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Kidi. Eine Geschichte vom Kongo

Kidi war ein Schwarzer aus dem Gebiete des Loango, er hat eine Religion gestiftet, aber keine Anhänger dafür gefunden und ist als Märtyrer gestorben. Aber davon weiß niemand, außer mir und einige Freunde. Kidi hatte sich bei einem Weißen, der an den Ufern des Ogowe wohnte, als Boy verdungen. Dieser Weiße war sehr gut, denn wirklich – es gibt auch unter den Weißen gute Menschen, das schwöre ich euch. Er hatte sogar ziemlich phantastische Ideen. Denn anstatt Elfenbein und Kautschuk zu kaufen und auszuführen, legte er Kaffeeplantagen an und pflanzte Kakaobäume. Manchmal zeigte er Kidi des Morgens die Kakaobäumchen und dann sagte er: »Siehst du, die pflanze ich, um später aus ihren Früchten Schokolade zu machen.« Aber das glaubte Kidi natürlich nicht. Er wußte recht gut, daß Schokolade eine Art braunen Steines ist, der in kochendem Wasser schmilzt und dann sehr gut schmeckt. Aber daß Bäume nur Früchte und keine harten Steine tragen, dessen war Kidi ganz sicher. Indessen lernte er in späteren Zeiten noch viel unwahrscheinlichere Dinge glauben – das ist die Inkonsequenz der Menschen. Die Veranlassung dazu kam durch seinen weißen Herrn, der ganz legitim verheiratet war und seine Frau mit an den Kongo gebracht hatte. Ich habe ja schon erwähnt, daß dieser Mann etwas phantastisch veranlagt war.

Seine Frau nun war ein armes kleines Wesen, überaus zart und blond. Ihre schönen glänzenden Augen hatten einen schmerzlichen Ausdruck und das war nur natürlich, denn das Fieber schüttelte die junge Frau, die der Geburt eines Kindes entgegensah. Als dieses Kind geboren wurde, war der unwissende Kidi in höchstem Grade erstaunt. Wie die meisten Afrikaner war er des Glaubens, daß die Weißen dem Meere entstiegen und daß es das Meer sei, dem sie alle ihre Schätze entnehmen. Daher – so glauben sie – kommt es auch, daß die Augen so vieler Weißen die Farbe des Meeres tragen, grau, blau oder grün, es ist wegen ihres Ursprungs. Wenn ihr nur eine Minute lang nachdenken wollt, werdet ihr zugeben, daß diese Voraussetzung etwas durchaus Vernünftiges hat. Und nun zeigte plötzlich die »Madame« Kidi ein neugeborenes kleines Wesen, das ganz den Menschenkindern glich, nur daß sein Körper weiß und zart rosa war. Das schien ihm etwas ganz Außerordentliches zu sein. Die weißen Götter, die dem Meere entsteigen, werfen ja wohl manchmal ihre Augen auf die Töchter der Schwarzen, die einfach sterbliche Frauen sind, und die Kinder, die diese bekommen, sind Mulatten, dieses Baby aber war ein wirklicher kleiner weißer Gott! Alles, was sich im Anschluß an die Geburt des Kindes ereignete, trug dazu bei, ihn in dieser Überzeugung zu bestärken. Denn man ließ einen Missionar von der Küste kommen, der das Kind taufte. Es war ein Lazarist und er hieß Vater Mottu. Er hatte lange Beine und einen mächtigen Oberkörper. Sein Haar und sein langer Bart waren schwarz, ungekämmt und schlecht gepflegt. Er war aber eine tapfere Natur und würde im Interesse seines Berufes, der ihm absolut nichts einbrachte, ganz Afrika ohne einen Heller in der Tasche durchquert haben. Er verstand und sprach alle Sprachen der Eingeborenen und suchte den Glauben zu verbreiten, daß dies eine Gabe des heiligen Geistes sei, was ja übrigens durchaus nicht unmöglich ist. Ich z. B., der ich leider nie auf besonders gutem Fuß mit unserm Herrgott gestanden habe, verstehe kein Wort der verschiedenen Idiome der Eingeborenen.

