauf Eva, traurig und von Scham bewältigt,
Sogleich gestand, doch nicht geschwätzig dreist
Vor ihrem Richter, und bestürzt so sprach:
»Die Schlang' hat mich betrogen und ich aß.«

Als dies Gott hörte, schritt er ohne Zögern
Zum Urtheil über die verklagte Schlange,
Obgleich nur Thier, unfähig, den zu zeihen
Der Schuld, der sie zum Werkzeug machte
Des Unheils, und von ihrer Schöpfung Zweck
Sie wandte; drum, in ihrem Sein geschändet,
Mit Recht verflucht sie wurde. Mehr zu wissen,
That nicht dem Menschen noth (noch wußt' er mehr);
Auch ändert's nicht die Schuld. Doch gegen Satan,
Als ersten Frevler, fällt' er nun das Urtheil,
In dunklen Worten zwar, jetzt gut erachtet,
Und auf die Schlange legt' er diesen Fluch:
»Weil dies du thatest, sei hiemit verflucht
Vor allem Vieh, vor jedem Thier des Feldes;
Auf deinem Bauche kriechend sollst du gehen.
Staub sollst du essen all dein Leben lang.
Feindschaft soll zwischen dir sein und dem Weibe
Und beider Samen; deinen Kopf zertrete
Der ihr', und du wirst in die Fers' ihn stechen.«

So sprach hier das Orakel, dann erfüllt,
Als Jesus, Sohn Mariens, der zweiten Eva,
Satan, der Lüfte Fürst, vom Himmel fallen
Sah, gleich dem Blitz; darauf vom Grab erstehend,
Beraubt' er Macht' und Herrscher, triumphirte
Mit offner Schau und führt' im Prachtaufsteigen
Gefangenschaft gefangen durch die Luft,
Das Reich, das Satan lang sich angemaßt,
Den er zuletzt tritt unter unsre Füße,
Er, der voraus ihm die Zertretung sagte,
Und so zum Weib nun seinen Ausspruch wandte:
»Höchlich will ich vermehren deine Leiden,
Wenn du empfängst; in Schmerzen sollst du Kinder
Gebären, und nach deines Mannes Willen
Den deinen richten; er soll Herr dir sein.«

Zuletzt sprach er das Urtheil über Adam:
»Weil du des Weibes Stimme hast gehorcht,
Und von dem Baum gegessen, den ich dir
Verboten, sagend: hievon iß du nicht: –
Verflucht der Acker deinethalb; in Sorgen
Sollst du von ihm dein Leben lang dich nähren;
Er bring' dir Dornen, unerwünscht, und Disteln;
Du sollst dich nähren von dem Kraut des Feldes,
Im Schweiß des Angesichts dein Brod genießen,
Bis du zu Erde wieder wirst, von der du
Genommen bist – erkenne deinen Ursprung –
Denn du bist Staub und sollst zu Staube werden!«

So sprach des Menschen Richter und Erlöser.
Den Todesstreich, auf diesen Tag verkündet,
Schob er hinaus; ihn dauert's, wie vor ihm
Nackt in der Luft sie standen, die nun Wechsel
Erdulden müssen. Nicht verachtet er's,
Von jetzt das Amt des Dieners zu beginnen.
Wie da der Jünger Füß' er wusch, so jetzt
Bedeckt, als Vater, er der Seinen Blöße
Mit Fellen von Gethier, sei's nun erlegt,
Sei's, wie die Schlang', in neue Haut gehüllt,
Und stand nicht an, zu kleiden seine Feinde.
Auch hüllt' er nicht ihr Aeußres nur mit Fellen
Der Thier'; auch innre Blöße, welche weit
Schmachvoller ist, mit der Aufrichtigkeit
Gewand, sie vor dem Blick des Vaters bergend.
Mit schneller Auffahrt kehrt er heim zu ihm,
An dessen Brust glückselig aufgenommen
In frührer Herrlichkeit; ihm, dem Versöhnten,
Weiß er auch Alles, sagt' er Alles, was
Dem Menschen ward, Fürbitten sanft einmischend.

Indeß, eh so gefehlt ward und gerichtet
Auf Erden, saßen Sünd' und Tod einander
Genüber innerhalb des Höllenthores,
Das weit aufstand, unmäßig Flammen speiend
Fern in das Chaos, seit der Feind hindurchschritt,
Als Sünd' ihm aufschloß, die jetzt so begann:

»O Sohn, was sitzen wir hier denn, uns müßig
Anblickend, während Satan, unser Vater,
Nach andern Welten streift, und uns, den Theuren,
Glücklichre Sitz' ausspäht? Es kann nicht fehlen,
Daß ihn Erfolg begleitet; wär's nicht so,
Er wäre längst zurück, vom Grimm verfolgt
Der Gegner, da kein Ort, als dieser, besser
Für seine Strafe paßt und ihre Rache.

»Ich scheine neue Stärke zu gewinnen,
Als würden Flügel mir und weite Herrschaft
Verliehn jenseits der Tiefe, ziehe nun
Mich Sympathie fort oder Macht des Blutes,
Die mit geheimem Band in größter Ferne
Gleichartiges durch tiefgeheimen Zug
Die Kraft hat, zu verbinden. Du, mein Schatten,
Mein unzertrennlicher, mußt mit mir gehn:
Denn keine Macht kann Tod von Sünde trennen.
Damit jedoch die Schwierigkeit der Rückkehr
Sein Kommen über diesen unwegsamen
Und ungebahnten Schlund nicht hemme, laß uns
Versuchen kühnes Werk, das unsre Kraft
Nicht übersteigt, zu bahnen einen Weg
Ob dieser Kluft nach jener neuen Welt,
Wo Satan jetzo herrscht, ein Monument,
Verdienstvoll bei dem ganzen Heer der Hölle,
Den Zugang zu erleichtern, sei's Verkehrs halb,
Sei's zum Auswandern, wie ihr Loos sie führt.
Des Wegs verfehl' ich nicht, so mächtig lenkt
Mich nie gefühlter Zug und Trieb von dannen.«

Drauf flugs der magre Schatten gab zur Antwort
»Geh du, wohin Geschick und starker Drang
Dich ziehn; ich bleibe nicht zurück, noch fehl' ich,
Führst du, des Wegs, so wittr' ich Blutgeruch,
Zahllosen Raub, und spüre den Geschmack
Des Todes aller Dinge, die dort leben.
Auch werd' ich dir beim Unternehmen nicht
Entstehn, vielmehr gemäße Hülfe leisten.«

Er sprach's und zog begierig ein den Hauch
Todtbringender Verändrung auf der Erde.
Wie wenn Raubvögel, viele Meilen fern,
An einem Tag der Schlacht, nach einem Felde,
Wo Heere lagern, fliegen, vom Geruch
Gelockt lebendiger Leichen, die zum Tode
Des nächsten Tags in blutiger Schlacht bestimmt:
So spürt umher das grausige Gespenst
Und reckt die Nüstern weit in düstre Luft,
Aus solcher Ferne seine Beute witternd.
Dann flogen aus dem Höllenthor die beiden
In's wüste, weite, dunstige, finstre Chaos,
Verschiednen Wegs, und schwebten mit gewalt'ger
Kraft ob den Wassern; trieben, was sie trafen,
Festes und Schlammiges, wie empörte See,
Die auf und ab tost, dicht gedrängt zusammen
Und häuften's an des Höllenschlundes Seiten:
Wie zwei Polarwind auf der Cronischen See,
Sich dort entgegenstürmend, Eisgebirge
Zusammentreiben und den Weg der Sage,
Jenseit Petsorra östlich, nach dem reichen
Cathaischen Strand verstopfen. Den gehäuften
Grund, kalt und trocken, schlug mit seiner Keule
Von Stein der Tod, wie mit 'nem Dreizack, fest,
Daß er wie Delos stand. Das Andre bannt
Sein starrer Gorgo-Blick, daß sich's nicht regte;
Und mit des Asphalts Schlamm, breit wie das Thor,
Tief bis zum Grund der Hölle, festigen sie
Den Damm und wölben das gewalt'ge Bollwerk
Hoch ob der Tiefe Schaum als eine Brücke
Von riesiger Länge, die dem festen Wall
Der nun schutzlos dem Tod verfallnen Welt
Sich anschloß. Von da an führt ein bequemer,
Ein breiter, ebner Weg zur Hölle nieder.
So, wenn mit Großem Kleines man vergliche,
Kam Xerxes, Griechenlands Freiheit zu knechten,
Von Susa, seiner stolzen Memnonsburg,
An's Meer und brückte über'n Hellespont
Sich einen Weg, Europ' an Asien bindend.
Und gab den zornigen Wogen manchen Streich. –
Nun hatten sie durch seltnen Brückenbau
Das Werk als hangend Felsenriff geführt
Hoch über'm Abgrund, Satans Spuren folgend
Zu eben jenem Ort, wo er zuerst
Die Flügel senkt' und sicher aus dem Chaos
Anlandete, an jener nackten Seite
Der runden Welt. Mit diamantnen Nägeln
Und Ketten machten fest sie's, gar zu fest
Und dauerhaft; in kurzer Ferne sahen
Die Grenzen sie des empyreischen Himmels
Und dieser Welt; zur linken Hand die Hölle
In weitem Abstand; drei verschiedne Wege
In Sicht, die hin zu den drei Orten führten.
Nun hatten den zur Erde sie erspäht,
Der nach dem Paradiese führt', als sie
Satan erblickten, glänzend wie ein Engel,
Zwischen Centaur und Skorpion zenithwärts,
Indeß die Sonn' im Widder aufging, steuernd.
Verkleidet kam er, doch die theuren Kinder
Erkannten bald den Vater, den verstellten.
Nach Eva's Fall schlich er sich unbemerkt
In nah Gebüsch, und die Gestalt verändernd,
Um den Erfolg zu schaun, sah er den Trug
Von Even, wenn unwissend auch, nachahmen
An ihrem Mann; sah beider Scham, die suchte
Nach eitler Hülle. Doch als Gottes Sohn
Herabkam, sie zu richten, wich erschreckt er,
Nicht hoffend zu entfliehn, nur zu vermeiden
Deß Gegenwart, als Schuldiger den schnellen
Zorn fürchtend. Dies geschehn, kehrt er bei Nacht
Zurück, und lauschend, wo das traur'ge Paar
In trübem Zwiegespräch voll Klagens saß,
Schöpft' er sein Urtheil draus und als es hieß,
Nicht jetzt, in Zukunft erst, kehrt' er, mit Freude
Und Neuigkeit befrachtet, heim zur Hölle.
Und an dem Rand des Chaos, an dem Fuße
Der neuen Brücke, traf er unverhofft
Die theuren Zwei, die ihn zu treffen kamen.
Freudig war ihr Begegnen, und beim Anblick
Der Wunderbrücke wuchs noch seine Freude.
Lang staunt' er, bis die Sünde, seine schöne,
Reizvolle Tochter, so das Schweigen brach:

»O Vater, dies sind deine prächtigen Thaten,
Die Siegeszeichen, die nicht dein du wähnst.
Du bist ihr Gründer und ihr Urbaumeister.
Denn nicht sobald ahnt' ich in meinem Herzen
(Dem Herzen, welches durch geheimen Einklang,
Durch süße Bande stets mit deinem schlägt),
Daß dir's auf Erden glückte, was die Blicke
Nun auch bezeugen, als ich flugs erkannte,
Und gleichwohl fühlt', ob Welten auch uns trennten,
Daß ich dir nachziehn müsse mit dem Sohn:
So fest vereint uns Dreie das Verhängniß.
Nicht länger konnt' in sich die Höll' uns halten,
Noch dieser unwegsame, dunkle Schlund
Uns deiner Ruhmesspur zu folgen hemmen.
Vollkommne Freiheit gabst du uns, bis jetzt
Beschränkt durch's Höllenthor; du gabst uns Kraft,
So zu befestigen und zu überwölben
Den düstern Abgrund mit der Wunderbrücke.
Dein ist nun diese Welt; dein Muth gewann
Was du nicht bautest; deine Weisheit gab
Mehr als Verlustersatz, und rächte herrlich
Den Sturz im Himmel. Hier sollst Herr du sein.
Dort warst du's nicht; dort herrsche, wen als Sieger
Die Schlacht erklärt, der sich der neuen Welt
Entzogen und entfremdet durch sein Urtheil.
Fortan mag er die Herrschaft über Alles,
Getrennt vom Empyreum, mit dir theilen,
Sein Himmelsviereck von der Kugelwelt,
Soll er dich nicht gefährlicher erfinden.«

Drauf froh der Fürst der Finsterniß versetzte:
»Du schöne Tochter und du, Sohn und Enkel
Zugleich mir: ihr bewiest so klar die Abkunft
Von Satan (denn des Namens rühm' ich mich,
Als Gegner des allmächt'gen Himmelskönigs),
Da ihr um mich, um's ganze Höllenreich
Euch so verdient gemacht, so nah dem Himmel
Siegszeichen mit Siegszeichen einend, meines
Mit dem glorreichen Werk, und aus der Hölle
Und dieser Welt Ein Reich, zusammenhängend,
Von leichter Durchfahrt schuft. Indeß ich leicht nun
Auf diesem Pfad hinab durch's Dunkel gehe
Zu den Verbündeten, dort zu berichten
Von dem Erfolg, und mich mit ihnen freue:
Geht ihr hinunter, zwischen den zahllosen,
Jetzt euren Kugeln, grad zum Paradiese.
Dort bleibt und herrscht mit Glück; von dort bewaltet
Die Erde wie die Luft, zumal den Menschen;
Ihn, der zum Herrn von Allem ward erklärt,
Ihn macht zum Sklaven erst, dann tödtet ihn.
Als Stellvertreter send' ich euch und geb' euch
Vollmacht auf Erden, Obmacht ohne Gleichen,
Die von mir ausgeht; denn von solchem Bunde
Hängt mein Besitz des neuen Reiches ab,
Dem meine That nun Sünd' und Tod gebracht.
Siegt euer beider Kraft, ist für die Hölle
Nachtheil zu fürchten nicht; geht und seid stark.«