Die Ereignisse, von denen ich hier berichte, haben sich in der zweiten Dezemberhälfte zugetragen, und als Vater Mottu den Bambino sah, der in einem schönen weißen Tragkleidchen so friedlich in den Armen seiner jungen Mutter lag, da rief er unwillkürlich:

»Welch reizende Weihnachtskrippe könnten wir uns nun aufbauen!«

Und man baute wirklich eine Krippe. Am Ufer des Flusses wurde eine große Strohhütte errichtet, deren Dach einfach auf hölzernen Pfosten ruhte. Das Wasser rauschte und sang an dem felsigen Ufer und die schaumbedeckten Wellen waren weiß und blau wie die Schleier der Madonna. Friedlich schlummerte das Kindchen in einer roh hergestellten hölzernen Wiege. Seine beiden kleinen Fäuste waren fest geschlossen, das rosige Mündchen leicht geöffnet. Die Madonna wurde selbstverständlich durch die »Madame« dargestellt und ebenso natürlich war, daß ihr Mann die Partie des Joseph übernahm. Hinter ihnen standen die zu der heiligen Nacht gehörigen Tiere, zwei weiße Zicklein, die man zu dieser Gelegenheit so blank gewaschen hatte, daß ihr Fell in der Sonne wie Zucker leuchtete und ein sehr ernst und vernünftig dreinsehender Ochse. Da man keinen Esel hatte finden können, hatte man statt dessen Fritz, einen jungen Elefanten, herangezogen. Man muß zugestehen, daß dieser seinen Platz durchaus würdig ausfüllte, manchmal bewegte er den Rüssel langsam hin und her, als ob er ein Rauchfaß schwenken wolle.

Dann aber erschienen die drei Könige aus dem Morgenlande. Wie die Tradition dies erheischt, waren sie prächtig gekleidet. Der erste, Kaspar, wurde dargestellt von einem Reisenden, der mit den Eingeborenen Geschäfte machte. Vater Mottu hatte die Rolle des Melchior übernommen, und da alle Welt weiß, daß der dritte der Weisen aus dem Morgenlande, Balthasar, ein Mohrenkönig war, so stellte Kidi diesen dar.

Kidi war ganz überwältigt von der hohen Ehre, die ihm widerfahren, als man ihn zu dem Weihnachtsfestspiel zuzog. Er zitterte vor Stolz und Freude. Er trug eine Krone von Kupfer auf seinem Kopfe. Bekleidet war er mit einer Lederweste, die reich mit Glasstückchen, Bernsteinperlen und anderem barbarischen Zierat geschmückt war, mit grünen bauschigen und mit Gold verzierten Hosen und mit roten Lederstiefeln. Brust und Schultern waren mit einem üppigen schweren roten Seidenstoff drapiert. In den Händen trug er Maiskolben, weiße Bananen und Palmen. Er legte all dieses zu Füßen des Kindes nieder und verneigte sich tief und ehrerbietig. Er begriff nichts von allem, was da geschah, nur der hohen Ehre, von seiner Herrschaft zu einer den Weißen heiligen religiösen Zeremonie hinzugezogen zu werden, war er sich bewußt. Daß man ihm dabei die Rolle eines Königs zuerteilt, erfüllte ihn mit besonderer Genugtuung und Freude. Seine Seele war ganz erfüllt von Stolz, Begeisterung und Dankbarkeit.

Niemand hatte daran gedacht, dem armen Kidi zu erklären, daß es sich hier nur um ein Weihnachtsspiel handle. Und dann, gibt es in einem harmlosen Gemüte, in dem Hirne eines Kindes, eines Dichters, eines Negers überhaupt einen Unterschied zwischen einer Scheinhandlung und der Wirklichkeit? Und selbst, wenn die Welt wirklich nur ein Trugbild wäre, das schlecht und wie in einem zerbrochenen Spiegel uns unbekannte ferne Dinge vorgaukelt, wer würde sich nicht davon betören lassen? Ganz gewiß war keinerlei böse Absicht damit verbunden, wenn man versäumte, Kidi aufzuklären; Tatsache aber ist, daß dies nicht geschah.

Man hatte ihm gestattet, einen Gott, einen kleinen weißen Gott anzuschauen, ihn anzubeten und ihm zu dienen! Das war eine ungewöhnliche und ganz besondere Ehre. Das war alles, was er davon begriffen hatte. Von diesem Tage an nahm er eine andere selbstbewußtere Haltung an. Als Vater Mottu die Station verließ, hatte er Kidi eine Medaille geschenkt, auf der das Bild der göttlichen Jungfrau mit dem Kinde dargestellt war. Kidi verbarg das Bild sorgfältig in einem Ledertäschchen, das er an einer Schnur um den Hals trug. Er betrachtete es wie eine Art Talisman, dem übernatürliche Kräfte inne wohnten. Es hatte aber auch noch eine andere Bedeutung für Kidi. Ihm war das Muttergottesbildchen ein sichtbares Zeichen des Bandes, das ihn von jetzt an mit den Weißen vereinte. Fühlte er sich doch durch eine religiöse geheimnisvolle Zeremonie, deren Sinn er ja freilich nicht verstanden, unlöslich mit ihnen vereint, und nie würde es ihm in den Sinn gekommen sein, den Weißen die Treue zu brechen, den Kontrakt zu lösen, den er in seinem einfältigen Glauben eingegangen war. Die Naturvölker haben heute noch solch primitive Empfindungen. Die Senegalkrieger legen jeder Medaille eine sehr ernste Bedeutung bei; sie halten sie für geheimnisvolle Amulette, die die Europäer ihnen verleihen und die unfehlbar jedem Unglück bringen, der es wagen wollte, die darauf geschriebenen unlesbaren Worte zu mißachten oder dem bei ihrer Einstellung geleisteten Eide untreu zu werden, obwohl der Sinn dieses Eides ihnen völlig unverständlich ist. Denn das Wort ist der Schöpfer der Dinge. Das ist der Glaube aller Naturvölker. Ein Zaubrer vermag, indem er das Wort »Tod« oder »Liebe« ausspricht, Tod oder Liebe über eine beliebige Person zu verhängen. – Etwas später ließ Kidi sich bei der Miliz von Tschad einreihen und erhielt auch bald eines dieser europäischen Ehrenzeichen. Er bewahrte es sorgsam in demselben Lederbeutelchen, in dem er die von Vater Mottu erhaltene Medaille aufhob. Für ihn waren diese Dinge von gleichem Werte.

Wenn Kidi in die Miliz von Tschad eingetreten war, so geschah das nur, weil sein Herr und die arme »Madama«, die stille blasse Frau, mit dem kleinen weißen Gott nach Frankreich zurückgereist waren. – Kidis Auffassung der Dinge war freilich eine andere, er meinte, daß sie in das Land des Meeres, das Vaterland der fremden Götter heimgekehrt seien. Kidi war sehr unglücklich gewesen, obwohl er nicht sehr erstaunt darüber war, denn die Weißen können sehr oft das Klima Afrikas nicht vertragen, und vermögen so wenig darin zu leben wie Fische, die man ihrem Elemente entzieht. Die Weißen kehren nach einigen Jahren stets dahin zurück, woher sie gekommen sind. Niemals sieht man, daß ein weißer Mann in Afrika an Altersschwäche stirbt.

Kidi also wurde Soldat, und er war ein braver und tapfrer Soldat. Er nahm ohne zu zittern an mehreren großen Gefechten teil. Ebenso half er viele Dörfer zerstören, das heißt, er half sie auszuplündern. Sein Instinkt, seine Traditionen und seine religiösen Gelübde kamen ihm dabei zustatten.

Da geschah es, daß sein Korps eines Tages nach einem langen westwärts führenden Marsche die Ufer des Oubangi erreichte. Der Führer der Truppe, ein kleiner, sehr harter, aber großmütiger und tapferer Weißer, ließ einen großen Mast an dem Ufer des Flusses aufrichten und eine Flagge daran aufhissen. Dann rief er Kidi heran und sagte ihm:

»Siehst du, das bedeutet, daß dieses Land uns gehört. Wir andern werden jetzt zurückkehren, du jedoch wirst hier bleiben, und wenn irgend jemand hierhin kommen sollte, so wirst du ihm sagen, was diese Flagge bedeutet!«

So nämlich wird es gemacht. Man gibt zwei oder drei Millionen aus, um Kolonien zu gründen und dann geht man fort.