Sprach's und entließ sie. Jene nahmen eilig
Den Lauf durch dichte Haufen der Gestirne,
Ihr Gift verbreitend. Glühende Stern' erblichen;
Planeten, an Planeten stoßend, litten
Wahre Verfinstrung. Satan nahm dagegen
Den Weg zum Höllenthor. Zu beiden Seiten
Brüllt Chaos laut, getrennt und überwölbt,
Und stürmt mit wilder Brandung an die Schranken,
Die seines Zornes spotten. Durch das Thor,
Weit offen, unbehütet, schreitet Satan
Und findet rings Verwüstung, denn es waren,
Die sitzen sollten dort, ihr Amt verlassend,
Zur obern Welt geflohn; die Andern zogen
Tief in das innre Land, rings um die Mauern
Des Pandämoniums, Stadt und stolzer Sitz
Des Lucifer, der so sich nannt', anspielend
Auf jenen hellen Stern, dem Satan glich.
Dort hielten Schaaren Wacht, indeß zu Rath
Die Großen saßen, sorgend, welcher Unfall
Den abgesandten Kaiser noch verweile;
Denn so gebot er scheidend; sie gehorchten.
Wie wenn der Tartar vor dem Feind, dem Russen,
Bei Astracan durch Schneegefilde flieht,
Und Bactra's Sophi vor den Halbmond-Hörnern
Des Türken Alles macht zur Wüste, jenseit
Des Reiches Aladule, auf der Flucht
Nach Tauris oder Casbin: so ließ öde
Das aus dem Himmel jüngst verbannte Heer
Viel Meilen weit die fernste Höll' und zog sich
Vorsichtig um die Hauptstadt, jetzo stündlich
Den kühnen Führer von dem Zug erwartend
Nach fremden Welten. Mitten durch sie hin
Geht er, als Kampfesengel tiefsten Ranges
Von Ansehn, unbemerkt; und von dem Thore
Der Halle Pluto's stieg er unsichtbar
Auf seinen hohen Thron, der, mit dem Prunke
Des reichsten Stoffs verziert, am obern Ende
In königlicher Pracht errichtet war.
Ein Weilchen saß er schauend, ungesehn;
Dann zeigt, plötzlich entwölkt, sein leuchtend Haupt,
Sein Leib sich sternhell, oder heller noch,
In einem Glanz, wie nach dem Fall er ihm
Blieb, oder falschem Schimmer. Ganz erstaunt
Blickt bei so jähem Glanz das stygische
Gedräng' empor und sieht, den es erwünscht,
Das mächtige Haupt daheim: laut war der Beifall.
Schnell sprangen auf die Großen in dem Rathe
Vom dunklen Divan, und mit gleicher Freude
Nahn sie glückwünschend ihm, der mit der Hand
Still' und Aufmerksamkeit dem Wort gebot:

»Ihr Thronen, Herrscher, Fürsten, Kräfte, Mächte:
Denn dem Besitz, nicht blos dem Rechte nach
Nenn' ich euch so und meine, wider Hoffen
Glücklich zurückgekehrt, euch im Triumph
Aus dieser Höllengrube wegzuführen,
Dem abscheuvoll verfluchten Haus des Weh's,
Dem Kerker des Tyrannen. Nun besitzet
Als Herren eine weite Welt, die kaum
Dem heimischen Himmel nachgiebt, durch mein Wagniß
Mit großer Fahr erkämpft. Viel wär' zu sagen,
Was ich gethan, erlitt; mit was für Müh
Die wesenlose, unbegrenzte Tiefe
Voll schrecklicher Verwirrung ich durchsteuert,
Wo Sünd' und Tod nun einen Pfad gepflastert,
Zu fördern euren Ruhmeszug; ich aber,
Auf grausem Weg mußt' ich den wüsten Abgrund
Mühvoll durchfahren, in den Schooß tauchend
Der anfanglosen Nacht, des wilden Chaos,
Die sich, besorgt um ihr Geheimniß, mächtig
Der Reise widersetzten und mit Toben
Beschworen das Geschick. Hierauf nun fand ich
Die neugeschaffne Welt, die lang im Himmel
Der Ruf vorausgesagt; ein Wunderbau,
Durchaus vollkommen, und worin der Mensch,
Zum Glück erhöht durch unsere Verbannung,
In einem Paradiese wohnt. Ihn hab' ich jetzt
Von seinem Schöpfer abgewandt – nun wundert
Euch mehr – durch einen Apfel! Drob erzürnt,
Hat jener, werth des Lachens, aufgegeben
Die ganze Welt und den geliebten Menschen,
Als Raub für Sünd' und Tod. So ist er unser;
So daß wir ohne Müh, Gefahr und Unruh
Drin hausen, schweifen und beherrschen können
Den Menschen, der ob Allem herrschen sollte.
Wahr ist, auch mich verdammt' er, oder besser,
Nicht mich, vielmehr die Schlang', in deren Bildung
Den Menschen ich betrog. Was mir bestimmt,
Ist Feindschaft zwischen mir und dem Geschlecht
Des Menschen; ich soll in die Fers' ihn stechen;
Sein Same soll mir einst den Kopf zertreten.
Wer kauft nicht eine Welt um einen Fußtritt,
Und selbst um größern Schmerz? Nun wisset ihr
Was ich gethan. Was bleibt, ihr Götter, übrig?
Als: Auf! und ziehet ein in's volle Glück!«

Er sprach's, und blieb ein Weilchen stehn, erwartend,
Es werd' ihr Jubelschrei und Beifallsruf
Sein Ohr erfüllen – als allseits er hört
Das Gegentheil, von unzählbaren Zungen
Ein häßlich Zischen, allgemein, den Ton
Des lauten Hohns. Er staunt; allein nicht lange,
Da ob sich selbst er nun noch mehr sich wundert.
Sein Antlitz fühlt er spitz und mager werden,
Die Arme schließen an die Rippen sich,
Die Bein' eng umeinander, bis er vorwärts
Als Schlang' auf seinen Leib zu Boden fällt,
Umsonst sich sträubend; größre Macht zwingt ihn,
Bestraft ihn in dem Thier, drin er gesündigt,
Nach ihrem Ausspruch. Gern hätt' er gesprochen;
Doch Zisch auf Zisch ertönt von Gabelzunge
Zu Gabelzunge; denn nun waren Alle
Zu Schlangen umgewandelt als Mitschuld'ge
An seinem Frevel. Furchtbar klang das Zischen
Hin durch die Halle, die nun dicht durchschwärmt war
Von Ungeheuern, Kopf und Schwanz verflochten,
Von Skorpionen, Nattern, Amphisbänen,
Gehörnten Schlangen, Hydern, stummen Schlangen.
(Es wimmelt' einst so dicht der Boden nicht,
Betropft vom Blut der Gorgo, noch die Insel
Ophiusa.) Doch die größte war nun er,
Ein Drache, größer noch, als den die Sonne
Erzeugt aus Schlamm im Thal der Pythia,
Den riesigen Python, und nicht mindre Macht
Schien ob den andern er noch stets zu haben.
Sie folgten ihm hinaus in's offne Feld,
Wo alle die vom Sturz ob ihres Aufruhrs
Noch Uebrigen bewehrt in Ordnung standen,
Voll der Erwartung, wenn den hehren Führer
Sie im Triumph hervorgehn sehen würden.
Statt dessen sahn sie Andres, ein Gewühl
Häßlicher Schlangen. Es befiel sie Schrecken –
Furchtbare Sympathie –; denn was sie sahen,
Das wurden sie nun selbst; die Waffen fielen
Zu Boden, Speer und Schild, sie selbst zugleich;
Das schnöde Zischen kam, die schnöde Bildung
Wie durch Ansteckung, ähnlich in der Strafe,
Wie im Vergehn. Dies der vermeinte Beifall,
Verwandelt in Gezisch, Triumph in Schande,
Die auf sich selbst aus eignem Mund sie gossen.
Nah stand ein Hain, entsprungen mit der Wandlung,
– Der Wille deß im Himmel – zu verschärfen
Die Strafe, schöner Früchte voll, gleich jenen
Im Paradies, mit denen der Versucher
Eva verlockt. Auf den seltsamen Anblick
Starrt fest ihr Auge, wähnend, daß statt Eines
Verbotnen Baums ein ganzer Wald entstanden,
Um ihnen mehr noch Schand' und Weh zu bringen.
Allein, gequält von wildem Durst und Hunger,
Wenn auch zum Hohn nur, konnten sie's nicht lassen:
In Haufen kamen sie, die Bäum' erklimmend,
Und hingen dichter, als die Schlangenlocken
Um der Megära Haupt. Sie pflückten gierig
Der Frucht, von Anblick schön, wie die da wuchs
Am Erdpechsee, wo Sodom einst entflammte.
Doch jen' ist trüg'rischer, nicht für's Gefühl,
Doch den Geschmack. Sie wollen thöricht stillen
Den Reiz mit Lust; doch kau'n anstatt der Frucht
Sie bittern Staub, den der verletzte Sinn
Mit Sprudeln auswirft. Oft versuchen sie's,
Da Durst und Hunger zwingt; gleich oft stehn ab sie;
Mit größtem Ekel krümmen sie den Rachen,
Voll Asch' und Ruß. So oft verfallen sie
In gleichen Trug, nicht wie der Mensch, ob dem
Nach Einem Fall sie jubelten. So plagt
Der Hunger sie und lang und endlos Zischen,
Bis die verlorne Form sie rückerlangten,
Mit dem Befehle, heißt's, gewisse Tage
Die Demüth'gung alljährlich zu erleiden,
Daß bräch' ihr Stolz, weil sie den Menschen stürzten.
Dennoch verbreiteten sie bei den Heiden
Die Sage von gelungenem Erfolge,
Und meinten, daß die Schlange, die Ophion
Sie nannten, mit Eurynome (wohl Eva,
Die überschreitende) zuerst den hohen
Olymp beherrscht, dann von Saturn vertrieben
Und Ops, eh der Dictäische Zeus geboren.

Indeß kam nur zu bald das höllische Paar
In's Paradies. Die Sünd', als Kraft, vorher
Schon einmal wirksam, jetzt im Leib als steter
Insaß zu wohnen; hinter ihr der Tod,
Dicht folgend Schritt auf Schritt; allein noch nicht
Auf bleichem Roß. Zu ihm begann die Sünde:
»Tod, Allbezwinger, Satans zweiter Sprößling,
Was denkst du nun von unserm Reich, errungen
Mit schwerer Müh; ist es weit besser nicht,
Als stets am Höllenthor auf Wache sitzen,
Genannt, gefürchtet nicht, du halb verhungert?«

Drauf bald der Sünde Mißgeburt versetzte:
»Mir, der an nie gestilltem Hunger leidet,
Ist Hölle, Paradies und Himmel gleich;
Am wohlsten da, wo größte Beut' ich treffe,
Die hier, ob reich auch, zu gering mir scheint
Für diesen Schlund, den weiten, hohlen Leichnam.«

Drauf die blutschänderische Mutter sprach:
»Verzehr denn erst die Kräuter, Frücht' und Blumen,
Dann all die Thiere hier und Fisch' und Vögel,
Kein übler Bissen, und was nur die Sense
Der Zeit hinmäht, verschlinge schonungslos;
Bis ich, im Menschen herrschend, des Geschlechtes
Sinn, Blick' und Wort' und Thaten ganz vergifte,
Und dir zur letzten, liebsten Beut' es reife.«

Nun schlugen sie verschiedne Wege ein,
Zu tilgen alle Wesen, sie zu bringen
Um die Unsterblichkeit und für Vernichtung
Zu zeitigen früh oder spät. Als dies
Von seinem Strahlenthron sah der Allmächt'ge,
Erhob zu seinen Heil'gen er die Stimme:

»Seht, wie die Höllenhunde gierig sind,
Die Welt zu Grund zu richten und zu plündern,
Die schön und gut ich schuf und stets sie so
Erhalten hätte, ließ der thör'ge Mensch
Nicht ein die tollen Furien, die's als Thorheit
Mir rechnen, wie der Fürst der Höll' es thut
Und seine Rotte, daß mit so viel Nachsicht
Ich sie dort einziehn und besitzen lasse
So schönen Ort, und so nachgiebig scheine,
Um meinen höhnischen Feinden zu gefallen,
Die lachen, als ob ich in einer heft'gen
Anwandlung Alles ihnen überlassen
Und blindlings ihrer Mißherrschaft vertraute.
Sie sehn nicht ein, daß ich, als Höllenhunde,
Dahin sie zog, den Schlamm dort aufzulecken,
Womit des Menschen Sünde hat befleckt,
Was rein war: bis, zum Bersten vollgestopft
Von eingeschlucktem Aas, mit Einem Wurf
Dein Arm siegreich, Sohn meines Wohlgefallens,
So Sünd' als Tod, und offnes Grab zuletzt,
Durch's Chaos schleudert und der Hölle Rachen
Für immer schließt und ihren gierigen Schlund.
Dann werden Erd' und Himmel wieder rein
Für Heiligkeit, die unbefleckt dann währt:
Bis dahin bleibt der Fluch bestehn für beide.«