Der Kommandant fügte noch hinzu:

»Alle drei Monate wird, wenn es sich einrichten läßt, ein Boot hier anlegen und dir deinen Sold bringen; wenn es aber mal nicht ankommen sollte, so hat das nichts zu sagen. Du hast trotzdem deine Pflicht zu erfüllen.«

Kidi antwortete höflich:

»Es ist gut.«

So blieb er ganz allein am Ufer des Flusses zur Bewachung der französischen Flagge. Jeden Morgen hißte er sie auf und jeden Abend, wenn die Sonne unterging, ließ er sie herab. Er erfüllte mit musterhafter Treue seine Pflicht. Nach einiger Zeit kaufte er sich eine Frau für sechs Kupferstäbe. Denn am Loango gilt der Grundsatz, daß ein Mann, der keine Frau hat, entweder zu arm ist, um sich eine kaufen zu können, oder aber ein Narr, sein muß. Ihr müßt wohl beachten, daß die Neger viel gesunden Menschenverstand haben. Kidi stach mit der Spitze seines Messers in das Bildchen der »Madama« und des weißen Kindes. Es geschah dies keineswegs, um ihnen wehe zu tun. Er wollte sie dadurch nur darauf aufmerksam machen, daß es gut sein würde, wenn die »Madama« den Sohn, dessen Geburt er entgegensah, vor den Blattern behüten wolle. Das verheißene Proviantschiff kam niemals an, aber darüber machte er sich weiter keine Sorge. Nach einiger Zeit jedoch stießen von der belgischen Seite des Flusses mehrere Boote ab, die voll Neger waren, welche sich sofort daran machten, die Lianen zu zerschneiden, um Kautschuk zu gewinnen. Kidi trat ihnen ganz ruhig entgegen und sagte:

»Das geht nicht. Alles, was hier ist, gehört den Franzosen. Ich euch von hier vertreiben muß.«

Da brachen die Schwarzen in schallendes Gelächter aus. Es waren Kannibalen von dem Stamme der Bangalas, die sich die Stirnhaut in die Höhe zu binden pflegen, so daß diese wie eine Art Hahnenkamm emporragt, was ihnen ein ganz tierisches Aussehen verleiht. Kidi betrachtete sie mit Grauen. Sie antworteten ihm, daß es auf ihrem Gebiete keinen Kautschuk mehr gäbe und daß es ihnen schlecht gehen würde, wenn sie den Belgiern keinen brächten.

Aber Kidi antwortete immer nur:

»Ihr müssen das Feld räumen.«

Die Schwarzen, die sahen, daß Kidi ganz allein war, fingen wieder an zu lachen. Kidi aber zögerte keinen Augenblick mehr. Hätte er das getan, so wäre es ihm ja nach dem Tode noch viel schlimmer ergangen. Die unbedeutende Tatsache, daß er ganz allein war, störte ihn deshalb nicht. Er beteuerte in einfachster Weise:

»Ich euch werde Krieg machen.«

Niemand konnte logischer handeln wie Kidi, denn er tat, was ihm seine Religion vorschrieb und handelte in treuester Pflichterfüllung.

Er holte sein Gewehr und fing an in den Haufen der Neger zu schießen. Und er war so tapfer, daß er an diesem Tage Sieger ward.

Aber in der Nacht kehrten die Bangalas ganz leise zurück und steckten seine Strohhütte an. Und als Kidi laut schreiend daraus hervorstürzte, traf ihn der wuchtig geführte Streich eines Beiles, das sein Haupt vom Rumpfe trennte. Dann töteten die Bangalas sein Weib und nahmen das kleine Kind mit sich. Es weinte bitterlich, als sie auf dem Flusse dahinfuhren und die Fliegen sich auf seine Augen setzten.

So starb Kidi, weil er an einem Dezembertage bei einem Weihnachtsspiele die Rolle Balthasars, des Königs aus dem Morgenlande, gespielt hatte. Und diese Geschichte ist wirklich wahr.


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