Er schwieg. Die himmlische Versammlung sang
Laut Hallelujah, und wie Meeresbrausen
Tönt's durch die Schaar: »Gerecht sind deine Wege,
Gerecht sind deine Schlüss' ob deinen Werken;
Wer mag verkleinern dich?« – Dann scholl's dem Sohn,
Bestimmt zum Menschen-Heiland, der dereinst
Erneuern soll der Zeit so Erd' als Himmel,
Wenn er vom Himmel kommt. – So scholl ihr Sang,
Indeß der Schöpfer, auf beim Namen rufend
Die mächtigen Engel, jeglichem befahl,
Wie's für die Gegenwart am besten paßte.
Die Sonne sollt' in solchem Laufe scheinen,
Daß es mit Kält' und Hitze, kaum erträglich,
Auf Erden wirkt', und aus dem Norden rufen
Den greisen Winter, aus dem Süden aber
Des Sommers Glut herziehn. Dem bleichen Monde
Bedeuten sie sein Amt; den andern fünfen
Den planetarischen Gang und die Aspecten
Im Sechst-, Geviert-, Gedritt- und Gegenschein,
Von bösem Einfluß, und wie sie sich träfen
Im schlimmen Synodus; den festen Sternen
Bezeichnen sie die Zeit der bösen Wirkung,
Wer mit der Sonn' aufsteigend oder sinkend
Graus bringen sollt', und setzten fest den Winden
Den Ort, woher mit Sturm sie mischen sollten
See, Luft und Land; dem Donner, wenn zu rollen
Mit Schrecken durch der Lüfte dunkle Halle.
Nach Einigen sollten schief die Engel wenden
Zweimal zehn Grad' und mehr der Erde Pole
Ab von der Sonnenachse; querhin schoben
Mit Müh den Erdball sie. Nach Andern sollte
Die Sonne von der Bahn des Gleichers lenken,
Gleich weit entfernt zum Stiere, mit den sieben
Atlantischen Schwestern und den Zwillingen
Bis hin zum tropischen Krebs; dann plötzlich wieder
Durch Löwe, Jungfrau, Wage niedersteigen
Bis hin zum Steinbock, um jedweder Zone
Der Jahreszeiten Wechsel zu gewähren.
Sonst hätt' auf Erden ew'ger Lenz gelächelt,
An Tag und Nacht stets gleich, nur denen nicht
Jenseits der Pole Kreisen; diesen bliebe
Tag ohne Nacht stets, da die tiefe Sonne
Zu ihrer Fern' Ersatz allzeit vor Augen
Den Horizont umkreist' und man nicht kannte
Ost oder West, was auch den Schnee verhindre
Estotilands, und südlich von der Straße
Des Magelhan. Nach dem Genuß der Frucht
Verließ, wie vor Thyestischem Mahl, die Sonne
Den frühern Lauf; wie wäre die bewohnte,
Doch sündenlose Welt sonst, mehr als jetzt,
Schneidender Kält' und glüh'nder Hitz' entgangen?
Die Himmelsändrung, langsam zwar, erzeugte
Die gleich' auf Meer und Land, auch Sternendunst,
Dampf, Nebel, sengenden, seuchenwehnden,
Verdorbnen Hauch. Jetzt brechen aus dem Norden
Von Norumbega und der Samojeden
Gestad die eh'rne Haft, bewehrt mit Eis
Und Schnee und Hagel, und mit Sturmwindstößen,
Boreas und Cäcias, Argest und Thrascias,
Und stürzen Wälder, kehren Meere um.
Ihnen entgegen stürmen aus dem Süden
Notus und Africus mit Donnerwolken
Von Sierraleona. Schräg auf diese toben
Gleich wild die Winde los aus Ost und West,
Eurus und Zephyr mit dem Seitenlermen,
Sirocco und Libecchio. So begann
Der Kampf von Unlebendigem; doch die Zwietracht,
Der Sünde Tochter, führt durch wilden Haß
Den Tod zuerst ein bei den Unvernünft'gen.
Nun kriegte Thier mit Thier, mit Vogel Vogel,
Und Fisch mit Fisch; das Grasen ließen alle
Und fraßen sich. Auch stand nicht mehr in Ehrfurcht
Der Mensch; sie flohn ihn, oder schielten schreitend
Mit grimmem Blick ihn an. Dies war von außen
Des Elends Anfang, das zum Theil schon Adam
Erkannt', obgleich versteckt in düstrem Schatten,
In Gram versenkt, doch Schlimmres fühlt' er innen;
Und in ein stürmisch Meer von Leid gestürzt,
Sucht er durch Klagen so sich zu entladen:

»Welch Elend aus dem Glück! Ist dies das Ende
Der neuen schönen Welt und meins, noch jüngst
Die Krone dieser Herrlichkeit, der nun
Statt Segens Fluch ward, der vor Gottes Antlitz
Ich mich verberge, den zu schaun der Gipfel
Des Glücks mir war! Sei's; endete nur hier
Das Elend; ich verdient's und würd' ertragen,
Was ich verdient. Doch das frommt zu nichts.
All was ich ess' und trink' und noch erzeuge,
Ist fortgepflanzter Fluch. O Wort, mit Wonne
Vernommen einst: »Seid fruchtbar, mehret euch!«
Zu hören Tod nun! Denn, was kann ich zeugen
Und mehren jetzt, als Flüch' auf dies mein Haupt?
Wer in der Zukunft folgt mir, der nicht fühlt
Das Bös', auf ihn vererbt, und nicht mein Haupt
Verwünscht? »Weh über unsern sünd'gen Ahn;
Dies danken Adam wir; doch unser Dank
Soll Fluch nur sein!« So, neben meinem Leiden,
Das meiner harrt, wird Alles, was von mir
Herstammt, auf mich mit wilder Rückflut stürmen,
Auf mir, als seinem Mittelpunkte, lasten,
Wie's auch natürlich ja. O flüchtige Freuden
Des Paradieses! daurend Weh der Preis.
Bat ich dich, Schöpfer, mich vom Erdenkloß
Zum Menschen zu gestalten? bat ich dich,
Mich aus der Dunkelheit zu ziehn, in diesen
Lustgarten mich zu setzen? Da mein Wille
Zu meinem Sein nicht stimmt, so wär's wohl recht
Und billig, wieder mich in Staub zu wandeln,
Da es mein Wunsch ist, dir zurückzugeben,
Was ich erhielt, unfähig, zu erfüllen,
Was du bedangst; das Gute zu bewahren,
Was ich nicht suchte. Warum fügtest du
Zu dem Verlust, an sich schon Strafe gnug,
Den Schmerz endlosen Wehes? Unerklärlich
Scheint dein Gericht. Doch, in der That, zu spät
Recht' ich mit dir; damals, als du sie stelltest,
Sollt' ich ablehnen die Bedingungen.
Du nahmst sie an, erfreutest dich des Guten,
Und mäkelst nun an den Bedingungen?
Und schuf dich Gott auch sonder deinen Willen –
Wie, wenn dein Sohn dir, nicht gehorchend, vorwirft
»Was zeugtest du mich denn? ich wollt' es nicht.«
Und ließest du, da er dich höhnt, die trotz'ge
Entschuld'gung gelten? und nicht Wahl erzeugt' ihn,
Vielmehr nur der Natur Nothwendigkeit.
Gott schuf aus Wahl als Eignes dich von Eignem
Zu seinem Dienst; belohnt er dich, ist's Gnade;
Auch Strafe steht gerecht in seinem Willen. –
Sei's so, ich füge mich; recht ist sein Spruch:
Daß Staub ich bin und soll zu Staube werden.
Willkommne Stunde, wenn's geschieht; was zögert
Denn seine Hand, zu thun, was sein Beschluß
Auf diesen Tag bestimmt? was leb' ich noch?
Was spottet mein der Tod und zieht mich hin
In todeslose Qual? wie froh erlitt' ich
Mein Urtheil, Sterblichkeit, und wäre Erde,
Fühlloser Staub; wie froh legt' ich mich nieder,
Wie in der Mutter Schooß; da würd' ich ruhn
Und sorglos schlafen; seine Donnerstimme
Träf' nicht mein Ohr mehr; mich und mein Geschlecht
Bedrängte nicht die Furcht vor Schlimmerm mehr
Mit grausamer Erwartung. Doch Ein Zweifel
Verfolgt mich noch: ich kann nicht gänzlich sterben;
Des Menschen Geist, des Lebens reiner Hauch,
Den Gott einblies, kann nicht zugleich vergehn
Mit diesem Körperkloß. Dann müßt' ich ja
Im Grab, vielleicht an andrem Unglücksort
Lebendigen Todes sterben? O Gedanke,
Wenn wahr, wie schrecklich! Doch der Lebenshauch
Nur sündigte; was stirbt? – wenn nicht, was Leben
Und Sünde hegt? der Leib hegt keins von Beiden.
So stirbt von mir denn Alles. Laß dies stillen
Den Zweifel, da der Mensch nichts Weitres weiß.
Denn ist im Herrn auch Alles sonder Ende,
Ist's auch sein Zorn? Sei's; nicht der Mensch ist es,
Zum Tod verdammt. Wie kann er Zorn auslassen
Endlos am Menschen, den der Tod hinrafft?
Kann Tod untödtlich sein? Das hieß ja üben
Seltsamen Widerspruch, den Gott sogar
Begehn nicht kann; der Schwäch' und nicht der Kraft
Wär's ein Beweis. Will Endliches, dem Zorn
Zu Lieb', er machen zu Unendlichem
Im Menschen, den er straft, den nie gestillten
Grimm zu befriedigen? was erstrecken hieße
Den Spruch jenseits des Staubs und der Natur
Gesetz, wodurch sonst nach Empfänglichkeit
Des Stoffes alle Kräfte stets nur wirken,
Nicht nach dem Umfang der bestimmten Grenze.
Doch soll der Tod Ein Streich nicht, wie ich glaubte,
Empfindung raubend, sein, nein, endlos Elend
Von diesem Tag an, deß Beginn ich fühle
In mir, wie außer mir, und das fortwährt
In ewiger Dauer. – Weh mir, diese Furcht
Wälzt sich zurück mit furchtbarm Donnerschlag
Auf mein schutzloses Haupt. Der Tod und ich
Sind ewig dann einander einverleibt;
Und ich bin nicht allein, in mir sind alle
Nachkommen dann verflucht. O schönes Erbtheil,
Das ich euch lass', ihr Kinder! könnt' ich Alles
Doch selbst vergeuden und vermacht' euch nichts!
Wie würdet ihr dann, so enterbt, mich segnen,
Nun euch zum Fluch! Warum, ach, muß die Menschheit
Um Eines Fehl schuldlos verdammt dann sein,
Wenn schuldlos? Doch was kann von mir wohl kommen,
Als Schlechtes, ganz verderbt an Geist und Willen,
Nicht nur zu thun, zu wollen auch dasselbe,
Wie ich? Wie können also sie gerecht
Bestehn vor Gott? Nach allem Wortstreit denn
Sprech' ich ihn los; jedwede leere Ausflucht,
Durch welches Labyrinth auch, überführt
Stets nur mich selbst: zuerst fällt und zuletzt
Auf mich, mich einzig, als den Quell und Ursprung
Aller Verderbniß der verdiente Tadel.
Möcht's auch der Zorn! Thörichter Wunsch! Wie könntest
Die Last du tragen, schwerer als die Erde,
Ja schwerer als die Welt, wenn sie auch theilt
Dies schlimme Weib? So tilgt denn, was du wünschest
Und fürchtest, gleichermaßen alle Hoffnung
Des Trosts und zeigt zuletzt dich jammervoller,
Als jedes vorige und zukünft'ge Beispiel,
Dem Satan nur an Schuld und Strafe gleich.
Gewissen, o in welcher Furcht Abgründe
Und Schrecken warfst du mich, aus denen ich
Nicht Ausgang find', aus Tief' in Tiefres stürzend.«

So klagte bei sich selber Adam laut
In stiller Nacht, die nicht, wie vor dem Fall,
Kühl, heilsam, mild, vielmehr von schwarzen Wolken
Umhüllt, in Dünsten und furchtbarem Düster,
Zwiefach ihn schreckend, Alles seinem bösen
Gewissen darstellt'; auf dem kalten Boden
Lag er dahingestreckt, und oft verwünscht er,
Daß er erschaffen, klagt gleich oft den Tod an
Des zögernden Vollzugs, da ihm verkündigt
Der Tag der Schuld war. »Warum kommt er nicht,
Sprach er, durch Einen vielwillkommnen Streich
Zu enden? Hält die Wahrheit nicht ihr Wort?
Eilt göttlich Recht denn nicht, gerecht zu sein?
Doch folgt dem Ruf der Tod nicht, göttlich Recht
Bewegt zum kleinsten Schritt nicht Flehn noch Schrein.
O Wälder, Quellen, Hügel, Thäler, Lauben,
Für andern Wiederhall lehrt' euren Schatten
Ich jüngst die Antwort – welchen andern Sang!«

Als Eva ihn so schmerzerfüllt erblickte,
Naht sie von dort ihm, wo sie traurig saß,
Mit sanftem Wort, den wilden Schmerz zu lindern;
Allein mit strengem Blick scheucht' er sie so:

»Aus meinem Blick, du Schlange! dieser Name
Ziemt dir am besten, die, mit ihr im Bunde,
Gleich falsch ist und verhaßt; es fehlt nur noch
Die Schlangenfarb und Bildung, anzuzeigen
Den innern Trug, um fortan die Geschöpfe
Vor dir zu warnen, daß die Himmelsbildung,
Verhüllend Höllenfalschheit, sie nicht täusche.
Wärst du nicht, blieb ich glücklich; hätte nicht
Dein Hochmuth, deine eitle Wandersucht,
Als sie am mindsten sicher, meine Warnung
Verworfen und zu mißtraun ganz verachtet,
Um nur gesehn zu werden, selbst vom Teufel,
Im Wahn, ihn zu besiegen. Doch die Schlange
Trog und berückte dich, du wieder mich,
Daß ich von mir dich ließ, die klug sich dünkte,
Reif, standhaft, gegen jeden Anfall fest,
Und nicht begriff, dies sei nur äußrer Schein,
Nicht sichre Tugend, eine Rippe blos,
Krumm von Natur, wie es sich jetzt erweist,
Nach links geneigt mehr, und mir ausgezogen,
(Wär' ganz sie weggeworfen) als zuviel
An rechter Zahl. O, warum schuf der Schöpfer,
Der weise, der des Himmels Höhn bevölkert
Mit Geistern männlichen Geschlechts, zuletzt
Auf Erden diese Neuheit, der Natur
Reizvoll Gebrechen; füllte nicht die Welt
Mit Männern, wie mit Engeln, ohne Weib,
Und fand nicht andern Ausweg, fortzupflanzen
Die Menschheit? Dies Unheil wär' nicht geschehn.
Und andres, das geschehn wird, unzählbarer
Verdruß auf Erden durch der Weiber Schlingen
Und durch das enge Band mit dem Geschlecht.
Denn bald wird er die Passende nicht finden;
Nein, die ihm zuführt Mißgriff oder Unglück;
Bald wird er selten, die er wünscht, erlangen
Ob ihrer Laun', und sie gewonnen sehn
Durch Schlechtre, oder wenn sie liebt, verhindert
Durch Eltern; oder er erkennt die Rechte
Zu spät, da er mit einer Widerspenst'gen
Vermählt schon ist, sein Haß und seine Schmach.
Dies bringt unendlich Elend in das Leben
Des Menschen und zerstört des Hauses Frieden.«

Er schwieg und wandte sich von ihr; doch Eva
Ging nicht; mit ungehemmter Thränenflut
Und aufgelöstem Haar fiel sie demüthig
Zu Füßen ihm, und dies' umfangend, bat
Sie um Versöhnung und fuhr klagend fort:

»Verlaß mich, Adam, so nicht; Zeug' ist mir
Der Himmel, wie aufrichtig ich dich lieb'
Und ehr', und nur unwissend dich beleidigt,
Unglücklich selbst getäuscht; ich flehe dich,
Die Knie umfassend, an, nicht raube mir,
Woran mein Leben hängt, den sanften Blick,
Den Rath, die Hülf' in dieser höchsten Noth,
Du, Kraft und Stütz' allein: von dir verlassen,
Wohin soll ich dann gehn, wo bleiben dann?
Weil wir noch leben – kaum wohl eine Stunde –,
Sei Friede zwischen uns; laß eins uns sein,
Wie wir's durch Kränkung sind, in Feindschaft
Gegen den Feind, den klar der Spruch bezeichnet,
Die arge Schlange. Uebe doch an mir
Nicht Haß, des Elends halb, das uns befallen.
An mir, der schon Verlornen, die elender
Als du; wir beide sündigten, doch du
Nur gegen Gott, ich gegen Gott und dich.
Rückkehren will zum Ort ich des Gerichts,
Dort durch mein Flehn den Himmel zu bestürmen,
Daß aller Fluch von deinem Haupte fall'
Auf mich, die einzig Ursach alles Wehes,
Auf mich nur seines Zorns gerechtes Ziel.«

So schloß sie weinend, und die reuige Stellung
Bis sie Vergebung ihres Fehls erlangt,
Von ihr erkannt, beweint, bewegte Adam
Zum Mitleid; bald erweichte sich sein Herz
Um sie, sein Leben jüngst und seine Wonne,
Die nun zu seinen Füßen kniet im Unglück,
Die, also schön, Versöhnung, Rath und Hülfe
Bei dem jetzt sucht, den sie zuvor gekränkt;
Ihm, dem Entwaffneten, schmolz all sein Zorn,
Und er erhob sie mit den Friedensworten:

»Bedachtlos und voreilig, wie vorher,
Verlangst auch jetzt du, was du noch nicht kennst,
Die Strafe ganz für dich; o trag' erst deine,
So schlecht befähigt, seinen vollen Zorn
Zu tragen, deß geringsten Theil bis jetzt
Du fühlst, wie meinen Zorn du schlecht erträgst.
Wenn Bitten hohe Schlüsse änderten,
Eilt' ich vor dir dahin und riefe lauter,
Daß auf mein Haupt die ganze Strafe falle,
Und dir, der Schwächeren, mir anvertraut
Und von mir blosgestellt, vergeben würde.
Jedoch steh' auf, laß uns nicht streiten mehr,
Noch uns beschuldigen, sonst schon gnug beschuldigt;
In Liebespflicht nur streiten, wie wir uns
Die Jammerlast erleichtern; da, wenn recht
Ich seh, der dieses Tags gedrohte Tod
Kein schneller sein wird, nein, ein schleichend Nebel,
Ein langer Sterbetag, die Qual zu steigern,
Vererbt auf unsern unglücksel'gen Samen.«

Drauf Eva leichtern Herzens dies versetzte:
»Durch traurige Erfahrung weiß ich, Adam,
Wie wenig meine Worte bei dir gelten,
Die sich so irrig und durch den Erfolg
So unheilvoll erwiesen. Doch bei dir
Zu neuer Gunst gelangt, wie unwerth auch.
Und deiner Liebe Wiederkehr erhoffend,
Im Leben und im Tod die einzige Gnüge
Des Herzens – will ich nicht vor dir verbergen,
Was für Gedanken lebhaft mir erstehn,
Zu lindern unsre Noth, ja sie zu enden,
Zwar herb und traurig, doch erträglich noch
Bei unserm Elend und die Wahl nicht schwierig.
Wenn Sorg' um unsern Stamm zumeist uns drückt,
Den wir zu schon gewissem Weh erzeugen,
Zuletzt vom Tod verzehrt; – und ist's ein Jammer,
Der Grund zu sein vom Elend Anderer,
Von uns erzeugt, und ein Geschlecht des Weh's
In diese fluchbeladne Welt zu setzen,
Das, wenn's elend gelebt, zuletzt als Fraß
So schnödem Ungeheuer dient: so liegt es ja
In deiner Macht, vor der Empfängniß noch,
Das Unerzeugte nicht entstehn zu lassen.
Noch kinderlos, bleib so; dann wird der Tod
Betrogen um die Beut', und mit uns beiden
Muß sein gefräßiger Schlund zufrieden sein.
Doch achtest du für schwer und hart, bei unserm
Verkehr, Anblick und Lieben, die Enthaltung
Von Liebesbrauch und ehlichem Umarmen,
Das Schmachten ohne Hoffnung beim Verlangen
Vor dem geliebten Gegenstand, der gleichfalls
In Sehnsucht schmachtet – eine Pein und Qual,
Geringer nicht, als jene, die wir fürchten:
Dann laß, um uns und unsern Stamm zugleich
Von dem, was beiden droht, schnell zu befrein,
Den Tod uns suchen, und gelingt dies nicht,
Mit eigner Hand sein Amt an uns vollziehn.
Was stehn wir länger schaudernd unter Furcht,
Die Tod nur zeigt, und haben doch die Wahl
Des kürzesten von vielen Todeswegen,
Vernichtung durch Vernichtung zu zerstören.«

Hier schwieg sie, oder heftige Verzweiflung
Schnitt Weitres ab; so stark war ihr Gedanke
An Tod, daß es die Wangen bleich ihr färbte.
Doch Adam, nicht durch solchen Rath bewegt,
Hob kämpfend seinen aufmerksamern Geist
Zu bessrer Hoffnung, und sprach so zu Eva:

»Des Lebens und der Lust Verachtung scheint
Ein Höheres und Edleres in dir,
Als was dein Geist verachtet, anzudeuten;
Doch Selbstvernichtung deshalb suchen, tilgt
Den Vorzug, dir ertheilt, und nicht Verachtung
Bedeutet dies, nein, Angst ob des Verlustes
Zu sehr geliebten Lebens und Vergnügens.
Suchst aber du den Tod als letztes Ende
Des Elends, also zu entfliehen glaubend
Der Strafe, sei versichert, Gott hat weiser
Den Rachezorn bewehrt, als daß er so sich
Ließ' hintergehn. Mehr fürcht' ich, so gerufen,
Wird nicht der Tod uns von der Qual befrein,
Zu der verdammt wir sind; viel eher möchte
Solch Trotzen Gott bewegen, daß den Tod
Er in uns leben ließe. Suchen wir
Denn sicherern Entschluß, der, wie mich dünkt,
Mir vorschwebt, ruf' ich recht mir in den Sinn
Den Theil des Spruchs: »dein Same soll zertreten
Der Schlange Kopf.« Ein armer Trost, wenn nicht,
Wie ich vermuthe, unser großer Feind,
Satan, gemeint ist, der uns in der Schlange
Den Trug ersann. Sein Haupt zertreten, wäre
Rach' in der That; vereitelt dann, wenn wir
Uns selbst Tod gäben, oder kinderlos
Verblieben, wie du räthst; denn dann entginge
Der Feind der ihm bestimmten Straf', und wir
Verdoppelten die unsr' auf unsren Häuptern.
Drum nichts mehr von Gewaltthat an uns selbst,
Nichts von vorsätzlicher Unfruchtbarkeit,
Die uns die Hoffnung raubt und zeugt von Groll,
Hochmuth und Ungeduld und widerwill'gem
Trotz gegen Gott und das uns auferlegte,
Gerechte Joch. Erinnre dich, wie mild
Und gnädig er uns hört' und richtete,
Ganz ohne Zorn und Schmähn. Wir wähnten schon
Sofortige Vernichtung durch den Tod
Am selben Tag, als, siehe! dir nur Schmerzen
Verkündigt wurden bei der Schwangerschaft
Und beim Gebären, bald durch Lust vergolten
An deines Leibes Frucht. Der Fluch auf mich
Glitt auf den Boden ab; mit Müh ernt' ich
Mein Brod – wär Müßiggang nicht schlimmer?
Mein Schweiß ernährt mich; und daß uns nicht schade
Kält' oder Hitze, sorgt' er im voraus,
Auch ungefleht, und kleidet' uns Unwürd'ge
Mit seiner Hand, voll Mitleid selbst beim Strafen.
Wie mehr, wenn wir ihn bitten, wird sein Ohr
Er öffnen und sein Herz zum Mitleid neigen,
Und ferner uns die rauhe Jahreszeit,
Eis, Regen, Schnee und Hagel meiden lehren,
Die schon die Luft in mancherlei Gestalt
An dem Gebirg uns zeigt; es wehn die Winde
Schon feucht und scharf, die schönen Locken schüttelnd,
Der breiten Bäume Zier. Gediegnern Schutz
Heißt dies uns suchen, Wärme, welche labt
Die starren Glieder, eh des Tags Gestirn
Kalt läßt die Nacht; wie wir auffangen mögen
Den rückgeworfnen Strahl in trocknem Stoff,
Auch wie durch Reibung zweier Körper wir
Die Luft entzünden, wie noch jüngst die Wolken,
Mit Winden kämpfend, im Zusammenstoß
Zum Blitz entflammten, dessen schräge Glut
Der Tanne harzige Rind' in Feuer setzte,
Und angenehme Wärme weit versandte,
Die der der Sonne glich. Solch Feu'r zu nutzen,
Und was sonst noch abhelfen kann den Uebeln,
Die unsre Missethat uns zugezogen,
Lehrt er uns wohl, wenn wir um Gnad' ihn anflehn;
So daß nicht Sorg' uns drückt, wie wir dies Leben
Erträglich führen, unterstützt von ihm
Mit manchem Trost, bis wir zu Staube werden –
Die letzte Ruh und unsre Heimatsstätte.
Was Bessres bleibt zu thun jetzt, als zum Orte,
Wo er uns richtete, zu gehn, vor ihm,
Ehrfürchtig kniend, reuig unsre Schuld
Zu beichten, um Verzeihn zu flehn, mit Thränen
Den Boden feuchtend und, zerknirschten Herzens,
Die Luft mit Seufzern füllend, als ein Zeichen
Aufrichtiger Reu und sanftergebner Demuth?
Unzweifelhaft läßt er von seinem Zorn
Und mildert ihn in seinem heitern Blicke:
Wenn er am zornigsten und strengsten schien,
Was zeigte sich, als Huld und Güt' und Gnade?«

So sprach der reuige Ahn, und Eva fühlte
Nicht mindre Reu; alsbald gehn nach dem Orte
Sie hin, wo er sie richtete, und fallen
Ehrfürchtig vor ihm nieder, ihre Schuld
Bekennend, bitten um Verzeihn, mit Thränen
Den Boden feuchtend und, zerknirschten Herzens,
Die Luft mit Seufzern füllend, als ein Zeichen
Aufrichtiger Reu und sanftergebner Demuth.

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